Frieden schaffen: Ein kategorisch geltender Imperativ. Kant als Philosoph des Friedens!

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7. Mai 2022

„Ein bloßer Waffenstillstand, also ein Aufschub der Feindseligkeiten, ist nicht FRIEDE, der das Ende aller Feindschaft bedeutet“.

Zur Einstimmung sagt Immanuel Kant:

„Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören“.

„Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen States gewalttätig einmischen“.

„Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem anderen solche Feindseligkeiten erlauben, welche das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen: Als da sind: Anstellung der Meuchelmörder, Giftmischer, Brechung der Kapitulation, Anstiftung des Verrats in dem bekriegten Staat“.

„Ein Ausrottungskrieg (Vertilgung beider Seiten) würde den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhof der Menschengattung stattfinden lassen können“.

Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) hat diese Sätze geschrieben. Erstaunliche Erkenntnisse auch heute, sozusagen Negationen, die als Bedingungen für einen dauerhaften Frieden formuliert sind. Kant nennt sechs solcher „Präliminarartikel“, Hinweise also, die als Bedingungen einen dauerhaften Frieden ermöglichen.

1.
Seine außergewöhnliche und hervorragende Leistung im Denken hat Kant auch in seiner Publikation „Zum ewigen Frieden“ im Jahr 1795 einmal mehr bewiesen. Diese Schrift hat gleich nach der Veröffentlichung eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, trotz aller Einschränkungen, die die Zensurbehörden androhten. Der eher knappe „Entwurf“ Kants zeigt: Wie weit reichend er als kritischer Philosoph zu Zeiten üblicher Kriege klar Bedingungen nennen kann für einen dauerhaften Frieden. Diese Erkenntnisse waren damals und sind heute sicher provozierend, d.h aus Üblichkeiten der Denkzwänge heraus-rufend.
2.
Wenn Kant seinen Text „Entwurf“ nennt, meint er damit das „Erdenken“ der Wirklichkeit, die den Namen Frieden verdient. Kant entwickelt seinen „Entwurf“ aus den ihm eigenen philosophischen Prinzipien. Sie sollen aus dem Begriff der allen Menschen gemeinsamen Vernunft entwickelt werden, also, wie Kant sagt, „transzendental a priori“, also universal, gelten.
Wenn Kant seinenText mit dem Begriff „ewig“ aufwertet, dann will er damit nicht die himmlischen oder die göttlichen Sphären miteinbeziehen, er „meint vielmehr damit einen Frieden ohne jeden Vorbehalt, den Frieden schlechthin“ (Otfried Höffe).
3.
Kant hatte Ende des 18.Jahrhunderts für die Publikation „Zum ewigen Frieden“ wohl auch den Krieg zwischen Frankreich und Preußen vor Augen, einen Krieg, in dem auch Österreich und England involviert waren. Kant nahm dieses Geschehen zum äußeren Anlass, Prinzipien für den Frieden zu entwickeln, er äußert nicht eine politische Meinung, sondern formuliert philosophisch sich zeigende Notwendigkeiten, die Frieden ermöglichen. Es ist dieser universale Anspruch Kants, der auch heute inspirieren kann.
Kants Erkenntnisse sind zwar zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Kultur formuliert wurde, aber trotz der regionalen Herkunft beanspruchen sie als Vernunftargumente universale Gültigkeit. Einige von Kants Überlegungen können auch im Zusammenhang des von Russland inszenierten Vernichtungskrieges gegen die Ukraine relevant sein.
4.
Dies gilt um so mehr, wenn man auch den längeren „zweiten Abschnitt“ des Textes „Zum ewigen Frieden“ berücksichtigen. Er enthält die drei „Definitiv-Artikel“, also solche Hinweise, die eine Friedensordnung bestimmen sollten. Kant zeigt sich als Meister, der auf Fakten hinweist, die oft im politischen „Alltagsgeschäft“ übersehen werden. Er
macht auf etwas aufmerksam, was oft im Eifer der Debatten übersehen wird: Es gibt nämlich, wie er sagt, durchaus eine Art Huldigung eines jeden Staates dem Begriff des Rechts gegenüber. Diese Akzeptanz bzw. Hochschätzung des Rechts leiste jeder Staat „wenigstens dem Worte nach“. Aber dieses Faktum„beweist doch“, schreibt Kant weiter, „dass eine noch größere, obzwar zur Zeit schlummernde moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei“. Das ist entscheidend: Es muss darauf gehofft werden, dass selbst im übelsten Kriegsherren noch ein Rest der allgemein menschlichen Anlage vorhanden ist. Nur unter den Bedingungen kann überhaupt ein Dialog stattfinden. Darauf weist Kant hin: Dass also das Böse im Feind nicht total ist, sondern dass das Gute, also durch die jedem Menschen gegebene moralische Anlage, auch im Feind weiter wirkt, „denn sonst würde das Wort RECHT den Staaten, die einander befehden wollen, nie in den Mund kommen“. Aber dann fügt Kant einschränkend hinzu: „Es sei denn, bloß um seinen Spott damit zu treiben“. (zit. Immanuel Kant, Zu ewigen Frieden, Fischer Taschenbuch Verlag 2008, S. 166). Eine ambivalente Situation also, die auch im „Fall Putin“ zutrifft.
5.
Frieden kann es „auf immer“ geben, betont Kant schon 1795, wenn die Menschheit im Rahmen des Völkerrechts – über alle einzelnen Friedensverträge hinaus, zum „Friedensbund“ kommt, „der alle Kriege auf immer endigen“ sollte (a.a.O., S 167).
6.
Frieden zu schaffen, dauerhaften, ewigen, ist für Kant nicht eine Art Hobby, dem sich einige Menschen widmen können, während andere eben etwas anderes tun. Frieden zu stiften (mehr als Waffenstillstand auszuhandeln) ist eine kategorische Pflicht eines jeden Menschen.
„Die Friedensstiftung hat für Kant den Rang einer rechtsmoralischen Pflicht. Es liegt jener kategorische Rechtsimperativ vor, den man den kategorischen Friedens-Imperativ nennen kann“ (Otfried Höffe, a.a.O., S. 19). Wenn „Frieden schaffen“ für jeden kategorisch gilt, dann führt die Erkenntnis dieser ethischen Pflicht auch in eine Dimension, die Kant göttlich nennt. Er schreibt: „Religion ist die Erkenntnis all unserer ethischen Pflichten als göttlicher Gebote“ (Kant in seiner „Religionsschrift, B 230). Mit anderen Worten: In den ethischen Pflichten wird die Idee Gottes also vernehmbar… „Nur ein Mensch, der sich bemüht, ethisch gut zu sein, kann hoffen, Gott wohlgefällig zu sein“. Frieden schaffen ist insofern eine göttliche Pflicht für die Vernunftreligion.
7.
Kants Schrift ist knapp und vielschichtig, sie steht im Horizont des ausgehenden 18. Jahrhunderts, das noch stark von den Ereignissen und Folgen der Französischen Revolution bestimmt ist. Etliche der von Kant angesprochenen Themen bewegen „uns“ im 21. Jahrhundert nicht mehr, aber, wie gesagt, die Schrift „Zum ewigen Frieden“ bietet Erkenntnisse, die auch heute zu denken geben. Die Schrift enthält auch einen Anhang, in dem auch heute Wichtiges gezeigt wird: Politik und Staatslehre, und damit auch Friedenspolitik, sollen Anwendung und Praxis der Vernunft-Moral sein. Politik und Moral gehören also zusammen! Die Vernunft – Moral (verstanden als selbstverständliche Bindung auch der Politiker an den Kategorischen Imperativ) darf der Politik nicht untergeordnet werden. Nur eine Rechtsordnung kann Freiheit für alle schaffen, der ewige Friede als Ideal und Ziel kann niemals ohne eine umfassende Rechtsordnung erreicht werden. Schon 1784 hat sich Kant in seinem Aufsatz „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlichen Absicht“ für einen „Völkerbund“ eingesetzt. Im zweiten Definitiv-Artikel der Schrift „Zum ewigen Frieden“ spricht dann Kant vom „Friedensbund“ (S. 166 f.). Er sucht zu zeigen, „alle Krieg auf immer zu endigen“. Ein „Völkerrecht“, das als „Recht zum Kriege“ konzipiert ist, „lässt sich eigentlich gar nicht denken“, dies ist wichtig für Kant. Wenn sich zu einem Thema gar nichts Vernünftiges denken lässt, dann ist das Thema selbst als solches unvernünftig. D.h.: Ein „Recht zum Kriege“ ist also eine Wahnvorstellung. Wenn Staaten Frieden wollen, müssen sie ihre gesetzlose wilde, wie Kant sagt, also egoistische Freiheit aufgeben. Sie müssen sich zu öffentlichen Gesetzen „bequemen“, wie Kant sagt, und diese Gesetze, die zu einem Völkerbund führen, wie eine Art Zwang zur Überwindung ihrer eigenen kriegerischen Gesinnung anerkennen. (S. 168).

PS.: Wenn hier betont wird, Moral soll das politische Handeln bestimmen, so ist hier selbstverständlich immer die Vernunft – Moral im Sinne Kants gemeint, nicht die von Kirchengeboten bestimmte konfessionelle Moral der etablierten Religionen! Diese religiösen Moralvorstellungen dürfen niemals unvermittelt einen dmokratischen Staat bestimmen!
8.
Diese Erkenntnis Kants hat sich keineswegs durchgesetzt, auch nicht unter Philosophen und Literaten.
Nur zwei Beispiele, hier nur kurz angedeutet: .
Hegel schreibt schon in seinem Naturrechtsaufsatz von 1802, dass nicht nur der Frieden, sondern auch der Krieg absolut notwendig sei.
In seiner „Rechtsphilosophie“ (§324) wiederholt Hegel diese These. „Hegel kennt kein kategorisches Gebot der Vernunft, es soll kein Krieg sein“, so Walter Jaeschke, Hegel Handbuch, Metzler Verlag, S. 367. Selbst wenn Hegel die Katastrophen des 1. und 2. Weltkrieges nicht kannte und auch nicht die totale Zerstörungskraft der Atombomben: Es ist schon erstaunlich, dass sich Hegel auch am Beispiel des Krieges in seiner „Rechtsphilosophie“ von 1821 zu der Aussage versteigt: Durch einen Krieg „werde die sittliche Gesundheit der Völker erhalten“. Und dann folgt zur Illustration dieser ungeheuerlichen abstrakten Aussage ein Bild aus der Natur, was für Hegel ungewöhnlich ist, der sonst die geistige Welt, also auch die politische Welt eines Krieges ,nur mit Begriffen des Geistes beschreibt. Nun also hier, im genannten §324, der Vergleich mit der Natur: Wie die Natur die See (das Meer) „durch die Bewegung der Winde vor der Fäulnis“ bewahrt, so könne es auch unter den Menschen und Staaten Fäulnis geben als Form „dauernder Ruhe“, eben in der Form „eines dauernden oder gar ewigen Friedens“. Frieden kann Hegel, der zwanghafte Dialektiker, nur als Stillstand denken, Lebendigkeit, so darf man schließen, gibt es für ihn nur als Dialektik, und die Dialektik ist eben auch der Krieg, der vor „Fäulnis schützt“. Ein abstoßend zwanghafter Gedanke, der Kants Erkenntnisse ablehnt.
9.
Nur ein Beispiel aus dem 20. Jahrhundert: Ernst Jünger ist ein auch von CDU Politikern, wie Helmut Kohl, hoch geschätzter Literat, der zugleich einer der leidenschaftlichsten Verteidiger des „Wertes des Krieges“ war. In seinem grundlegenden Buch „Der Arbeiter“ (1932) zeigt Ernst Jünger, dass der (Erste) Weltkrieg eine Art positives Schlüsselerlebnis für ihn wurde, der Krieg befördert den Untergang der alten bürgerlichen Welt. „Im Akt der Zerstörung (als Krieg) findet Jünger die, so wörtlich, feurige Quelle eines neuen Lebensgefühls… und es gehört zu den hohen und grausamste Genüssen unserer Zeit, an dieser Sprengarbeit beteiligt zu sein, soweit das Zitat aus Ernst Jüngers Buch „Der Arbeiter“. Das Zitat wurde dem Buch „Die Apokalypse in Deutschland“ von Klaus Vondung entnommen, DTV 1988, S. 385.
Diese Vernichtung also begrüßt Jünger, das Sich-Opfern im Krieg sieht er als Form der Erlösung. Der Mensch muss zum Blutopfer bereit sein. Helmut Kiesel schreibt in seinem Aufsatz über die Publikation „Stahlgewitter“ von Ernst Jünger: „Tatsächlich hat Jünger den Krieg als einen naturgegebenen Modus des menschlichen Zusammenlebens und der geschichtlichen Entwicklung betrachtet und zeitweilig sogar bejaht. Erst in den dreißiger Jahren wurde ihm der Glaube an die vermeintlich konstruktiven Seiten des Krieges fragwürdig“ (Quelle: https://literaturkritik.de/id/18872).
10.
Über die Wirkungsgeschichten der von Hegel eher nur am Rande propagierten Ideologie des Krieges wie vor allem der den Krieg preisenden Werke Ernst Jüngers müßte weiter geforscht werden.
In jedem Fall ist es philosophisch und auch ethisch und politisch um des Überlebens der Menschheit willen geboten, wenn man denn schon Philosophen zum Thema Krieg und Frieden bemüht, sich vor allem an einige der genannten grundlegenden Aussagen Kants zu halten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Patriarch Kyrill von Moskau wird auf eine neue Sanktionsliste der E.U. gesetzt.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.5.2022

1. Eine Tat der EU, zu der die Kirchen nicht in der Lage sind.

Die Kirchen, ökumenisch halbwegs vereint, etwa im „Weltrat der Kirchen“ (ÖRK in Genf), sind seit Kriegsbeginn am 24.2. 2022 außerstande, klipp und klar und schnell und präzise mitzuteilen: Patriarch Kyrill von Moskau gehört als Kriegstreiber und Ideologe des Kriegsherren Putin nicht mehr zu Ökumene. Das sollte bedeuten: Nach Einschätzung der weltweiten Ökumene kann Kyrill also nicht mehr als christlicher Repräsentant einer Kirche gelten, sein offizieller Titel „Seine Heiligkeit“ ist ein Skandal, bestenfalls ein Witz. Soll er seinen Weihrauch schwenken und Altslawisch singen, das Ganze (Liturgie genannt) ist nichts als Theater, an dem auch Putin teilnimmt. Tatsächlich hat die EU erkannt: Patriarch Kyrill ist so tief mit dem Putin-System liiert, dass er international von der demokratischen Gemeinschaft der Staaten bestraft werden muss, genauso wie Putin selbst und seine Oligarchen. Das heißt: Patriarch Kyrill ist aufgrund seiner eigenen vielen Millionen Dollar selbst ein Oligarch.

2.
Was also die Kirchen weltweit, ängstlich und zaghaft wie üblich, nicht tun können und wollen (immerhin hat die Russisch-Orthodoxe Kirche auch Geld für den ÖRK mit großen Finanzproblemen beigesteuert): Das unternimmt nun die EU: Sie hat vor, Stand: 4.5.2022, seiner „Heiligkeit” Kyrill auf die EU – Sanktionsliste zu setzen.
Bravo. Die religionsunabhängigen demokratischen Politiker der EU sind nach mehr als zwei Monate dauerndem Krieg Putin etwas klüger und mutiger und entschiedener als die Theologen der Ökumene.

3.
Kyrill Sprecher hat, wie erwartet jegliche Betroffenheit von dieser EU Strafe zurückgewiesen. Dabei ist auch auf dieser website dokumentiert worden, im Anschluss etwa an die Recherchen des russischen Philosophen Michel Ryklin, Berlin, dass seine „Heiligkeit“ viele Millionen Dollar sein Eigentum nennt. „Der Kommissions-Vorschlag, der am Mittwoch – 4.5.2022 – geprüft und zur Abstimmung vorgelegt werde, könnte im Rahmen des sechsten Sanktionspakets unter anderem ein Einreiseverbot für das Kirchenoberhaupt sowie das Einfrieren seines Vermögens zur Folge haben.“ (Quelle: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/russisch-orthodoxer-patriarch-kyrill-soll-auf-eu-sanktionsliste,T4qgJfd)

4.
Wenn diese Sanktion gegen seine „Heiligkeit“ Realität wird, dann werden sicher auch Vertreter der Russisch – orthodoxen Kirche NICHT zur Vollversammlung des ÖRK Anfang September nach Karlsruhe kommen. Eine interessante Entwicklung. Es sind also Politiker der EU, die dafür sorgen, dass Kyrills Kirche nicht in Karlsruhe dabei ist.
Vielleicht könnte als Ersatz Kriegsherr Putin selbst, als Laien-Repräsentant der Russisch – orthoxen Kirche, nach Karlsruhe eingeladen werden, er würde sicher die gleichen Worte wie sein christlicher Ideologe „seine Heiligkeit“, der Patriarch, sprechen. Schließlich sind sie ja beide als ehemalige KGB Mitarbeiter „Brüder im Geiste“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon Berlin.

Fast die Hälfte der Katholiken Frankreichs wählte am 24.4. 2022 wieder rechtsextrem.

Hinweis zum 2. Wahlgang am 24.4.2022 von Christian Modehn.

Beim entscheidenden 2. Wahlgang haben

58,54% der Franzosen für den Katholiken Emmanuel Macron gestimmt.
41,46 für Marine Le Pen. Marine Le Pen steht den Traditionalisten der Pius-Bruderschaft nahe. (28 % der Wahlberechtigten haben nicht gewählt oder ungültig gewählt, eine Tatsache, die die Krise der französischen Gesellschaft dokumentiert und alle Aufmerksamkeit verdient).

Beim 2. Wahlgang haben
45% der Katholiken für die rechtsextreme Kandidatin Le Pen gestimmt.
Von den so genannten „regelmäßig praktizierenden Katholiken“ (diese nehmen mindestens einmal im Monat an der Messe teil) haben 39% für Le Pen gestimmt.
Diese Ziffer bewertet die katholische Tageszeitung La Croix als Zeichen des „Widerstandes“ gegen Rechtsextrem. Komisches Urteil, wekch ein Unterschied zwischen 39% und 41,46 %?

Nebenbei die Erinnerung: Die Bischöfe haben bekanntlich vermieden, explizit aufzufordern, NICHT Le Pen zu wählen.

Zur Erinnerung:
Im 1. Wahlgang 2022 hatten sogar 16% dieser frommen, die Messe besuchenden Katholiken den sehr extrem rechtsradikalen jüdischen Politiker Zemmour gewählt, viel mehr als der Landesdurchschnitt! (Zemmour nennt seine Partei: Reconquete, also Rückeroberung, ein Wort, das an die katholische Vertreibung der Muslime und Juden im Spanien des 15. Jahrhundert erinnert).

Ein Vergleich zur Wahl 2017:
Da haben nur 29% der regelmäßig praktizierenden Katholiken die rechtsextreme Le Pen gewählt. Diese Steigerung im Jahre 2022 (39 %!) ist bemerkenswert.

Eine erste Bewertung: Zu den (im übrigens zahlenmäßig wenigen) praktizierenden Katholiken gehören auch in Frankreich ohnehin eher politisch rechts eingestellte Leute, eher gute Bürger, die etwa in den reichen Arrondissements des Pariser Westens wohnen. Sie meinen, die rechten und rechtsextremen Parteien könnten am besten die katholischen Moral – Prinzipien durchsetzen! Bekanntlich ist der Schutz des ungeborenen Lebens absolutes und oberstes Dogma vieler Katholiken, die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe sowieso…Und die (klassische Hetero-) Familie ist bekanntlich „heilig“.

Diese Ziffern zu 2022 gehen auf eine Untersuchung der IFOP Sondage zurück. LINK.

Zum Wahlverhalten der Katholiken im ersten Wahlgang am 10.4.2022: LINK

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Grenzen des Verstandes: Novalis wurde vor 250 Jahren (am 2. Mai 1772) geboren.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Warum sollten wir uns jetzt an den Dichter und Philosophen Novalis (also an Friedrich von Hardenberg) erinnern, anläßlich seines 250. Geburtstages am 2. Mai (gestorben ist Novalis schon im Alter von 29 Jahren am 25.3.1801)?

1.
Wir dürfen in diesen Zeiten unseren Geist jetzt nicht fixieren lassen, so furchtbar auch der Krieg Putins gegen die Ukraine und die freie, demokratische Welt ist. Es ist für „uns“, im noch sicheren Westeuropa, hilfreich, inmitten der Ängste, einmal auf etwas ganz Anderes zu schauen, zum Beispiel auf die Philosophie und die Poesie der Früh-Romantik. Auf Novalis.
2.
Novalis hat leider nur kurze Zeit die Menschen mit seinem Denken inspirieren können, er ist als ein junger, hochbegabter Dichter und Philosoph der „Frühromantik“ viel zu früh gestorben.
Anläßlich seines Geburtstages sollten wir uns fragen: Was wissen wir eigentlich von der Romantik bzw. der Frühromantik in Deutschland?
Romantik ist alles andere als ein Gefühlsrausch, eine Lust am Irrationalen, am Phantastischen, wie ein volkstümlich-naiver Begriff meint. Die (Früh-)Romantik ist keine pauschale Ablehnung des Denkens, sie ist etwas anderes als der Rückzug in eine angeblich „schöne Innerlichkeit“. Es geht um die Erfahrung der Tiefe des Lebendigen, des Zusammenhangs der Einheit von allem, das meint wohl die von Novalis genannte „Romantisierung der Welt“: „Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar…“ Nur so können Gegensätze zusammengeführt werden.
Die Selbstcharakterisierung der Romantik „ist in einem revolutionierenden, progressive, neue Standards setzenden Sinn verstanden worden“ (zit. Romantik, Enzyklopädie Philosophie III, S. 2345).
3.
Das steht im Zentrum: Ohne eine gründliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Absoluten im menschlichen Leben, mit Gott, gibt es keine Romantik. Diese Auseinandersetzung ist alles andere als ein metaphysisches Hobby einiger weniger.
Weil es zum Menschen gehört, kommt es darauf an, sich den Sinn für das Heilige zu bewahren, und angesichts von Krieg und aller Gewalt auf ein universales, ein humanes Christentum nicht nur zu hoffen, sondern den Frieden vorzubereiten. Der persönliche Glaube ist dabei entscheidend, nicht etwa die kirchliche Institution!
4.
Die Dichter und Philosophen, und mit ihnen Novailis, die um 1800 begannen, neu zu denken, wollten also eindringlich zeigen: Das menschliche Dasein ist eingebunden in einen weiten Zusammenhang, zu dem auch die Erfahrung des Absoluten, Göttlichen, gehört. Für Novalis ist entscheidend: Es gibt im Dasein „zwei Welten“, damit meint er das Erleben des Irdischen, Weltlichen UND das Erleben des Geistlichen, Spirituellen, Religiösen. Diese „Welten“ sind miteinander verbunden. Vor allem die Kunst bringt die geistliche Welt zum Ausdruck. Sie spricht von der Überwindung des Todes, der Unsterblichkeit der Seele, das ist für Novalis entscheidend. Darum kann er vom Christentum sagen: „Dies ist der Botschaften fröhlichste“, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Das Gedicht „Das Lied der Toten“, kurz vor seinem Tod geschrieben, ist „Novalis` außerordenlichstes poetisches Werk“, so der Novalis Spezialist, Prof.Gerhard Schulz in seinem Buch „Novalis“ 2011, S.255. Das Gedicht verbindet christlich geprägte Todes-Mystik und Erotik. Im November 1800 schreibt Novalis:“Religion ist der große Orient in uns, der selten getrübt wird. Ohne Religion wäre ich unglücklich.So vereinigt sich Alles in Einen großen friedlichen Gedanken, in Einen stillen, ewigen Glauben“ (zit. in Schulz, a.a.O, S. 273.). Die „blaue Blume“ aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis wurde zum Symbolder rmantischen Sehnsucht nach dem Göttlichen…
5.
Novalis hatte die Begabung, seinen ihm eigenen Glauben, seine ihm eigene Verbindung mit dem Göttlichen, als seine eigene, auch erotisch geprägte Lebenserfahrung auszusprechen. Dabei grenzte er sich vom überlieferten dogmatischen Kirchenglauben ab. Vermittler der Transzendenz, des Göttlichen, ist für ihn nicht so sehr Christus als der „klassische Erlöser“. Vermittler zu Gott ist – provokativ damals – auch die Geliebte, gerade in der erotischen Liebe wird das Göttliche berührt. Das gilt für Novalis um so mehr nach dem Tod seiner geliebten Verlobten Sophie von Kühn (gestorben am 19.3.1797). In den „Hymnen an die Nacht“ (veröffentlicht 1800) spricht Novalis eindringlich davon.
6.
Entscheidend fürs Denken Novalis` sind seine philosophischen Studien (der auch Bergmann, Salinentechniker und Jurist war) in Jena. Ihm gelang es danach, aus der Philosophie in die Dichtung, die Poesie, zu gelangen.
Philosophie hat er von Oktober 1790 bis Oktober 1791 In Jena studiert vor allem bei Carl Leonhard Reinhold, der als Kant-Interpret bekannt ist und als Begründer der so genannten Elementarphilosophie. Reinhold hat ihn mit Fichtes Philosophie vertraut gemacht, er lernte dort auch Friedrich Schiller näher kennen.
7.
Novalis aber hat sich der Subjektivitätsphilosophie nicht angeschlossen, die meinte aus der Analyse des Subjekts sozusagen die Welt zu konsstruieren. Für Novalis gilt:
„Frühromantisch heiße dagegen die Überzeugung, wonach das Subjekt selbst und das Bewusstsein, durch das es sich kennt, auf einer VORAUSSETZUNG beruhen, über die die Menschen nicht verfügen“, so der Philosoph Manfred Frank, in: „Auswege aus dem Deutschen Idealismus“, Suhrkamp 2007, S 68).
Das heißt: Das Absolute lässt sich – für Novalis – nicht mit einem definitiven Gedanken fassen, das Absolute ist kein Besitz der Reflexion, es ist eher eine kantische Idee. “Wir streben ihr unendlich nach, können sie aber nicht demonstrativ darstellen. Ein berühmtes Novalis-Wort von 1797 besagt: Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge (zit. M. Frank, a.a.O, s 69).

Wesentlich für die romantische Lebensform ist das Suchen, das Unterwegsein, bekannt und viel zitiert: das Wandern. „Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, hören sie auf, Romantiker zu sein; sie fangen dann an, Philister zu werden“ (Jochen Hörich in“ Figuren des Glücks in der Romantik. Wanderung ins Anderswo“, Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch Stuttgart 2011, S. 219).
Wer an seinem Ziel angekommen ist, der ist dann auch am Ende. Unterwegsein ist das Ziel, der Lebenssinn.. Das ist das Glücksgefühl der Romantiker, im Unterwegsein das Ziel wahrzunehmen. Diese Lebensform wird als solches bejaht, der Klagetopos „wäre ich nie geboren“ passt nicht in diese romantische Haltung. Das große Glück kann hier und jetzt erlebt werden, vor allem in den Augenblicken der Liebe.

8.
Für das philosophische Denken ist der Begriff „Fragmente“ als Denkform entscheidend. Novalis betont: Allwissend kann der Philosoph nicht sein, auch in einem System lässt sich die Wahrheit nicht abbilden. Was der Philosoph im Erkennen ausspricht, bleibt relativ. Und wenn man philosophiert, dann sollte der Philosoph es in Gemeinschaft tun
9.
Diese Denkform des Fragments widerspricht dem Denken Hegels als einem „System-Philosophen“.
Hegel wirft der Romantik im allgemeinen Verirrungen des Geschmacks und eine Missachtung des Objektiven vor, so vor allem in seiner Rezension zu „Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel“, 1826.
In den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ spricht Hegel nur kurz von Novalis, er fügt dessen Denken in die „Religiöse Subjektivität“ ein. Ihr unterstellt Hegel eine „Verzweiflung am Denken, an Wahrheit, an und für sich seiender Objektivität, man verlässt sich auf seine Empfindungen, zumal religiöse Empfindungen“. Novalis ist für Hegel der Denker der „Sehnsucht einer schönen Seele“, die mit dem „Weben und Linienziehen in sich selbst“ befasst ist, und Hegel geht in seiner Verurteilung noch weiter: „Diese Extravaganz der Subjektivität (bei Novalis) wird häufig Verrücktheit“ (Suhrkamp, Werkausgabe, Band 20, S 418). Hegel konnte sich das Denken Gottes außerhalb seines Systems offenbar nicht vorstellen. Bescheidenheit im Denken an Gott war ohnehin nicht seine Sache.

10.

Die Christenheit oder Europa“ hat Novalis 1799 verfasst, diese Rede (auch ein Fragment) wurde dann erst post mortem 1802 in Auszügen veröffentlicht und 1826 vollständig publiziert. Es gab schon gleich nach Bekanntwerden dieser Schrift 1799 Bedenken zur Veröffentlichung, weil der protestantisch geprägte Freundeskreis von Novalis (er selbst, Friedrich von Hardenberg, auch ein eher pietistischer Protestant) vermutete, dass  zu viel Ehre und Bedeutung dem Katholizismus zuteil werde. Dabei dachte Novalis wohl eher an eine Christentum, das von seinen konfessionellen Grenzen (wie dem Papsttum) befreit ist. Der romantische Dichter Ludwig Tick sagte 1837, diese Vision von Novalis sei „ein unnützer Aufsatz“, ähnlich hatte sich auch Goethe geäußert. Wilhelm Dilthey hat dann später noch daran erinnert, dass dieser Europa – Text der restaurativen Politik der Fürsten im frühen 19. Jahrhundert als Ideologie gedient habe. Darin erträumt sich Novalis eine politische Utopie, die sich stark an seinem Vorbild der mittelalterlichen Ordnung orientiert. Für die eigene Gegenwart schrieb Novalis diese Vision, dabei war er bestimmt durch die in seiner Sicht verheerenden Wirkungen und Einflüsse der Französischen Revolution und der französischen Aufklärungsphilosophie. Veranlasst zu diesem Traum von einem christlich geeinten Europa wurde Novalis durch die Schrift von Schleiermacher „Über die Religion“. Jedenfalls erhoffte sich Novalis eine neue europäische Friedensordnung durch eine gemeinsame europäische christliche Religion. Sie sollte so etwas wie ein gemeinsamer Nenner der verschiedenen Nationalstaaten werden. Schon damals problematisch war der Eindruck, als leugne Novalis die Pluralität der Religionen in Europa als besten Beleg für Religionsfreiheit und Toleranz…

Ein Zitat aus dem Text von 1826 in der damaligen Schreibweise:
„Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden, und sich wieder ein[e] sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgränzen bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstige Seelen in ihren Schooß aufnimmt und gern Vermittlerin, der alten und neuen Welt wird. Sie muß das alte Füllhorn des Seegens wieder über die Völker ausgießen. Aus dem heiligen Schooße eines ehrwürdigen europäischen Consiliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschäft der Religionserweckung, nach einem allumfassenden, göttlichem Plane betrieben werden. Keiner wird dann mehr protestiren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird ächte Freiheit seyn, und alle nöthigen Reformen werden unter der Leitung derselben, als friedliche und förmliche Staatsprozesse betrieben werden. (http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Essay/Die+Christenheit+oder+Europa)
Diese Friedens- Zeit für Europa werde eines Tages kommen, Geduld sei nötig, meint Novalis. „Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen die heilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt seyn wird; und bis dahin seyd heiter und muthig in den Gefahren der Zeit, Genossen meines Glaubens, verkündigt mit Wort und That das göttliche Evangelium, und bleibt dem wahrhaften, unendlichen Glauben treu bis in den Tod“

11.
Dieser Hinweis nennt nur einige Aspekte der aktuellen Bedeutung von Novalis.

Zum Schluss ein Gedicht aus den „Hymnen an die Nacht“ (aus der 5. Hymne), als Beispiel für die Spiritualität Novalis`. Darin äußert er dann doch eine gewisse Art genauerer Kenntnis der ewigen himmlischen Welt: Aber diese mitgeteielte “Kenntnis” ist Sehnsucht, ist Hoffnung.

„Getrost das Leben schreitet
zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
und lichte Sterne seyn
Die Lieb‘ ist frei gegeben.
Und keine Trennung mehr
Es wogt das volle Leben
wie ein unendlich Meer
Nur eine Nacht der Wonne –
ein ewiges Gedicht
Und unser aller Sonne
ist Gottes Angesicht.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Die französischen Bischöfe sind nicht gegen Marine Le Pen. Die Schande.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.4.2022. Wieder ist Religionskritik und Kirchenkritik eine aktuelle Hauptaufgabe der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie…

Die angesehene katholische Tageszeitung “La Croix”, Paris, publiziert am 20.4.2022 ein Interview mit dem katholischen Soziologen und Theologen Jean-Marie Donegani, Paris, über die immer größere Bereitschaft der Katholiken, der so genannten praktizierenden Katholiken besonders,  für die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen am 24.4.2022 zu stimmen.

Die Nerven in Frankreich liegen blank, einige Tage vor der entscheidenden Präsidentschaftswahl. Wird die rechtsextreme Marine le Pen Präsidentin? Dann hätte auch Europa riesige Probleme, zusätzlich zum Krieg Putins gegen die Ukraine und der Covid-Pandemie usw…

Und das Unglaubliche, aber Faktische ist: Etwa 40 % der praktizierenden Katholiken haben im ersten Wahlgang bereits rechtsextrem gewählt. Sie folgen damit der Mutlosigkeit, Ignoranz und Demokratiefeindlichkeit (?) der französischen Bichöfe, die offiell in ihren Verlautbarungen nicht vor den Rechtsextremen warnten und damit alle Prinzipien der katholischen Soziallehren ignorierten. Sind diese Herren Bischöfe selbst etwas sehr rechtslastig? Bei einigen, wie dem Bischof von Fréjus oder von Bayonne, ist diese Tendenz allgemein bekannt!

Professor Donegani sagt in dem Interview u.a.:

“Eine Sache erstaunt mich, nämlich, dass die Bischöfe meinen, den Katholiken bloß zu sagen: “Tut, was ihr richtig findet” anstelle von “Gebt acht bei dieser Wahl”. Die Stellungnahme der Bischöfe scheint mir nicht sehr intelligent zu sein. An der Banalisierung der extremen Rechten teilzunehmen, ist nicht sehr hilfreich, das wird sogar kontraproduktiv sein. Die Kirche beansprucht immer, die Gewissen der Menschen zu prägen, dann hätte sie in ihrer Stellungnahme zur Wahl sehr viel weiter gehen müssen. … Man kann der extremen Rechten nicht seine Stimme geben, wenn diese Partei etwas Böses und Übles banalisiert. Das Übel und das Böse, das ist für diese Partei die Feier und Bejahung der Ungleichheit, der Kultur des Hasses und der Spaltung der Gesellschaft”.

Am 24.4.2022 werden im Fall eines Wahlsieges von Le Pen die Bischöfe scheinheilig sagen: “Wir haben doch unser Bestes getan. Wir sind wie immer ohne Schuld”.

Das ist aber falsch: Diese denkfaulen Bischöfe haben dann den Wahlsieg der Rechtsextremen zugelassen, wenn nicht befördert. Das ist die Wahrheit, die dann wie üblich kein Kleriker hören und akzeptieren wird. Die geistig noch wachen Katholiken werden weiter in Scharen dieser Kleriker-Kirchen fern bleiben. Und ihren christlichen Glauben auf eigene Art leben.

copyright: Christian Modehn, Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

 

 

Frankreichs Bischöfe schweigen zur Wahl von Marine Le Pen und ihrer rassistischen Partei

Vor der Wahl des Präsidenten am 24.4.2022

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 20.4.2022.

1.
Wenn Marine Le Pen zur Präsidentin Frankreichs gewählt wird am 24.4. 2022, und das ist nicht unwahrscheinlich laut neuesten Umfragen, dann ist davon natürlich nicht nur Frankreich betroffen. Sie wird mit ihrem rechtsradikalen Programm innenpolitisch gegen eine humane Ausländer- und Flüchtlingspolitik agieren, das Motto:“Préference Nationale“. Macron wird also ihr „Franzosen zuerst“ durchsetzen und dabei ignorieren, wie viele Millionen Franzosen mit „französischem Pass“ leben, jene also die Vorfahren haben aus „dem Ausland“ und viel für Frankreich getan haben, auch wenn sie in der Banlieue oft unter erbärmlichen Bedingungen leben müssen. Sie wird weiterhin „Islamismus“ und Islam verwechseln…
Die Situation ist auch außenpolitisch sehr bedrohlich, weil Madame Le Pen die EU spalten wird, weil sie dadurch Europa schwächen will im Sinne ihres Gönners Wladimir Putin.
2.
Den „religionsphilosophischen, und das heißt immer religions-kritischen und konfessions-kritischen Salon Berlin“ interessiert vor allem, wie sich die katholischen Bischöfe als die Führer dieser stets kleiner werdenden Herde der französischen Katholiken zur Wahl stellen. Siehe dazu schon am 10.4.: LINK

3.
Die Bischöfe wollen sich jetzt neutral, vielleicht etwas diplomatisch klug geben, man möchte sagen liberal oder auch verängstigt: Denn sie nennen keine explizite Wahlempfehlung für den Demokraten Macron und warnen nicht deutlich vor der rassistischen Partei Le Pens. In Zeiten der tiefen Krise der Demokratie wegen der bevorstehenden Wahl einer rechtsextremen Präsidentin wäre eine klare demokratische Positionierung der Bischöfe dringend geboten! Aber die Bischöfe sprechen kein klares Nein aus zur Wahl von Le Pen. Dabei haben schon im ersten Wahlgang 41% der Katholiken für die Kandidaten der rechten und rechtsextremen gewählt.
Die Bischöfe haben jetzt offenbar Angst, sich in diesem kleinbürgerlichen katholischen Le Pen Milieu unbeliebt zu machen. Der Politologe Pierre-Louis Choquet , Mitglied des „Kollektivs Anastasia“, fordert nun, förmlich in höchster Not, die Bischöfe auf, endlich um der Rettung der Demokratie willen entschieden zur Wahl von Macron aufzurufen und absolutes Nein gegen Le Pen auszusprechen.
Choquet erinnert daran, dass in den Jahren der Nazi-Besetzung, während des rechtsextremen und antisemitischen Pétain-Regimes, die meisten Bischöfe zu diesem Regime geschwiegen haben. Erst im Jahr 1997 haben dann die Bischöfe diese damalige Solidarität mit den Rechtsextremen bedauert, betont Choquet: „Wenn jetzt die Bischöfe sich auf eine unentschiedene Position bei der Präsidentenwahl versteifen, könnte das furchtbare, zerstörerische Konsequenzen fürs Gemeinwohl haben. Bischöfe, beweist euren Mut, und ruft offen dazu auf, Marine Le Pen zu verhindern“.
Einzig der Erzbischof von Strasbourg, Luc Ravel, hat sich offen für die Wahl Macron ausgesprochen! Allerdings nicht in seiner Funktion als Bischof, sondern nur als Bürger Ravel, als citoyen…
4.
Das tun die offenbar verängstigten und feigen Bischöfe aber nicht. Es kann sein, dass die bischöfliche Unentschiedenheit in die Katastrophe einer Präsidentin Marine Le Pen führt. Katholizismus und Rechtsextremismus (auch Faschismus) hat sich oft schon gut vertragen, man denke an die Nähe des Klerus zu Mussolini, Hitler, Franco, Trujillo, usw.
5.
Die „Protestantische Föderation Frankreichs“ ist da demokratischer und klüger: Sie erinnert eine Woche vor der Wahl daran, dass mit der Wahl von Le Pen viele soziale Aktivitäten auch der Protestanten kaum noch Chancen zum Überleben haben. Die demokratisch gewählten Sprecher der Protestanten sagen: Aber wir Bürger befinden uns keineswegs in einer Aussichtslosigkeit. Noch können wir Le Pen verhindern.
Und die Protestanten können stolz sein, dass schon im ersten Wahlgang 36 Prozent der Protestanten Macron gewählt haben, dass ihre Wahlbeteiligung extrem hoch war und bei 83% lag. Nur 17% der Protestanten haben im ersten Wahlgang für Le Pen gestimmt.
6.
Wenn Le Pen am 24.4. 2022 Staatspräsidentin Frankreichs werden sollte und die Katholiken durch ihr Wahlverhalten maßgeblich beteiligt sind, wird den Bischöfen nichts anderes einfallen als zu jammern. Sie werden alle Verantwortung von sich weisen und wie üblich einmal betonen: „Wir wollten doch als Bischöfe gegen die Homo-Ehe eintreten und gegen die Abtreibung und gegen die Euthanasie-Gesetze“….alles Themen, die von Rechtsradikalen unterstützt werden. Auch wenn Marine le Pen sich jetzt zu den Themen moderater gibt. Und die Bischöfe werden sich fragen lassen, ob diese ihre traditionellen Werte im Augenblick höchster Gefährdung der Demokratie so im absoluten Zentrum stehen dürfen. Siehe dazu die dringende Wahlempfehlung für Macron von einigen katholischen Intellektuellen: LINK.
7.
Macron ist in seiner Politik als Präsident das geringere Übel. Aber er ist ein Demokrat. Eine gerechte Sozialpolitik, eine Überwindung der Armut, eine starke Besteuerung des Vermögens der vielen Reichen und Millionäre usw. ist von ihm zwar nicht zu erwarten. Aber mit Macron kann wenigstens noch qualifiziert über eine gerechte Gesellschaft debattiert werden. Das ist schon viel, in Demokratien. Vielleicht wird er, wenn er denn siegt, auch die vielen tausend Wähler des linken Präsidentschaftskandidaten Mélenchon (er erhielt am 10.4. …. der Stimmen) etwas mehr respektieren und deren sozialpolitische Forderungen.
8.
Dass das französische Wahlsystem, wie es seit de Gaulle (im Jahr 1958 durch Volksabstimmung eingeführt) praktiziert wird, dringend umfassend reformiert werden müsste, ist ein anderes Thema. Seit Jahren wird diese französische „Wahlmonarchie“ von einigen Publizisten und Politologen kritisiert: Es ist wirklich ein Präsident, der wie ein Monarch (die Revolution von 1789 scheint vergessen!) eine sehr große Machtfülle auf sich vereint. „Ich kenne in Westeuropa kein Land, in dem der Staatschef (Präsident) so mächtig und das Parlament so ohnmächtig ist…Der Präsident kontrolliert die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Gewaltenteilung zum Zwecke demokratischer Machtbegrenzung? Nicht in Frankreich!“, schreibt der der Frankreich-Kenner, Autor und Theaterregisseur Benjamin Korn in „Lette International“, Winter 2020, Seite 39f., unter dem Titel „Der Wahlmonarch“, sehr lesenswert!). Mélenchon („La France insoumise“) war der einzige Präsidentschaftskandidat 2022, der offen für das Ende dieser Wahlmonarchie, also der 5. Republik, eingetreten war. Das „Wahlkönigtum“ nennt Benjamin Korn eine „bizarre Erfindung de Gaulles“. Er hat „Monarchie und Republik zusammengeleimt“.
9.
Mit Benjamin Korn, Paris, kann man auch entdecken, warum in Frankreich seit Jahrzehnten schon eine starke rechtsextreme Bewegung, als philosophische Schule (Nouvelle Droite) und als Vielzahl von Parteien (darunter die immer mächtiger werdende Partei „Front National“ bzw. jetzt „Rassemblement National“ der Le Pen-Familie) bestimmend ist. In seinem sehr lesenswerten Beitrag in „Lette International“, Ausgabe Frühjahr 2012, Seite 29f. schreibt Benjamin Korn unter dem Titel „Das große Schweigen. Die Kunst des Wegsehens und die Geschichtslügen der Grande Nation“: „Charles de Gaulle hat den Franzosen ein für allemal das Wegsehen (also die Ignoranz ihrer eigenen Nazi-Verstrickung) eingebleut, als er in seiner berühmten Rede (25.8.1944) die Lüge auftischte, die Franzosen hätten den Krieg gewonnen, statt den Franzosen die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern: Dass sie den Krieg katastrophal verloren, sich mehrheitlich der Kollaboration mit den Nazis schuldig gemacht haben…Hätte Frankreich seiner Vergangenheit offen ins Auge geblickt, seine demütigende Niederlage eingestanden, die eigenen Kriegsverbrechen aufgearbeitet, seine Bewunderung für Marschall Pétain aufgegeben, seinen hausgemachten Antisemitismus analysiert, dann gäbe es nicht ein Wählerpotential von 20 bis 30 Prozent für den Front National, die Le Pen Partei“. Das schrieb, wie gesagt, Benjamin Korn im Jahr 2012!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Sehnsucht nach Gott: Anregungen von Max Horkheimer.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 18.4.2022

1.
Zuerst eine philosophische Besinnung: Was ist denn Sehnsucht: Ein Wort, das in diesen Zeiten des Krieges die seelische und leibliche, also die totale Not der Menschen zu durchbrechen sucht. Sehnsucht ist inmitten des Mordens die Sehnsucht nach Frieden. Nur Frieden erst mal, als Schweigen der Waffen, als Stillstand der Waffen, als Beginn von Verhandlungen, die zu einem dauerhaften Frieden führen sollten – in Gerechtigkeit: Also: Strenge Bestrafung der Täter und Initiatoren des Krieges. Man nenne sie beim Namen und habe nicht wie Papst Franziskus Angst, überhaupt den Namen des Kriegstreibers Putin auszusprechen.
2.
Sehnsucht nach Frieden haben die Menschen in der Ukraine, hoffentlich auch immer mehr Menschen in Russland als Protest gegen den Diktator Putin. Sehnsucht nach Frieden hat die ganze demokratische Welt, der die Menschenrechte noch wichtig sind.
3.
Das ist philosophisch entscheidend: Sehnsucht nach Frieden kann die genannte demokratische Menschheit nur haben, weil sie früher, eigentlich noch vor kurzem, Zeiten und Räume des Friedens kennengelernt hat. Nur wer einmal Frieden erlebt hat, kann Sehnsucht nach Frieden erleben.

4.
Zu Max Horkheimer Erkenntnis: Wie steht es dann mit der Sehnsucht nach Gott? Bekanntlich hat der Begründer der Kritischen Theorie und Leiter des „Instituts für Sozialforschung“ Max Horkheimer zumal im Alter von der Sehnsucht nach dem Absoluten gesprochen. Das Interview, das der Journalist Helmut Gumnior mit Max Horkheimer führte und dann 1970 als Buch veröffentlichte, wurde mit dem Titel „Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen“, Furche Verlag, Hamburg, 2. Auflage 1971 (9.-16.Tausend!) veröffentlicht.
5.
Diese Sehnsucht „nach dem ganz Anderen“ ist nur ein anderer Name für die Sehnsucht nach Gott. „Das Bewusstsein unserer Verlassenheit, unserer Endlichkeit, ist kein Beweis für die Existenz Gottes, sondern es kann nur die Hoffnung (kursiv gesetzt von Horkheimer) hervorbringen, dass es ein positives Absolutes gibt…Ausdrücklich gesagt: Das Wissen um die Verlassenheit des Menschen ist nur möglich durch den Gedanken an Gott, aber nicht durch die absolute Gewissheit Gottes.“ (S. 56 in dem genannten Buch).
6.
Horkheimer spricht in dem Interview auch von Theologie, aber er meint damit nicht die übliche kirchliche Form des religiösen Fragens und Suchens. Horkheimer sagt: „Theologie bedeutet hier das Bewusstsein davon, dass die Welt Erscheinung ist, dass sie nicht die absolute Wahrheit, das Letzte ist“ (S. 61). Konkreter wird Horkheimer: „Religion ist die Sehnsucht nach vollendeter Gerechtigkeit. Diese kann in der säkularen Gesellschaft niemals verwirklicht werden“ (S. 69).
7.
Viele Aspekte, die Horkheimer in dem Interview anspricht, etwa zur Erotik, sogar zur „Pille“, können hier nicht vertieft werden. Wichtig ist hier nur, dass Horkheimer als eine immer schon mit-gegebene Struktur des menschlichen Lebens die Sehnsucht nach dem Absoluten nennt. Der Mensch, also das Wesen der Sehnsucht, des Überschreitens alles Objekthaften, Gegebenen, Weltlichen. Im Überschreiten zeigt sich, was der Mensch ist. Kraft der Vernunft gelingt das Überschreiten.
8.
Wenn man diese Erkenntnis in eine andere Form des philosophischen Denkens übersetzt: Dann ist der Mensch ein Wesen der Sehnsucht, der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Liebe, nach einem „ganz Anderen“, nach dem Göttlichen, das man im Denken und Fühlen der Sehnsucht erreicht, ohne es greifen, umgreifen oder definieren zu können.

Die Sehnsucht nach Gott ist also Ausdruck für den Gedanken des Menschen an Gott. Der Mensch denkt also aufgrund seiner Verfassung, die auch die Situation der Verlassenheit einschließt, an Gott. Dieses Denken führt im Sinne Horkheimers nicht zum beweisbares Wissen. Aber es ist ein Denken, das etwas anderes ist als eine Illusion. Illusionen sind zerbrechlich, sie können zerstört werden. Die Sehnsucht ist etwas, was im Menschen bleibt, selbst in schwierigsten Situationen.
9.
Wäre das der Sinn von Ostern? Ostern als Fest der Sehnsucht im beschriebenen Sinne? Auch der Sehnsucht, dass der Geist stärker ist als die Gewalt, dass der Friede als Idee niemals zu töten ist von Tyrannen. Auch nicht von Putin.

Siehe auch meinen Hinweis anläßlich eines Salon-Gespräches unseres religionsphilosophischen Salon in Berlin am 15.12.2017. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.