Philosophie als Lebenshilfe in turbulenten Zeiten

Hinweise von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 24.2.2015

Wir haben uns heute wieder ein aktuelles Thema vorgenommen. Die Einsicht heißt: Angesichts des Rechtspopulismus und Nationalismus fast überall in Europa und in den USA erleben sehr viele, dass Idee und Realität der Demokratie immer mehr bedroht sind. Dadurch sehen viele Menschen auch den Sinn ihres eigenen Daseins bedroht.

Welchen Beitrag kann Philosophie leisten für die Rettung und Neugestaltung einer Kultur der Demokratie? Ein weiteres Beispiel: Das Elend so vieler Millionen Menschen im Süden, also in Afrika Asien und Lateinamerika, ist objektiv erschreckend, es berührt aber so wenige. Die Gleichgültigkeit der reichen Welt, vor allem der schamlosen Super-Reichen, gegenüber dem Hungersterben, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Oder will man mit ein paar Spenden tatsächlich eine gerechte Welt aufbauen? Gleichzeitig werden immer mehr Waffen in Europa verkauft, immer mehr Kriege geführt. Das Massensterben der Flüchtlinge im Mittelmeer wird von den angeblich christlichen Europäern eher distanziert als bürokratisch-politisches Problem behandelt. Diese Welt, so könnte man meinen, ist strukturell „ver-rückt“. Und in dieser Welt sollen wir als Menschen uns als Menschen entwickeln … wie kann das noch gelingen?

Bei all diesen Herausforderungen kann Philosophie nicht unmittelbar, schon gar nicht technisch-praktisch, eingreifen.

Philosophie und damit deren lebendiger Vollzug, das Philosophieren, kann nur grundlegend und sozusagen an der Basis von Geist und Vernunft dem einzelnen und den Gruppen Aufklärung bieten. Philosophie kann prinzipiell von falschem Denken befreien, sofern sich die Menschen noch vom Denken und Korrekturen des eigenen Denkens leiten lassen. Ist die Unkultur massenhafter Verdummung, sorry, noch zu stoppen?

Philosophie ist eine akademische Disziplin an den Universitäten. Philosophie ist aber vom Ursprung in Griechenland her immer auch eine Reflexion auf Lebensformen. Philosophieren selbst ist dann für den einzelnen eine Lebensform. Vielleicht bietet die Reflexion auf diese Lebensform eine Möglichkeit, sich dann deutlicher auch politisch einzusetzen. Darauf hat eindringlich der Philosoph Pierre Hadot in zahlreichen Studien hingewiesen.

Eine Hinweis zu Sokrates (469 bis 399 vor Christus).

Von ihm selbst verfasste Schriften sind nicht überliefert, sein Denken, auch seine Biographie, können wir vor allem aus den Büchern Platons entnehmen. Die Dialoge unter dem Titel Apologie, Kriton und Phaidon sind sicher die bekanntesten Texte, die sein lebendiges Denken mitteilen. Die frühesten Dialoge sind Ion, Laches, Charmides und Euthypron, sie zeichnen in etwa ein Bild des historischen Sokrates….

Für unseren Zusammenhang ist wichtig: Sokrates war philosophisch aktiv in der Öffentlichkeit Athens, vor allem in der Zeit des Peleponnesischen Krieges (431 bis 404). Sokrates lebte in einer Zeit, als die Seemacht Athen gegen die Landmacht Sparta kämpfte. Die demokratische Verfassung Athens blieb zwar weithin erhalten, aber es gab kurze Intermezzi von oligarchischen Regierungen.

Wichtig ist: Sokrates glaubte an einige wenige allgemeine und allgemein gültige und verbindliche Erkenntnisse als Lebenswahrheiten. Er war von einer unbedingten Gültigkeit einer ethischen Praxis überzeugt: „Besser ist es Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun“.

Sokrates wehrte sich gegen populäre philosophische Lehrer, die man Sophisten nannte, spitzfindige, eher gerissene Denker, die den Leuten eher zu Munde redeten und eher mit Wortspielen Verwirrung stifteten. Sie behaupteten: Ethik ist nichts als ein Produkt von Menschen, die sich einfach wegen gemeinsam geteilter Überzeugungen durchsetzen. Neue Studien zur populären Bewegung der Sophisten zeigen zum Teil ein eher positives Bild der Sophisten. Bezeichnend vielleicht, dass Nietzsche die Sophisten lobte, Sokrates hingegen ablehnte.

In dieser Situation von Krieg und Unsicherheit entwickelte Sokrates seine Philosophie: Er setzt ganz auf den öffentlichen Austausch von Argumenten; er befragt die üblichen Überzeugungen und Traditionen seiner Gesprächspartner, sucht mit ihnen eine gültige Wahrheit zu entdecken. „Er ist überzeugt, seine Untersuchungen müssen eine lebenspraktische Relevanz haben“, betont der Züricher Michael Hampe. Dies gelingt nur, indem Sokrates seine Gesprächspartner existentiell und im Denken aufscheuchen will.

Sokrates fragt also: Kennst du dich aus in deinem Sprechen, weißt du, was du denkst? Im Dialog selbst zeigt sich, dass du unreflektiert bist. Sokrates will etwas in Bewegung bringen. Und dies ist die Seele. Denn die Seele selbst ist Bewegung, Lebendigkeit, sie sucht nach dem lebenswerten Leben. Darin wird der Logos entdeckt.

Im Zerfall und der Krise des Staates könnten eigentlich allgemein-vernünftige Argumente im Dialog helfen. Sokrates will nicht überreden, er will nicht die Massen manipulieren mit Sprüchen. Darin sieht er nur eine Form der Gewaltherrschaft.

Sokrates wendet sich in seinen Dialogen an den einzelnen. Er will im Gespräch beim anderen hervorbringen, was an Wahrheit in ihm steckt. Er nennt dies Maieutik, eine Art geistiger Entbindung.

Hanna Arendt sagt: „Sokrates will der Wahrheit des Bürgers auf die Welt helfen… Die Rolle des Philosophen besteht also darin, die Bürger permanent zu irritieren, in dem von Sokrates gebrauchten Bild: Wie eine lästige summende Bremse zu sein, also wie ein lästiges Insekt“ (63).

Dabei ist für Sokrates klar: Einzig das Wissen vom eigenen Nicht-Wissen ist der Schlüssel, um sich der Weisheit anzunähern. Die Weisheit im Sinne Platon ist ja das Göttliche selbst, also eigentlich ist vollkommene Weisheit für den Menschen, besonders für den Philo-Sophen, also den Freund der Weisheit, nicht erreichbar. Es geht auch in der Philosophie immer nur um Annäherung an die Weisheit.

Ich zitiere aus der Apologie, da lässt Platon Sokrates sagen (in einer Übersetzung von Friedrich Schleiermacher):

„Bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangst, und für Ruhm und Ehre, für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, dass sie sich aufs beste befinde, sorgst du nicht und hieran willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl daran, werde ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mich dünkt, er besitze keine Tugend, behaupte es aber: so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher“.

Was bedeutet das für uns heute?

In Zeiten der Krise gilt es, die Seele im Dialog zu heilen, also umfassend und offen miteinander sprechen. Der Dialog ist eine geistige Übung. Auch mit der Bereitschaft, dass wir und die Menschen um uns herum tatsächlich (noch) unreflektiert leben. In diesem Eingeständnis allein liegt geistiges und seelisches Wachstum.

Das Sich Orientieren beginnt mit dem Eingeständnis des Nicht-Wissens.

Ein Hinweis zu Marc Aurel

Marc Aurel (l21 bis 180 n.Chr.), er war römischer Kaiser seit 161 nach Chr. Er ist der bekannteste (Stoa) Philosoph als Herrscher.

Er regierte zu einer Zeit, als Kriege im ganzen Reich ausbrachen, zuvor hatten schon Überschwemmungen, Erdbeben, verheerend Feuer, Epidemien die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.

In dieser verworrenen und gefährlichen Situation auf der ganzen Erde war nur ein Philosoph aus der Schule der Stoa geeignet, die Nerven zu behalten.

Die Stoa ist eine anspruchsvolle philosophische Schule, sie lehrt zum Beispiel: Das einzige, was der Mensch verändern kann, wofür er also verantwortlich ist, dies ist die eigene Moral, also das Leben nach den Prinzipien des Guten. Alles andere, etwa die biologische Verfassung, den Zustand der Erde usw. kann der Mensch nicht verändern. Darum sollte er sich also keine Sorgen machen. Wir sollen nur erreichen wollen, was wir erreichen können. Wir sollen vermeiden, was man vermeiden kann. Übel ist nur das, was von uns selbst abhängt. Diese Haltung ist zugleich eine Therapie.

Wer dem Guten entsprechend lebt, kann dabei durchaus Auswirkungen in der Politik erzielen. Aber politisches Handeln ist niemals Ausdruck von Aktionismus. Der Philosoph handelt aus reflektierter Überzeugung, er weiß von den Möglichkeiten und Grenzen öffentlichen Handelns. Er kann sozusagen eine philosophisch-spirituelle Haltung ausbilden.

Die innere Sammlung, die möglichst angstfreie Reaktion auf die Vorkommnisse: Darauf kommt es an. Und daran hat Marc Aurel gearbeitet als Stoiker. Er ist ein Philosoph der tiefen Krise, der Verwirrung.

Inmitten der Kriege schrieb er für sich selbst als Stärkung und Klärung die „Selbstbetrachtungen“, es sind Kommentare zur eigenen seelischen Entwicklung, es sind Hinweise auf eigene Schwächen. Diese Sätze, so sagen Philosophen wie Pierre Hadot, kann jeder sich auch heute kritisch vergegenwärtigen, die grundlegenden Erkenntnisse und Maximen kann man täglich sprechen, mit anderen besprechen. Diese Aufmerksamkeit für sich selbst, diese Sorge um die eigene Seele, ist entscheidend in Zeiten der Erschütterungen.

In der höchsten Gefahr hilft die reflektierte Ruhe. Hilft das Selbstgespräch, die Selbstkritik. Die Erkenntnis, dass der einzelne Mensch in einem großen göttlich zu nennenden Zusammenhang steht. Dass der Mensch schon immer in einem oft übersehenen großen Sinnzusammenhag steht, den keine Politik verderben kann. Dann kann man auch dem eigenen Tod gelassen begegnen. Lebe so, dass du dich in der Allnatur, wie die Stoa sagt, also dem Göttlichen, gegründet und geborgen weißt.

Dabei werden in einigen Sätzen der „Selbstbetrachtungen“ durchaus explizit Verbindungen zum politischen Handeln angesprochen:

Im Siebenten Buch der Selbstbetrachtungen heißt es etwa unter Nr. 54: „Überall und jederzeit steht es bei dir, gegen deine Zeitgenossen Gerechtigkeit zu beweisen“.

Im Neunten Buch, Nr. 5: „Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er es kann, der befiehlt es“.

Im Achten Buch, Nr. 7 „Einem vernünftigen Wesen geht es wohl, wenn es seine Triebe nur auf gemeinnützige Handlungen richtet“.

Im 10. Buch, Nr. 16: „Es kommt nicht darauf an, über die notwendigen Eigenschaften eines guten Mannes dich zu besprechen – vielmehr ein solcher zu sein“.

Nur so kann das Ziel erreicht werden, das Ziel, das die Stoa vorschlägt: Zur Seelenruhe finden. In der höchsten Krisenzeit kommt es darauf an, die Seelenruhe zu finden. Durch Üben. Durch Üben des Vernünftigen, der Philosophie, nicht der Sophisterei, nicht der Esoterik in den verschiedenen Formen…

Das ist entscheidend für die hellenistische Philosophie:

Der Diskurs über Philosophie ist noch nicht eine philosophische Lebensweise. Nur reden über Philosophie ist kein philosophisches Leben. Oder ein anderes Beispiel für alle, die als Beamte des Glaubens tätig sind: Nur reden von Gott ist noch kein gelebter Glaube an Gott.

Philosophischer Widerstand in Zeiten globaler Verwirrung:

Diese philosophische Arbeit beginnt z.B. mit der Begriffsanalyse und dem kritischen Hinsehen auf den Gebrauch der Alltagssprache. Philosophie ist überzeugt: Sprechen ist Ausdruck meines Lebens. Ändere ich mein Sprechen, kann ich mein Leben ändern. Ändert sich mein Leben, ändert sich mein Sprechen. Was tun etwa gegen die unflätige Rede etwa der Pegida-Leute, wenn sie von „Lügenpresse“ sprechen. Meinen sie dabei auch ihre eigenen Äußerungen? Kann man zeigen, dass ihr Sprechen eine vergiftete Gesinnung offenbart? Wollen sie sich als solche so in der Öffentlichkeit blamieren? Was soll der Spruch: „Wir sind das Volk“. Das ist eine totalitäre Anmaßung. Richtig ist nur und fürs Debattieren geeignet: Wir sind auch das Volk. Es gibt Pluralität. In der DDR-Opposition hatte der Spruch „Wir sind das Volk“ alle Berechtigung und Wahrheit: Die DDR Oppositon wehrte sich gegen die Anmaßungen einer SED Clique.

Wir müssen also elementare philosophische Sprachkritik betreibe, um eine Kritik unserer Lebensverhältnisse zu formulieren. Georg Christoph Lichtenberg sagt: „Unsere ganze Philosophie ist Berichtigung des Sprachgebrauchs, also, die Berichtigung einer Philosophie, und zwar der allgemeinsten“.

Zum Beispiel Ludwig Wittgenstein

„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache. (Philos. Untersuchungen, §109). „Die Philosophie verändert die Sehweise von uns, und die Einstellung zu unseren Sehweisen. (Rolf Wiggershaus, S. 52)

„Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen“ (Philos. Untersuchungen, § 309)

„Von allem Beiwerk gereinigt, könnten Wittgensteins Worte übrig bleiben, die von dem Wunder reden, nicht bloß so dahin lebend existiert zu haben, sondern reflektierend gelebt zu haben“ (Rolf Wiggershaus, S. 86).

Man kann in der Reflexion einige Slogans philosophisch „auseinander nehmen“ und deren Widersinn erkennen. Etwa angesichts dieser populären Sprüche:

„Ich (bzw. meine Gruppe, Partei, Kirche) habe den gesunden Menschenverstand“. „Es gibt keine Alternative: „There ist no Alternative“, das Dogma von Madame Thatcher und co. Nebenbei: Die AFD ist selbstverständlich auch keine Alternative…. „Die Wirtschaft folgt nur ihren eigenen Regeln“. „Die Armen sind selbst schuld, dass sie arm sind“. „Darf man im Umgang mit Menschen von „Obergrenzen“ sprechen?“ „Die „anderen“ sind für uns eine Gefahr“. „Gegner sind eigentlich Feinde“. „Die da“ und „wir“.

Die Arbeiten von Elisabeth Wehling, der Sprachforscherin in den USA, sind von großer Aktualität:

Ihr Thema ist „Framing“, also Einrahmung und Umrahmung eines Begriffes, der in einen bestimmten Kontext gestellt wird und schon einen Sinn des Wortes mit-vermittelt. Dadurch wird eine bestimmte und oft einseitige Richtung im Inhalt eines Begriffes gesetzt. Elisabeth Wehling sagt: „Wann immer Sie ein Wort hören, wird in Ihrem Kopf ein Frame aktiviert“. Zum Beispiel das Wort Flüchtling: „Das ist ein Frame, der sich politisch gegen Flüchtlinge richtet. Weil die Endung “-ling” macht diese Menschen klein und wertet sie ab. Denn das Kleine steht im übertragenen Sinn oft für etwas Schlechtes, Minderwertiges. Denken Sie an “Schreiberling” oder “Schönling”. Ein eigentlich positiv besetzter Begriff wie “schön” wird durch die Endung „ling“ ins Negative verkehrt. Außerdem ist “der” Flüchtling männlich – und damit transportiert dieses Wort sehr viele männliche Merkmale: “Der” Flüchtling ist eher stark als hilfsbedürftig, eher aggressiv als umgänglich. Besser wäre es, neutraler, von den Flüchtenden zu sprechen, also dem flüchtenden Mann, der flüchtenden Frau, dem flüchtenden Kind. Das wäre eindeutiger. Und nicht abwertend.

Ein Frame ist ein Deutungsrahmen, in unserem Gehirn gibt es etliche; sie sind durch unsere Erfahrung mit der Welt entstanden, und sie helfen, Tatsachen zu bewerten und einzuordnen. Aktiviert werden sie durch Wörter. Denken wir an den Begriff “Euro-Rettungsschirm”: Elisabeth Wehling meint: Automatisch denkt jeder an den Regenschirm, der einen vor dem Nasswerden schützt. Hier wird auf ein natürliches Phänomen – den Regen – angespielt, vor dem die Bürger geschützt werden müssen. Verursacher und Verantwortung werden ausgeblendet. Kein Hinweis auf die Banken, die die Finanzkrise ursprünglich ausgelöst hatten. Oder auf die Regierungen. Mir geht es vor allem darum, dass wir Bürger uns im Alltag ab und an die Zeit nehmen, bei den wichtigen politischen Themen ganz gezielt darüber nachzudenken, welche Begriffe in aktuellen Debatten genutzt werden – zum Beispiel nach einer Talkshow oder nach der Lektüre eines Zeitungsartikels. Dann entwickelt man ein Gespür dafür, welche Haltung gerade dominiert, etwa wenn es um den Staat oder Steuern geht. Oder um geflüchtete Menschen.“

An der Sprache und dem Sprachrahmen wird heftig von Firmen manipuliert: „Heute stecken konservative Thinktanks wie die Heritage Foundation Millionen von Dollar in die Entwicklung von Frames“ (Wehlig).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Was ist Populismus? In der Politik … und in den Kirchen.

Ein Hinweis auf das Buch „Was ist Populismus?“ von Jan-Werner Müller

Von Christian Modehn

Jan-Werner Müller arbeitet als Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Princeton University (im Bundesstaat New Jersey, USA). Er nennt seine Studie zum Populismus (2016 bei Suhrkamp erschienen) ein Essay. Dabei handelt es sich weit mehr als um einen Versuch: Das Buch, 160 Seiten, ist eine grundlegende Einführung in ein nicht nur politisches, sondern im weiteren Sinne kulturelles Phänomen, den neuen Populismus. Die zahlreichen Belege und Literaturhinweise machen diese Studie noch wichtiger.

Um zur Lektüre und zur Debatte zu ermuntern, nur einige grundlegende Erkenntnisse, die Jan-Werner Müller vorstellt:

Das erste sehr ernste Problem ist: „Demokraten müssen schlicht akzeptieren, dass das Volk als solches sich nie fassen lässt“ (60). Denn wo zeigt sich „der wahre Wille des wahren Volkes“

Im Populismus wird eine Vorstellung von einem angeblich guten und reinen Volk propagiert, dieses Volk steht den angeblich nur korrupten und angeblich nur unmoralischen Eliten gegenüber (42). Das gewöhnliche Volk (mit dem vorausgesetzten angeblich gesunden Menschenverstand) ist das „eigentliche Volk“ (42).

„Populistische Regime“ (Müller nennt in dem Zusammenhang Putin und Orban) halten noch an einigen demokratischen Institutionen fest. Aber es handelt sich nicht um „funktionierende Demokratien“, sondern um „defekte Demokratien“ (75 f.)

Tendenziell ist Populismus immer antidemokratisch (91).

Populisten glauben und schreien es raus: “Wir sind das Volk“ im Sinne von „Nur wir allein sind das Volk“. Demokratisch und vernünftig akzeptabel wäre allein der Slogan: “Wir sind AUCH das Volk“ (63), vielleicht mit der Ergänzung:“ „Und Ihr habt uns vergessen“ (ebd.)

Nebenbei: Kurz vor dem Untergang der DDR Diktatur übernahm tatsächlich das Volk den Spruch „Wir sind das Volk“, um der Clique der SED Herrscher den Machtanspruch abzusprechen. Die DDR Opposition wehrte sich also zurecht gegen eine Diktatur. Heutige Populisten, etwa Wilders, Le Pen, FPÖ und Trump usw. wehren sich mit ihren totalisierenden Sprüchen gegen demokratische Regierungen… Sie reden dem Volk ein zu glauben: „Er, (der Führer), will, was wir wollen“ (47), so ein Slogan von Herrn Strache FPÖ. Warum also noch debattieren…der Volkswille ist doch im Führer repräsentiert (48).

Im Ganzen gesehen ist der Populismus anti-pluralistisch (44). Diese Abwehr der Pluralität in einer Gesellschaft und einem Staat (und einer Kirche könnte man hinzufügen) ist in der Sicht des politischen Philosophen Jan-Werner Müller am verheerendsten. Denn die anti-pluralistische (jegliche legitime Vielfalt abweisende) Haltung führt politisch zu „Alleinvertretungs-Ansprüchen“ (70), also zur Diktatur. Loyalitätsbeschaffung durch Massenklientelismus; Unterdrückung der Zivilgesellschaft und wenn möglich der Medien“ (70). Typisch für diese Haltung ist das Trump Regime, es entspricht den drei genannten Taktiken des Populisten. Beamte werden ausgetauscht, der gesamte Staatsapparat wird in Besitz genommen usw.

Zum niederländischen Populisten Geert Wilders und seine Partei PVV nennt der Autor etliche Details: Wilders spricht von Freiheit und Toleranz, aber es ist er allein, der definiert, was diese Werte sind und wer zum „wahren niederländischen Volk gehört“ (27). Wilders propagiert die Ideologie, das Volk sei durch die gegenwärtige Regierung und ihre internationalen Verbindungen „beraubt“ worden: “Wir wollen unser Land zurück“( 34). Wilders redet dem Volk ein, selbst zum (unterlegenen) Volk zu gehören, dabei ist er seit 1990 ein Karrierepolitiker (51). Wilders bestimmt mit seinen islamfeindlichen Vorgaben bis heute die Richtung der niederländischen Politik, obwohl er nie offiziell Regierungsverantwortung übernahm“ (97)

Wie mit den Populisten umgehen? Der Autor hält es für falsch, die Ausgrenzung der Ausgrenzenden (Populisten) zu betreiben, er ist gegen das Motto „Mit denen reden wir nicht“ (96).

Statt moralisch Populisten zu diskreditieren, sollen Demokraten mit Populisten diskutieren, „um die Fakten zurecht zu rücken. Bei Volksverhetzungen durch Populisten hilft das Strafrecht“ (131).

Für unsere religionsphilosophischen Interessen ist es wichtig, sehr bald die Nähe der Kirchen zu populistischen Strömungen zu untersuchen. Die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, schätzt ja den Pluralismus in ihrer eigenen Organisation nur sehr bedingt und sehr begrenzt. Von daher gab (Nähe zum Faschismus Hitlers und Mussolinis) und gibt es immer wieder Unterstützung für populistische Regime: Siehe die Kirchen heute in ihrer Unterstützung für Orban in Ungarn oder für die polnische PIS Partei oder die Rolle der orthodoxen Staats-Kirche in Russland, gerade dazu hat der Religionsphilosophische Salon Berlin etliches publiziert.

Es wäre weiter zu untersuchen: Wie bestimmte zentrale moralische Positionen der Kirchen, etwa die ungebrochene heftige dogmatische Verteidigung „des“ ungeborenen Lebens und die Zurückweisung jeglichen gesetzlichen Schwangerschaftsabbruches (etwa in katholisch dominierten Ländern Lateinamerikas, wie in der Dominikanischen Republik oder in Nicaragua…) zur Unterstützung populistischer Systeme führen. Es wird in diesen kirchlichen Kreisen nicht gefragt, wann personales Leben beginnt, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen soll mit Gewalt verhindert werden…

Die Liebe zu den Menschenrechten ist in den Kirchen sehr partiell, die Menschenrechte werden oft dann beschworen, wenn die Kirchenführer darin für sich selbst oder die Kirchen im ganzen einen Vorteil sehen.

Es wäre weiter zu untersuchen, was angesichts des Populismus die viel besprochene katholische „Theologie des Volkes“ und der „Volksreligion“ bedeuten kann. Und vor allem: Was bedeutet die Rede vom „neuen Volk Gottes“ als Definition der katholischen Kirche im 2. Vatikanischen Konzil (gegenüber dem üblichen, aber starren Leib-Christi-Begriff) heute. Welches Volk meinten eigentlich die Bischöfe beim Konzil? War es das Volk der gleichberechtigten Katholiken? Sicher nicht. Die nach wie vor undemokratisch regierende Kirchenführung, angeblich göttliches Recht und die Rolle des dominierenden und unkontrollierbaren KLERUS blieb im Volk-Gottes-Denken unangetastet. Und es ist bis heute so. War das eine Kichenreform im Konzil? Eher wohl nicht.

Die internationale kritische katholische Basis – Bewegung nannte sich meines Wissens zu Beginn: „AUCH wir sind Kirche“. Jetzt nennt sie sich durchaus „etwas“ absoluter gemeint: „Wir sind Kirche“. Wir sind die “Kirchenvolksbewegung”. Dieses sehr anspruchsvolle Motto „Wir sind Kirche“ ähnelt doch durchaus dem Motto der DDR-Opposition „Wir sind das Volk“. Von da aus weiter gedacht: Sieht sich also die kritische Kirchenvolksbewegung auch im Gegenüber zu einer Diktatur, wie einst die DDR-Opposition zur SED Führung?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Karl Jaspers: Plädoyer für den philosophischen Glauben.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Am 26.2 1969 ist der Philosoph Karl Jaspers in Basel gestorben (geboren wurde er am 23.2. 1883 in Oldenburg). Der Religionsphilosophische Salon Berlin erinnert an Jaspers als einen kritischen politischen Denker in der BRD und einen entschiedenen Kritiker der politischen Verblendung von Martin Heidegger und: Vor allem als einen Denker, der die Vernunft so reflektierte, dass er für einen “philosophischen Glauben” (so der Buchtitel von 1948) eintreten konnte und für den “philosophischen Glaube angesichts der Offenbarung” (1962) sich stark machte. Die Konzeption und Weiterentwicklung eines vernünftigen philosophischen Glaubens bleibt ein Thema unser Diskussionen. Der “philosophische Glaube” bietet nicht nur Denk-Möglichkeiten, gerade in Zeiten, in denen der konfessionelle dogmatische Glaube der Kirchen nicht mehr als geistig-bewegende Lebendigkeit erfahren wird. Der philosophische Glaube im Sinne von Jaspers kennt nur Grundsätze, keine Dogmen. Gewalt gegen Andersdenkende wird selbstverständlich abgelehnt, er ist offen für Einwände, hält nicht wunderbare Behauptungen für selbstverständlich, er gibt keine Ruhe im Denken und Fragen. Aber der philosophisch Glaubende interessiert sich für die “Chiffren”, für vieldeutige Zeichen, die aber auch auf Transzendenz weisen können.

Es wäre interessant, den philosophischen Glauben im Sinne von Jaspers mit den Thesen des südafrikanischen Theologen und Bischofs Desmond Tutu zu konfrontieren, Thesen, die er in dem Buch “Gott ist kein Christ. Mein Engagement für Toleranz und Gerechtigkeit” (2012) mitgeteilt hat. Tutu weist die Vorstellung zurück, dass Christen im Besitz einer alleinigen Wahrheit sind, er sucht das Gemeinsame in den Religionen…; jeder Mensch lebt in enger Verbindung mit dem Göttlichen, die Vernunft in allen Menchen ist das wahrhaft Religiöse…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Spinoza und die kritische Bibelforschung

Ein Hinweis auf einen Gedenktag, also einen Tag zum Denken….an Spinozas Bibelkritik und seine Verteidigung der Philosophie….

Von Christian Modehn

Am 21. 2.1677 ist in Den Haag der Philosoph Baruch de Spinoza gestorben (geboren wurde er am 24.11. 1632 in Amsterdam). Auch als Verteidiger und Förderer der historisch-kritischen Bibelexegese muss er für weite Kreise (besonders der unbegildeten heutigen Bibel-Fundamentalisten)  noch entdeckt werden. Genau so wichtig ist Spinozas Forderung: Die Theologie (also auch die Leitung der Religionsgemeinschaften) darf der Philosophie nicht das Recht auf eigenständige Erkenntnis, auch Gotteserkenntnis, streitig machen. Der wahre Gottesdienst für Spinoza ist die lebendige Gestaltung von Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Wichtig ist hier das Buch Spinozas “Tractatus Theologico-Politicus“, (1670 anonym erschienen).Darin wendet sich Spinoza auch gegen den schlichten Wunderglauben, der da meint: Gott wirke im Ungewohnten und Außergwöhnlichen. Man solle Gott vielmehr suchen in der durchgängigen Gültigkeit der Gesetze der Natur. Jeder Mensch hat das Recht, frei seine eigenen religiösen Überzeugungen zu sagen, diese Freiheit sei die Bedingung für eine staatliche Ordnung.

….Goethe sagte über Spinoza: “Ich fühle mich ihm sehr nahe, obgleich sein Geist viel tiefer und reiner ist als der meinige”.

Der Text des Tractatus von Spinoza ist erreichbar unter: http://www.linke-buecher.de/texte/romane-etc/Spinosa–Theologisch-politische%20Abhandlung.pdf

Die Heimat des Weltbürgers. Ein Text zum Salongespräch am 27.1.2019

Hinweise von Christian Modehn

Das dringende Thema voller offener Fragen

Die Begriffe Heimat – Nation und Weltbürger (Kosmopolit) stehen in einer Spannung zueinander, nicht nur in der politischen Philosophie, sondern in der Existenz des einzelnen. Es kommt heute in der globalen Welt darauf an, eine vernünftige Gestalt des Weltbürgers zu beschreiben und gleichzeitig eine kritische Verbundenheit mit Heimat bzw. Heimaten zu entwerfen. Dabei ist (geographische) Heimat einbezogen in einen Nationalstaat und wiederum in eine übergreifende politisch-ökonomisch-kulturelle Struktur, die EU.

Ausgangspunkt für unser Thema kann nur die kritisch reflektierte Erfahrung gegenwärtiger Politik sein. Und da hat sich in den letzten Jahren eine Metamorphose vollzogen. Man kann sie inhaltlich als bewusste Abkehr von den humanen und demokratischen Werten beschreiben, die noch vor 15 Jahren „eigentlich“ für die allermeisten selbstverständlich waren. Aber die demokratisch Gesinnten waren zu naiv: Unter dem Schein des „Normalen“ schlummerten bei vielen Rassismus, Anti-Humanismus, Nationalismus.

Es gibt also immer mehr eine aggressive Abwehr von Fremden und Flüchtlingen, mit Stacheldraht wie etwa in Ungarn, in den USA, nun auch zusätzlich noch mit Mauern.

Wir leben wieder in einer Zeit, die scharf bewachte Grenzen liebt und aktuell das mögliche Erfrieren von Flüchtlingen in der eisigen Kälte in Serbien einfach so hinnimmt. Hotels für Sommergäste stehen in den griechischen Inseln leer, und vor den Türen erfrieren Flüchtlinge in der Kälte. Und kein Mensch kommt auf die Gedanken, im Rahmen eines „humanitären Notstands“ die Hotelzimmer zwangsweise zu öffnen… Heimatliebe und Privateigentum gehen eben vor. Es gibt eine neue Fixierung auf das Eigene. Die Humanität wird vom Egoismus zerfressen und droht dabei unterzugehen.

Ich fand in der neuesten Broschüre der katholischen Akademie Frankfurt am Main auf Seite 29 angesichts der zunehmenden ungleichen Verteilung von Reichtum ein Zitat des bekannten Theater-Autors Heiner Müller: “Irgendwo werden Leiber zerbrochen, damit ich wohnen kann in meiner Scheiße“, so in dem Theaterstück „Die Hamletmaschine“ von 1977. Ein literarischer Ausdruck für erstarrte Menschlichkeit, für die dialektische Abhängigkeit vom Leiden der fernen Anderen und dem dann doch nicht so erfreulichen Leben in einer materiell gut versorgten Welt. Die katholische Akademie Frankfurt schreibt: „Doch wenigstens diese künstlerische Übermittlung der Wahrheit sollten wir wohl aushalten können. Machen wir uns nichts vor: Genauso wie es der Dramatiker Heiner Müller ausdrückt, ist es“.

Wir müssen uns z.B. angesichts des Trump-Regimes darauf einstellen, dass wir weiterhin mit einer dauerhaften gezielten Sprachverwirrung konfrontiert werden. Man denke etwa an das dort propagierte Wort der „alternativen Tatsachen“ bzw. „alternativen Wahrheit“, also der vom Regime bestimmten Wahrheits-Propaganda als Leugnung der überprüften und überprüfbaren Tatsachen. Erstaunlich und bezeichnend, dass der große Roman „1984“ von George Orwell zur Zeit wieder höchste Auflagen erlebt, nicht nur in den USA.

Heimat braucht Kritik

Der Begriff Heimat, ein typisch deutsches Wort, das immer noch romantische Vorstellungen wachruft. „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum…“ Der Text des bekannten Liedes von Franz Schubert endet mit einer Verheißung: „Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort und immer hör ich’s rauschen: du fändest Ruhe dort“. Heimat, ein Sehnsuchts-Ort, an dem man Ruhe findet in der „tiefen Nacht“ der fremden Welt. Heimat ist in dem Sinne der vertraute Ort der Geborgenheit, der Familie und der guten Menschen, des Naturerlebens. Heimat ist auch eine überschaubare Region, in der das eigene Leben sinnvoll und lebenswert erscheint. Dies ist ein gutes Recht des Bürgers, sich diese Heimat als Ideal zu wünschen. Unter der Bedingung, dass diese Heimat von den Bürgerrechten und der Demokratie bestimmt ist. Und das ist auch in Deutschland nicht selbstverständlich. Wie viele Flüchtlinge werden in den kleinen Dörfern der Heimatverbundenen schikaniert und bedrängt. Heimatverbundenheit und Respekt der Menschenrechten gehören zusamen. Selbstverständlich haben viele Menschen mehrere „Heimaten“: Etwa die Literatur, die Musik, auch die Religionen, geistige Sphären, in denen man sich, wo auch immer man lebt, wohl fühlt, zuhause fühlt.

Der Nationalstaat und seine Aggressionen

Die geographische Heimat gibt es seit Ende des 18. Jahrhunderts nur als Einbindung in einen Nationalstaat. Der Nationalstaat ist eine moderne Erfindung. Im Nationalstaat werden wir mit bestimmten Bürgerrechten ausgestattet, wir haben etwa Ausweispapiere, sind also nicht staatenlos, „ohne Papiere“, wie man heute in Flüchtlingskreisen sagt. Der Nationalstaat mit der einheitlichen Sprache, der Zentralverwaltung und Verfassung und den festen Grenzen und Grenzkontrollen entwickelt eine Art Sendungsbewusstsein, einen missionarischen Drang. Die „Grande Nation“, Frankreich, hatte diese Mission, sie wirkte sich kolonialistisch aus; die USA hatten und haben eine Mission, weil sie meinen, die freie Welt zu repräsentieren und den eigenen Lebensstil allen anderen aufzudrücken, bis hin zum US Imperialismus.

Der Nationalstaat wird von den Herrschern als bindender Wert für alle Bürger beschworen: Siehe die Hymnen, die Flaggen-Verehrung, die Staatsfeiertage usw. Es wird der Nationalstaat auch emotional als wirksame Ideologie verbreitet, die sich in den Köpfen der Bürger festsetzen soll. Der Nationalstaat braucht als „identischer Ort“ die ideologische Abgrenzung von den anderen, den Fremden. Ich zitiere aus dem Buch „Enzyklopädie Philosophie“, Band II, ein Beitrag von Peter Alter: “Die Nation braucht Feinde, weil das offenbar die Suche nach der eigenen Identität erleichtert“ (S. 1702).

Der Nationalstaat ist nicht nur kriegerisch, er ist imperialistisch und kolonialistisch. Noch die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Blütezeit der Sklaverei. Trotz einiger Kritik vor allem in England wurden 3,3 Millionen Sklaven noch im 19. Jahrhundert von Afrika über den Atlantik transportiert. (Christopher Baly, Die Geburt der modernen Welt, Frankfurt 2006, Seite 500). Erinnert werden muss an die so genannte „Kongo-Konferenz“ in Berlin 1884-1885, als Europa, auch Deutschland, sich Afrika aufteilte und Kolonien festlegte.

Heute erleben wir ein massives Erstarken des Nationalismus in ganz Europa und in den USA. Man denke an die Sprüche von Mister Trump „America first“ usw. Die AFD und ihr Vorzeigephilosoph Marc Jongen beziehen sich gern auf den jetzt offenbar wieder beliebten Nazi-Vordenker Carl Schmitt. Er hat in seinem Buch „Begriff des Politischen“ (1927) nicht nur die Vernichtungsmaschinerie der NAZIS vorformuliert, er stellt die Vernichtung des Heterogenen, also was nicht in den deutschen Staat passt, heraus. Schmitt hat das Freund-Feind-Schema hochgejubelt; er ist für die Plebiszite als der angemessenen Form der Demokratie eingetreten: „Die Regierten (also die Bewohner) sollten sich mit den Regierenden identifizieren!“ (in: Enzyklopädie Philosophie, II, S. 2090, Beitrag von Werner Goldschmidt). Es ist heute Konsens der Demokraten, dass die AFD “nationalistisch, autoritär und frauenfeindlich” ist, wie es Justizminister Heiko Maas sagte. „Das Programm der rechtspopulistischen Partei ist der Fahrplan in ein anderes Deutschland, in das Deutschland von vorgestern”, schreibt er für SPIEGEL Online.

Heute kommt es darauf an, die Macht selbst eines demokratischen Nationalstaates zu begrenzen und dafür zu sorgen, dass er in über-nationale Zusammenhänge und Staaten-Bündnisse (EU) eingebunden ist. Die Chancen dafür sind im Augenblick nicht gerade verheißungsvoll. Aber: Eines Tages wird es wohl eine friedliche „Nation Europa“ geben, ein Bundesstaat Europa hätte den Nationalismus überwunden.

Europa muss die Weite des freien Geistes, der Aufklärung, wieder als die Grundlage der eigenen Staaten und der vielen europäischen Heimaten erkennen.

Wir brauchen wieder die Philosophie der Aufklärung, wir brauchen den kritischen Geist gegen die Herrschaftsformen, die Ablehnung alles Totalitären in Staat und Kirchen, kurz: wir brauchen wieder mehr KANT.

 Der Weltbürger Kant und der „ewige Friede“

Es ist wichtig, an Immanuel Kant zu erinnern.

Er zeigt sich als Kosmopolit, als ein Philosoph, der die Menschheit wichtiger bewertet als die Bindung an eine Heimatregion. Er entwirft in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (von Ende 1795) die Prinzipien einer internationalen Rechts- und Friedensordnung. Nur diese Hinweise:

Kant geht es nicht um den angeblichen Frieden, genannt Waffenstillstand. Er will Frieden auf Dauer, „auf ewig“. Und dies nicht als schönen Traum, über den die Staatsoberhäupter, „die des Krieges nie satt werden können“, so wörtlich, nur lächeln können. Kant ist überzeugt: Ewiger Friede ist langfristig möglich, und er muss auf gesetzliche Weise gestaltet werden. Generell wird der Krieg von ihm geächtet. Aber solange es noch Kriege gibt, muss wenigstens eine auf den Frieden bezogene Reform der Kriegsplanungen stattfinden. Kant plädiert darum in seinen Maximen fürs Abrüsten; es darf keine Staatsschulden geben, die für ihn zur ständigen Aufrüstung führen; es darf kein stehendes Heer geben, das nur zum Wettrüsten führt; man darf sich nicht mit Gewalt in andere Regierungen einmischen, sie sollen sich selbst reformieren. Frieden setzt humanes Vertrauen untereinander voraus und das muss gefördert werden.

Was treibt die Menschen zum globalen Frieden? fragt Kant. Man sollte sie an die Schrecken der Kriege ständig erinnern; die Republik fördern als Mitbestimmung aller, also für die Demokratisierung eintreten. Die Bürger haben aus Liebe zum eigenen Leben kein Interesse an Krieg! Das heißt: Der aufgeklärte, (selbst)kritische Mensch will keinen Krieg. Nur der aufgeklärte Mensch in einer Republik, kann Frieden schaffen.

Das ist der Geist der AUFKLÄRUNG: Die Menschen sollen sich an das erinnern, was sie sein können und tun können, sich nicht auf den Ist-Zustand begrenzen. Wir leben in Zeiten, in denen die angeblich Klugen, die Besserwisser, jegliche positive Entwicklung abweisen, lächerlich machen. Diese Stimmung kann den kritischen Elan der Vernunft einschränken.

Hinter diesem Realismus der Realpolitiker verbirgt sich nur der Machterhalt der eigenen Privilegien. Wer ernsthaft in Deutschland die Rüstungsindustrie als den Kriegs befördernde Industrie nicht einschränkt und verbietet, hat als Politiker bestimmte (materielle) Interessen. Er steht nicht aufseiten des Friedens, sondern der Waffenschmiede. Warum werden solche Politiker nicht befragt und ggf. nicht mehr gewählt?

Kant fordert für das Leben einer sich dem Frieden zuwendenden Welt: Die Menschen können zwischen den Staaten hin und her verkehren; Forscher, Händler, Missionare. Immer aber sollen sie ohne Gewalt in anderen Ländern tätig sein. Im Weltbürgerrecht gibt es das Recht, dass jeder Fremde die Hospitalität, also ein Recht des Besuchens, genießen kann. Jeder kann jedes Land besuchen. Kant spricht also nicht von Gastrecht, also von einer Form des Bleiberechts. Er will nur das Besuchsrecht. Das sagt er im Blick auf die Kolonialherren: Die dürfen sich in fremden Territorien nicht niederlassen, nicht festsetzen. Kant kritisiert die Kolonialpolitik der europäischen Staaten. Die Europäer verstehen das Besuchsrecht in Afrika usw. als Eroberungsrecht. Das ist Missbrauch des Besuchsrechts. Und das muss abgewiesen werden. Darum plädiert er nur für das globale Recht, alle Länder (kurzfristig) zu besuchen.

Kant plädiert bloß für einen eher „locker verbundenen“ Völkerbund, das ist sicher ein Mangel in Kants Überlegungen.

Er sieht, dass seine Idee des Völkerbundes noch keine übergeordnete vereinheitlichende Staatsmacht kennt. Kant kann mit seiner Völkerbundsidee nur hoffen, dass die einzelnen Staaten ihre egoistische Staatsraison zurücknehmen, um des Friedens willen. Es gilt für Kant immer die MORALISCHE Pflicht, den Frieden zu fördern. Das können nur Politiker, die selbst den Prinzipien der Moral (Kategorischer Imperativ) entsprechen.

Was ist kosmopolitisch? Wer ist ein Weltbürger?

Kosmopolitisch leben heißt: Verbundenheit mit einer über alles Nationale hinausgehenden Wirklichkeit, der ganzen Welt prinzipiell. Schon Diogenes von Sinope (323 vor Chr. gestorben), der Kyniker, also der radikale Alternativler in der Antike, sah sich mehr in der Ordnung des Kosmos als in der eigenen Polis verwurzelt. Später hat dann Dante in seinem politiktheoretischen Werk „Monarchia“ von 1316 ein Weltkaiserreich entworfen, in dem die Bürger ihre partikulare Herkunft überwinden und so friedlich miteinander leben können.

Heute sind wir de facto schon immer Weltbürger. Wir sind immer schon hinausgewachsen aus den engen Grenzen von Heimat und Nation, das gilt für den Lebensstil und die Nutzung der Technik, das gilt für die Vernetzung in der Ökonomie.

Der Soziologe Ulrich Beck hat sich in zahlreichen Studien mit dem Kosmopolitismus auseinandergesetzt, für ihn hat er „eine uralte und zukunftsweisende Bedeutung“: Er ist pränational und postnational (S. 24 in: „Das kosmopolitische Europa“, 2007). Das kosmopolitische Projekt ist das Bemühen, „neue demokratische Formen der politischen Herrschaft jenseits der Nationalstaaten zu konzipieren“ (S. 25).

Kosmospolitisch handeln beginnt schon, wenn man in größeren Zusammenhängen, etwa Europas oder der Beziehungen Deutschlands zu Afrika denkt.

Dabei kommt es zuerst darauf an wahrzunehmen, dass wir immer schon in kosmopolitische Zusammenhänge hineingestellt sind:

In der eigenen Nation leben heute Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener ursprünglicher Heimaten. In Deutschland sind 20 Prozent aller Mitbürger „anderer Herkunft“, also Immigranten, Gäste, Studenten von weit her, Flüchtlinge usw. Den deutschen Pass haben Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, sie sind Deutsche! Dadurch wird die Form der homogenen Heimat überwunden.

Wir leben längst schon in kosmopolitischen HANDLUNGSRÄUMEN, betont der Soziologe Ulrich Beck. Allein schon in der Lebensgestaltung, in den neuen transnationalen Lebensräumen, sind wir mit der Welt verbunden, oft auf eine bloß äußerliche Art…

ABER: Wir sind, wegen unserer, im übrigen schon gar nicht mehr aufzuhebenden internationalen Bindungen, noch längst nicht Kosmopoliten. Die internationalen Bindungen können auch für die Vorherrschaft der eigenen Nation oder des eigenen Konzerns usw. genutzt werden. Die Zusammenhänge des Welthandels hingegen gerechter zu gestalten, ist eine „Dauerforderung“ des Kosmopoliten. Er muss sich Formen politischen Handels überlegen, um dieses Ziel durchzusetzen.

Zum Kosmopolitischen Leben und dem Weltbürger gehört elementar: Die Anerkennung des anderen Menschen ALS Menschen. „Das Fremde wird nicht als bedrohlich, desintegrierend, fragmentierend erfahren und bewertet, sondern als bereichernd….Wer die Sicht der Anderen im eigenen Lebenszusammenhang integriert, erfährt mehr über sich selbst UND die Anderen“ (Ulrich Beck, a.a.O, S 28). Zum Weltbürger gehört: Die Herrschaft des gerechten Rechts, politische Gleichheit, soziale Gerechtigkeit….

Die politische und ethische Praxis des Weltbürgers

Ein Kosmopolit ist also nicht einfach schon jeder Weltreisende. Weltbürger sein ist zuerst und vor allem eine geistige, politische, vielleicht sogar spirituelle Haltung! Ein Kosmopolit hat Kenntnisse der anderen Kulturen und Nationen. Er kann sich in die Menschen anderer Kulturen hineinversetzen, indem er mindestens die eigenen übliche Sitten und Gebräuche relativiert.

Ein Kosmopolit schätzt den anderen und die anderen, die Fremden und Befremdlichen, als gleichberechtigte menschliche Wesen. Ein Kosmopolit will die anderen als andere. Das ist kein romantisches Gefühl, in dem man sich unter Tränen der Rührung der eigenen Großzügigkeit erfreut. Den anderen und die anderen weltweit prinzipiell als Menschen anzuerkennen, hat rechtliche Konsequenzen.

Ein Beispiel: Wer etwa in seiner Heimat, seinem Nationalstaat Deutschland, gut lebt, hoffentlich aufgrund gerechter Wirtschaftsbeziehungen, und wer dieses gute Leben für sich beansprucht, muss sich sagen: Ich kann nur frei sein (also gut leben, Freiheit ist die unverzichtbare Basis dafür), wenn auch die anderen frei leben können, also gut leben können. Und zwar letztlich „alle anderen“!

Kosmopolitisches Leben hat heute vor allem angesichts der katastrophalen ungleichen Verteilung der Güter und der Einkommen Auswirkungen, es geht um den Aufbau gerechter Gesellschaften innerhalb der einen Weltgemeinschaft.

Es geht dann auch um den Willen, einen eigenen Beitrag zu leisten für den Aufbau einer gerechten Weltordnung, und das ist eine Weltgesellschaft, in der alle Menschen menschlich leben können, also gesund, gebildet, mit wirklichem Wohnraum, in demokratischer Ordnung.

Zu dem Eintreten für internationale Solidarität (als Ausdruck der weltbürgerlichen Existenz und vor allem als Ausdruck dafür, dass wir alle einer Menschheit angehören) eine Erinnerung:

In einer nüchternen philosophischen Betrachtung kann man sich auf die Weisheitssprüche des Neuen Testaments beziehen: Denken Sie etwa an das Wort Jesu bzw. schon der hebräischen Bibel: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Mit dem „Nächsten“ ist der andere Mensch gemeint, auch der in der weiten Ferne lebende andere.

Jesus spricht auch vom Barmherzigen Samariter, das Lukasevangelium im 10. Kapitel erzählt davon. Jesus verwendet das Gleichnis vom hilfsbereiten Samariter, als Beispiel, um die Frage zu illustrieren: Wer ist denn mein Nächster? Ich will hier nur aufmerksam machen, dass der barmherzige Samariter tatsächlich schon strukturelle Hilfe leistet: Er pflegt nicht nur die Wunden des Verletzten, er bringt ihn eine Herberge , bleibt bei ihm und bezahlt den weiteren Aufenthalt des Verletzten.

Stefan Gosepath, Philosoph in der FU, meint: Es gibt eine HILFSPFLICHT: Die unmittelbare Not eines anderen Menschen verpflichtet mich zu helfen, und zwar gilt diese Pflicht für nahe Menschen vor unseren Augen wie für Menschen in der weiten Ferne. Die Hilfspflicht geht von der Einsicht aus: Ich will, dass man mir in meiner Not tatsächlich hilft. Ich kann es nicht ertragen, wenn man mir in meiner Not nicht hilft. Daraus folgt: Auf Hilfe hat prinzipiell jeder Mensch als Mensch Anspruch, gerade dann, wenn er in einem Umfeld lebt, in dem humane Strukturen wenig ausgebaut sind.

Der Weltbürger sucht sich Kontakte, Partner, weltweit

Man kann wohl als einzelner Weltbürger hier nicht die Lebenssituation aller Menschen in Afrika oder wenigstens in einem Land zum Positiven verändern. Aber der deutsche Weltbürger kann sich sagen: Auch die fernen Leidenden, sagen wir in Bangui, Zentralafrikanische Republik, haben Anspruch darauf, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Es ist doch seltsam, dass dort wie fast überall in Afrika die wenigsten Menschen z.B. Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, aber smartphones besitzen, auf denen sie den Luxus der Europäer der einstigen Kolonialherren, sehen und bewundern…

Der Kosmopolit, der Weltbürger, ist der sich ständig fortbildende Bürger. Er sucht, wenn möglich, persönliche Beziehungen zu Menschen in der „Ferne“, etwa in Afrika oder Lateinamerika..

Über den kleinen Horizont der Heimat und Nation muss jeder hinausschauen … und wahrnehmen: Es sind die von den reichen Nationen dominierten ökonomischen Strukturen, die das Leben der Armen – weltweit – behindern. Und in Afrika und Lateinamerika leben überwiegend „arm gemachte Menschen“. Diese ökonomischen Strukturen muss der Weltbürger öffentlich machen und freilegen. Und sich NGOs anschließen, die diese ökonomische Allmacht gewisser transnationaler Konzerne kritisieren, sich mit dem „transfairen Handel“ befassen usw… Es gibt also „Pflichten“ des Weltbürgers! Und es gibt Pflichten, sich zu informieren: Was die eigene persönliche Gesundheit angeht, informieren wir uns pflichtgemäß über Nebenwirkungen der Medikamente usw. Wir müssen uns auch informieren, unter welchen antihumanen Bedingungen Menschen in Afrika (vor allem Kinder) dafür sorgen, dass wir modernste (Elektro)Geräte in Europa und Amerika verwenden können.  Lesen Sie dazu den aktuellen Beitrag des Geographen Michael Reckordt in der SZ, klicken Sie hier.

Zu den Grenzen von bloßer Toleranz und dem „Multi-Kulti“

Weltbürgersein erschöpft sich NICHT in Toleranz: Toleranz bedeutet bekanntlich: Ich ertrage jemanden, dessen bestimmte Eigenarten ich eigentlich nicht mag, den ich aber aus gesetzlichen Gründen nicht aus meiner Heimat vertreiben kann; mit dem ich mich also arrangieren muss. Das ist eine ganz schwache Form des Miteinanders oder besser Nebeneinanders.

Hingegen: Weltbürgersein heißt: Der Weltbürger respektiert und schätzt die einzelnen Individuen, aber er liebt in ihnen auch die Menschheit, das Gemeinsame, das uns alle verbindet. Darum gilt: In jedem einzelnen leuchtet die einmalige Individualität auf und die allen gemeinsame Menschheit.

Die Frage ist, ob eine neue weltbürgerliche Welt-Gesellschaft ohne Formen der Veränderung des eigenen Lebensstandards hierzulande und bei den so genannten Eliten in den armen Staaten gelingen kann. Das Wort Verzicht hatte noch nie einen guten Klang, es wirkt altmodisch und zu spirituell. Aber wird ohne Verzicht bestimmter Kreise, auch mit Umverteilung des Reichtums, die Krise überstanden werden? Dabei ist es selbstverständlich, dass ein Millionär anders verzichten muss als ein Mensch aus dem Mittelstand. Mit anderen Worten: Ohne eine Neuordnung des Besitzes, etwa durch Steuern auf Vermögen und Erbschaft, wird eine weltbürgerliche Ordnung, die den Namen verdient, kaum realisierbar sein.

Auch der Begriff des „Multi-Kulti“ ist kritisch zu sehen: Er unterstellt die Anwesenheit vieler verschiedener Kulturen, die aber gerade nebeneinander leben und sich nur präsentieren, etwa bei einem Karneval der Kulturen. Die anderen können sich in ihrem eigenen, abgegrenzten Bereich austoben, ihre separate Kultur pflegen und sie mir in einer Show, Karneval der Kulturen etwa, zeigen. Aber es ist exotischer, ferner Charme, der sich da zeigt, der mich nichts angeht. Der Kosmopolit ist nicht in erster Linie ein Ästhet, sondern ein politischer Ethiker der Verbundenheit unter Gleichberechtigten!

Das Nebeneinander des Multikulturellen (in England etwa Kommunitarismus) sollte durch weltbürgerliches Miteinander über werden.

Die Überwindung der skandalösen Verteilung von Reichtum: Eine Aufgabe des Weltbürgers

Nur Zur Erinnerung: Acht Multimilliardäre besitzen ebenso viel an Vermögen wie die Hälfte der Weltbevölkerung. … Lauf Oxfam besitzt das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung weit mehr als die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung. Was folgt daraus für aufgeklärte Menschen: Es muss eine Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen stattfinden. Die dumme und längst auch widerlegte Glaubenshaltung einiger Ökonomen, denen sich auch Mister Trump angeschlossen hat, heißt: „Der Markt richtet alles zum Guten, was den Reichen und Superreichen nutzt, wird am Ende allen nützen,“. Weil der Reichtum dann von oben, von den Milliardären, nach unten, zu den kleinen Leuten wie von selbst fließt. Dieser Glaubenssatz ist falsch, hat sich als dreiste Lüge erwiesen. Es muss auch darüber nachgedacht werden, in welcher Weise, nach demokratischen Regeln, Milliardäre enteignet werden zugunsten des Überlebens der vielen Millionen Hungernder.

Der kosmopolitisch Religiöse und der kosmopolitische Humanist

Zum Schluss nur der Hinweis, der später vertieft werden muss: Auch Religionen und Philosophien werden weltbürgerlich. Ich kann nicht mehr nur Christ sein, ich lerne – auch inhaltlich, von den Weisheiten anderer Religionen, verbinde mehrere Traditonen, werde also in gewisser Weise „multireligiös“. Auch Humanisten können nicht bloß europäisch-fixiert sein, sie lernen von nicht-europäischen Humanismen und (warum nicht auch religiösen) Weisheitslehren. Viele Religionen sind noch nationalistisch geprägt, sie leben in verengten Horizonten, spiegeln eher das Nationale und das Heimatliche als die Weite des Spirituellen, das überall lebt und überall anregend und aufregend ist.

Diese Hinweise sind nicht mehr als eine Einladung zum Gespräch und zum weiteren Nachdenken. Die Befreiung aus den starren emotionalen und rationalen Bindungen ans Heimatliche, Nationale und Nationalistische wird wohl dem einzelnen als einzelnen nicht so einfach gelingen. Darum: Die schrittweise Befreiung hin zum Weltbürger bedarf der Gesprächs- und Lerngemeinschaften, die wenigstens partiell auch politisch handeln, im Sinne des Kosmopolitischen. Solche Lern – und Lebensgemeinschaften (eigentlich sollten das christliche Gemeinden auch sein, aber die sind fixiert auf Fromme und Dogmatische und Traditionelle) sind förmlich ein „Gebot der Stunde“. Vielleicht wird die Philosophie noch einmal auch in der Hinsicht etwas belebend?

 Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Trump und der Roman “1984”: Dichtung wird Wahrheit?

Ein Hinweis von Christian Modehn.

In den Kommentaren zum Umgang der Trump-Administration mit Fakten wird immer häufiger auf den berühmten Roman „1984“ verwiesen. Es ist gut, sich erneut an den Roman von George Orwell zu erinnern:

Der Roman „1984“ erschien 1949. Er ist wieder ein Bestseller seit dem Regierungsantritt von Trump.

Der Roman 1984 zeigt eine gespaltene Welt, in der Kriege geführt werden, nur um die Gewalt im eigenen Machtbereich zu kaschieren. Das Ziel der Regierung etwa in London ist die totale Auslöschung des individuellen Bewusstseins. Die Partei befiehlt neue Wahrheiten: „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke“. In dieser totalitären Welt gibt es keine Tatsachen mehr, keine historische Faktizität. Im „Wahrheitsministerium“ wird die Wahrheit vom Staat stets neu geschrieben. Wahrheit und Lüge haben die gleiche Wertigkeit. Am schlimmsten sind die „Gedankenverbrechen“, also wenn Menschen unabhängig zu denken. Dann gibt es nur die Zerstörung des Menschen durch eine perfekte Staatsmaschinerie. Soweit einige Hinweise zum Roman.

Dazu aktuelle Information aus dem TRUMP- Land:

Trump hat mit seinen facebok- und Twitter Accounts ein persönliches Netzwerk voller Fakes aufgebaut. Und Stephen Bannon ist sein oberster Stratege, er arbeitete für das Hetzblatt „Breitbart“.

In Umfragen und Studien lässt die Begeisterung für die Demokratie in den USA schon ständig nach. Darauf kann Trump indirekt und direkt zustimmend reagieren.

„Gottlob sind die USA weder die Weimarer Republik noch Italien in den 20er Jahren“, schreibt der „New Yorker“, die Wirtschaft sei stabil und wachse. Trump sei weder Adolf Hitler noch Benito Mussolini. „Aber er ist Trump, und das ist eine echte Gefahr.“ Die Argumente: Trump habe keinerlei Respekt vor der Demokratie und der Verfassung. Er präsentiere sich als starker Alleinherrscher. Er respektiere keinerlei Normen. Er lasse sich von Ultrarechten und Antisemiten unterstützen. Er rede rassistischen Methoden der Polizei das Wort. Er hetze gegen Minderheiten. Er schüre Angst. Und er verachte Medien und Journalisten zutiefst: „Die niedrigste Form menschlichen Lebens“, so nannte er sie im Augus 2016t. (Quelle: Stuttgarter Zeitung, 29. Dez. 2016)

Viel beachtet legte Professor Jeff Colgan von der Brown University eine Liste mit zehn Anzeichen einer demokratischen Erosion vor. Mit allem Vorbehalt formuliert, finden sich auch dort die Ausschaltung oder Missachtung von Medien, eine Dämonisierung der Opposition oder ihrer Anführer, Angriffe auf Minderheiten, das Benennen von Sündenböcken und die scharfe Betonung der inneren Sicherheit.

Colgan: „Alle daraufhin ergriffenen Maßnahmen werden mit der Überbetonung eines angeblichen Notstandes entschuldigt, begleitet von offenem Nationalismus und wachsender Polarisierung.“ Das findet sich bei Trump eins zu eins, man kann nicht sagen, dass er das im Wahlkampf sorgfältig versteckt hätte.

Die große Gefahr für die USA, meint Colgan, liege aber nicht in einer rapiden Änderung über Nacht. Sondern in einem schleichenden, fast unmerklichen, zersetzenden Prozess, von dem die Herrschenden mit aller Macht abzulenken versuchten.

Wie Autokraten durch die Kontrolle von Information überleben, hat George Orwell schon in seinem Roman „1984“ beschrieben. „Wer sich damit auskennt, wie Gesellschaften zerfallen und wie Diktaturen entstehen, weiß, dass dafür das Strangulieren einer freien Presse ein Schlüsselfaktor ist“, schrieb die Schriftstellerin Rebecca Solnit nun für den „Guardian“.

Die Neue Züricher Zeitung schreibt:

Der neue Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, beschränkte seinen ersten Auftritt am Samstag ebenfalls auf eine Medienschelte, über weite Teile zum gleichen Thema. Fragen akzeptierte er keine.

Spicer ist kein Neuling aus dem Umfeld von Trumps Unternehmen, sondern war ab 2011 Kommunikationschef der republikanischen Parteiführung. Das hinderte ihn nicht, entgegen aller Vernunft und allen Beweisen zu behaupten, die Zuschauerzahl – sowohl in Washington als auch am Fernsehen – sei bei Trumps Vereidigung größer gewesen als je zuvor. Erfasst werden kann das nur noch in Kategorien von George Orwells Doppeldenk aus dem Roman ‘1984’

Quelle: http://www.salzburg24.at/pressestimmen-zur-amtseinfuehrung-von-us-praesident-trump/4937880)

Elmar Schenkel, Literaturwissenschaftler, schreibt: “Es ist unheimlich, wenn man den Roman 1984 wieder in die Hand nimmt. […] Das Weltbild wird geschnitten, zensiert, selektiert usw. Fakten werden verändert. Das ist absolut der Vorgang, mit dem wir jetzt allmählich vertraut gemacht werden in der Wirklichkeit. Das ist unheimlich, wie Literatur zu Wirklichkeit wird”….

“Und wir alle sind willig, wir wollen das (Überprüftwerden). Das ist der Unterschied zu Orwell, dass wir nicht gezwungen werden, sondern wir wollen uns mitteilen über Facebook, über Fotos, unsere Lebensläufe. Wir wollen gesehen werden. Das ist auch freiwilliges Aufgehen in diesem Totalstaat”.

Elmar Schenkel. Er ist Literaturwissenschaftler quelle: http://www.mdr.de/kultur/themen/george-orwell-neunzehnvierundachtzig-100.html

 

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin

Immanuel Kant stirbt nicht: Hinweise anläßlich seines Todestages

Immanuel Kant ist 12. Februar 1804 in Königsberg gestorben. Seine Mitbürger wussten genau, dass nun einer der wichtigsten Denker überhaupt nur noch durch seine seine Büchern weiterlebt. “Er war als Sohn eines armen Handwerkers (am 22.4.1724) geboren worden und wurde wie ein König begraben. Alle Glocken der Stadt läuteten. Der Verkehr stand still, und der Menschenstrom, der dem Sarg folgte, schien nicht abzubrechen”, schreibt Manfred Geier in “Aufklärung. Das europäische Projekt”, S. 291. Und er zitiert Karl Popper: Diese große Anteilnahme  zeigt: “Kant war für seine Mitbüger zu einem Symbol der Ideen der amerikanischen und französischen Revolution geworden; sie wollten Kant danken als einem Lehrer und Verkünder der Menschenrechte, der Gleichheit vor dem Gesetz, des Weltbürgertums, der Selbstbefreiung durch Wissen und des ewigen Friedens auf Erden” (ebd.)

Nicht nur die Philosophien, auch heute, brauchen Kant. Sein Denken klärt und vertieft und inspiriert die ethischen, religiösen und politischen Überzeugungen vieler Menschen weltweit. Man darf wohl sagen: Kant lebt. Er hilft immer noch den eigenen Geist von religiösen Vorurteilen zu befreien, er hilft, die ethische Praxis zu reflektieren: Zum Beispiel: Wenn Menschen Böses tun, so hat dies nichts mit dem theologischen Konstrukt der Erbsünde zu tun: Sie erlauben sich vielmehr in ihrer Freiheit, für sich eine Ausnahme im Respekt des Gesetzes zu machen; sie belügen sich hinsichtlich der eigenen Sonderrolle. Der “faule Fleck” im Menschen ist das menschliche Vermögen, sich selbst zu belügen. Das “moralische Gesetz in mir” beschreibt  den absoluten Wert des Menschen. Aus dem Respekt vor dem moralischen Gesetz entsteht die Selbstachtung. Moralisches Verhalten (nicht: legales Verhalten) ist das Entsprechen des moralischen Gesetzes IN MIR, nicht irgendeines kirchlichen oder göttlichen oder weltlichen Gesetzes “von außen”. Also: Zuerst kommt die Moral, danach kann sich ein vernünftiger Glaube entwickeln. Religion (bzw. religiöse Institution) darf niemals die Moral bestimmen, sie wäre ein Gesetz, das fremd von außen zum Menschen spricht.

Wer das Böse verstehen will, muss die menschliche Freiheit verstehen. Sie allein führt zu dem Willen, Böses zu tun. Aber würde der Mensch immer nur Gutes tun, wäre er nicht mehr frei. Die Diskussionen über Ausmaß und Qualität des Bösen sind Diskussionen über Ausmaß und Qualität der Freiheit, nicht einer irgendwie “dem” Menschen anheftenden Erbsünde. Diese ist ein Konstrukt, von Kirchenlehrern (Augustinus) erfunden, um die heilsnotwendige Rolle der Kirche zu etablieren (“die Taufe allein befreit von der Erbsünde…”)