Salonabend: Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben

Salonabend: Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben. Am DONNERSTAG, 16. Januar 2014
Wegen zahlreicher Anmeldungen ist der Salon leider ausgebucht.

Einige Hinweise zum Thema “Philosophie der Philosophie” finden Sie hier.

In Abwandlung eines berühmten Nietzsche Zitates wollen wir unsere Salonabende im Jahr 2014 starten mit dem Thema: “Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben”. Wir wollen ein Stück Bilanz dabei auch ziehen, schließlich sind es jetzt 7 Jahre her, dass wir mit diesen freundschaftlichen und kritischen, mehr Fragen provozierenden als Antworten bietenden Salon – Gesprächen begonnen haben, mit etwa 70 Veranstaltungen. Dabei wollen wir auch gemeinsam überlegen, wie unsere Gesprächskreise noch intensiver und anregender werden. Im Unterschied zu “großen Kulturveranstaltungen” ist unser Salon keine aufs bloße geistge Konsumieren orientierte Initiative. Jeder und jede soll sich einbringen, vielleicht mit dem Ziel, weiterer auch persönlicher Kontakte. Auch das ist “alte Salontradition”.

Also: Es geht um die Fragen: Hat Philosophieren etwas mit meinem Leben zu tun? Mit der Gesellschaft? Mit dem Elend dieser Welt? Nützt mir Philosophie etwas? Ist die Nützlichkeitsfrage bezogen auf die Philosophie angemessen? Verwirrt Philosophie, sind Fragen, sind Zweifel hilfreich? Wird Philosophie nicht längst abgelöst durch Psychotherapie oder Neurowissenschaften? Usw…

Am Donnerstag, den 16. Januar diesmal an einem Donnerstag, wegen Terminproblemen in der Galerie Fantom, wollen wir ab 19 Uhr diskutieren: Als Eröfnung ein Dialog zwischen Michael Braun (praktischer Philosoph, Berlin) und Christian Modehn (journalistischer Philosoph), der Dialog soll sich dann vernünftig streitend und kritisch denkend fortsetzen mit allen TeilnehmerInnen. Persönliche Statements erwünscht.

Es verspricht ein interessanter Abend zu werden.
HERZLICHE EINLADUNG. Mit der Bitte um Anmeldung an: christian.modehn@berlin.de

Der Ort: Galerie Fantom, Hektorstr. 9, Berlin, nahe Kurfürsten Damm. Eintritt (für die FRaummiete) 5 Euro. Studenten usw. gratis.

Tag der Menschenrechte: Jeder Mensch ist heilig

Für den “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” ist es selbstverständlich, an den heutigen “Tag der Menschenrechte” (10. Dezember 2013) zu erinnern und ohne alles Pathos zu betonen: Es gibt wohl kein dringenderes Thema, auch philosophisch kein dringenderes Thema, als die Menschenrechte und den Kampf, dass alle Menschen endlich als Menschen respektiert werden, dass also die Menschenrechte für alle gelten und nicht nur für eine Minderheit, die sich als “Elite” fühlt und Sonderrechte beansprucht.
Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon schon oft dieses Thema besprochen und diskutiert.
Heute nur zwei wichtige Hinweise:
ERSTENS: Professor Wilhelm Gräb, Humboldt Universität Berlin,hat in einem Interview kürzlich auf die uns besonders interessierenden Verbindungen von Menscherechten und Religiosität hingewiesen. Wir bieten noch einmal einen Auszug.
ZWEITENS: Es haben sich einige NGOs zusammengeschlossen und eine Studie publiziert, die Menschen­rechts­ver­letz­ungen durch große eruopäische/amerikanische Konzerne und Banken dokumentiert. Unser Philosophischer Salon ist den Traditionen der philosophischen Aufklärung verpfichtet. Deswegen ist auch Kritik am herrschenden System eine Selbstverständlichkeit.
DRITTENS bieten wir ein Zitat des Befreiungstheologen, Kardinal Evaristo Arns, Sao Paulo, Brasilien.

ERSTENS: Aus einem Interview mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb:
Die Erklärung der Menschenrechte ist aus keiner der konkreten Religionen hervorgegangen, auch aus dem Christentum und seinen Kirchen nicht. Ihr Ausgangspunkt waren Erfahrungen von Verletzung und Leid, die Erfahrung ihrer brutalen Nichtanerkennung, „Akte der Barbarei“, wie es in der Präambel der UN-Charta von 1948 heißt. Hervorgegangen sind die Menschenrechte aus dem Aufschrei derer, denen durch totalitäre Regime ihr Lebensrecht verweigert wurde, die aus rassischen, völkischen, politischen und religiösen Gründen gequält, gefoltert und ermordet wurden. Die Erfahrung der humanitären Katastrophe des Holocaust und 2. Weltkriegs, die darin lag, erkennen zu müssen, dass Menschen die Bedingungen verletzen oder gar zerstören können, ohne die der Mensch als Mensch nicht zu existieren vermag, war der entscheidende Auslöser. Die Menschenrechte sind auch heute die wichtigste Appelationsinstanz, wenn der Schrei von Menschen über ihre eklatante Verletzung in den Blick der Öffentlichkeit rückt

Frage: Gibt es denn wie sonst bei den konkreten Religionen auch eine Spiritualität der Menschenrechte?

Viele Menschen rund um den Globus verstehen sich nicht mehr als Gläubige im Sinne der konkreten Religionen. Sehr wohl aber verstehen sie sich als spirituell, genau in dem Sinne, dass sie den unendlichen Wert eines jeden Menschenlebens achten wollen. Oft geht ihre heilige Ehrfurcht vor dem Leben noch über das menschliche Leben hinaus und erstreckt sich auf alles Lebendige. Das hat vielfältige spirituelle Praktiken zur Folge, bis hin zur Umstellung von Ernährungsgewohnheiten und anderen Fragen des Lebensstils. Ja, es gibt weltweit eine Spiritualität der Menschenrechte, eine universale Religion der Humanität und der Ehrfurcht vor dem Leben. Zur weiteren Lektüre klicken Sie bitte HIER.
Der Beitrag von Wilhelm Gräb gehört zu einer Reihe von Interviews, die unter dem Motto “Fundamental vernünftig” auf dieser website publiziert werden. Sie bieten Impulse, für eine Spiritualität und Religiosität einzutreten, (selbstverständlich auch innerhalb der Kirchen), die die freie Einsicht, die kritische Frage und das individuelle religiöse Erleben des einzelnen voll respektiert.

ZWEITENS:
Es gibt „dirty profits“ von 26 Unternehmen unterschiedlicher Branchen und 19 Finanzinstitute, die wegen heftiger Verstöße gegen die Menschenrechte (und den Umweltschutz) sehr übel auffallen. Wenn diese Unternehmen Milliardengewinne machen, dann beruhen diese immer auch auf Menschen­rechts­ver­letz­ungen, Korruption, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Mehrere NGOs haben am Montag, 9.12. 2013, eine Studie vorgestellt, in der sie diese Verbrechen dokmentieren: „Dirty profits 2“ ist der Titel. Zur Lektüre klicken Sie hier.
Zur allgemeinen Information über die NGOs, die die Studie erstellt haben, klicken Sie bitte hier.

DRITTENS:
Kardinal Evaristo Arns aus dem Franziskaner Orden ist einer der mutigen Verteidiger der Menschenrechte in Brasilien. Er hat auch den Befreiungstheologen Leonardo Boff unterstützt. Kardinal Arns wurde von Papst Johannes Paul II. immer wieder in seinen Aktivitäten eingeschränkt und bestraft, weil er zusammen mit Kardinal Ratzinger meinte, Befreiungstheologie sei ein Schaden für die angeblich ewige, erstarrte und dogmatisch verfestigte römische Kirchenlehre…
Hier also das Zitat von Kardinal Arns aus einem Interview mit Christian Modehn(der Originalton liegt vor).

Die Menschenrechte sind der Kern des Evangeliums. Also sie kommen aus dem Herzen des Evangeliums heraus. Gott ist Mensch geworden, um den Menschen zu retten, also dass er Mensch werde, dass er Mensch bleiben kann, dass er wirklich alle seine Möglichkeiten als Mensch verwirklichen kann für die anderen. Und wenn er das nicht kann, dann ist Christus umsonst auf die Welt gekommen und Gott hat den Menschen umsonst geschaffen”.

copyright:Christian Modehn

Edvard Munch: Der Angst ins Gesicht sehen. Eine Ausstellung in Berlin.

Edvard Munch: Seine Ängste, seine Sehnsucht, seine Spiritualität.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 16.9.2023.
1.
Die „Berlinische Galerie“ (Alte Jakob Str. 124 in Kreuzberg) bietet jetzt eine umfassende und herausragende Ausstellung über die Berliner Jahre des norwegischen Künstlers Edvard Munch (1863-1944). Die Ausstellung ist bis zum 22.1.2024 zu sehen. Sie hat den Titel „Edvard Munch. Zauber des Nordens“. Ob die Betrachter der Kunst von Edvard Munch „verzaubert“ und in den Norden entrückt werden, ist sehr die Frage. Munchs Kunst ist für viele seiner Betrachter alles andere als vom „Zauber“ im Sinne des Zauberhaften und Wunderbaren bestimmt. Munch zeigt uns in seiner Malerei sich selbst, seine seelischen Leiden, sein Gefühl des Ausgegrenztseins, und diese Darstellungen sind eine anspruchsvolle Kunst, die in das tiefe seelische Leiden „der“ Menschen im allgemeinen hineinführt und keinerlei Zaubersprüche bereit hält.

2.
Munch stellte 1892 zum ersten Mal in Berlin seine Arbeiten aus, sie wurden von maßgeblichen Kreisen in Berlin als Skandal empfunden, die Ausstellung wurde nach wenigen Tagen abgebrochen. So wurde immerhin Öffentlichkeit erzeugt, über die Munch sich durchaus freute. Der Berliner Künstler Walter Leistikow setzte sich, wenn auch unter einem Pseudonym, für Munch ein.
Munch blieb in Berlin, er arbeitete in der Lützowstr. 82. Im Jahr 1893 kann er in Berlin dann doch einige seiner – in heutiger Sicht – Hauptwerke ausstellen, wie „Schrei“ , „Madonna“, „Die Stimme“. 1909 kehrte Munch nach Norwegen zurück, er war von einer ungeheuerlichen Schaffenskraft, rastlos tätig, alle seine Werke vermachte er der Stadt Oslo.

3.
Uns interessieren hier besonders (religions-)philosophische Aspekte im Leben und Werk Edvard Munchs. Traumatische Erfahrungen schon in der Jugend waren prägend, er spricht von seelischer Krankheit, Tendenz zum Wahnsinn, es gibt heftige Problem mit Alkoholismus, und in jungen Jahren ein Leben „à la bohème, wie man damals sagte, heute würde man eher von einer Sucht sich zu vergnügen sprechen. „Krankheit, Wahnsinn und Tod waren die Engel, die meine Wiege umgeben haben und die mich mein ganzes Leben begleitet haben“.

4.
Edvard Munch wurde in einer streng religiösen, evangelischen Familie groß, das neu geborenenKind wurde, wie man sagte, „notgetauft“, aus Angst, es könne sterben, ohne rituell durch die Taufe von der Erbsünde befreit zu sein. Ohne durch die Taufe droht selbst den Neugeborenen nach ihrem plötzlichen Tod eine Art Hölle, das behauptet die Angst machende Dogmatik der Kirche. Die Mutter stirbt früh an Tuberkulose, sie hat einen Abschiedsbrief geschrieben, aus dem immer wieder den Kindern vorgelesen wird mit den schauerlichen Kommentaren: „Mutti hört im Himmel zu und beobachtet uns“.
Edvard Munch wächst in einem Christentum auf, in dem das ganze Leben von Angst zerfressen ist. Er selbst bleibt sein Leben lang davon seelisch belastet. Das entscheidende Mittel, die Angst zu bearbeiten, ist für ihn die Kunst. “Ebenso musste er den Tod malen, um persönliche böse Erinnerungen loszuwerden”, schreibt Ragna Stang in ihrem großen Buch “Edvard Munch – der Mensch und der Künstler” (1979, Königstein im Taunus, S. 121). Andererseits: Wer einen krankmachenden christlichen Glauben studieren und kritisieren möchte, wende sich bitte an Edvard Munch.

5.
Aber wieder einmal ist es auch die Krankheit, die sehend macht, die Dinge spürt, die angeblich Immer-Gesunde in ihrem Fitness – Wahn gar nicht entdecken. „Ich ging die Straße hinunter, als die Sonne unterging. Und sich der Himmel plötzlich blutrot färbte. Ich blieb stehen, lehnte mich todmüde an das Geländer… und ich fühlte, dass ein unendlicher Schrei durch die Natur ging.“ Der Freund Munchs, der Dichter August Strindberg, meint: Der Maler hörte den Schrei der Natur, „und des Entsetzens vor der Natur, die vor Zorn errötet und sich anschickt durch Sturm und Donner zu den törichten kleinen Wesen zu sprechen, die sich einbilden, Götter zu sein, ohne ihnen zu gleichen“.
Den Schrei als akustische Äußerung malen, das ist wohl (nur?) Munch gelungen!
Viermal hat Munch das Motiv „Der Schrei“ gemalt, inzwischen längst eine Ikone, weltweit verbreitet, wie ein Kultbild verehrt und als Massenware jetzt missbraucht. Ein ziemlich verrückt-kapitalistischer letzter Schrei ist die Tatsache, dass ein „Schrei“ von Edvard Munch im Mai 2012 für 120 Millionen Dollar von einem Milliardär ersteigert wurde. Dieser „Schrei“ schreit jetzt einsam in einem gepanzerten Keller einer Villa, oder?

6.
Bekannt sind die fünf um 1894 entstandenen Gemälde, die unter dem Titel „Madonna“ beachtet werden. Diese Madonna, wenn sie denn auch auf Maria, die Mutter Jesu, bezogen werden kann, könnte dann auch als eine Pietà interpretiert werden; sie ist vom Leiden, vom Tod, gezeichnet, hat dabei aber auch eine extrem erotische Ausstrahlung bewahrt. Auch die Madonna der Renaissance hat in ihrer blühenden Leiblichkeit erotische Züge. „Liebendes Weib“ nannte Munch diese Madonna, vielleicht ein Titel, der die Spannung zwischen Hingabe bis zum Tod andeuten will. Manche deuteten die“Madonna“ als Prostituierte, nackt und mit roter Baskenmütze, dem Erkennungszeichen der Prostituierten von Paris, wo Munch 1890 und danach eine Zeit lebte.

7.
Die Arbeiten, die rund um den „Schrei“ geschaffen wurden, zeigen auch einsame Menschen, in tiefster Not der Verzweiflung, im Geworfensein in eine völlig fremde, bedrohliche Welt. Gibt es Gemälde, die treffender die seelische Situation moderner Menschen deutlich machen? Man denke etwa auch an das Gemälde „Der Tod im Krankenzimmer“ von 1893.

8.
Munchs seelisches eigenes Erleben und Erschaudern und deren Darstellung in seiner Kunst bleibt inspirierend bis heute, es darf angesichts der vielen Reproduktionen nicht banalisiert werden. Sein Freund Janes Thiis hielt Munch für einen metaphysisch begabten Menschen: “Er gab in seiner Kunst Ausdruck vom Wunder des Lebens“. Munch selbst bekannte: „Gott ist in uns und wir leben innerhalb von Gott, einem ursprünglichen und originalen Licht von überall her“. Und Munch betonte: “Aus allen (meinen) Reden wird man sehen, dass ich ein Zweifler bin, aber niemals die Religion verleugne oder verspotte” (S, 123 in dem genannten Buch von Ranga Stang).
Diese alle Dogmen des Christlichen bzw. Kirchlichen überwindende, sagen wir: mystische oder „pantheistische“ Spiritualität zeigt sich in Munchs Werken. Sie ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, auch in den Bildern der Verzweiflung.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Ausgegrenzt und totgeschlagen: Zum Welttag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

Ausgerenzt und totgeschlagen: Zum Welttag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

Der 25. November ist der “Welttag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen”. Auch an den folgenden Tagen sollte man(n) sich an das Grauen erinnern, das Männer und die mit ihnen verbundenen ökonomisch – politischen Systeme den Frauen zufügen…Lesen Sie einen Bericht in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK Forum. Klicken Sie bitte hier.

Dieser Beitrag weist auf die Dominikanische Republik hin. Dort ist der Welttag “entstanden”, durch das Engagement von Weiterlesen ⇘

Der phantastische Jesus. Weihnachtsgeschichten der Apokryphen. Eine Ra­dio­sen­dung

Der phantastische Jesus
Weihnachtsgeschichten der frühen Kirche
Von Christian Modehn
Eine Ra­dio­sen­dung auf NDR INFO am 25. 12. 2013 um 6.05 und 17.05 Uhr

Über die Geburt Jesu und den Alltag des „göttlichen Kindes“ in der „heiligen Familie“ bieten die Evangelisten Lukas und Matthäus keine ausführlichen Beschreibungen. Aber die frühen Christen wollte mehr wissen, waren neugierig und so verfassten etliche Autoren, von frommer Phantasie geleitet, weitere Legenden und Erzählungen, „apokryphe“, verborgene Evangelien: Da wird von der Geburt in einer Höhle berichtet, von aufdringlichen Hebammen oder den Eltern der „Gottesmutter“ Maria. Das wundertätige Baby entwickelt sich zum trotzigen, frechen Jungen. Die Kirchenführung wollte den Wert dieser Texte nicht anerkennen. Aber das fromme Volk sowie Künstler und Schriftsteller lassen sich von ihnen bis heute inspirieren. „Der Glaube braucht phantastische Bilder“, sagen Liebhaber dieser ersten „Jesus – Romane“.

Hüllenlos heilig. Jesus ist nackt. Eine Ra­dio­sen­dung am 2. Weihnachtsfeiertag

Hüllenlos heilig
Jesus ist nackt
Von Christian Modehn

Eine Ra­dio­sen­dung des Hessischen Rundfunks, 2. Progr., 26. 12. 2013, um 11.30 Uhr

Wer schamhaft leben will, zeigt sich höchst ungern nackt, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Diese Lehre hat die „klassische“ Moral des Christentums Jahrhunderte lang verbreitet, Prüderie wurde zur Tugend.
Heute entdecken Christen und mit ihnen Theologen, was sie eigentlich ständig sahen, aber nicht wirklich wahr – nehmen wollten: Nackt liegt Jesus, „das göttliche Kind“, in der Krippe. Und die Meister religiöser Kunst zeigen, wie Maria ihr nacktes Kind auf ihrem Arm trägt. Dabei wird „die Gottesmutter“ selbst noch mit freier Brust dargestellt. Und Jesus wird fast nackt auch am Ende seines Lebens den Augen der Glaubenden zugemutet: Der elende Leib des Erlösers ist eine Provokation für allen Schönheitswahn. Franz von Assisi wusste, dass Kleider das wahre Wesen verhüllen, schöne Gewänder sind Ausdruck von Macht. Darum hat er sich im Moment seiner Bekehrung aller Kleidung entledigt. Denn er wusste: Jesus zeigt, wie in „existentieller Nacktheit“ das Menschsein besser gelingen kann, in Offenheit, Wahrhaftigkeit und Schutzlosigkeit. „Nur in dieser Nacktheit kann ich dem nackten Gott begegnen“, sagt Jesuitenpater Klaus Mertes. „Hüllenlos heilig“ heißt das Programm derer, die auch zu Weihnachten dem nackten Jesus nacheifern wollen.

Glauben ohne Angst. Ein Interview über “Himmel und Hölle” mit Prof. Wilhelm Gräb

Religion ohne Angst
Ein Interview mit dem protestatischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb,
Humboldt Universität Berlin
Die Fragen stellte Christian Modehn

Im Umfeld des Totensonntags oder Ewigkeitssonntags wird auch vom Ende des Lebens gesprochen, manche christlichen Menschen denken dann an das Endgericht Gottes, an mögliche göttliche Strafen.
Sicher werden auch der Begriff und die Bilder von “Hölle” wieder hoch kommen. Was ist für eine liberale Theologie, die “es gut meint mit dem Menschen”, wie Sie früher so deutlich sagten, wichtig im Blick auf den Totensonntag?

Im Jahreszyklus ist der Totensonntag – nach kirchlichem Sprachgebrauch, der Ewigkeitssonntag – ein wichtiger Tag. Es ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr und wird gerade von denen, die einen lieben Menschen verloren haben, als Tag des Gedenkens begangen. In vielen gemeindlichen Gottesdiensten werden die Namen der Verstorbenen des vergangenen Jahres verlesen; auf den Friedhöfen finden weitere Andachten am Nachmittag statt. Betont der „Totensonntag“ das Totengedenken, so der „Ewigkeitssonntag“ die christliche Auerstehungshoffnung.

Christlicher Glaube ist in seinem Zentrum Auferstehungsglaube. Aus der Gewissheit, dass Jesus, der den Tod am Kreuz hat sterben müssen, von Gott ins ewige Leben gerufen wurde, ist die christliche Religionsbewegung entstanden. Insofern kann man durchaus sagen, dass es ein und dasselbe bedeutet, christlich zu glauben und die Ewigkeitshoffnung zu gewinnen. Das apokalyptische Weltbild des Neuen Testamentes drückte diese Ewigkeitshoffnung dann in Bildern aus. Sie haben die Totenauferweckung mit dem Gerichtsgedanken verbunden. Dem Eingang in die himmlische Seligkeit steht dann ein finsterer Ort entgegen, an dem Heulen und Zähneklappern sein wird.

Der christliche Grundimpuls war jedoch überhaupt nicht von diesem Dualismus „himmlische Seligkeit contra Hölle“ geprägt. Jesus versprach vielmehr allen, die seinen Weg der Gottes- und Nächstenliebe mitgehen, die unendliche Lebensfülle. Deshalb konnten Jesu Anhänger auch seinen Kreuzestod nur als eine Art Durchbruch durch Elend, Sterben und Tod hinein in die ewige Seeligkeit deuten. Denn so hat Jesus von Gott gesprochen, dass in ihm das Leben ist, ein Leben, das gerade nicht mehr nur diese Krankheit zum Tode ist, das nicht im Tod endet, sondern den Tod überwindet und in Gottes Ewigkeit eingeht.

Das Neue Testament lässt keinen Zweifel daran, dass alle Bilder von Gottes ewigem Leben niemals adäquate Vorstellungen sein können. Alle Vorstellungen sind unserer endlichen, irdischen, widersprüchlichen, tödlichen Wirklichkeit entnommen. Wir können nur symbolisch, in uneigentlichen Sinnzeichen, von
der transzendenten göttlichen Wirklichkeit sprechen. Aber dabei ist vom Neuen Testament her ebenso klar, dass Gott die unendliche Fülle des Lebens, der unverlierbare Sinn des Ganzen der Wirklichkeit ist. Wer im Geiste Jesu an Gott glaubt, setzt darauf, dass der Welt im Ganzen ein unverlierbarer Sinn innewohnt. Er besteht auch darauf, dass Gott jeden, der ihm vertraut, jetzt schon an der Fülle ewigen Leben teilhaben lässt. An Gottes Ewigkeit teilzuhaben, schon mitten in der Zeit und unendlich übers Irdische hinaus, geschieht, wo Menschen im Glauben und in der Liebe ihr Leben gestalten.

An Gottes Ewigkeit gewinnt jeder Anteil, der glaubt. Mehr braucht es nicht. Den Glauben aber braucht es, weil ja nur dann, wenn wir selbst uns in Beziehung zu Gott wissen, wir in der Einheit unseres selbstbewussten Daseins an Gottes ewigem Leben teilhaben. Unser Glaube macht es, dass wir uns selbst als zu Gott gehörig verstehen.

Von der Hölle ist im Christentum in keiner Weise zu reden. Gott ist ewiges Leben. Er ist Leben im Licht und in der Fülle und nicht zugleich auch noch das Gegenteil. Es ist keine Leere und keine Finsternis in ihm. Versteht der christliche Glaube sich richtig, dann redet er also nicht von der Hölle und finsteren Teufelsmächten. Es sähe dann außerdem so aus, als wüssten wir von einer jenseitigen Wirklichkeit, die für die einen eine himmlische Glückseligkeit und für die anderen eine schreckliche Todeswirklichkeit bereithält. So ist es aber nicht.

Alle Aussagen über eine jenseitige Wirklichkeit, sei es die des Himmels, sei es die der Hölle, entspringen, sobald sie vom vertrauensvollen Akt des Glaubens absehen, einer halt- und heillosen Spekulation. Die Hölle ist eine Erfindung derer, die meinen, man müsse den Menschen Angst machen, damit sie sich zum Glauben bekehren und ein ordentliches Leben führen. Die angstmachende Rede von der Hölle verfehlt beides, Gott und den Glauben, die Fülle des Lebens und das grundlose Vertrauen darauf, dass die Fülle allen Menschen versprochen ist.

Sind denn die traditionellen Bilder, die aus dem biblischen Buch der Apokalypse stammen, heute noch existentiell berührend und wichtig?

Es gibt so viel Schreckliches in der Welt, Naturkatastrophen, und vor allem die Kriege, all die Grausamkeiten, die Menschen einander antun. Es ist einfach nur furchtbar! So sieht die Hölle auf Erden aus. Da ist es nur zu verständlich, dass wir auch in der Bibel Vorstellungen und eine Sprache finden, die die Blutströme, die die Menschheitsgeschichte durchziehen, in Bilder eines endzeitlichen Dramas übersetzen, in dem Gott den unerbittlichen Kampf gegen die Mächte des Bösen führt. Diese Bilder des endzeitlichen Schreckens, die sich nicht nur im letzten Buch der Bibel (der Apokalypse), aber dort mit besonderer Wucht finden, zeigen, wie zu einer bestimmten Zeit dem Schrecken und unserem Entsetzen Ausdruck gegeben werden kann.

Die Botschaft der Bibel ist dennoch eine durch und durch von der Angst befreiende Botschaft. Jesus ist gekommen zu retten, was verloren ist, nur dazu. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion und sonst gar nichts.

Der Fehler, der freilich immer wieder begangen worden ist und auch heute begangen wird, liegt darin, den Glauben, den allein der Gott verlangt, an menschlich kontrollierbare Bedingungen zu knüpfen: die christliche Taufe, den Glauben der Kirche, die Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen, die Einhaltung bestimmter Moralvorschriften. Nur wer in einem bestimmten Sinn glaubt, sich zu einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft der Erwählten hält, geht in die ewige Seligkeit ein, den anderen droht die ewige Verdammnis.

So aber wird die biblische Botschaft im Kern missverstanden. Sie will, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Timotheus 2,4), wer sie auch seien, welcher Konfession oder Religion sie auch angehören, selbst wenn sie keiner Kirche oder Religion verbunden sind. Die Wahrheit ist, dass Gott die Welt trotz der ungeheuren Macht des Bösen in Liebe zusammenhält und auf den Sinn, den sie im Ganzen hat, ausrichtet.

Allmächtig ist Gott nicht, wäre er es, gäbe es die Macht des Bösen, all die Gewalt in Natur und Geschichte überhaupt nicht. Wäre Gott immer schon alles in allem, die Vollendung der Liebe und die Realisierung des Sinns des Ganzen, dann gäbe es aber auch keine natürliche Evolution und keine die Freiheit der Menschen realisierende Menschheitsgeschichte. Als die Macht der Liebe und als der Sinn des Ganzen von Welt und Leben ist Gott für uns, die wir in der Zeit sind und in eine immer noch unvollendete und undurchschaubare Geschichte verstrickt sind, ein werdender Gott. Gottes Sein ist im Werden, so aber, dass er uns an diesem Werden teilhaben lässt. Dies geschieht in unserem vertrauensvollen Glauben, in unserem Tun der Liebe, in der Hoffnung, mit der wir in allem Widerstreit und allem Kampf auf eine Vollendung der Welt im Guten setzen.

So ist die christliche Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen, zu verstehen. Sie setzt keinen Widerspruch, keine Macht des Bösen, nicht einmal eine Zornesmacht in Gott selbst hinein. Sie redet auch keinem Gegengott, keinem Teufel das Wort. Gott ist die Macht einer ohnmächtigen Liebe und damit Weg zur Realisierung des Sinn des Ganzen einer Welt, die von uns als eine solche erfahren wird, in der es ungeheuer viel Leid, Schmerz und Geschrei gibt.

Indem wir Gott denken und an ihn glauben und auf ihn unsere Hoffnung setzen, gehen wir aber davon aus, dass die Liebe das letzte Wort behält und wir auf einen Gott zugehen, der, wie es im letzten Buch der Bibel heißt, „abwischen wird alles Tränen“ (Offenbarung 21,4). So ist Gott der, der überall dort am Werk ist, wo Menschen auch noch in Katastrophen neuen Mut gewinnen, wo sie auch noch in bösen Erfahrungen an den Sieg der Liebe glauben, wo sie im Leiden am trotzigen Dennoch neuen Glücks festhalten, wo sie die Hoffnung nicht aufgeben. Weil es Gott ist, der am Ende Recht behalten wird, deshalb ist es eines jedes Menschen Bestimmung, im unendlichen Ganzen letztlich nicht verloren zu gehen, an der Fülle teilzuhaben, ewig in Gott geborgen zu sein.

Kann es eine religiöse Haltung geben, die ohne Angst auskommt, ohne Angst vor Gott?

In der Religion geht es um nichts anderes, so könnte man geradezu sagen, als eben darum, die Angst, die zu unserem endlichen Dasein gehört (Heidegger hat sie im Anschluss an Kierkegaard ein Existential genannt), zu überwinden. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33) So sagt es Jesus. In der Welt haben wir Angst, denn wir wissen nicht, was sein wird und es kann und wird so vieles geschehen, was wir nicht verstehen und allen unseren Vorstellungen vom Leben wie es sein sollte zuwiderläuft. Aber der Glaube ist gerade darin Glaube an Gott, dass er den Gedanken einer Vollendung fasst, der den Widerstreit der Welt hinter sich lässt und den Sinn uns zeigt, auf den hin wir schon immer leben. Dann werden wir sein wie Träumenden, die eintauchen in ein Meer voller Wärme und Licht.

Sollten wir uns von der Vorstellung „Gott als strafender Richter“ verabschieden?

Radikal! Die Vorstellung von Gott als strafendem Richter ist zwar eng mit der juridischen Auffassung der paulinischen Rechtfertigungslehre verbunden, aber genauso unhaltbar wie diese jurirdische Gottesauffassung insgesamt. Wenn Gottes Sein im Werden ist, dann erfahren wir ihn nur dort, wo wir die Macht des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung erfahren. Gott ist in den Weltprozess selbst verwickelt, oft so, dass wir ihn nicht verstehen, weil wir ihn und seine Liebe nicht zusammenbringen können mit dem, was geschieht. Im Absurden und Desaströsen spricht die Erfahrung nicht dafür, dass einen Gott gibt. Eigentlich spricht die Erfahrung nie direkt für Gott. Sie kann nicht für ihn sprechen. Dennoch ist Gott so ins Weltgeschehen verwickelt, dass er ihm die Richtung gibt, hin auf einen guten Ausgang aller Dinge. Als der Richtungssinn der Geschichte existiert er. Im Vertrauen auf diesen Sinn ist er der Gegenstand unseres Glaubens und der Grund unserer Hoffnung.

Der Gott, der vertrauenswürdig ist, ist kein richtender Gott. Dann müsste er über dem turbulenten Weltgeschehen thronen, um schließlich den Guten den Himmel zu öffnen und die Bösen in die Hölle zu schicken. Der vertrauenswürdige Gott ist der in die Menschen- und Weltgeschichte verstrickte, aber ihr den Richtungssinn gebende Gott, vielfach ohnmächtig in seiner Liebe, immer wieder bösen Mächten unterliegend. Deshalb steht das Kreuz im Zentrum des Christentums. Aber wenn es diesen Gott unseres Vertrauens nicht gäbe, dann hätte diese komplizierte, ebenso schöne wie schreckliche Welt kein Ziel, keines, an das wir glauben und auf das wir hoffen können.

Welche Interessen haben einige Christen, wenn sie noch am Begriff der Hölle und katholischerseits am Fegefeuer festhalten?

Da Gottes Wesen in der Höllen-Predigt völlig verkannt wird, liegt die Vermutung nahe, dass diese Vorstellung ein machtvolles Instrument in der Hand derjenigen ist, die an einen strafenden Gott bei den Menschen immer noch glauben. Sie wollen die Angst steigern bei denen, die in diesen unglücklichen Gottesvorstellungen vielleicht sogar schon erzogen worden sind. Oft wird zwar gesagt, dass mit der Drohung von Hölle und Fegefeuer die Menschen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung und zum Tun des Guten angehalten würden. Das Gegenteil scheint mir jedoch der Fall. Höllen- und Gerichtsandrohung führen allenfalls zu einer trüben Doppelmoral.
Klerikale Herrschaftsinteressen liegen auf der Hand.
Die Bibel redet eine andere Sprache: „Niemand hat Gott jemals gesehen. So wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig in uns… Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe.“ (1. Johannes Brief, 4, 12 und 18)
copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin.