Patriarch Kyrill muss endlich verurteilt werden.

Sind Europas Christen auch ohnmächtig gegenüber dem Putin-Ideologen Kyrill?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.4.2022.

Und zum orthodoxen Osterfest 2022:

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(Foto: Oleg Varov/AP)

Patriarch Kyrill, Chef der Russisch-Orthodoxen Kirche und wie Pution KGB Mitglied,  gilt als Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Hier beim Ostergottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, sie  demonstrierten ihre Verbundenheit.

…………………..

Allmählich wächst die Distanz: Einige orthodoxe Gemeinden in Europa, mit dem russischen Patriarchen verbunden, trennen sich von ihren Bindungen an diesen Kriegstreiber Kyrill., er nennt sich „seine Heiligkeit“.

Seit dem 23.2.2022 haben wir auf dieser Website sieben Beiträge über den Kriegstreiber und Putin-Freund, Patriarch Kyrill, veröffentlicht. Der Inhalt dieser Hinweise ist deutlich: Kyrill ist als Putin-Ideologe und ehemaliges KGB Mitglied ein wichtiger Kriegstreiber.

Wer gegen Putins Krieg kämpft, muss gegen Kyrill kämpfen. Das heißt: Er muss von der Ökumene angeklagt und aus der ökumenischen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Kyrill hat nicht im entferntesten Verständnis oder oder gar Sympathien für die demokratische Welt und die Menschenrechte. Er ist, so möchte man meinen, völlig benebelt, auch von den Weihrauchschwaden die durch seine Kathedralen schweben…

In den obersten Gremien der Kirchen, im Vatikan mit Papst Franziskus, in katholischen Bischofskonferenzen, in protestantisch geprägten ökumenischen Räten (wie dem ÖRK in Genf) herrscht hingegen vornehme Sanftheit gegen ein hartes Vorgehen gegen Kyrill. Papst Franziskus will sehnsüchtig diese andere Heiligkeit (Kyrill) alsbald treffen, er träumt noch immer davon, wie wichtig eine theologischer Versöhnung mit dieser nationalistischen orthodoxen Kirche ist…

Offenbar kann man noch immer (am 11.4.2022) davon ausgehen, dass es sogar eine große russisch-orthodoxe Delegation beim Welttreffen/bei der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe, Anfang September 2022, geben soll. Wahrscheinlich wollen die Ökumeniker bei dieser Tagung ganz sanft, wie üblich, die frommen Putin – Ideologen aus Moskau von ihrem Weg ein bißchen abbringen…Aber dann wird es schon zu spät sein; dann wird die halbe Ukraine von Putin zerstört sein, mit Unterstützung des Patriarchen und seiner Untergebenen.  Kyrill muss jetzt, sichtbar für die Welt, vor allem die leidende Ukraine, von den Christen weltweit angeklagt und isoliert werden. Er ist alles andere als eine Heiligkeit…

Nebenbei, aber nicht unwichtig: Die Russisch-orthodoxe Kirche zahlte 2020 und 2021 als ihren freiwlligen Beitrag dem “Ökumenischen Weltrat der Kirchen” in Genf (ÖRK) eher einen sehr bescheidenen Betrag (in Schweizer Franken umgerechnet); der finanzielle Beitrag ist bescheiden, wenn man etwa das Luxusleben des Millionärs Patriarch Kyrill betrachtet: 2020 wurden 10.229CHF an den ÖRK überwiesen ; 2021 waren es 10.618CHF. Mit anderen Worten: Wenn die Russisch.orthodoxe Kirche aus dem ÖRK ausgeschlossen wird, wäre dies für diese ökumenische Weltorganisation kein finanzieller Verlust. Quelle: LINK

Inzwischen muss am 11.4.2022 von weiteren Ungeheuerlichkeiten des Putin-Ideologen Patriarch Kyrill berichtet werden:

1.
Den kürzlich verstorbenen sehr rechtsextremen Politiker, Antisemiten und Rassisten Wladimir Schirinowski würdigte der Patriarch als „talentierten und leidenschaftlichen russischen Patrioten“. Kyrill gibt sogar zu, „gute und persönliche Beziehungen zu Schirinowski seit vielen Jahren gehabt zum haben.“ Kyrill attestierte dem Verstorbenen „Gelehrsamkeit, Kenntnisse der Weltgeschichte wie der nationalen Geschichte und der internationalen Beziehungen“. (Quelle: Tagespost, 7.4.2022).
Man lese Beiträge über Schirnowski in der kritischen, demokratischen Presse, um sich von den Lügen des Patriarchen zu überzeugen.

2.
In seiner Sonntagspredigt vom 10.4.2022 sagte der Patriarch u.a.:
“Möge der Herrgott uns allen in dieser schweren Zeit für unser Vaterland helfen, uns zu vereinen, auch um die Staatsorgane herum”, sagte das Kirchenoberhaupt .Und er fuhr fort: “Dann wird unser Volk echte Solidarität und die Fähigkeit haben, äußere und innere Feinde abzuwehren und unser Leben so zu gestalten, dass in diesem Leben so viel Gutes, Wahrheit und Liebe wie möglich gibt”, so Kyrills Predigt. (Quelle: KNA und DOM RADIO, 10.4.2022)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Putin – der Nihilist.

Ein philosophischer Hinweis von Christian Modehn am 10.4.2022.

Ergänzung am 10.5.2022. Nach der Rede Putins am 9. Mai 2022: 

– Putins Rede ist eine einzige Lüge.

– Putin zeigt einmal mehr, dass er von der Lüge total beherrscht ist. Weiß er noch, dass er lügt? Die totale Lüge ist ein Zeichen des Nihilisten.

– Putin will einen Krieg gegen die Ukraine (und den Westen), der sich in die lange Dauer, in die Länge zieht. So kommen immer mehr Menschen ums Leben. Aber das ist ihm egal. So werden immer weniger Menschen in Afrika z.B. Weizen aus der Ukraine beziehen können. So werden die Nerven aller Demokraten weltweit immer mehr strapaziert. Alle reden nur noch von Putin. Die Welt wird insofern “klein”, fixiert auf einen Verbrecher, falls Mister Trump, auch ihn nennen viele einen Verbrecher, nicht wieder das Feld beherrscht.

– So wird einmal mehr evident: Wer nach “dem” Bösen”fragt, verstehe dies bitte als eine personale Bezeichnung, bezogen auf einen Menschen, es geht um den bösen Menschen. Was denn sonst? Wer glaubt denn noch an metaphysische Kräfte DES (neutral  verstandenen) BÖSEN? Etwa an die Erbsünde? Soll den denn der Verbrecher Putin ein Beispiel für die Relevanz der Erbsünde (Adam und Eva) sein? Wie lächerlich, diese Vorstelling.

– Es sind immer nur Menschen, die sich in ihrer Freiheit entscheiden, total böse zu werden. Das erleben wir auch bei Putin. Und seinen Getreuen, auch in den Kirchen, wie dem so genannten Patriarchen Kyrill I. Er darf sich immer noch Christ und sogar seine Heiligkeit nennen. Die Kirchen des Westens sind zu schwach, zu ängstlich, diesen Kriegstreiber aus der Ökumene der Christen raus zu schmeißen.

– Und auch Papst Franziskus hat Verständnis für Putin, der in päpstlicher Sicht von der Nato bedroht ist. Sind das erste Anzeichen päpstlicher Verkalkung? Wahrscheinlich, und ein bißchen verständlich bei einem Alter von 85 Jahren… So wird eine Weltkirche, eine Organisation mit 1,4 Milliarden Mitgliedern,  “regiert”? LINK

…………..

1.
Philosophische Kommentare zu Putin, seinem Krieg gegen die Ukraine und die Demokratien der westlichen Welt insgesamt, sind zwar nicht zahlreich, können aber eigene Relevanz haben. Denn philosophierend versuchen wir die Gegenwart auf den Begriff zu bringen. Jetzt im Krieg Russlands gegen die Ukraine muss man die wichtigste ethische und menschliche Haltung des obersten Kriegsherren Wladimir Putin freilegen.
2.
Ein Begriff ist dabei entscheidend: Der Nihilismus. Dass mit Nihilismus etwas grundlegend anderes gemeint als mit dem philosophischen und religiös/mystischen Begriff NICHTS versteht sich von selbst und muss hier nicht entwickelt werden.

Ein Nihilist glaubt unbedingt an die Allmacht der Zerstörung. Wenn er andere tötet, geschieht dies in Gleichgültigkeit und Gewissenlosigkeit. Andere Menschen, alles Lebendige, sind für den Nihilisten nichts als wertlose Objekte, die dem Täter zur Verfügung stehen und vernichtet werden können. Der Nihilist gibt vor, dass ihn Ideologien leiten, wie Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus usw., tatsächlich aber ist für ihn die Lust an der Zerstörung, das Hinabstürzen von Allem ins Nichts, ins total Leere, entscheidend. Aus „diplomatischen“ Gründen bekennen das Nihilisten nicht so deutlich, sie verschleiern ihre Destruktivität noch mit vielen Worten, ein letzter Rest von moralischem Bewusstsein?
3.
Erich Fromm, der Psychoanalytiker und Philosoph, hat den Nihilisten den Nekrophilen genannt, den Menschen, der alles Tote mehr liebt als das Lebendige und die lebenden Menschen. Für Erich Fromm gibt es zwei entscheidende menschliche Existenzformen: Die Biophilie und die Nekrophilie, in ähnlicher Form lässt sich die Existenz auch im Modus des Habens (Besitzers, Herrschers) oder im Modus des Seins (Leben, Lieben) aussagen. In totalitären Systemen lebt der Herrscher seinen Sadismus aus in dem „Wunsch, andere leiden zu machen oder sie leiden zu sehen.. Das Ziel dieser Sadisten ist, andere aktiv zu verletzen, zu demütigen, in Verlegenheit zu bringen oder sie in peinlichen oder demütigenden Situationen zu sehen“ (Erich Fromm, zitiert in Rainer Funk, Mut zum Menschen, Stuttgart 1978, S. 65). Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, zuletzt etwa den monströsen surrealen Tisch, an den sich demokratische Politiker offenbar ohne weiteres setzten, der belorussische Diktator wurde von Putin zur gleichen Zeit an einem gemütlichen runden, kleinen Tisch empfangen….
4.
Hier wird vorgeschlagen, nicht so sehr den im ganzen auch hilfreichen psychologischen Interpretationsvorschlägen von Erich Fromm zu folgen, sondern eher den philosophischen Begriffen … und Putin als einen Nihilisten zu verstehen, als einen Menschen, der von der Lust am Nichts , also von einer lange geplanten totalen Vernichtung des Lebendigen, des Demokratischen, beherrscht ist. Diese nihilistische Destruktivität als Hauptmerkmal gilt, selbst wenn Putin noch viel von der alten Ideologie der „russischen Welt“ phantasiert oder von der orthodoxen Religion oder sogar von den Werten des Christentums (gegen den angeblich atheistischen Westen) spricht.
5.
An den Taten erkennt man den Nihilisten, nicht an seinen Worten.
In Putins Angriffskrieg gegen den selbständigen Staat Ukraine fällt auf: Die von ihm heiß begehrten, angeblich russischen Regionen im Osten der Ukraine, vor allem die Städte dort, werden von ihm im Krieg total zerstört, Städte also, die er angeblich mag und für sein Imperium nutzen will. Welch ein Widerspruch!
Es sind barbarische Taten, die da sein Militär begeht.
Putin als Sadisten freut es offenbar, dass in der geplanten Zerschlagung der Ukraine zugleich auch die „Kornkammer des Planeten“, wie es treffend heißt, vernichtet wird und dadurch „ein Hurrikan des Hungers“ (so UN-Generalsekretär Guterres) erzeugt wird. Der russische Diktator verkündet gleichzeitig einen Getreide-Exportstopp aus Russland bis zum 30.6. 2022, eine weitreichende Hungerkatastrophe zumal unter den Menschen in Nordafrika (Käufer russischen Weizens) wird bewusst vorbereitet. Stalin hatte schon einmal eine der schlimmsten Hungerkatastrophen realisiert: 1933 verhungerten in der Ukraine auf seinen Befehl dreieinhalb Millionen Menschen, „Holodomor“ wird das totale Verbrechen genannt.. Auch Stalin war ein Nihilist. Dass ihm seine kommunistische Ideologie nichts bedeutete, zeigte sich an seinem Pakt mit dem Faschisten Hitler.
Diese Haltung des Zynismus hat Putin mit Stalin gemeinsam: Selbst wenn Putin von Völkerfreundschaft die Rede ist, gilt jegliche Handlung dem „Trachten nach Bereicherung und Ausweitung des eigenen politischen Einflusses“ (Mischa Gabowitsch, „Putin kaputt?“, Berlin 2013, S. 64).
Über die nihilistische Mentalität Putins und seines Regime schreibt Katja Gloger in ihrem wichtigen Buch „Putins Welt“, München 2022, S. 135. Sie zitiert die russische Journalistin Jewgenija Albaz: „Um des Geldes willen ist alles erlaubt. Dieses Regime geht davon aus, dass jeder gierig und käuflich ist. Dass niemand Ehre und Würde empfindet“.
„Die russischen Eliten nehmen sich den sadistischen Genuss heraus, den verarmten Massen ihr Dolce Vita zu demonstrieren – um ihre Dominanz zu demonstrieren. In Russland lebten 2017 russische 131 Milliardäre, 180.000 Dollar Millionäre…Acht Prozent der Russen leben unter der Armutsgrenze, im Öl – und Gas – Imperium können manche Bürger von einem Gasanschluss nur träumen…. Ein Drittel der männlichen Bevölkerung lebt nicht lange genug, um einen Rentenanspruch zu stellen…“ (zit. Liza Alexandrova-Zorina, Lettre international, Winter 2017,S.44)
6.
Der Nihilist lebt im Selbst-Widerspruch des Lügners. Angeblich liebt er Dinge und Menschen, die er aber total zerstört. Angeblich ist Putin ein in der Kindheit getaufter orthodoxer Christ, aber den Hungertod von Millionen nimmt er in Kauf, die Gräueltaten seines Militärs . Alle seine Erklärungen zu den Kriegsverbrechen der russischen Truppen in der Ukraine sind eine Lüge, sie wollen verwirren, das klare Denken kaputt machen. Lüge ist das geistige Grundübel, also das geistige Verbrechen der Nihilisten.
Die Russland-Spezialistin und Journalistin Katja Gloger schreibt über den typischen nihilistischen Umgang mit Wahrheit und Lüge im Putin Reich: „Die Grenze zwischen Fakten und Fiktion verschwimmt: Fakten sind Fiktion und Fiktion wird zu Fakten…So schaffen Russlands Medien eine neue, konfuse Realität, der sich kaum nicht jemand anziehen kann…Eine Wanne voller Blut jeden Abend im russischen Fernsehen ist eine politische Realität geworden, sagt der ehemalige Spindoktor des Kreml, Gleb Pawlowskij“, (in „Putins Welt“, München 2022,S. 107).
Immanuel Kant schreibt: „Die Lügenhaftigkeit ist an sich böse. Die Lüge ist zu nichts gut, in welcher Absicht immer; sie ist an sich selbst böse und verwerflich. Lügenhaftigkeit ist “Nichtswürdigkeit, wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird”, zit. In Kant-Lexikon, Rudolf Eisler, https://www.textlog.de/32495.html.
7.
Noch einmal: Der Nihilismus von Putin und seinen Leuten, den Milliardären, Oligarchen und Militärs, zeigt sich in deren permanenten Lügen-Propaganda. Sie ist so dreist und irrational, dass man lachen könnte, wären die Lebensbedingungen der Menschen in dem selbständigen Staat Ukraine nicht so verheerend. An die Lügen hatte sich Putin schon früh gewöhnt und sie als seine Lebensstrategie entwickelt: Zum Putin-Krieg gegen die Ukraine 2014 hat der russische Philosoph Michail Ryklin in „Lette International“ Herbst 2014, Seite 141, geschrieben: Schon damals folgte Putin der alten, lügnerischen Masche., die er als Zögling des KGB gelernt hatte zum Zweck des Machterhalts der Diktatur: „Die Grundlage für diesen Krieg liefert die totale Desinformation mitsamt nachfolgender Bezichtigung des Gegners jener Verbrechen, die man selbst ihm gegenüber begangen hat“. Und weiter schreibt Ryklin im Jahr 2014 !: „Je schlimmer die Torturen sind, welche die Ukraine zu ertragen hat, um so größer ist in Putins Sicht die Schuld der Ukraine selbst daran… Der Putinismus tötet mit seiner Berührung all das Lebendige, was in seinen Untertanen noch enthalten ist“ (ebd).

Putins Krieg ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, es ist ein totaler Krieg, der die ganze Welt in eine Zerrüttung führt, ökonomisch, ökologisch, friedensethisch, religiös. Putin und seine “Getreuen” vernichten eine halbwegs noch geordnete Form der Ernährung selbst der ärmeren Länder, Putin zuerstört Vertrauen, beeinflusst die westlichen Demokratien, er will mit allen Tricks und aller Gewalt will diese Demokratien schädigen, etwa in seiner Unterstützung für Trum oder Marine le Pen. Kann man sagen: Mit Putin wird es nie Frieden geben? Bestenfalls einen Waffenstillstand als Pause vor dem nächsten Krieg? Wer mit diesem Putin noch heute, Ende April 2022 noch eng freundschaftlich ergeben und verbunden ist, wie ein gewisser Herr Gerhard Schröder in Hannover, sollte der nicht auch als Partner eines Kriegsverbrechers gelten, wie viele politische Beobachter zurecht sagen?

Für die Philosophie ist die Lüge, zumal die permanente Lüge, der Gipfel menschlicher Verkommenheit.
8.
Es wird jetzt immer wieder auch von Literaten darauf hingewiesen, dass sich in der geistigen Substanz von Putin und den Seinen „ein großes Nichts“ offenbart. Dies betont die tschechische Schriftstellerin Magdalena Platzová. Sie meint dann leicht ironisch, „dieses große Nichts sei etwas, das man am besten mit Wodka runterspült“. Aber: Zu dem großen Nichts in Putin kommt die Autorin durch die Beobachtung der bekannten russischen Puppe Matrjoschka: Diese Matrjoschka ist “ein Großrussland, in das die anderen Länder hübsch ordentlich nach Größe eingeordnet werden: Armenier, Georgier, Ukrainer, Kasachen, Litauer, Esten und andere. Und wenn sich die große Puppe leert, ist sie hohl wie ein Fass. Ein großes Nichts. (Quelle: iLiteratura (Tschechien), 01.04.2022, Perlentaucher, 5.4.2022). Tatsächlich wird im populären Putin Kult dieser Diktator auch schon als Matrjoschka verkauft…
9.
Noch einmal muss betont werden: Putin (und seine Getreuen) als Nihilisten zu bewerten, steht in keinem Widerspruch zu dem vom Diktator nach außen hin gezeigten Bekenntnis zur russischen Orthodoxie. Man denke nur an diese inszenierten Fotos: Putin im Gebet in der Kathedrale, im vertrauensvollen, freundschaftlichen Gespräch mit Patriarch Kyrill (auch er einst KGB-Mitarbeiter), Putins Pilgerfahrten zum heiligen Berg Athos (Griechenland), seine Bereitschaft, prächtige Kathedralen der russischen Orthodoxie in Frankreich zu finanzieren etc. Der christliche Glaube bewegt Putin jedenfalls nicht persönlich, „innerlich“, denn sonst hätte er auf sein mörderisches Treiben verzichtet. Und sein Intimus, der Patriarch Kyrill von Moskau, hat es wohl bisher versäumt, Putin an seine Christen-Pflichten zu erinnern. Vielleicht glaubt der Patriarch selbst nur an die Macht und die Macht des Geldes, über auch der reichlich verfügt. Aber die vielen gläubigen Leute auf dem Land sehen die Fernseh-Bilder des staatlichen Fernsehens, andere Informationsmöglichkeiten haben sie nicht, und sie freuen sich, wie ihr Präsident betet, von Weihrauchwolken umhüllt ist und vor allem den einstigen KGB Kollegen, Patriarch Kyrill, brüderlich umarmt.
Und die russisch-orthodoxe Kirchenführung ist mit diesem Nihilisten Putin Und das aufs engste verbunden. Und das ist der Skandal: Die westlichen Kirchen denken offenbar nicht daran, Patriarch Kyrill als den besonderen Kriegstreiber SOFORT aus der Ökumene offiziell zu werfen. Und das ist eine Schande für alle anderen Kirchen, die noch christlich sein wollen. Immerhin hat jetzt der katholische Bischof von Münster Felix Genn den Putin-Patriarchen Kyrill I. „eine Schande für unseren christlichen Glauben genannt“. (Quelle: https://www.domradio.de/artikel/bischof-genn-kritisiert-russisch-orthodoxen-patriarchen)

10.
Wenn hier also Putin als Nihilist vorgestellt wird, dann ist nicht der „russische Nihilismus“ gemeint, der unter der Regierungszeit von Zar Alexander II. (1855-1881) in Kreisen oppositioneller Intellektueller lebendig war. Für diese Kreise waren Attentate und das Projekt „Zarenmord“ in gewisser Weise die Voraussetzung, um eine neue, menschenfreundlichere Gesellschaft zu schaffen. Nihilismus als Selbstbezeichnung einiger kritischer Intellektueller war damals eine kulturell-politische Bewegung durchaus emanzipatorischer Art, sie wurden auch Radikaldemokraten genannt. Man denke an Alexander Herzen, Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski….
11.
Hingegen sieht Philosophie das Stichwort Nihilismus als Ausdruck für eine Haltung, dass alle Werte NICHTS sind, dass das Leben NICHTS ist, also sinnlos. Vor allem auf den russischen Dichter Iwan Sergejewitsch Turgenjew geht der heutige philosophische Nihilismus-Begriff zurück; man denke an seinen Roman „Väter und Söhne“ von 1862. Es ist im Roman der angehende Arzt Basarow, der betont:“Es gibt keine moralischen Prinzipien“. Basarow erkennt nichts Wertvolles an und er weiß nichts von Respekt, bewertet alles Lebendige nach Nützlichkeitserwägungen. Bei einem Spaziergang sagt er: „Hoffentlich gibt es in diesen Teichen Frösche… zum Sezieren.“ Er ist ein Mensch, der sich „vor keiner Autorität verbeugt, der kein einziges Prinzip auf Treu und Glauben gelten lässt, gleichgültig welchen Ansehen sich dieses Prinzip auch erfreuen möge“ (Turgenjew, Väter und Söhne).
12.
Putin, so wird in der Presse demokratischer Staaten berichtet, lebt jetzt immer mehr zurückgezogen, als ein Herrscher, der sich isoliert. Aber er hatte und hat ein Team von Ideologen, die ihm die Stichworte für seinen Krieg und seine nihilistische Ideologie liefern. Darauf weist „Le Monde Diplomatique“, Deutsche Ausgabe, April 2022, S. 8 hin : „Wer sind die russischen Falken. Hinter Putin politischer Radikalisierung stehen ultranationalistische Ideologen“ von Juliette Faure. Sie erwähnt einen einschlägigen politisch-religiösen Zirkel, den „Isborsk-Club“, in dem sich antiwestliche reaktionäre Ideologen und Kriegstreiber treffen.
In einem Interview betont Katharina Blum, Leiterin des OIsteuropa-Instituts der FU Berlin: „Zum Klub gehört aber auch jemand wie Tichon, der Metropolit der Russisch-Orthodoxen Kirche ist. Er gilt als Beichtvater von Putin, hat Bücher verfasst und betätigt sich als Regisseur… Orthodoxe Konservative und Monarchisten betonen vor allem die russisch-orthodoxe Kultur. Es ist demnach die Kirche, die Russland eine Identität verleiht. Sie beziehen sich auf das griechisch-orthodoxe Byzanz und sehen sich in der Tradition Dostojewskis, der Moskau als „Drittes Rom“ bezeichnet hat“. (Quelle: https://www.belltower.news/russlands-antiwestliche-ideologien-wichtig-ist-imperiales-denken-128641/ gelesen am 8.4.2022)
13
Putin (und die Seinen) als Nihilisten zu bezeichnen ist eine philosophische Erkenntnis, keine feuilletonistische Unterhaltung. Ein Nihilist geht aufs Ganze, hat den Willen zu zerstören, die anderen, die Feinde sind, zu zerstören und warum nicht auch das Volk, dem er zugehört? Wenn nur er selbst überlebt… Schließlich ist Putin entschlossen, bis 2036 im Amt zu bleiben, also bis ins Greisenalter von 84 Jahren. In der neuen Verfassung, die ihn offiziell bis 2036 regieren lässt, steckt so etwas wie sein Wille zum ewigen Leben, zur totalen Herrschaft … ad aeternum. Dieser Typ wird niemals Ruhe geben und Frieden wahren, solange er nicht mit seinen tödlichen Kriegen seine Ideologie realisiert hat, die Ideologie der totalen Herrschaft.
14.
Zum Schluss eine Erinnerung an Friedrich Nietzsche, der mit großem Elan den Nihilismus studierte und dazu publizierte. Nihilismus war für Nietzsche ein zentraler Begriff seiner Analyse der Moderne. Der Philosoph und Nietzsche Spezialist Prof. Volker Gerhardt schreibt in seinem Buch „Friedrich Nietzsche“ (München 1992), über Nietzsches Einsichten zum nihilistischen Menschen: „In diesem Willen zum Nichts leugnet der Mensch aber alles, was für sein Dasein wesentlich ist. Ja, er wendet sich gegen das Dasein selbst, indem er das durchstreicht, was dem Dasein Ziel und Inhalt gibt. Und so stellt sich hier das Leben gegen das Leben und führt zu einem elementaren Unsinn…“ (S. 155). … „Nihilismus bezeichnet für Nietzsche einen Zustand, in dem der Mensch letztlich nur das Nichts will. Ein solcher Wille zum Nichts kann aber nur ein Ausdruck äußerster Bedrohung oder Verelendung sein“ (S. 154).
15.
Putin hat zwar in seinem nationalistischen Wahn der totalen „Russischen Welt“ immer noch konkrete Ziele, die es zu erobern gilt. Aber diese Eroberung geschieht nur als totale Zerstörung, siehe die Putins Ukraine-Krieg von 2022 vorbereitenden Gräueltaten in Tschetschenien, Georgien, in Syrien oder im Osten der Ukraine und in Libyen usw.. Denn dass er einmal den Mittelmeer-Raum beherrschen will und beherrschen kann, via Syrien und Libyen und Eritrea usw. ist evident, dies macht ihn zum Herrscher des totalen russischen Reiches… Es sei denn, die demokratischen Staaten des Westens können das definitiv verhindern.
16.
Putin als Symbol-Figur des Nihilismus ist insofern auch eine Katastrophe, als er das Fühlen und Denken der Menschen der Welt bestimmt, wenn nicht determiniert: Er erzeugt Angst, nicht nur bei den Leidenden in der Ukraine und bald auch bei den Familien in Russland, die den Tod ihrer Söhne im Krieg bedauern und hoffentlich nicht noch als Helden feiern…
Putin als Nihilist fördert bewusst Irritationen, lässt an jeglicher Aussage zweifeln, sein maßloser Vernichtungswille führt dazu, dass die demokratischen Staaten immer mehr Geld für Rüstung ausgeben müssen … und Waffen sozusagen „das tägliche Brot“ werden, es kommt zu Einschränkungen in den Lebensbedingungen. Putin als Nihilist führt dazu, dass die demokratischen Staaten die Armen und arme Gemachten dieser Welt, etwa in Afrika, vergessen. Die demokratische Welt soll, so will es Putin, zerfallen, im Streit und im Hass gegeneinander, auch dies ist eine Konsequenz seines totalen Nihilismus. Wenn man Demokratie als lebendige Staatsform versteht, als Staat des Streitens um die beste Gestaltung der Menschenrechte, dann ist Putins Hass auf die Demokratie, jetzt auf die jungen Demokratie in der Ukraine, typischer Ausdruck seines Nihilismus.
Ein Nihilist ist der totale Verwirrer und Zerstörer.

Und die russisch-orthodoxe Kirche ist mit diesem Nihilisten aufs engste verbunden. Die westlichen Kirchen denken offenbar nicht daran, Patriarch Kyrill als den besonderen Kriegstreiber SOFORT aus der Ökumene offiziell zu werfen. Und das ist eine Schande für alle anderen Kirchen, die noch christlich sein wollen.
17.
Wie lässt sich Nihilismus überwinden? Diese Frage bewegt in der langen Geschichte die Philosophie. Um nur ein Beispiel zur nennen: Nietzsche sah eine Überwindung des Nihilismus in seiner Idee des „Übermenschen“, der den biederen Spießbürger, den „letzten Menschen“ („letzter Mensch“ im moralischen Sinne) überwinden soll.
Hier aber geht es um die politische und existentielle Frage: Wie kann man einen Nihilisten überwinden bzw. eine ganze Clique, die sich dem Nihilismus als moralischer Verworfenheit hingibt. Diese Nihilisten müssen ihre Macht verlieren, nur so kann die Welt in Frieden UND Demokratie leben. Es geht also im Kampf gegen Putin um einen Kampf gegen den gefährlichsten und barbarischsten unter allen Nihilisten: Dass es Nihilisten als Politiker heute auch anderswo gibt, ist eine Tatsache, und ein anderes Thema.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Spiritualität am Karfreitag…

Spiritualität des Karfreitags:

Der hier publizierte Text ist die ausführliche Fassung einer Ra­dio­sen­dung aus dem Jahr 2014 im RBB, später auch im NDR und HR gesendet. Wegen etlicher Nachfragen zur Lektüre dieses Hörfunk Beitrags hier der Text in voller Länge. Vielleicht sind einige Aussagen inspirierend. Christian Modehn am 7.4.2022.

……………………………….
RBB: Gott und die Welt, Karfreitag, 18.04.2014. Der Text folgt der für Hörfunkproduktionen üblichen Form.

Elend, nackt und bloß
Jesus am Kreuz
Von Christian Modehn

1.SPR.: BerichterstatterIN
2.SPR.: Berichterstatter
3.SPR.: Zitator

21 O Töne, zus. 12 30“
7 Musikal. Zuspielungen. Die Musik Jordi Savalls über Caravaggio, bitte nicht zu knapp einsetzen. Bei jeder Musik etwa 20 Sek. nach Start reingehen!

1. Musik. Ca. 0 12“ freistehend, verwenden ab 0 18“ dort. leise im Hintergrund.

1. O TON, Bachl, 0 28“.
Ich meine das Kreuz, das in unserer christlichen Kulturwelt, in unseren Räumen, doch weithin ein Möbel geworden ist. Zwar ein Möbel, mit einer gewissen Ehrfurcht behandelt, es ist ein Möbel,
ein hübsches Ausstattungsstück für eine Wohnung. Wenn das Kreuz etwas ist in der Kultur, dann ist es der Querbalken in der Kultur.

1. Musik, ca. 0 06“ wieder freistehend

2. O TON, Sander, 0 18“
Man identifiziert sich mit jemandem, der ohnmächtig ist. Und das ist eine ganz schwierige Identifikation. Weil man sich damit mit seiner Ohnmacht auch auseinandersetzen muss. Von daher ist die Auseinandersetzung mit dem Gekreuzigten immer auch das Zu-sich-Selber-Finden in die eigenen Abgründe hinein.

1. Musik, ca. 0 06“ wieder freistehend.

3. O TON, Manfred Richter, 0 31“.
Es ist das Bewusstsein der irdischen, der kreatürlichen Hinfälligkeit, dass dieser Gottessohn selbst in erbärmlicher Nacktheit gezeigt wird. Die Nacktheit war verbunden mit gesellschaftlicher Ausgrenzung.
Und je mehr die Hinfälligkeit des irdischen Lebens bewusst wurde, hat man diesen Aspekt des ausgegrenzten Christus als Trost verstanden

1. MUSIK. 0 06“, aber Titelsprecherin freistehend.

Titelsprecherin:
Elend, nackt und bloß
Jesus am Kreuz
Eine Sendung von Christian Modehn

2. MUSIK, 0 12“ freistehend.

1. SPR.:
Der katalanische Komponist Jordi Savall, [ˈʒɔɾði səˈβaʎ] kann seinem Entsetzen über das Sterben Jesu nur musikalisch Ausdruck geben. In der Sprache der Musik äußert er die Gefühle der Freunde Jesu, erzählt von ihren Tränen, dem Schluchzen, dem Schrei des Entsetzens.

2. MUSIK, 0 08“ freistehend.

2. SPR.:
Jesus von Nazareth hängt leblos am Kreuz; ausgeblutet; qualvoll verendet an diesem Todes-Balken, der nur für Verbrecher bestimmt ist. Dabei galt Jesus unter den Armen und Ausgebeuteten in Palästina als der Gerechte, der Menschenfreund. Er war der Bote eines gütigen Gottes.

2. MUSIK, 0 06“ freistehend.

1.SPR.:
Bei der Marter der Kreuzigung war der lange hinausgezögerte Tod durch Kreislaufversagen durchaus von den Herrschern vorgesehen. Die Römer verurteilten in ihrem Imperium auf diese Weise politische Fanatiker und Rebellen. Aber Jesus von Nazareth dachte gar nicht an ein begrenztes politisches Programm. Ganz andere Projekte sind für ihn entscheidend: Die neue, geschwisterliche Gesellschaft, die in ihrer Liebe zum Nächsten und zu Gott ihren Sinn findet.

2. SPR.:
Seit mehr als tausend Jahren ist für Christen und ihre Gemeinden die Verehrung des sterbenden Jesus am Kreuz unverzichtbar. Sie sind auf das Kreuz Jesu geradezu fixiert, sie forderten ständig Künstler auf, den toten Jesus zu malen. So wird der Schmerzensmann in alle nur denkbaren Landschaften placiert, in Städte, Häuser, Kirchen. Jeder Altar braucht sein Kruzifix. Nur die Reformierten verweigern sich jeglicher bildlicher Darstellung Jesu. Aber in der frommen Phantasie entsteht dann doch ein persönliches, ein inneres Bild von Jesus.

1. SPR.:
Jeder Künstler nimmt auf seine eigene Weise das Kreuzesgeschehen wahr. Raffael und Rembrandt, Tizian und El Greco, Hieronymus Bosch und Rubens, Altdorfer und Caravaggio, um nur einige prominente Maler des 16. und 17. Jahrhunderts zu nennen, schaffen alles andere als dokumentarische, gar historisch korrekte Arbeiten. Sie bieten dem Publikum ihre Sicht des Kreuzweges; sie interpretieren ihren Kalvarienberg und ihre Kreuzesabnahme und Grablegung. So können die Gläubigen immer wieder einem neuen Antlitz des Gekreuzigten begegnen. Aber immer wird ein fast nackter Jesus gezeigt, bemerkt der Salzburger Theologe Hans – Joachim Sander:

4. O TON, Sander, 0 26“.
Der nackte Jesus am Kreuz ist eine Demonstration, und zwar die Demonstration einer Ohnmacht. Der Gekreuzigte selbst, der dann im Mittelpunkt rückt, das ist die Darstellung eines zerstörten, zerbrochenen Männerkörpers, der einer politischen, religiösen Konstellation zum Opfer gefallen ist. Und damit das Zurschaustellen, das Ausstellen, das Aussetzen eines ohnmächtigen Menschen.

3. MUSIK, 0 12“ freistehend.

1. SPR.:
Der Musiker Jordi Savall lässt sich von einem Gemälde des italienischen Meisters Caravaggio inspirieren. Es hat den Titel „Kreuzabnahme“, im Jahr 1603 wurde es für eine Kirche in Rom geschaffen. Der fast nackte Leichnam Jesu wird von Joseph von Arimathäa, einem treuen Jünger, und von Johannes, dem Apostel, sanft gehalten, bevor er ins Grab gelegt wird. Maria von Magdala verbirgt inmitten der Trauernden ihr Gesicht, sie will ihre Verzweiflung nicht zeigen. Maria, die Mutter Jesu, wendet sich, vom Schmerz bewegt, noch einmal ihrem verstorbenen Sohn zu. Dessen rechter Arm, reglos und schlaff, berührt bereits das Grab. Der Apostel Johannes ist so verwirrt, dass er beim Heben des Leichnams in Jesu offene Wunde greift. Sie wurde verursacht, als die Soldaten das Herz durchbohrten. Diese Szene wird von einem schwarzen Hintergrund beherrscht. Die Trauerden stehen wie vor einer undurchdringlichen Mauer. Der Kunsthistoriker Dominique Fernandez schreibt:

3. SPR.:
Es ist ein nicht mehr zu steigerndes, ein absolutes Schwarz. Ein solches Drama ist eigentlich unbegreiflich, unsäglich, jenseits jeglicher Form.

3. MUSIK, noch einmal 0 06“ freistehend.

1.SPR.:
Für die Christen der ersten Jahrhunderte war das Kreuz noch nicht das entscheidende Symbol ihres Glaubens. Sie hatten eine große Scheu, die Gestalt Jesu von Nazareth bildhaft darzustellen. Der Berliner Theologe und Kunst-Kenner Pfarrer Manfred Richter hat sich mit dieser Frage befasst:

5. und 6. O TON Manfred Richter, 0 51“.
Man hat nun, Jahrhundertlange, die erst zwei bis drei Jahrhunderte lang, keine Bilder gehabt. Man hatte keine gebauten Gottesdienststätten. Man ist in den Hauskirchen zusammen gekommen. Und dann hat man ganz andere Motive für Jesus verwendet, wie der gute Hirte, der das Lämmchen auf der Schulter trägt, den verlorenen Menschen. Für die Christenheit, für die Jüngerschaft, war es ein Skandal erster Ordnung, dass der, auf den sie gesetzt hatten, am Kreuz wie ein aufbegehrender Rebell hingerichtet wurde in entehrender Weise. Die Hinrichtung hat ja außerhalb der Stadt stattgefunden, also an einem unreinen Ort.

1. SPR.:
Der elend ans Kreuz Geschlagene, der soll der Erlöser sein? Er soll der Gottmensch sein, dem alle Ehre gebührt? In den ersten Jahrhunderten nach Christus stellten die Gebildeten, vor allem die Philosophen, diese Fragen. Sie fanden die positive Antwort der Christen eher unverständlich, wenn nicht abartig. Erst unter Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert gelang es, die breite Öffentlichkeit umzustimmen und für die Verehrung des Gekreuzigten zu gewinnen. In den neu gebauten Kirchen, den Basiliken, wurde dann ein Kreuz besonderer Art gezeigt: Es verzichtete auf den Corpus, den Leichnam Jesu. Die riesigen Mosaike präsentierten voller Stolz den neuen Herrscher, den Gottmenschen Jesus Christus: In der Apsis der römischen Kirche Santa Pudenziana ist ein entsprechendes Mosaik noch heute zu sehen. Der Kunsthistoriker Horst Schwebel schreibt:

3. SPR.:
Das neue Christusbild des 5. Jahrhunderts greift auf die Darstellungen des Kaiserbildes zurück. Die Kirche, Basilika genannt, wird zur Königshalle des himmlischen Kaisers Christus. In Purpur gekleidet sitzt er auf dem Globus als Symbol für den Kosmos. Bis in die Zeiten der romanischen Kunst wird Jesus hoheitsvoll dargestellt, finster blickend, aber den Sieg Gottes verheißend.

2. SPR.:
Im Mittelalter verlangten die Menschen nach anderen Bildern, seit dem 11. Jahrhundert setzte sich die Überzeugung durch: Dieser machtvoll herrschende Christus ist viel zu abweisend! Er hat kein Mitgefühl. Die Erfahrungen von Leid, Krieg und Gewalt waren so einschneidend, dass nur der mit- leidende Jesus, der Schmerzensmann am Kreuz, eine Antwort auf die letzten Lebensfragen sein konnte.

1. SPR.:
Im Neuen Testament erzählen die Evangelisten von einem demütigen Jesus von Nazareth, sie berichten von seiner Geburt in einer Krippe im Stall. So elend, nackt und bloß wie er geboren wurde, so endete er auch, einsam am Kreuz. Diesem Jesus will Franziskus von Assisi nachfolgen, der Sohn einer reichen Tuchhändlerfamilie. Er befreit sich im Italien des 12. Jahrhunderts von seinen bisherigen Überzeugungen und wirft tatsächlich alles von sich im Moment seiner Bekehrung, berichtet Pater Cornelius Bohl, der Provinzial des Franziskanerordens in München:

7. O TON, Pater Cornelius Bohl, 0 45“.
Franziskus trennt sich von seinem Vater, er gibt ihm also alles zurück, selbst die Kleider, die er hat. Und sagt eben: Bisher habe ich dich meinen Vater genannt, aber jetzt habe ich nur noch den Vater im Himmel. Er steht nackt vor dem Vater und vor der ganzen Stadt, und das wird zum äußeren Zeichen auch seiner radikalen Trennung von seinem bisherigen Leben. Also wenn er sich von den Kleidern trennt, die auch einen Stand ausgedrückt haben, die Reichtum bedeutet haben, die gesellschaftliche Stellung ausgedrückt haben, dann trennt er sich nicht nur vom Vater, sondern von diesem ganzen System, in das er hineingeboren ist; ein System, das auf Macht basiert, auf Geld, all das lässt er los, um etwas ganz Neues zu beginnen.

2. SPR.:
Franziskus von Assisi gründet eine Ordensgemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die sich zu einem Leben in radikaler Armut verpflichten. Viel weiter noch reicht seine Anregung, die allen Christen gilt: Sie sollen den leibhaftigen, den historischen Jesus verehren, vor allem sein Leiden am Kreuz. „Nackt dem nackten Jesus nachfolgen“: So umschreibt er selbst das Grundprinzip seines Leben. Bis zu seinem Tod im Jahr 1226 hält Franziskus daran fest.

8. O TON, Pater Cornelius BOHL, 0 19“.
Als er merkt, dass er sterben wird, lässt er sich nackt auf die nackte Erde legen. Er will also ganz bloß und arm, so,wie er geboren ist, auch in den Tod gehen. Er gibt alles von sich, selbst seinen Habit, er liegt nackt auf dem Boden, um geboren zu werden für das ewige Leben.

1. SPR.:
Seit dem 14. Jahrhundert werden Kreuzesdarstellungen immer beliebter, sie zeigen einen von Schmerzen gekrümmten, halbnackten Jesus am Balken des Todes. Diese Tradition setzt sich endgültig durch. Nur einmal und bloß für kurze Zeit, präsentieren Künstler einen schönen Gekreuzigten. Michelangelo zum Beispiel will in der Renaissance, im 15. und 16. Jahrhundert, für einen anderen Christus werben: Er stellt den harmonisch schönen Jüngling am Kreuz dar, den idealen Menschen, der gelassen und vom Schmerz unberührt seinem Tod entgegen sieht. Michelangelo hat als junger Künstler für die Augustinerkirche in Florenz eine viel beachtete Skulptur eines schönen nackten Jesus geschaffen. Auch später noch hat er für die Sixtina in Rom nackte Leiber der Heiligen gemalt. Auch Michelangelo ließ sich von biblischen Impulsen leiten, meint Pater Bohl:

9. O TON, Cornelius Bohl, 0 21“.
Die Nacktheit ist eigentlich der natürliche Zustand, der paradiesische Zustand des Menschen, der Mensch, der so ist, wie er von Gott geschaffen ist, der sich nichts vormacht, der anderen nichts vormacht, der sich nicht verstecken muss, auch durch Kleider nicht verstecken muss. Weil er sich annehmen kann, auch von Gott angenommen ist. Also Nacktheit ist gut und Nacktheit ist paradiesisch.

1. SPR.:
Je mehr sich jedoch die genaue Kenntnis der biblischen Erzählungen durchsetzte, umso deutlicher wurde: Von ästhetisch gefälliger Schönheit kann bei Jesus nicht die Rede sein. Sein Lebensende heißt Leiden, Blut, Schmerz, Einsamkeit. In Zeiten von Pest und Hungersnot stand dieser Schmerzensmann den Menschen näher als ein wohlgeformter Jüngling am Kreuz. Darauf weist der Theologe Gottfried Bachl hin:

10. O TON, Gottfried Bachl, 0 43“
Das, meine ich, müsste man auch sich vergegenwärtigen: Die Hässlichkeit Jesu in ihren verschiedenen Brechungen. Ich meine damit nicht den charakterlichen Mangel oder dass er unsympathisch gewesen sei oder abstoßend gewesen sei. Ich meine damit seine wirkliche Querlage zu dem, was wir gemütlich nennen, hübsch, zu all dem, was wir mit einer gewissen Lust über unser wirkliches Leben hinweg schmieren und zumachen und verniedlichen.

1. SPR.:
Einen gefälligen Jesus, hübsch anzusehen: Davon wollten die Sterbenden im Hospiz von Isenheim im Elsass überhaupt nichts wissen. Sie suchten den verständnisvollen Freund, der im eigenen Todeskampf Vorbild ist und so Hoffnung spendet.

2. SPR.:
Wenn Matthias Grünewald im Jahr 1515 den grauenvollen Leichnam Jesu in Isenheim malte, dann wussten die Sterbenden genau: Wer an Jesus Christus glaubt, wird wie er auch den Tod überwinden. Aber schon damals musste man länger vor dem Bild verweilen, um in dem Gemälde Trost und Hoffnung zu erkennen, betont Pfarrer Manfred Richter:

11. O TON, Manfred Richter, 0 33“.
Wenn man mal beobachtet, gerade bei Grünewald, dass der Lendenschurz, zugleich geschwungen gezeigt wird, dass er nämlich quasi spricht. Das ist das Zeichen, dass sein Leiden sprechend ist und einem Zuspruch bedeutet. Als Trost ja. Als Zuspruch erst mal der Leidenden, die also da im Krankenhaus diesen Christus vor Augen hatten, dass er wie sie leidet, und durch dieses Leiden hindurch die Irdischkeit hinter sich gelassen werden kann.

1.SPR.:
In einer religiös geprägten Kultur gab es für die Menschen keine Zweifel: Die Kreuzesdarstellungen verweisen auf die Lebensgeschichte Jesu. Es gilt also, über den Jesu Tod hinauszuschauen und seinen Alltag in Palästina wahrzunehmen. Dann werden überraschende Erkenntnisse geschenkt, meint der Jesuitenpater Klaus Mertes:

12. O TON, Klaus Mertes, 0 39“
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, also dass Jesus ganz offensichtlich jemand ist, der ich sagt. Also er predigt nicht über Dinge, sondern er spricht über sich. Wenn er zum Beispiel sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Dann sagt er nicht: Ich verkündige euch die Auferstehung und das Leben. Sondern er sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Was ich zu sagen habe, zeige ich durch das, was ich bin. Durch mein Sein. Also ich habe nicht etwas im Kopf, was ich euch sagen will, sondern ich zeige euch, was ich lebe, ich zeige euch, welche Menschen ich liebe, ich zeige euch, welche Dinge mich verletzen. Ich zeige euch, was meine Sehnsucht ist. Das ist meine Verkündigung. Es ist ein Sprechen durch Sein mehr als durch Worte. Und das ist die tiefere Nacktheit bei Jesus!

1. SPR.:
Elend, nackt und bloß lebt Jesus von Nazareth bereits während seines ganzen öffentlichen Lebens in Palästina. Da hat er den Mut, sich vorbehaltlos zu zeigen, sein Inneres preiszugeben. So wird sein Wesen klar, nämlich hüllenlos sichtbar:

13. O TON, Klaus Mertes, 0 23“
Sich in die Öffentlichkeit zu stellen, bedeutet auch immer, sich schutzlos zu machen, die Kontrolle über sich aus der Hand zu geben. Und sich aber zugleich von der Öffentlichkeit nicht diktieren zu lassen, sich zu verstecken. Da ist eine ganz starke konfrontative Dimension, einfach nur in diesem Sich Zeigen, wie ich bin, und wie ich fühle und wie ich denke.

4. MUSIK:

1. SPR.:
Vom Kreuz Jesu kommen die Künstler nicht los, selbst wenn sie nicht mehr den Glauben der Kirchen teilen. Seit dreihundert Jahren ist es eher selten, dass ein Bischof und gar ein Papst einen angesehenen, aber kirchenkritischen Maler mit einer Arbeit beauftragt. Und nur selten finden sich Gemeinden bereit, auf den üblichen Gebrauchskitsch der Kunsthandwerker zu verzichten und ein wirkliches Kunstwerk zu bestellen.

2. SPR.:
Wenn seit dem 18. Jahrhundert Künstler ihren Schmerzensmann malen, dann nur aus ihrem eigenem, individuellen spirituellen Interesse. Lovis Corinth hat die Schrecken des Ersten Weltkrieges überstanden. Er sieht das Gemetzel noch Jahre später vor sich, die Leichenberge, die zerfetzten Köpfe der Soldaten. Dann malt er 1922 ein außergewöhnliches Bild. Es zeigt einen Christus mitten der vor Blut triefenden Grausamkeit des Krieges, berichtet Manfred Richter:

14. O TON, Manfred Richter, 0 41“
Lovis Corinth: Der rote Christus, da wird der existentiell bis zum Letzten zerrissene und kaputt gemachte Mensch, wie er im Ersten Weltkrieg erlebt werden konnte, und im zweiten auch erst recht, dargestellt. Und dieser Lovis Corinth Christus ist rot und Fleisch, wie Francis Bacon in drastischerer Weise die Zerrissenheit der menschlichen Figur, darstellt. Da ist noch mal ein neuer Typus der Christusbesinnung da, die ihn aber mit uns, mit unserem zeitgenössischen Schicksal, in engste Verbindung bringt.

1. SPR.:
Lovis Corinth ist nicht der einzige Künstler, der überzeugt ist: Dieser leidende Jesus lebt heute, er ist gegenwärtig. Um nur einige bekannte Namen zu nennen: Der Schmerzensmann wird Max Beckmann oder Arnulf Rainer, Francis Bacon, Georges Rouault, Alfred Hrdlicka und Herbert Falken gemalt.

2. SPR.:
Und etliche Künstler gehen soweit, dass sie sich mit dem sterbenden Jesus identifizieren. Der Schweizer Maler Louis Soutter (sprich Sutär) war dem Ende nahe, seelisch zerrüttet, von der eigenen Familie abgeschoben in ein Heim: Dort hat er seinen persönlichen Heiland Jesus am Kreuz gemalt. Soutter kauerte sich etwa im Jahr 1935 nackt auf den Boden, um seinen nackten Christus am Kreuz zu malen. Davon berichtet der Kunstexperte Pater Friedhelm Mennekes:

15. O TON, Pater Mennekes, O 57“.
Er hat die Christusgestalt immer wieder gemalt, ans Kreuz geheftet. Aber es sind Christusgestalten von einer unglaublichen Spannung und Dichte, bei denen sich zeigt, dass hier an der Gestaltung dieser Figur ein Mensch um sein Überleben als vernünftiger Mensch kämpft, wie ein Mensch im Malen des Christus Trost und Lebensmut erringt, erzeichnet. Am Ende seiner Tage mit bloßen und sogar blutigen Händen. Wir verdanken ihm die ersten Fingermalereien, ohne Pinsel, sondern direkt mit der flachen Hand und den bloßen Fingern gemalt: Das Entscheidende an seinem Christusbild ist, dass hier ein Maler im Zeichen des Christusbildes für sich eine dauerhafte Hoffnung errungen hat und die Therapie: dass er nicht in die völlige geistige Umnachtung zurückfiel.

1. SPR.:
Gehören künstlerische Darstellungen des nackten Jesus am Kreuz in die Mitte eines Kirchengebäudes? Darüber wird kaum noch gestritten: Viele Gemeinden begnügen sich mit einem Kruzifix nach der Art der Schnitzwerkstätten von Oberammergau. Einen anderen Weg geht die evangelische Gemeinde in Berlin – Plötzensee. Ihr damaliger Pfarrer Bringfried Naumann hat den Bildmauer und Maler Alfred Hrdlicka (sprich Hríd-litzschka) aus Wien eingeladen, für diese Berliner Kirche ein umfangreiches Werk zu schaffen, den Plötzenseer Totentanz. Mit diesem Auftrag wollte die Gemeinde auch bezeugen, wie stark sie von der Nachbarschaft zur ehemaligen Hinrichtungsstätte der Nazis in Plötzensee betroffen ist. So entstanden mehrere große Tafeln, in schwarz –weiß gehalten. Auf einer Arbeit wird auch die Kreuzigung Jesu gegenwärtig. Sein Leichnam ist total nackt, berichtet der heutige Pfarrer Michael Maillard:

16. O TON, Michael Maillard, 0 55“
In dem Hinrichtungsschuppen in Plötzensee gibt es einen Stahlträger mit Haken dran. An dem wurden Hitlergegner mit einer Schlinge um den Hals herum gehängt. Ein sehr grausamer Tod. Dann hat Alfred Hrdlicka gesagt, er möchte die Kreuzigung Jesu in diesen Kontext stellen. Obwohl er ansonsten auf diesem Bild Klassisches darstellt,
Jesus in der Mitte mit Dornenkrone und anderen Zeichen, die wir aus der biblischen Überlieferung kennen, rechts und links die beiden Verbrecher, mit denen er zusammen hingerichtet worden ist.
Bei uns ist er völlig nackt dargestellt, die beiden Schächer auch. Es soll dargestellt werden, dass die Leute, die da hingerichtet wurden, aller Würde entblößt worden sind. Und das passiert heute in Gefangenenlagern, Foltercamps, immer noch.

1.SPR.:
Auch hier bricht das Grundmotiv moderner Künstler durch: Jesu Leiden ist keineswegs nur ein Ereignis der Vergangenheit; seine Kreuzigung geschah gestern und geschieht heute in den Hungerregionen Afrikas oder den Todeslagern Nordkoreas. Aber, so will Alfred Hrdlicka sagen, schaut genau hin! Dann werdet ihr Lebensmut empfangen: Denn dieser Jesus, der Gerechte, verhält sich noch sterbend wie ein Erhabener:

17. O Ton, Michael Maillard, 0 46“
Auf der Kreuzigungsdarstellung des Plötzenseeer Totentanzes fällt auf, dass die Christusfigur die Fäuste nach oben reckt, die Hände der beiden anderen Gehängten hängen schlaff nach unten. Aber die Christusfigur hat Kraft in den Händen. Das ist auch sehr wichtig. Da hat Alfred Hrdlicka, das ist überliefert, an Menschen gedacht, die nach dem Todesurteil aufrecht, ungebrochen, in den Hinrichtungsschuppen gegangen sind. Und gewusst habe, eigentlich sind sie die Sieger, und nicht der Freisler, der sie gerade zum Tode verurteilt hat, weil sie das Richtige gemacht haben und den richtigen Weg gegangen sind.

1.SPR.:
Ist das Kreuz das absolute Ende? Diese Frage kann bei der Auseinandersetzung mit dem Kreuz Jesu gar nicht ausbleiben. Aber die Hoffnung auf eine Überwindung des Todes stellt sich bei modernen Künstlern nicht so schnell ein. Hrdlicka denkt zwar an den Auferstanden. Aber er malt eine Szene der Emmausjünger, wie der lebendige, aiuferstandene Jesus mit seinen Freunden das Brot teilt– aber wiederum im Dunkel einer Gefängniszelle.

2. SPR.:
Die übliche, gefällige religiöse Gebrauchskunst mit ihren Schnitzereien vermag vielleicht beruhigendes Opium zu reichen. Aber Künstler wie Hrdlicka sind ehrlicher: Sie sagen: Inmitten des Grauens gibt es Spuren des Lichts, der Hoffnung. An dem Thema hat sich auch der weltweit bekannte Joseph Beuys abgearbeitet. Als spiritueller Mensch war er von der geistigen Präsenz des Gottmenschen Christus in der heutigen Wirklichkeit überzeugt. Selbst noch in den hässlichen Abstellkammern der Kliniken, wo Schwerkranke mit dem Tod kämpfen, gibt es für ihn Hoffnungsschimmer. Eine seiner Installationen nannte Joseph Beuys „Zeig mir deine Wunde“, berichtet Pater Mennekes.

18. O Ton, Pater Mennekes, 0 51“.
Beuys ist ja wirklich einer, der tief davon überzeugt ist, dass auch die Welt der Todeszonen, wie etwa ein Sezierraum, umgriffen ist, von einer Welt, die durchpulst, durchwebt, ist von der Christussubstanz. Beuys hat mir in einem Gespräch gesagt, eines der interessantesten Themen, die es überhaupt für ein Bilderhauer, Maler, Zeichner, gibt, ist das Unsichtbare darzustellen. Das Unsichtbare z.B. des auferstandenen Jesus. Das ist die große Herausforderung eigentlich. Was er möchte, ist, dass der Mensch die eigenen Kräfte zum Leben inmitten von Sterben als Basis der Hoffnung entdeckt.

1. SPR.:
Zu ähnlichen Einsichten gelangt im Jahr 1970 aus der Erfahrung der Philosophie Max Horkheimer. Und das ist wichtig, weil so die Verbundenheit der Künstler mit der allgemeinen Kultur der Moderne wahrzunehmen ist. Max Horkheimer betont:

3. SPR.:
Ich drücke mich bewusst vorsichtig aus: Theologie ist die Hoffnung, dass es bei dem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleibe, dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge.

1. SPR.:
Wer sich mit dem Kreuz Jesu meditativ betrachtend auseinandersetzt, sucht Antworten auf seine spirituellen Interessen. Es geht um die Frage, wie man angesichts des Todes persönlich reifen und wachsen kann. Die Beschäftigung mit dem nackten Jesus am Kreuz eröffnet dann Möglichkeiten, sich selbst authentisch zu wahrzunehmen, sagt Pater Klaus Mertes:

19. O TON, Klaus Mertes , 0 47“.
Ich kann dem nackten Gott nicht begegnen, wenn ich selbst bekleidet bleibe. Eigentlich habe ich immer das Christentum so verstanden, dass es ein Bekenntnis zur eigenen Nacktheit ist. Und zur Nacktheit Gottes in mir. Und nur in dieser Nacktheit begegne ich Gott. Prunk und Pomp und tolle Gewänder und so sind eben nicht einfach nur eine nette Schwäche, sondern sind ein Symptom.
Und Jesus kritisiert ja die Kleidung und die Funktion von Kleidung. Hinter dieser Fassade wird nämlich das Eigentliche versteckt, worauf es ankommt, nämlich das Leben, das Lebendige. Letztlich begegne ich dem Lebendigen immer nur in der Nacktheit.

1. SPR.:
Wer diesen Spuren folgt, kann definitive, fix und fertige Antworten in der Religion nur verschmähen; er wird im Blick auf den sterbenden Gottmenschen die Fragwürdigkeit des Daseins anerkennen, betont Pfarrer Manfred Richter:

20. O TON Manfred Richter, 0 33“.
Es ist die condition humaine, die Grundbefindlichkeit des Menschen, die und das ist die Stärke der zeitgenössischen Kunst, die darauf verzichtet, jetzt eine definitive Antwort zu geben, sondern das ist ein so lauter Schrei oder eine so totale Stille, dass du selbst aufgerufen wirst, eine Antwort zu suchen. Aber nicht zu schnell, denke erst mal nach.

1. SPR.:
Aus der Kraft des Innehaltens, der Unterbrechung und des Nachdenkens im Angesicht des Kreuzes wächst dann eine neue Spiritualität: Sie braucht keine glanzvollen, keine entzückenden Bilder und wortreiche Lehren. Sie wird als christliche Religion selbst einfach, nackt und bloß! Davon ist der Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho überzeugt:

21. O TON Thomas Macho, 0 47“.
Den Begriff der nackten Religion – den finde ich ganz wunderbar, ohne historische, ohne theoretische, ohne wortgewaltige Gewänder, sondern ein Stückweit pur. Und dann sind wir bei etwas angekommen, dass wir alle Sterbliche sind. Und weil wir Sterbliche sind, können wir auch miteinander Teilen, Hoffnung, Angst, Bedürfnis nach Trost und Sicherheit und Geborgenheit und Barmherzigkeit. Und diese Gemeinschaft, die anzustreben, das wäre doch ein mögliches Ziel. Ein humanistisches Christentum, das ist ein wunderschöner Begriff und das heißt: Im Grunde eine solidarische Gemeinschaft der Menschen. Der Menschen, die guten Willens sind, die bilden so was wie eine communitas. Die Communitas heißt, wenn man es wörtlich übersetzt, das geteilte Leid. Die geteilte Last, die Last, die wir gemeinsam teilen.

Jordi Savall, Lachrimae Caravaggio. Le Concert des Nations. Hesperion XXI. Edition lia Vox.

Gibt es „das“ Böse“? Oder nur „den bösen Menschen“?

Für einen differenzierten Umgang mit „dem moralisch Bösen“.

Ein Hinweis als Diskussionsbeitrag von Christian Modehn.

1.

Es gibt Taten: Folter, Mord, Totschlag und Erschießen Unschuldiger im Krieg, also Taten, die von jedem Menschen verurteilt und bekämpft werden, von Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und ihrem Gewissen entsprechen.
In solcher theoretischen wie praktischen Zurückweisung von Folter, Mord, Totschlag, Erschießen Unschuldiger im Krieg usw. stellt sich, spontan, wie von selbst, bei Menschen mit Gewissen die Erkenntnis ein: Diese Taten sind böse. Sie dürfen nicht sein, sie sollen deswegen verhindert/beendet werden und sie müssen bestraft werden.

2.

Bestimmte Taten bestimmter Menschen, also der Mörder, der hemmungslos mordenden Soldaten, der Politiker und Generäle, die vom sicheren Schreibtisch aus das Morden befehlen, werden von der Vernunft und dem mit ihr korrespondieren Gewissen als böse bewertet: “Diese Taten darf es unter Menschen nicht geben“.
Und genau so wichtig ist die evidente Erkenntnis: Es sind Menschen, Täter, Mörder, die, fast umfassend bestimmt von böser Gesinnung und wegen ihrer freien Entscheidung fürs Böse, als böse Menschen bewertet werden.

3.

Es ist nicht so, dass man, wie so oft in der theologischen und philosophischen Tradition, annehmen muss: Angesichts böser Taten böser Menschen sollte man zuerst und vor allem von „dem Bösen“ sprechen. Dabei wird „das Böse“ als eine objektiv bestehende Macht angenommen, die sozusagen als solche für sich – als „Idee“ etwa – existiert und die dann bei bestimmten Menschen sichtbar wird und sich spürbar durchsetzt. Die Täter werden in diesem traditionellen Denkmodell zu Leuten, die dieses Böse als eine objektive Idee verwirklichen und sichtbar in die Welt setzen.

4.
Einen treffenden Ausdruck für diese traditionelle These bietet die immer noch bestehende Praxis des katholische Exorzismus: Dabei versucht ein speziell ausgebildeter Priester als Teufels-Spezialist durch verschiedene Gebete und Riten, einen Menschen von der (angeblichen) Gewalt des Teufels zu befreien. Der Teufel wird dann als die objektive Macht des Bösen angesehen: Der Teufel bzw. das Böse habe von dem Menschen Besitz ergriffen. Und diese objektive Macht kann durch die Kraft Gottes, vermittelt durch den Priester, aus dem Menschen vertrieben werden.

5.

Ein anderes Beispiel für die traditionelle Bewertung „des Bösen“: Der Theologe Kardinal Karl Lehmann hat auf dem Ökumenischen Kirchentag 2001 in Berlin einen sehr umfangreichen Vortrag gehalten zum Thema: „Ratlos vor dem Bösen?“ Und er begann, selbstverständlich für einen Theologen, sogleich von dem „Geheimnis des Bösen“ zu sprechen, er sprach am Anfang sogar von dem „fast undurchdringlichen Geheimnis des Bösen“, er sprach davon, „das das Böse sich gerne in seinem eigenen Ursprung verbirgt“ usw.
Also: „DAS Böse“ wurde und wird noch immer von vornherein als eine ideelle Realität angenommen, als ein metaphysisches Prinzip, das ins Menschenleben förmlich inkarniert ist.
Nicht der böse Mensch wird dann analysiert, sondern es geht um die metaphysische Frage: Wie kann Gott dieses Prinzip, „das Böse“ , neben sich als dem Allmächtigen zulassen? Ist Gott selbst vielleicht irgendwie auch „ein bißchen böse“ mit einem bösen „Neben-Gott“? Genau dies sind konsequenterweise die Themen, die der traditionell gelehrte Kardinal Lehmann dann „abhandelt“. Aber zur Klärung, der Frage: Wie umgehen mit den sichtbaren und spürbaren bösen Taten böser Menschen (!) und den sich festsetzenden bösen Mentalitäten und Strukturen, findet sich in dieser metaphysischem Spekulation nichts.
Diese traditionelle Reflexion hat für die bösen Täter nur den „Vorteil“, dass sie als solche theologisch und philosophisch gar nicht angeklagt und gegebenenfalls ausgeschaltet werden müssen. Es ist ja „das Böse“, diese „Idee,“ die in den Menschen waltet! „DAS Böse“ muss, wie auch immer, bekämpft werden, also in diesem traditionellen Denken nicht der Böse oder die Böse. Aber „DAS Böse“ zu bekämpfen, ist schon aufrgrund der Allgemeinheit und Unbestimmtheit zum Scheitern bestimmt. Trotzdem wird theologisch davon immer nich geplaudert, wenn das Böse in dieser Optik bekämpft wird, dann nach kirchlicher Vorstellung geistig, spirituell, vor allem sakramental, durch Taufe, Beichte, Kommunion.

Auch die alte theologische Ideologie der Erbsünde muss in dem Zusammenhang genannt werden, also die so genannte totale Verfallenheit aller Menschen seit Anbeginn in einen sündigen Zustand. Die Erbsünde wurde in diesem Mythos von Gott als Strafe verhängt, als die ersten Menschen im Paradies sündigten. Das ist ein Mythos, der keinerlei vernünftige Aufklärung zum Thema Böses erschließt. Man sollte ihn beiseite legen, er hat viel Unsinn bewirkt und seelisches Leiden erzeugt: Etwa: Diese Erbsünde werde in der sexuellen Begegnung und Zeugung/Empfängnis übertragen, so die offizielle Lehre der katholischen Kirche bis heute. Daran wird festgehalten, nur weil dieser heilige Greis Augustinus (gestorben 430) dies einmal gesagt und mit aller Gewalt durchgesetzt hat…Er wollte damit die Kirche und den Klerus als Macht stärken, denn nur der Klerus der Kirche kann die Taufe spenden, die von der Erbsünde befreit…

6.

Der Kampf gegen „das Böse“ wird also für die klassische Reflexion nur metaphysisch, nur religiös, geführt. Entsprechend versteht die Kirche die Bitte, an Gott gewandt, im „Vater Unser“ (Matthäus Evangelium, Kap. 6, 13): “Erlöse uns von dem Bösen“ als Bitte, von der wirksamen Idee und metaphysischen Realität DES (sachlich verstandenen) Bösen erlöst zu werden. Dabei ist diese Deutung einseitig! Auf Altgriechisch heißt es:
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ.
O πονηρós bedeutet zweierlei: Die schlechte Eigenschaft von Dingen UND auch die moralisch schlechte, nichtswürdige, boshafte Person. Darum sollte man im Gebet „Vater Unser“ diese Bitte auch so verstehen: Erlöse uns von der bösen und nichtswürdigen Person, etwa dem Diktator, dem Henker, dem Mörder, dem Krieger. So würde Beten politisch analytisch präzise… Nebenbei: Die Bitte „Erlöse uns von dem Bösen“ fehlt in der Überlieferung des „Vater Unser“ im Lukas-Evangelium!

7.

Ich plädiere also dafür, anstelle von „Das Böse“ im ideellen, metaphysischen Sinn nun vor allem und vermehrt DEN und DIE bösen Menschen zu reflektieren und zu analysieren.
Dabei wird nicht geleugnet, dass jeder Mensch in einzelnen seiner Taten auch böse ist, aber diese alltägliche Boshaftigkeit ist etwas anderes als die grausame Tat, wie das(Kriegs-) Verbrechen usw.
Der Philosoph Martin Seel hat in seinem empfehlenswerten Buch „111 Tugenden – 111 Laster“ (Frankfurt M. 2012) gezeigt, dass alle von ihm vorgestellten Tugenden auch zu Lastern werden können und ebenso alle Laster auch zu Tugenden werden können. In diesem “Hin und Her” zwischen Tugend und Laster bewegen sich die Menschen.

Nur ein Laster wird nie eine Tugend: Die Grausamkeit (S. 30-31). „Der Grausame nimmt die Schmerzen seines Gegenüber nicht wahr, oder sie sind ihm gleich – oder er ergötzt sich daran… Er sieht nur sich und seine Begierden und Ideale: Eine Extremform der Egomanie und Bösartigkeit, von der auch staatliche wie nichtstaatliche Vereinigungen befallen sein können…Wer anderen gegenüber habituell grausam ist, ist es zugleich gegen sich selbst. Der Grausame muss eine Härte auch sich selbst gegenüber entwickeln, mit der er die eigenen Regungen under Zartheit und des Mitleids, der zugestandenen Unsicherheit und Schwäche unterdrückt…Sein Tun ist nicht einmal zu seinem Guten“ (S. 31). Hanna Arendt sagt in ihren Vorlesungen “Über das Böse” (München 2015, Seite 42) zum Sadismus als dem Tun des Bösen um des Bösen willen: “Sadismus ist das Laster aller Laster”.

8.

Jeder und jede wird bei diesen Sätzen zu den grausamen Bösen (Sadisten) konkrete Leute nennen, nicht nur Hitler oder Stalin usw., sicher heute auch die jetzige Clique der Führer in der russischen Diktatur. Und man wird sich in dem Zusammenhang fragen, ob die Politiker in Europa, vor allem in Deutschland, die geistige und moralische Kraft hatten, die Bösen (Menschen, Politiker) als solche, etwa in Russland, RECHTZEITIG zu erkennen.

Mit anderen Worten: Wer sich vor allem für DAS Böse als Idee usw. interessiert, übersieht DEN Bösen.

9.

Wer das Böse bekämpfen und überwinden will, muss also konkret den Bösen oder die Bösen verstehen, beim Namen nennen, bekämpfen und überwinden. Wer hingegen auf „DAS Böse“ fixiert bleibt, kann nur noch beten, dass das Böse, das Übel, der Teufel usw. bitte wieder verschwinden.

Wer nur „das Böse“ bekämpfen will, weigert sich, bewusst oder unbewusst, sich auf das politische Analysieren und das politische Handeln einzulassen. Nur dann wird außer Kraft gesetzt das „metaphysische Jammern“, das sich bekanntlich so äußert: „Das Böse hat sich wieder durchgesetzt“. Oder: „Gott hat uns verlassen“, „Die Apokalypse beginnt“, „Der Teufel und der Antichrist beginnen ihre Weltherrschaft“. Gegen solche diffusen Objektivierungen im Erleben böser Taten gilt es zu argumentieren. Sie verhindern den klaren Blick, und der gilt der deutlichen Analyse der bösen Tat eines bösen Menschen.

10.

Zur Erklärung und Vertiefung sollte man sich auf die Erkenntnisse von Immanuel Kant beziehen. Hier nur einige Grundlinien zu dem von Kant selbst als sehr komplex, als sehr schwierig verstandenen Thema „das Böse“.
Für Kant gilt: „Sittlich böse ist nur, was unsere eigene Tat ist“.
Der Ursprung des „Böses Tun“ zeigt sich in der Analyse der menschlichen Freiheit und der aus ihr folgenden Handlung. Es gibt für Kant keinen Naturtrieb im Menschen, böse zu sein.

Das Böses-Tun folgt vielmehr einer Maxime, die sich jemand frei wählt, also einen eigenen, bloß subjektiven Grundsatz, um dann von der allgemeinen Sittlichkeit abzuweichen. Der böse Mensch kennt also die moralischen Gesetze, die zum Guten aufrufen im Gewissen, aber setzt sich in freier Tat von diesen Grundsätzen ab und folgt seinen eigenen bösen Maximen. Dieser Mensch glaubt, für sich selbst Ausnahmen gelten zu lassen hinsichtlich der absoluten Gültigkeit des moralischen Gesetzes. Dieser Mensch, betont Kant, belügt sich selbst. Dabei bietet der kategorische Imperativ eine Art Kompass, der die Entscheidung erleichtert, was gut und was böse ist.

Das Setzen böser Maximen durch die Menschen ist für Kant nicht das Sich-Durchsetzen eines dem Menschen schon bereits vorgegebenen bösen Zustandes. Vielmehr: Das Setzen böser Maximen ist ein Gebrauch der Freiheit.

Aber wer sich für böse Maximen entschieden hat, also dann auch böse handelt und Böses in die Welt setzt, hat für Kant aber noch das Erlebnis einer Pflicht, die ihn aufruft, sich zu bessern. Diese Veränderung der Denkungsart des bösen Menschen ist so umfassend, dass sie Kant eine „REVOLUTION der Denkungsart“ nennt. Diese Änderung entspricht, so wörtlich, der „Heiligkeit der Pflicht“, die fordert, dem Gewissensspruch zu entsprechen. Wer guten Maximen folgt, also dem universalen moralischen Gesetz folgt, lebt als eine Art „neuer Mensch“ dann im Reich der Tugend, und dieses Reich ist so etwas wie das Reich Gottes auf Erden.

Es gibt für Kant also keine böse Natur des Menschen, der Mensch ist für Kant nicht wesentlich, nicht vom Wesen her böse, wie bestimmte (vor allem klassisch-protestantische) Theologen in Treue zu Augustinus aus dem 5. Jahrhundert noch heute sagen.

Es gibt aber für Kant im Menschen einen „Hang“ zur Annahme böser Maximen, einen Hang, nicht moralischen Maximen zu folgen.

11.

Diese Erkenntnisse hat Hannah Arendt vertieft, etwa auch in der genannten Vorlesung aus dem Jahr 1965 “Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik”. Sie legt allen Nachdruck darauf, dass jeder Mensch zum Gespräch mit sich selbst (auch Reflexion genannt) in der Lage ist. In diesem prüfenden Gespräch des Menschen mit seinem eigenen Denken und seinem Tun erlebt der Mensch, wie ihm der eigene Geist, die Vernunft, die Möglichkeit der guten und der bösen Entscheidung freilegt. “Das moralische Gesetz in mir (von dem Kant spricht) erhebt meinen menschlichen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit , in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwwelt unabhängiges Leben offenbart” (ein Zitat, das Arendt auf S. 35 f des genannten Buches bietet, es stammt von Kant selbst aus seiner “Kritik der praktischen Vernunft”, A 289).

Hannah Arendt legt allen Nachdruck darauf, dass das, was Gewissen genannt wird, heute als Bewusstsein seiner selbst verstanden werden sollte, als “die Fähigkeit, mit deren Hilfe wir uns selbst kennen und wahrnehmen” (S. 49). Nur wer zum Gespräch mit sich selbst bereit ist, hat die Chance, Gutes zu tun... “Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane niemals Gedanken verschwendet haben und ohne Erinnerung kann nichts sie zurückhalten” (S. 77). Die schlimmsten Typen sind also “die gedankenlosen Kreaturen” (S. 76). Wer total zum Bösen abgedriftet ist, realisiert das “wurzellose Böse, dann  gibt es keine Person mehr, der man je vergeben könnte” (S. 78).

12.

Zurück zu Kant: Dies sind die Perspektiven, die Kant eröffnet: Der Mensch kann sich in seiner Freiheit entscheiden, er kann gegen sein Gewissen handeln und Böses tun, also etwa aus politischen und wirtschaftlichen Interessen Mord und Totschlag freiwillig begehen. Mit diesem Denken, das als Denken dem verbrecherischen Handeln vorausgeht, wird ein Mensch durch seine Entscheidung ein böser Mensch. Hier ist die Rede von Menschen, die zu einer eigenen Reflexion und zur eigenen freien Entscheidung in der Lage sind, das sind wohl die meisten. Nicht gemeint sind Mörder, die aufgrund einer physischen Abartigkeit etwa ihres Gehirns, zu einem zwanghaften bösen Tun getrieben sind.

13.

Das Handeln in Freiheit hat naturgemäß immer persönliche und genauso auch gesellschaftliche Voraussetzungen. Wenn etwa die Geld-Gier oberste Norm für viele Menschen in der Gesellschaft ist oder der Nationalismus und die Sehnsucht nach dem allmächtigen, starken Staat, dann kann der einzelne sich nur mit Mühe diesem Trend entziehen… und nur mit Mühe moralisch gut leben. Man denke etwa an das Eingebundenen der meisten Menschen in die kapitalistische und neoliberale „Ordnung“, an deren Verheißungen in der total gewordenen Werbung und dem Konsumismus. Unter diesen Bedingungen nicht gierig und böse zu werden, ist schwer und gelingt in alternativen Gruppen.
Diese Gewöhnung an das Böses-Tun kann so stark werden, dass für den Täter bzw. die Täter keine Umkehr zur Vernunft und Menschlichkeit möglich erscheint. Im individuellen Bereich werden solche Täter in Rechtsstaaten bestraft und eingesperrt, in der Politik muss der Rechtsstaat im äußersten Fall diese Leute isolieren und ausschalten.
Dabei steht auch fest: Wer Mörder bestraft oder mörderische Politiker ausschaltet, ist als freier Mensch auch selbst immer gefährdet, seine eigene Freiheit zu missbrauchen. Es gibt also nicht einerseits “den Bösen“ und „den Guten“ auf der anderen Seite. Wer aktuell Böse bestraft, war vielleicht selbst einmal böse oder wird böse.

14.

Wer über Böses nachdenkt, sollte den Menschen analysieren und nicht in ideelle metaphysische Welten ausweichen. Diese vernebeln nur die Klarheit im Verstehen oder sie führen zu Ausreden und Entschuldigungen, etwa: „Nicht ich war schuld am Böses-Tun, es war der Teufel, die Erbsünde, die Partei, die Kirche usw., die mich zur Tat angetrieben hat“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Jegliche Beziehung mit dem Moskauer Patriarchen abbrechen!

Der französische orthodoxe Theologe Jean-Francois Colosimo nennt Patriarch Kyrill einen Mafioso.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.4.2022. Siehe auch: LINK

Ergänzt am 7.4.2022: Diese Hinweise zu Patriach Kyrill von Moskau, dem Putin – Freund, sind von besonderer Aktualität: Vom 31. August bis 8. September 2022 wird eine Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (Genf) in Karlsruhe stattfinden. Das katholische DOM-Radio (Köln) berichtet am 6.4.2022, die Katholische Nachrichten Agentur KNA zitierend: “Die russisch-orthodoxe Kirche will daran teilnehmen und hat bereits eine Delegation von 22 Mitgliedern unter Führung von Außenamtsleiter Metropolit Hilarion Alfejew benannt. Dazu gehört übrigens auch der neue Patriarchalexarch von Afrika, Metropolit Leonid von Klein, der eine Parallelstruktur zum eigentlich für Afrika zuständigen orthodoxen Patriarchat von Alexandria aufbauen soll”.

1.
In der Pariser Wochenzeitung „Réforme“, einer Publikation französischer Protestanten, wird jetzt (am 30.3.2022) ein sehr wichtiges Interview veröffentlicht mir dem orthodoxen Theologen, Historiker und Schriftsteller Jean-Francois Colosimo. Er ist heute Leiter des katholischen Pariser Verlages „Les Editions du Cerf“, zuvor war er Präsident des orthodoxen Studienzentrum St. Serge in Paris. Colosimo bewertet die Verantwortung des Moskauer Patriarchen Kyrill für die Verbrechen im Putin-Krieg gegen die Ukraine als „außerordentlich und erdrückend“.

Wir übersetzen zwei Passagen des Interviews, das Jean-Luc Mouton mit Colosimo geführt hat. Deutlich wird in den Interview der Zeitschrift Réforme u.a.: Kyrill hat es akzeptiert, eine Art „heiliger Diener“ des Putin-Regimes zu sein. Kyrill vertritt die Putin-Ideologie: Der Westen sei von der Dekadenz der Sitten bestimmt, für Kyrill ist der Westen „der spirituelle Feind“, für Putin ist der Westen der militärische Feind. Diese gemeinsame religiös-politische Ideologie ist tödlich in diesem Krieg.

2.
“Der Patriarch: ein Milliardär und Mafioso”:
Der erste Teil einer Übersetzung des Interviews mit dem Orthodoxie-Spezialisten Jean-Francois Colosimo:

„Wir haben es mit Kyrill zu tun als einem kirchlichen Verantwortlichen, der schon vom kommunistischen Regime verdorben wurde und der es akzeptiert hat, Beichtvater des Geheimdienstes FSB zu werden, also der Nachfolgeorganisation des KGB. Kyrill ist der Seelsorger der Oligarchen. Er selbst hat ein Vermögen von zwei Milliarden Dollars geerbt. Er hat von einem Gesetz der Douma, dem russischen Parlament, profitiert, das ihn von Steuern auf Waren befreite, die für die Kirche Russlands importiert werden. Kyrill ist also der erste Importeur von Zigaretten, Parfum und Taschen der Marke Louis Vuitton in Russland. Es reicht, den Stempel des Patriarchats auf die Gegenstände zu setzen, wenn sie an der Grenze ankommen und alles ist von der Steuer befreit. Wir haben es also mit einem Mafioso zu tun, nicht weniger und nicht mehr. In seinen Gottesdiensten ist er umgeben von Schutzpersonal, das aus dem KGB stammt. Er liest in den Gottesdiensten das Evangelium vor Milliardären, die ihr Vermögen auf blutige Weise erworben haben, und der Patriarch spricht sie los von ihren Sünden….
3.
“Alle ökumenischen Verbindungen mit dem Patriarchen von Moskau abbrechen”:

Es wäre gut, dass die Orthodoxe Welt und die ökumenischen Kreise jegliche Beziehung mit dem Patriarchen von Moskau abbrechen. Er repräsentiert heute einen Skandal für das universelle christliche Gewissen. Er ist ist ein „Anti-Ökumeniker“ geworden.
Die gemeinsame Zurückweisung seiner Person gibt uns die Gelegenheit, eine wahre ökumenische Tat zu vollbringen und uns zu sagen: Die Orthodoxen haben Kyrill wirklich nicht verdient, das gilt genauso, dass die Russen den Putin nicht verdient haben. Kein Volk auf dieser Welt braucht Putin. Und keine Kirche dieser Welt braucht Kyrill. Beide Gestalten sind Gespenster, die hervorgegangen sind aus der stalinistischen Epoche…
Kyrill ist verrückt geworden, er hat sich in einen sinnlosen Krieg begeben, er hat Zwietracht in der Orthodoxie geschaffen, er benutzt alle Mittel des Kremls, um den Ehrenprimas Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel zu zerbrechen.

Réforme, Hebdo protestante, 53 Av. du Maine, 75014 Paris.

www.reforme.net

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

 

 

Katholischer Bischof als Putin-Freund.

Bischof Marc Aillet, Bayonne, Frankreich und seine katholischen Putin-Freunde

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 31.3.2022.

1.
Die katholische Tageszeitung „La Croix“ (Paris) berichtet am 31.3.2022 von den zahlreichen Putin-Freunden in Frankreich heute. Die Zeitung nennt an erster Stelle den katholischen Bischof von Bayonne, Marc Aillet. Er hatte am 21.3. 2022 im katholischen Radio-Sender „Présence“ mitgeteilt, dass er „keine autorisierte Wahrnehmung hat von diesem Krieg (Putins gegen die Ukraine)“, er lese zwar die Zeitungen. „Aber ich habe nicht genug Abstand, um zu verstehen, was da passiert“.
Nach einem Monat Krieg hat der 65 jährige Bischof also kein Urteil über den Krieg? Die katholische Tageszeitung nennt diese Auskunft des Bischofs auf ihre vornehm-kirchentreue Art „klug und vorsichtig“ (prudent). Sie wird dafür aber vom Bischof nicht belohn: Aillet weigert sich, Fragen der katholischen Tageszeitung zum Thema zu beantworten!

2.
Dabei weiß diese Zeitung genau, wie stark die Verbindungen des katholischen Bischofs von Bayonne mit Russland und Putin und der Orthodoxen Kirche sind. Und sie erinnert vor allem daran, dass dieser Bischof mit seinen Freunden aus dem katholisch-reaktionären Lager Frankreichs im April 2014 Moskau sozusagen aus eigener Initiative, ohne Auftrag der Bischofskonferenz, besucht hat. Denn, so sagte der Bischof, er suche mit seiner Gruppe „Unterstützung der christlichen Moral in Russland“. Und das sagte er, nach dem Putin kurz vorher die Krim okkupiert hatte…
Begleitet wurde der Bischof von bekannten „Pro-Life-Lebensschützern“, wie Caroline Roux und von Thierry de Villejégu, der Generaldirektor der Stiftung Jerome Lejeune. (Dieser war Genetik und Pro-Life-Anhänger, dicker Freund von Papst Johannes Paul II., bald soll Lejeune selig gesprochen werden!) und von Gregor Puppinck, der in Kontakt steht mit Philippe Ryabykh, dem Repräsentanten des Moskauer Patriarchats beim Europa-Rat! Auch das gibt es. Puppinck steht mit der konservativen Hochschule Stift Heiligenkreuz in Österreich in Verbindung.
Die Gruppe der französischen Katholiken mit Bischof Aillet wurde jedenfalls im April 2014 von hohen Vertretern des Moskauer Patriarchen empfangen, vor allem von dem für Internationales verantwortlichen Metropolit Hilarion, er ist enger Mitarbeiter des Patriarchen Kyrill (ehem. KGB Mitarbeiter) und eine Art Vertrauter von Papst Franziskus: „La Croix“ schreibt: „Metropolit Hilarion hat auf die gemeinsamen (!) Positionen des Moskauer Patriarchats und des Bischofs mit seinen Freunden hingewiesen, diese gemeinsamen Positionen beziehen sich auf die Familie und die Würde des menschlichen Lebens“. Auch eine Begegnung der Franzosen mit Erzpriester Dimitry Smirnov bleibt in Erinnerung, er war Präsident der Kommission für die Familie, die der Patriarch eingerichtet hat: Smirnov erlaubte es sich zu behaupten, dass die Frauen weniger intelligent sind als die Männer, als Beweis dafür nannte er die Tatsache, dass keine Frau Weltmeisterin im Schach-Spiel wurde…(Quelle:https://blogs.mediapart.fr/pierre-haffner/blog/020420/l-eveche-de-bayonne-roule-pour-moscou)
Zu den Begegnungen mit politischen Führern in Moskau sagte Bischof Aillet 2014: Putin bemühe sich, die traditionellen Werte der Heirat und der Familie zu stärken. Und weil Putin gerade kurz vorher die Krim okkupiert hatte, meinte der Bischof wiederum „klug“: „Es war für uns keine Frage, dass wir uns nun in die internationale Politik einschalten“.

3.
Bischof Aillet liebt es nicht, für Klarheit und Transparenz hinsichtlich der Finanzierung seiner Projekte und Reisen zu sorgen. Schon für seinen internationalen Kongress PRO Life 2012 war nur diffus von privaten Spenden die Rede. Der Journalist Jean-Sébastien Mora von „Enbata.Info“ betont: „Wie für die Partei Front National von Marien Le Pen ist auch die Transparenz der Finanzen von Bischof Aillet abwesend“, man denkt daran, dass auch Gelder aus Russland flossen? Die Studie von Jean-Sebastian Mora über Bischof Aillet verdient viel Beachtung. LINK: https://www.enbata.info/articles/mgr-marc-aillet-cheval-de-troie-de-lintegrisme/

4.
Dieser Moskau Besuch von Bischof Aillet und seiner Freunde aus der katholisch-reaktionären Ecke hatte 2014 kurz für Irritationen innerhalb der Bischofskonferenz gesorgt…Aber „dieser Fall“ wurde schnell vergessen, zu viele konservative und reaktionäre Bischöfe gibt es offenbar inzwischen in Frankreich, man denke nur an den Aillet-Freund Bischof Dominique Rey von Toulon, zu viele Skandale wegen sexuellen Missbrauchs durch Priester usw., so dass solch diese bischöfliche Exkursion nach Moskau vergessen wurde.
Nun aber meldet sich Aillet wieder zu Wort und verheimlicht nicht seine Sympathien für Putin und dessen christliches Reich. Denn dass Putin die christlichen Werte fördern will, daran gibt es für den Bischof kaum Zweifel. Er wird dabei unterstützt von Alain Escada, dem Präsidenten der katholisch-integristischen (=kletrikal-reaktionären) Gesellschaft CIVITAS. Escada erklärte: „Wir bedauern, dass Leute (jetzt im Krieg) sterben, aber mit seiner Anstrengungen einer Neuaufstellung der Familienpolitik und der Christianisierung verbleibt Russland auf einem interessanten Weg“. Der Historiker und Russland-Spezialist Professor Yves Hamant (Paris) urteilt über diese Äußerungen:“Heute sehen bestimmte Katholiken in Russland eine Zitadelle der Christenheit, und im weiteren Sinne: Die politische Rechte insgesamt betreffend, diese projiziert auf Russland eher kitschige Bilder und Werte, wie „das heilige Russland“, „die russische Seele“ und „den slawischen Geist“.

5.

Über Bischof Marc Aillet wurde in Frankreich vieles Kritische publiziert… Er ist Mitglied einer konservativen „neuen Gemeinschaft“, der Priester von heiligen Martin, seine extrem-autoritäre Amtsführung hat zu heftigsten öffentlichen Protesten vieler Priester seines Bistums geführt, die den Papst um Absetzung dieses Herrn baten… Aber nichts passierte bis jetzt, Aillet gilt als Schützling von Papst Benedikt XVI, so Christian Terras in „Trombinoscope des Eveques 2016, Edition Golias, S. 65.
Siehe auch zum Protest der Priester gegen ihre Bischof: https://www.la-croix.com/Religion/France/Fronde-dans-diocese-Bayonne-reponse-Mgr-Aillet-2016-12-12-1200809935

6.
Jetzt hat sich die katholische Kirche Frankreichs – kurz vor den Präsidentschaftswahlen im April 2022 – mit einem bischöflichen Putin-Versteher und seinen ebenso gesinnten reaktionären Freunde auseinanderzusetzen. Sehr viele wissen es inzwischen, nur die katholischen Bischöfe nicht: Die meisten der Pro-Life Aktivisten und Pro-Life Ideologen sind zuerst und vor allem politisch reaktionäre Leute, oft den rechtsextremen Parteien nahestehend.

Der Beitrag über die französischen Putin Freunde in “La Croix”: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon Berlin.

Weiterreden mit dem Kriegstreiber Patriarch Kyrill von Moskau: Ein Skandal.

Dagmar Heller, evangelische Spezialistin für die Ostkirchen, plädiert für Nachsicht für den nationalistischen Ideologen Kyrill.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Siehe auch: “Alle Kontakte mit Kyrill abbrechen”: LINK

1.
Putin führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Tausende sterben, Städte (Mariupol usw.) werden von seinem Militär aufs brutalste zerstört, die dort eingeschlossen Menschen krepieren.
Patriarch Kyrill (Kirill) von Moskau unterstützt Putin dabei seit langem ideologisch-religiös.
Beide, Präsident und Patriarch, sind Aggressoren und Kriegsverbrecher.

Darf man, als vernünftiger Mensch, als vernünftige Organisation, auch als religiöse Organisation (Kirche) mit solchen Leuten noch Dialoge führen? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Man muss ihnen die Macht nehmen, um der Menschlichkeit und des Friedens willen. Diese Herren im Kreml sind ins Töten, in Kriegführung, vernarrt.

2.
Diese Analyse könnte der Ausgangspunkt sein für einen Beitrag einer evangelischen Spezialistin für die Orthodoxen Kirchen: Die Frage könnte sein: Wie isolieren westliche Kirchen diesen Patriarchen, diesen geistlichen Kriegstreiber, der sich unverschämt auch noch „Heiligkeit“ nennt. Eine solche ökumenische Verurteilung aller Kirchen würde seinen geistlichen Thron ins Wanken bringen. Der Patriarch stände förmlich nackt da. Und das würden die Russen auch erfahren und sich glaubwürdigen Geistlichen anschließen.

3.
Aber was tut die evangelische Spezialistin? Sie plädiert nach traditioneller Masche, üblich in kirchlichen Kreisen: „Weiter reden mit Kyrill“. Sie gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass dieser Kriegstreiber auf „geschwisterlich mahnende Worte“, so wörtlich, der westlichen Ökumene hört.
Dabei weiß jeder bei gründlicher Zeitungslektüre, dass seine Heiligkeit in Moskau nachweislich absolut unfähig zum Dialog ist. Die Spezialistin nennt auch keine konkreten Schritte, wie denn das „Weiterreden mit Kirill“ gestaltet werden sollte. Man könnte ja auf den Gedanken kommen und fordern: Heiligkeit, öffnen sie alle ihre Kirchen für Gespräche, stellen Sie Weihrauchfässer und Ikonen beiseite, stellen Sie Stühle auf und nehmen die demokratischen Oppositionellen auf in ihren Kirchen, wie dies einst die evangelische Kirche in der DDR tat. Aber nein, soweit reicht die Phantasie nicht. So genannte „Gotteshäuser“ haben doch nur Sinn, wenn sie Häuser für Menschen sind. Oder?
Ich beziehe mich auf einen jetzt publizierten Beitrag der Theologin und Expertin für Ostkirchen (Orthodoxe) Dagmar Heller (Bensheim). Kyrill“. Der Artikel erschien in der Zeitschrift Publik – Forum vom 25.3.2022, S. 35.

4.
Das sind die Fakten: In der Presse demokratischer Staaten ist dies nachzulesen: Die Russisch-orthodoxe Kirche und ihr Patriarch Kyrill sind die ideologische Stütze der Putin Diktatur und der Putin Verbrechen. Diese Kirche und ihren Chef, den Kriegstreiber Patriarchen, auch international zu isolieren, ist eine Hauptaufgabe.
Alle Hoffnungen auf Dialog mit ihm haben sich als Ausdruck naiven Denkens erwiesen. Hätte die Kirche, vergleichsweise mit Stalin Dialoge führen können? Hätte die Kirche mit Hitler Dialoge wegen der Ermordung der europäischen Juden führen können? Nein, für solche netten naiven Dialoge war es immer schon viel zu spät.… Weil die Kirchen und ihre angeblich klugen Theologinnen auch damals vor lauter Angst träumten…

5.
Nun gibt es eine sehr interessante Aussage in dem genannten Beitrag in Publik-Forum: Welches theologische und sicher auch humane Kriterium gilt denn eigentlich, das die Mitgliedschaft einer bestimmten Kirche eines bestimmten Staates im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf begründet.
Die evangelische Theologin und Ostkirchen-Spezialistin Dagmar Heller (Bensheim) gibt jetzt darauf die Antwort:
„Kriterium für die Mitgliedschaft im ÖRK ist…das Bekenntnis zu Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift und das gemeinsame Erfüllen dessen, wozu Gott die Kirchen berufen hat“. Mit anderen Worten: Wer die uralten dogmatischen Bekenntnisse der Heiligen Schrift korrekt verbal wiederholt, kann als Kirche zur weltweiten christlichen Ökumene gehören. Kriterium der Mitgliedschaft einer Kirche ist also ein rein spirituelles, dogmatisches Thema.
Wenn eine Kirche sagt: Jesus ist nicht Gottes Sohn, sondern ein inspirierendes Vorbild, würde diese Kirche aus ideologisch-theologischen Gründen NICHT Mitglied im ÖKR werden. Wenn eine Kirche aber einen Kriegstreiber – Patriarchen als Chef hat, was dann? Hinzu kommt dann auch ein zweites, ultrakurz erwähntes Kriterium: nämlich „das Tun dessen, wozu Gott die Kirchen berufen hat“.

6.
Was soll das heißen? „Das Tun dessen, wozu Gott die Kirchen berufen hat“?
Alle ernstzunehmenden heutigen Theologen betonen: Gott hat die Kirchen berufen – wenn man denn fundamentalistisch Gott als Kirchengründer überhaupt ansprechen will – nicht nur feierliche Liturgien zu zelebrieren und diakonisch zu helfen, sondern auch für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten.

An dieser Stelle wird für kritische Beobachter der russischen Orthodoxen Kirche und ihre Patriarchen Kyrill klar und deutlich: Für Frieden und Gerechtigkeit tritt diese Kirche unter der Führung dieses Patriarchen jetzt nachweislich NICHT ein. Dafür gibt es viele Belege, die hier als bekannt nicht erwähnt werden müssen; am deutlichsten ist Patriarch Kyrills Brief vom 10. 3.2022, in dem dieses geistliche Oberhaupt betont: Urheber der Auseinandersetzungen jetzt mit der Ukraine seien die politischen Kräfte des Westens, der Westen will Feindschaft schaffen zwischen Russen und Ukrainern. Es sind die Kräfte des Bösen, die sich als Feinde der russischen Armee entgegenstellen, es ist der perverse, z.T. homosexuell geprägte verderbte Westen, der zum Krieg getrieben hat…. Alle diese Äußerungen des Patriarchen sind nichts anderes als ideologisch verkleisterte, lügnerische Worte, die auch Putin wortgleich verbreitet. LINK

7.
Angesichts dieser Analyse müssen kritische Beobachter und kritische Theologen denken: Bei dieser totalen Abweisung eines umfassenden Friedens – Engagements gehören weder der Patriarch noch die Russisch-orthodoxe Kirche zur Weltgemeinschaft der Ökumene. Denn sie missachten das zweite Kriterium der Mitgliedschaft im ÖKR.
Die Russisch-orthodoxe Kirche sollte also auch kirchlich, kirchlich-international-weltweit, wegen ihrer direkten und indirekten Teilnahme an der Zerstörung der Ukraine bestraft werden. Sehr viele Institutionen der demokratischen Staaten in Europa trennen sich jetzt explizit von russischen Organisationen und bestimmten Milliardären aus dem inneren Putin-Zirkel. Die Liste dieser sinnvollen Abbrüche von Zusammenarbeit und Dialog ist lang, sie kennt allmählich jeder. Nur die Kirchen setzen in ihrer Naivität auf die Illusion „Weiter reden mit Kyrill“.

8.
Eines Tages, wenn Putin einmal verschwunden ist und mit ihm sein Freund, Patriarch Kyrill, kann eine erneuerte, dann aber hoffentlich gründlich entstaubte und reformierte Russisch-orthodoxe Kirche wieder Mitglied der weltweiten Ökumene werden. Aber jetzt ist Schluss mit unseren naiven Dialogen! Nur wenn Kyrill international isoliert ist und als Kriegstreiber allüberall geächtet wird, kann eventuell seine Bekehrung zur Vernunft und zum Evangelium stattfinden?
Und auch das: Wer sich als Pope und Mönch, als ROK Mitglied, von dieser Ausgrenzung Kyrills aus der Ökumene nicht berührt sieht, kann sich ja öffentlich melden und sagen: Wir denken anders. Vielleicht wird dann die schwache Opposition in Russland etwas gestärkt.

9.
Das könnte man also denken, wenn man den Hinweis von Dagmar Heller zum Kriterium der Mitgliedschaft einer Kirche im ÖKR liest. Aber nein, es kommt ganz anders: Die Ökumene Spezialistin und Kennerin der Ostkirchen (Orthodoxie), kommt nach ihrer zitierten Aufzählung der Kriterien für eine Mitgliedschaft im ÖKR zu dem Schluss: „Davon hat sich die Russisch-orthodoxe Kirche – bisher jedenfalls – nicht entfernt“.
Solches im Ernst heute zu schreiben und zu veröffentlichen, ist schlicht und einfach und objektiv skandalös! Die Theologin und Spezialistin für die Orthodoxie glaubt allen Ernstes, dass noch immer die Russisch-orthodoxe Kirche ein gutes und braves und treues Mitglied der weltweiten Ökumene ist. „Bisher jedenfalls“, heißt ihre kurze, nicht weiter erläuterte Einschränkung. Unter welchen Bedingungen diese Einschränkung aufgehoben wird, sagt die Theologin aus Bensheim nicht.

10..
Vielleicht besinnt sich seine Heiligkeit bald nach den ersten Giftgas Angriffen seines Meisters Putin dann doch auf das Evangelium des Friedens und der Menschenwürde. Aber wahrscheinlich ist so viel kritische Einsicht bei diesem Typen Kyrill nicht, einem KGB Mann wie Putin und wie sein Meister auch an die ständige Vermehrung des privaten Reichtums gebunden. Diese Fakten wurden und werden von anerkannten und wirklichen Kennern der ROK seit Jahren betont und dokumentiert, man denke nur an die Studien von Prof.Michail Ryklin (Berlin-Moskau), etwa in „Lettre International“.

Erstaunlich: Weder vom KGB Mann Kyrill noch von dessen immensen Reichtum ist in dem Beitrag von Frau Heller die Rede. Und sie erwähnt auch nicht, wie diese orthodoxen Heiligkeiten, Patriarchen genannt, schon seit den neunzehnhundertsechziger Jahren Mitarbeiter im KGB waren und dort als solche den ÖKR bespitzelten und irgendwie auch beeinflussten? Aber das ist anderes Thema.

11.
Dagmar Heller versteigt sich dann noch zu der These, ein Ausschluss der ROK aus der Ökumene würde bedeuten: Auch die Ukraine aus der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft auszuschließen. Wie das? Die Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchates in der Ukraine hat sich längst aus dieser Beziehung mit dem Moskauer Patriarchat gelöst und sich dem Patriarchen von Konstantinopel angenähert, wie dies auch eine einige kritische russisch-orthodoxe Gemeinden tun, wie etwa die Gemeinde in Amsterdam.

12.
Die Argumente der Theologin sind zudem etwas verworren, denn sie schreibt auch: „Hier muss man dem Patriarchen (von Moskau) Realitätsferne, wenn nicht gar Verblendung bescheinigen“. Dieses insgesamt sehr treffende Urteil aber bleibt völlig marginal, die Autorin bezieht sich dabei nur auf die Tatsache, dass es längst keine Einheit mehr der einen, russischen Orthodoxie in der Ukraine gibt.

13.
Es muss ein Ende gemacht werden, dass die Herren des Kremls denken:“ Na ja, die Christen in Europa und Amerika sind uns und unserer „Operation“ (d.h. Krieg) so wohlgesinnt, dass wenigstens sie unseren religiösen Ideologen Kyrill schonen. Die westlichen Kirchen wollen mit unserem religiösen Ideologen Kyrill also reden, wie nett“.
Und die Herren des Kremls und seine Heiligkeit in Moskau werden deswegen mittlere Lachkrämpfe bekommen und jubeln. „Weiter so Ihr Lieben, das stärkt uns…“

14.

Es kommt alles darauf an, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden, und das heißt zunächst: Den Kriegsherrn Putin und sein Team zurückzudrängen und machtlos zu machen.

Zu diesem Putin-“Team” gehört als ideologisch-religiöser-nationalistischer Antreiber auch der Patriarsch von Moskau, seine “Heiligkeit” Kyrill. Auch dieser Kreml-Herr soll international isoliert werden, indem die Christenheit der Welt in seltener Einmütigkeit bekennt: Dieser Kyrill gehört nicht mehr zu uns, zu einem Christentum, das die Friedensbotschaft Jesu von Nazareth ernst nimmt und genauso der politischen Reflexion und Vernunftm also den universalen Menschenrechten, verpflichtet ist.

Diese Klarheit der Grenzziehung und Abwehr von Kyrill wird in dem genannten Beitrag der Theologin Dagmar Heller nicht erreicht.

Die Zeiten, auf Dialoge mit theologischen Kriegstreibern wie Kyrill zu setzen, sind vorbei. Die ökumenische Naivität ist vorbei. 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.