Über die Menschenwürde: Ein philosophischer Salon

In unserem religionsphilosophischen Salon wollen wir uns am Freitag, den 30. August 2019, um 19 Uhr mit einem der zentralen Themen des menschlichen Zusammenlebens befassen: der absoluten und unantastbaren Würde aller Menschen.
Bekanntlich ist im Grundgesetze der Bundesrepublik Deutschland von der Menschenwürde an erster Stelle, im Artikel 1, die Rede. Die Menschenwürde aller Menschen ist heute faktisch leider eher noch ein Ideal, wenn nicht eine Utopie, ein Traum. Aber die Menschenwürde sie ist absolut unverzichtbar, wenn diese Welt den Anspruch haben will, eine menschliche Welt zu sein.
Jeder und jede kann in unserem Salon berichten, wie er/sie Menschenwürde erlebt, auch als persönliche Verletzung der Menschenwürde, und wie gerade in den Kontrast-Erfahrungen der Wunsch stark wird, Menschenwürde als Realität auch politisch zu gestalten. Dass dabei auch philosophische und religionsphilosophische Aspekte zur Sprache kommen, ist selbstverständlich.

Die Veranstaltung findet in der Kunstgalerie Fantom statt, Hektorstr. 9, Berlin Wilmersdorf. Beginn um 19 Uhr. Wer teilnehmen will, sollte sich bitte anmelden: christian.modehn@berlin.de , denn die Anzahl der Plätze ist begrenzt. Herzliche Einladung!

Die Kirchen verlieren ständig mehr Mitglieder … und was man dagegen tun könnte…

Warum sich die Kirchen reformieren sollten, falls sie nicht im kulturellen Abseits landen wollen
Ein Hinweis von Christian Modehn

426.000 Kirchenmitglieder in Deutschland sind im Jahr 2018 aus beiden großen Konfessionen, der evangelischen bzw. katholischen Kirche, ausgetreten. Das heißt: 44,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nennen sich jetzt noch Christen als Kirchensteuerzahler. 1998 waren es 54,3%. Zur Prognose: Im Jahr 2035 werden es nach zuverlässiger Schätzung noch 34,8% sein.

Bedford-Strohm, evangelisch:

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford – Strohm, so berichtet der „Tagesspiegel“ am 20.7.2019, kommentiert die aktuelle Statistik: “Jeder Austritt schmerzt. Er setze auf eine bessere Vermittlung der christlichen Botschaft“. Bedford-Strohm setzt also wie üblich auf ein besseres Wie, also auf ein besseres Sagen und Verkünden der alten Botschaft; von einem besseren Was, also von einem reformierten und entstaubten Inhalt der Botschaft, ist nicht die Rede. Diese überlieferte Kirchenlehre und Kirchenmoral soll also weiterhin erhalten bleiben.

Stefan Hesse,katholisch:

Eher unpräzise sagt im „Tagesspiegel“ vom 20.7.2019 der katholische Erzbischof Stefan Hesse (Hamburg): „Wir werden über die Zukunft von Priesteramt, Lebensweisen, den Umgang mit Macht und nicht zuletzt über Sexualität reden. Hinzu kommt die Rolle der Frauen“. Also Strukturfragen und Kirchengebote (etwa Zölibat) sollen besprochen werden, offenbar auch darüber, wie Frauen ein bisschen mehr Gleichberechtigung in der katholischen Kirche erleben können. Aber auch für den Erzbischof gilt: Inhaltliche Veränderungen, also eben durchaus Reduzierungen der nicht anders als bombastisch zu nennenden Kirchenlehre und Kirchenmoral (der offizielle Katholische Katechismus von 1993 umfasst mehr als 800 Buchseiten) kommen offenbar nicht in Frage.

Auswege

Zwei, bisher fast gar nicht diskutierte, Möglichkeiten könnten sich bieten, wenn man tatsächlich an einem lebendigen und kreativen Bestehen der Kirchen interessiert ist. Denn das langsame Verschwinden der Kirchengemeinden ist ja rein soziologisch oder religionswissenschaftlich gesehen ein spiritueller Verlust; weil die Geschichten rund um Jesus von Nazareth nicht mehr so oft erzählt und gefeiert werden; weil die Kenntnis der nun einmal auch christlich geprägten Kultur zurückgeht; weil prinzipiell der humane Zusammenhalt einer Gemeinde mit ihren ja manchmal auch ansprechenden Räumen und in ihrer prinzipiellen Offenheit für alle Menschen dann langsam verschwindet.

Ein liberal-theologischer Vorschlag

Um die stetige Verabschiedung so vieler Christen aus den Kirchen zu begrenzen oder gar zu beenden, könnte sich darum erstens eine Art liberal-theologisches Konzept anbieten: Die Kirche zeigt unmissverständlich, dass diejenigen, die einfach nur die Kirchensteuern nicht zahlen wollen, dennoch gern in der Kirche und Gemeinde bleiben können und als Mitglieder nach wie vor willkommen sind. Wer die Kirchensteuern gern zahlt, wird deswegen auf die „anderen“ nicht herablassend blicken. Weiter ist klar, dass alle, die meinen viele Zweifel an den Inhalten des christlichen Glaubens haben, eben gerade als Zweifler, als Skeptiker, ja selbst als Atheisten in den christlichen Gemeinden willkommen sind. Man könnte ausdrücklich zudem immer wieder betonen, dass es doch theologisch ganz selbstverständlich ist, dass jeder Mensch sich seinen eigenen, seinen persönlichen und privaten Glauben im Laufe seines Lebens eben auch unterschiedlich und je neu zusammenstellt. Dass dabei „Elemente“ des christlichen Glaubens mit „Elementen“ etwa buddhistischer Meditationspraxis verbunden werden oder andere „Mischformen“ religiöser oder philosophischer Traditionen verbunden werden, sollte in den Kirchen ausdrücklich willkommen geheißen werden. So wie alle in den Kirchen willkommen sind, die sich ganz auf die praktische Solidarität, etwa mit Flüchtlingen oder Obdachlosen spezialisieren und auch nur an diesen Aktivitäten der Gemeinde teilnehmen. Alle diese religiösen und individuellen „Mischformen“ existieren ja bereits in den Gemeinden, mindestens in einigen evangelischen Gemeinden. Diese „Mischformen“ sollten nicht nur ausdrücklich als wertvoll, als bereichernd für die Kirche und deswegen als unverzichtbar auch von offizieller Seite dargestellt werden: Jeder und jede ist willkommen in einer christlichen Gemeinde, jeder und jede kann und soll sein „Eigenes“ einbringen, in einem Klima selbstverständlicher Pluralität und damit auch Toleranz. Kirche ist Vielfalt, große Vielfalt. Sie könnte der Gesellschaft geradezu ein Model der versöhnten Verschiedenheiten sein….
Die Möglichkeiten, grundsätzlich, einer je eigenen Spiritualität sind ja grenzenlos: Sie reicht von einem Modell feministisch-katholischer Praxis oder schwul/lesbisch katholischer Praxis bis zur intensiven Beschäftigung mit spirituellen Dimensionen der modernen Kunst oder der gemeinsamen Feier von Christen mit Muslims oder mit Juden oder mit Atheisten usw. Nur muss diese umfassende Offenheit ausdrücklich gewollt sein. Und es müssen Gemeindeverantwortliche, also auch Pfarrerinnen und Pfarrer, tatsächlich auch intellektuell und menschlich in der Lage sein, diese Offenheit zu pflegen. Aber daran kann die „liberal-theologische“ Erneuerung scheitern. Und weil vielleicht scheitert bzw. niemand es ernsthaft noch versucht, werden wohl die Gemeinden immer kleiner, immer enger, immer klerikaler, ja immer mehr „wie Sekten“ am Rande der Gesellschaft.

Die vielen uralten Dogmen entrümpeln: Ein Befreiungsprozeß

Zweitens ist es wohl so, dass viele, die aus der Kirche austreten, nicht nur über die vielen sexuellen Misstaten der Priester entsetzt sind, sondern vor allem auch: Weil sie nicht die Kirchenlehre und Kirchenmoral verstehen. Und dann sinnvoller weise sagen: Wie soll ich mein Leben orientieren, das bedeutet ja „Glauben“, wenn ich die Inhalte meiner Lebensorientierung (Glauben) nicht verstehe. Wenn uns nicht nur die Sprache des Glaubens, sondern die Inhalte des Glaubens nichts bedeuten.

Mir scheint: Es muss die schwierige und provozierende Frage gestellt werden: Von welchen uralten Ballast der Kirchenlehre und Kirchenmoral und Kirchengesetze sollen die Kirchen sich endlich befreien? Sie schleppen die dogmatische Last mit sich herum und kommen dabei ständig in Schleudern! Wann also beginnt die große „Entrümpelung“, Befreiung, von uralter Kirchenlehren, Kirchenmoral und Kirchengesetzen? Es kann doch nicht sein, dass etwa die katholische Kirche verlangt, dass man sich an eine unübersichtliche, zudem uralte Lehren und Dogmen bindet und diese z.T. wortwörtlich (etwa im Nicäno-Konstantinopolischen-Glaubensbekenntnis) ständig in den Messen nachspricht. Dabei weiß jeder: Was die Gläubigen nachsprechen, verstehen sie nicht: „Gezeugt, nicht geschaffen“, „der heilige Geist geht vom Vater und vom Sohne aus“, „geboren aus der Jungfrau Maria“ usw. Auf Dauer Mysteriöses und Mythisches nachzusprechen, nachzuplappern, ohne intellektuelles Verständnis und seelisches Berührtsein, wird zurecht unerträglich. Eine Gemeinschaft der „Mythen-Freunde“ oder „Wundergläubigen“, Kirche genannt, verlässt man gern. Natürlich, in der Oper werden Mythen beschworen, aber da weiß jeder: Das ist Theater, darin steckt kein Anspruch zur Lebensgestaltung (Glauben). Wer kann im Ernst noch die umfangreiche immer noch geltende Erbsündenlehre des Augustinus akzptieren? „Die Erbsünde wird im Moment der Zeugung der Kinder übertragen“? Wer kann noch verstehen, dass Gott seinen Sohn Jesus auf Erden brutal leiden lässt, damit er im Leiden die Welt erlöst? Wer kann noch verstehen, dass diese Welt erlöst ist, wenn ja, in welcher genauen Hinsicht? Wer kann sich einen Reim daraus machen, dass Jesus von Nazareth wahrer Gott und wahrer Mensch war? Hatte Jesus als Mensch selbstverständlich Sexualität, hatte er sie auch als Gott-Mensch auf Erden? Wer kann noch verstehen, dass einige angeblich zölibatär lebende Priester die ausschließliche Vollmacht haben, Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi zu verwandeln? Nur durch diese auszeichnende Macht des „Wandelns“ erklärt sich die Kirche die Notwendigkeit des Klerus…Oft bleibt es bei diesem Wandeln und die wirklich entscheidende Wandlung, also die Reform und Reformation, bleibt aus.

Die ersten bescheidenen katholischen Enrümpelungen von Glaubens-Lehren

Dabei hat doch die katholische Kirche einige bescheidene Entrümplungen ihrer Lehre längst vorgenommen: Es ist Katholiken seit etlichen Jahren gestattet, die Leiche einzuäschern. Die leibhaftige Auferstehung des einzelnen muss dann neu erklärt werden. Papst Benedikt XVI. sonst ultra streng in dogmatischen Fragen, verlangt nicht mehr zu glauben, dass ungetauft verstorbene Babys in eine Art Vorhölle kommen. Der uralte Glaube an den Limbus puerum ist also nicht mehr verpflichtend.Wer allerdings den Limbus noch mag, kann weiterhin an ihn glauben. Und Papst Franziskus hat zwar noch nicht das bloße Kirchengesetz (kein Dogma!) des Pflichtzölibates aufgehoben. Er hat aber freundlicherweise die noch im gültigen Katechismus erlaubte Todesstrafe aus dem Bereich der Glaubensinhalte gestrichen. Das heißt: Die Entrümpelung hat ganz, ganz zaghaft und ängstlich begonnen. Nun könnte diese befreiende Entrümpelung um der Menschen willen, die noch Mitglieder der großen Kirchen sein wollen, weiter gehen.
Das wird aber nicht geschehen: Weil besonders die katholische Kirche das einmal formulierte Dogma wie eine ewige Weisheit hochschätzt und nicht anrührt: Es ist die tief sitzende Angst vor dem Wandel, der Reformation, ja letztlich der geistigen Lebendigkeit, die als Angst diese Kirche versteinern und erkalten lässt. Es ist doch bezeichnend, dass so oft in den Kirchen das Ewige (Gott, Göttliches) als das Unwandelbare beschworen und laut gesprochen wird: „Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit, und in Ewigkeit. Amen!“ Also bloß kein Werden, keine Kreativität, nichts Neues. Es ist der unwandelbare Gott des Aristoteles, der da verehrt wird. Nicht aber ein Gott, bzw. etwas Göttliches, das lebt, das wächst, das Neues will.

Göttliches will Lebendiges, keinen Stillstand

Die ewige Botschaft des Christentums wird nicht durch die ewige und streng kontrollierte Wiederholung von Formeln und Floskeln vom 3. bis zum 20.Jahrhundert „gerettet“, sondern in neuen inhaltlichen Aussagen in einfacher Gestalt. „Wer Ewigkeit zum Programm macht und Zeitlosigkeit plant, behält nur eine archivalische Gegenwart in schaler Erhabenheit“, schreibt der Kulturhistoriker und Philosoph George Steiner treffend (Grammatik der Schöpfung“, S. 255).

Erst wenn sich die Kirchen von dem starren aristotelischen Gottesbegriff und der hierarchischen (Un)Ordnung trennen, werden die Kirchen wieder zu Orten, wo sich kritische, lebendige Menschen wohl fühlen …. und dann gern dazu gehören.

Der heilige Sisyphus

Aber das ist ein Traum. Der als Traum aber noch einmal formuliert werden musste. Denn bekanntlich ist der wohl aktuellste Heilige der Theologen der heilige Sisyphus, im Sinne von Albert Camus.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Hedwigs – Kathedrale in Berlin wird jetzt umgebaut: Mindestens 60 Millionen Euro nur für Steine…

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.

Alle Kritik, alle Debatten, sogar der Gerichts-Prozess haben nichts genützt. Die Hedwigskathedrale in Berlin-Mitte wird jetzt definitiv umgebaut. Die Arbeiten haben begonnen, meldet die „erzbischöfliche Pressestelle“. Wie hat doch Erzbischof Koch treffend schon am 1.11.2016 geschrieben: Er habe entschieden: „Die Umgestaltung der Kathedrale in ANGRIFF ZU NEHMEN“.

2.

Es ist wirklich ein Angriff, diese Entscheidung für den Umbau, ein Angriff auf die Vernunft in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur, wenn man dringend den Erhalt dieses kunsthistorisches Denkmals fordert. Darüber ist inzwischen das meiste gesagt worden.
Erinnern sollte man sich in den kommenden Jahren an die Worte des Richters Marcus Rau vom Verwaltungsgericht, der die Klage im Januar 2018 zugunsten des Erhalts dieser Form der Kathedrale zurückgewiesen hatte. Er nahm in seiner Entscheidung FÜR den Umbau explizit Rücksicht auf die „Selbstbestimmung der Kirche“. „Ginge es um eine normale unter Denkmalschutz stehende Immobilie, könnte die Entscheidung durchaus anders ausfallen“, berichtete die Presse, etwa auch die „Berliner Morgenpost“. Das heißt: Die doch wohl unabhängige Justiz in Deutschland nimmt im Fall der Hedwigskathedrale also Rücksicht auf den rechtlichen Sonderstatus der Kirche. Kann man besser belegen, dass es nicht nur keine Trennung von Kirche und Staat in Deutschland gibt? Sondern auch, dass die Rechtssprechung, angeblich neutral, die kirchlichen Eigenwelten und Eigengesetze voll respektiert. Wofür braucht die Kirche noch eine staatliche Rechtsprechung?

3.

Wichtiger scheint mir aber: Es sind bis jetzt (die Summe wird sicher noch größer, wie üblich bei Bau-Maßnahmen) 60 Millionen Euro für den Umbau der Kathedrale und die Neugestaltung des benachbarten Bernhard Lichtenberg-Hauses geplant. Dort wird auch eine Wohnung für den Erzbischof und seinen Haushalt renoviert bzw. neu errichtet, dieses Detail erwähnt die Pressemeldung vom 1.7.2019 nicht.
Und es ist Ausdruck des prächtigen Zusammenarbeitens von Kirche und Staat, dass 12 Millionen Euro vom Bund und 8 Millionen Euro vom Land Berlin für die Umgestaltung der Kathedrale stammen.

Armes Land, arme Republik, die so viel Geld in ein sinnloses Umbauprojekt vergeuden. Denn eine maßvolle, bescheidene Renovierung der Kirche und damit das Belassen im alten Zustand, hätte, so sagen Fachleute, nicht mehr als 10 Millionen gekostet. Und die hätte die Kirche ja durch Spenden aufbringen können.

4.

So werden mindestens 60 Millionen Euro in Steine „gesteckt“. Bloß damit der Klerus seine Messen und Pontifikalämter etwas dichter an der Gemeinde steht, also an einem neu eingerichteten Altar, die ewig selbe Liturgie zelebrieren kann. Als würde dadurch eine neue Nähe zwischen Laien und Klerus erzeugt! Nachdenkliche Laien haben sich ohnehin von diesem, die Steine und die eigene Herrschaft liebenden Klerus abgesetzt und „à Dieu Kirche!“ gesagt. Meint der Klerus im Ernst, eine teuer umgebaute Kathedrale würde die Zustimmung zum (Berliner) Katholizismus insgesamt erhöhen, wie die offizielle Pressemeldung suggeriert….

40 Millionen stellt nun die Kirche selbst zur Verfügung. Sie hat ja ohnehin Geld wie Mist , obwohl sie ständig um Spenden bettelt. Denn die Katholiken treten zwar in Scharen aus der Kirche aus, aber die Kirchensteuern fließen noch heftig hinein in den bekannten Milliarden Euro –Bereich.

5.

Warum so viel Phantasielosigkeit in dieser Klerus Kirche? Was hätte denn die Kirche tun können, wenn sie sich an ihre eigenen Worte erinnert hätte, von dem armen Propheten Jesus von Nazareth und seinem Lebensentwurf ganz zu schweigen: Also, allzu viele Predigten tönen doch vollmundig so: Zuerst den Menschen nahe sein. Eine Kirche für die Armen sein, wie dies Papst Franziskus ständig fordert und nicht durchsetzt: Bekanntlich werden Bischofspaläste nach wie vor großzügig errichtet. Und vom Verkauf einiger Immobilien des Vatikans in Rom hat man auch nichts gehört. Alles frommes Gerede also, diese „Option für die Menschen, besonders die Armen“. .
Um noch einmal, und für uns zum letzten Mal in dieser Sache, um die christliche Phantasie in Gang zu bringen: Nur einige Beispiele: Die Kirche hätte doch bei einer bescheidenen Renovierung die übrig gebliebenen 50 Millionen für Bildungsprogramme ausgeben können, auf dem Land, in Brandenburg, um die „Ursünde“ des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus zu bekämpfen. Oder: Sie hätte viele kleine Bildungshäuser für ökologische Aktionen einrichten können, hätte zwei kaum noch genutzte große Kirchen zu Wohnungen für Familien und Flüchtlinge umbauen können; sie hätte so genannte Laien, Frauen und Männer, ausbilden können, die in den zunehmend „priesterlosen Gemeinden“ verantwortlich das Gemeindeleben wieder in Schwung bringen und selbstverständlich Gottesdienste und Eucharistie feiern. Sie hätte offene kleine Treffpunkte des Gesprächs mieten können für den Dialog der Berliner untereinander, über Gott und die Welt. Um dem langweiligen Programm der katholischen Akademie Berlin einen Gegenakzent zu setzen…

6.

Die Kirche hätte also in Menschen „investieren“ können und damit öffentlich gesagt: Diese umfassende Neugestaltung der Kathedrale ist uns überhaupt nicht so wichtig. Wichtiger sind uns die Menschen. Die Stärkung der Kommunikation, der Friede in der Stadt usw….
Die Hedwigs- Kathedrale ist auch ihrem Gründer und Bauherrn in gewisser Weise verpflichtet: Dem Philosophenkönig Friedrich II.! Für ihn war die religiöse Toleranz entscheidend wichtig. An den Geist ihres Baumeisters denkt kaum noch ein Katholik im positiven Sinne! Den Geist der Toleranz zu verbreiten, wäre jetzt möglich gewesen, wenn man die 50 Millionen für einen Total-Umbau eingespart hätte – zugunsten der Menschen.
Vielleicht hätten dann bei dieser Großzügigkeit die Menschen Beifall gespendet und endlich mal Bravo zu dieser Kirche gesagt, die in der Korruption des Missbrauchs förmlich erstickt und deswegen zurecht den allgemeinen „Vertrauensschwund“ beklagt-

7.

Aber nein: Der Klerus und die wenigen ihm noch gehorsamen Laien lieben mehr die Steine, die neuen Granitplatten in der Hedwigs – Kathedrale und sonstiges Gestein: Ein Jammer ist das und ein theologischer Skandal.
Und jetzt ist man so hartnäckig und wird wohl zu jeder Kleinigkeit des Umbaus zu einem Fototermin eingeladen, Start ist die Abnahme der Pfeifen, der Orgelpfeifen, in der Kathedrale am 3.7.2019. Und dann gehen die Foto Termine sicher weiter.

Copyright: Christian Modehn, Journalist und Theologe. Religionsphilosophischer Salon Berlin

Katholizismus in Polen heute: Noch machtvoll. Geistig, spirituell, theologisch aber am Ende…

Ein Hinweis von Christian Modehn

Der Niedergang und das spürbare Ende des Katholizismus, in seiner bisherigen Gestalt, ist natürlich immer wieder auch ein Thema der Religionskritik.

Man kann froh sein, dass es kirchenunabhängige Medien in Deutschland gibt. Die objektiv über die religiösen Zustände in Europa berichten, etwa über Polens katholische Kirche heute. Darum möchte man besten Dank sagen, dass die „Polen Analysen“ des Deutschen Polen Instituts in Darmstadt in der neuesten Ausgabe vom 20. Juni 2019 gleich zwei wichtige Beiträge zum Thema bringen:

Der bekannte Spezialist für den polnischen Katholizismus, Dr. Theo Mechtenberg, Bad Oeynhausen, bietet einen Überblick: „Polens katholische Kirche im Krisenzustand“ ist der Titel seines Beitrags. Er handelt von Jahre langen, bis heute dauernden „Vertuschungen sexueller Vergehen der Priester in Polen“. In ersten vorsichtig-bischöflichen Dokumenten jetzt zum Thema „bleiben die Opfer unerwähnt, kein Täter wird namentlich genannt…“, es herrscht vor die „Verharmlosung und Vertuschung“. Straffällig gewordene Priester wurden immer wieder versetzt in andere Gemeinden. Die Auseinandersetzung haben nicht etwa die mehrheitlich ultra konservativ und oft nationalistisch eingestellten Bischöfe von sich aus gemacht! Sie wollten schließlich den angeblich guten Ruf der Kirche als Schützerin der Nation unbedingt bewahren…. Nein, es waren wieder einmal die Journalisten und Filmemacher, die das nahezu unglaubliche Ausmaß an sexuellem Missbrauch durch Priester freilegten: Durch den Film „Kler“ (Klerus) und vor allem durch die Dokumentation „Sag es nur keinem“ (so die Übersetzung) der Brüder Marek und Tomasz Sekielski!
Besonders aktiv im Missbrauch von Jungen ist etwa der hoch berühmte Pater Eugeniusz Makulski aus dem Marianer – Orden, er hat ein monumentales Denkmal zu Ehren von Papst Johannes Paul II. in Lichén gebaut: Der Pater kniet zu seinen Füßen, die Kirche dort ein Bauwerk der Superlative. Superlativ sind auch die Missbrauchsaktionen des Paters, seine Korruption, seine Liebhaber (in dem Fall sein Privatchauffeur und Gärtner). Nach Ausstrahlung des Films wurde dieses grässliche Denkmal verhüllt. Der polnische Jesuit und Psychotherapeut Jacek Prusak macht sogar den besseren, den radikalen Vorschlag: „Ich würde es ohne Skrupel entfernen“.

Man sieht, die wenigen vernünftigen Theologen in Polen sind höchst erregt und heftigst empört, über den Zustand dieser Kirche, die alle Welt bekanntermaßen immer noch mit ihren Priestern beliefert…
Theo Mechtenberg schreibt: „Man wird sicher Frage stellen müssen, inwieweit die massenhafte Pädophilie von Priestern (in Polen) durch das herrschende kirchliche System bedingt ist“ (S. 5). Was er leider nicht sagt: Wer diese massenhafte Pädophilie der Priester einschränken will, sollte dieses klerikal System selbst abschaffen, weil es krank ist, man sollte also diese Kleruskirche abschaffen, das wagt bis jetzt nur noch niemand zu sagen. Immerhin: “Nach einer jüngsten Untersuchung fordern 54 Prozent des Befragten (Polen) den Rücktritt des gesamten Episkopates“. Das ist doch beträchtlich, ein Schritt in die richtige Richtung. Doch gibt es so viele „korrekte“ Ersatz-Bischöfe überhaupt noch?

Mit besonderem Interesse wird man auch das ausführliche Interview mit dem schon genannten Jesuiten Jacek Prusak, Krakow, lesen. Und kann dabei nur hoffen, dass er nach der Veröffentlichung nicht aus dem Orden rausgeschmissen wurde. Prusak legt genau frei: Die Opfer spielen in der oberflächlichen Form des Umgangs mit sexuellen Verbrechen durch Priester eigentlich keine Rolle. Das Opfer wird nur als Bittsteller vom Klerus angesehen. Das liegt daran, „dass der Klerus kein Vertrauen zu den Laien hat“ (S. 8). Sehr treffend sagt der Jesuit: „Die Kirche sind die Geistlichen und der Rest ist für sie nur eine Zugabe… Der Klerus nützt die Macht aus, auch die Symbolik des geistlichen Standes… Die Leute in Polen denken: Wenn du dem Priester dienst, dienst du Gott“ (S. 9 und 10).
Was in Polen geschieht und eigentlich in allen Ländern jetzt, ist das tatsächliche geistige, spirituelle und theologische Ende dieser so verfassten römischen Kirche. Sie kann zwar mit viel Geld und viel Pomp noch fortbestehen und von naiven, wundersüchtigen Leuten noch unterstützt werden: Aber de facto ist sie in der Einschätzung nachdenklicher Glaubender oder Nichtglaubender am Ende. Eine religionsgeschichtliche Epoche geht zu Ende!
Was kommt danach: Sicher keine Super-große Institution, wie dies die katholische Kirche heute ist. Diese kann bei 1,3 Milliarden Mitgliedern doch kein alter Mann (Papst) mit einigen anderen älteren Männern mehr „leiten“. Dass diese Kirche de facto heute auseinanderbricht, sieht man so unterschiedlichen Glaubensformen und Glaubensinhalten etwa in Zaire oder den USA, in Indien oder Deutschland… Zukunft haben kleine Gemeinschaften, die sich um einen vernünftigen, humanen und humanistischen Glauben bemühen in voller Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Heterosexuellen und Homosexuelle… aber das ist ein anderes Thema!

Noch einmal die treffenden Worte Pater Prusaks: „Wir haben es mit der größten Krise in der katholischen Kirche seit der Reformation zu tun, eine Krise, die wir auf eigenen Wunsch geschaffen haben. Es sind doch keine Außerirdischen, die Kinder in der Kirche missbrauchen noch tragen ihnen dies die Feinde der Kirche auf“ (S. 11).
Der Jesuit plädiert mutig, wie er ist, dafür, den seit langem hoch umstrittenen Bischof von Danzig, Erzbischof Leszek Glodz, zum Rücktritt zu drängen und in dieser Rücktrittsforderung durch die Laien „konsequent nicht nachzulassen“. Der Erzbischof ist nebenbei, ein heftiger Unterstützer des antisemitischen katholischen Medien- Imperiums Radio Maryja. Schon Lech Walesa hat sich gegen diesen klerikalen Machthaber gewendet.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die rechten Populisten und Rechtsextremen sind Flüchtlinge

Ein Kommentar zum Weltflüchtlingstag am 20.6.2019
Von Christian Modehn

Der Beitrag unten hat bei einigen LeserInnen Fragen hervorgerufen, das ist gut so und der Sinn dieser Beiträge auf dieser Website. Aber auch Irritationen und Missverständnisse zu diesem Hinweis wurden mitgeteilt.

Ich will deswegen noch einmal, am 23.6.2019, in aller Kürze den Gedankentag meines Beitrags deutlich machen.

Der Beitrag ist anlässlich des Welttages der Flüchtlinge (20.6. 2019) geschrieben worden. Darauf liegt der Focus.

Die zentrale These ist darauf bezogen: Es gibt zunehmend in Deutschland (und in ganz Europa) Menschen, die ihre politische Einstellung, ja ihre Lebenseinstellung im ganzen, vor allem über ihre Ablehnung der jetzt hier schon lebenden oder noch kommenden Flüchtlinge, etwa aus Afrika, definieren.
Diese Menschen lehnen die Flüchtlinge als „wesensfremd“, also auch als „gefährlich“ für unsere hiesige Gesellschaft ab. Sie wollen und können sich kein gerechtes Miteinander der Kulturen in Deutschland und Europa vorstellen. Diese Kreise werden im allgemeinen Sprachgebrauch rechtspopulistisch oder manchmal auch rechtsextrem genannt. Gelegentlich sind sie gewalttätig.

Ich schlage vor: Diese erklärten Gegner, wenn nicht Feinde der Flüchtlinge hier, sind selbst Flüchtlinge.
Das heißt: Rechtspopulisten und Rechtsextreme sind aus dem demokratischen, freiheitlichen, den Menschenrechten unbedingt verpflichteten Werten geflohen
.

In einer mehr formalen, allgemeinen Definition sind Flüchtlinge bekanntlich Menschen, die eine Gesellschaft, Gemeinschaft, einen Staat verlassen, freiwillig oder unter dem Druck der für sie subjektiv nicht mehr akzeptablen Verhältnisse.

Diese rechtspopulistischen Flüchtlinge geben als subjektiven Grund ihrer „inneren“, ideologischen Flucht an: Wir wollen mit allen Mitteln raus aus dieser Demokratie. Ein Grund dafür: Die Angst, den eigenen Wohlstand angesichts der „anderen“, also der Flüchtlinge aus Afrika und späteren Mitbürger hier, zu verlieren. Es ist die Angst vor einer gerechteren, demokratischen Gestaltung dieser Welt voller Ungleichheit.

Man könnte diese Flüchtlinge auch also als eine neue Form von Wirtschaftsflüchtlingen bezeichnen: D.h.: Sie leben in der Angst, dass Fremde, auch Flüchtlinge etwa aus Afrika, ihnen ihren Besitz und ihre Privilegien in Deutschland wegnehmen. Deswegen hassen eine demokratische Ordnung, die eine gewisse Gerechtigkeit für alle Menschen noch wünscht und auch fördern will.

Die Arroganz der Rechtsradikalen kann mindestens intellektuell gebrochen werden, wenn die Mehrheitsgesellschaft sie als Flüchtlinge im eigenen Land betrachtet und behandelt und als solche anspricht. Diese Leute sind aus der demokratischen Mehrheitsgesellschaft förmlich selbst „heraus gefallen“. “Flüchtlinge im eigenen Land” gibt es ja in vielfacher Form, etwa in Kolumbien.
Nur ist es so, dass die Flüchtlinge im eigenen Land, in Deutschland, sich förmlich selbst vertrieben haben aus der Kultur dieses Landes, sie wurden zu Flüchtlingen, weil sie die Demokratie nicht mehr ertragen konnten und wollten.

D.h.: Diese Kreise sollten also, aufgrund dieser ihrer nicht zu akzeptierenden Ideologie, gründlich gebildet und informiert werden über die demokratische Kultur und ihre Gesellschaft. So, wie hierzulande die Flüchtlinge aus den muslimischen Staaten, manchmal fundamentalistisch orientiert, hier gründlich gebildet werden und mit der demokratischen Kultur der Menschenrechte vertraut gemacht werden. Dies als Voraussetzung für einen weiteren Aufenthalt in unserer Kultur.

Die rechtspopulistischen Flüchtlinge in Deutschland verlassen aber „nur“ geistig, „nur“ ideologisch, „nur“ politisch unser Land, unsere Kultur. De facto leben sie weiterhin in dem Land, der Kultur, der Gesellschaft, die sie eigentlich ablehnen. Und ihr Ziel ist: Dass dieses Land, aus dem sie ideologisch geflohen sind (auch wenn sie leibhaftig hier noch ihre Präsenz heftig zeigen), nach ihren Normen umgestaltet wird, Normen, die sie durchsetzen wollen: Diese Normen widersprechen dem Geist der Menschenrechte. Mit anderen Worten: Diese Leute als rechtsextreme Flüchtlinge unter uns haben das Ziel: Dass dieses Land die demokratischen Werte aufgibt, also die absolute Bindung an die Menschenrechte.

Der jetzt folgende, etwas längere Beitrag, wurde schon zum Welttag der Flüchtlinge am 20.6. 2019 verfasst. Er umschreibt die hier mitgeteilten Thesen noch einmal auf andere Weise. Und empfiehlt u.a. den geduldigen Dialog mit diesen Kreisen.

Dies ist der Beitrag, der am 18.6. 2019 zum Welttag der Flüchtlinge veröffentlich wurde:

Die rechten Populisten und ihre rechtsextremen Freunde sind Flüchtlinge.
Dies ist keine ironische Behauptung, sondern eine Tatsache. Diese sich lautstark und ständig unverschämt äußernden sehr rechten Kreise soll man also ganz stark einbeziehen, wenn man die umfassende Bedeutung des „Weltflüchtlingstages“ bedenkt. Damit soll der Ernst dieses „Welttages“ im Blick auf die materiell leidenden und seelisch tief verletzten und oft rechtlosen Flüchtlinge etwa aus Afrika überhaupt nicht geschmälert werden.
Es wird nur an die Tatsache erinnert, dass die Rechtspopulisten und Rechtsextremen fliehen oder geflohen sind: Sie sind Flüchtlinge aus der demokratischen Welt und ihres grundlegenden Prinzips: Und das sind die Menschenrechte. Diese können eben nur absolut und universal gelten, selbst wenn sie von den Demokratien allzu oft leider ignoriert werden. Aber an der absoluten Gültigkeit der Menschenrechte können und wollen Demokraten gar nicht rütteln.
Diese Rechtspopulisten und Rechtsextremen sind also aus der demokratischen Welt geflohen, weil sie diese nicht ertragen konnten, nicht verstehen konnten oder verstehen wollten, weil sie ihnen keine unmittelbaren ökonomischen Vorteile zu bringen schien , weil sie sich von herrschsüchtigen Agitatoren verführen ließen, weil sie eigensinnig und störrisch ihre begrenzte nationale bzw. kleinbürgerliche Weltanschauung heilig sprachen und sprechen. Und zunehmend zur Gewalt neigen bis hin zum Mord an Politikern. Diese rechtsradikalen Flüchtlinge aus der Menschlichkeit und aus den Menschenrechten müssen dann bestraft werden…
Rechtspopulisten und Rechtsradikale lehnen als Flüchtlinge aus der Demokratie die demokratischen Prinzipien ab. Sie lehnen den Rechtsstaat ab, die Unabhängigkeit der Gerichte, den Pluralismus, die Pressefreiheit usw. Noch einmal: Die rechten, populistischen und rechtsextremen Kreise und Parteien haben also als Flüchtlinge diese Lebensgrundlage einer humanen Ordnung verlassen. Sie sind geflohen in die z.T. altbekannte Ideologie mit ihrer katastrophalen (kriegerischen) Auswirkungen: Diese Ideologie setzt sich zusammen aus Ressentiments, Rassismus und offenem bzw. verstecktem Antisemitismus, Nationalismus („Deutschland zuerst“): Die einzige Moral dieser Herren ist der Egoismus als unbedingte Verteidigung des eigenen Luxus, den andere, Arme, erzeugt haben: Dahinter steht die Ideologie: Es gibt Herrenmenschen und Untermenschen.
Mit diesem Gebräu aus ideologischen Versatzstücken leben sie nun als Flüchtlinge unter uns: Und diese Flüchtlinge sind alles andere als untätig: Sie wollen ganz öffentlich und unverschämt diese demokratische Ordnung langsam in Richtung „illiberales“ Herrschaftssystem umbauen, im Rahmen einer „rechten Revolution“, von der diese Flüchtlinge schwadronieren. Und sie haben schon “Erfolge” vorzuweisen: Unter diesen rechtsradikalen Flüchtlingen sind Gefährder, das ist deutlich, aber wissen das alle Mitglieder der Polizei, alle Richter, alle Bürgermeister etc.? Wahrscheinlich nicht.

Wie sollen Demokraten mit diesen rechtsextremen Flüchtlingen in ihrem eigenem Land umgehen? Indem man sie mit den demokratischen Werten und Lebensformen energisch und heftig vertraut macht als der Bedingung, unter der sie als Flüchtlinge eben hier leben dürfen und sich neu orientieren können. Mit einem Dialog sollten es Demokraten immer wieder versuchen. Die allgemeine universale Vernunft hat ja diese Menschen nicht verlassen, denke ich. Aber klar ist das Ziel dieser Schulung und Bildung klar: Lebendige Anerkennung der Menschenrechte auch in der eigenen LebensPRAXIS durch diese sonderbaren Flüchtlinge. Es ist ein Skandal, dass einfach so eher nebenbei berichtet wird, es gebe so und so viele hundert rechtsextreme Gefährder etwa in Brandenburg: Diese Leute müssen beobachtet und gebildet, meinetwegen: zur Demokratie erzogen werden.
Das ist ja bekanntlich eine Forderung, die sich an alle Flüchtlinge, zumal aus muslimischem, besonders extremistischen Kontext, richtet. Also nicht nur gründliche Umschulung ist angesagt, auch strafrechtliche Verfolgung bei Untaten vonseiten dieser rechtsextremen Flüchtlinge.

Hilfreich ist es, diese “rechtsextremen Flüchlinge aus der Demokratie” mit den leidenden Flüchtlingen aus Afrika und Syrien hier ins Gespräch zu bringen, vielleicht sogar unmittelbar Freundschaft unter diesen so unterschiedlichen Flüchtlingen zu stiften. Vielleicht ist aber auch am Anfang Polizeischutz für die Flüchtline aus Afrika bei solchen Begegnungen nötig? Aber die Aggressionen der Rechtsextremen werden wohl geringer, wenn sie das reale Leben der Flüchtlinge direkt, “von Angesicht zu Angesicht”, kennen lernen und die Menschlichkeit dieser Menschen schätzen lernen… Wo sind nur bloß die Orte der Begegnung? Die Kirchengemeinden verschwinden bekanntlich gerade in den Regionen, wo diese rechtsextremen Flüchtlinge sich ziemlich stark aufhalten, etwa in den neuen Bundesländern. Die Demokraten bereiten ihr eigenes Ende vor, wenn es etwa Jugend”arbeit” nur von den rechtsextremen Flüchtlingen auf den Dörfern z.B. gibt.
Und wenn die rechtsradikalen Flüchtlinge nicht mitmachen bei ihrer „Re-Demokratisierung“? Da gilt der Vorschlag: Sicherlich bietet Herr Orban Ungarischkurse oder Herr Kaczynski von seiner PIS Partei Polnisch Kurse für diese Flüchtlinge aus Deutschland an! Sie werden bei dieser rechtsextremen Gesinnung der Herrscher in Ungarn oder Polen sicher nicht abgewiesen, zumal doch auch der „Bevölkerungsschwund“ in Ungarn und Polen nachweislich sehr beträchtlich ist. Vielleicht aber kehren diese Flüchtlinge nach einiger Zeit aus Polen und Ungarn wieder lernbereit und voller Sehnsucht nach Demokratie wieder nach Deutschland zurück… weil sie unter den Bedingungen der illiberalen Systeme in Polen und Ungarn doch etwas zur Vernunft gekommen sind?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wer oder was ist schon normal?

Einige Hinweise von Christian Modehn anlässlich des philosophischen Salons am 14.6.2019

1.
Zur seelischen Verfassung der Menschen in Deutschland heute:
Der Psychologe, Meinungsforscher und Autor Stephan Grünewald, Köln, sagt in einem Interview zu seinem neuen Buch „Wie tickt Deutschland?“ (ein Buch, das nach zahlreichen Tiefeninterviews geschrieben wurde):
„Rastlosigkeit und Aufgewühltheit und innere Unruhe bestimmen die seelischen Orientierungen. Es schwindet der Zusammenhalt, der Gemeinsinn wird durch Lügen und Verschwörungstheorien ersetzt“… „ Die Gesellschaft zerfällt immer stärker in Gruppen, die ihre eigenen Werte und Überzeugungen für die einzig wahren halten: Ich bin richtig, du bist falsch. Es ist eine infantile Art der Auseinandersetzung“.

2.
Aussperren und Ausgrenzen gelten heute wie immer als „Maßnahmen“ der Ordnung und des Schutzes „angestammter“ üblicher Verhältnisse gegenüber „anderen“, Befremdlichen, Kranken: Einige Aspekte:

a) Die Abwehr der Fremden und der Flüchtlinge. Man nimmt es jetzt auch per Gesetz in Europa als ganz „normal“ hin, dass Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken. Die sich demokratisch nennenden europäischen Staaten helfen nicht und Italien bestraft sogar die wenigen Menschen, die noch helfen. Bei diesem Verhalten bleiben die Europäer bei ihrer Fixiertheit auf alte europäische Identitäten und sehen nicht, dass die Flüchtlinge und die Fremden erst zeigen, wie weit der Horizont für Europa ist. „Sie, die Flüchtlinge, werden zum Segen für uns alle“, sagt etwa Papst Franziskus.
b) Die soziale Ausgrenzung: Die „Anderen“ sind auch die Armen und arm Gemachten: Die Gehälter der Top – Manager erreichen im Vergleich zu den Arbeitern, die den Reichtum dieser Herren bekanntlich erarbeiten, ein Niveau, das skandalös und unmoralisch ist. Weiteres Beispiel: Durch die Allmacht der Immobilien-Spekulanten werden weltweit ärmere Menschen aus Heimat, also ihren Wohnungen in ihrem „Viertel“, vertrieben. Sehr extremes Beispiel: San Francisco, dort vertreiben die Herren des Silicon Valley (Apple, google usw.) die Menschen aus ihren Wohnungen in San Francisco…Siehe auch Berlin mit den bis jetzt hilflosen Versuchen, humanes Wohnen für alle noch politisch durchzusetzen.
c) Die Versuche der sexuellen Ausgrenzung: Homosexuelle werden wieder als Perverse wahrgenommen, also als Menschen, die nicht als normal gelten. Sie sollen wieder in die normale Heterogesellschaft zurück geführt werden mit allerhand obskuren Therapien. Fundamentalistische christliche Kreise sind da maßgeblich weltweit, auch in Deutschland, tätig. Tödlich ist homosexuelles Leben und Lieben immer noch in vielen Ländern, die sich muslimisch nennen und sich auf den Koran berufen. Der § 175 besteht in der katholischen Kirche fort, Homosexuelle dürfen laut offiziellen vatikanischen Erklärungen der letzten Jahre keine Priester (mehr) werden.
d) Das Einsperren und Ausgrenzen gehört zu den Gründungsideen der Bundesrepublik. Der Historiker Martin Diebel hat diese Entwicklungen studiert: „Das ging so weit, dass man zur Ausarbeitung der Notstandskonzepte munter Vorlagen aus der Zeit nach 1933 heranzog. … Schutzhaft: Warum nicht! Das Grundgesetz hielten die damaligen Beamten für etwas Vorläufiges. Grundrechte waren in ihren Augen verhandelbar. Für diese Männer zählte einzig der Staat“ (in: Die ZEIT, 23. Mai 2019, Seite 22. Martin Diebel hat das Buch “Die Stunde der Exekutive“ verfasst). Er weist in dem Beitrag darauf hin, dass Behörden wie der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt mit ehemaligen Parteimitgliedern, SS Leuten und Gestapo Beamten durchsetzt waren…
e) Ausgrenzung religiös: Z. B.: Die katholische Kirche grenzt immer noch Frauen aus und lässt nicht, dass sie Priesterinnen werden können. Die Herrschaft des Klerus beruft sich auf Jesus, der nur Männer als Apostel zuließ. Was historisch und theologisch falsch ist. So wird ein Prophet, Jesus von Nazareth, der selbst alles gegen Ausgrenzung tat (auch gegen die Ausgrenzung von Frauen damals) durch den allherrschenden Klerus zum Symbol der Ausgrenzung gemacht.

3. Was ist seelische Gesundheit? Also eine seelische „Verfassung“, die man normal kennen kann.
Darauf hat z.B. Erich Fromm eine Antwort gegeben: „Gesundheit ist der Zustand, in dem die Vernunft ihr volles Entwicklungsstadium erreicht hat, und zwar die Vernunft nicht im Sinne einer rein intellektuellen Urteilsfähigkeit, sondern in dem Sinne, dass man die Wahrheit erfasst“, also „offen, aufnahmefähig, empfindsam, wach und leer (im Sinne des Zen) ist…“

4. Wie lässt sich noch von normal und unnormal sprechen?
Normal ist ein Begriff der Herrschaft. Die bestimmenden Herrscher, unterstützt von abhängigen Medien, schreiben vor, was und wer normal ist. Den vorgegebenen Normen zu entsprechen, also gehorsam zu sein, galt und gilt als oberste Tugend für viele.
Normal ist also ein ideologisch bestimmter Begriff, der für die Beschreibung der Verhältnisse unter Menschen nichts taugt.
„Normal“ ist verwendbar in der üblichen Vorstellungswelt ein Begriff für Technisches: man denke etwa an die DIN Normen, sie dienen dazu, Gegenstände einheitlich zu gestalten. Normieren ist Teil der Alltagssprache. Normal und ordentlich, also gehorsam und ergeben und sauber.
Normal spielt als Begriff auch in der Medizin eine große Rolle, etwa die Blutwerte. Diese sind Durchschnittswerte. Der einzelne soll sich auf Durchschnittswerte beziehen und dem Durchschnitt entsprechen. Durchschnittlichkeit ist gesund, sagt die Werbung.
Normal nennen sich die Gesunden, vor allem, diejenigen, die behaupten einen gesunden Menschenverstand zu haben. Aber wer prüft die Gesundheit des gesunden Menschenverstandes? Wer da abweicht, gilt als nicht normal. Das fängt schon an in der Wahrnehmung ungewöhnlicher Künstler und ungewöhnlicher Kunst. Wer etwas „schräg“ denkt und sich „schräg“ kleidet, gilt an vielen Orten schon als verrückt. Berlin ist deswegen beliebt, weil dort „schräge“ Menschen leben können bzw. ignoriert werden.
Der Verrückte wird von seinen Platz aus der Gesellschaft heraus – ge – rückt. Er wird anderswohin platziert, ins Abseits der Kliniken und Heime und Gefängnisse.
Normal ist ein Begriff tatsächlicher oder angeblicher Mehrheiten: Konfessionsfreie Menschen in Ost-Deutschen nennen sich, weil sie die Mehrheit sind, normal. Eben weil sie sich in ihrer Sicht nicht spinösen transzendenten Vorstellungen hingeben. Aber alle Menschen, auch die Konfessionsfreien, haben ihren Gott bzw. ihre Götter (jetzt: „Nation“, Volk, mein Wohlstand etc.)
Normal nennen sich Politiker, die nichts gegen den Klimawandel unternehmen und alle versprochenen Ziele zur Rettung des Klimas und der Erde aufgeben bzw. auf spätere Zeiten verschieben, wie die Regierung der BRD. Diese Politiker sind nicht normal.
Normal und gesund sind aber Jugendliche wie Greta Thunberg, die einen Klimawandel jetzt von den Politikern fordern, sie wird von einigen konservativen Politikern für naiv, wenn nicht für verrückt erklärt.

5. Normal: Ein Begriff der Ethik?
Normal ist also nicht identisch mit dem ethischen Begriff gut. Wer den vorhandenen Gesetzen entsprechend handelt, lebt legal. Und legal gilt als normal. Aber legal ist nicht identisch mit gerecht und gut. Ich kann als Widerstandskämpfer gegen die Nazis moralisch gut handeln und von den Herrschenden als unnormal bestraft werden.
Normal ist nicht identisch mit dem philosophischen Begriff wahr: Es gibt Verblendungszusammenhänge, in denen Wahres propagiert wird und dieses als wahr Propagierte dann tatsächlich von vielen als wahr hingenommen wird. Von solchen Ideologien falscher Wahrheit kann sich die Menschheit nur schwer lösen: Man denke an Rassismus, Kolonialismus, die in Europa mehrheitlich als wahr angenommen wurden und werden.
Man denke daran, dass sich auch heute implizit viele Europäer als die herrschende und bessere und wertvolle Rasse empfinden: Sonst würden sie den bestehenden Kolonialismus und die Ausbeutung der Armen etwa in Afrika beenden.
Man bedenke, dass wir uns an den Begriff „fair gehandelt“ gewöhnt haben als Qualifizierung weniger „guter“ Lebensmittel. Alle anderen Lebensmittel sind, logischerweise, dann nicht fair gehandelt, also sie stammen aus ausbeuterischen Verhältnissen. Und daran haben wir uns selbstverständlich gewöhnt. Wahr wäre es, wenn nur noch ganz wenige Produkte mit dem Titel „unfair gehandelt“ im Handel wären.
Normal ist nicht identisch mit einem populären Verständnis des ästhetischen Begriffes schön. Ich kann die Skulpturen von Joseph Beuys schön finden und dennoch von herrschenden Kritikern als Banause bezeichnet werden.

EIN EXKURS zum Thema Kunst und Normalität:
Pablo Picasso: Er zeigt etwa in seinem berühmten Bild „Les Demoiselles d Avignon“, von 1907, diese brutal gemalten fünf nackten Frauen. Sie sagen den braven Bürgern: Diese Frauen gehören zu eurer Welt, diese eure Welt ist nicht normal, weil sie es zulässt, dass diese Frauen in der Realität auch so leben und so aussehen wie die „Demoiselles d Avignon“. Man muss nur genau hinschauen und dem Leiden begegnen willen.
John Berger sagt in seinem Buch über Picasso: Es wird von Picasso die Gesellschaft als dekadente Gesellschaft gezeigt. Was bedeutet dekadent: Degeneriert, verfallen, entartet. Also: Nicht „normal“.
Noch deutlicher bei Picasso: Das Thema der weinenden, leidenden Frau, drei Monate lang malte Picasso weinende Frauen im Jahr 1937, fast monoman, sagen Kunsthistoriker. Picasso zeigt: Schmerz, Trauer, Tränen, Klage sind alltägliche Realität, auch in Spanien, man denke an das Umfeld von Guernica. Die Formensprache der Bilder lässt die „normale Anatomie“ (eines Gesichtes) fast vollständig außer Acht und konzentriert sich nur auf den Ausdruck des zerstörten Daseins. Das Antlitz wird deformiert und destruiert, dies aber nicht als ästhetische Spielerei, sondern als Aufschrei eines humanen Menschen, der diese Deformiertheit als üblich, als „normal“, zu seiner Zeit empfinden muss. Kunst ermöglicht also im Sinne Picassos die Annäherung an die Wahrheit.
Man sollte also wahrnehmen: Die sich normal zeigende Welt und ihre angeblich schönen und gepflegten Menschen sind nur Fratzen. Die Fratzen, die entstellten Gesichter der Frauen, sind jetzt das Normale. Nicht normal ist das Morden und Töten im spanischen Bürgerkrieg (von Juli 1936 bis August 1939), aber es wird in der herrschenden Ideologie als üblich und richtig genannt.

Vincent van Gogh: Es gab 2016 eine Ausstellung in Amsterdam über „Van Gogh am Rande des Wahnsinns:“ Die Ausstellung verdeutliche, dass van Goghs Kunst nicht als ein Produkt seiner Krankheit gesehen werden sollte, sondern dass sie trotz dieser Erkrankung entstand, betonen die Kuratoren“ Quelle: http://www.rheinische-art.de/cms/topics/am-rande-des-wahnsinns.-van-gogh-und-seine-krankheit-van-gogh-museum-amsterdam.php „Andere Zeitzeugnisse, etwa aus dem Gemeindearchiv von Arles, die noch nie zuvor ausgestellt wurden, ermöglichen eine Sicht auf van Goghs geistigen Zustand und seine schwierige Situation. So leiteten seine Nachbarn van Goghs eine Unterschriftenaktion in die Wege, um ihn einsperren zu lassen oder eine Hospital-Einweisung zu erreichen. Letztendlich beschloss der Maler im Mai 1889, sich freiwillig im Hospital von Saint-Rémy-de-Provence aufnehmen zu lassen, wo er ein Jahr lang bleiben sollte. Gemälde und Zeichnungen aus jenen Monaten, wie Der Garten des Hospitals und Mandelblüte – beides im Bestand des Van Gogh Museums – veranschaulichen, wie er mit seiner Krankheit kämpfte und in seiner Arbeit Halt suchte, um nicht zugrunde zu gehen“.

Louis Soutter, (1871 bis 1942), er stammt aus der Schweiz, war ein Cousin des Architekten le Corbusier. Soutters Arbeiten werden der „art brut“ zugerechnet, also einer Kunst, die man „roh“ nennt, als autodidaktische Kunst von psychisch Leidenden. Man spricht auch von „outsider-Kunst“. Und dieser Outsider sieht Wahres und Normales in einer heillosen Welt. Nur ganz kurz: Soutter lebte einen aufwändigen Lebensstil, wurde dann zwangsweise entmündigt, und auf Betreiben der Familie in ein Altersheim abgeschoben. In der Ausgrenzung und Einsamkeit hat ihn die eigene Kunst gerettet. Friedhelm Mennekes hat mir in einem Radio-Interview vor etlichen Jahren gesagt:
„Soutter stand eigentlich ständig in der Gefahr, in die geistige Umnachtung zu fallen. Er begann nun, Figuren zu malen, Schreckgespenster. Aber das Entscheidende, Aufbauende, war für ihn die Christusgestalt. Aber es sind Christusgestalten von einer unglaublichen Spannung und Dichte, bei denen sich zeigt, dass hier in der Gestaltung dieser Figuren ein Mensch um sein Überleben als vernünftiger Mensch kämpft, wie ein Mensch im Malen des Christus dann Trost und Lebensmut erringt, sich „erzeichnet“. Am Ende seiner Tage mit bloßen und sogar blutigen Händen. Wir verdanken ihm die ersten Fingermalereien, ohne Pinsel, sondern direkt mit der flachen Hand und den Fingern auf das Papier gemalt. Das Entscheidende ist, dass diese Arbeiten so kraftvoll sind, dass sie belegen, was für ihn der entscheidende Christusbeitrag zu nennen ist. Nämlich, dass in der Befasstheit mit Christus es ein Mensch wirklich schafft, dass er nicht in die völlige geistige Umnachtung zurückfiel“.

Das Normale und Unnormale in der Philosophie hat eine eigene Bedeutung: Weil Philosophie über das als normal empfundene Alltags-Verständnis von Welt und Selbst hinausführt:
An Hegel wäre zu erinnern: Philosophie bringt das Denken von den üblichen Festgefahrenheiten des als normal Geltenden ab. Philosophie sorgt also unter Normalen für Irritation, für ein Gefühl, dass einem ganz schwindelig wird, dass der angeblich so vertraute Boden, auf dem man steht, wankt und zerbricht.
In seiner Jenaer Zeit sprach Hegel davon im Zusammenhang mit der Grundlegung seiner Philosophie, dass einem erst einmal im Philosophieren, so wörtlich, „Hören und Sehen vergehen muss“. Das heißt, ganz kurz, die unmittelbare sinnliche Gewissheit des einzelnen muss gebrochen und überwunden werden. Es muss die Dialektik erkannt werden, die verborgene Einheit der Entgegengesetzten. Und in ihrer Einheit bleiben die Entgegengesetzten doch different. Das alles spielt sich im Selbstbewusstsein ab, dieses sieht sich dann als Teil des allgemeinen Geistes…

Zurück zum Thema „Wahnsinn“: Vor allem Michel Foucault muss genannt werden. https://michel-foucault.com/2019/04/07/centre-michel-foucault-nouveau-site-web-2019/
Schon seine erste Publikation „Psychologie und Geisteskrankheit“ (1968) war eine programmatische Schrift: Zuerst auf Französisch: „Maladie mentale et personalité“. Presses universitaires de France, Paris 1954; ab 2. Auflage 1962: „Maladie mentale et psychologie“.
Foucault zeigt u.a., dass eine Geisteskrankheit – ob es sich nun um eine auf einen Persönlichkeitssektor begrenzte Neurose oder um eine die Gesamtpersönlichkeit betreffende Psychose handelt – nicht in der gleichen Weise verifizierbar ist wie z.B. ein zu niedriger Blutdruck oder ein Tumor (1968, S. 21 ff).
Es gibt das Abweichende in der „normalen Gesellschaft“ auch heute: etwa Mystik und Schamanentum . Aberglauben, etwa der Umgang mit der Zahl 13 usw.
Ausführlicher äußert sich Foucault in „Wahnsinn und Gesellschaft“, 1973 auf Deutsch erschienen; schon 1961 auf Französisch.
Den „Wahnsinn“ interpretiert als das Andere der Vernunft für Foucault. Als unvernünftige Bedrohung. Von daher geht die Entwicklung auch konsequent weiter zu Gefängnis und Klinik.
Foucault zeigt: In den Kliniken des 17. und 18.Jahrhunderts ging es weniger um die Behandlung der Krankheit als darum, den Kranken mit der vorgegebenen gesellschaftlichen Konformität zu versöhnen, ihn in die Arbeitswelt einzugliedern und den herrschenden patriarchalischen Moralvorstellungen zu unterwerfen. Es gab keinen Dialog mehr mit der Unvernunft. „Die Verrückten“ wurden abgegrenzt.
Es geht Foucault darum:. Den Wahnsinn also nicht zu reparieren, sondern zu respektieren. Foucault behauptet, dass der „Irre“ der Gesellschaft nicht entfremdet ist, sondern im Gegenteil, dass sich gerade in seinem Wahnsinn die Wahrheit des Menschen offenbart.
Laut Foucault enthüllt der Irre jedoch auch eine elementare Wahrheit des Menschen: Für Foucault ist der Wahnsinn die von der Gesellschaft abgetrennte menschliche Erfahrungswelt, die seit dem Mittelalter nur noch in besonders begabten Menschen fortbesteht. Er will sie in die Gesellschaft zurückholen, um ihre Strukturen zu durchbrechen und um die bürgerliche Gesellschaft durch den Wahn zu revolutionieren.
Eine Überlegung am Schluss:
Normal ist ein Übergangsbegriff aus einer Grauzone: Eine und dieselbe Person kann in vielerlei Hinsicht als normal oder eben unnormal angesehen werden. In jedem stecken „wahnsinnige“ Elemente, Denkstrukturen, Orientierungen. Die meisten lassen diese “wahnsinnigen“ Elemente in sich nur partiell und oft kontrolliert zu.

Entscheidend ist: Wer legt fest, wer und was als normal gilt:

Sind die herrschenden Politiker normal: Leute wie Trump oder Orban, Putin und die unzähligen Herrscher in Afrika und Asien und Lateinamerika wurden zwar oft noch dem Scheine nach normal und formal wohl auch halbwegs korrekt von den Bürgern gewählt. Ihr politisches Verhalten mag manchmal noch legal sein, den vorhandenen Gesetzen entsprechend, also auch nach außen hin als normal erscheinen.
Dennoch zeigt der Widerstand gegen ihre autoritäre Regierung: Ihre Legalität steht unter der Kritik umfassender Gerechtigkeit. Und diese Gerechtigkeit muss sich durchsetzen. Sonst hat die Welt der Menschen keinen Anspruch darauf, als menschlich zu gelten.

Es gibt die Überzeugung der Identität des Üblichen und des Normalen. Das Übliche ist oft nicht normal: Viele meinen: Was üblich ist, und was im Laufe der Zeit üblich wurde und sich also als Brauch durchsetzte, das hat recht.
Eine Fülle von unterschiedlichen Beispielen zur Identität des Üblichen und des Normalen: Etwa Krawalle im Fußballstadion. Etwa die Überzeugung, dass große Gruppen wo auch immer laut sein dürfen. Etwa die Überzeugung der reichen Länder, dass für die armen Länder Almosen ausreichend sein. Etwa die Überzeugung vieler Männer, dass Frauen am besten eine untergeordnete Stellung einnehmen sollten usw…

Wie kann es zu einem vernünftigen Umgang mit dem „Normalen“ kommen?
Durch Freilegung und öffentliche Rede über das in einer Gesellschaft als normal Geltende mit der öffentlichen Befragung, ob dieses Normale tatsächlich den Normen des Wahren und Guten entspricht, also den Menschenrechten.

Das Normale unterliegt der größeren Norm der Vernunft

Meine These zur Diskussion:
Die Definition des Unnormalen, Kranken, wurde und wird von der großen Mehrheit der Wissenschaftler und der politischen Führerstalten vorgenommen: Diese hielten sich selbst für normal und vernünftig und priesen ihren gesunden Alltagsverstand. Und setzten diesen als Norm. Sie grenzten sich gegenüber „den anderen“ (den Kranken und für krank Erklärten) ab. Politiker und Ökonomen und Kleriker folgten dieser Definition. Nebenbei: Und sie ließen bei den Herrschern Verhaltensweisen gelten, die beim „einfachen Volk“ als Sünde und abartig galten. Man denke etwa an die kirchliche Akzeptanz der Maitressen der Adligen; man denke an die Akzeptanz der Kriege durch Theologen.
Diese unterschiedliche Form der Bewertung von Moralität etwa durch die Kirchenvertreter kann man nur als institutionalisierte Schizophrenie bezeichnen.

Heute gibt es die grundlegende Erfahrung:
In der sich gesund fühlenden und sich gesund nennenden Mehrheit und ihrer Führergestalten (ökonomisch, politisch, religiös) ist das Unnormale, das Krankhafte und Zerstörerische stark anwesend. Auch in der „gesunden“ Mehrheit lebt das Kranke, Zerstörerische. Man denke an Gestalten wie Trump, die von vielen kritischen und selbstkritischen Beobachtern als Gefahr für die Menschheit beschrieben werden; oder an andere demokratisch gewählte Politiker, wie Orban oder die PIS Polen-Politiker oder Matteo Salvini oder Bolsonaro in Brasilien.
Die reiche Welt ist krank, seelisch abgestumpft. Sie ist de facto strukturell und in vielen ihrer Führergestalten nicht gesund, nicht vernünftig. Man sollte die vernünftige Welt – partiell ? – verrückt nennen. D.h.: weg – gerückt von der vernünftig fühlenden Menschheit und Menschlichkeit. Therapie und Heilung sind notwendig. Wer kann sie bieten?

Mit anderen Worten: Die Auseinandersetzung mit dem Thema “normal und unnormal” beginnt mit der Erkenntnis: Viele der so genannten Normalen sind krank. Und die „Kranken“ sind vielleicht auch die Sensiblen, die die „offizielle“ und allgemeine Verrücktheit in Staat und Gesellschaft nicht ertragen können. D.h. Die Voraussetzungen für ein wechselseitiges Respektieren, für Nähe, sind längst gegeben. Werden aber nur selten realisiert. Wann begreifen sich alle Menschen als irgendwie und in unterschiedlicher Stufung als unnormal bzw. normal? Dies wäre der erste Schritt zu einer Normalität, die den Namen verdient!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ende der Volksparteien – Ende der Volkskirchen

Hinweise, Fragen, Vorschläge von Christian Modehn

1.
Die Volksparteien finden immer weniger Zustimmung, nicht nur in Deutschland. Das ist vielfach dokumentiert worden in den letzten Tagen und Wochen. Besonders dramatisch ist das langsame Verschwinden der SPD: Niemand weiß mehr, wofür diese sich sozial (einst sozialistisch?) nennende Partei steht. Und wer weiß noch, was das „C“ der so genanten Volksparteien CDU/CSU bedeutet, außer: Abwehr der Sterbehilfe und Eintreten für Pro Life und für Privatschulen! Dabei ist auch durch die Vereinnahmung des Begriffes “Volk” durch rechtsextreme Parteien dieser Begriff Volk ohnehin problematisch geworden. Wer gehört denn zum so genannten deutschen Volk? Nur die AFD Mitglieder und Wähler etwa? Nicht aber die seit langem hier lebenden Deutschen (mit deutschem Pass) etwa türkischer Herkunft? Auch die Menschen, die als Flüchtlinge hier Zuflucht suchen und finden, gehören zum “deutschen Volk”. Sie sind doch nicht auf ewig Staatenlose!.Von daher ist es gut, dass der Begriff Volks-Partei auch langsam verschwindet.Zumal Volk und Nation bzw. Nationalismus eng verbunden sind. Nationalismus aber das Grundübel unserer Welt ist.
2.
Es drängt sich eine weitere Erkenntnis auf, und dies ist überhaupt keine Attacke eines philosophischen Religionskritikers: Auch die so genannten Volkskirchen werden als Großorganisationen verschwinden. In England sind diese Kirchen längst verschwunden, genauso in Frankreich, in Spanien, in den Niederlanden, Belgien, selbst in Irland: Überall dasselbe Bild. Ich will diese Erkenntnis nicht durch tausend Belege ins Endlose steigern. Denn die Erkenntnis vom Ende der Volkskirchen in Europa ist eine unumstößliche religionssoziologische Tatsache. Die Menschen, vor allem die Jüngeren, distanzieren sich von den einst sich Volkskirchen nennenden Kirchen. Wenn es diese Volkskirchen als Versammlung unterschiedlicher Menschen unterschiedlicher Kulturen und unterschiedlicher Lebenseinstellungen denn jemals gegeben hat: Dann wäre der Verlust dieser offenen, von Gleichberechtigung aller Mitglieder geprägten Volkskirchen tatsächlich ein Verlust. Aber diese offenen, all-umfassenden, d.h. im Wortsinne katholischen Volkskirchen hat es wohl nie de facto gegeben. Die Volkskirchen hatten stets den Mief des Kleinbürgerlichen, Anti-Intellektuellen und Autoritären gehabt. Und die Restbestände dieser Volkskirchen haben noch immer diese “Qualitäten”. Oder kann mir jemand Intellektuelle, Künstler, Wissenschaftler, Journalisten nennen, die sich explizit etwa zur katholischen “Volkskirche” in Deutschland oder in Holland oder in Frankreich bekennen und diese auch verteidigen und mit ihren freien Beiträgen auch verändern und “bereichern”? Das Eintreten für die Volkskirchen leisten sich nur noch Katholiken, die von der Institution fest angestellt sind und von der Instutution bezahlt werden.
3.
Für Deutschland lautet die neueste Prognose der Forscher-Gruppe um Bernd Raffelhüschen: In 40 Jahren, also 2060, „haben die Kirchen in Deutschland halb so viele Mitglieder und halb so viel Geld wie heute“. Auch diese Studie wurde mehrfach diskutiert. Wenn denn diese „Halbierung“ nicht schon viel früher kommt. Und sie versetzt die Kirchenführungen in eine gewisse Krise, und zwar vor allem: Weil das Geld knapper wird.
4.
Selbst die Kirchenmitglieder wissen nicht genau, wofür diese Kirchen eigentlich noch stehen: Sind es die Weihnachtsgottesdienste, die noch ein bisschen dafür sorgen, dass die Menschen noch Mitglieder der Kirchen bleiben, oder die Wallfahrten oder die Konfirmations/ Erstkomunions-Festlichkeiten, oder die soziale Arbeit in „Trägerschaft“ der Kirchen-Institutionen, wobei der Staat ganz überwiegend dafür das Geld gibt…Vielleicht bleiben viele noch Kirchenmitglieder, weil diese Kirchen gut eingepasst sind in die bürgerliche Ordnung. Bürgerliche „Werte“ vertreten. Klar ist: Diese Kirchen stören nicht den staatlichen Betrieb. Sie fordern mal dies und mal das, überall ein bisschen mehr Gerechtigkeit, aber keine globalen Veränderungen oder Revolutionen zugunsten des Lebens der Zweidrittel hungernder Menschen weltweit. Zugunsten einer radikalen, aber hilfreichen Klimapolitik usw.
5.
Wer wirklich weiter kommen will in der Auseinandersetzung mit dieser Frage, muss sehen: Die Menschen haben kein Interesse mehr an diesen Volks-Kirchen, keineswegs nur, weil so viele Priester des sexuellen Missbrauchs überführt wurden; nicht nur weil der Klerus und die Pfarrerschaft so viel Herrschaft nach wie vor haben.
6.
Allein diese Erkenntnis ist wichtig, und sie wird viel zu wenig diskutiert: Die Menschen verlassen die Kirchen, weil sie mit den tradierten und immer wiederholten und gedankenlos nachgesprochenen LEHREN dieser Kirche nichts mehr anfangen können. Die Kirchen sind dermaßen an die alten Dogmen seit dem 3. Jahrhundert gebunden, dass sie keine Kraft haben: Heutiges Leben im Transzendenz-Horizont zu erzählen und zu deuten. Sie verwenden in den Gottesdiensten und den Predigten allzu oft erstarrte Formeln und Floskeln, die niemand als Deutung der eigenen Existenz versteht. Wer etwa die offiziellen Weihnachtslieder in den Kirchen noch mitsingt oder die Karfreitags-Ostern -Choräle, der muss förmlich seine Vernunft ausschalten und wie in eine ferne Märchenwelt flüchten. So werden Gottesdienste zu Orten sentimentaler Kindheitserinnerungen. Man hat vielleicht Tränen in den Augen, aber seelisches Reifen, ein neues Miteinander, passiert nicht.
7.
Mit anderen Worten: Die Kirchen verschwinden gerade wegen ihres so orthodoxen, so korrekten Festhaltens an den alten Dogmen.
8.
Sie verschwinden, weil sie keine Kraft haben, die alte Liturgie im Gottesdienst beiseite zu stellen und ganz neu Feiern des Lebens, Feiern des Suchens, Feiern der Transzendenz in den Kirchen zu gestalten. In den Kircheninstitutionen herrscht totale Angst, „Wesentliches“ aufzugeben, gerade deswegen leeren sich die Kirchen permanent. Wegen dieses Festhaltens an uralten, aber leer gewordenen Lehren. Die Kircheninstitutionen werden wohl keine Kraft mehr zu haben, ihre Lehren und Gesetze sehr schnell und kräftig zu entrümpeln. Die Starre herrscht vor und die starren Herrscher haben das Sagen. So werden die Kirchen förmlich an ihrer eigenen Traditionstreue unsanft entschlafen. Was es heißt, „Einfach zu glauben“, habe ich immer wieder versucht zu beschreiben, auch im Zusammenhang der neuen liberalen Theologie, für die sich auch der protestantische Theologe Wilhelm Gräb einsetzt. In Holland ist die protestantische Remonstranten Kirche die einzige, die für eine konsequent liberale Theologie eintritt.
9.
Das Verschwinden der Volkskirchen führt vor allem philosophisch zu der Frage: Wer tritt dann noch für Transzendenz ein, wer stellt noch die Gottesfrage. Dabei ist klar: Der Gott dieser Volkskirchen war der griffige Gott, der handhabbare, der als Herrscher gefürchtet, als lieber Gott wiederum verehrt wurde. Wie viel Aberglaube in Form des maßlosen Wunderglaubens wurde von den Kirchen verbreitet? Pater Pio, der angeblich stigmatisierte Volksheilige, ist bekanntlich in Italien bekannter als Jesus Christus. Tatsache ist: Der weitverbreitete Wunderglaube stört die Entwicklung kritischer Vernunft, auch im politischen Bereich. Der irrationale Volksglaube und die irrationale Politik sind eng verklammert. Auch das wird zu selten untersucht: Ist die Kirchenführung korrupt, wie in Italien, Spanien und Lateinamerika, leisten sich die Menschen guten Gewissens auch die Freiheit, wie der “vorbildliche” Klerus selbst korrupt zu sein, siehe Italien heute wie gestern.
10.
Philosophisch muss man sich dringend die Frage stellen: Wo wird die Frage nach der Transzendenz, die Frage nach dem Göttlichen, neu gestellt, ohne naiven Wunderglauben, ohne klerikale Bevormundung?
11.
Es müssten viele Orte entstehen, in denen in aller intellektuellen Freiheit um diese Fragen gerungen werden kann. Dies wären Plätze, die man “Orte und Schulen des Lebens” nennen könnte, wo Menschen selbst bestimmt im Dialog zu einem reifen Verständnis ihrer selbst und möglicherweise der Transzendenz gelangen. Dort kann auch die Mystik wieder entdeckt und gepflegt werden, die Mystik eines Meister Eckart oder eines Johannes vom Kreuz oder die Mystik Dietrich Bonhoeffers in den letzten Wochen seines Lebens,um nur Beispiele aus dem christlichen Bereich zu nennen.
12.
Das Ende der Volkskirchen stellt also neue Fragen nach der Zukunft und der entsprechenden Verbreitung religionsphilosophischer Gesprächskreise oder Salons.
13.
Was wird beim Ende der Volkskirchen aus den Treffpunkten, die nun einmal viele volkskirchliche Gemeinden haben? Bleiben sie weiterhin wie die vielen Kirchengebäude verschlossen? Werden die vielen zu Konzerthallen dann umgewandelten Kirchengebäude noch Orte religiöser Musik sein, werden sie Orte der Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur und Philosophie werden? Orte der Verabredung für politische Aktionen zugunsten einer gerechten Gesellschaft?
14.
Wo kann in vernünftiger, argumentierender Weise noch von den Propheten der Bibel, und damit auch von Jesus von Nazareth, gesprochen werden? Wird prophetische Gesellschaftskritik noch einen Platz haben?
15.
In jedem Fall kann das Ende der Volkskirchen eine Chance sein, so dass jeder sich selbst fragt: Was ist eigentlich der Mittelpunkt meines Lebens? Wo will ich hin, welches Leben will ich selber führen in dieser verrückten Welt? Insofern kann das Ende der Volkskirchen auch einen neuen Aufschwung bieten für eine neue Vielfalt spiritueller Gruppen.
16.
Vielleicht kann nun die plurale Verbundenheit mit mehreren spirituellen Traditionen besser gelebt werden, etwa Christentum-Buddhismus oder Christentum-Sufitraditionen; Christentum und skeptische Philosophie…
17.
Der Bedarf an Gesprächen wird also bleiben. Seelsorge, wenn man so will, wird wichtig bleiben; vielleicht werden die Menschen einander helfen, sich um ihre Seele zu sorgen. Und politisch gemeinsam zu handeln: Dass diese Welt nicht durch die Verblendung unfähiger Politiker und raffsüchtiger Ökonomen untergeht. Dass die gestressten Pfarrer heute noch Seelsorger, qualifizierte Seelsorger sind, glaubt eigentlich niemand mehr so recht. Welcher Pfarrer ist schon bereit, mit anderen die Poesie der Seele, also das persönliche Beten, zu lehren? Geschweige denn, Meditieren zu lehren? Oder vernünftige Auskunft über den Glauben zu geben?
18.
Manche meinen, das Ende der Volkskirchen bewirkt den Aufstieg der so genannten Freikirchen, also der evangelikalen oder pfingstlerischen Kirchen und Gemeinschaften. Das mag faktisch so sein, weil diese Kirchen oft eine sehr emotionale Gemeinschaft bieten. Aber ihre theologische Lehre ist so schwach, so wenig vernünftig vermittelbar, dass diese so genannten Freikirchen keine Kraft haben, diese Welt vernünftig zu gestalten. Bestes Beispiel ist jetzt der brasilianische Präsident Bolsonaro, der als Ex-Katholik leidenschaftliches Mitglied einer dieser Freikirchen ist: Seine politische Konzeption und Herrschaft nennen viele objektive Beobachter einfach nur faschistisch. Aber: Der Widerstand gegen diesen Wahn regt sich! Vielleicht wird Bolsonaros Freund, Mister Trump, endlich durch eine Art Aufstand der Anständigen in den USA aus dem Amt gefegt. Aber auch dort sind es die Evangelikalen und Pfingstler, die an Mister Trump, stur und dumm festhalten. Die einst machtvollen „mainline-Churches“, also gewissermaßen Volkskirchen der USA, sind ebenfalls zu schwach, wie die Episcopals, einige Lutheraner, Presbyterians usw…Die Katholiken sind heillos zerstritten und müssen alle Energien aufwenden, um die maßlosen Verbrechen vieler Priester „aufzuarbeiten“. Der sexueller Missbrauch im Klerus verhindert also den kritischen gesellschaftlichen Elan.
19.
Dringend wäre ein Bündnis mit den jungen Menschen, die etwa in den Friday-for-future-Demos die Bewahrung der Natur und der Menschen JETZT einfordern. Diese Bewegungen junger Menschen sind außerhalb der Kirchen entstanden, das ist bezeichnend. Vielleicht sollten wir uns also nicht zu viele Sorgen machen, wenn die Volkskirchen klein und kleiner werden. Der Geist, der heilige, weht eben wo er will und wann er will: Und der Geist weht in diesen Bewegungen junger Menschen, ohne dass man diese gleich heilig sprechen muss. Aber in allem Nein zu lebensfeindlichen und unvernünftigen politischen Konzepten der kapitalistischen Herrschaft zeigt sich der Geist der heilige. Der heilige Geist liebt das Nein, die dialektische Bewegtheit, das lehrt uns Hegel.
20.
Wie auch immer es mit den „Volkskirchen“ weitergeht: Ihr Ende haben sie zum großen Teil selbst zu verantworten. Schuld daran sind sie selbst wegen ihrer dogmatischen Erstarrung und bürokratischen „Herrlichkeit“. Und nicht, wie etwa der Religionssoziologe Detlef Pollack vermutet (in: Christ und Welt, 29. Mai 2019, Seite 1) ist verantwortlich zu machen „das wachsende Einkommen heute“, womit sich „immer mehr Menschen die säkularen Waren -und Freizeitangebote leisten“. Solche Äußerlichkeiten, „wachsendes Einkommen“, zählen nicht!
Zu fragen wäre ja, ob denn tatsächlich in den Blütezeiten der Volkskirchen, als man noch um 1900 riesige Kirchen mit 1000 Sitzplätzen baute, tatsächlich die Kirchgänger und Kirchenmitglieder freiwillig und aus Überzeugung und innerem Bewegtsein die Gottesdienste besuchten. Studien zeigen: Dies waren meist nur äußerliche, oft von den Arbeitgebern erzwungene Kirchenbindungen. Sonst hätten sich doch nicht Christen aus Deutschland und Christen aus Frankreich in dem Getümmel des Ersten Weltkrieges gegenseitig totgeschlagen. Die Volkskirchen offenbaren also ihre innere Schwäche. Sie haben die Menschen nicht nachhaltig geprägt, nicht friedlicher gemacht, sondern eher noch im Nationalismus, dieser Ursünde, bestärkt.
21.
Ist es also so “schlimm”, wenn diese Volkskirchen zur Minderheit werden? Ich meine: Eher nicht. Denn: Der Geist, der heilige, weht wo er will (vgl. Johannes Evangelium 3,18). Er weht auch vermehrt außerhalb der Kirchen, in den Aktionen zugunsten der Menschenrechte z.B., im Kampf gegen Nationalismus und Rassismus, im Eintreten für den Schutz der noch verbliebenen Natur…Es gibt ja bekanntlich in der philosophischen Überzeugung eine große “Kirche“ der Menschen außerhalb der (Volks)Kirchen, also die Gemeinschaft derer, die sich vom Geist, der Vernunft und der Empathie leiten lassen. Für den Propheten Jesus von Nazareth war dies am wichtigsten im Leben eines Menschen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.