Eine neue Hymne der “Republikaner” in den USA: “Ich bete an die Macht der Lüge”. Anläßlich der „Midterm – Wahlen“ in den USA am 8. November 2022.

Mehr als eine philosophische Satire!
Von Christian Modehn. Zuerst veröffentlicht 2017.

1. Lüge und Wahrheit lassen sich nicht unterscheiden in den Äußerungen von Politikern und Wählern der TRUMP Partei, der Republikaner. Zweifelsfrei dominiert dort die Lüge. Trump selbst schämt sich natürlich auch jetzt nicht, wie vor kurzem schon als Präsident, Lügen lautstark einzuhämmern. Und das Volk zu Schandtaten aufzuhetzen.
Die Lügen der Trump-Leute und ihres Führers vergiften die Menschlichkeit, zerstören die Kultur, spalten die Gesellschaft.

2. Die vielen fundamentalistisch – naiven Frommen unter den Republikanern sollten aus ihrem „eifrigen“ Bibel-Studium wissen: Der Teufel, an den diese Leute ja glauben, wird von Jesus von Nazareth „der Vater der Lügen“ genannt (Johannes Evangelium, 8, 44). Aber diese Frommen, die Lügner, lassen dieses Bibelwort für sich selbst nicht gelten, sie sind im klassischen theologischen Sinn „Häretiker“, d.h. „Auswähler“.

3. Die demokratische Welt weltweit schaut hilflos zu, wie das Lügen Normalität in den USA wird, nicht nur dort freilich, in diesem so genannten christlichen Land. Als Meister der Lügen sind Trump und Putin ganz enge Verwandte.

4. Vielleicht tröstet es die demokratischen Menschen weltweit, wenn sie sich mit einer Satire etwas entspannen können. Es geht also um einen neuen TEXT einer speziellen für Republikaner gedachten US – Hymne.

Diese Hymne hat den Titel: Ich bete an die Macht der Lüge.

5. Ich bete an die Macht der Lüge,
die sich in Trump und andren zeigt;
Ich geb mich hin den Lügenworten,
wodurch ich Wurm verblödet werd;
ich will, anstatt mal nachzudenken,
im Meer der Lügen mich versenken…

Für die Trump-Hymne gilt auch diese Neufassung der 4. Strophe vo “Ich bete an die Macht der Liebe”:

O Trump, dass dein Nam verschwinde
Im Geiste aller ausgelöscht
Möcht deine triste Lügenwelt
Aus Herz und Sinn vernichtet sein.
Im Wort, im Werk, in allen Wesen
Sei Wahrheit und sonst nichts vorhanden.

6. Der Text dieser neuen Trump – Hymne ist inspiriert von einem Choral von Gerhard Tersteegen aus dem Jahr 1750. Dieses Kirchen-Lied spielte schon im 18. Jahrhundert eine “grandiose” Rolle beim militärischen Zapfenstreich. Ohne diesen Song kommt auch heute kein großer Zapfenstreich der Bundeswehr aus.
Eigentlich ist dieser Song eine Schande. Denn in diesem frommen Erguss von Herrn Tersteegen wird der “Mensch als Wurm” bezeichnet. Sicher fühlten sich und fühlen sich viele Soldaten als „arme Würmer“ angesichts bevorstehender, tödlicher Kämpfe gegen „den Feind“. Man denke auch an die russischen Soldaten im Krieg Putins gegen die Ukraine.

7. Dies ist die bekannte Strophe des vertrauten Kirchenliedes von Gerhard Tersteegen:

Ich bete an die Macht der Liebe,
 die sich in Jesus offenbart;

ich geb mich hin dem freien Triebe,
 wodurch ich Wurm geliebet ward;

ich will, anstatt an mich zu denken, 
ins Meer der Liebe mich versenken.

Nebenbei: Das Lied ist noch immer im „Evangelischen Gesangbuch“, Regionalteil Rheinland-Westfalen-Lippe als Nr. 661 vertreten. Arme Würmer, kann man dann nur sagen, die solches noch singen…

Die vierte Strophe dieses Liedes heißt im Evangelischen Gesangbuch:

O Jesu, dass dein Name bliebe

im Herzen tief gedrücket ein;

möcht deine süße Jesusliebe

in Herz und Sinn gepräget sein.

Im Wort, im Werk und allem Wesen

sei Jesus und sonst nichts zu lesen.

Für die Trump-Hymne gilt auch diese Neufassung dieser 4. Strophe:

O Trump, dass dein Nam verschwinde
Im Geiste aller ausgelöscht
Möcht deine triste Lügenwelt
Aus Herz und Sinn vernichtet sein.
Im Wort, im Werk, in allen Wesen
Sei Wahrheit und sonst nichts vorhanden.

8. Trump der Lügner: George Packer, weltweit bekannter Journalist und Autor von “The Atlantic Magazine”, schreibt in der “ZEIT” vom 29.4.2020: “Trumps wichtigstes Werkzeug beim Regieren war die Lüge…”
Der „Tagesspiegel“ hat am 19.1.2020 auf Seite 3 die Anzahl der Lügen dokumentiert, die Trump in der Zeit seiner Herrschaft verbreitet hat: Im Oktober 2018 waren es zum Beispiel 1.288 von Mister Trump verbreitete Lügen; im November 2019 “nur” 900 Fake News. Dabei sind die Lügen nur ein Aspekt dieser insgesamt “unmoralischen, soziopathischen Persönlichkeit”, wie ein hochrangiger Trump-Mitarbeiter in dem neuen Buch “Warnung aus dem Weißen Haus” (Quadriga-Verlag 2020) schreibt: “Trump missbraucht und pervertiert die Demokratie“.9

9. Auch diese neue Hymne kann selbstverständlich in der alten Melodie gesungen werden, die der in St. Petersburg wirkende ukrainische Komponist Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski (1751–1825) ursprünglich für Tersteegens Text verfasst hat.

10. Auch dieser Tipp noch: Diese neue Lügen-Hymne “zu Ehren” von Trump sollte Übersetzungen haben ins Türkische, Russische, Englische, Italienische, Österreichische, Koreanische, Chinesische usw.

Copyright: Christian Modehn, Berlin. Religionsphilosophischer Salon Berlin. Die Erstveröffentlichung 2017 fand viel Interesse der LeserInnen dieser Website, deswegen aus aktuellem Anlass eine Neufassung dieses Beitrags.

Heiliges Privat-Eigentum. Weil einige viel zu viel Privateigentum haben, müssen heute 3 Milliarden Menschen hungern.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.10.2022. ZUR “BÜRGERBEWEGUNG FINANZWENDE”: Siehe die Informationen am Ende dieses Beitrags (Nr.11)

Das Leitwort: “330 Milliarden US-Dollar könnten helfen, um Hunger und Armut zu beenden, laut einer von der deutschen Regierung unterstützten Studie. Dies betont Thomas Rath,  vom “Fond für landwirtschaftliche Entwicklung”, IFAD, im Tagesspiegel, 18. Oktober 2022. Und ich füge hinzu: Diese 330 Milliarden könnten die vielen Milliardäre zusammen mit solidarischen Millionären heute weltweit mit Leichtigkeit aufbringen. Und ethisch korrekt gesagt: Wenn diese Herren Milliardäre ein soziales Gewissen hätten… Und eine entsprechende politische Debatte geführt würde. Aber die demokratischen Politiker sind dazu zu feige…

1.
Die Fixierung aufs Privat-Eigentum ist eine der leidenschaftlichsten Energien der meisten Menschen, sie ist mit grenzenloser Gier und Habsucht verbunden. Und die äußern sich aggressiv, kriegerisch, tötend. Auch Nationalismus ist Gier, wird zum Wahn, siehe Putin, siehe Xi. Wer viel Eigentum hat, etwa die Millionäre und Milliardäre, denkt bestenfalls daran, mit den üblichen Spenden das elende Leben von hungernden Millionen Menschen zu verbessern. Dabei könnte, pauschal gesagt, die gesetzliche Halbierung des Privateigentums von Milliardären den Hunger in der Welt besiegen, abgesehen von vielen anderen Wohltaten für die Menschheit. Aber nein, diese gesetzliche Halbierung will fast niemand, spricht fast niemand an, so krepieren Millionen Hungernder weiterhin und die Milliardäre zählen ihr Geld. Geld als Geldvermehrung ist ihr Lebenssinn. Die Welt dieser Leute ist auch erbärmlich, diese Leute sind ausgehungert an Geist und humaner Vernunft.

2.
Wer philosophisch – kritisch denkt, von christlichem Geist des Teilens soll gar keine Rede mehr sein, weil selbst die reichen Kirchen auch meist zu bescheidenen Spenden bereit sind, wer also philosophisch-kritisch denkt, beachte diese Erkenntnis: Sie wird von der seriösen und gar nicht marxistisch angehauchten „Enzyklopädie Philosophie“ mitgeteilt: „Es gibt keine pauschale Rechtfertigung für die eigentumsrechtlichen Strukturen der gegenwärtigen Marktgesellschaften… Es gibt jedenfalls wohl erworbene und schlecht erworbene Eigentumsrechte. Und auch die wohl erworbenen Eigentumsrechte müssen dem politischen Zugriff offen stehen, wenn sie der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung schädlich sind, wie es sich in der Geschichte der Übergang der Feudalgesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft gezeigt hat“, „Enzyklopädie Philosophie”, Band I, S. 454, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2010, der Beitrag „Eigentum“ ist verfasst von Helmut Rittstieg.
Der Psychoanalytiker und Philosoph hat daran erinnert, welche seelischen Schäden die Fixierung aufs Eigentum bewirkt, man denke an sein Werk „Haben oder Sein“, in dem er klar die Alternative formulierte: Erstarrtes Ego-Leben in der Fixierung aufs Haben (Eigentum) ODER lebendiges Miteinander im Sein, in der umfassenden Bejahung des geistigen Lebens und des Teilens. Wer allen Wert aufs Eigentum, aufs Haben legt, meint: Ich bin, was ich habe. Mein Eigentum begründet meine Identität. Ich kontrolliere dann alles, was ich habe, auch Menschen. Der aufs Eigentum fixierte Mensch definiert sich durch seine Bindung an die Objekte, ans Eigentum. Er verliert sich selbst als Subjekt.

3.
Trotz dieser üblichen Verbindung von Gewalt und der maßlosen Liebe zum Privat-Eigentum bleibt für die reiche Welt, inklusive der Frommen und der religiösen Führer aller Religionen, Eigentum wichtigster Lebenssinn. Die Privateigentümer legen wert auf ein undifferenziertes Verständnis des Eigentums, es wird so getan, als wäre das maßlose Privateigentum der Milliardäre genauso ein unstrittiger Wert wie das selbstverständliche Eigentum der Bürger: Diese nutzen ihr bescheidendes Privateigentum als persönliches Gebrauchseigentum nur für die individuelle Lebensgestaltung. Ethisch steht fest: Nur dieser überschaubare, praktische Gebrauch meines Eigentums zur privaten Lebensgestaltung ist ethisch sinnvoll. Eigentum ist nicht automatisch und in jedem Umfang und immer etwas Gutes, eine geradezu banale Aussage, die längst nicht selbstverständlich ist. Das Eigentum muss, das lehrte schon Aristoteles, in den Dienst des Lebens aller Menschen gestellt werden. Privateigentum in extremem Auswuchs darf nicht das Menschenrecht aushebeln, dem folgend alle Menschen Anspruch auf menschenwürdiges Leben haben, und nicht nur einige. Darauf haben jetzt u.a die Philosophin Martha Nussbaum und der Ökonom Amartya Sen immer wieder hingewiesen.

4.
Falls man noch christlich interessiert ist im Sinne des Propheten Jesus von Nazareth, könnte als Motto zu diesem philosophischen Hinweis ein Zitat des außergewöhnlichen sozialkritischen Bischofs und Theologen Johannes Chrysostomos (349-407) stehen: “Den Armen nicht einen Teil der eigenen Güter zu geben bedeutet: Von den Armen zu stehlen. Es bedeutet: Sie ihres Leben zu berauben. Und: Was wir besitzen, gehört nicht uns,  sondern ihnen”. Das Zitat findet sich auch im Schreiben (“Enzyklika”) von Papst  Franziskus “Fratelli Tutti” (2020), dort unter Nr. 119 mit dem Titel: “Über die Geschwisterlichkeit und die die soziale Freundschaft”. (Zu Johannes Chrysostomos: De Lazaro Concio, II, 6: PG 48, 992D.) Wegen seines radikalen Eintretens für die Rechte der Armen wurde Bischof Johannes Chrysostomos (349-407) von den reichen Christen gehasst und verfolgt… Bekanntlich haben sich die Kirchenleitungen nicht an die Weisungen von Johannes Chrysostomos gehalten… Die Päpste haben die Etablierung des Adels geduldet, sie haben die oberen Klassen des Klerus selbst dem Adel reserviert, sie haben die Gier der Priester zum üblichen Alltag gemacht und Armutsbewegungen wie die Franziskaner erst dann geduldet, als diese sich den Päpsten unterwarfen. Und heute? Die Gehälter der Bischöfe und Erzbischöfe, der Landesbischöfe und Generalsuperintendenten in Deutschland sind auch Beweis, dass es diesen hohen Herren und auch protestantischen kirchenleitenden Damen doch sehr auf ein sehr reichlich bemessenes Eigentum ankommt. Kürzlich hat Kardinal Marx aus seinem „Privateigentum“ 500.000 Euro in eine soziale Stiftung umgewandelt, aus Ersparnissen seines Gehaltes von 13.654,43  Euro monatlich kann solch eine Summe kaum entstehen… Leider hat Kardinal Marx in seiner Großzügigkeit unter seinen „Mit-Oberhirten“ keine Nachfolger gefunden. (Quelle: https://juedischerundschau.de/article.2020-05.corona-elftausend-euro-mannbedford-strohm-fordert-verzicht-von-anderen.html)
5.
Die Gesellschaft und die Staaten sind jetzt, in diesen Zeiten vielfältiger Krisen gespalten, katastrophal gespalten, nicht Kooperation, sondern Feindschaft ist die Ideologie der um Eigentum an Land, Bodenschätzen, Einflusssphären kämpfenden Staaten. In den demokratischen Gesellschaften kämpfen die vielen prekär lebenden, eigentumslosen Menschen mit den eher wenigen, die auch in Krisenzeiten ökonomisch privilegiert dastehen. Weltweit wird die ungerechte Verteilung des Eigentums immer bedrohlicher: Arme gegen Reiche, Millionen Bettelarmer gegen einige tausend Milliardäre. Millionen Menschen mit einem Dollar pro Tag stehen schwach und ausgehungert gegen Leute mit einer Million Dollar pro Tag als „Taschengeld“. „Die armen Länder sollten Anrecht auf einen Teil der Steuern multinationaler Konzerne und der Milliardäre dieser Erde haben. „Denn der Wohlstand der reichsten Akteure ist völlig dem globalen Wirtschaftssystem und der internationalen Arbeitsteilung geschuldet“ (Thomas Piketty, „Ungleichheit“, C.H.Beck Verlag 2022, S. 232). Die „reichen Länder verdienen an den armen Ländern aufgrund des von der Welt der Reichen bestimmten kapitalistischen Wirtschaftssystems.

6. Erinnerung an einige Fakten:
Die internationale Hilfsorganisation OXFAM schreibt am 12.1.2022:
Die Reichsten verdoppeln ihr Vermögen – während über 160 Millionen zusätzlich in Armut leben. Die einen verdienen, die anderen sterben: Wie die Covid-19-Pandemie Ungleichheit befeuert. Während der Covid-19-Pandemie konnten die zehn reichsten Milliardäre ihr Gesamtvermögen verdoppeln, auf insgesamt 1,5 Billionen US-Dollar.
Ungleichheit ist zudem eine Frage von Leben und Tod: Jedes Jahr sterben Millionen Menschen, etwa weil sie keine adäquate medizinische Versorgung bekommen. Oxfam fordert von den Regierungen weltweit, Konzerne und Superreiche zur Finanzierung sozialer Grunddienste stärker zu besteuern, für globale Impfgerechtigkeit zu sorgen und die Wirtschaft am Gemeinwohl auszurichten“. (Quelle: OXFAM, 12.1.2022)

7.
Zur dramatischen Nahrungsmittelkrise: „Wir entfernen uns immer weiter von der Beendigung des Hungers“. Zum Welternährungstag am 16. Oktober 2022 zeichnet sich ab, „dass die globalen Ernährungssysteme versagen. Die Lage verschlechtert sich drastisch“. (Tagesspiegel 16.10.2022)
Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Armutsquote von 16,6 Prozent im zweiten Pandemie-Jahr (2021) einen traurigen neuen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande, in DEUTSCHLAND, derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie.
Die Öffentlichkeit weiß mehr über Armut und Arme als über die Reichsten, sie sind diskret. Es gibt Armutsforschung, aber fast keine Reichtums Forschung. Das kann sich ändern, wenn sich mehr Leute informieren: Über die Top 20 deutschen Milliardäre: LINK https://www.merkur.de/wirtschaft/reichste-deutsche-vermoegen-geld-deutschland-milliardaere-gehalt-thiele-aldi-lidl-sap-plattner-bmw-albrecht-zr-90101849.html
Die reichsten Milliardäre weltweit: LINK: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181482/umfrage/liste-der-top-25-milliardaere-weltweit/

8.
Wie kann Gerechtigkeit gesetzlich geschaffen werden in einer Welt zunehmender Ungleichheit in der Verteilung des Privateigentums? An die gesetzliche Halbierung des Milliardärs-Eigentums ist kaum zu denken. ABER:
Die Frage wird eher selten gestellt. Wer sind konkret namentlich diejenigen, die über eine offenbar allmächtige Lobby auch weltweit verfügen und über bestimmte, sich in Europa liberal nennende Parteien durchsetzen, um ihren luxuriösen Luxus-Standart gesetzlich festschreiben lassen: Also Parteien, die als Vertretungen eher von Minderheiten so mächtig sind, dass sie etwa in Deutschland gerechte Vermögenssteuer verhindern und gerechte Erbschaftssteuer, gerechte Verfolgung von Milliardären, die sich als Oligarchen aus autokratischen Regimen in Demokratien niederlassen usw.

9.
Der Religionsphilosophische Salon befasst sich mit dem Thema „Eigentum“, weil Privat-Eigentum, in welcher Form auch immer, in weiten Kreisen als heilig gilt, also als unantastbar, als verehrungswürdig, als Phänomen, vor dem man förmlich niederkniet, dem man als Geld und als Wachstum des eigenen Vermögens alles opfert … an eigener Lebens-Zeit und geistiger Energie: Dieses Privateigentum ist also göttlich. Eigentum also ein dringendes religionsphilosophisches Thema. Ein Thema der Religionskritik: Zu den vielen Göttern der kapitalistischen Gegenwart gehört als einer der Ober-Götter das Privateigentum.Vor ihm knien alle nieder. Insofern ist unsere „säkulare“ Gesellschaft frei vom Glauben an den Gott der Bibel, aber es gibt genug Ersatz-Götter.

10.
Im August 2021 hatte ich einen etwas ausführlicheren Hinweis zu Pierre-Joseph Proudhon veröffentlicht unter dem Titel, auf sein Werk bezogen: Eigentum ist Diebstahl“. Dieser Beitrag hat viel Aufmerksamkeit gefunden: LINK https://religionsphilosophischer-salon.de/13911_eigentum-ist-diebstahl-proudhon-1809-1865_aktuelle-buchhinweise/philosophische-buecher

11.

Ist die Debatte über Eigentum überhaupt die richtige Diskussion? Müsste man sie nicht umlenken auf die Debatte über Reichtum und über das Vermögen?, so fragt der Ökonom und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach SJ. Er ist Mitbegründer einer wichtigen Initiative: “Finanzwende”: https://www.finanzwende.de/ueber-uns/wer-wir-sind/

Bürgerbewegung Finanzwende e. V.
Motzstraße 32 · 10777 Berlin  
Telefon 030 208 370 810
newsletter@finanzwende.de
www.finanzwende.de

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der religiöse Bruch in Spanien heute: 40 Prozent der SpanierInnen nennen sich heute „nicht-gläubig“, „ungläubig“, „atheistisch“.

Spanien ist nicht mehr katholisch.

Einige Hinweise von Christian Modehn.

Spanien ist der „Ehrengast“ der Frankfurter Buchmesse 2022. Wie schon in den Jahren zuvor, erinnert der Religionsphilosophische Salon Salon Berlin an die religiöse Situation des jeweiligen Gastlandes. So etwa 2019 Hinweise zum “Ehrengast” Norwegen. LINK.

1.
Ohne Statistiken in diesem Fall keine Klarheit: Tatsachen, die den religiösen und damit insgesamt auch kulturellen Bruch im heutigen Spanien deutlich zeigen:

Das Studienzentrum „Centro de Investigaciones Sociologicas“ (CIS) hat im Oktober 2021 diese Statistik veröffentlicht:
Im Oktober 2021 nannten sich noch 55,4% der SpanierInnen katholisch, 1978 waren es 90,5%.
„Ungläubig“ oder „atheistisch“ nannten sich im Oktober 2021 39,9%, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung.1978 nannten sich nur 8,5% atheistisch.
Unter den Jugendlichen bezeichneten sich 2021 nur noch 28,2% als katholisch. Die Zukunft der katholischen Kirche ist also düster…
Auch die Teilnahme an der Messe unter den Katholiken wurde untersucht: Im Jahr 2021 sagten 56,8%, niemals an der Sonntagsmesse teilzunehmen, im Jahr 1983 waren es nur 22,2%.
Die Zahl der „Praktizierenden“ (das sind jene, die regelmäßig an der Sonntagsmesse teilnehmen, das also ist „Praxis“) ist heute je nach Region verschieden. In manchen Gegenden Kataloniens (wie Barcelona) mit der Tendenz gegen Null. Das wissen allmählich auch viele Touristen: Wer in Spanien Klosterkirchen, Kathedralen, Pfarrkirchen besucht, kann sich – angesichts des immer leicht angestaubten Alters dieser Gebäude – nicht des Eindrucks erwehren: Man betritt eigentlich Museen, in die die Menschen kurz mal reinschauen oder in denen sie – oft gelangweilt – hin – und her-wandern.

2.
Es gibt immer weniger Priester. Nach Informationen der spanischen Bischofskonferenz gibt es im ganzen Land 22.993 Pfarreien, die aber nur von 16.960 Priestern „betreut“ werden. 1980 waren es noch 24.000 „Diözesanpriester…Es gibt viele Dorfgemeinden ohne einen Priester als „Seelsorger“. In den siebziger Jahre gab es noch 24.500 Priester.
Immer weniger junge Männer wollen sich auf das Zölibatsgesetz festlegen und Priester werden, 2021 waren es insgesamt 1.066 so genannte „Seminaristen“, vor 10 Jahren waren es noch 1.736. Ein Beispiel: Die Ausbildungsstätte für den Klerus in Mérida-Badjoz hat vor kurzem geschlossen, auch das Priesterseminar in Almeria hat – mangels Interessierter – geschlossen.
Das heißt: Das klerikale System bricht auch in Spanien, wie überall in Europa, zusammen.

3.
3,2 % der SpanierInnen sagten im Oktober 2021, sie seien Mitglieder anderer Religionen.
Religiös pluralistisch kann man Spanien heute eher in einem eher begrenzten Sinn nennen: Es gibt eigentlich nur zwei dominante „Bekenntnisse“: Entweder zur katholischen Kirche oder zum individuell gelebten Unglauben bzw. Atheismus.

Nur 3,2% der SpanierInnen sind Mitglieder einer “anderen Religion:
Zu den Protestanten: https://iee-protestante.org/. Es gibt viele evangelikale und pfingstlyrische Gemeinden, vor allem LateinamerikanerInnen sind Mitglieder dieser Freikirchen, sie haben sich oft schon in Lateinamerika vom Katholizismus abgewandt. Aber die Zahlen schwanken: Die Naumann Stiftung veröffentlicht 2022: 1,7 Millionen Evangelische, darunter etwa 900.000 Migranten aus Lateinamerika. (Quelle: https://www.freiheit.org/de/spanien-italien-portugal-und-mittelmeerdialog/migration-und-religioese-vielfalt-spanien).
Zu den Juden: https://www.fcje.org/, heute leben in Spanien ca. 45.000 Juden.
Zu den Muslims: Mindestens 16.000 „herkömmliche Spanier“ (so der katholische Theologe Mariano Delgado) sind zum Islam konvertiert, als ihrer ursprünglichen Religion, insgesamt leben mehr als zwei Millionen Muslims in Spanien.

4.
Spaniens Gegenwart ist nicht mehr von der katholischen Kirche und der Bindung der Spanier an diese Kirche bestimmt. Ein kultureller Bruch wird sichtbar, es ist ein radikaler, aber seit Jahrzehnten regelmäßiger Abschied von der Jahrhunderte alten Selbstverständlichkeit des „100 prozentig katholischen Spanien“. Der von dem rechtsextremen General Franco geförderte Einfluss der Kirche war geradezu total, besonders im Gesetzgebung, im Schulwesen, in den Medien usw. Und die Kirchenführung war sehr froh und dankbar, unter diesem antidemokratischen Franco Regime zu leben und Vorteile zu genießen. In der starren Dialektik Rechtsradikale gegen Republikaner war die Verfassung der kurzzeitigen Republik von 1931 extrem antikirchlich, die meisten Republikaner sahen im Klerus ihren Erzfeind. Nicht ohne Grund, auch die Päpste hatten zuvor jegliche Demokratie verurteilt.
Jedenfalls gilt: „Während der ersten 2 Dekaden der Regierung Francos war die katholische Kirche die deutlichste ideologische Stütze der Diktatur. Die Herrschaft der spanisch- faschistischen Diktatur war ein Klerikal-Faschismus“, so Antonio Gomez Movellán in seinem Buch „La Iglesia catolica y otras religiones en la Espana de hoy”, Editionen Visa 1999, Seite 49, Übersetzung von mir)

5. Ein Blick auf Francos Kirche
Der katholische Theologe Mariano Delgado schreibt in der Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit 2009: „1948 schrieben die spanischen Bischöfe, erstmals seit dem Bürgerkrieg, einen gemeinsamen Hirtenbrief gegen die Religionsfreiheit. Die spanischen Bischöfe waren der Syllabus-Mentalität (d.h. der antidemokratischen Ideologie der Päpste seit Gregor XVI., CM) verhaftet und dachten folglich, daß nur der wahren Religion, nicht jedoch dem Irrtum Freiheit zustehe, und sie wurden darin von Rom (dem Papst) unterstützt. Denn im selben Jahr 1948 betonte die einflußreiche Jesuitenzeitschrift “La Civiltà cattolica” dieses Prinzip unter ausdrücklichem Bezug auf die Ansprüche spanischer Protestanten: “Aber die katholische Kirche, die aufgrund ihres göttlichen Privilegs davon überzeugt ist, die einzig wahre Kirche zu sein, muß für sich allein das Recht auf Freiheit reklamieren; denn dieses kann allein der Wahrheit, niemals aber dem Irrtum zustehen.“ Mit dieser Mentalität nahmen die spanischen Bischöfe am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Sie lehnten noch 1964 einen zweiten Gesetzesentwurf der Regierung über die Religionsfreiheit ab. Nach dem Konzil, das sich am 7. Dezember 1965 – einen Tag vor dem Abschluß (!) – zur Religionsfreiheit bekannt hatte, konnten sie, der ultramontanen (d.h. der total PAPST – ergebenen Ideologie, CM) Logik folgend, Konzil und Papst ihre Gefolgschaft nicht verweigern. So war der Weg für das spanische Gesetz über die Religionsfreiheit von 1967 frei“. Aber wirkliche umfassende Religionsfreiheit fand Spanien erst mit der Verfassung von 1978, da definierte sich der spanische Staat als a-konfessionell, d.h.er will weder katholisch noch laizistisch im Sinne von antireligiös sein.

Die Erinnerung an die Franco-Diktatur bestimmt noch heute die leidenschaftlichen Debatten der Spanier, wobei viele Republikaner bedauern, wie schwach noch die „Aufarbeitung“ der Franco-Diktatur und der mit ihr eng verbundenen katholischen Kirche bis heute ist. ( Quelle: https://maldita.es/malditodato/20211018/espana-catolicos-creyentes-cis/) Einige hundert Priester haben die Päpste inzwischen selig und heilig gesprochen, die unter Francos Diktatur gegen die linken Republikaner kämpften und dabei ihr Leben verloren. Für heutige Demokraten ist diese Auszeichnung problematisch, weil es ja auch Katholiken unter den Republikanern gab, die ihr Leben im Kampf gegen die Franco-Diktatur ließen.

6.
Das Ende der katholisch bestimmten Francos Herrschaft wurde von den meisten als Befreiung erlebt, aus dieser Befreiung sind neue demokratische Formen des Zusammenlebens entstanden, die Menschen lassen sich ihr moralisches Verhalten nicht mehr von der Kirche vorschreiben! Nur ein Beispiel: Der oft als „typisch spanisch“ geltende Machismo wird in der Demokratie jetzt stark eingeschränkt und durch Gesetze entsprechend gesteuert. Sex kann es für Männer nur noch geben mit ausdrücklicher Zustimmung der Frauen. Es wurden schon 2004 Gesetze beschlossen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Rechte der Frauen sind unter der Gleichstellungsministerin Irene Montero endlich etwas mehr Realität geworden. Ohne Zustimmung ihrer Ehemänner konnten Frauen unter Franco weder ein eigenes Bankkonto eröffnen noch ihre eigenen Arbeitsverträge abschließen.
Zusammenfassend: Spanien ist ein säkularer Rechtsstaat, und für Religionssoziologen zeigt sich: Nur im Abschied vom ideologischen, moralischen Einfluss des Klerus und seiner Dogmen ist diese Modernisierung möglich. Mit anderen Worten: Der Abschied von der Kirchenbindung ist der Weg in die Freiheit der Gleichberechtigung für Frauen und Homosexuelle. Werte und Lebensorientierungen müssen von jedem einzelnen, von jeder einzelnen selbst gesucht werden. Das ist nicht immer einfach in einer Kultur, die bis 1975 absolut kirchlich, klerikal und autoritär bestimmt war.

Und dass die säkulare Kultur auch eine “Kultur” der Herrschaft, der Männer-Herrschaft, der Herrschaft des Kapitals ist, das sollte man in den vielfach preisgekrönten feministischen Romanen nachlesen, die in den vergangenen Monaten publiziert wurden. Etwa: “Leichte Sprxche” von Cristina Morales (Mattthes & Sweitz Verlag)  oder “Eine Liebe” von Sara Mesa (Wagenbach Verlag).  Besondere Beachtung verdient sicher der Roman von Elena Medel, “Die Wunder” (Suhrkamp Verlag).  Hier wird von den dunklen Jahren der Franco Diktatur erzählt UND der Gegenwart Spaniens, die von sozialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit bestimmt ist. Es sind die Frauen, die – auch im heutigen Spanien – ums Überleben kämpfen müssen.

7.
Der sexuelle Missbrauch durch Priester wurde in Spanien durch die Kirchenführung erst spät untersucht, 2021 erklärte Kardinal Omella, dass etwa 1.200 Priester (vor allem in den Jahren 1960-1980) Kinder sexuell missbraucht haben, Betroffene halten diese Zahl für viel zu niedrig.
In jedem Fall haben diese Informationen, Recherchen und Studien zum klerikalen Missbrauch die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche weiter erschüttert. Manche Spanier sagen: Der Klerus treibt die Gläubigen aus den Kirchen.
Schon bemerkenswert: Die Kirchenführung reagierte erst, nachdem die Tageszeitung „El Pais“ intensive Recherchen zu mehr als 250 „Fällen“ sexuellen Missbrauchs dokumentiert hatte…Dabei haben die Spanier nicht vergessen, dass der in Spanien einflussreiche Orden „Legionäre Christi“ seit den ausführlich dokumentierten Verbrechen ihres Ordensgründers Marcial Mariel im Focus der Recherchen zum sexuellen Missbrauch stand und steht. Aber die Recherchen von „El Pais“ zeigen auch, dass andere Ordensgemeinschaften, wie die Salesianer Don Boscos, viele klerikale Täter sexuellen Missbrauchs aufweisen. Auch zum häufigen Missbrauch an den Kollegien der Maristen-Brüder gibt es viele Studien. (https://elpais.com/sociedad/2021-07-31/los-maristas-investigan-acusaciones-de-abusos-a-otros-dos-profesores-en-el-colegio-de-granada-hasta-2007.html#?rel=listaapoyo)

8.
Dieser Beitrag musste sich beim Thema Spanien auf die katholische Kirche stark beziehen. Hinzuweisen ist auch auf ein menschenfreundliches Gesicht dieser Kirche, auf die in Spanien sehr lebendige CARITAS. Sie ist in sehr vielen Pfarrgemeinden mit eigenen Gruppen und Basis-Hilfsangeboten lebendig, 73.000 Freiwillige engagieren sich für diese Caritas-Arbeit, die von Obdachlosen-Hilfen über Hilfen wegen der Corona-Krise bis zu Beratungen für Flüchtlinge reicht. Der Caritas Etat ist beträchtlich: Im Jahr 2022 beträgt der Etat ca 400 Millionen Euro, davon sind nur 31 Prozent Zuweisungen aus öffentlicher, staatlicher Hand. Siehe: https://www.caritas.es/

9.
Neuigkeiten, kreative Thesen, Refomationsvorschläge aus den Kreisen der zahlreichen katholischen Theologie -Professoren Spaniens sind auf kleinere Studienkreise und Basisgemeinden begrenzt.
Man darf gespannt sein, welche neuen theologische Erkenntnisse aus Spanien sich auch in Frankfurt präsentieren.
Meines Wissens werden kaum noch Bücher aktueller spanischer Theologen in andere Sprachen, etwa ins Deutsche, übersetzt. Die katholisch-theologischen Verlage, die es ja zahlreich in Spanien gibt, veröffentlichen im ganzen eher fromme meditative Erbauungsbücher. Das liegt daran, dass der Kreis der noch „praktizierenden“ Katholiken vor allem aus den so genannten neuen geistlichenBewegungen stammt, also aus dem in Spanien überaus einflussreichen Neokatechumenat oder dem Opus Dei.

Beachtung verdient idie Übersicht über die „Theologien des Südens“, ein Buch des in Spanien sehr bekannten Theologen Juan José Tamayo, die spanische Ausgabe erschien 2017.
Wichtig auch die Studien von Evaristo Vilar (https://independent.academia.edu/EvaristoVillar)

Nahezu unbekannt ist in Deutschland die „Asociación de Teólogos Juan XXIII.“, diese Organisation hat vom 9. bis 11.September 2022 ihren 41. theologischen Kongress „online“ veranstaltet, die Vorträge sind nachzuzulesen: https://congresodeteologia.info/, darunter auch ein Vortrag des brasilianischen Theologen Leonardo Boff: https://congresodeteologia.info/wp-content/uploads/2022/09/BOFF-HACIA-UNA-IGLES-SAMARITANA.pdf.

10.
Der Skandal: Die Gier der Bischöfe:
Die katholische Kirche verliert immer mehr vMitglieder, nur wenige haben das Bedürfnis (und entsprechen der Pflicht) Sonntags an der Messe teilzunehmen.
Und was tun die Bischöfe: Sie verhalten sich ziemlich raffgierig, wenn sie darauf bestehen, dass Kirchen und Gebäude, ja selbst Garagen, Schulen, Wohnhäuser, die 1946 vom rechtsradikalen Staatschef Franco der Kirche als Eigentum übergeben wurden, nun wieder Eigentum der Kirche bzw. der Bistümer werden. Dieses Privileg hatte der damalige PP Präsident AZnar 1994 eingeleitet. So ist die Mezquita, einst Moschee, dann wieder Kathedrale von Cordoba, Eigentum des Erzbistums Cordoba. Der Eintrittspreis in diese Kathedrale beträgt 15 Euro. Über diese Gier des Klerus in Spanien wird heftig gestritten … und die Mitgliederzahlen der Kirche sinken…Inzwischen aber hat die Kirchenführung, ihrer Gier wohl bewusst, 965 von insgesamt 34.000 Eigentums – Objekten den wahren Eigentümern zurückgeben. Der Erzkatholik und Faschist Franco war nämlich so nett: „Jede Immobilie, mit Ausnahme der Gotteshäuser, konnte die Kirche ohne Vorlage von Papieren und nur mit der Unterschrift eines Bischofs als kirchliches Eigentum ins Grundbuch eintragen lassen. Das Gesetz blieb bis 2015 in Kraft.(Quelle:https://www.diepresse.com/6090172/spanische-kirche-will-965-immobilien-an-rechtmaessige-besitzer-uebergeben)

11. Erinnerung an die Philosophin Maria ZAMBRANO.

Zur Buchmesse veröffentlicht der Suhrkamp Verlag ein Buch der leider in Deutschland bislang eher unbekannten Philosophin Maria Zambrano, der Titel “Waldlichtungen”. Einen Hinweis auf Maria Zambrano hat der religionsphilosophische Salon schon 2019 veröffentlicht. LINK.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Abschied vom klassischen Herrscher – Gott in der Höhe. Und dabei den schwachen Gott entdecken.

Ein Hinweis auf ein neues Buch von John D. Caputo.
Von Christian Modehn.

Das Buch von John D. Caputo „Die Torheit Gottes“ ist sicher eines der besonders anregenden (und „zugänglichen“) Bücher über Religion und Glauben in diesem Herbst 2022. Endlich ein theologisches Buch (von einem Philosophen !), das etwa die ewigen Debatten über Strukturreformen der katholischen Kirche beiseite setzt, weil es zeigt: Auf etwas ganz anderes kommt es an: Auf die Korrektur des Gottesbildes, also auf die Korrektur der üblichen herrschenden Dogmatik der klerikalen Herrscher.
Es geht in diesen jetzt existentiell hoch belastenden Zeiten also um viel Wichtigeres, es geht um die Frage: An welchen Gott (des Christentums) kann ich und will ich vielleicht noch glauben? Welcher Gott erdrückt mich nicht mit seiner absoluten Last der Gesetze, welcher Gott ist förmlich sanft und machtlos, welcher ruft in ein Leben der Freiheit? Dies ist der Ausgangspunkt des Buches „Die Torheit Gottes“ von John D. Caputo.

1.
Darüber besteht für Caputo – und nicht nur ihn – völlige Gewissheit: Wer heute mit klarer Vernunft an Gott glauben will, sollte sich von den klassischen Gottesbildern befreien. Das tun Gott sei Dank allmählich viele. Denn eine dauerhafte Bewusstseinsspaltung zwischen einem naiven Kinder – Glauben und einem kritischen Bewusstsein wollen nur die vielen Evangelikalen, Pfingstler, konservativen Katholiken und Putin-gläubigen Orthodoxen hinnehmen. Vor allem das Bild von Gott als oberstem Sein selbst, als Gott in der Höhe, an der obersten Spitze aller denkbaren Hierarchien, allmächtig und von Engeln umgeben und so weiter, kann ein Mensch mit klarer Vernunft nicht akzeptieren. Dort startet Caputo mit seinen Reflexionen, die in 10 Kapiteln immer wieder die eine Grund-These umrunden: Nur ein schwacher Gott eröffnet heute lebendiges, freies Leben.

2.
Dabei ist der „schwache Gott“ für jene Leute, die immer noch an einen göttlichen Tyrannen im Himmel glauben, die größte Provokation. Caputos Buch ist insofern der Aufruf zur Reform, mehr noch: Zur Reformation des christlichen Denkens und Handelns. Alles kommt darauf an, die materiell gar nicht greifbare Stimme des schwachen Gottes im Gewissen (im Geist) zu vernehmen. Dort und nur dort ereignet sich der Unbedingte, der Gott, der leise die Menschen zum ethisch guten Leben und politischen Handeln aufruft. Diese Stimme des schwachen Gottes ist unbedingt, kann aber vom Menschen ignoriert und überhört werden, was ja faktisch ständig geschieht bei so vielen Verbrechern in der Politik in dieser verrückten Welt.
Das ist der Mittelpunkt des Plädoyers Caputos für den schwachen Gott. Wer dieses Zentrum erreichen will, lese zu Beginn die letzten Zeilen unter dem Titel „Genug gesagt“ in dem Buch, S. 149 bis 152.

3.
Hier aber noch einige weitere Hinweise und Bemerkungen zu dem Buch mit dem provozierenden Titel „Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten“.
Der US-Amerikaner John D. Caputo wurde 1940 geboren, er ist katholisch gebildet, er war einige Jahre Mitglied des Ordens der „La Salle-Schul-Brüder“ (Quelle: Revista Hispanoamericana T.O.R., Num. 2, 2021, P. 69 ff)
Eine lange Liste Englisch sprachiger Bücher dokumentiert die philosophische Leidenschaft Caputos, die Bibliographie nennt 13 Titel (S. 153).

4.
Caputos Buch„Die Torheit Gottes“ hat den Untertitel „Eine radikale Theologie des Unbedingten“. Und auf S. 100 werden wir informiert: „Die Torheit Gottes besteht darin, dass Gott nicht existiert“. Das ist ein typischer Caputo-Satz. Der Philosoph mit einer starken Kompetenz für theologische Probleme neigt auch zu sperrigen Formulierungen, manchmal sind sie etwas flapsig, leicht ironisch, so auch hier: Der gerade zitierte Satz könnte (von mir) also übersetzt werden, leicht provozierend wie bei Caputo selbst: „Der klassisch verehrte Gott ist so dumm (so töricht, Torheit!), dass dieser klassische Gott gar nicht existiert“. Auf S. 67 stellt Caputo die eher rhetorische Fragen: „Was ist Gott anderes als die Möglichkeit des Unmöglichen, das Wort für das Ereignis des (Un)Bedingten?…“ Das „Ereignis“ ist das überraschende Geschehen der Öffnung des Daseins aus den Verklemmtheiten und Versperrungen im Denken: Im Ereignis spricht uns etwas Unbedingtes zu, „die Aussicht auf etwas, das im Kommen ist und das den Horizont der Gegenwart erschüttert“ (S. 119).

Im „Ereignis“ also zeigt sich das Unbedingte, ein Wort, das Caputo sehr schätzt in seiner Hochachtung für den Theologen Paul Tillich! Und dieses Unbedingte als das lebendig Göttliche existiert nicht, sondern, und das ist mehr als ein Sprachspiel: Dieser Gott in-sistiert, d.h. er drängt sich auf inmitten des Lebens. Er ruft – im Gewissen, so interpretiere ich – den Menschen auf, lebendiger als bisher zu leben, Verantwortung zu übernehmen, zu lieben… Aber es ist keine objektiv greifbare Wesenheit, die da ruft, betont Caputo etwas verschlüsselt, sondern eine „nicht-existierende Unbedingtheit“ (S.151). Es ist ein niemals zu greifender Gott, der in seinem sanften In-sistieren im Geist der Menschen „auftritt“ und insgesamt schwach ist und nicht herrschend und mächtig. Der schwache Gott ist DAS Thema Caputos, ein Thema, das ihn mit dem italienischen Philosophen Gianni Vatttimo verbindet (vgl. etwa Gianni Vattimo, „Glauben-Philosophieren“, Reclam 1997).

5.
Dieser Gott, der nicht „greifbar“, nicht definierbar ist, der nicht existiert, führt die glaubenden Christen zur Einsicht: Sie, die den nicht-existierenden („objektiv vorhandenen“) Gott ablehnen, sind eigentlich auch Atheisten, weil sie den klassisch – dogmatisch vermittelten Gott zurückweisen. Und die klassischen, „aufklärerischen“ Atheisten, die gerade diesen angeblich objektiv existierenden Gott ablehnen, müssen sich nun auch neu orientieren, wenn denn der „wahre Gott“ der jeweils neu mitten im Leben insistierende schwache Gott ist!
Man möchte fast den Gedanken in Formulierungen der etwas flapsiger Art fortführen, ein Stil, den auch Caputo in dem Buch schätzt und dann sagen: Vielleicht werden angesichts des schwachen Gottes auch die Atheisten schwach und… beginnen an den schwachen Gott zu glauben?

6.
Caputo ist einer der wenigen katholischen Philosophen und Theologen, die sich explizit zustimmend und lernend auf den Philosophen Jacques Derrida beziehen. Auch in diesem Buch! Caputo hatte zuvor intensiv Heidegger studiert, Thomas von Aquin ebenso und Augustinus und Kierkegaard… Derrida ist (neben Tillich) sozusagen die wichtigste Quelle der Inspiration für Caputo. Über Derrida hat Caputo mehrere Tagungen an der Villanova-Universität (Philadelphia, USA, geleitet vom Augustiner-Orden) organisiert.

7.
Caputo liebt die philosophische Spekulation, das Hin und Her der Begriffe, er begibt sich auf seine Art in die Abgründe der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, die ewig die Frage diskutiert: Welcher Gott ist denn nun wirklich göttlich und kann als solcher von den kritischen Menschen akzeptiert werden. Auch den Menschen in Indien, in Tokio, am Amazonas? Diese Frage stellt Caputo nicht. Er ist als westlicher, klassisch gebildeter Philosoph mit seiner Liebe zur Postmoderne und zur „Dekonstruktion“ (die wichtigste philosophische Aktivität von Jacques Derrida) immer noch auf der alten europäischen Fährte der Suche nach einem göttlichen Gott, dem ganz Anderen, der alle Begriffe sprengt.
So will Caputo im Denken freien Raum schaffen, er muss alte Gottesbilder entfernen, nur so kann er auch neu über den Zentralbegriff der biblischen Botschaft nachdenken, das Reich Gottes. Bei dem Thema kommen dann zum ersten Mal etwas politisch bestimmte Aspekte zur Sprache.

8.
Letztlich ist für Caputo das Reich Gottes eine Welt der Menschen, die sich ganz der Nächstenliebe verschrieben haben. Nur darauf kommt es an! Wahrscheinlich hat Caputo dieses Buch vor allem geschrieben, um zu dieser Einsicht die Glaubenden, auch die Kirchen, aufzufordern: Menschlichkeit ist das Wichtigste, sie zu fördern ist die einzige und wahre Antwort auf den „schwachen“ Ruf des Unbedingten im Menschen. Denn wenn der Ruf des schwachen Gottes im Gewissen eines jeden Menschen sich ereignet, ist ja – wie gesagt – die universelle humane Dimension des Gewissens gemeint. Denn es wäre ja verfehlt, den Ruf des Gewissens als ein explizit religiöses Ereignis zu verstehen, der Ruf des Unbedingten im Gewissen ist etwas Humanes. Wer Caputo so versteht, muss ihm förmlich eine notwendige Säkularsierung des göttlichen Rufes zugestehen. Mit anderen Worten: Es geht in dem langen Text nur um die eigentlich schlichte Einsicht: Die Menschen sollen – um Gottes willen – endlich ihrem Gewissen praktisch folgen. Kant sprach vom Kategorischen Imperativ, viele religiöse Traditionen sprechen von der „Goldenen Regel“.

9.
Es wäre weiterführend und hilfreich gewesen, wenn Caputo noch Stellung genommen hätte, zu der Frage: Wenn die Menschen diesem Ruf des Unbedingten überhaupt nicht folgen, sich also in Kriegen abschlachten und wenn die reiche kapitalistische Welt das Verhungern von Millionen Menschen einfach so hinnimmt mit wortreichen Statements, was bedeutet dann der schwache Gott? Ist er also schwach mit den (moralisch, geistig, politisch) schwachen Menschen? Von der Klimakatastrophe, von Menschen gemacht, hätte Caputo auch ein paar Worte sagen können, als Beispiel, wie der schwache Gott im Menschen wirkt oder eben nicht gehört wird.
Man möchte meinen: Vielleicht ist der schwache Gott mit seinem stillen Ruf, wie Caputo lang und breit immer wieder umschreibt, doch hoffnungslos zu schwach… und lässt es zu, dass sich die Menschen ihr eigenes und der Welten Ende bewirken. So könnte man förmlich von einer Art neuen negativen Theodizee sprechen, also von einer ungewöhnlichen Rechtfertigung Gottes angesichts des Elends der Welt!
Wer dann aber noch an dem Mythos der Schöpfung der Welt und der Menschen durch einen Gott festhält, muss angesichts des schwachen Gottes sagen: Der schwache Gott hat schwache Menschen erschaffen, die in der Lage sind, die Welt in den Abgrund zu stürzen. Könnte man das ganze Geschehen eine göttliche Katastrophe nennen? Ein tröstlicher Gott ist der schwache Gott, der Gott als Torheit, jedenfalls nicht. Beruhigendes Opium ist dieser schwache Gott nun absolut gar nicht. Der Mensch steht nun angesichts des schwachen Gottes nackt und schutzlos da. Wird diese Einsicht viele Menschen, auf göttlichen Trost fixiert sind, bewegen, d.h. zur Zustimmung zu Caputos Corsxchlägen führen?

10.
Der frühere allmächtig genannte Gott, so laut und innig in so vielen theologisch dummen Kirchenliedern besungen („Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke“, oder: „Ein feste Burg ist unser Gott…“ usw. usw.) war ja auch schon schwach. Er hat sich gegenüber den damals schon schwach glaubenden Menschen auch nicht „stark“ durchgesetzt. Alle Lieder und Bekenntnisse waren Trallala, nette naive Poesie zur Abwechslung in den ewigen Kriegszeiten. Der Große Gott im Himmel hat das Elend der Welt auch nicht überwunden. Diese Lieder vom allmächtigen Gott waren also Ideologie der Herrscher, Beruhigung, Opium…

11.
Nebenbei: „Großer Gott wir loben dich“ wurde auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia 1774 ins „katholische Gesangbuch“ aufgenommen. Maria Theresia war eine innenpolitisch reaktionäre, intolerante Herrscherin, sie führte drei Kriege und pries dann den großen Gott für ihre Siege… Auch Angela Merkel schätzte übrigens sehr den Song „Großer Gott wir loben dich“, siehe Zapfenstreich…Heute wissen wir, dass so vieles Löbliches bei Angela Merkel auch nicht übrig bleibt, angesichts ihrer jetzt offenkundigen Naivität und Nachlässigkeit im Umgang mit dem schon seit 2006 bekannten Diktator und Kriegstreiber Putin.

13.
Noch einmal gefragt: Kurz gesagt: Welchen Sinn hat der Glaube an einen schwachen oder auch an einen starken Gott eigentlich, wenn die Menschen diese Welt (eine Schöpfung Gottes?) In vielfacher Hinsicht systematisch zerstören und vernichten. Und die Kirchenführer sind hilflos, dem Faschismus, dem Rechtsextremismus usw. Parole zu bieten und ihre frommen Schäfchen zur politischen Vernunft, also zum praktischen Respekt der universal geltenden Menschenrechte, zu bringen.

14.
Die Übersetzer des Buches „The Folly of God“ (2016) bieten im Buch zusammen mit dem Theologen Prof. Michael Schüßler, Tübingen, noch „Resonanzen“, Reflexionen persönlicher Art, zu Caputos Einsichten (S. 157 – 166)

John D. Caputo, „Die Torheit Gottes. Eine radikale Theologie des Unbedingten“. Übersetzt von Helena Rimmele und Herbert Rochlitz, Grünewald-Verlag, 2022. 167 Seiten, 19€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Auch Gott untersteht dem Recht und der universellen Gerechtigkeit!

Für Abraham ist Gott nicht das „Wichtigste“!
Ein Hinweis von Christian Modehn.

Das Motto:
Wenn die Erkenntnis der Bibel, mitgeteilt in einigen Geschichten über Abraham, von den Religionen und Kirchen beachtet würde: Dann wäre die wahre Religion die ethische Haltung, die Gerechtigkeit für alle fordert und lebt. Dann wäre ein Ende der offenbar allmächtigen Klerus-Herrschaft (Klerus gibt es bekanntlich in allen Religionen) absehbar…

1.
Erich Fromm, Psychologe und Philosoph, hat in seiner Studie „Psychoanalyse und Religion“ (1950) eine grundlegende Erkenntnis zum Verhältnis des Menschen zu Gott (in der Überlieferung des Alten Testamentes) formuliert.
Diese Erkenntnis hat leider im Laufe der Geschichte des jüdischen Volkes und der Kirchen nur wenig Beachtung gefunden.
Und das sollte sich ändern. Nun hat sich auch der Philosoph und Kenner der hebräischen Bibel (Altes Testament) Omi Boehm in seinem neuen Buch „Radikaler Universalismus“ (2022) dieser Erkenntnis von Erich Fromm angeschlossen.Sie wird in gewisser Weise unterstützt im neuen Buch des US-amerikanischen Philosophen John D. Caputo „Die Torheit Gottes“.

2.
Worum geht es? In den Erzählungen des Alten Testaments verpflichtet sich Gott selbst, niemals alles Leben auf Erden zu vernichten (Gen. 9,11). Gott schließt einen Bund mit den Menschen, und diese sollen sich ihrerseits verpflichten, niemals einen anderen Menschen zu töten. Gott bindet sich also in einen Vertrag, an „ein Prinzip, das er, Gott, nicht verletzen darf, nämlich das Prinzip der Ehrfurcht vor dem Leben….Der Mensch kann auch Gott zur Rechenschaft ziehen, wenn er sich der Verletzung des Prinzips schuldig macht“ (betont Erich Fromm, Gesamtausgabe Band VI, S. 253).
Als Gott die Städte Sodom und Gomorrha wegen der Sünde der Menschen dort vernichten wollte, wird er von Abraham daran erinnert: Er, Gott, wollte sich selbst unter das Gesetz der Gerechtigkeit stellen. Und Gott lässt sich durch Abraham an seinen Grundsatz erinnern. (Vgl. Die Erzählung Genesis, 18, Vers 25).

1966 ist Erich Fromm erneut auf dieses Thema zurückgekommen, in seinem Beitrag „Ihr werdet sein wie Gott“ (1966): „Mit der Kühnheit eines Helden fordert Abraham (im Fall von Sodom und Gomorrha) Gott auf, sich an die Grundsätze der Gerechtigkeit zu halten. Abraham verhält sich also nicht wie ein demütiger Bittsteller, sondern wie ein stolzer Mann, der das Recht hat, von Gott zu verlangen, dass dieser sich an das Prinzip der Gerechtigkeit hält“ (S. 99).

3.
Abraham ist der Vater der (monotheistisch) Glaubenden, er lehrt: Über Gott steht die Gerechtigkeit, stehen die Gesetze, zu denen er sich selbst verpflichtet hat. „Weil Gott durch die Normen von Gerechtigkeit und Liebe gebunden ist, ist der Mensch nicht länger sein Sklave. Beide Mensch und Gott, sind an festgelegte Prinzipien und Normen gebunden“, so Erich Fromm (ebd.).

4.
Auch in der späteren Erzählung über Abraham und seinen Sohn Isaac zeigt sich, dass Abraham sich dem Befehl Gottes widersetzt, seinen Sohn Isaac abzuschlachten. (Vgl. Genesis, Kap. 22, bes. Verse 9 ff.) Es sind die gründlichen Studien des Philosophen Omri Boehm, die uns von dem Klischee befreien, Abraham sei der total Gehorsame, der sich nur von einem Engel (Vers 11) davon abhalten lässt, seinen Sohn Isaac zu töten. Denn mit dem „Engel des Herrn“ wird noch unterstellt, dass Gott selbst noch die Initiative ergreift, um Abrahams Gehorsam nicht bis zur tödlichen Konsequenz zu treiben. Boehm weist nun nach, dass die beiden Verse 11 und 12, also die Verse, die vom Eingreifen des göttlichen Engels sprechen, später eingefügt wurden. Nimmt man diese beiden Verse aus der Erzählung sinnvollerweise heraus, dann ist es Abraham selbst, der zur Erkenntnis kommt: Ungehorsam gegen Gottes Tötungsbefehl ist das Wahre. Abraham entdeckt selbst den Widder, den er anstelle Isaacs tötet.

5.
Immanuel Kant hat in seiner Publikation „Streit der Fakultäten“ (1798) als einer der ersten Philosophen deutlich gefordert, dass Abraham seinen Sohn niemals hätte töten dürfen, Nur Ungehorsam gegen Gott wäre also richtig und ethisch wahrhaftig gewesen. Kant schreibt: „Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: Dass ich meinen guten Sohn nicht töten soll, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden“.

6.
Der Philosoph Omri Boehm hat sich ausführlich, auch von dem jüdischen Philosophen Maimonides inspiriert, mit dem ethisch richtigen Ungehorsam Abrahams befasst. „Abrahams Punkt ist, dass eine universalistische Moral nur über der Gottheit stehen kann“ (in „Radikaler Universalismus“, S. 54). Aufgrund der universellen Gerechtigkeit (die ausnahmslos ALLEN Menschen immer gilt) ist es wahr, „Gottes Autorität zu widersprechen“ (ebd.)

7.
Die revolutionäre, sozusagen Gott-kritische Erkenntnis heißt also:
„Die wichtigste Errungenschaft des biblischen Monotheismus ist das Bekenntnis zu einer exklusiv einzigen, wahren Gottheit – um diese anschließend einer noch höheren, über ihr stehenden Gerechtigkeit zu unterwerfen“ (von Omri Boehm kursiv gesetzt, S. 21) Abraham ist der Vater aller Völker, eine Bedeutung, die ihn über Moses erhebt, betont Boehm. “Es gibt nur einen wahren Gott, doch die Autorität der universellen Gerechtigkeit steht über ihm“ (Omri Boehm, S. 22).

8.
Dies ist eine provozierende, wenn nicht unangenehme Erkenntnis für die Religionen und Kirchen. Denn ihre Theologen und Kirchenleiter und Religionsführer bedienen sich ständig mit göttlicher Autorität der Weisungen, die angeblich von Gott selbst stammen. Die Religionsführer brauchen förmlich Gott und seine begrenzten Gebote, um ihre eigene Herrschaft zu zementieren. Tausend Beispiele wären zu nennen, etwa: Israel ist nur der Staat der Juden; Frauen dürfen niemals katholische Priesterinnen werden; Frauen sind den Männern im Islam untertan usw… Es wäre wichtig, eine große Studie in Gang zu bringen, die die – geringe – Bedeutung Abrahams im Laufe der Geschichte der drei monotheistischen Religionen aufzeigt, Gehorsam gegen Gott erschien immer die den Religionsführern bequemere Lösung als das Eintreten für einen universellen religiösen Humanismus.

9.
Die entscheidende und dringend geforderte Reformation der drei monotheistischen Religionen kann nur gelingen, wenn die Religionsführer und die von ihnen geführten Gläubigen wahrnehmen und in der Praxis anerkennen: Über Gott und seinen von den Religionsführern interpretierten Gesetzen steht die universale Gerechtigkeit für alle Menschen überall und immer. Abrahams Erkenntnis könnte also heute die drei monotheistischen Religionen in ihrer Beton-Mentalität aufsprengen und endlich aus den Religionen humane Institutionen werden lassen. Aber das setzt vor aus. Dass die Religionsführer der drei monotheistischen Religionen lernfähig werden und sich endlich um die Erkenntnisse Abrahams kümmern. Aber die Konsequenzen wäre Machtverlust des gesamten „Klerus“ der drei Religionen. Und diesen Machtverlust wollen diese Herren (es sind fast immer Männer) überhaupt nicht hinnehmen. Also bleibt Abrahams entscheidender, humaner Ungehorsam gegen Gott auf Dauer doch marginal … und fast vergessen.…

10.
… So, wie die entscheidende Rede Jesu „Vom Weltgericht“ (Matthäus-Evangelium, 25. Kap., Verse 31 bis 46) als Umsturz alles nur „Religiös-Frommen“ und als Durchbruch einer humanen ethischen Haltung ALS Religion von den Religionen, Kirchen, nicht respektiert wird. Die Aussage Jesu gipfelt bekanntlich in einer Lehre umfassender Humanität: „Was ihr Menschen für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Vers 40). Das heißt: Der wahre Gottesdienst im Sinne des Propheten Jesus von Nazareth ist Nächstenliebe. Alles andere ist zweitrangig, das Zweitrangige, also das Religiöse, die Gottesdienste, Liturgien, Kirchengesetze etc. werden aber vom Klerus als erstrangig gefordert und durchgesetzt. Und die Gläubigen glauben in ihrer autoritären Bindung dem Klerus auch noch und folgen nicht den Weisungen des Propheten Jesus von Nazareth..

11.
Nur einige gebildete religiöse Menschen werden die Kraft haben, sich aus dieser Herrschaft der Religionsführer zu befreien und sich einer humanen Vernunft-Religion anschließen, die schon Immanuel Kant beschrieben und gefordert hat in seiner sehr lesenswerten Publikation „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. LINK

12.
Auch die Studien des US-amerikanischen Philosophen John D. Caputo folgen einer Erkenntnis, die der Erzählung über Abrahams Einsicht entspricht: In seinem Buch „Die Torheit Gottes“ (Grünewald-Verlag, Ostfildern 2022) befreit Prof. Caputo das religiöse Denken vom Glauben an den allmächtigen Gott in der Höhe oder auch in der Tiefe. In seinen durchaus provozierend gemeinten Überlegungen zeigt Caputo: Gott existiert nicht (als ein vorzeigbares „Objekt“), Gott existiert nicht, aber er INSISTIERT: Das heißt das göttliche Leben insistiert im Menschen als Ruf, als Aufforderung, human zu leben. Das Bild „Reich Gottes“ sagt diese Möglichkeit aus, einen universal geltenden Humanismus zu leben. (Vgl. bes. das Kapitel „Dein Reich komme“ in „Die Torheit Gottes, S. 137 ff.) Auch Caputo erinnert eindringlich an die revolutionäre Kraft der Rede Jesu vom Endgericht (S. 143).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Gegen den Wahn, sich in „Identitäten“ abzukapseln. Für einen radikalen Universalismus.

Über ein wichtiges neues Buch des Philosophen Omri Boehm. In manchen Aussagen geradezu sensationell. Haben das die Theologen endlich bemerkt?

Ein Hinweis von Christian Modehn. Am 30.9.2022 veröffentlicht.

1.
Nun haben sich schon wieder Nationalisten als stärkste Parteien durchsetzen können: die Rechtsextremen und die Post-Faschisten in Italien bei den Wahlen am 25.9.2022. Ihnen gemeinsam ist die Fixierung auf die „Identität“, die sich immer über das entscheidende Wort „zuerst“ definiert: Also nun auch „Italien zuerst“, wie die postfaschistische Girorgia Meloni betont, wie früher schon Madame Le Pen mit ihrem „Frankreich zuerst“ (Le Pen) oder auch „America first“ von Mister Trump.

2.
In dieser Situation einer zunehmenden nationalen und ins Faschistische abgleitenden Identitäts-Politik ist das neue Buch des Philosophen Omri Böhm von besonderer aktueller Bedeutung. Der Titel „Radikaler Universalismus. Jenseits von Identitäten“ (Propyläen-Verlag, 2022) beschreibt sein philosophisches Programm, das Boehm mit aller Schärfe und Klarheit der Argumentation vorträgt. Boehm, Jahrgang 1979, ist israelischer und deutscher Staatsbürger, er lehrt als Associate Professor für Philosophie an der „New School of Social Research“ in New York.

3.
Die heutige Betonung einer angeblich absoluten Geltung der Identitäten betrifft nicht nur die nationalistischen und faschistischen politischen Strömungen. Identitäts-Fixierungen werden sichtbar, so Boehm, in zahlreichen aktuellen Theorien und Ideologien. Etwa, wenn behauptet wird, dass vorrangig die Identitäten von Geschlechtern oder sozialen und politischen Minderheiten respektiert werden müssen, dass also „meine Bindung“ an „meine besondere Gruppe“ (bzw. Nation) wichtiger sei als mein Respekt der universalistischen Werte der Menschheit.
Jedoch gilt: An dieser „allgemeinen“ Menschheit mit ihren universalen Rechten und Pflichten hat jeder einzelne Mensch als Mensch zweifelsfrei Anteil. Und diese allen gemeinsame Bindung an die Menschheit mit ihren Rechten und Pflichten muss bestimmender und vorrangiger sein als die begrenzten Werte, die aus meiner/unserer immer begrenzten Identität (etwa als Homosexueller, als Indigener, als Katholik usw.) folgen.

Boehm tritt also in aller Schärfe für einen „universellen Humanismus“ ein, das betont er schon in seinem „Prolog“ auf S. 12. Er zeigt, dass der moralische Universalismus die unbedingte Pflicht eines jeden Menschen bedeutet, für die universale Gerechtigkeit und für alle geltende Gleichheit einzutreten und diese zu leben und auch politisch zu gestalten.

4.
Die Kämpfer für die „identischen“ Rechte von bestimmten, abgegrenzten Gruppen (etwa „LGBTQ-Menschen, S. 13) will Boehm keineswegs diffamieren. Er will nur beweisen, dass sie in ihrem Einsatz für ihre Identitäten durchaus die Verbindung mit den universalen Grundrechten benötigen, soll denn das Engagement zum Ziel führen, also für sie selbst auch erfolgreich sein. Der universelle Humanismus soll also für Boehm „ein Kompass, sogar eine Waffe“ sein (S. 14). Und Boehm weiß, dass es viele „falsche Universalisten“ gibt, die mit ihren Sprüchen und Taten nur die westliche Vorherrschaft meinen, etwa: Von Menschenrechten groß schwadronieren, aber sich selbst nicht an sie binden. Das trifft etwa für die katholische Kirchenführung zu, dieses Beispiel nenne ich, nicht Boehm.

5.
Immanuel Kant ist für Omi Boehm „der unverzichtbare Denker“ (16). Kant hat, sage ich nun mit einem klassischen Begriff, „Wesentliches“ vom Menschen gedacht. Boehm meint dasselbe, wenn er betont: Kant habe den Menschen „frei von jeder Beimischung biologischer, zoologischer, historischer und soziologischer Tatsachen“ (16) erkannt. Diese Konzentration Kants auf das Allgemeine, „Wesentliche“ des Menschen bzw. der Menschheit, nennt Boehm durchgehend in seinem Buch „abstrakt“. Der entscheidende Begriff „des“ Menschen, muss also Kant folgend, „abstrakt bleiben“ (16), das betont Boehm immer wieder.
Ich möchte fragen, ob es geschickt ist, diesen universalen „Wesensbegriff“ des Menschen „abstrakt“ zu nennen. „Abstrakt“ hat oft eine negative Konnotation.
Aber abgesehen davon: Durch Kant wird die Menschlichkeit des Menschen nicht durch natürliche Bestimmungen festgelegt, sondern durch die geistigen Leistungen der Freiheit, zu der auch die Pflicht gehört, das moralische Gesetz in mir als unbedingt auch für mich geltend wahrzunehmen und ihm zu folgen. Denn der Mensch kann in seiner Freiheit dem moralischen Gesetz in seiner Lebenspraxis folgen, betont Kant, warum sonst würde sich dieses moralische Gesetz denn sonst im Menschen überhaupt unbedingt zeigen?
Wenn der Mensch sich von sich distanzieren kann, gleichsam auf sich und sein Tun “von iben rauf schaiut”, wenn er also fragen kann, was er tun soll, dann zeigt er sich darin als freie Person. Er kann dem kategorischen Imperativ prinzipiell folgen!
Dieser „kategorische Imperativ“ ist eine geistige Wirklichkeit, diese ist „nicht von Menschen gemacht“ (17), sie kann also auch nicht von Menschen ausgelöscht werden. D.h.: Der kategorische Imperativ ist also nicht an bestimmte Konventionen gebunden oder an historische Umstände, er gilt universell. Nur im Respekt vor einem „höheren Gesetz“ (20), also dem Kategorischen Imperativ, kann der einzelne darauf hoffen, dass seine persönlichen Wünsche (etwa hinsichtlich der Bindung an eine Identität) von anderen respektiert werden. Jeder, der ernsthaft seine eigenen Identitäten verteidigt, braucht als argumentative Unterstützung notwendigerweise die universalen Menschheitswerte der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit. „Die abstrakte, absolute Verpflichtung auf die Menschheit  löscht die Identitäten ja nicht aus; ganz im Gegenteil sind es die Identitäten, die sich gegenseitig auslöschen. Letztlich wird nur der Universalismus sie verteidigen können“. (155).

6.
Boehm ist mit der jüdischen Spiritualität bestens vertraut. Seine besondere Leistung ist, dass er auch in seinem neuen Buch alt vertraute biblische Erzählungen korrigiert, etwa die Erzählungen der hebräischen Bibel, des Alten Testaments, die sich auf die Gestalt Abrahams beziehen. Abraham ist für Boehm die entscheidende und prägende Figur der Bibel: Abraham hat als gläubiger Mensch den Mut, Gott zu widersprechen und sogar noch weiter zu gehen… Boehm betont: Dass es für Gott eine noch über ihm stehende Gerechtigkeit gibt, der auch Gott unterworfen ist. Gerechtigkeit, durch die Vernunft der Menschen erkannt, steht nicht über den göttlichen Geboten, mehr noch: Auch Gott selbst steht in der Erfahrung Abrahams unter dem universalen Gebot der Gerechtigkeit! Was für eine Aussage, deren Konsequenzen leider Boehm nicht weiter entwickelt! Diese Erkenntnis führt zu einer radikalen Kritik des überlieferten und konfessionell immer nicht prägenden Begriff Gottes!

7.
In seiner Auseinandersetzung mit Gott angesichts der Bestrafung von Sodom und Gomorrah betont Abraham: „Sollte der Richter aller Welt, Gott, nicht gerecht richten“? (Genesis, 18., Vers 25). Die universelle Gerechtigkeit, die eben auch die Rettung der wenigen Unschuldigen in Sodom und Gomorrha betrifft, ist also wichtiger und größer als Gott selbst! Gort muss sich an das Prinzip der Gerechtigkeit binden!
Diese Erkenntnis bezieht Boehm auch auf die bekannte Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaac. Boehm zeigt: Abraham widerspricht Gott, und er opfert seinen Sohn gerade NICHT, wie es Gott anfänglich verlangte. Boehm hat zu dieser biblischen Erzählung ausführliche Studien betrieben. In der „Jüdischen Allgemeinen“ hat er schon am 24.2. 2015 darüber kurz berichtet: „Ich versuche nun, zu zeigen, dass zwei Verse dieser biblischen Geschichte in Wirklichkeit nachträgliche Hinzufügungen zum Originaltext sind. Es handelt sich um die Verse 11 und 12 in Genesis, Kapitel 22, in denen der Engel des Herrn Abraham im letzten Moment davon abhält, seinen Sohn zu töten. Wenn man diese Verse – eine spätere Einfügung – wieder herausnimmt, bekommt man eine in sich geschlossene, aber völlig andere Geschichte. Das heißt: Abraham entscheidet selbst und auf eigene Verantwortung – ohne das Eingreifen des Engels –, Gottes Weisung nicht zu befolgen“. Deshalb meint Boegm: Ungehorsam ist ein Eckpfeiler des jüdischen Glaubens und gerade nicht blinder Gehorsam.
Noch einmal: In seinem neuen Buch betont Boehm: „Da die Gerechtigkeit universell ist, steht sie auch über der Autorität der einen wahren Gottheit“ (53). Diese über allem und allen stehende Gerechtigkeit ist entscheidender noch als Gott! Das in dieser Deutlichkeit zu sagen, ist sensationell, weil dann Gott nicht mehr der „Aller-Oberste“ ist. Es gibt noch eine Art „Gott über Gott“, dies ist die universale Gerechtigkeit. Aber die zeigt sich in der Erfahrung der Menschen als eine nicht von Menschen gemachte und von Menschen verfügbare Wirklichkeit.

8.
Ist diese oberste Gerechtigkeit also selbst „wahrhaftig“ göttlich zu nennen, sozusagen der „oberste Gott“? Sollte sie, diese universale Gerechtigkeit, dann nicht auch – in welcher Form – verehrt werden?
Diese Frage wird leider von Boehm nicht erörtert. Nebenbei: Es gab ja bei dem protestantischen Theologen Paul Tillich schon den Gedanken, dass es einen „Gott über Gott“ gibt. Und auch Meister Eckart hat unterschieden zwischen Gott und der Gottheit, die er allerdings für unerkennbar bzw. undefinierbar hielt. Eine weitere Frage: Ist nicht diese oberste Gerechtigkeit („über Gott“ noch stehend) auch notwendigerweise dann doch (allzu) menschlich gedacht? Wenn ja, was sicher ist: Wie kann man dann aber noch an einem „eigentlich“ unerkennbaren, bildlosen Gott des Alten Testaments festhalten?

9.
Boehm zeigt weiter in seinem Buch, wie der Bürgerrechtler Pastor Martin Luther King ebenfalls die universalen Menschenrechte in seinem Kampf zugunsten der Rechte der Schwarzen an die erste Stelle setzte.
Eher auf die US-amerikanische Situation bezogen sind Böhms Auseinandersetzungen mit dem dort überaus populären Philosophen Richard Rorty: Er entwickelt eine eher „liberal“ genannte Philosophie, die sich auch nicht scheut, die Bedeutungslosigkeit der Philosophie für die Politik öffentlich zuzugeben. Auch der us-amerikanische Philosoph Dewey wird von Boehm heftig kritisiert, weil er eine kategorisch geltende Wahrheit ablehnt.

10.
Omi Boehm, geboren in Haifa, setzt sich seit einigen Jahren auch mit der Politik des Staates Israel auseinander, vor allem was den Aufbau gerechter Verhältnisse mit den Palästinensern angeht. Er kritisiert auch in seinem neuen Buch, so wörtlich, „die Apartheitstruktur“ (S. 150), die die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland „seit vielen Jahren betreibt“. Wie alle westlichen liberalen Demokratien ist in Böhms Sicht auch der Staat Israel „auf der gewaltsamen Unterdrückung anderer gegründet“ (S. 152). Diese Identitätspolitik der Palästinenser wie der Juden kann nur, so Boehm, „jeweils zur Auslöschung der anderen führen“. Boehm plädiert für die „Einstaatenlösung“.

11.
So wird Omi Boehm durch seine erneute Auseinandersetzung mit Israel zu der Erkenntnis geführt: „Die einzige Möglichkeit, die Antinomien von Identitäten aufzulösen, die einander nihilistisch auslöschen, besteht darin, auf dem Universalismus als Ursprung zu beharren statt auf Identität. Darin, die eigen Politik mit der Verpflichtung auf die Gleichheit aller Menschen zu beginnen und die Ansprüche von Identität an dieser Verpflichtung zu prüfen“ (154).

12.
Das Buch „Radikaler Universalismus“ verlangt eine konzentrierte Lektüre, es ist aber nicht für die wenige Fachphilosophen“ geschrieben. Ausnahmsweise muss man als Rezensent einmal sagen: Ich hätte mir sogar noch ausführlichere Darstellungen und Begründungen und Ausweis von Konsequenzen gewünscht.

13.
Kants Studie „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ sollte in dem Zusammenhang viel mehr gewürdigt werden. Vielleicht gelingt das zum Kant Jubiläum 2024 (300. Geburtstag). Kants Vorschläge könnten den Christen (auch den Juden und Muslime) Möglichkeiten zeigen, ohne dogmatische Bindungen und ohne religiöse fixierte Institutionen ein vernünftiges religiöses Leben zu gestalten. Eben in der Überordnung des Ethischen (des moralisch guten Lebens) über die religiösen Gebote und Gesetze, über die kirchlichen Lehren sowieso, wie Kant dringend fordert! Ausführliche Hinweise, siehe: LINK.

Omri Boehm, „Radikaler Universalismus. Jenseits von Identitäten“. Propyläen Verlag, Berlin, 2022, Aus dem Englischen übersetzt von Michael Adrian. 175 Seiten, 22 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

 

Der neue Faschismus – die Gefahr für die Menschheit heute.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.9.2022.

Das Motto: „Der Faschismus – auch der Post-Faschismus – ist die organisierte Ablehnung des menschlichen Lebens. Er ist eine Anti-Moral“ (Paul Mason).

Nun also auch die Niederlande: Eine F-Partei, eine faschistoide Partei um ihren Führer Theirry Baudet: Siehe den Link aus der Süddeutschen Zeitung vom 30.Okt. 2022. LINK.  https://www.sueddeutsche.de/politik/niederlande-baudet-faschismus-1.5683879

1.
Man spricht diskret von „Post-Faschismus“. Um etwa die Partei „Fratelli d Italia“ zu bewerten.

Giorgia Meloni, Chefin dieser Partei, bekennt sich öffentlich als Katholikin. Sie hat Kontakte mit den extrem konservativen, traditionalistischen Kreisen im Vatikan und in Italien: Sie besuchte noch kurz vor den Parlamentswahlen am 25.9.2022 aus Sympathie den bekannten reaktionären Kardinal Robert Salah im Vatikan . Sie hielt auf dem katholischen “Weltfamilienkongress” in Verona (29.-31.3.2019) eine militante, von den TeilnehmerInnen begeistert aufgenommene Rede (Nein zur “Gender-Ideologie”, Ende der Abtreibungen, Lob der Frömmigkeit im Mittelalter usw.), mit der Pro-Life-Bewegung ist Meloni eng verbunden. An die Zeit des Faschismus erinnert ihr persönliches und politisches Motto: “Gott, Vaterland, Familie”. Dieser katholische Familienkongress in Verona war ein Höhepunkt in der Bündelung reaktionärer und katholischer Ideologen und “Bewegungen”, so dass sogar einige Bischöfe sich vorsichtig distanzierten, wie Kardinal Parolin. Am Kongress nahm Fürstin Gloria von Thun und Taxis teil, auch der rechtsextreme LEGA-Chef Salvini hielt eine Rede. Diese regelmässigen katholischen Weltkongresse, genannt “Familienkongresse” , sind mit der katholisch geprägten internatioanlen Pro-Life -Bewegung ein Zentrum katholisch-reaktionären Denkens und politischen Handelns.

2.
Diese „Fratelli“, diese „Brüder Italiens“, bewegen sich in der Einschätzung der Politologen in der Grauzone zwischen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Faschismus.
Diese „rechtsextreme Grauzone“ setzt sich überall in Europa durch:
Von der Le Pen Partei „Rassemblement National“ und der Partei von Eric Zemmour in Frankreich, über die Rechtsextremen in Schweden (SD, „Schwedendemokraten“) und Griechenland („Goldene Morgenröte“) und Spanien („Vox) und Ungarn („Jobbik“ und z.T. sicher auch „Fidesz“ von Herrn Orban) und Polen („Nationale Bewegung“ und „Freiheit“ und Teile der PIS) und Österreich (FPÖ) und Deutschland (AFD und viele kleinere Parteien) und den Niederlanden („Partei für die Freiheit“, Wilders, und „Forum für Demokratie“ usw.) und Belgien („Vlaams Belang“) und Vereintes Königreich („British National Party“) und Slowenien „Slowenische Nationale Partei“) und Kroatien („Kroatische Partei des Rechts“, HSP) und Dänemark ( Danske Folgepartei) und Finnland („Wahre Finnen“) . usw.
Überall in Europa (und in den USA und Lateinamerika) finden rechtsextreme Parteien immer mehr Zuspruch mit ihrer wirren Ideologie. Um es klar zu sagen: Diese Parteien sind zerstörerisch, sie zerstören Demokratie und Menschenwürde und Menschenrechte und Frauenrechte, sie werden in der Politikwissenschaft oft „postfaschistisch“ genannt.

3.
Ein erster Schritt des Widerstandes: Die zerstörerischen Ideologien dieser rechtsextremen, postfaschistischen Parteien kritisch studieren und mit anderen debattieren. Dabei darf es nicht bleiben: Politische Aktionen müssen dann folgen.
Alle demokratischen Organisationen, auch die Kirchen, sollten das Studium des Rechtsextremismus und Post – Faschismus in den Mittelpunkt stellen.
Ein provozierendes, aber mögliches Beispiel: Anstelle der Predigten sollten regelmäßig in den Sonntags-Gottesdiensten Informationen über den neuen Faschismus stattfinden, über die seelische und materielle Disposition, ins Faschistische abzurutschen: Dann wären die Kirchen und ihre Prediger auf der erforderlichen Höhe der Zeit und vom Ritus des „Immergleichen“ (Predigens) befreit. Das hätte den Vorteil, dass sich die Pfarrer und Prediger genau politisch bilden müssen. Diese Neuorientierung des Predigens ist um so dringlicher, weil viele „praktizierende Katholiken“ – etwa in Frankreich – post-faschistische Parteien wählen. Und die Diskussionen nach dem Gottesdiensten wären sicher sehr lebendig.

4.
Der Begriff „Post-Faschismus“ bedeutet mehr als eine Zeitangabe, also, nach („post“) dem Faschismus von Mussolini und nach der Nazi-Ideologie Hitlers. „Post“ benennt den aktuellen Wandel des Faschismus, förmlich sein modernisiertes Versteckspiel. „Neo-Faschismus“ würde die Bürger vielleicht doch noch stören.“Post-“ weckt den Eindruck des Harmloseren.
Aber die Verwendung des „Post-“ ist alles andere als harmlos:

5.
Heutiger Faschismus bedient sich – wie der frühere Faschismus – einer Mythologie, einer Erzählung, also der ideologischer Propaganda, um die Demokratie zu zerstören.
Paul Mason hat in seiner großen Studie „Faschismus“ (Suhrkamp Verlag, 2022) darauf aufmerksam gemacht und fünf Strukturelemente herausgearbeitet:
Heutiger „Postfaschismus“ verkündet: Es findet in der Welt der Reichen Europas ein „Austausch der Bevölkerung“ statt. Durch die Zuwanderung von Fremden, von Muslimen, Afrikanern, Lateinamerikanern etc. werde ein „Genozid“ an der weißen Bevölkerung Europas und Nordamerikas betrieben. Minderwertige übernehmen also die Macht der Wertvollen Menschen, und das sind dieser postfaschistischen Ideologie folgend, die weißen Europäer.
Es sind die Menschenrechte, also die universalen (!) humanen Ideen der Moderne, die diesen Genozid zulassen und befördern. Menschenrechte werden von Demokratien verteidigt. Also müssen Demokratien verschwinden, so die postfaschistische Ideologie.
Die Idee der Menschenrechte als Eintreten für die Rechte der Armen und Ausgebeuteten wurde von westlichen marxistischen Denkern vertreten. Darum bekämpfen die Post-Faschisten entschieden „den“ Marxismus und alles „Linke“, wie schon die früheren Faschisten, etwa Mussolini.
Durch die sogenannten, angeblich „harmlos“ erscheinenden „normalen“ rechtspopulistischen Parteien in den noch halbwegs funktionierenden Demokratien wird Druck auf die Demokratie ausgeübt, es werden Netzwerke von Unzufriedenen gefördert, die massiv die liberale Demokratie zum großen Übeltäter erklären und symbolisch zerstörerisch und gewaltsam zu agieren beginnen.
Es wird in den post-faschistischen Führer-Kreisen auf einen „Tag X“ hin gearbeitet, an dem die genannten post-faschistischen Projekte durchschlagen und in Form von Bürgerkriegen die liberale und sozial eDemokratie ausschalten. In Brasilien droht der post-faschistische Präsident Bolsonaro etwa mit einem Bürgerkrieg, für den Fall, dass er nicht wieder zum Präsidenten gewählt wird.

6.
Die stärker werdende Welle der post-faschistischen Bedrohung in ganz Europa wird durch die aggressive Einmischung von Putin noch weiter verstärkt. Der Krieg Russlands bzw. des Diktators Putins gegen die Ukraine gehört zu einem großen Plan: Die Demokratien zu zerstören, auch die Demokratien in Europa. Sein Mittel: Diese postfaschistischen Parteien finanziell unterstützen. „Dies ist die erste Säule der Theorie der extremen Rechten: die Erwartung einer globalen Katastrophe, welche die Moderne, die Aufklärung, vollkommen rückgängig machen wird. Dies soll nicht wie in den Projekten Hitlers oder Mussolinis in einem einzelnen Staat geschehen oder durch Eroberungen verwirklicht werden. Sondern in Form eines simultanen globalen Zerfalls von Staaten und Institutionen“ (Paul Mason, a.a.O., S. 63). (Siehe auch Nr. 9. in diesem Hinweis)

7.
Der Faschismus bzw. jetzt der Post-Faschismus drückt sich gern mit einem international verbreiteten Slogan aus: Immer ist darin das Wort ZUERST enthalten: „Amerika first“. Oder „La France d abord“ oder „Les Francis d abord“. „Deutsche den Deutschen….“ „Gli Italiani primo“ (Motto von Matteo Salvini und anderen Rechtsextremen).
Diese Slogans mit dem Wort „zuerst“ (first, d abord, primo usw). ziehen Grenzen und Wertungen zwischen den Menschen: Es gibt in dieser Ideologie die Wertvollen, die „zuerst“ gut leben sollen. Dies sind die weißen Europäer, christlich geprägt oder jüdisch, wie Rechtsextreme jetzt gern sagen, um Muslime abzuwerten und minderwertig zu finden. Und die anderen, eben diese Minderwertigen, die bestenfalls den Wertvollen (Weißen) zu billigen Diensten zur Verfügung stehen dürfen. Selbst die rechtsextremen „brauchen“ also doch zum Funktionieren ihrer Wirtschaft noch die Armen, die Flüchtlinge, die Gestrandeten, die Hilflosen, weil diese das sklavenähnliche Hilfspersonal für die weiße Elite stellen.

8.
Zu Giorgia Meloni (geb. 1977), ein mögliche Regierungschefin, und ihre Partei „Fratelli d Italia“: Dieser Titel bezieht sich auf die ersten Worte der italienischen Nationalhymne, ein deutlicher Hinweis auf die nationale Fixierung der Partei.

Die Umfrage zur Akzeptanz der Wähl für diese Partei:
August 2019: 6,1 %
Juli 2022: 22 %.

Sofia Ventura, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bologna. schreibt in einer Studie der „Friedrich Ebert Stiftung“:

„Melonis kulturelle und politische Auffassungen zeugen unter anderem vom Fortbestand eines zweideutigen Verhältnisses zum
italienischen Faschismus und Postfaschismus, von der Vision einer illiberalen und organizistischen Gesellschaft, auf der sie eine reaktionäre Lesart der Rechte des Individuums aufbaut – wobei der oder die Einzelne stets der Familie und der Gemeinschaft verpflichtet ist – , sowie von einem essenzialistischen und ethnozentrischen Begriff von Nation und von einer Interpretation des 20. Jahrhunderts, die die Werte relativiert, die nach der Niederlage des nationalsozialistischen Totalitarismus entstanden sind, von einer manichäischen Gegenüberstellung von Volk und Elite und von einer verschwörungs-theoretischen Auslegung der Wirklichkeit“…. „Der Hass auf Einwander_innen geht Hand in Hand mit dem so genannten welfare chauvinism, das heißt der Auffassung, dass die Vorteile des Sozialstaates nur bestimmten Gruppen, etwa den Einheimischen des jeweiligen Landes, vorbehalten sein sollten.
In diesem Zusammenhang betont Meloni stets, dass es erforderlich sei, Italiener_innen beim Bezug von Sozialleistungen zu bevorzugen…”
“Melonis FdI bewegt sich in eine weniger konservative als vielmehr reaktionäre, souveränistische, nationalistische und illiberale Richtung. Mit diesen Positionen tritt Meloni zu den Wahlen am
25.9.2022 an, die nach dem von der 5-Sterne-Bewegung und den mit ihr regierenden Rechtsparteien Forza Italia und Legaprovozierten Sturz der Regierung Draghi (21.7.2022) angesetzt wurden. Anders als 2018 ist Fratelli d’Italia diesmal die in Umfragen stärkste Partei der Rechten und ihre Vorsitzende die natürliche Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin im Falle eines Sieges. Von ihrem Erfolg oder Misserfolg wird mit Sicherheit das Wohl der italienischen Demokratie abhängen. Er wird sich als Gradmesser der italienischen Demokratie erweisen“.

Zit. eines Beitrages von Sofia Ventura, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bologna. Quelle:    LINK

9.
Siehe auch den Beitrag von Christian Modehn vom Mai 2022 „Putin der Faschist“.  LINK

Der “Tagesspiegel” hat am 18.9.2022 auf S. 4 eine Dokumentation publiziert über „Putins beste Freunde“, darin wird die finanzielles Unterstützung Putins (den einige Beobachter einen Faschisten nennen) für seine Freunde in den post-faschistische Parteien in (West)Europa dargestellt.
„Fest steht, dass Meloni von den „Fratelli d Italia“ im Falle eines Wahlsiegs am 25.9.2022 mit den beiden Putin-Freunden Salvini und Berlusconi regieren würde – ein Ergebnis, das dem Kreml-Herrscher sehr genehm wäre. Denn dann könnte Italien innerhalb der EU auf ein Ende der Sanktionen gegen Russland hinarbeiten“. (den Tagesspiegel Beitrag schrieb Claudia von Salzen).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin