Jeder Mensch hat seinen Gott. Für ein neues Verstehen des Atheismus. Eine Ra­dio­sen­dung

Eine Ra­dio­sen­dung auf NDR Kultur am 25. Mai 2014 um 8.40 Uhr:

Jeder Mensch hat seinen Gott

Für ein neues Verstehen des Atheismus

Von Christian Modehn

Die Diskussionen über Glauben und Unglauben kommen kaum voran. Denn noch immer gilt als Atheist, wer die Existenz des himmlischen Gottes leugnet. Dabei kann doch kein Mensch ohne eine bestimmte Form des Glaubens auskommen. Jeder findet etwas unbedingt sinnvoll oder hält etwas für absolut wertvoll in seinem Leben: das Hobby, die Arbeit, das Geld, das Ansehen. „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott“, sagte Martin Luther. In dieser Hinsicht sind alle Menschen auf unterschiedliche Art Gläubige. Es ist an der Zeit, diese größere Ökumene zu pflegen und auf alte Feindbilder zu verzichten.

Kapitalismus und Protestantismus. Anläßlich von Max Webers 150. Geburtstag

Kapitalismus und Protestantismus: Zum 150. Geburtstag des Soziologen Max Weber am 21. April 2014

Hinweise anlässlich der Neuerscheinung „Max Weber“ von Jürgen Kaube  (Rowohlt Verlag 2014)

Im Rahmen unserer religionsphilosophischen Interessen und Forschungen möchten wir empfehlend auf die ausführliche und anregende Studie von Jürgen Kaube „Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen“  hinweisen. Wir können hier nur auf einige Aspekte dieses Werkes aufmerksam machen, Aspekte, die zu einem differenziertem Studium der Thesen von Max Weber inspirieren können.

Im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin befassen wir uns seit Jahren mit der Frage, wie Mentalitäten, auch religiöse oder speziell kirchlich geprägte, Einfluss haben und bestimmend sein können für politisches, kulturelles und wirtschaftliches Handeln. Uns interessiert etwa innerhalb der Korruptionsforschung die Frage, wie stark volkstümliche, aber auch dogmatisch geprägte katholische Lehren und Bräuche die vor allem in romanischen Ländern (Italien, Lateinamerika) lange dauernde, weit verbreitete Korruption gefördert und zugelassen haben, bis hin zur kirchlich unterstützten Etablierung von Gewaltherrschaft durch Caudillos etwa in Lateinamerika, man denke etwa an die Diktatur von Leonidas Trujillo in der Dominikanischen Republik. Damit hängt  die grundlegende Frage zusammen, wie stark klassisches katholisches Fühlen und Denken etwa die Entwicklung von Demokratie und Republik behindert haben. Da ist das empirische historische Material sehr ergiebig. Und wenn der oberste Leiter des Katholizismus (der Papst) selbst demokratische Strukturen für seinen Staat (Vatikan) und seine Kirche ablehnt, und zwar mit Berufung auf göttliche Weisungen, dann sind für die Bildung von Mentalitäten sozusagen alle Türen geöffnet, auch für das eigene Land demokratische Strukturen  zu unterbinden und zu verbieten, zumindest nicht euphorisch zu fördern. Allerdings wird man wohl niemals monokausal religiöse Mentalitäten für die Struktur staatlicher Verfasstheiten geltend machen können, etwa am Beispiel des Zusammenhangs von Korruption und Katholizismus. Bei dem Thema müsste aber doch die prägende Bedeutung für die Mentalitäten, etwa die Rolle der Wallfahrtsorte (spezielle Wallfahrtsorte für die Mafia gibt es in Italien) und der Beichte usw. entwickelt werden. Das ist ein Forschungsthema unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons in der Beziehung von Katholizismus und (demokratischer, republikanischer) Mentalität. .

Zu Max Webers Entdeckungen der Beziehung von protestantischer Mentalität und kapitalistischer Wirtschaft: Deutlich ist, wie nuanciert Jürgen Kaube zu dem vielfach besprochenen Zusammenhang von „Kapitalismus und protestantischer Ethik“ Stellung nimmt. Die Arbeiten Webers zu dem Thema sind ja immer noch von hohem Interesse. Darum kann die Lektüre dieser Texte hilfreich sein für eine erste grundlegende Orientierung.

Max Weber, immer bemüht seine aktuelle Gesellschaft zu begreifen, interessiert sich vor allem für „die Mentalität, die den Konkurrenzkampf bejaht“  (S. 181),  und diese kapitalistische Mentalität hat es für ihn bereits geben, als die wirtschaftliche Organisationsform (Kapitalismus) noch gar nicht vorhanden war. Weber entdeckt also bestimmte religiös geprägte Menschen, für die „Selbstdisziplin“, „Berufsfleiß und Konsumverzicht“ der  entscheidend wichtige und gottgewollte Lebensmittelpunkt sind. Und diese Werteordnung findet er in dem von ihm so bezeichneten Puritanismus. „Weber verwendet die Bezeichnung Puritaner  einerseits freigiebig – nämlich für alle ethisch rigorosen Sekten, von den Täufern über die Pietisten bis zu den Methodisten“ (S. 182).  So wird auch Benjamin Francklin in die Reihe der Puritaner gestellt oder der „humanistische Mystiker“ Sebastian Franck.  Nebenbei: Wenn Weber den Begriff “Sekte” verwendet, denkt er an den heutigen Begriff “Gemeindekirche” oder “Freikirche”,

Ernüchternd ist die Einschätzung Kaubes:

Max Weber sehe den spirituellen Ursprung seines „herbeikonstruierten Puritanismus“ (S 182) in der (von diesen Kreisen betonten) Unmittelbarkeit des einzelnen Frommen zu Gott selbst. Von Weltlichem, also Irdischen, auch Kirchlich – Institutionellem,  kann in dieser protestantischen Sicht kein ewiges Heil, also keine Erlösung, kommen. Nur durch die eigenen frommen Anstrengungen, dies sind Gebote der persönlichen Gottesverbundenheit, genannt Askese, könne der Fromme spüren, ob Gott wohlgefällig ist. Harte Arbeit ist also erforderlich, meint Max Weber, bis zum Lebensende permanent geleistet, um Hoffnung zu haben, von Gott im Jenseits angenommen, also erlöst, zu werden. Wer seine Lebenszeit untätig vergeudet und faulenzt, verfehlt seine Unmittelbarkeit mit Gott. „In den Schriften des puritanischen Erbauungsschriftstellers und Moraltheologen Richard Baxter erkennt Weber eine Art Vorbereitungsprogramm für die Gestalt des künftigen Unternehmers: Reichtum als solcher ist diesem Typus ein Ärgernis, weil man so zur Untätigkeit verführt wird, es kommt auf Kapitalbildung an, also aufs Reinvestieren. (vgl. S. 184).

Den Winter 1901 – 1902 hat Weber in Rom verbracht,  dabei werden zwei Themen für ihn wichtig: Er erlebt die – ganz vorsichtig, etwas aufgeschlosssene Regierung von Papst Leo XIII. (seit 1878). Aber die Schatten der heftigen antimodernen Positionen und Polemiken seines Vorgängers Pius IX. sind noch spürbar: Und Katholiken haben diese geschlossene Getto- Mentalität selbst übernommen. Weber erinnert sich dabei an einen Satz des Zentrumspolitikers Hermann Mallinckrodt, “dass die Freiheit des Katholiken darin besteht, dem Papst gehorchen zu dürfen”. Diesen Satz bezeichnet Max Weber als eine These von universeller Geltung, “weil er das Prinzip der Anstaltsgnade, also die durch eine Organisation vermittelte Erlösung auf den Punkt bringe” (so Kaub, S. 140). Zweitens studiert Weber in Rom intensiv die Geschichte der katholischen Orden und Klöster, dabei wird deutlich, wie die Mönche in ihrem Leben der Bescheidenheit und Askese indirekt weltliche Macht schaffen und auch von ökonomischem Erfolg begünstigt werden: Der Konsumverzicht der Mönche führt zu Ersparnissen und Investitionen …und zum wirtschaftlichen Erfolg der Klöster. Diese Studien in Rom haben sicher inspirierend gewirkt für den 1905 veröffentlichten Aufsatz “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus”.  Darin wird die These erläutert, der Protestantismus habe mit seinem Arbeitsethos das katholische Mönchtum noch übertroffen! (Kaube, S. 143). Ohne Askese kann es für Weber keine Kulturleistungen geben.

Gegen diese weithin bekannte Theorie Max Webers über den Begründungszusammenhang von protestantischem Glauben und Kapitalismus wurden und werden Einwände vorgebracht, Jürgen Kaube verweist auf Heinz Steinert „Max Webers unwiderlegliche Fehlkonstruktion“ (Frankfurt  M. 2010) und die Studien von Hartmut Lehmann, etwa „Webers Protestant Ethic“ (Cambridge 1993).

Kaube stellt die schon oft präsentierte Frage an Webers Konstruktion:  „War am Ende nicht den Protestanten das Kaufmannsdasein gemäß, sondern den Kaufleuten die protestantische Gesinnung?“ (S. 184). Der Autor nennt Webers Argumentationstechnik in dem Zusammenhang „atemberaubend“ (S. 184). Er spricht von einer „virtuosen Konstruktion“ (S. 185).

Diese These Webers hat ihren Ursprung in der Überzeugung, dass bestimmte Kreise des Protestantismus die Moderne, auch die moderne Wirtschaftsordnung, hervorgebracht haben, eine protestantische Religion als prägende Kraft der Moderne – das klang zu seiner Zeit wohl attraktiv. Hegel hatte ja noch in der Reformation Luthers den Ursprung der modernen Welt gesehen.

So auch Max Weber, darin mit seinem Kollegen und Freund Ernst Troeltsch eng verbunden. Die klare und nüchterne, hart zupackende und ökonomisch kreative Mentalität aber findet Weber gerade nicht im Luthertum, das er selbst „die schrecklichste Erscheinungsform der Schrecken“ nennt (S. 187).  Inspirierend für die moderne Wirtschaftsform, den Kapitalismus, hat für ihn hingegen nur der Puritanismus gewirkt.

Einen skeptischen Blick auf den Zustand seiner Gesellschaft hat Weber sich bewahrt: Er weiß genau, dass diese moderne Gesellschaft der Arbeitsteilung, der Zersplitterung des Lebens, alles andere als eine ideale Gesellschaft ist. Er sah, “aus dem Bürger einen Fachmenschen werden, der in einem  = stahlharten Gehäuse =  von gesellschaftlicher Abhängigkeit gefangen ist” (Detlef Clausen), seit die puritanische Moral keine prägende Kraft mehr hatte.

Auch zu dem vielzitierten Wort Webers von 1909 , “religiös absolut unmusikalisch zu sein” (immer wieder von Jürgen Habermas gebraucht) bietet Jürgen Kaube die Ergänzung Webers, er neige dazu, MUSIKALISCH religiös zu sein und der “Musik eine innerweltliche Erlösung vom Alltag zuzutrauen” (so Kaube, S 289 in seinen Hinweisen zu Webers Musiksoziologie). Inspirierend für weitere Studien sind Kaubes Hinweise zur “Wirtschaftsethik der Weltreligionen” (S. 336 ff.)

copyright:christian modehn, religionsphilosophischer salon berlin.

Recht contra Moral? Gespräch zu einer aktuellen ethischen Debatte

Der religionsphilosophische Salon am Freitag, den  25. April 2014 um 19 Uhr, will das Thema “Recht contra Moral?” aufgreifen und etwas mehr Klarheit schaffen in aktuellen ethischen Debatten. Dabei spielen religiöse Moralvorstellungen gegenüber demokratisch und mehrheitlich beschlossenen Gesetzen auch eine Rolle, man denke etwa an die “Homoehe” oder die Selbstbestimmung hinsichtlich des eigenen Todes schwerstkranker Menschen.

ORT: Galerie Fantom, Hektorstr.9, Berlin – Wilmersdorf. Anmeldung erforderlich wegen der begrenzten Anzahl von Plätzen: christian.modehn@berlin.de   Unkostenbeitrag: 5 Euro.

Einige Hinweise und Fragen aus dem Newsletter:

Wie gehe ich damit um, dass in einer demokratischen pluralistischen Gesellschaft (wir sprechen hier nie von totalitären Diktaturen) Gesetze mehrheitlich im Parlament verabschiedet werden, die den Moralvorstellungen einiger Menschen und Gruppen (Minderheiten) nicht entsprechen? Etwa im Falle der gesetzlichen Freigabe von Schwangerschaftsabbruch oder der sogen. Homoehe. In Holland könnte man an die Euthanasiegesetzgebung denken.

Welchen Einfluss und welche Macht dürfen angesichts dieser Entwicklung Institutionen haben, die für sich beanspruchen, „die Naturrechte“ zu vertreten, zu verteidigen und zu schützen? Hier kommen wir schnell in religionsphilosophische Fragen hinein, etwa im Blick auf die Moralvorstellungen der Katholischen Kirche.

In welcher Weise sind Gesetze auch Ausdruck von Gerechtigkeit? Sie sind ja immer mehr als leere Handlungsanweisungen?

Wie verändern neue Gesetze (siehe die Beispiele oben) auch die Moralvorstellungen der einzelnen und bestimmter Gruppen?

In welcher Weise und warum kann nur ein weltanschaulich neutraler Staat, die Franzosen sprechen so schön und richtig von der laicité, das Zusammenleben wertmäßig unterschiedlich orientierter Gruppen garantieren? Die Vorstellung, dass eine bestimmte Gruppe, etwa religiös fundamentalistischer Prägung, die allen gemeinsamen Gesetze bestimmt, ist ja für viele unerträglich.

In der Hoffnung auf ein lebendiges und kritisches Gespräch grüße ich Sie herzlich verbunden guten Wünschen für ein inspirierendes Osterfest: Ostern bezieht sich auf die Auferstehung, Auferstehung ist ein Aufstehen, Erwachen, Freiwerden, Eintreten in ein gewandeltes Leben; also auch und schon wieder ein philosophisches Thema.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Jahr: Papst Franziskus

Am 13. März 2013 wurde Jorge M. Bergoglio zum Papst gewählt. Er gab sich – sensationell – den ungewöhnlichen Titel Franziskus.

Einen ersten Versuch eines Rückblicks außerhalb der jetzt üblichen Lobeshymnen auch von Journalisten können Sie lesen, wenn Sie hier klicken.

Glauben ist einfach. Eine arme Kirche braucht keine mächtige Lehre. Eine Ra­dio­sen­dung am 23. März 2014

Glauben ist einfach. Eine arme Kirche braucht keine mächtige Lehre.

Eine Ra­dio­sen­dung: HR2 am 23.3. 2014 um 11. 30 Uhr

Von Christian Modehn

Papst Franziskus hat gleich zu Beginn seines Pontifikates deutlich gemacht: Die Kirche muss nicht nur die Armen achten und verteidigen. Vielmehr sollte die Kirche selbst arm werden. Franziskus selbst verzichtet bewusst auf viele Symbole päpstlicher Pracht, den barocken Hofstaat lehnt er ab, sein Zuhause ist kein Palast. In seinen Predigten und Rundschreiben fordert der Papst die radikale Hinwendung zu Jesus Christus: Da liegt die Mitte des Glaubens. So ist es nur konsequent weiter zu fragen: Sollte sich der christliche Glaube seinerseits als ein „armer“, d.h. einfacher Lebensvollzug präsentieren? Befreit von uralten Traditionen und Vorschriften, weil diese den Zugang zu Gott heute eher verstellen? So könnte das Wesen des Glaubens wieder in den Mittelpunkt rücken, die Liebe zu Gott und den Menschen. Ein solcher „armer“ Glaube ist einladend für suchende und zweifelnde Menschen von heute.

Die Last mit der Lust. Zur Aktualität des Hedonismus. Eine Ra­dio­sen­dung NDR Kultur

Die Last mit der Lust. Zur Aktualität des Hedonismus. Eine Ra­dio­sen­dung auf “NDR Kultur” von Christian Modehn
Am Sonntag, 2. März 2014 um 8.40 Uhr.    Zur Lektüre des Sende-Manuskripts klicken Sie hier.

Ohne Lust gibt es kein menschliches Leben. Wir alle sind Geschöpfe erotischer Begierde, das vergessen manchmal gewisse Moralapostel. Sinnlich geprägte Lebensfreude kann aber nur von Dauer sein, wenn sie eine Balance findet. Hemmungsloser Genuss fördert kaum das Wohlbefinden. Andererseits darf sich niemand seine Lebensfreude verbieten lassen. „Lust ist eben keine Abkehr vom so genannten Wesentlichen“, betonen klassische Philosophen wie Epikur. Es gilt, die Hedoné, die Lust, geistvoll zu verteidigen. Eine Herausforderung für Theologen und Philosophen.

Thomas Bernhard zum 25. Todestag.

Den 25. Todestag des großen Dichters und Kritikers Thomas Bernhard können wir, vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, aus unserer Perspektive der Religionskritik, einem der wichtigen Themen der Philosophie, “naturgemäß” nicht übersehen. Im Gegenteil, wir wollen gern an sein Werk erinnern und betonen: Thomas Bernhard ist angesichts – auch seiner religionskritischen Perspektiven – nicht tot.
Wir weisen noch einmal auf einen kleinen Beitrag hin, den wir anläßlich seines 80. Geburtstages 2011 publiziert haben.
Klicken Sie hier zur Lektüre.