Kardinal Sarah: Über den Liebling von EX-Papst Benedikt

Hinweise von Christian Modehn

Ein aktuelles Vorwort:
Er ist letztlich der Autor der allerneuesten Polemik gegen die Abschaffung des Zölibats jetzt im Januar 2020: Kurienkardinal Robert Sarah (Guinea). Und er schreibt oft umfangreiche Pamphlete gegen die Reform der römischen Kirche. Er hat ein reaktionäres Netzwerk um sich gesammelt, bei Ex Papst Benedikt geht er ein und aus. Mit ihm will er die römische Kirche offenbar endgültig ins “Abseits” und Ende führen. Also ins Sektendasein der Anti-Moderne. Seine Freunde sind u.a. auch Kardinal Müller oder Frau von Thurn und Taxis…Es lohnt sich, an Sarahs Ausführungen auf der römischen Bischofssynode zu erinnern (2015), um das ganze Ausmaß der Ideologie von Kardinal Sarah zu erfassen (siehe weiter unten).
Und es lohnt sich zu wissen, dass der Privatsekretär und Vertraute von EX Papst Benedikt, also Erzbischof Gänswein, auch ein sehr guter Freund von Kardinal Sarah ist. Gänswein hat 2015 ein enthusiastisches Vorwort zu dem Sarah Buch “Gott oder Nichts” geschrieben: Darin heißt es u.a.: “Es ist die Radikalität des Evangeliums, die dieses Buch inspiriert, die Radikalität, die schon viele Glaubenszeugen bewegt und angetrieben hat, die Radikalität einer unausweichlichen Entscheidung, vor der letzlich jeder einzelne Mensch steht…” Erschienen ist das Sarah Buch im Fe Medien Verlag in Kisslegg, einem Verlag, der eine Art Sammelbecken konservativer und reaktionärer Theologen ist: Dort hat Erzbischof Gänswein übrigens auch kürzlich ein eigenes Buch publiziert.
Durch die reaktionären Seilschaften im Vatikan und weltweit ist die römische Kirche längst gespalten. Warum haben Theologen Angst, diese Tatsache akzeptieren und auf dieser Basis weiterzudenken?

Ein Hinweis von Christian Modehn über den Kurienkardinal SARAH: Veröffentlicht 2015.

„Die Gender-Ideologie und der islamische Staat teilen beide denselben dämonischen Ursprung. Was der Nazismus und der Kommunismus im 20. Jahrhundert waren, das ist heute die westliche Homosexualität, die Abtreibungs-Ideologie und der islamische (!) Fanatismus“.

Diese “freundlichen” Worte  sagte dieser Tage (2015), offenbar ohne lautstarken offiziellen Protest, einer der führenden Kardinäle des päpstlichen Hofes, also der Curia, der aus Guinea stammende Kardinal Robert Sarah.

Was es mit diesen nicht sehr hübschen Worten eines der engsten Mitarbeiter des Papstes auf sich hat, erklärt der folgende Beitrag, der sich der Aufklärung und der Religionskritik verpflichtet weiß. Und sich wundert, wie eigentlich angesichts solcher Gestalten wie Kardinal Sarah und Benedikt XVI., heute noch einige Unentwegte an eine Reformation der römischen Klerus-Kirche glauben können…

In der Tageszeitung LE MONDE, Paris, informiert Cécile Chambraud am 17. Oktober 2015, Seite 6, über Details der Welt-Bischofssynode in Rom. Da diskutieren ja bekanntlich im Oktober ca. 260 katholische Bischöfe über das „weite Feld“ der Familien, auch über Sexualität, auch über Homosexualität.

Die afrikanischen katholischen Bischöfe zeigen sich auf der Römischen Bischofssynode als leidenschaftliche und polemische Verteidiger der alten Moral- (Un)- Ordnung. Ihr gemeinsames Motto: „Es darf keinen Wandel, keine Erneuerung der katholischen Ethik zur Ehescheidung oder zur Homosexualität geben“. Die Bischöfe Afrikas wollen den ethisch-konservativen Status quo aus dem 19. bzw. 20. Jahrhundert erhalten, wollen unbedingt das bewahrt sehen, was ihnen die europäischen Missionare einst eingeschärft hatten. Sie sind also nach wie vor die kaum selbst-denkenden, treuen Schüler der Missionare von damals, vom 18. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Wie schon in der Anglikanischen Welt-Kirche wollen auch in der Römischen Kirche die Bischöfe Afrikas die Bewahrer der uralten moralischen Normen sein. Bei den Anglikanern droht eine Kirchenspaltung, weil sich die modernen Anglikaner in Europa und in den USA ihren eigenen Glauben von den, sagen wir es salopp, “Alt-Gläubigen” Afrikanern nicht nehmen lassen. Und was ist schon schlimm, wenn die “Alt-Gläubigen” ihre eigene Kirche aufmachen? Schlimm ist dies in gewisser Weise für sie nur dann, wenn nicht mehr die westlichen Gelder für die „Afrika-Mission“ und die wahrscheinlich nicht so furchtbar bescheidenen Wohnungen, Residenzen, der Bischöfe fließen… Aber zur Spaltung institutioneller Art wird es im Katholizismus wohl nicht kommen. Denn da denken selbst die allermeisten Bischöfe Europas doch nicht so modern, wie die Afrikaner von diesen behaupten. Eine ganz andere, reale Kirchenspaltung besteht im Katholizismus ja ohnehin schon, zwischen der modernen Basis (incl. einiger Ordensleute) und der Hierarchie…Aber das ist ein anderes Thema im Zeichen des Gedenkens “500 Jahre Reformation 2017”.

Wichtig ist die Erkenntnis, die den afrikanischen Bischöfen nicht so vertraut ist: Die Ehe, die heute als die katholische Ehe hingestellt und verteidigt wird, ist die in der Forschung so genannte “Liebes-Ehe”. Sie hat sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt, als bürgerliche „Anstalt“ zur Pflege der Lust, der Zeugung von Nachkommenschaft und des Erhalts der guten Sitten im Obrigkeitsstaat (Mätressen neben der Ehefrau durften sich bekanntlich nur die sehr katholischen Könige, etwa in Frankreich, ohne jeglichen kirchlichen Einspruch „halten“, wahrscheinlich auch die Erzbischöfe etc. damals und heute). Also: Welcher Theologe kann diese Ehe des 19. Jahrhunderts noch im Ernst als DIE katholische Ehe verteidigen?

Wie auch immer: Wenn die Argumente ausgehen, pflegen die Konservativen, auch die entsprechenden Herren der römischen Kirche, eben üblicherweise die Polemik, neuerdings blinden Hass, als Zeichen einer hochgradigen geistigen Verwirrtheit und Stgnation. Einer der einflußreichsten Kardinäle am päpstlichen Hofe, der Kurie, ist Robert Sarah, er stammt aus Guinea aus einer „heidnischen Familie“, also aus einer Familie, die den Naturreligionen folgte, wie er selbst sagt. Und Sarah ist, man glaubt es kaum, zuständig für alle, aber auch alle Fragen der Gottesdienstgestaltung in der weltweiten römischen Kirche.

Dieser Herr sagt also, ich zitiere noch einmal aus dem genannten Beitrag in „Le Monde“: „Die Gender-Ideologie und der islamische Staat teilen beide den selben dämonischen Ursprung. Was der Nazismus und der Kommunismus im 20. Jahrhundert waren, das ist heute die westliche Homosexualität, die Abtreibungs-Ideologie und der islamische (!) Fanatismus“. Dabei brandmarkte Kardinal Sarah, berichtet „Le Monde“ wörtlich zitierend, „die zwei apokalyptischen wilden Tiere (also aus dem Neuen Testament, Buch der Apokalypse des Johannes), das erste Tier ist die Vergötzung der menschlichen Freiheit; das andere Tier ist der islamische Fundamentalismus“. Und weiter: „Alle Öffnung der Ehemoral ist irregulär“! Damit will der Kurienkardinal sagen: Ist der etwas aufgeschlossene Papst Franziskus vielleicht selbst ein Ketzer? Kann man menschliche Freiheit vergöttern? Diese Frage hat man schon Immanuel Kant gestellt, und er entschieden und begründet Nein gesagt. Die Freiheit selbst ist ein Gottesgeschenk. Das hat sich in Rom noch nicht so herumgesprochen.

Jedenfalls hat der offenbar etwas sehr verwirrte Kardinal Sarah jetzt noch einen Beitrag in einem Sammelband afrikanischer Bischöfe schreiben können: „L Afrique nouvelle, patrie du Christ“, also „Afrika, das neue Vaterland, die neue Heimat, Christi“. Darauf läuft die Haltung Sarahs und der anderen afrikanischen Bischöfe hinaus. Sie fühlen sich als Retter der Kirche, als die Bewahrer der reinen Lehre, nur in Afrika wird Christus weiterleben. Es ist nicht ohne Ironie, dass die vor kurzem von Europa Missionierten sich nun als die besseren Katholiken aufspielen, sich also ihrerseits machtvoll-intolerant, also kolonialistisch verhalten. Wird eigentlich schon darüber diskutiert, dass man Herren die Geldspenden für ihre Bistümer, in Milliarden Euros seit Jahren, einfach mal ein bißchen sperrt? Und wissen die europäischen Missionsfreunde eigentlich, welchen Bischöfen sie da in Afrika ihre Spenden überlassen? Und gibt es denn keinen einzigen afrikanischen Bischof, der noch den Mut hat, in aller Öffentlichkeit NEIN zu sagen zu diesem Wahn der Konservativen? Warum wird das von kirchlicher offizieller Pressearbeit verschwiegen. Es muss doch auch einen Bischof Jacques Gaillot in Afrika geben?

Papst Franziskus kann es sich mit der afrikanischen Kirche nicht verderben: Denn die Katholische Kirche in Afrika wächst zahlenmäßig äußerst schnell, kein Wunder, nebenbei, wenn die „Pille“ erstens verboten und zweitens unerschwinglich teuer ist für katholische Ehepaare irgendwo im Busch…Es sind die Afrikaner, die die römische Kirche statistisch stärker machen als den Islam, ein für religiöse Machtpolitker wichtiger Gedanke.

Aber Franziskus will wohl auch aus seiner Sicht Afrikas Bischöfe nicht kritisieren, hat er doch die Sprache der afrikanischen Bischöfe selbst schon übernommen, als er etwa im Januar 2015 auf den Philippinen sagte: „Es gibt einen ideologischen Kolonialismus, der versucht die Familie (also das uralte Familienbild) zu zerstören“, so Le Monde, siehe oben.

Kardinal Sarah jedenfalls hat vor kurzem ein voluminöses Buch veröffentlicht mit Titel, der gut seine absolute Anti-Haltung ausdrückt: „Gott oder Nichts“, erschienen im (kleinen, sehr konservativen) „Fe-Verlag“ in Kißlegg 2015. Das Vorwort schrieb der explizite Sarah Freund Erzbischof Georg Gänswein; einen zustimmenden Brief zum Buch hat Papst emeritus Benedikt XVI. verfasst. Der ja eigentlich sehr gebildete Papst hat, so wörtlich, das Buch von Sarah “mit großem geistigen Gewinn“ gelesen. Von den knapp 400 Seiten handeln ca. 250 von Sarahs Leben in Afrika. Spannend und theologisch wichtig sind erst die letzten Seiten, etwa wenn der römische Chef aller katholischen Gottesdienste, eben Kardinal Sarah, eine durchaus fundamentalistische Haltung vertritt, die man auch aus dem Mund etlicher Islamisten gehört hat. Sara sagt auf Seite 389: „Für einen Christen muss der Glaube die Form, die Gussformform sein GESAMTES privates und ÖFFENTLICHES, persönliches und soziales Leben werden“. Also: Aus dem Glauben sollte unmittelbar der Staat regiert werden? Ist das mit „Gussform“ gemeint?

Sein eigenes theologisches Denken in Bezug auf den Gottesdienst deutet Sarah mit seiner expliziten Vorliebe für die alte lateinische Messe an (Seite 386 f.). Er betont: „Dass wir in der Messfeier nach dem alten Messbuch (also aus dem 16. Jahrhundert) besser verstehen, dass die Messe ein Akt Christi und nicht der Menschen ist“. In der Messe feiert sich also Christus selbst… verstehe es, wer kann.

Ihn verbindet, so betont Sarah, mit Papst Franziskus, die Einschätzung der Gefährlichkeit des Teufels (Seite 383). Tatsächlich spricht ja Papst Franziskus in seinen Predigten in Santa Martha dauernd vom Teufel…

Und eine neue Ökumene deutet Kardinal Sarah an, ausgerechnet mit den Muslimen, mit denen er „eigentlich keinen theologischen Dialog sieht“ (192), hingegen froh ist, dass „die verschiedenen Autoritäten des Islam wie die Kirche mit Nachdruck die neue Genderideologie ablehnen“. Man würde sich fast wünschen, dass entsprechend denkende Imame auch auf der Bischofssynode in Rom jetzt die afrikanischen Bischöfe in ihrem Endkampf gegen alles europäisch-Böse unterstützen. Und im Vatikan das Gesamt-Afrikanische, Muslimische – Katholische – vielleicht auch Pfingstlerisch-Fundamentalistische NEIN zur Gender—„Ideologie“ und vor allem ihren Hass auf Homosexuelle aussprechen.

Die Auslassungen des Herrn Sarah, eines der wichtigsten Männer im Vatikan, der sogar schon als “papabile” bezeichnet wird, zeigen, wie tief eigentlich das Niveau im Vatikan gesunken ist. Das sagen wir mit Bedauern, weil es 1. heute dringendere Themen gäbe als diese Familien- und Sex-Themen und 2. weil die katholische Kirche als “Welt-Kirche” tatsächlich mit mehr Geist und Selbstkritik entschieden und gestaltend diese verrückte Welt etwas heilen könnte, natürlich immer im Sinne Jesu, also im Sinne der Humanität, der Güte, der Toleranz. Die Auslassungen von Herrn Sarah und so vieler anderer Bischöfe aus Afrika sind eine Katastrophe für die humane und freie Entwicklung  dieser Welt insgesamt.

Copyright: Christian Modehn,  Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Was heißt christlich glauben?

Hinweise auf eine Lebens-Philosophie
Von Christian Modehn

1.
Was „christlich glauben“ heute bedeuten kann, ist nicht allein den Definitionen der Kirchen und ihren Institutionen zu überlassen. Selbstverständlich kann auch Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Vorschläge machen, Hinweise geben.
Hier also, kurz gefasst und für „weite Kreise“ nachvollziehbar, Hinführungen zum christlichen Glauben, Skizzen zum Weiterdenken. „Den christlichen Glauben“ gibt es nur im Plural, verteilt auf unterschiedliche Kirchen, aber auch individuell – auch außerhalb der Kirchen – gedacht und gelebt von unterschiedlichen Menschen, die sich auch in unterschiedlichen Gesprächskreisen, etwa „philosophischen Salons“, treffen.
Dies auch als Beispiel für eine “freisinnige” Theologie. Sie muss sich gegen die so mächtig wirkende, zerstörerische fundamentalistische Theologie behaupten.
2.
Ich plädiere hier für einen christlichen Glauben als eine Lebens –Philosophie. Das heißt: Der/die einzelne kann für sich selbst im Nachdenken, in der Meditation oder in der aktiven, auch gesellschaftlichen Praxis den Kern des christlichen Glaubens entdecken, erleben, erkennen, zur Sprache bringen, oft auch in der je eigenen Poesie, die man manchmal auch Gebet nennen kann. Dabei bezieht sich dieser „Kern“ des Glaubens auf einige Grundeinsichten Jesu von Nazareth.
3.
In der Frühzeit des Christentums wurden der christliche Glaube selbst als eine philosophische „Schule“ verstanden, auch von den Philosophen und ihren Schulen (Neoplatoniker, Stoiker usw.). Der Austausch der unterschiedlichen philosophischen Schulen endete damit, als sich die Christen als die einzige, die wahre philosophische Schule durchsetzten und die anderen Schulen als eigene, wertvolle Lebensmodelle ignorierten oder unterdrückten. Ich kann hier zur Vertiefung nur auf einen ausführlicheren Beitrag verweisen. LINK
4.
Christen beziehen sich in ihrem religiösen Glauben vor allem zentral auf einen Text, die Bibel. Besonders auf die vielfältigen Texte des Neuen Testaments (NT). Dass darin wiederum je unterschiedliche Interpretationen der Hebräischen Bibel (Altes Testament, AT) erscheinen, kann hier nicht weiter entfaltet werden.
5.
Im Mittelpunkt des Glaubens steht die Gestalt Jesus von Nazareth, der gerade dann, wenn er zentraler Mittelpunkt im Leben sein soll, Jesus als der Christus genannt wird. Christus bedeutet wörtlich übersetzt: der Gesalbte, also der Mensch mit einer besonderen Würde, vor allem der eines Königs. Und „Christus“ heißt für heute übersetzt bedeutet: Dieser Jesus gilt als das wichtige, befreiende und erlösende „Vorbild“.
6.
Jesus von Nazareth selbst, den man zu Lebzeiten auch Propheten und „Menschensohn“ nannte, haben nur relativ wenige Menschen kennen gelernt und nach seinem grausamen Tod auch weiterhin geschätzt, verehrt, geliebt und von ihm gesprochen. Dieser Freundeskreis ist etwa in den Jahren zwischen 40 bis 60 gestorben. Man nennt diese „Anhänger“ Jesu „die JüngerInnen“ bzw. auch „die 12 Apostel“. Und wiederum deren Freunde haben die 4 Evangelien aufgeschrieben, in den Jahren zwischen 60 bis 80. Mit anderen Worten: Was etwa der Apostel Petrus selbst sagte oder der “Lieblingsjünger“ Johannes selbst mitteilte, ist unbekannt. Alle Berichte des NT beziehen sich auf eine vielfältige mündliche Erinnerung an Jesus von Nazareth, die dann die Erzähler selbst wiederum unterschiedlich verwenden. Unmittelbar ist Jesus von Nazareth selbst in den Texten des NT nicht „erreichbar“.
7.
Seit dem Jahr 50 etwa kann man Jesus von Nazareth nur über die Texte des Neuen Testaments, vor allem durch die vier Evangelien, erkennen. Die so genannten apokryphen Evangelien sind in einem noch größeren zeitlichen Abstand zum Leben Jesu verfasst worden, sie bieten viele, von der offiziellen Kirche unterdrückte Legenden aus dem Leben Jesu…
Zentral ist die Erkenntnis: Wer Jesus Christus als Mittelpunkt des Lebens, etwa der eigenen Lebensphilosophie, sucht, ist auf Erzählungen anderer angewiesen. Eine ähnliche Situation gibt es etwa im Falle von Sokrates, dessen authentische Worte nicht überliefert sind, durch Platon wird seine Gestalt lebendig. Von wichtigen religiösen „Vorbildern“ – etwa auch von Buddha – gibt es keine schriftlichen, „authentischen“ Selbstdarstellungen.
8.
Warum aber das Interesse an Jesus? Seine Person soll eine Offenbarung Gottes sein. Die Kirchen lehren: Gott offenbart sich in dem Menschen Jesus von Nazareth. Der Unendliche, der/die Ewige, das absolute Geheimnis, wie auch immer man die alles gründende Wirklichkeit nennt, kann sich über die Gestalt Jesu von Nazareth erschließen.
9.
Gott selbst „spricht“ nicht direkt als solcher. Gott „spricht“ durch die Vermittlung der Erzählungen der Freunde Jesu. Wer christlich glauben will, kann sich also niemals in einem Text direkt auf Gott beziehen. Jede Behauptung: „Dies sagt Gott“. „Dies will Gott“ usw. , ist also in dieser Absolutheit von vornherein unzutreffend. Solche Sätze legen einen Fundamentalismus frei: Dies ist der Wahn einiger bzw. jetzt leider vieler, die da meinen, auf der Seite Gottes zu stehen…
10.
Das Neue Testament ist (als vielfältige Interpretation des Glaubens der ersten Christen) Menschenwort und als solches historisch und kritisch, d. h. wissenschaftlich, zu untersuchen. Damit kann auch die Dimension des Außerordentlichen der Jesus-Gestalt erschlossen werden.
11.
Die Redeweise in den Gottesdiensten der Kirchen: „Sie hören Gottes Wort“ ist also lediglich eine Art poetische Sprache. Treffender müsste es heißen: „Sie hören nun die für uns inspirierende Deutung der göttlichen Wirklichkeit durch die ersten Freunde Jesu von Nazareth“. Das wäre die Wahrheit.
12.
Die entscheidende Frage ist: Kann die innere Bewegtheit, also der Glaube, wie ihn die damaligen Jesus-Freunde (gerade in ihrer, uns zum Teil befremdlichen Sprache) uns vorlegen, auch uns zu „unserer“ spirituellen Bewegtheit führen, zu einer christlichen Lebensphilosophie?
Hinzu kommt noch die Auseinandersetzung (und manchmal die kritische Abwehr) der vorgefundenen Dogmen und Bekenntnisse, die sehr umfangreich seit dem 3. Jahrhundert von der Kirchenführung formuliert wurden.
13.
Wer diese durchaus „spannende“ Mühe des Studiums und des Lernens erlebt, ist aber im „Resultat“ immer frei, auf die je eigene Weise bestimmte Aspekte für die eigene christliche Lebensphilosophie herauszustellen. Man kann etwa die „wunderbaren“ Gleichnisse Jesu für sich selbst in den Mittelpunkt der eigenen Lebensphilosophie stellen oder die anspruchsvolle und verstörende Bergpredigt oder die Erzählungen von der Auferstehung Jesu: Da wird sichtbar: Wie Jesus, der als verstorbener Mensch wie alle Verstorbenen im Grab bleibt, dennoch als „Auferstandener“ gedeutet und erlebt wird. Weil er – als ein “Sohn Gottes“ – vom Ewigen und Göttlichen in sich selbst ausgezeichnet ist. Diese Auszeichnung ist sozusagen die „Kraft“ der Auferstehung. Jesu Überwindung des Todes schließt aber auch die Erkenntnis ein: Alle Menschen sind als Geschöpfe Gottes auch mit dem Ewigen in Einheit verbunden, deswegen haben auch sie Anteil an der Auferstehung. In welcher Weise und Form dies geschieht? Diese Details entziehen sich dem Begreifen des Menschen. In der christlichen Lebensphilosophie wird sozusagen nur ein Türspalt über den Tod hinaus geöffnet, ein Türspalt, in dem das Licht des Ewigen etwas spürbar wird. Mehr nicht. Aber das ist schon viel, zumal für Menschen, die von einer christlichen Lebensphilosophie auch einen Hinweis, wenn nicht eine Antwort auf den Tod oder auf die Angst vor dem Tod (als definitives Verschwinden im Nichts?) erwarten.
14.
Es gibt aber eine weitere, eine andere Möglichkeit, den christlichen Glauben kennen zu lernen und ihn dann möglicherweise als Mittelpunkt des eigenen Lebens anzunehmen:
Zu den überlieferten Worten des Propheten Jesus von Nazareth gehört auch der Vorschlag: Die Liebe soll die alles entscheidende, gestaltende Kraft im Leben, in der Gesellschaft sein. Liebe ist über alles zu stellen: Die Nächstenliebe als universale Form der Liebe. Denn jeder und jede kann der “Nächste” sein. Diese Nächstenliebe erscheint aber im NT immer als Einheit mit der Gottesliebe. Jesu von Nazareths zentrale, alles andere in den Schatten stellende Erkenntnis und Weisheit heißt: Wer den Nächsten liebt, der liebt Gott. Weil in der Liebe der Sinngrund des Lebens mit bejaht wird, also Gott. Der große katholische Theologe Karl Rahner hat über diese Einheit von Nächstenliebe UND Gottesliebe wichtige Erkenntnisse mitgeteilt.
15.
In einer Lebenspraxis, die von Liebe, Friedfertigkeit, Solidarität, Empathie, Großzügigkeit bestimmt ist, geht dem Menschen inmitten dieser Praxis sozusagen ein Licht auf. Und dieses Licht wird von christlichen Lebensphilosophen als stille Anwesenheit eines überraschend Befreienden, „Beglückenden“, Überraschend – Göttlichen erfahren und ausgesprochen. In gewisser Weise hat wohl sogar der historische Jesus selbst diese Erfahrung beschrieben, als er von dem alles entscheidenden Urteil der göttlichen Wirklichkeit über das gelebte Leben der Menschen sprach: Entscheidend ist allein das Tun, das Tun des Guten und Gerechten. Konkret heißt das: Die Hilfe für Hungernde, das Trösten der Traurigen, der Beistand für die Leidenden usw. Man lese etwa im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums die Verse 34 bis 46.
16.
Wenn eine solidarische Lebenspraxis bereits entscheidend die christliche Lebensphilosophie ist, dann ergeben sich ganz neue Verbindungen unter den Menschen, die diese Lebenspraxis auf je eigene Art leben: Ich möchte hier nur an eine Erkenntnis des Theologen Paul Bolkovac SJ (Hamburg, 1907-1993) erinnern: „Sobald und solange jemand aus sich herausgeht, über sich hinauswächst und auf einen Anderen zugeht, fremde, andere Belange wahrnimmt, im doppelten Sinn des Wortes, dann ist er mit einer solchen Einstellung im Einklang mit Gott… Diese Praxis macht deutlich, wofür oder wogegen der Mensch steht. In der Gottlosigkeit befindet sich jeder, sobald und solange er in seinem privaten und auch kollektiven Egoismus befangen ist und gefangen bleibt“ (in: „Atheist im Vollzug – Atheist durch Interpretation“, in dem Buch „Atheismuskritisch betrachtet“, 1971, S, 22f.). Mit anderen Worten: Christen und Atheisten sind eng verbunden, sind Freunde, wenn sie eine Lebenspraxis der Solidarität (als Überwindung des Egoismus) leben. Und Atheisten (im Sinne des Egoismus) sind jene Christen und sich christlich nennende Politiker, die etwa eine Politik der Respektosigkeit für die Armen leben.
17.
So ist auch eine bestimmte solidarische Lebenspraxis im Respekt für die „anderen“ selbst schon christlicher Glaube. Aber diese richtige Glaubensform wird von den Kirchen so oft als gleichwertig zum „theoretischen Glauben“ übersehen. Wie alle Lebensphilosophie braucht auch diese eben eigene Worte, d.h. eine Poesie, Gebete genannt. Sie wird sich auch mit anderen austauschen und Gottesdienste gestalten, jenseits aller Routine.
18.
An eine dritte Möglichkeit einer christlichen Lebensphilosophie soll noch erinnert werden: Das Suchen und Fragen nach einem tragenden Sinn im Leben kann zu der Erkenntnis werden: Der Mensch ist selbstverständlich alles andere als ein bloßes „Naturwesen“. Er ist durch seinen Geist über alles Endliche „hinaus“ und damit verwiesen auf etwas Unendliches. Man lese Hegel in dem Zusammenhang! Der menschliche Geist ist nicht eingezwängt ins Weltliche, er transzendiert immer schon alles Vorfindliche – Gegebene. Wer achtsam diese Verwiesenheit auf das Unendliche lebt und zur Sprache bringt, kann von da aus einen Zugang auch zum christlichen Glauben finden. Er kann viele zentrale Glaubens-Wirklichkeiten inmitten seines eigenen Lebens erfahren und zur Sprache bringen: Die Erfahrung der Gnade etwa als das Geschehen eines (zu – fälligen) Beschenktwerdens. Oder die Sehnsucht nach einem Vorbild, das nicht (etwa als Guru oder gar als Führer) ausbeuterisch in die Irre führt, sondern zum je eigenen Sein befreit. Dieses immer schon im Geist, in der Seele, gesuchte Vorbild könnte dann in der Gestalt des Jesus von Nazareth entdeckt bzw. wieder-gefunden werden. Oder die berechtigte innere Sehnsucht nach einer heilsamen Gemeinschaft könnte zu einer Vorstellung einer Gemeinschaft oder Gemeinde führen, die im Geist der Offenheit und des Respekts die christliche Lebensphilosophie feiert. Wer dafür eine klassische theologische Begründung wünscht: Sie hat ihr Fundament in der Lehre vom “heiligen Geist”, der in jedem Mensch wirksam und kreativ handelnd und denkend lebt!
19.
Damit will ich sagen: Vom geistigen Leben der Menschen aus ließen sich die Grunderkenntnisse der biblischen Lehren selbst schon erschließen und ansatzweise formulieren. Auch die überlieferten Erzählungen und Lehren des Neuen Testaments sind nichts anderes als Äußerungen, schriftliche „Objektivierungen“, des inneren Erlebens der Autoren dieser Texte. Sie haben ihr eigenes inneres Bewegtsein niedergeschrieben so, wie sich heute Menschen in eigener Poesie ihr eigenes inneres Bewegtsein vom Glauben niederzuschreiben. So entstehen in gewisser Weise auch „heilige Schriften“ im Laufe der Glaubens – und Kirchengeschichte. Sie stehen in einem Dialog miteinander. Wobei den Texten der ersten Freunden (NT) sicher eine besonders zu respektierende Bedeutung zukommen wird.
Es gibt also ein Christentum, das von „unten“, von der seelischen und geistigen Bewegtheit entsteht.
20.
Warum ist hier immer von christlicher „Lebensphilosophie“ die Rede? Weil der christliche Glaube –„Gott sei Dank“ – weit über den kirchlich fixierten christlichen Glauben hinaus weist. Und weil Philosophie alles andere ist als ein abstraktes Theoretisieren. Philosophieren entsteht inmitten der Lebenspraxis und führt – reflektiert – wieder in eine neue, dann veränderte, möglicherweise tiefere, „verbesserte“ Lebenspraxis zurück. Und dann geht die geistige Bewegung erneut weiter. Christliche Lebensphilosophie ist niemals Stillstand, niemals Stagnation, obwohl so viele Kirchen heute immer noch diesen Eindruck hinterlassen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Modern-katholisch“: Über den großen Theologen Edward Schillebeeckx

Hinweise von Christian Modehn

1.
Über die Biographie und das umfassende Werk von Edward Schillebeeckx kann man sich im Internet informieren, siehe etwa auch die Studie von Ulrich Engel: (http://www.muenster.de/~angergun/nachruf-schillebeeckx.pdf)

Edward Schillebeeckx: Geboren am 12.11.1914 in Antwerpen, lehrte viele Jahre in Nijmegen, Niederlande, dort gestorben am 23.12.2009, vor 10 Jahren.
Gewiss, er ist ein Theologe, der zur letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört. Viele große Probleme des beginnenden 21. Jahrhunderts konnte er gar nicht kennen. Was hätte er etwa zu den apokalyptischen Vorstellungen angesichts der Klima-Katastrophen gesagt? Was zum Niedergang der Demokratien, was zur Zunahme des Rechtsextremismus und Antisemitismus? Dennoch bleiben viele seiner Erkenntnisse zumal über die Machtverhältnisse in der römischen Kirche nach wie vor – leider – aktuell. Und vor allem: Schillebeeckx war ein mutiger, ein frei-mütiger Theologe, wie man ihn im katholischen Bereich sehr selten findet. Deswegen allein ist er schon wegweisend.
Edward Schillebeeckx war ein umfassend gebildeter Theologe. Er kannte als „systematischer Theologe“ sehr gut die Ergebnisse der heutigen Bibelwissenschaften. Und er war bestens mit philosophischen Fragen vertraut. Davon geben seine drei großen, weit verbreiteten Studien der letzten Jahre Zeugnis „Jesus“ (1980), „Christus“ (1980) und „Menschen“ (1990).
Die zentrale Frage für mich ist: Ob sein Denken heute noch lebt? Gelegentlich erscheinen theologische Studien zu seinem Werk, eher bestimmt für Fachkreise. Und einzelne seiner spirituellen Vorschläge werden gewiss noch von einzelnen respektiert: Etwa sein dringender Hinweis: Nur ein menschenfreundlicher Gott verdient es, als Gott der Christen verehrt zu werden. Aber Tatsache ist auch, dass viele seiner Vorschläge von den Kirchenführern nicht nur ins Vergessen gedrängt, sondern auch gezielt unterdrückt wurden. Dabei hat sich Pater Schillebeeckx, Dominikaner, stets als Theologe der Praxis, der Kirchen – Reform verstanden. Er wollte Wirkung haben, so sehr er auch treffend für alle Theologen, auch die in Rom schreibenden, und auch für sich sagte: „Ich schreibe meine Bücher nicht für die Ewigkeit“.
Schillebeeckx war modern-katholisch, nicht römisch-katholisch. Er wusste: Modern-katholisch hat eine große Berechtigung heute, wo es doch so viele mittelalterlich-katholische Herren gibt und immer schon gab oder gar hellenistisch-katholische Theologen (wie Joseph Ratzinger). Und Schillebeeckx ahnte wohl: Angesichts der Machtverhältnisse im Katholizismus hat “modern – katholisch” letztlich keine Chance. Die Geschichte der katholischen Kirche der Niederlande ist dafür ein Beweis, es ist die Geschichte des Verbots alles Modernen und Katholischen durch Rom…Eigentlich ein Drama.

2.
Edward Schillebeeckx ist einer der großen katholischen Theologen, das ist gar keine Frage: Denn er hat nicht nur die Zeugnisse der ersten Christen (NT) und die Kirchenlehre als Normen des Glaubens angesehen, sondern er fand auch gleichwertig die Lebenserfahrungen moderner Menschen, wenn es um die Bestimmung des Glaubens und die Gestalt der Kirche geht. Für Schillebeeckx gab es also immer zwei gleichberechtigte Quellen des Glaubens: Sozusagen das „Damals“ und das „Heute“.
Nur ein Beispiel: Wenn die Grundüberzeugung vieler, leider nicht aller modernen Menschen demokratisch ist und von Menschenrechten geprägt ist, dann muss auch die katholische Kirche demokratische Strukturen haben und in einem Geist der demokratischen Gleichberechtigung von Laien und Priestern, von Männern und Frauen leben. „Warum sollte die Kirche denn ihr Verwaltungs- und Regierungsmodell nicht demokratisieren können, ohne dabei ihre Unterwerfung unter das Wort Gottes anzutasten? Als ob eine autoritäre Leitung der Unterwerfung der Kirche unter das Wort Gottes besser entspräche als eine demokratisch geführte Regierung…“(E.S., „Menschen – die Geschichte von Gott“, Freiburg, 1990, S. 275).

3.
Das ist besonders wichtig: Schillebeeckx nannte seine Theologie eine Korrespondenz zwischen Bibel und Lebenserfahrung. Theologie und Kirchenlehre/Predigt dürfen für ihn nicht naiv den Anspruch haben Einige vorgegebene Sätze der Bibel einfach „anzuwenden“ für die heutigen Menschen. Diese frontale Methode nannte Schillebeeck „das Vogel, friss oder stirb“, also: Nimm die alten Sprüche der Tradition an, so wie sie gelehrt wurden … oder du bist eben kein Christ mehr.
Vielmehr muss die Lebenserfahrung der modernen Menschen selbst eine Stimme haben, eine inhaltliche Bedeutung haben, wenn es um die Darstellung des Christentums heute geht. Aber Schillebeeckx ging nie so weit wie die heutige liberale Theologie zu sagen: Auch die heutige Lebenserfahrung bietet neue Erkenntnisse zur Gestaltung christlicher Lehre und Praxis. Man könnte ja – liberal theologisch sagen: Die Suche nach den gründenden Lebenssinn ist die Suche nach Gott. Und der gründende Sinn kann Gott genannt werden. Soweit geht Schillebeeckx nicht. Obwohl er klar sagte: Man kann heutige Christen nicht verpflichten, einfach alle überlieferten Auslegungen des Glaubens in der alten Sprache zu glauben. (vgl. E.S. „Menschliche Erfahrung und Glaube an Jesus Christus“, Freiburg, 1979 S. 35.). Schillebeeckx große Leistung war es, eine Haupttendenz modernen Lebens zu benennen: Die Suche nach einer heilen, umfassend menschlichen, gerechten Welt. Darum sagte er: Wenn die Kirche heute von Erlösung oder „Heil“ spricht: Dann meint sie nicht nur „Seelenheil“, sondern vor allem die “Heilmachung” des ganzen Menschen, in all seinen Aspekten und der Gesellschaft, in der der Mensch lebt“ (ebd. 47).

4.
Nur auf einige grundlegend kritische Äußerungen möchte ich noch hinweisen: Schillebeeckx wollte von Gott nicht „zu viel wissen“, er wollte Gott Gott sein lassen, als ein bleibendes Geheimnis. Darum sagte Schillbeeckx: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitäts – Theologie fast ein Agnostiker. Ich bekenne die Trinität, aber ich übe gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Anstrengungen, die Beziehungen zwischen den drei (göttlichen) Personen rational zu erfassen“. („E.S. im Gespräch“, Luzern 1994, S. 107).
Oder:
Gegen Missbrauch der Religion als Opium des Volkes betonte er: „Lieber kein Glaube an das ewige Leben als einen Gott bekennen, der Menschen im Hier und Heute demütigt, also klein hält und politisch erniedrigt mit des Glaubens Blick auf ein besseres Jenseits“ (E.S., „Menschen…“, S. 173)

5.
Philosophisch inspirierend bleibt sein Plädoyer, die Kontrast – Erfahrungen zu respektieren, auch als Orientierung für eine philosophische Lebenshaltung im Alltag. Er meinte: Menschen sind ständig mit Begrenzungen des Lebens konfrontiert, mit Leiden und Schmerzen, mit Ungerechtigkeit und Krieg. Aber, und darauf kommt es an: In der Erkenntnis des Negativen schließen sich die Menschen nicht ein. In ihrem Verlangen, in ihrem Geist, der Vernunft, streben sie über das negativ Erfahrene hinaus. Als Kontrast zum Negativen leuchtet unthematisch stets das „Andere“, das Bessere, das Gerechtere auf. In dieser Erkenntnis folgt Schillebeeckx den Erkenntnissen der Dialektik, vielleicht auch Ernst Bloch. Entscheidend aber ist: In dieser Kontrast – Erfahrung treffen sich Menschen unterschiedlicher religiöser und philosophischer Überzeugungen, Theisten und Atheisten zum Beispiel. Sie können auf der Basis gemeinsamer Kontrast – Erfahrungen zum gemeinsamen Handeln finden. „Weltliche“ NGOs, wie „Ärzte ohne Grenzen“, sind für ihn ein Beispiel eines humanen Handelns von Menschen verschiedener Weltanschauungen. „Wo durch Menschen Gerechtigkeit geschieht, kommt das Reich Gottes“ (Schillebeeckx: „Gott ist jeden Tag neu“, Mainz, 1984, S.77).
An die Gespräche von Schillebeeckx mit Leo Apostel, einem bekannten Atheisten in Belgien, im Jahr 1988, müsste in dem Zusammenhang erinnert werden, Apostel ist Autor des Buches „Atheistische Spiritualiteit“ (Brussel 1998). „Apostel gibt zu, dass eine humanistisch-agnostische Weltanschauung zwar eintritt für die Menschlichkeit des Menschen. Aber dass sie häufig ihre philosophischen Hintergründe und Fundamente ungedacht sein lässt“. (so Jan van de Veken, Leuven).

6.
Schillebeeckx liebte die Öffentlichkeit: In zahlreichen Interviews hat er einige zentrale Einsichten für weite Kreise vorgetragen, etwa in einem großen Interview für die angesehene große Tageszeitung „NRC Handelsblad“ vom 20. November 1999. Es sind solche Interviews, die Schillebeeckx in seiner menschlichen, seiner geistigen und theologischen Freiheit zeigen, auch in seiner Freundlichkeit, in seinem Mut, selbst schwierige Fragen kurz zu beantworten.
So wird in dem genannten Interview von Frénk van der Linden die Frage gestellt, ob für ihn als katholischen Theologen und Spezialisten für die Sakramente Gott vor allem in den Sakramenten (Taufe, Kommunion etc.) erfahren werden kann: „Ich will sagen, dass man Gott nicht allein in den Sakramenten begegnet, sondern überall. Der Kontakt mit Gott ist der Kontakt mit Menschen. In den Sakramenten wird dies neu gefeiert… Gott greift in unsere Welt nicht von oben ein. Er ist immanent in allen Dingen“.
Aber welche Konsequenzen hat das für die Ethik?
In dem genannten Interview sagt Schillbeeckx: „Ethik hat als Basis Menschenwürde und Humanität. Dazu hat jeder etwas zu sagen, nicht nur die Kirche. In Fragen der Ethik kann man sich nicht auf Gott berufen. Ethik ist ein menschlicher Konsens, der nach langem Suchen entsteht. Und was die Homosexualität betrifft: Als Gott die Welt und die Natur geschaffen hat, hat er auch Homosexuelle geschaffen. Homosexualität ist eine gute Schöpfung Gottes“.

7.
Und es bezeichnend für den Freimut, in dem Schillebeeckx denkt und auch öffentlich spricht: Wenn er den damaligen katholischen Bischof von Groningen, Wim Eijk, (heute Kardinal in Utrecht und Opus Dei Mitglied) kritisiert: Eijk hatte Homosexualität als Krankheit bezeichnet, die man heilen kann. Dazu sagt Schillebeeckx in dem genannten Interview: „Dies ist ein Torheit, dieser Mann (also der katholische Bischof) ist ein Narr“. Genauso deutlich ist Schillbeeckx gegenüber dem damaligen Erzbischof Simonis von Utrecht: Es sei Unsinn, wenn der Erzbischof behauptet, dass nur im Sakrament, etwa in der Messe eine Gotteserfahrung sich ereigne. „Faktisch macht die Kirche Unsinn, und man muss den Mut haben, das zu sagen“ („E.S. im Gespräch“, a.a.O., S. 86).
In dem NRC Handelsblad sagte er am 20. November 1999: „Der Papst (Johannes Paul II.) ist ein Alleinherrscher, er beschließt alles selbst. Das ist eine verkehrte `Betriebsleitung`. Er versammelt lauter Ja – Sager um sich“ . Und bezogen auf die autoritäre Durchsetzung konservativster Bischöfe in Holland sagt Schillbeeckx:“ Jetzt kommt alle Weisheit aus Rom und die Leute laufen aus der Kirche weg“.
Schillebeeckx hat übrigens immer sehr deutlich zu den Basisgemeinden in Holland bekannt, er war aktiv bei der „Acht-Mei-Beweging“, die als Protestgruppe gegen den Besuch des Papstes (Johannes Paul II) 1985 entstanden war. Schillebeecks hat Partei ergriffen, das zeichnet ihn aus auch gegenüber deutschen katholischen Universitäts-Theologen.

Es ist dieser Mut zur öffentlichen Kritik an katholischen „Amtspersonen“, der Schillebeckx auszeichnete. Und der ihm das Leben gewiss nicht leichter machte, dennoch nannte er sich oft „einen glücklichen Theologen“. In diesem Freimut ist er sicher tief mit der niederländischen Kultur verbunden. So hat er sich auch gegen konfessionelle Parteien ausgesprochen, wie gegen die CDA in Holland, die etwas verwandt ist mit der deutschen CDU. „Denn die Politik selbst ist autonom, ein innerweltliches Gebiet, darum bin ich gegen konfessionelle Parteien. Aber ich glaube, dass es eine Politik von Christen gibt, die verteidigen politisch die Menschen, die unterdrückt sind. In der Hinsicht ist die Partei „GroenLinks“ (Grün-Links) christlicher als die CDA.“

8.
Mit einigen seiner wichtigen theologischen Vorschläge für eine neue Praxis der Kirche ist Schillebeeckx zweifellos gescheitert: Er trat, theologisch gut begründet, dafür ein: Frauen und Männer aus den Gemeinden, also Laien, sollten aus den Gemeinden berufen werden, die Gemeinde zu leiten und damit auch die Eucharistie zu feiern. Dies war, kurz gesagt, sein Vorschlag, um aus den Irrwegen und Engpässen der alten Klerus-fixierten Priesterkirche herauszufinden. Sein Vorschlag, so hilfreich gerade heute, wurde selbstverständlich möchte ich sagen, von den Kirchenführern in Rom zurückgewiesen. Die niederländischen Dominikaner machten 2007 noch einmal einen ähnlichen Vorschlag für die niederländische Kirche: Es ginge ums Überleben der katholischen Gemeinden, weil der Mangel an zölibatären Priestern immer größer wird. Deswegen sollten Laien die Gemeindeleitung und den Vorsitz in der Eucharistie übernehmen. Dazu wurde sogar in Amsterdam ein Kongress veranstaltet: Aber: Das Vorhaben wurde von Rom verboten und die mutigen Dominikaner mussten sich entschuldigen für ihre ketzerischen Thesen. Auf diesem Niveau befindet sich die römische Lehre und die vatikanische Allmacht.

9.
Schillebeeckx` Motto könnte sein: „Wir müssen vernünftig Glaubende sein, der Fundamentalismus in den Religionen, auch im Christentum, führt zum Obskurantismus, also zur geistigen Verwirrung“. (vgl. „E.S. im Gespräch“, S. 149)

10.
Besonders inspirierend finde ich, zumal für theologisch nicht so umfassend gebildete LeserInnen, die beiden Interviewbücher: „Gott ist jeden Tag neu“ (1984, Mainz) und „Edward Schillebeeckx im Gespräch“, Luzern 1994.
Es ist ein Ausdruck für die zunehmende Irrelevanz großer Theologie heute, dass beide Bücher nur noch zu Spottpreisen antiquarisch zu haben sind. Ich empfehle dringend den Kauf … solange der alte Vorrat reicht…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der katholische Theologe Johann Baptist Metz ist gestorben: Wie politisch war der “politische Theologe” eigentlich?

Johann Baptist Metz war viele Jahre Theologe an der Universität Münster. Am 2. Dezember 2019 ist er gestorben, geboren wurde er am 5.8. 1928 in Franken.
Metz gilt als einer der wichtigen Theologen des 20. Jahrhunderts, zumal er mit einer eigenen neuen Idee von sich reden machte: Die “neue politische Theologie”, die viele Studenten begeisterte. Und viele Katholiken ermunterte, die Hoffnung auf Reformen in der römischen Kirche nicht zu verlieren und doch noch in der katholischen Kirche auszuharren.
Es ist nicht übertrieben, Metz einen weltweit einflußreichen Theologen (bis nach Lateinamerika vor allem) zu nennen. Er war eher kritisch gegenüber bestimmten traditionellen Auffassungen der Theologie als kritisch gegenüber der Institution der katholischen Kirche. Da war er lange Zeit eher zurückhaltend, wahrscheinlich ein Grund, dass ihn 1998 sein theologischer Gegner, Kardinal Joseph Ratzinger, in Münster besuchte und ehrte.
Wer sich mit der Theologie von Johann Baptist Metz befassen will, dem empfehle ich, zumindest die Rezension, ein umfangreiches Buch seiner Freunde und Schüler, erschienen 2018. Der LINK.

Die heutige liberale Theologie: „Ein Appell zum Selberdenken“

Ein Interview mit dem protestantischen Theologen Wilhelm Gräb
Die Fragen stellte Christian Modehn

Sie haben kürzlich als einer der wichtigen Theologen, die die heutige „liberale Theologie“ vertreten, gesagt: „Die liberale Theologie hat es heute besonders schwer“.
Bevor ich nach den Gründen für diese Aussage frage: Was ist denn – kurz gefasst – eine heutige, moderne liberale Theologie?

Liberale Theologie denkt von der Religion der Menschen her. Sie ist die Explikation eines Denkens, das ein Sich – Befassen mit den existentiellen, letztlich auf den Sinn des Ganzen gehenden Grundfragen des Lebens ist. Liberale Theologie behauptet jedoch gerade nicht, auf diese Fragen eine abschließende Antwort zu haben. Sie beruft sich weder auf das biblische Offenbarungszeugnis, noch auf die Lehren und das Bekenntnis der Kirche. Sie appelliert an die Fähigkeit zum Selbst-Denken in Verbindung mit dem Empfinden, dass das Leben immer wieder dazu nötigt, zu fragen, was ihm Bedeutung gibt, wie ich mich selbst und mein Dasein in der Welt verstehe.
Diese Sinnfragen sind religiöse Fragen, die zur Theologie, d.h. in ein Gott-Denken führen. Nichts in dieser Welt ist von der Art, dass es nicht auch erschüttert werden und zerbrechen könnte. Auch mit der Rede von Gott und seinem Handeln in der Welt verbindet liberale Theologie dann aber nicht das Versprechen einer unerschütterlichen Sinn- und Heilsgewissheit. Genau dadurch steht sie im Gegensatz zu einer fundamentalistischen Denkungsart. Sie gibt die Vorläufigkeit, Relativität, Endlichkeit menschlichen Seins und Denkens, auch dann und dort zu, wo es sich auf Gott bezieht. Gott steht der liberalen Theologie für den Unbegreiflichen Sinn des Ganzen und der Glaube, bzw. das Vertrauen auf ihn für die menschliche Fähigkeit, diese Unbegreiflichkeit aushalten und in Lebensenergie umsetzen zu können.
Mit liberaler Theologie müssen wir keine absoluten Wahrheitsbehauptungen aufstellen, nicht unbedingt auf unserem Recht beharren. Dann können wir die Vielfalt der Meinungen und die Unterschiedlichkeit der Lebensformen wie auch der religiösen Tradition und Positionen ohne Gefahr eines Verlustes der eigenen Identität anerkennen und aushalten. Darin liegt der Freiheitsgewinn liberaler Theologie. Das macht sie allerdings auch unbequem. Sie verlässt sich nicht auf kirchliche oder staatliche Autoritäten. Sie ist kritisch gegenüber Machtansprüchen, die von dort ausgehen. Sie bietet damit allerdings auch keine absolute Sicherheit.

Was hat denn heutige liberale Theologie zu sagen, wenn Gläubige bekennen: „Jesus Christus ist der Erlöser“. Dies ist ja eine Formel, die etwa im Umfeld von Weihnachten oft gesprochen wird…

Das Bekenntnis des christlichen Glaubens, zu dem die Aussage gehört: dass von dem Menschen Jesus ein erlösender, von der Sünde befreiender, d.h. die Trennung von Gott überwindender Impuls ausgegangen ist und ausgeht, versteht liberale Theologie nicht als einen Inhalt bzw. Gegenstand des Glaubens – wie es in der kirchlichen Theologie der Fall ist. Liberale Theologie versteht die Aussagen des christlichen Bekenntnisses bzw. Dogmas als Anregung zur religiösen Selbstdeutung. Von Jesus, so sagt die liberale Theologie, kann deshalb eine erlösende Wirkung ausgehen, weil er Gott auf die Erde geholt hat. Gott, so wie Jesus ihn von Anfang an zeigt, in seinem Leben, bis hin zum Tod am Kreuz, ist nicht der machtvolle Herrschergott. Er ist die Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Gott ist der, der als der Abwesende anwesend ist, die ohnmächtige Macht der Liebe.
Wenn ich mich zu dem in Christus Mensch gewordenen Gott bekenne, heißt das also, dass ich mich selbst als zur Freiheit bestimmt verstehe, keiner höheren Autoritäten verpflichtet als dem Anspruch, den ich an mich selbst stelle: Nämlich ein Mensch zu sein, ein menschlicher Mensch, d.h. der „Menschheit“ in mir, also der Idee der Humanität verpflichtet. So ist Gott da, so ist er in allen da, sofern sie sich nur der Kraft bewusst werden, die in ihnen ist – und sich auf diese Kraft verstehen. Ein Kinderlied zu Weihnachten bringt diese liberaltheologische Deutung von Weihnachten gut zum Ausdruck: „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind…“, wo es in der letzten Strophe heißt: „ist auch dir zur Seite, still und unerkannt, dass es treu dich leite an der lieben Hand“.

Auch in Ihrem neuen Buch „Vom Menschsein und der Religion“ haben Sie betont: Für eine heutige liberale Theologie ist die Verbindung der Menschen mit der grund-legenden Sinnfrage entscheidend. Da öffnen Sie einen weiten Raum, der über die dogmatische Gottesfrage hinausführt: So dass auch Menschen ihre religiöse Spiritualität wahrnehmen können, die gar nicht kirchlich sind, aber nach dem grundlegenden Sinn suchen. Ist dieses Denken nicht ein großes weites, durchaus „ökumenisches“ Angebot?

Die dogmatischen Inhalte des christlichen Glaubens sagen nichts über eine andere Wirklichkeit aus, sondern über andere Möglichkeiten des uns selbst Verstehens, was für uns unser Leben bedeutet, worin wir seinen Sinn finden und was uns darauf hoffen lässt, nicht vergeblich zu leben. Liberale Theologie zeigt diese Möglichkeit des Umgangs mit der Verschiedenheit der Konfessionen und Religionen auf. Sie weist darauf hin, dass mit und in den Konfessionen und Religionen andere Möglichkeiten unseres Selbstverständnisses gefunden werden können, und damit andere Möglichkeiten auch zu einer Deutung des Sinns unseres Lebens, dessen Unbegreiflichkeit zum Trotz.

Wäre diese theologische Weite nicht auch eine Basis für ein inter-religiöses Gespräch etwa mit Buddhisten und auch für ein Gespräch mit Humanisten, die von der Sinnfrage bewegt sind?

Natürlich, die Gegenstände bzw. Inhalte des Glaubens beschreiben ja keine objektive, unabhängig von uns Menschen, unserem Selbst- und Weltverständnis, gegebene Wirklichkeit. Die Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses drücken aus, wie ein Christ sich in seinem Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Welt versteht. Die Lehren des Buddha tun das auf ihre Weise. Ein Humanist entfaltet heute sein Selbst – und Weltverständnis am ehesten, indem er auf Formulierungen der Menschenrechtserklärungen Bezug nimmt. Das legt sich heute auch einem Christen nahe, dem es bei manchen Aussagen des christlichen Glaubensbekenntnisses schwer fällt, diese als Ausdruck seines Selbstverständnisses zu lesen.

Nun dann doch zu der zentralen Frage: Warum wird diese große Weite liberal – theologischen Denkens heute nicht wahrgenommen, nicht geschätzt und auch „offiziell“ kirchlich nicht empfohlen und gefördert?

Den Kirchen-Institutionen geht es zumeist nicht um das Christentum, nicht um den religiösen Sinn, den das Christentum den Menschen anbietet. Den Kirchen geht es um ihre Selbsterhaltung. Die, so meinen sie, hängt an der Geltung der Lehren, Bekenntnisse und moralischen Appelle, für die sie eintreten. Diese Auffassung von kirchlicher Autorität führt dazu, dass die liberaltheologische Freiheit zum Selbst-Denken, auch in religiösen Fragen, sowie auch die Reduktion des Bekenntnisses auf einen Ausdruck menschlichen Selbstverständnisses, als Bedrohung eben dieser Autorität erscheinen. Deshalb wird diese liberal-theologische Freiheit nicht geduldet, sondern sie wird abgelehnt und als Weg in die Beliebigkeit denunziert.

Ist also die Ablehnung der heutigen liberalen Theologie auch ein Hinweis auf die tief sitzende Angst vieler Menschen, die nur Sicherheit suchen, auch hundertprozentige eindeutige Sicherheit in ihrer Religiosität?

Das wird man so sehen müssen. Nur, so denke ich, es ist den meisten Menschen bewusst, dass es keine absolute Sicherheit gibt und auch die Religion ihr Konto heillos überzieht, wenn sie diese verspricht. Worauf es doch ankommt, ist, angesichts all der Unsicherheiten und permanenter Kontingenzanfälligkeit dennoch den Lebensmut nicht zu verlieren und hoffnungsfroh bleiben zu können. Lebensmut und hoffnungsfrohe Zuversicht entstehen aber nicht aus fundamentalistischer Rechthaberei. Die macht lediglich borniert. Sie entstehen und erneuern sich immer wieder z.B. dadurch, dass Menschen sich selbst nicht nur als ein Zufallsprodukt der Natur, sondern inmitten allen Lebens, das leben will, sich als ebenso absichtsvolle wie unendlich geliebte Geschöpfe Gottes verstehen.

Sollte man als liberaler Theologie heute diese falsche Sicherheit, manche sprechen von Sicherheitswahn, kritisieren und dabei helfen, diese Mentalität zu überwinden?

Ja, gerade die Theologie sollte es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben begreifen, deutlich zu machen, dass der religiöse Glaube keine Sicherheit schafft, sondern dazu befähigt, mit den unvermeidlichen Unsicherheiten besser, d. h. rational und zugleich mutig, die Angst ernst nehmend, aber zugleich hoffnungsstark umzugehen. Gerade im Zeitalter der ökologischen Lebensgefahr ist diese Aufgabe von der Theologie energisch wahrzunehmen. Weder eine religiös-fundamentalistische Leugnung der Gefahr hilft weiter, noch sind hysterische Panikreaktionen angebracht. Was es braucht, sind langfristig wirksame Strategien des Umbaus der Industriegesellschaft wie auch gravierende Änderungen des Konsumverhaltens. Dazu ist ein langer Atem nötig, wie er vielleicht doch am ehesten auch aus einem risikosensiblen und zur Selbstzurücknahme ermutigenden Gottvertrauen kommt.

Zum Schluss: Hat es dieser liberalen Theologie und ihren wenigen Gemeinden bzw. Kirchen an einer Emotionalität und Gemeinschaftserfahrung gefehlt? Wie lässt sich die nun einmal rationale liberale Theologie und Emotionalität versöhnen?

Es mag sein, dass dort, wo eine liberale Theologie gesucht und betrieben wird, eine Theologie, die aufs Selbst-Denken auch in den Fragen der Religion und des Glaubens ausgeht, die emotionale und affektive Dimension der Religion manchmal zu kurz kommt. Im Grund ist das aber ein Missverständnis. Denn, da es liberaler Theologie gerade nicht um die Anerkenntnis der objektiven „Wahrheit“ von Glaubensinhalten ankommt, sondern um deren das je eigene Selbstverständnis transformierende Bedeutung, zielt sie nicht nur auf den Verstand, sondern immer auch auf Herz und Gemüt. Vielleicht sind aber auch Gemeinden, die eine liberale Theologie betreiben, was die Praxis ihrer Gottesdienste anbelangt, in ästhetischen Formen gefangen, die heutige Menschen emotional nicht mehr ansprechen.

Ist die Kritik am heutigen „Niedergang“ der vom Ursprung her „liberalen Demokratie“ auch ein Thema heutiger liberaler Theologie?

Ich weiß gar nicht, ob wir vom Niedergang „liberaler Demokratien“ sprechen sollten. Der Begriff des Liberalen, so wie ich ihn jetzt in Bezug auf die liberale Theologie gebraucht habe, verträgt sich ja weder mit Parteiungen, noch beschreibt er einen Vorgang, den man historisch als irgendwann einmal gegeben oder erreicht bezeichnen könnte. Ob in der Religion oder der Politik, Liberalität beschreibt sowohl eine Haltung wie eine Aufgabe, die solange nicht erledigt sind, als es sich der Fundamentalisten und Extremisten von Rechts wie von Links zu erwehren gilt.

Sollte man vielleicht in Zukunft eher von liberal-sozial oder sozial-liberal sprechen?

Es hat in Deutschland bekanntlich mal eine „sozial-liberale Koalition“ gegeben. Das war nicht das schlechteste. Aber weil diese Bezeichnung an Parteien denken lässt, würde ich sie eher vermeiden wollen. Das Liberale ist sozial, allein schon deshalb, weil das Selbstdenken, zu dem es den Einzelnen auffordert, immer in sozialen Beziehungen verortet, kommunikativ ist und ausgerichtet auf das Wohl aller.

Zur Vertiefung wird noch einmal auf das neue Buch von Wilhelm Gräb empfehlend hingewiesen: “Vom Menschsein und der Religion”, dazu auch das einführende Interview auf dieser website!

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb, Theologe in Berlin
Und Religionsphilosophischer Salon Berlin. Veröffentlicht am 27.11.2019

Katholizismus und Aufklärung: „Verdammtes Licht“!

Das neue Buch des Kirchenhistorikers Hubert Wolf
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Der Titel des neuen Buches von Hubert Wolf (katholischer Theologe und Professor für Kirchengeschichte in Münster) ist gut gewählt – und provokativ: „Verdammtes Licht“, so möchte man zusammenfassen, sagten so viele Päpste, Prälaten und Theologen, die sich von der Philosophie und der Lebenseinstellung der Aufklärung abwandten und diese bekämpften: Diese Führer der katholischen Kirche glaubten, selbst über viel Licht, angeblich göttliches Licht, zu verfügen, um die böse Welt, die sündigen Menschen und die immer heilige Kirche zu führen. Was brauchten die Männer Gottes da noch „weltliches“ Licht, das Licht der Aufklärung? Das Licht, das die moderne Zeit auszeichnet, das Licht, das Hell und Dunkel zeigt, mit der Verpflichtung an jeden Menschen: Denke selber nach, folge nicht blind irgendwelchen Autoritäten. Dass dieses Licht missbraucht wurde, ist klar.
2.
Die Abwehr der Aufklärung durch die römische Kirche, die Abwehr dieses „verdammten Lichtes“ (wie der Aufklärer Christoph Martin Wieland sagte), spürt man bis heute: Man denke an die Zurückhaltung des Klerus, der Bischöfe, der Päpste, den sehr umfassenden, international „verbreiteten“ sexuellen Missbrauch im Klerus zu sehen, wahr-zunehmen und die Betroffenen den staatlichen (!) Richtern zu übergeben. „Bloß nicht zu viel Licht in der Öffentlichkeit, das schädigt das Ansehen der Institution Kirche“, dachten und denken diese Kirchenführer.

In diesem hier nur angedeuteten Zusammenhang, so denkt man, können die 10 Studien stehen, die der Kirchenhistoriker zwischen 2005 und 2016 vorgetragen bzw. publiziert hat. Aber es handelt sich dabei um kirchenhistorische Studien mit einer eher speziellen Thematik, vielleicht doch nur für Fachkollegen interessant: Man denke an die Studien in dem Buch über die Bedeutung des Zentrum – Politikers Ludwig Windhorst oder an die Rolle von Matthias Erzberger und seinen damals sehr ernst gemeinten Vorschlag, den Vatikan als Sitz des Papstes und seines Staates entweder nach Liechtenstein oder nach Mallorca zu verlegen. War dieser Vorschlag Ausdruck von Aufklärung? Auch die Studien über die Enzykliken Pius XI. gegen die Nazis sind wohl in dieser Ausführlichkeit eher für Fachkreise relevant.
3.
So weckt also der Titel „Verdammtes Licht“ mit dem Untertitel „Der Katholizismus und die Aufklärung“ viel zu umfassendere Erwartungen, zumal für philosophisch Interessierte: Denn das Thema Aufklärung ist nun einmal explizit ein philosophisches und philosophiehistorisches Thema. Davon ist nur im 9. Beitrag des Buches etwas ausführlicher die Rede. Von der Unterdrückung des Lichtes der Aufklärung im sexuellen Missbrauch durch Priester ist keine Rede. Darüber hat Hubert Wolf auch in seinem ebenfalls neuen Buch ZÖLIBAT geschrieben…
4
So muss man also als Leser eher im Hintergrund der Texte etwas suchen, wo sich denn diese angekündigten Spuren von Licht, verstanden als kritischer Aufklärung, finden. Leitend ist für den renommierten Kirchenhistoriker Wolf freilich die richtige Erkenntnis:“ Es gab eine Abscheu der Päpste vor der Moderne“ (S. 198). Und sehr treffend als Forschungshorizont die aus liberal-protestantischen Theologien seit langem bekannte Erkenntnis: “Die katholische Kirche ist nicht von Jesus Christus gegründet worden. Auch wenn sie sich auf ihn zurückführt, geht ihre institutionelle Gestalt nicht auf ihn zurück…“ (S. 12 f.) Diese Erkenntnis hilft dem Kirchenhistoriker, kleine, versteckte Spuren der Entwicklung der Lehre, auch der Dogmen, im Laufe der Geschichte zu finden. So kann Hubert Wolf durchaus von einer Pluralität der Katholizismen sprechen. D.h. es gab immer auch liberalere Strömungen. Marginal waren sie, das wird so deutlich nicht gesagt!. Wie lange diese liberalen Strömungen Bestand hatten vor der Verfolgung der Konservativen und Reaktionären, wird nicht so deutlich gezeigt von Hubert Wolf. Man hat manchmal den Eindruck, der Autor will unbedingt das Moderne im Katholizismus doch noch – apologetisch? – freilegen.
5.
Wo also gab es denn einige Licht-Spuren der Aufklärung im Katholizismus: Bei dieser Frage muss man bedenken, wie eng die Themen sind, die Wolf hier wählt. Da wird man eben nicht fündig zu Voltaire oder Kant und deren Beziehungen zur institutionalisierten Religion und Kirche. Nein, da geht es nur um innerkirchliche Fachthemen, etwa zur Gestalt des angeblich oder tatsächlich sehr braun nazigefärbten Bischof Hudal im Vatikan. Vielleicht hat er doch die Ideologie der Nazis deutlicher gesehen als angenommen? Und waren die Bischöfe nicht doch etwas aufgeschlossener, als sie nur mit Widerwillen und aus finanziellen Gründen die Priesterausbildung in den kirchlichen Anstalten, Priesterseminar genannt, organisierten! Und nicht die künftigen Priester an Universitäten studieren ließen? Und sind nicht, so fragt Wolf, in den Dokumenten des 2.Vatikanischen Konzils gewisse Durchbrüche zur Akzeptanz der Aufklärung zu erkennen, etwa in der großzügigen Anerkennung des Menschenrechtes auf Religionsfreiheit, im Jahr 1964! Dass der Vatikan-Staat bis jetzt nicht die Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet hat, wird meines Erachtens in dem Buch nicht erwähnt. So viel Licht hatte doch das 2. Vatikanische Konzil auch nicht!
6.
Vieles ist und bleibt eben auch „verdammt“ dunkel und mysteriös, in der jetzigen katholischen Kirche. Etwa der Teufelsglaube, den Papst Franziskus immer noch predigt, die Beliebtheit der Exorzisten, die Abwehr von Frauen als Priesterinnen, die Zurückweisung einer umfassend synodalen, also demokratischen (aufgeklärten!) Kirche und so weiter. Von all dem ist in dem Buch keine ausführliche Rede.
7.
Darum noch einmal: Ehrlicher wäre für das Buch der Titel: „10 Fachstudien über einige Aspekte der katholischen Kirchengeschichte vor allem im 19. und 20. Jahrhundert“. Und als Untertitel: „Vermischt mit einigen grundsätzlichen Thesen zur Notwendigkeit der Kirchenreform“.

Hubert Wolf, Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung
C. H. Beck, München 2019, 314 S. 29,95 €

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Papst Benedikt XVI: “Die rechte Hand Gottes”. Noch einmal publiziert anläßlich des Films “Verteidiger des Glaubens”von Christoph Röhl

Politisch – theologische Optionen Joseph Ratzingers
Von Christian Modehn, fertig gestellt am 22. 3. 2009

1. Regensburg

„Joseph Ratzingers Bruder ist der Chef der Regensburger Domspatzen. Aber das allein könnte eigentlich kein Grund sein, von Tübingen weg zu gehen“, bemerkte der katholische Theologe Karl Rahner in der ihm eigenen Ironie (1). Tatsächlich war es nicht die Liebe zur Musik, die Professor Ratzinger dazu führte, schon nach drei Jahren, 1969, seinen Dogmatik Lehrstuhl an der Universität Tübingen aufzugeben. Es war eher die Frustration darüber, dass z. B. sein Kollege Hans Küng sehr wohl mit den rebellierenden Studenten 1968 diskutieren konnte. Dem eher schüchternen Ratzinger aber war das „rebellische Aufbegehren“ zuwider. (2) Der Wechsel nach Regensburg wurde für die weitere Zukunft zur entscheidenden Neuorientierung. Karl Rahner betont: „Ratzinger hat eingestandenermaßen eine Wendung gemacht, als er von Tübingen nach Regensburg ging“. (3) An die theologische Fakultät in Regensburg wurde er nur deswegen berufen, weil ein ursprünglich für Judaistik bestimmter Lehrstuhl dort nicht besetzt werden konnte und der freie Platz nun in katholische Dogmatik umgewidmet wurde! Den Start in Regensburg empfand er als glücklich, wie er gesteht: „So war bald wieder das rechte universitäre Fluidum gegeben, das mir für meine Arbeit so wichtig war“ (4). Sein Dogmatik – Kollege war nun der konservative Johann Auer, ein Verteidiger mittelalterlicher Theologie und Liebhaber eines von der Tradition her geprägten römischen Lehrsystems. Hans Küng bezeichnete den Umgang des Dogmatikers Auer mit der Bibel eine “neuscholastische Steinbruchexegese” (5) Aber Ratzinger war mit Auer „in inniger Freundschaft verbunden“. (6), vor allem weil beide die Kirchenväter vom 1. bis 5. Jahrhundert über alles schätzten. Ratzinger beteiligte sich sogar an Auers Lehrbuch (!) „Kleine Katholische Dogmatik“. Mit dem Umzug nach Regensburg begann für Ratzinger die intensive Mitarbeit an der „Internationalen Katholischen Zeitschrift Communio“ , an deren Gründung er im Herbst 1969 beteiligt war. (7) „Communio“ erschien 1972 als Gegenprogramm zur internationalen progressiven Zeitschrift CONCILIUM, die an einer Fortschreibung des II. Vatikanischen Reformkonzils arbeitet, zahlreiche renommierte Konzilstheologen wie Rahner, Küng, Schillebeeckx gehören zu den Gründern. Bei „Communio“ sammelten sich von Anfang konservative Denker, etwa der erklärte Rahner-Gegner und konservative Ex- Jesuit Hans Urs von Balthasar, der CSU Kultusminister Hans Maier oder der CDU Publizist Otto B. Roegele. Er war Herausgeber des bischöflichen, „linientreuen“ Rheinischen Merkurs. Auch Karl Lehmann gehört von Anfang zum COMMUNIO Kreis! War er und ist er das etwas liberale „Alibi“ dieser Zeitschrift? Wichtig ist: Von Anfang an gehörte zum engen COMMUNIO Kreis auch Jorge Medina Estevez, ein Theologe aus Santiago de Chile. 1987 wurde er Bischof von Rancagua, später von Valparaiso. Dort war er als ein enger Freund des Diktators Pinochet bekannt, den er bis zu dessen Tod öffentlich verteidigte! Als Kardinal kümmerte sich Medina in Rom später sehr wohlwollend um die Versöhnung mit den Pius Brüdern. Und ihm kam die schöne Aufgabe zu, am 19. 4. 2005 sozusagen „urbi et orbi“ mitzuteilen, dass „Josephus Ratzinger“, sein bewährter „Communio – Freund“, zum Papst gewählt wurde.
So wirken Regensburger Verbindungen bis zur Papstwahl und zur Versöhnung mit den Piusbrüdern weiter. Wichtig ist, dass schon von Regensburg aus Joseph Ratzinger über Jorge Medina Kontakte vor allem zu Jesuitenpater Roger Vekemans in Chile bekam: Er schrieb schon 1973 gegen die Befreiungstheologie in „Communio“. Vekemans, auch er ein erklärter Feind von Staatspräsident Allende und allen Linken, gehörte auch seit 1976 mit dem Adveniat Chef und Opus Dei Freund Bischof Franz Hengsbach zu dem Studienkreis Kirche und Befreiung, der gegen diese lateinamerikanische Theologie der Armen polemisierte. Die Wurzeln von Ratzingers Feindschaft gegen die Befreiungstheologie liegen in Regensburg! Der damalige, für Ratzinger „zuständige“ Regensburger Bischof Rudolf Graber war ein unumstrittener Marienverehrer (Sein Motto: „Durch Maria zu Jesus“), er bewunderte vor allem die Wunder von Fatima. Überdies war er ein Verehrer der stigmatisierten Theresa Neumann von Konnersreuth. Als „leidenschaftlicher Mahner“ vor den Übertreibungen des II. Vatikanischen Konzils gehörte er auch zu den Autoren der von Ratzinger geprägten „Communio“. Bischof Graber imponierte wohl dem Theologen Ratzinger, weil sein Bischof ein Gegner alles „Modernistischen“ war und durchaus Sympathien hatte für die neu gegründete, explizit papsttreue Zeitschrift „Der Fels“. In einem Interview mit KNA vom 28. Juli 1989 legte Ratzinger noch einmal dar, „dass es auch viel Treue und Liebe zu Rom in der Katholischen Kirche in Deutschland gibt“. Treue und Liebe zu Rom: Das heißt Liebe zum Papst, zum Vatikan, zum „Römischen“, das wurde in Regensburg schon gepflegt! Unter einem Bischof wie Rudolf Graber muss sich Professor Ratzinger recht behütet gefühlt haben. Weitere Autoren von „Communio,“ die ein internationales Netz konservativer Denker knüpfte, waren die späteren Opus Dei Freunde Prof. Nikolaus Lobkowicz und der Philosoph Robert Spaemann.
In Regensburg trat eine andere Gestalt in Ratzingers Freundeskreis: 1975 wurde Kurt Krenn, ein bislang völlig unbekannter Theologe mit extrem wenigen Publikationen, in Regensburg Ratzingers Kollege im Fach Systematische Theologie. Diese verstand Krenn vor allem als scholastische neothomistische Doktrin. Ratzinger hat mit Krenn, wie er als Papst jetzt sagt, eine „alte Verbundenheit“. Auf die Liaison Krenn – Ratzinger wird später noch hingewiesen.

2. München

Als Professor Ratzinger am 28. Mai 1977 zum Erzbischof von München und Freising geweiht wurde, setzte sich die Regensburg – Connection fort: Zu den Bischöfen, die Ratzinger „weihten“, gehörte der bereits erwähnte Bischof Graber aus Regensburg und auch Bischof Stangl aus Würzburg. Dass Bischof Stangl von Ratzinger zur Weihe in den Liebfrauendom in München eingeladen wurde, verwundert insofern nicht, als auch Stangl und Ratzinger befreundet waren. Und daran ist erstaunlich: In Stangls Diözese Würzburg war ein Jahr zuvor, am 1. 7. 1976 in Klingenberg am Main, die Studentin Anneliese Michel infolge zahlreicher Exorzismus Sitzungen an Entkräftung gestorben. Die beiden Exorzisten, die Priester Arnold Renz und Ernst Alt, wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Bischof Stangl als der verantwortliche Oberhirte muss ja von Amts wegen jeden Exorzismus genehmigen, er aber betonte, von „allem nichts gewusst zu haben“. „Die beiden Exorzisten deckten letztendlich Joseph Stangl und seine Berater, zu denen auch der damalige Theologie-Professor Joseph Ratzinger gehört haben könnte. Denn Stangl und Ratzinger hatten eine “tiefe Beziehung” (Main-Post, 6.9.2006) zueinander. Und es wäre unwahrscheinlich, wenn der heutige Papst von dem Exorzismus ebenfalls nichts gewusst hätte“. (8). Es ist bekannt, dass Benedikt XVI. bis heute den Exorzismus ausdrücklich verteidigt. Bei seiner ersten Generalaudienz 2005 ermunterte er die versammelten Exorzisten „weiterzumachen“…
Als Erzbischof von München hatte sich Ratzinger das für ihn so typische Motto „Cooperatores Veritatis“ gewählt. Als „Mitarbeiter DER Wahrheit“ fühlte er sich seitdem nun auch von seinem bischöflichen Amt her. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als die schon damals weltweit umstrittene missionarisch offensiv werbende, theologisch äußerst konservative und Papst – ergebene Gemeinschaft der „Neokatechumenalen“ in seinem Erzbistum zu etablieren. Das berichtet der Neokatechumenale Führer Giuseppe Gennarini aus den USA und er fährt fort: “Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre hat er uns später stets geholfen und in mehreren seiner Bücher den Neokatechumenalen Weg wirklich positiv bewertet“ (9)

Als „Mitarbeiter der Wahrheit“ betonte er schon in seiner Münchner Sylvesterpredigt, dass Gehorsam die Antwort auf die Wahrheit sei, weil der christliche Glaube eindeutig sei. Das sagte er in einer allgemein erregten Situation, weil sein Tübinger Kollege Hans Küng wenige Tage zuvor durch Maßnahmen der römischen Glaubensbehörde seine Lehrbefugnis als katholischer Theologe verloren hatte. Ratzinger sagte in München: „Im hochmütigem Verzicht auf die verbindliche Wahrheit stellt sich der Mensch Christus entgegen“ ( 10) Schon damals zeigte sich der „so bedeutende Intellektuelle“ als ein heftiger Kritiker der kritischen Vernunft: “Dem kirchlichen Lehramt ist es aufgetragen, den Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen“(11). Hier klingen spätere Vorlieben Benedikt XVI. für populäre Volksheilige an, etwa für den angeblich stigmatisierten, von vielen Beobachtern aber als Scharlatan bezeichneten Kapuziner Pater Pio in Süditalien an, und auch an den völlig anti – intellektuellen Heiligen Pfarrer von Ars in Frankreich; dieser Johannes Vianney, der sich selbst „schlicht im Denken“ nannte, wird nun im Jahre2009 von Benedikt XVI. offiziell als Vorbild aller Priester gepriesen.
Als Mitarbeiter „der“ rechten Wahrheit zeigte sich Ratzinger beim Durchgreifen gegen aufmüpfige Pfarrer: Ungehorsam und eignes Denken haben in einem autoritären Denken keinen Platz. Deswegen wollte er im Sommer 1980 den Pfarrvikar Willibald Glas aus Arget aus seinem Amt entfernen: Dieser hatte dem Aufruf des Erzbischofs widersprochen, die Gemeinden sollten großzügig für den Peterspfennig spenden: Dadurch sollten die vatikanischen Finanzen saniert werden. Pfarrer Glas widersprach: Johannes Paul II, der so unmenschlich mit den Wiederverheiratet Geschiedenen umgeht, verdiene keine Geldspende. Der Kardinal war empört. Wegen deutlicher Solidarisierung der Laien mit ihrem Pfarrer durfte dann Glas im Amt bleiben. (12)
Auch seine theologischen Abneigungen gegen progressive, angeblich linke Theologen setzte Ratzinger in München durch. Als Nachfolger des Theologieprofessors Heinrich Fries wurde von der Münchner Theologischen Fakultät der kritische und „politische Theologe“ Johann Baptist Metz aus Münster, ein Freund des Konzilstheologen Karl Rahners, vorgeschlagen. „Der Kardinal Ratzinger hat in Zusammenarbeit mit dem Kulturminister (und Communio Mitarbeiter) Hans Maier, der Metz auch nicht mochte, bewirkt, dass 1979 das Ministerium Metz bei der Berufung überging“ (13), schreibt Karl Rahner. Metz hatte schon damals seine Sympathien für die Befreiungstheologie bekundet. Hans Maier hat als Präsident der Zentralkomitees der Deutschen Katholiken lange Jahre die Entwicklung der katholischen Kirche in seinem konservativen Sinne (im Einverständnis mit Kardinal Ratzinger) geprägt. Nur 4 Jahre konnte Joseph Ratzinger als Erzbischof gewisse Erfahrungen an der kirchlichen Basis machen.

3. Rom

Als Leiter der obersten Glaubensbehörde im Vatikan seit November 1981 hat er linke, kritische Theologen und Bewegungen bekämpft und ausgegrenzt, das ist bekannt. Weniger bekannt sind seine gleichzeitigen expliziten Vorlieben für eher rechtslastige Strömungen und Theologen in Kirche und Gesellschaft. Diese „rechte Vorliebe“ kann hier nur an exemplarischen Beispielen verdeutlicht werden. Sie zeigen aber einmal mehr, wo die Interessen des Kardinal Ratzinger bzw. Papstes liegen. Wer von der „rechten Seite“ her die Kirche schützen will, kann der Moderne angemessene demokratische Formen der Mitentscheidung von Laien in der Kirche, etwa im Rahmen von Nationalsynoden, nur als „Hirngespinst“ bezeichnen, wie der kanadische Jesuit Michael Fahey (im Januar Heft von Concilium 1989, S. 84) schreibt: „Für Ratzinger ist diese Idee einer gemischten Synode als einer permanenten Form höherer Autorität in der Kirche ein ausgewachsenes Hirngespinst. Auch kann er es sich nicht denken, dass je ein Laie Autorität über eine Diözese ausüben könnte“. Aufgrund dieser tiefen Abneigung gegen das Demokratische in der Kirche kann Ratzinger nur Gruppen anerkennen, die „Rom nicht nur lieben“, wie er gern sagt, sondern die auch die klerikale Macht- Struktur und den Vatikan als ein absolutistisches System ohne jegliche Kontrolle durch das viel beschworene „Kirchenvolk“ prinzipiell unterstützen und verteidigen. Die Psyche solcher Menschen, die sich für solche Verteidigung hergeben, ist ein eigenes, viel zu wenig bearbeitetes Thema…
Als Chef der obersten Glaubensbehörde ging es ihm darum, sein eigenes Verständnis von Glauben und Theologie, von Freiheit und Autorität, in der ganzen Kirche, ja möglicherweise in der westlichen Gesellschaft durchzusetzen. Karl Rahner hat diese Haltung von Anfang kritisiert. Er schreibt im Jahr 1984: „Wichtig wäre für Ratzinger, eindeutig und klar zu unterscheiden zwischen Ratzinger als Theologen mit seinen berechtigten, vielleicht auch problematischen Eigenmeinungen, und Ratzinger als Chef der Römischen Glaubenskongregation. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Es ist selbstverständlich, dass ein römischer Prälat eine bestimmte theologische Meinung hat. Trotzdem darf er sie anderen nicht amtlich aufzwingen“. (14). Tatsächlich aber hat Ratzinger gemäß seinem bischöflichen Wahlspruch als „Mitarbeiter der Wahrheit“ seine Interpretation der Wahrheit, die er als ein ewiges und festes depositum fidei (“fix und fertiges Glaubensgut“) versteht, auch mit Zwangsmaßnahmen und unter Druck durchgesetzt. Die Liste der von Ratzinger z.B. ausgestoßenen, international hochgeschätzten Theologen ist sehr lang. Noch länger ist die Liste derer, die aufgrund dieses rigiden Systems sich von der römischen Kirche befreit haben. Ratzinger hat insofern als „Befreiungstheologe“ ganz besonderer Art gewirkt.
Wie stark die Verbundenheit Ratzingers mit rechten Gruppen ist, zeigt auch die Auswahl seiner Haushälterinnen: Als Kardinal in Rom versorgten ihn Frauen der geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“, eine Gründung von „Mutter Julia Verhaghe“ aus Flandern, 1996 beschuldigten 2 Priester aus Limburg/Niederlande diese inzwischen internationale, auch in Deutschland arbeitende Bewegung würde sich sektiererisch benehmen und ihre Mitglieder unter schweren moralischen Druck setzen bei einer mittelalterlichen Spiritualität. Der zuständige holländische Bischof Wiertz durfte die Vorwürfe nicht untersuchen, weil „Das Werk“ direkt dem Papst unterstellt ist…(siehe Volkskrant, Amsterdam, 28.8.1996).
Im päpstlichen Palast kümmern sich jetzt Frauen der ebenfalls konservativen Bewegung „Comunione e Liberazione“ ums leibliche Wohl des Papstes. Diese internationale Bewegung war früher der Motor der italienischen Christdemokraten, heute steht sie Berlusconi sehr nahe.
Im Haushalt des Papstes geht ihm sein Privatsekretär zur Hand: Prälat Georg Gänswein hat Beziehungen zum Opus Dei: Er war als Kirchenjurist einige Jahre Dozent an der römischen Opus Dei Universität. Selbst wenn er nicht zum Opus gehören sollte: Diese Universität beschäftigt zweifelsfrei nur Leute, die der Opus Dei Richtung zumindest nicht kritisch gegenüber stehen!

Was Ratzingers theologischen Vorlieben für Deutschland betrifft, so ist seine Unterstützung für das im sehr konservativen Bereich angesiedelte „Forum deutscher Katholiken“ bemerkenswert. Das „Forum“ versteht sich als Alternative zu den immerhin ökumenisch interessierten Deutschen Katholikentagen. Das Forum deutscher Katholiken organisiert seit 2001 Jahrestreffen, bei dem sich das ganze einschlägige Spektrum eines explizit römischen Katholizismus versammelt. Mit dabei sind die Legionäre Christi, die Gemeinschaft der Seligpreisungen, das Opus Dei, die Totus Tuus Bewegung, die sich der so von Rom propagierten „Gesamthingabe“ befleißigen sowie Vertreter des deutschen Hochadels, die im Regnum Christi mittun, der Laienorganisation der Legionäre Christi usw. usw. „Kardinal Ratzinger war bei unserem ersten Treffen natürlich dabei und 2005 sollte er bei uns den Schlussgottesdienst halten, aber da war er schon Papst“, berichtet der Organisator Hubert Gindert. Er ist auch Chefredakteur der dem Papst noch aus Regensburger Zeiten bekannten Monatszeitschrift „Der Fels“. Gindert fährt fort: „Ich habe natürlich Kardinal Ratzinger damals auch aufgesucht in seiner Wohnung in Pentling bei Regensburg, dort hat er mir gesagt: Mir kommt es nicht auf die große Zahl an. Mit kommt es darauf an, ob es in der Kirche missionarische Zellen gibt“. (15)
Es ist kein Wunder, dass Kardinal Ratzinger von Anfang auch die „missionarischen Zellen“ der traditionalistischen Petrus Brüder unterstützte, jene Priester, die sich 1988 von Erzbischof Lefèbvres Gruppen losgesagt haben, aber treu die alte lateinische Messe weiter feiern dürfen. In deren Priesterseminar Wigratzbad in Bayern war Kardinal Ratzinger neben den ebenfalls ultrakonservativen Kardinälen aus Österreich Groer, Stickler und Mayer gern gesehener Gast! (16)
Die tiefe Verbundenheit mit diesen Kreisen ist bei Ratzinger sicher auch in der Sehnsucht nach der gehorsamen und uniformen, in sich geschlossenen, „schönen“ Kirche der Kindheit und Jugend begründet. Aber auch harte Berechnung ist dabei: Denn die ultrakonservativen Priestergemeinschaften, wie die Petrus Brüder oder die Legionäre Christi, haben viele Priesteramtskandidaten, die mit Begeisterung ihre klerikale Identität im schwarzen Priestergewand bekennen und Gehorsam als oberste Tugend praktizieren. Diese Kreise sollen in der Sicht Ratzingers die Macht der alten klerikalen Kirche retten!

Auch in Österreich hat Kardinal Ratzinger stets auf die kleinen, absolut kirchentreuen und rechtslastigen Kreise gesetzt, etwa auf den „Linzer Priesterkreis“. Ende der 1980Jahre war Ratzinger Referent bei den jährlichen Sommerakademien in Aigen, wo er schon damals ausdrücklich die lateinische Messe verteidigte. Ständige Referenten waren die Kardinäle Scheffczyk vom Opus Dei oder der konservative Dogmatiker Prof. Anton Ziegenaus.
Schon früh ist also Ratzinger bestens mit Oberösterreich vertraut. Auch der nach heftigen Protesten zurückgetretene Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner gehört diesem Priesterkreis an (17). Der Linzer Priesterkreis wurde entscheidend geprägt von Ratzingers Freund und ehemaligen Regensburger Kollegen Kurt Krenn. 1987 wurde er zur Überraschung aller Insider zum Weihbischof in Wien ernannt, offenbar hatte sein Freund Ratzinger daran mitgewirkt: „Die Wiener wunderten sich noch mehr darüber, dass dem neu ernannten Weihbischof Krenn besondere Verantwortung für die Welt der Kunst, Literatur und Wissenschaft übertragen wurde. In einem Fernsehinterview konnte er keinen einzigen zeitgenössischen österreichischen Künstler, Maler, Dichter, Bildhauer, Schriftsteller, Musiker oder Wissenschaftler nennen. Das war beunruhigend. Der wahre Grund, warum Krenn ernannt wurde, war der, ein Wachhund über die österreichische Bischofskonferenz zu sein, wo er, trotz seines Status als dienstjüngster, dadurch Gewicht bekam, dass er als einer galt, der “das Ohr des Heiligen Vaters hatte“. (18) 1991 wurde Krenn zum Bischof von Sankt Pölten ernannt: Dort konnten sich ohne römischen Widerspruch etliche spirituell extrem konservative Gruppen etablieren, die selbst aus bayerischen Diözesen wegen ihrer reaktionären Haltung vertrieben wurden, wie der Orden „Servi Jesu et Mariae“, wörtlich übersetzt „Sklaven Jesu und Mariens“. Im Ort Blindenmarkt hat dieser Orden seine Zentrale. Gründer ist der als Initiator der konservativen „Pfadfinder Europas“ bekannte ehemalige Jesuit Pater Andreas Hönisch. Über Krenns autoritäres und für die meisten Laien und Priester unerträgliches Regieren wurde vielfach berichtet, so z.B. von dem früheren Abt von Geras, Joachim Angerer (19) Nach einer Pornografie – Affäre und offensichtlicher homosexueller Kontakte zwischen Seminarleitung und Studenten in seinem Priesterseminar gab Krenn 2004 sein Bischofsamt auf. Seit der Zeit ging es ihm gesundheitlich nicht gut. Am 18.6. 2005, wenige Wochen nach seiner Papstwahl, hatte sein alter Freund und Gönner, Joseph Ratzinger, nichts Eiligeres zu tun, als ihm einen salbungsvollen Brief zu schreiben. Dieses Dokument muss allen, die unter dem Regime von Bischof Kurt Krenn gelitten haben, wie eine Ohrfeige erscheinen. Der Brief offenbart auch die (wahre?) spirituelle Dimension des gegenwärtigen Papstes: Hier nur einige Zitate aus dem handschriftlich unterzeichneten Brief: „Lieber Mitbruder! Wie ich höre, leidest du an Leib und Seele. So liegt es mir am Herzen, Dir ein Zeichen meiner Nähe zukommen zu lassen. Seit langem bete ich jeden Tag für dich! …. Unser Herr hat uns letztlich nicht durch seine Worte und Taten, sondern durch seine Leiden erlöst. Wenn der Herr dich nun gleichsam mit auf den Ölberg nimmt, dann sollst du wissen, dass du gerade so ganz tief von seiner Liebe umfangen bist und im Annehmen deiner Leiden ergänzen helfen darfst, was an den Leiden Christi noch fehlt (Kol 1, 24) Ich bete sehr darum, dass dir in allen Mühsalen diese wunderbare Gewißheit aufgeht……. Von Herzen sende ich dir meinen apostolischen Segen. In alter Verbundenheit! Dein Papst Benedikt XVI. (20).
Die Formulierungen dieses Briefes sind von einer traditionalistisch anmutenden Frömmigkeit geprägt, die ein Lefèbvre treuer Piusbruder wohl nicht anders formulieren könnte, einmal abgesehen davon, dass jeglicher kritische Hinweis auf Krenns unsägliches Verhalten fehlt, etwa seine viel besprochene Nähe zu dem rechtskonservativen Populisten Jörg Haider FPÖ. Kurt Krenn zierte sich auch nicht, ins offizielle Kondolenzbuch für diesen tödlich verunglückten Politiker zu schreiben: „Hochgeschätzte Trauerfamilie,
darf ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl zum so plötzlichen und unerwarteten Tod des Herrn Landeshauptmannes Dr. Jörg Haider aussprechen. Ich durfte mit ihm einige Male zusammentreffen und lernte ihn als integren Menschen und interessanten Gesprächspartner kennen… Im Gebet Ihrer gedenkend, Ihr + Kurt Krenn“ (21). Diese Worte des Ratzinger Freundes sind eine Schande, wenn man bedenkt, welche Hetzreden Haider gegen Ausländer zum Beispiel führte…
Bei seinem Besuch in Österreich ließ es sich Benedikt XVI. nicht nehmen, die ebenfalls als Hort der Tradition bekannte Klosterhochschule Heiligenkreuz bei Wien zu besuchen, die er kurz vor seinem Besuch im September 2007 noch im Januar desselben Jahres zur „Päpstlichen Hochschule“ erhoben hatte. Weihbischof Andreas Laun, extrem konservativer Theologe aus Salzburg, gehört dort zum Lehrkörper… Die Liebe Benedikts XVI. zu Heiligenkreuz hat zwei Gründe: Viel „klassischer Priesternachwuchs“ und die „ewige“, die klassische Theologie!
Manche theologischen Vorschläge Ratzingers finden dann auch Interesse im politisch explizit rechtsextremen Milieu. Das “Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)“ hat den AULA Verlag in Graz als rechtsextrem eingestuft. Dort wurde 1998 in der von Otto Scrinzi herausgegebenen Festschrift „1848 . Erbe und Auftrag“ Ratzingers COMMUNIO Beitrag von 1995 mit dem Titel: „Freiheit und Wahrheit“ nachgedruckt. Auch wenn dieser Beitrag nicht explizit rechtsextrem ist: Erstaunlich ist es schon, wenn Herausgeber überhaupt auf den Gedanken kommen, Ratzinger in ihrem eigenen Umfeld zu präsentieren. Dem “Spiegel” liegt der Schriftverkehr des Vatikans mit dem Aula Verlag vor, aus dem hervorgeht, dass der damalige Sekretär des Kardinals, Josef Clemens, der Publikation des Aufsatzes ausdrücklich zustimmte. Der Aula Verlag hatte Arbeiten des Holocaust Leugners Walter Lüftl gelobt, woraufhin sich sogar die FPÖ vom Verlag distanzierte(22). Der Aula Verlag wirbt in seinem Internetauftritt für das umstrittene Buch über 1848 bis heute (21. 3. 2009) mit dem ausdrücklichen Hinweis „Mit einem Beitrag von Kardinal Ratzinger“. Dem Papst scheint dieser Hinweis nicht unangenehm zu sein, oder er liest nicht die internationale Presse, die seit dem 14..3. 2009 über diese Zusammenhänge berichtet.

Auch in Frankreich hat Joseph Ratzinger immer wieder bewiesen, dass er zu rechtslastigen und ultrakonservativen Gruppierungen eine besondere Nähe, wenn nicht Fürsorglichkeit hat. Typisch ist sein Bemühen um Versöhnung mit dem ursprünglich schismatischen, Lefebvre hörigen Kloster Sainte Madelaine in Le Barroux bei Avignon. 1989 kehrte das Kloster mit Abt Calvet wieder in den „römischen Mutterschoß“ zurück, weil die Mönche den Papst formal anerkannten; die alte neu-thomistische Theologie des 19. Jahrhundert wird dort weiter verbreitet und die Messe natürlich im Ritus des 16. Jahrhundert nach den Weisungen Pius V. weiterhin zelebriert. Zahlreiche Zeitungen hatten seit den 1980Jahren die engen Verbindungen von Abt Calvet mit rechtsextremen Politikern aus der Partei Front National (FN, Führer: Jean Marie le Pen) nachgewiesen. Bernard Antony, der „national- katholische“ Europa Abgeordnete dieser Partei, ist genauso eng mit dem Kloster verbunden wie der ebenfalls dem FN nahe stehende Publizist Jean Madiran. Er hat mit Abt Calvet Interviews in dem mit dem FN sympathisierenden „Radiosender Courtoisie“ geführt. Der nationale Katholik Jean Madiran hatte 1995 eine Gedenkfeier für den bekannten französischen Nazi Propagandisten Robert Brasillach (hingerichtet 1945) gehalten…
Diese Zusammenhänge waren dem „Mitarbeiter“ der offenbar nur göttlichen, nicht aber politischen „Wahrheit“ Joseph Ratzinger egal! Als diese Mönche dort ihr Messbuch nach den Weisungen des 16. Jahrhunderts herausgaben mit den entsprechenden Weisungen, am Karfreitag für die abtrünnigen Juden zu beten, schrieb Kardinal Ratzinger 1990 das Vorwort. (23) Das Messbuch ist noch heute in Klosterladen dort zu haben. Im September 1995 besucht Ratzinger als der oberste Glaubenchef das Kloster und feierte dort die Messe. Offenbar ist er dort sehr angetan, weil die vielen jungen Mönche noch die radikale Tonsur tragen und die alten Mönchsgewänder lieben. (24)
Benedikt XVI. hat am 6. September 2006 das ebenfalls im rechts außen angesiedelte „Institut du Bon Pasteur“ (Institut vom Guten Hirten) in Bordeaux zugelassen. Ein eigenes Priesterseminar „Sankt Vinzens von Paul“ wurde auf dem Besitz des Marquis de Gontaud-Biron in der Diözese Chartres erricht. Der oberste „gute Hirte“ ist der ehemalige Lefèbvre Priester Philippe Laguérie. Er hatte 1987 den rechtsextremen Politiker Le Pen offen verteidigt, als dieser behauptete es gäbe keine Gaskammern. „Die Thesen der negationistischen Professoren Roques und Faurisson, auf die sich Le Pen bezieht, sind perfekt wissenschaftlich“, meinte er damals. Pater Laguérie war Pfarrer von Saint Nicolas du Chardonnet in Paris, die seit 1977 von Traditionalisten besetzt wird, 1994 wollte Laguérie in Paris erneut eine Kirche dem Bistum Paris durch Besetzung entwenden, aber die Polizei griff diesmal ein. Er hat ein Requiem gehalten für Paul Touvier, den antisemitischen Chef der Miliz aus der Pétain Zeit. (25) Sein Mitbruder in Bordeaux ist Père de Tanoüarn, er war Mitarbeiter der rechtsextremen Zeitung „Choc du mois“ und des Le Pen Senders „Radio Courtoisie“. Jetzt sind diese Priester mit Zustimmung Benedikt XVI. wieder mit Rom vereint. Sie können nun offiziell katholisch inmitten der Kirche ihre rechtsextremen Gedanken verbreiten.
Internationale Verbindungen gibt es längst. Nur ein Beispiel: Probst Gerald Gösche von der ebenfalls mit Rom versöhnten Traditionalisten Gemeinschaft des Oratoriums Philipp Neri in Berlin (von Berlins Kardinal Sterzinsky wurde die Gründung genehmigt) gratulierte Pater Laguérie zu seiner neuen Rolle als guter Hirte in Bordeaux, Gösche hatte übrigens auch gute Beziehungen zum Kloster La Madelaine mit Abt Calvet. (26)
Auch an der Absetzung des linken, progressiven und von vielen Menschen außerhalb der Kirche hoch geschätzten Bischofs von Evreux, Jacques Gaillot im Jahr 1995, war das mit Rom versöhnte und von Ratzinger geschätzte Kloster in Le Barroux beteiligt: „Gruppen wie das Opus Dei und der Abt des Klosters in Le Barroux wurden in Rom zu meiner Sache gehört. Sie hatten sich geschworen, meine Haut zu bekommen. Jetzt haben sie sie, diese Leute haben gewonnen“ (27). Seit der Zeit seiner Degradierung und Bestrafung lebt der so beliebte Bischof Gaillot als Oberhirte des virtuellen Wüstenbistums Partenia in einem Zimmerchen im Kloster der „Väter vom Heiligen Geist“ in Paris. Und als der in die Wüste geschickte Bischof Gaillot im Oktober 2004 einen Vortrag in Bonn halten wollte, wurde ihm von Kardinal Meisner (Köln) ein Redeverbot erteilt. Vom „Kölner Stadt Anzeiger“ wurde Gaillot aus diesem Anlass die Frage gestellt: „Haben sie den Eindruck, dass Meisner versucht, Kardinal Ratzinger und vielleicht auch den Papst persönlich gegen sie zu mobilisieren?“ Da antwortete Bischof Gaillot: „Ja, das befürchte ich. Ich gehe davon aus, dass es da enge Kontakte gibt, die meine Person betreffen… meine Liberalität macht Angst“
(28)

4.
Die Beispiele für die konservativen Vorlieben Joseph Ratzingers und für seinen entschiedenen Kampf gegen alle Liberalen, Linken, freiheitlich gesinnten Katholiken könnte für viele Länder fortgesetzt werden. Interessant ist, dass er in Deutschland bislang völlig unbekannte, aber bereits machtvolle rechtslastige Orden fördert. Dazu gehört das „Instituto del Verbo Incarnato“ aus Argentinien, das inzwischen über 500 vor allem junge Mitglieder zählt. Dieser offizielle, römisch – katholische Orden ist ausdrücklich dem argentinischen Nationalismus eng verbunden. Er will „die reinen und natürlichen Werte Argentiniens“ gegen die Atheisten verteidigen. „Dieser Orden will die Gesellschaft bestimmen in Fragen der Politik, der Moral, der Erziehung“, berichtet die argentinische Soziologin Prof. Veronica Gimenez Beliveau in einem Artikel für „Courrier International“. Zahlreiche Bischöfe Argentiniens haben diesem Institut verboten, ein Priesterseminar zu eröffnen. Im Jahr 2001 fand sich Kardinal Ratzinger bereit, diesen bischöflich umstrittenen Orden in seinem eigenen Bistum Velletri-Segni in Italien anzusiedeln. Dazu muss man wissen. Kurienkardinäle sind immer auch dem Titel nach Bischöfe“ eines bestimmten Ortsbistums, so ist eben Kardinal Ratzinger Bischof von Velletri-Segni, Italien. Das „Institut vom Inkarnierten Wort“ hat darum gejubelt und so wörtlich der „Vorsehung gedankt“, als „Ihr Titularbischof“ auch noch Papst wurde (29). Die internationale Kulturzeitschrift „Courrier International“ gab ihrem Beitrag über den Orden den Titel: „Die Soldaten des Inkarnierten Wortes : wie im Mittelalter“. Inzwischen arbeiten diese jungen „dynamischen Missionare“ in vielen Ländern der Erde, darunter in Holland, Island und Grönland.

Zum Schluss muss noch auf Spanien hingewiesen werden, weil der Kampf zwischen fundamentalistischen Papst Fans und einer modernen Demokratie am heftigsten tobt. Am 28. Oktober 2007 hatte Benedikt XVI. fast 500 Opfer aus dem Spanischen Bürgerkrieg selig gesprochen, sie alle kämpften auf der „rechten Seite“, also auf Seiten des „Erzkatholiken“ und Dikators Franco. Dass es auch Priester und katholischen Laien gab, die ihr Leben im Rahmen der Volksfront gegen den Faschismus einsetzten, wurde vom Papst gen übersehen. So wurde die Seligsprechung zur späten Verklärung des Kreuzritters Franco und zur deutlichen politischen Kritik am sozialistischen Spanien von heute, wo so „gottwidrige Dinge“ passieren, wie die völlige Gleichberechtigung homosexueller Paare. Die oppositionelle „Volkspartei PP“ jubelte natürlich über diese politische Massenseligsprechung. Zwar hat Benedikt XVI. diese Zeremonie nicht selbst vorgenommen, aber sie geschah in bestem Einvernehmen mit ihm als dem Verantwortlichen für alle Selig – und Heiligsprechungen. Benedikt XVI. hat jetzt einen der heftigsten PP Anhänger und Verteidiger der „alten spanischen Ordnung“, Kardinal Canizares von Toledo, nach Rom berufen, er soll sich als oberster Chef um die „rechte Gestalt der Gottesdienste“ kümmern…Die vatikanische Bürokratie wird immer mehr zur Ansammlung sehr konservativer Kirchenfürsten und untergeordneter Prälaten, diese Entwicklung hatte unter Papst Johannes Paul II. bereits begonnen.
So schließt sich der Zirkel einer in sich abgeschotteten, antimodernen Kirche, die wesentlich von Joseph Ratzinger bestimmt wird. „Können sogenannte Sekten auch viele Millionen Mitglieder zählen“ ?, fragen sich kritische Intellektuelle im Blick auf den Zustand der römischen Kirche heute. Sie wissen natürlich, das allein schon die Frage vom „Hof“, also vom Vatikan, bestraft werden könnte…

Diese kurzen Beobachtungen zeigen: Die Liebe Joseph Ratzingers zu allem Rechtslastigen zieht sich wie ein „roter (?) Faden durch sein Leben „seit Regensburg“. Darum ist die Aufhebung der Exkommunikation der 4 traditionalistischen Bischöfe der Pius – Bruderschaft keine „Ausnahme“ und kein „Versehen“. Joseph Ratzinger wähnt sich als „Mitarbeiter DER Wahrheit“ wohl als die „rechte Hand Gottes“.

PS:
Wenn in dieser kleinen und unvollständigen Übersicht häufig das etwas plakative Wort „konservativ“ verwendet wird, so steht es in diesem Zusammenhang als Symbol für anti – feministisch, anti-emanzipatorisch, für schwulenfeindlich und eher anti-ökumenisch, und „mit Vorbehalt demokratisch usw., um dem Leser diese Aufzählungen dieser Prädikate ständig zu ersparen, verwende ich das zusammenfassende und keineswegs, wie man sah, „abgegriffene“ Symbol „konservativ“.

Quellenangaben

1) Karl Rahner, Bekenntnisse, Wien – München 1984, S. 40

2) berichtet Prof. Hermann Häring, 1968 Theologiestudent in Tübingen, in einem Interview mit dem Autor im Jahr 2007.

3) Karl Rahner, ebd.. Die gleiche Meinung hat der Theologe Wolfgang Beinert, in: „Der Theologe Joseph Ratzinger“, 1977, Kösel Verlag, S. 4.

4) Zitiert die internetzeitung tagespunkt vom 1. 9. 2006, http://www.tagespunkt.de/

5) Hans Küng, Theologie im Aufbruch 1987.

6) Ulrich Lehner, Artikel Johann Auer, siehe http://www.bautz.de/bbkl/a/auer_j.shtml

7) Joseph Ratzinger, Symposium vom 28. Mai 1992 anläßlich des 20jährigen Bestehens von COMMUNIO an der Gregoriana, Rom, S. 3

8) siehe: www.theologe.de/bischof_josef_stangl.htm

9) Zenit, Informationsdienst der Legionäre Christi, 9.1.2006

10) Süddeutsche Zeitung vom 2. 1. 1980, ein Beitrag von Rosel Termolen.

11) ebd. Ein Argument, das immer wiederkehrt: “Die sehende Sicherheit des Glaubens ist oft weit mehr zu Hause
als da, wo Reflexion großgeschrieben wie. Umgekehrt macht der Intellekt nicht immer sehend“. Ratzinger in: „Die Situation der Kirche heute“, Köln 1977, S. 24 f.

12) Hartmut Meesmann, in „Die Zeit“ vom 23. 1. 1981

13) Karl Rahner, ebd. S 42.

14) Karl Rahner, ebd. S 40f.

15) Hubert Gindert in Kaufering in einem Interview mit dem Autor 2006.

16) siehe die Internetseite der Petrusbrüder http://fssp.eu

17) Josef Bruckmoser, Salzburger Nachrichten vom 3.Februar 2009.

18) The Tablet, Katholische Wochenzeitung in London, 21. 2. 1991

19) Joachim Angerer, als progressiver Abt eines Prämonstratenser Klosters, selbst ein Krenn-Geschädigter, schrieb u.a. das Buch „Österreich nach Krenn und Co“, Wien 2000.

20) Dieser bemerkenswerte Brief ist (noch) nachzulesen unter: http://stjosef.at/bischof .k.krenn, unter der Rubrik News.

21) siehe das Jörg Haider Kondolenz Buch unter: http://kondolenz.ktn.gv.at/default.aspx?SIid=95&page=12

22) http://aula.buchdienst.at/buecher/?id=445

23) La Vie, Paris, L Hebdomadaire Chrétien d Actualité, Num. 3309, 29. Janvier 2009, S. 28.

24) Henri Tincq, Le Monde, Paris, 14. 06. 1998.

25) siehe im Internet: http://intransigeants.wordpress.com/2008/08/10/vive-labbe-laguerie/
auch
http://fr.wikipedia.org/wiki/Philippe_Lagu%C3%A9rie

26) Probst Gösche in einem Interview mit dem Autor in der Kirche St. Afra Berlin im Jahr 2003. Auf seine „freundlichen Kontakte den reaktionären Benediktinern von „Le Barroux“ wird im Internet http://www.institut-philipp-neri.de/institut immer noch verwiesen!

27) in: Elie Maréchal, L Affaire Gaillot, Paris 1995, Seite 189, das Interview fand am 5. Februar 1995 im Ersten Französischen Fernsehen TF 1 statt.

28) Harald Biskup interviewt Jacques Gaillot, Kölner Stadtanzeiger, 26.10.2004.

29) Courrier international. Hors Serie: „Au nom de Dieu. Pourquoi les religions se font la guerre.“ Mars 2007, Seite 62.

Zur Verehrung des „Instituts des Inkarnierten Wortes“ für ihren Gönner Joseph Ratzinger: Siehe auch deren Internetseite: http://www.ive.org. Die hier genannte Information findet sich unter “Noticias“ vom 4/20/2005 mit dem Titel: „El Papa Benedicto XVI era nuesto obispo titular“.