“Die Philosophie ist dem Glauben überlegen” Erinnerung an Averroes bzw. Mohammed ibn Ruschd, gestorben am 11.12. 1198

Wir müssen uns nicht nur als Philosophen, sondern im allgemeinen schon als Menschen dieses 21. Jahrhunderts endlich an die muslimische Philosophie erinnern, etwa an die Denker, die im 11. und 12. Jahrhundert in Europa lebten und arbeiteten und bis heute anregend und “aufregend” sind. Einer von den “ganz Großen” ist für uns Averroes bzw. Mohammed ibn Ruschd, geboren 1126 in Cordoba (heutiges Spanien), gestorben am 11. Dezember 1198 in Marrakesch. Averroes ist in vieler Hinsicht wichtig: Wir denken nur an seine Schrift gegen den muslimischen Philosophen Al-Gazali. Darin zeigt Averroes, dass die Philosophie dem religiösen Glauben überlegen ist: Schon unser menschliches Denken als Denken hat es mit Ewigem, Allgemeinen und Bleibenden zu tun. Geistige und philosophische Erkenntnis ist unabhängig von religiösen Büchern, wie der Bibel oder dem Koran. Religion kann für Averroes niemals die höchste Form menschlichen Wissens sein. Diese Sätze missfielen auch den christlichen Theologen, 1270 wurden seine Thesen in Paris verurteilt.  Averroes wurde von dem Kalifen aus seiner Heimatstadt Cordoba, dem blühenden kulturellen Zentrum, vertrieben, er starb förmlich in der Verbannung in Marrakesch am 11. 12. 1198. Wir erinnern an diesen großartigen, vielseitigen Denker. Ob man seine Bücher heute auch in islamistischen Kreisen liest? Averroes könnte Menschen zur Vernunft bringen! Auch für Christen der orthodoxen Dogmatik und der evangelikalen, absoluten Bibeltreue ist Averroes ein Impuls, über den sie ein paar Monate debattieren könnten: Die These, aktueller denn je: Für die Anhänger des Philosophen Averroes sind die religiösen Dogmen eine Art sehr schlichter, er würde sagen primitiver Vorläufer der allgemeinen, der allgemein menschlichen Philosophie. Dogmen und Bräuche sind also fürs Menschsein und für die Spiritualität – gegenüber dem klaren Denken – zweitrangig. Das heißt ja nicht, dass religiöse Praxis sinnlos ist. Nur: Keine Religion und Kirche darf als solche eine weltgestaltende, bestimmende politische Kraft sein. Deswegen wird an die Überlegenheit allgemeinen Denkens, also der Philosophie, und mit ihr der Menschenrechte, erinnert.

“Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern”: Hannah Arendt, verstorben am 4.12.1975.

Auf das politische Denken und damit die Philosophie Hannah Arendts (besonders in der Nähe zu Kant) wird niemand verzichten. In ihrer Vorlesung “Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik” (Ungekürzte Taschenbuchausgabe, PIPER Verlag) sagt sie diesen Satz: “Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben, und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten” (dort S. 77).

Am 4.12.1975 ist Hanna Arendt in New York gestorben, geboren wurde sie am 14.10. 1906 in Linden bei Hannover, 1933 musste sie als Jüdin Deutschland verlassen.

Auf unserer Website befinden sich mehrere längere Hinweise zu Hannah Arendt. Zweifellos würde sie die tieferen Dimensionen von Rassismus und Hass in den Worten von Mister Trump und seinem ebenso fühlenden Umfeld freilegen und anklagen. Wer berichtet hierzulande endlich über Philosophen in den USA, die im Sinne Hannah Arendts das sich in den USA etablierende Regime (obzwar demokratisch gewählt, wie man sagt) kritisieren? Insofern denken wir an Hannah Arendt, auch wenn es kein “runder Gedenktag” ist.

Heftig diskutiert wird jetzt auch – nach der Veröffentlichung der “Schwarzen Hefte” Martin Heideggers und nach der veröffentlichung des Briefwechsels mit seinem Bruder Fritz (erschienen im Herder-Verlag 2016) – die Frage: Wie ist das Verhältnis/die Beziehung (der Jüdin) Hannah Arendt (Heideggers früher -heimlicher – Geliebten, seit 1924) zu dem nun zweifelsfrei Nazi und auch Antisemiten zu nennenden Heidegger zu sehen? Dazu bietet die Hanna Arendt Spezialistin Antonia Grunenberg in dem genannten Buch aus dem Herder-Verlag (“Heidegger und der Antisemitismus”) wichtige Hinweise unter dem Titel “König im Reich des Denkens – oder Fürst der Finsternis. Wie Hanna Arendt das Denken Martin Heideggers auseinandernahm”.

Antonia Grunenberg zeigt eine Entwicklung auf:  1946 schreibt Arendt einen ersten politischen Essay entschieden gegen Heidegger. Seit der Zeit “war ihr Verhältnis über die Jahre von Widersprüchen und Brüchen gekennzeichnet”… 1969, anläßlich des 80. Geburtstages von Heideggers, verfasst Arendt einen Radio-Essay für den BR: In dem Text findet sie anerkennende, lobende Worte für die bleibende Bedeutung von Heideggers Denken: “Dies Denken hat eine nur ihm eigene bohrende Qualität…Heideggers denkt nie über etwas etwas; er denkt etwas…” “Es” (das Sein/Seyn) dachte also in ihm, wie er ja selbst behauptete. Arendt folgt dieser (esoterischen) Selbsteinschätzung eines Philosophen, die nichts anderes bedeutet: Heidegger hatte keinen Abstand zu seinen eigenen Einsichten. “Es” geschah ja mit ihm Wesentliches (Sein/Seyns-Geschick usw.). Die Frage stellt Hannah Arendt am Ende ihres Lebens und ihrer (liebenden) Beziehung zu Heidegger nicht: War denn auch seine Nazibindung und sein Antisemitismus eine Art “Überkommnis” des Seyns, der er passiv und intellektuell ohnmächtig ausgesetzt war?  Mag Heidegger sich später auch mit solchen gewagten Thesen herausgeredet haben: So viel Esoterik ist im politischen Denken Heideggers nicht angebracht. Heidegger war schlicht und einfach kein Demokrat; er hat nicht an der Pluralität der Weimarer Republik gehangen, das zeigen andere Autoren in dem genannten Buch aus dem Herder-Verlag. Heidegger liebte nicht den öffentlichen Streit und Disput,  die für Arendt eigentlich seit 1933 so entscheidend wurden. Um so erstaunlicher, dass die (immer noch – etwas ? – liebende) Hannah Arendt diese Denk-Strukturen bei ihrem einstigen Geliebten offenbar übersah.

Copyright: Christian Modehn

 

 

Salon am Fr., 16. Dezember 2016: Was ist uns (noch) heilig?

Der Religionsphilosophische Salon debattiert am Freitag, den 16. Dezember 2016, um 19 Uhr, über ein Thema, das entfernt, vielleicht für manchen auch näher, zum Weihnachts – Fest (bzw. – Trubel) gehört:

“Was ist mir, dir, uns heute (noch) HEILIG?” Sicher nicht bloß der “Heilige Abend”. Also: Was bedeutet eigentlich heilig? Was ist dagegen profan, weltlich? Stimmt diese Gegenüberstellung? Kann für manche nicht sehr Profanes in den absoluten Mittelpunkt rücken und so heilig für ihn werden? “Macht” sich also vielleicht jeder Mensch Heiliges? Kann aber Heiliges wirklich “machen”? Ist vielleicht die Würde der Person das einzige, was das Prädikat heilig verdient? Wenn man es theologisch will: Seit Gott Mensch geworden ist, ist jeder Mensch als Mensch als heilig. Welchen Sinn haben dann noch Religionen und Kirchen, die abgegrenzte Bezirke des Heiligen noch pflegen?

Das könnte ein spannender Disput werden, auch zu einem politischen Thema: Offenbar wird leider für immer mehr Menschen “die Nation”  wieder heilig: “America first”. “La France d` abord”. Oder auch leider wieder wie seit 1933: “Deutsche und Deutschland zuerst”. Diese Slogans bringen das vernünftige Denken so vieler zum Erliegen und … gerissene Populisten an die Macht.

Von jedem Teilnehmer, jeder TeilnehmerIn, erbitte ich wieder 5 € für die Raummiete. Ich selbst mache Philosophisches bekanntermaßen gratis, aber hoffentlich für Sie, für mich, nicht “umsonst”.

Der ORT: Die Kunstgalerie FANTOM, Hektorstr. 9 in Wilmersdorf.

Trump ist gewählt: Philosophische Hinweise zu einer Niederlage der Vernunft

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9. November 2016.

Aktualisierung am 21.November 2016: Einige LeserInnen fanden die Stellungnahme des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ vom 9.11. 2016 (siehe weiter unten) zur Wahl von Mister Trump zum Präsidenten der USA mit dem Titel „Philosophische Hinweise zu einer Niederlage der Vernunft“ zu heftig. Zumal wir die richtigen philosophischen-ethischen Erkenntnisse von Kant und Hannah Arendt tatsächlich aus dem allgemein Gültigen befreiten und einmal anwandten und dann eben zeigten: Das Sprechen und das Tun des Präsidentschaftskandidaten Trump kann nur mit dem moralischen Prädikat „böse“ bezeichnet werden.

Was von einigen als Ausdruck radikaler philosophischer und ethischer “Spekulation” missverstanden wurde, bestätigt nun David Cay Johnston historisch und faktisch. Er ist angesehener Investigationsjournalist (unter anderem bei der “New York Times”), Autor zahlreicher Studien und jetzt auch Verfasser des aktuellen Buches „Die Akte Trump“, auf Deutsch erschienen bei ECOWIN, Salzburg 2016, 352 Seiten.

Im TAGESSPIEGEL vom 21. November 2016, Seite 19, bietet Johnston in einem Interview mit Gerrit Bartels in einer Art Kurzfassung ein Charakterporträt des neuen US Präsidenten. Dieses Interview halten wir sozusagen für eine Art „Pflichtlektüre“. Der Titel des Beitrags ist ein Zitat von Johnston „Der Umgang mit ihm (Trump) ist extrem gefährlich“. Die Erkenntnis von Johnston, so wörtlich: “Trump hat keine Moral”

Nur einige weitere zentrale Aussagen von Johnston aus dem TAGESSPIEGEL Interview: „Trump ist emotional unterbelichtet. Er denkt nur in den Kategorien von Rache, von Auge um Auge, Zahn um Zahn; ihm geht es um nichts anderes als Geld, Macht, Ruhm….Dieser Mann ist ein Hochstapler. Er ist nicht der, der er vorgibt zu sein. Man muss ihn trotzdem höchst vorsichtig behandeln, weil der Umgang mit ihm extrem gefährlich ist. Er versucht immer wieder die Leute zu kompromittieren und mit Klagen zu überziehen…Er ist ein Manipulator. Und ich versuche, die Dinge ans Licht zu bringen, die er nicht erzählt, seine Verfehlungen…Trump hat seine Biographie geschönt…Allein die geschäftlichen Verbindungen Trumps zu russischen Oligarchen werfen viele Fragen auf…. Wir hatten schon einen Paranoiker wie Richard Nixon als Präsidenten, aber einen, der mit Kriminellen Geschäfte macht? Nein!… Donald Trump denkt nur an sich, nicht an die, die ihn gewählt haben. Er ist nicht intelligent. Er ist nicht fleißig. Er hat kein historisches Verständnis. Er ist unglaublich ignorant. Er ist nicht selbstreflektiert“…  Wir erinnern jetzt an die Erkenntnis von Hannah Arendt: “Ohne Selbstreflexion kann kein Mensch ein moralisch wertvoller, ein guter Mensch sein” (Hannah Arendt dachte dabei an die Nazis).  Zum Text des Interviews mit Johnston im Tagesspiegel klicken Sie hier.

Aktualisierung am 12.11.2016: Dieser weiter unten publizierte Diskussionsbeitrag hat erfreulicherweise einige Nachfragen gebracht. Zum Beispiel: “Sollen Politiker moralisch handeln und den Grundsätzen der Moral entsprechend auch reden”,  fragt ein Leser. Eine philosophische Antwort heißt: Ja, natürlich, auch ein Politiker darf sich wie jeder andere Mensch nicht, darf sich niemals, über die Gesetze der – im Sinne Kants universalen und allgemeinen – Moral (Kategorischer Imperativ) erheben. Selbst die Verantwortungsethik lässt nicht zu, dass ein Politiker ständig lügt, rassistische Sprüche verbreitet, Ausländer offenbar als minderwertige Menschen betrachtet usw., um sein Ziel, die Herrschaft, die Präsidentschaft, zu erlangen.

Es gibt ab sofort ständig bedenkenswerte und leider traurig stimmende Kommentare von kompetenten Kennern der USA. Dabei nennen selbst moderate Beobachter immer wieder die mit Trump nun gegebene Gefahr eines US-Faschismus oder zumindest eines extremen Fremdenhasses, mit der Gefahr eines Bürgerkriegs; in den USA gab es schon einmal zwischen 1900 und 1920 entsprechende “Spannungen”.

Für uns als Religionskritiker ist wichtig: Es bedarf der dringenden Analyse, warum mehr als 80 Prozent aller Evangelikalen Protestanten – das sind viele Millionen – Trump gewählt haben. Man liest immer wieder als entscheidende Begründung: Weil Trump für “pro life” ist. Kann dies aber das wichtigste Kriterium sein für Christen, einen solchen Typen zu wählen? Man hat den Eindruck: Bei vielen Evangelikalen hat der Glaube an pro-life den Glauben an eine befreiende und humane christliche Botschaft ersetzt. Und man darf gespannt sein, ob und wie sich evangelikale Organisationen in Deutschland von ihren evangelikalen TRUMP-Freunden distanzieren.

Wichtig ist und inspirierend ein Beitrag desPublizisten und Kulturpolitikers Michael Naumann zu Trump. Einige Hinweise dazu am Ende dieses Beitrags.

Am 9.11. 2016 hat der Religionsphilosophische Salon Berlin publiziert:

Was lässt sich in aller Kürze, als Diskussionsbeitrag, philosophisch sagen über einen Mann, der nun, am 8.Oktober 2016, zum „mächtigsten Mann der Welt“ gewählt geworden ist? Der eigentlich keine Ahnung hat von dem Geschäft des Politischen? Der in seinen Propaganda-Aussagen schonungslos seinen Launen folgte und nicht den Fakten traute; der etwa angesichts unzweifelhafter Tatsachen, wie etwa dem Atlas zu den folgenreichen Klimaschäden, nur wie ein Dummkopf sagen konnnte: „Ist mir egal“. Ein Mann, der von wütendem und wildem Hass auf “andere” nicht nur geprägt ist, sondern diesen auch öffentlich und stolz aussprach. Und das alles in einer Nation, die über die besten Universitäten der Welt verfügt, in der es intellektuelle Debatten ständig gibt, in der über bessere Formen der Demokratie wenigstens diskutiert wird, über Gewaltfreiheit und Mitgefühl: In einer solchen Kultur erscheint Trump wie ein Beispiel einer Regression, wie eine Mischung aus Ignornanz und Dummheit. Trumps Erfolg ist ein Beweis, dass die intellektuelle Kultur nur eine Sache der größeren Minderheiten war.

Es ist philosophisch klar: Diese Person weigert sich umfassend und selbstkritisch zu denken. Einen Immobilienbetrieb zu führen setzt nicht unbedingt kritisches Nachdenken im umfassenden Sinne der Humanität voraus. Beim Handel mit Immobilien geht es meist um trickreiches Geldraffen, da ist kein Nachdenken im umfassenden Sinne dabei.

Trump hat jedenfalls aus taktischen Gründen, um seine Kandidatur stark zu machen, selbst öffentlich bekundet, dass er nicht kritisch nachdenken will, etwa über absolut geltende humane Menschenrechte, über den Respekt und die Rechte von Frauen, Ausländern usw. usw. Er hat die Spaltung des Landes USA weiter vertieft und unzählige tiefe Wunden geschlagen. Er hat die Errungenschaften der Menschlichkeit, die Menschenrechte, lächerlich gemacht. Solches Verhalten ist philosophisch gesehen böse.

Schlimm ist weiter, dass er mit seiner öffentlich bekundeten Ablehnung, selbst umfassend kritisch zu denken, bei seinen Fans Zustimmung findet: Entweder denken sie selbst auch schon lange nicht mehr kritisch-umfassend. Oder sie werden nun von ihrem Präsidentschafts-Kandidaten als Vorbild eingeladen, ebenfalls mit dem Denken aufzuhören und nur Sprüchen zu folgen, dem Bauch, dem Nationalismus als Gefühl usw. Diese Menschen sind außerstande oder haben es nie gelernt, die eigenen Maximen, etwa den eigenen blinden Nationalismus und Fremdenhass, mit dem Kategorischen Imperativ zu konfrontieren. Sie vertrauen mehr auf die Kraft der eigenen privaten Waffen als dem kritischen Nachdenken.

Diese Entwicklung kann philosophisch gesehen nur als schlimm bewertet werden. Denn das Nicht-Selber-Denken- wollen ist der Ursprung des Bösen: So einfach und so richtig ist diese Erkenntnis, die Hannah Arendt ausführlich begründet hat und hier nicht wiederholt werden muss. Aber man sollte sie immer studieren, auch in Deutschland, auch in Frankreich, auch in Österreich usw…Wer philosophisch betrachtet böses Denken bestimmt, leugnet ja nicht  die Mißstände auf der “anderen Seite”, der “anderen Partei”.  Es geht jetzt nur um den speziellen Focus, um die Bestimmung dessen, was nach dem 8. November 2016 “auf uns” möglicherweise zukommt…

Kant sagt: Jede Lebenseinstellung, er spricht von “Maximen”, muss vom einzelnen Menschen immer auf ihren auch für alle anderen gültigen Wert überprüft werden. Und zwar mit dem Kriterium des kategorischen Imperativs: D.h., kurz gesagt: Kann meine Maxime allgemeines Gesetz werden? Klar ist: Die Reden Trumps können vor dem Kategorischen Imperativ überhaupt nicht bestehen. Also sind sie philosophisch gesehen schlicht und einfach böse. Wer wagt das zu sagen? Die Philosophen. Kritische Propheten, wie einst in Israel, gibt es ja in den Kirchen bekanntermaßen nicht mehr; vielleicht melden sie sich, wie üblich, wenn es zu spät ist. Und die Maximen der nationalistischen Wähler sind ebenso, philosophisch betrachtet, ebenso böse.  Nationalismus als Maxime ist tödlich für “die anderen”, die zu Feinden erklärt werden: Nationalismus ist also philosophisch gesehen böse, ist eine dumme Flucht in eine (alte) Ideologie, die nur Mord und Totschlag der Menschheit gebracht hat. Sind denn alle Veranstaltungen der Erinnerung an den 1. oder 2. Weltkrieg nichts als Spielerei gewesen?

Trump sagt: America zuerst. Diese Sprüche kennt man. Sie hat der Rassist und Antisemit Jean-Marie Le Pen in Frankreich als erster auf seine Art vor vielen Jahren schon verwendet: “La France d` abord”, “Frankreich zuerst”. Nun also sagt auch trump: “Die USA zuerst”.  Trump schämt sich offenbar nicht, dass ihm die rechtsradikalen Parteien, ihre Führer, Madame Le Pen, Wilders und die FPÖ Leute so schnell zu seinem Sieg gratulierten. Werden die Europäer diese nationalistischen Typen noch stoppen können?

Ethisch ist es zudem verwerflich, wenn Trump Versprechungen machte, von denen man weiß, dass er sie nicht einhalten kann und auch nicht einhalten will. Solche falschen Versprechungen sind letztlich Lügen, sie zerstören den menschlichen Zusammenhalt einer Gesellschaft und eines Staates. Jetzt, am 9. November 2016,  zu sagen: “Ich bin der Präsident aller Amerikaner”, ist nur verlogen und kann nicht geglaubt werden, wenn man vorher schon seine falschen Versprechungen als solche wahrgenommen hat. Wie werden die Getäuschten damit umgehen?

Nun können und sollen Trump-Wähler als Personen natürlich nicht verteufelt werden und als personifizierte Beispiele des Bösen hingestellt werden. Eher sind sie bedauern. Sie tun einem leid, angesichts der vielen Tubulenzen, die sich selbst und anderen angerichtet haben. Aber wenn Philosophie eine aktuelle Bedeutung hat, kann sie nur sagen: Da entwickelt sich seit den Wahl-Polemiken und dem Sieg von Trump in den USA wirklich Böses. Da geht in einem Staat eine ungute Entwicklung weiter, die natürlich in der exzessiven und perversen Spaltung von (Ultra) Reichen und Armen, in dem dem Militarismus usw. schon eine lange Vorgeschichte hat. Ob es zu Korrekturen kommen kann? Ob die Menschen wieder selber denken lernen? Wenn sie das tun, müssten sie sich von Trump sehr bald verabschieden. Ist es dafür zu spät? Wie heftig werden die Auseinandersetzungen in den total zerrissenen USA alsbald sein? Vielleicht geschieht ein Wunder? Könnte es nicht sein, dass sich Trump auch zu einem „lupenreinen Demokraten“ (Gerhard Schröder, immer noch SPD, über Putin) entwickelt? Putin, der “Lupenreine”, hat ja Trump als erster herzlich zum überwältigenden Sieg gratuliert….Nun ist es so: Philosophen glauben trotz aller Verirrungen in den USA und anderswo an die Kraft der Vernunft. Aber nicht an Wunder.

Die Vernunft ist oft schwach, manchmal aber noch wirksam. Und davon lassen sich Philosophen – gerade auf den Spuren Kants – leiten: Kant hatte die richtige Einsicht: Die Aufforderung im Gewissen, dem Kategorischen Imperativ zu entsprechen und die eigenen egoistischen Maximen am Kategorischen Imperativ kritisch zu messen, wäre sinnlos, wenn dieser Aufforderung als einem Geschehen der Freiheit keine Antwort des Menschen entsprechen könnte. Mit anderen Worten: Der Mensch kann in seiner Freiheit das Böse in sich selbst überwinden. Er kann gut sein, wenn er sich dazu nur entschließt,  seinem Gewissen folgend und auf es hörend! Diese Möglichkeit hat natürlich auch Mister Trump. Er kann seine dummen nationalistischen Sprüche beenden und politisch die Menschenrechte respektieren. Wenn er den Willen dazu hat.

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Einige Hinweise zur Persönlichkeit TRUMPS durch Michael Naumann: Er ist Publizist und Kulturpolitiker, Kenner der USA, er schreibt im „Tagespiegel“ vom 11. November 2016 zu den zentralen Aussagen Trumps während des Wahlkampfes:

„So viel gelogen wie Trump hat noch kein amerikanischer Präsidentschaftskandidat in der jüngsten Geschichte“

„Es ist sein Siegeszug, der eines zweifellos rassistischen und außerordentlich ungebildeten Immobilien-Moguls“

„Er pflegte die vulgäre sexistische Sprache eines Schauermanns der fünfziger Jahre“.

„Dass er die unmittelbaren ökonomischen Folgen auf dem Arbeitsmarkt, etwa Kohle fördernder US-Staaten, revidieren kann, wird er selbst nicht glauben“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Welttag der Philosophie 2016: Im “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin”

Der “Religionsphilosophische Salon Berlin” hat in den vergangenen Jahren anläßlich des Welttages der Philosophie eigene größere Veranstaltungen organisiert. In diesem Jahr, 2016, findet der Welttag am Donnerstag, den 17. November, statt. Unser philosophischer Salon bietet einen Tag später, am Freitag, den 18. November, einen, von der Teilnehmerzahl kleineren, Salon an zu einigen aktuellen Aspekten im Denken des Philosophen Leibniz.

Wir treffen uns wieder in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 in Wilmersdorf, um 19 Uhr. Für die Raummiete werden 5 Euro erbeten.

Wegen der begrenzten Anzahl von Plätzen ist allerdings eine Anmeldung erforderlich, bitte an: christian.modehn@berlin.de

 

Luther würde sagen: Es ist genug! Hört auf, mich zu bejubeln. Eine Art Zwischenruf

Von Christian Modehn. Vorschläge für eine neue Reformation anno 2016.

Das aktualisierte Motto: “Welches Buch haben Sie nicht zu Ende gelesen?” fragt “Der Tagesspiegel” am 11.12.2016 Margot Käßmann, die “Botschafterin für das Lutherjubiläum 2017”. Die Luther – bzw. Reformations-Botschafterin antwortet: “Nicht zu Ende gelesen habe ich die gefühlt 17. Lutherbiografie”. Also, so sagt man sich auch:”Es ist genug, es reicht”…

Natürlich kann ich nicht mit 20 Fußnoten belegen, dass Luther in irgendeinem Brief oder bei einem Tischgespräch seinen Freunden zurief: „Hört auf, mich zu bejubeln“. Aber es ist – von außen betrachtet – mehr als wahrscheinlich, dass er bei all den aktuellen Jubelfeiern, Gedenkfeiern genannt, doch jetzt sagen würde: „Ich bin zwar in mancher (!) Hinsicht noch inspirierend und manchmal noch wichtig. Aber heute, angesichts dieser Welt im Jahr 2016, gibt es wirklich Dringenderes als mich und die Wittenberger Reformation“. Gerade für religiöse Menschen, die sich Christen nennen und Protestanten speziell. Also: „Wendet euch dem Dringenden zu“, würde Luther sagen. Fraglos inspirierend bleibt sein Mut, der allmächtigen Herrschaft der römischen Kirche entgegenzutreten und eine andere Gestalt von Kirche tatsächlich dann zu fördern. Fraglos wichtig bleibt seine Lehre vom „allgemeinen Priestertum“ aller Christen ebenso die Ermunterung, dass ein jeder selbst die Bibel lese und … historisch-kritisch studiere, möchte man anfügen. Abzulehnen bleibt Luthers gewalttätige Abwehr eines sozialkritischen Glaubens an der Seite der Armen, vertreten durch Thomas Müntzer, den er hasste. Abzulehnen bleibt Luthers viel besprochener und leider so wirksam gewordener Antisemitismus. Abzulehnen bleibt seine bis heute spürbare Bevorzugung der staatlichen Autoritäten… Alle diese guten und diese unerfreulichen Aspekte Luthers sind allmählich, bis hin zu den theologisch eher wohl ein bißchen uninteressierten BILD-Zeitungslesern, bekannt. Sollen alle diese historischen Luther-Themen nun monatelang weiter, auch durch den Kirchentag 2017, erneut in aller Popularisierung durchgekaut werden? Gott bewahre uns davor! Schon vor der Luther-Bücherflut im Herbst 2015 konnte ER uns nicht retten, klicken Sie hier. Mit Luther lässt sich eben doch auch Geld machen, und seien es die Buch- und Vortragshonorare.Und die Kirche kann mit staatlichen Fördermillionen feinste Luther-Gedenkstätten, also Museen, schaffen.

Es geht angesichts einer Welt zunehmender Gewalt, Krieg, Zerstörung, Wahn der Dikatoren usw.  heute darum, die religiösen Traditionen und theologischen Debatten auf den zweiten Platz zu setzen. Also die Luther-Lehren, die katholischen und evangelischen Dogmen und religiösen Weisheiten und alle die hübschen Erinnerungen an das 16. Jahrhundert, all das sollte bitte nicht länger im primären Interesse von Information, Bildung, Veranstaltung kirchlicherseits stehen. Dringend ist es in der heutigen Lage der Menschheit nicht, alle Details über Luther zu wissen. Natürlich muss es historisch-kritische Luther-Forschung geben. Aber was nützt all diese Kenntnis, um wenigstens schrittweise eine gerechtere Welt zu schaffen? Um die Menschen zu mobilisieren, für den Frieden und die universale Gerechtigkeit wirksam einzutreten? Ob dabei die ewigen und so oft durchgekauten Debatten über reformatorische Lehren, Zwei-Reiche-Lehren usw. weiterhelfen, darf sehr bezweifelt werden. Es geht nicht nur um die für religiöse Menschen zugängliche Wahrheiten. Es geht um die Verbreitung von elementaren ethischen Einsichten, die sich der Vernunft, jeder Vernunft, erschließen. Es ist eben ein grober Denk-Fehler, wenn etwa Antje Jackelén, die lutherische Bischöfin von Uppsala, Schweden, sagt: “Wir müssen den Flüchtlingen helfen, weil wir Christen sind” (FAZ 31.10.2016, Seite 4). Nein, es muss heißen: “Wir müssen als Menschen den Flüchtlingen helfen, wir müssen helfen, weil wir Christen wie alle anderen eben auch und zuerst Menschen sind”. Der christliche Glaube (Beispiel: Barmherziger Samariter usw.) kann lediglich verstärkend und unterstützend die allgemeine, für alle gültige Ethik unterstützen! Es gibt in dem Sinne eben keine “christliche Ethik”!

Wichtig ist, so kann man in einem philosophischen Denken meinen, also die Bildung und Verbreitung der Ethik, einer politischen Ethik. Sie stellt die sich stets weiter entwickelnden Menschenrechte in den Mittelpunkt des Interesses und der zentralen Verpflichtung unseres Menschseins. Selbst wenn diese Menschenrechte in Europa dank der Philosophie und des Humanismus (fast gar nicht dank der Kirchen !) entstanden sind, so sind sie doch für alle Menschen gültig, selbst wenn die USA, offenbar noch eine Demokratie, in ihrer Politik permanent die von ihnen hoch geschätzten Menschenrechte so oft ignoriert haben und ignorieren…

Also: Auch für eine der Menschheit dienende Kirche (“Kirche für andere”, Bonhoeffer) gilt heute: Die Menschenrechte zuerst, die ethische Bildung zuerst, die politischen Debatten in diesem Sinne zuerst auch in den Kirchen. Und das hat zur Konsequenz: Es muss der nationale Egoismus überwunden werden. Es gilt, tatsächlich das große Projekt zu bearbeiten: Aufbau einer gerechten Gesellschaft; Schluss damit, dass sich die reichen Christen angewöhnen,die Millionen Hungernder einfach so zu akzeptieren; Beendigung des Waffenhandels durch sich christliche nennende Staaten. Erst wenn sich die Kirchen primär an diesem Thema abgearbeitet haben, kann man das weite Feld des Religiösen studieren… und ein bißchen, in vernünftigen Rahmen, auch Luther feiern. Welche Art von Verstopfung Luther hatte, wie er sprach, wie er liebte, wie zornig er sein konnte und so weiter: Das ist alles Folklore, unnützes Wissen. Populär gemachtes Bla Bla aus Gründen der Anbiederung.

Nützliches Wissen ist für die Christen, eben weil sie Menschen sind: Was ist der Kategorische Imperativ im Sinne Kants, das universale moralische Gesetz; was ist die „Goldene Regel“, was ist Empathie. Eine Kirche, die sich der jesuanischen Reich-Gottes-Idee verpflichtet weiß, also der gerechten Gesellschaft, kann tatsächlich und muss es auch im Sinne Jesu, Ethik wichtiger nehmen als interne religiöse Dogmen und Weisheiten. Die kann man ja pflegen, aber bitte erst, wenn alle Gottesdienste im Luther-Gedenkjahr sich um die Ausbildung einer humanen Ethik drehen. Dann wird man erkennen: Eigentlich ist der christliche Glaube etwas – von der Lehre her gesehen – Einfaches: Er ist die Lebenshaltung der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens an eine Dimension des Göttlichen, das in allen menschlichen Leben wachgerufen werden kann. Der christliche Glaube hat jedenfalls in dieser alles entscheidenden elementaren Form nichts zu tun mit den 814 Seiten eines katholischen Katechismus, der ziemlich alle Details des Innenleben Gottes zu kennen meint; ein evangelischer Katechismus ist nur etwas kleiner.

Sagen wir es kurz und bündig: Glauben ist zuallererst ethische Praxis; Glauben ist Leben nach den Menschenrechten. Man lese bitte wieder Kant, etwa das Buch „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. In der „moralischen Anlage“ des Menschen, jedes Menschen, sah Kant „eine Heiligkeit“. Er sprach davon, dass diese moralische Anlage im Menschen (also der kategorische Imperativ) eine „göttliche Abkunft habe“. So viel Göttliches IM Menschen reicht, um menschlich zu leben mit anderen. Meister Eckart sah das nicht viel anders!

Kant ist also weder Atheist noch „veraltet“. In seinem Sinne gilt: Es würde den Kirchengemeinden gut anstehen, die ethische Bildung, auch gesprächsweise mit den Muslims, in den Mittelpunkt zu stellen, im Verbund mit Menschenrechts-Organisationen.

Welche ethisch-moralischen Katastrophen auch aus dummer Frömmigkeit entstehen, sieht man gegenwärtig in den USA und dem dortigen Wahl-Gemetzel. Die unflätigen Hass-Attacken eines Herrn Trump finden jubelnd Zustimmung bei einer Bevölkerung, die ganz überwiegend nicht nur christlich, oft evangelikal ist, sondern auch zu eifrigsten Kirchengängern zählt. Wie passt das alles zusammen? Diese Frommen haben kein Nachdenken gelernt, kein Reflektieren, sie haben kein Bewußtsein von universaler Ethik. Sie denken mit dem Bauch. Die sich zum Hass aufstachelnden Trump-Freunde haben von ihren (evangelikalen oder pfingstlerischen) Predigern offenbar so viel spirituellen Blödsinn gehört, dass sie jetzt auf diesem Niveau gelandet sind. Damit ist nicht gesagt, dass Hillary Clinton in ihrer Lust, “die amerikanische Macht weltweit unbedingt zu stärken” politisch klug ist und dem Welt-Frieden dient. PS: Zum Wahlverhalten der “weißen Evangelikalen” in den USA am 8. Nov. 2016: Siehe den Beleg für unsere These zur Trump Nähe und evangelikaler Frömmigkeit unten, am Ende des Beitrags.

Es ist schon verstörend, dass die Luther-Jubelfeiern vor allem in einem Bundesland Sachsen-Anhalt stattfinden, in dem die AFD leider so unglaublich hohe Zustimmung findet. 17 Prozent der Protestanten haben AFD gewählt. Bei den Katholiken waren es genauso viele. Luther-Jubel, Luther Restauration (alle diese renovierten Luther-Häuser als Museen)  in einem von der AFD geprägten Land, das ist bis jetzt noch kein Thema. Allgemein übersetzt: Luther und der (neue) Nationalismus sollte bearbeitet werden.

Die Verirrungen in der Mentalität in den USA zeigen einmal mehr, wie wichtig es jetzt ist, wenn Luther sagt: „Hört auf mit allen theologischen Spitzfindigkeiten. Kümmert euch nicht so sehr um mich, den spätmittelalterlichen Mönch; kümmert euch um die Entwicklung einer Menschenrechts orientierten universalen Ethik, werdet reife, werdet nachdenkliche Menschen, kritische Bürger“. Und der fromme Mann würde wohl hinzufügen: „Allein dies gefällt Gott!”

PS: Dass hier vom römischen Katholizismus so wenig gesprochen wird, liegt lediglich an dem Fokus dieses Beitrags. Die Forderung: “Universale Ethik ist wichtiger als römischer Glaube” gilt selbstverständlich auch für den Katholizismus. Hier wäre noch von dem viel massiveren Klerikalismus zu sprechen, jener unverzeihlichen Sünde Roms, die schon Jan Hus, aber auch Luther richtigerweise, aber erfolglos, attackierten. Bis heute. Man lese etwa die entsprechende Kritik von Papst Franziskus an der ihn umgebenden Kurie, als dem “Hof” der Kardinäle und Prälaten…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Weiße Evangelikale absolut für Trump: 1.Despite reservations expressed by many evangelical and Republican leaders, white born-again/evangelical Christians cast their ballots for the controversial real estate mogul-turned-politician at an 81 percent to 16 percent margin over Hillary Clinton”. Quelle: http://www.christianitytoday.com/gleanings/2016/november/trump-elected-president-thanks-to-4-in-5-white-evangelicals.html gelesen 9.11. 2016,  19.00 Uhr.

2. : White evangelical voters have been reliable Republican voters for decades, but this year some are having trouble reconciling their Christian values with Donald Trump’s unholy language. Quelle: http://abcnews.go.com/Politics/evangelical-values-voters-struggle-choosing-trump-president/story?id=43303321    gelesen am 9.11. 2016 19.00 Uhr.

 

 

„Der Mensch ist böse und Gott hat ihn geschaffen“. Thesen im Rückblick auf den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 26.10.2016

Von Christian Modehn

Notiert am 9. November 2016: Entscheidend bleibt die Erkenntnis von Hannah Arendt: Böses entsteht, wenn Menschen nicht mehr die Kraft und den Willen haben, selbstkitisch nachzudenken, wenn sie weithin gedankenlos handeln. Und unverzichtbar bleibt, selbst wenn es manchmal zu “spät” ist, die fundamentale Erkenntnis Kants, die auch im Politischen gilt: Wenn sich die Maximen des einzelnen und ganzer  großer Gesellschaftsgruppen vom dummen Egoismus bzw., was prinzipiell dasselbe ist, sich vom ebenso dummen Nationalismus bestimmen lassen  und nicht mehr in Übereinstimmung mit dem kategorischen Imperativ handeln, entsteht Böses.

Über „das Böse“ nachzudenken: Da bleiben mehr Fragen als Antworten. Aber Fragen führen weiter. Antworten, etwa religiöser Traditionen, fixieren auf eine bestimmte Weise zu denken. Entscheidend ist die Frage:

„Gibt es“ „das Böse“ überhaupt ? Das Böse verstanden als dingliche Gegebenheit, als Macht und Kraft, vielleicht sogar irgendwie als „Subjekt“, wie ein Teufel und böser Dämon?

Sicher „gibt es“ für kritische Erkenntnis nicht dieses greifbare und verfügbare und umfassend erkennbare Böse verdinglichter Art. Den Menschen fällt es leicht, diese Verdinglichung, „das Böse“, vorzunehmen und es dann zu beschwören in Riten usw., die den klaren Verstand gerade aber ausschalten. Insofern wird dann oft noch mehr Böses befördert. Man spricht, um der schnellen Verständigung willen, auch in philosophischen Büchern, von „dem Bösen“. Denkt aber dabei nicht an eine dinghafte oder „personale“ Gegebenheit. „Das Böse“ ist also lediglich eine begriffliche Hilfskonstruktion. „Den Teufel“ sollte man vernünftigerweise längst aus dem Denken und der furchtbaren religiösen Praxis vertrieben haben (Teufelaustreibungen gibt es bis heute im Katholizismus und eine Schande fürs Christentum: Die Verteufelungen etwa von Frauen, Hexen usw.).

Das Böse ist also nur ein Begriff, der wie eine abstrakte Idee dann verwendet wird, wenn Menschen so handeln, dass sie in ihrem Gewissen, dem „moralischen Gesetz“ (Kant), wissen: Diese meine Handlung war nicht gut, sie beschädigt mich und andere. Diese meine Handlung ist also böse.

Das Wort böse hat eigentlich nur Sinn, wenn man es auf Handlungen aus Freiheit bezieht. Darin zeigen sich dann unterschiedliche Aspekte des Tuns des Bösen.

In einer philosophischen Reflexion über das Böse, die auch das Religiöse einbeziehen will, muss an die Schöpfung der Welt und den Sündenfall erinnert werden. Im ersten Kapitel der hebräischen Bibel, Altes Testament genannt, ist davon die Rede. Die beiden dort erzählten Mythen sind sicher die am meisten besprochenen und am meisten künstlerisch gestalteten: Nur ein Beispiel: Lucas Cranach der Ältere und der Jüngere haben schätzungsweise 50 mal dieses hübsche Thema des fast nackten Paares in kürzester Zeit gemalt. Wer hat diese Gemälde bestellt, und warum gewollt gerade in der Reformationszeit?

Dieser Mythos enthält viele bedenkenswerte Elemente, die bis heute in den Köpfen sich festgesetzt haben: Das Paradies, die verführerische Schlange, sozusagen ein erstes Bild des Teufels, der Glaube an Teufel und Hexen hat letztlich in der verführerischen Schlange ein gewisses Urbild. Durch den Ungehorsam Evas und Adams haben die beiden Menschen Erkenntnis gewonnen, sie erkannten einander als sexuelle Wesen. Aber Gott hat den Ungehorsam bestraft. Ohne Ungehorsam keine Erkenntnis, könnte man denken. Im Alten Testament ist als göttliche Strafe nur die Rede von der Notwendigkeit zu arbeiten für den Mann; und für die Frau, dass sie Kinder nur unter Schmerzen zur Welt bringen kann. Dass sie aus Adams Rippe stammt, also dem Mann unterlegen und von ihm abhängig ist und untertan, das haben die alten Theologen nicht als Übel betrachtet. Das war offenbar normal. Paulus ist in seinem Römerbrief der Überzeugung, dass „der Tod durch die Sünde des einen Menschen, Adam, in die Welt gekommen ist“ (Kap. 5, 12). Die Sterblichkeit der Menschen ist also eine Strafe für die Sünde im Paradies, die dann später als Erbsünde (schon durch Paulus) gedeutet wird.

Philosophen haben sich von der unmittelbaren Lektüre des Mythos gelöst und auf einige Unstimmigkeiten in den Erzählungen aufmerksam gemacht.

Ich nenne hier nur den Philosophen Pierre Bayle, einen Protestanten aus Frankreich, der sich unter Ludwig XIV. nach Holland, nach Rotterdam, retten konnte und dort u.a. ein umfassendes und viel gelesenes Dictionnaire, eine Art Lexikon, verfasste. Darin geht es um die zentrale Frage, damals, um 1690, genauso aktuell wie heute:

Wenn man annimmt, Gott habe die Welt und die Menschen geschaffen: Dann stellt sich die Frage: Wie ist es dann möglich, dass Gott, wenn er denn Gott ist, also allmächtig und gütig, es zulassen kann, dass in seiner Schöpfung die Menschen, als seine Geschöpfe, moralisch Böses tun? In dieser Reflexion wird Gott sozusagen zum verfügbaren Gegenstand für die Reflexion. Die Sache wird komplizierter: Wer aber hat denn die Freiheit geschaffen? Ist es nicht Gott gewesen, der den Menschen als Menschen, also als freies Wesen mit Vernunft, geschaffen hat? Ist also Gott nicht nur unweise und unallmächtig, also ohnmächtig, zu nennen, sondern auch unfähig, weil er den Menschen mit der Freiheit ausgestattet hat, eben auch Böses zu tun. Ist die Freiheit selbst also etwas Böses, heißt die Frage, die dann viele umtreibt. Die Spekulation reicht noch weiter: Oder versteckt sich hinter dem offenbar böse agierenden Gott noch der eigentliche Gott, der diesen bösen Gott als Gegner sich gegenüber sieht. Aber durch diese Verdoppelung Gottes wird das Problem nur verschoben.

Die Erbsündenlehre interpretiert den genannten biblischen Mythos. Die Erbsündenlehre wurde im 4. Jahrhundert als eine bis heute allmächtige Kirchenlehre erfunden, um irgendwie theoretisch zu klären, warum denn alle Menschen irgendwie immer Böses tun. Diese universale Dimension, dass der Mensch, jeder Mensch, immer und überall, ein irgendwie auch böses Wesen hat, sollte mit dem Begriff der Erbsünde erklärt werden. Da gab es nur die Schwierigkeit, dass Sünde immer eine vom einzelnen begangene in freier Entscheidung getätigte Untat ist. Sünde des einzelnen ist also etwas Erlebbares. Die Erbsünde hingegen ist als solche nicht erlebbar. Sie ist ein gedankliches Konstrukt, pure Theorie, manche sagen Ideologie. Warum wurde von Augustinus dieses Konstrukt erfunden? Er wollte die totale Übermacht des gnadenhaften göttlichen Handelns angesichts des Bösen und der sündigen Menschen unterstreichen. Nur Gott rettet ist seine Devise.

Wegen der Erbsünde müssen schon Babys getauft werden, wenn sie als Babys sterben, kommen sie in die Hölle, darum ist die Kirche und der taufende Klerus so wichtig usw. Die Erbsünde wird übertragen im Moment der Zeugung. Sex überträgt das Böse, deswegen ist, so heißt es dann weiter, Sex sowieso irgendwie doch nicht so gut, wenn nicht böse. Wenn Kinder geboren werden und nicht getauft werden, dann kommen sie in die Hölle. Denn vor der Hölle kann einzig die Gnade Gottes bewahren.

Die Lehre von der Erbsünde hat das Bewusstsein der Christen verdorben. Es hat jede Lebensfreude genommen, jede Zuversicht, im freien Tun etwas Gutes zu schaffen. Eine düstere Wolke der Verzweiflung und Angst („Hat mich denn nun der willkürlich erlösende Gott tatsächlich erlöst? ) hat sich über das sich christlich nennende Europa gelegt. Die Überwindung der Erbsündenlehre des Augustinus ist eine der dringenden Aufgaben der heutigen Theologie, die aber noch nicht angepackt wird

Immanuel Kant versucht, die Debatte über das Böses Tun weitgehend von der Bezogenheit auf Gott zu befreien, er ist ein Gegner der orthodoxen Erbsündenlehre. Wenn Kant über „das Böse“ nachdenkt, dann nur Zusammenhag der gelebten menschlichen (Willens)-Freiheit. Ich kann mir Maximen, individuelle für mich geltende Lebensentwürfe, schaffen: Und dabei das moralische Gesetz, den Gewissensspruch, ignorieren. Wenn Maximen nicht mehr dem kategorischen Imperativ entsprechen, sind sie böse. Im Spruch des Gewissens äußert sich das moralische Gesetz, wer ihm folgt, folgt dem moralisch guten Leben. Aus der dauerhaften Praxis moralisch böser Taten entwickelt sich der „Hang“ zum Bösen, von dem Kant in einer gewissen Unentschiedenheit spricht: Ist er „angeboren“ oder/und erworben? Es gibt für Kant jedenfalls so wörtlich einen „faulen Fleck“ in unserer Gattung, den herauszubringen, also lozuwerden, notwendig ist, um den „Keim des Guten“ in uns zu entfalten (S. 48 in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, Hamburg 2003).

Für Kant aber ist die Anlage zum Guten herrschender und stärker als der “Hang“ zum Bösen: Denn selbst wer als Egoist Böses tut, meint noch in dieser Tat zumindest für sich selbst etwas Gutes getan zu haben. Das heißt: Der Bezogenheit auf Gutes kann kein menschlicher Geist entkommen. Man könnte diese Bezogenheit auf Gutes „transzendental notwendig“ nennen.

Für Kant ist Religion und die Stimme eines göttlichen Wesen im Gewissen zu vernehmen. Das Gewissen ist der ort, wo das moralische Gesetz und letztlich auch Gott spricht. Kant sieht: Es gibt Vorwürfe des Gewissens gegen unser Tun. Diese Stimme des Gewissens ist nur dann von Wirkung, wenn man sie als Repräsentanten Gottes denkt: „Gott hat einen erhabenen Stuhl über uns und in uns einen Richterstuhl“, so in der „Schrift über Pädagogik“, 1803. Zit nach „Kant Reader“, Würzburg 2005, S. 335. Dieser Gott im Gewissen vernehmbar ist für Kant die Grundlage aller vernünftigen Religion. Alle anderen Formen (dogmatischer Fremdbestimmung) lehnt er als unvernünftig und für den Menschen eher schädlich ab. Über dieses Gottes-„Bild“ von Kant wäre heute aus aktuellen Gründen einer veräußerlichten, gewalttätigen Religion vermehrt zu sprechen! Kant spricht auch vom Hang zum Bösen, wenn er an die Geschichte der Kirchen erinnert, an ihre Machtbesessenheit, an das blinde Wüten der verfeindeten Konfessionen. Kurz: Die Religionen folgen selbst nicht dem Kategorischen Imperativ. (Dazu S. 177 ff. in „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“)

Ein Hinweis auch zu Hannah Arendt, sie ist stark bezogen auf Kant, mit ihm oft verbunden, auch in ihrem Buch „Über das Böse“, bei Piper erschienen.

Von Hannah Arendt stammt das Stichwort von der „Banalität des Bösen“. Damit meinte sie nicht, dass das Böse banal sei. Sie meinte, Böses tun kann bei Menschen den Charakter des Banalen haben. Etwa: Wenn denn diese Menschen blind und stumm den Weisungen anderer folgen. Der autoritäre Charakter spielt da rein. Nur das eigene Nachdenken, das Reflektieren auf das, was man tut, kann vom Böses Tun befreien. Notwendig ist: Man denkt noch mal über das eigene Denken nach. „Denken ist Reden mit sich selbst“.

Und auch zum Willen zeigt sich diese Doppelung: Ich bin zum Handeln bewegt und muss mich aber entscheiden, wenn ich etwas tue und handle. Ich muss also IM Handeln urteilen können. Im Handeln und dem Willen zu handeln zeigt sich immer ein Urteilen. Es gibt einen Schiedsrichter, sagt Arendt, der in meinem Handeln entscheidet.

DUMM ist der, der nicht urteilen kann. Der Mangel an Urteilskraft ist das Schlimmste. „Mangel an Urteilskraft ist das, was man Dummheit nennt“, sagt Kant. Das angewendet auf die Mitläufer in der Nazis. Auf die Mitläufer heute.

Im Urteilen innerhalb einer praktischen Entscheidungssituation, in der mein Wille aufgerufen ist, wird auch die Einbildungskraft lebendig. Ich stelle mir vor, was ist mit den anderen, die ich kenne oder die ich vor Augen habe, wenn ich diese Tat vollziehe.

Die Freiheit ist gut. Aber der Mensch ist niemals auf etwas „nur Gutes“ oder „nur Böses“ festzulegen. Es bleibt die Ambivalenz in jedem Menschen selbst. Jeder ist gut und böse. Wer sich nur für rundum gut hält, ist dumm und neigt deswegen zum Bösen, weil das Böse gar nicht mehr wahrnimmt und vor allem die Dimensionen der Freiheit ignoriert. Die Macht der eigenen egoistischen Maximen. „Der Tugendhafte“ wurde Robespierre genannt. Dies ist auch das ganze Problem der Heiligen und der Heiligenverehrung, die oft als rundum gute Menschen dargestellt werden. Und bei denen auch Makel und Böses offiziell oft verschwiegen und verdrängt werden.

Was bleibt angesichts „des Bösen“? Die bösen Taten müssen so weit es geht, überwunden werden. Das ist eine Aufgabe der Pädagogik und des politischen Handelns in der Demokratie. Es gibt aber auch böse Strukturen, Verfestigungen der individuell bösen Taten, die den einzelnen von vornherein belasten und prägen und vielleicht gar keine Ahnung schaffen, was Freiheit ist und was Gutes Tun überhaupt sein könnte. Diese üblen Strukturen der Unfreiheit und im ganzen Strukturen der Unmenschlichkeit müssen abgebaut werden. Das muss als Ziel immer wieder formuliert werden.

Die Freiheit der egoistischen Maxime führt zu falschen, moralisch verwerflichen Entscheidungen auch bei Politikern. Das Böse, das unsere westliche kapitalistische und immer noch imperialistische Politik(er) und Ökonomen erzeugen, wird von uns Bürgern meistens verdrängt und beschönigend-naiv„weg-interpretiert“. Gegen dieses Böse muss man handelnd eingreifen. Der Gedanke, dass wir doch alle Erbsünder sind, also irgendwie hilflose arme Typen, beschwichtigt da nur. Und ist ohnehin falsch. „Das Böse“ ist auch eine Form des Verdrängens und falschen Entschuldigens.

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