Bittgebete: Sinn und Unsinn!

Ein Hinweis von Christian Modehn in Zeiten von Kriegen und Vernichtung. Am 2.12.2023.

Einen Kommentar zu diesem Text, verfasst von Heinz G. Liberda, lesen Sie bitte am Ende dieses Hinweises.

1.
Angesichts der vielen politischen Katastrophen, der Kriege, der Zerstörungen, von Politikern inszeniert, sind die Menschen meist sehr hilflos. Sie haben es wie so oft versäumt, in Zeiten, als die Waffen schwiegen, Friedenszeiten genannt, für den Erhalt des Friedens zu arbeiten, Friedenspädagogik zu leisten, Politikern auf die gierigen Finger zu schauen bzw. diese zur Vernunft zu rufen. Auch jetzt stehen die Menschen hilflos da. Oder sie protestieren auf der Straße. Immerhin, ein Zeichen des Widerspruchs, aber mehr wohl nicht.

2.
Fromme Leute, etwa Christen, sehen sich in solchen Situationen der politischen, ökonomischen oder klima-bedingten Hilflosigkeit oft spontan gedrängt, einen letzten Helfer zu mobilisieren: Den als Person gedachten Gott (Vater) im Himmel. „Manchmal hilft nur noch Beten“, heißt es dann oft in einem populären, aber nicht klugen Spruch.

3.
So auch in diesen Wochen des Krieges der Hamas gegen Israel und der folgenden Antwort der Regierung Israels als Krieg gegen die Hamas. In dieser Situation fordert der Papst, fordern Bischöfe, Theologen, zum Beten, zum Bitten, auf. DOM – Radio Köln etwa berichtet am 29.Oktober 2023: „Nach dem gemeinsamen Friedensgebet im Kölner Garten der Religionen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen äußert sich Kardinal Rainer Maria Woelki zum Krieg im Heiligen Land. Gebete, betont er, seien stärker als alle Waffen.“ Er behauptete in seinem frommen Überschwang (oder auch in seiner theologischen Hilflosigkeit!) weiter: „Wir können nur den Himmel bestürmen, dass Gott ein Einsehen hat und unsere Herzen aus Stein erweicht und uns Herzen aus Fleisch gibt, die Herzen aus Liebe werden und die Herzen zum Frieden führen…Wo wir als Menschen darüber hinaus eben nicht mehr weiterkommen, und dies scheint mir zum Beispiel so eine Situation zu sein, da bin ich wirklich davon überzeugt, dass das Gebet im Letzten stärker ist als alle Waffen.“

4.
„Gebet ist stärker als Waffen?“ Das setzt aber voraus: Gott hat stärkere Waffen, wenn wir ihn im Himmel denn bestürmen… Dann greift er als Gott direkt ein und schafft Frieden. Aber die Wahrheit ist: Gott als Gott hat noch nie in diese Welt eingegriffen, geschweige als Gott direkt Kriege beendet.

5.
Es ist also vom vernünftigen Denken her, der Gabe des schöpferischen Gottes an die Menschen, undenkbar und unmöglich, an dieser durchaus klassisch zu nennenden , immer wieder aufgewärmten Gebetstheologie und Bittgebets-Theologie festzuhalten.

6.
Sind Bittgebete also sinnlos und unvernünftig? Nicht unbedingt, wenn wir denn Beten und Bitten als menschliche Aktion verstehen, also als Selbstgespräch, als Poesie, als meinen „Lebenstext“: Ich spreche in stammelnden, suchenden Worten meine Situation aus, spreche meine Verzweiflung aus, meine Hoffnungslosigkeit: Und dies sage ich als Poesie, als „meinen“ Text, möglicherweise auch anderen, Freunden, Verwandten, in der Gruppe einer Gemeinde, in einem philosophischen Salon…

7.
Und was bedeutet dann Bittgebet als meine Poesie, mein Gedicht, mein „Lebenstext?
Ich sehe meine Situation und die Situation der Welt klarer, ich versinke nicht in Sprachlosigkeit, verbleibe als nicht ohne Reflexion. Und wenn ich christlich geprägt bin oder nach dem Glauben suche: Dann weiß ich: Die göttliche Schöpferkraft, der Ewige, der Unendliche, wie auch immer, lässt trotz des Wahns der Menschheit die Menschen nicht fallen, auch mich nicht, auch dich nicht. Diese Spiritualität ist vernünftig. Aber das ist dann alles: Es geht um das sich Einfühlen und Eindenken in eine metaphysische Geborgensein. Die kann einem niemand nehmen.

8.
Dabei wissen diese aufgeklärt, nachdenklichen Frommen: Kriege sind Taten der Menschen, der Politiker, der Nationalisten, der religiös verrückt gewordenen Fundamentalisten. Kriege sind also Ausdruck einer irregeleiteten Freiheit von Menschen, die sich zu Verbrechern entwickelt haben. Diese menschliche Freiheit ist „Gottes“ Gabe an die Menschen. Was wäre denn, wenn Er/Sie die Menschen nicht frei, auch frei zum Tun des Bösen, geschaffen hätte? Dann wären die Menschen eben Tiere. Und die folgen nur ihren Instinkten, sie sind nicht umfassend frei und kreativ.

9.
Können wir also noch Beten und Bittgebete sprechen? Solange fromme Leute mit ihren Gebeten und mit ihrem Glauben nicht andere schädigen, kann jeder und jede glauben was er/sie will. Aber vernünftig ist unserer Meinung nur: Gebete und Bittgebete sind meine Lebenspoesie, die mir mein Leben – auch angesichts des Unendlichen und Ewigen – deutlich macht. Die göttliche Schöpferkraft ist – religionsphilosophisch gesehen – in uns, dort haben wir sie zu pflegen und nicht einen Himmel zu bestürmen. Gott im Himmel zu bestürmen, umstimmen zu wollen, bestimmen zu wollen, ist anmaßend und theologisch dumm und dreist und human letztlich hilflos. Nur Kardinäle, denen nichts hillfreich Politisches einfällt, fordern zum „Bestürmen des Himmels“ auf…Sie fordern damit zum Aberglauben auf. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

………………

Ein Kommentar zu diesem Beitrag von Heinz G.Liberda:

“Wie jemand zum Bittgebet steht, hängt oft mit seinem Gottesbild zusammen und dieses
wiederum mit dem „Seelenkostüm“ des Betreffenden, seiner psychologischen Entwicklung.

Wenn wir uns Gott unbegrenzt vorstellen, durch nichts eingeschränkt, dann sind auch sehr
viele Gottesbilder möglich – neben dem eines überpersönlichen Gottes ebenso gut das
biblische Bild vom Vater, der Bitten „hört“ (aber nicht zum „Erhören“ gezwungen werden kann).

Wenn ein erwünschtes Ereignis eintrifft, um das gebetet wurde, dann kann das als Gebetserhörung
geglaubt werden. Nur, das gewünschte Ereignis hätte auch, unbeweisbar, ohne Bitte eintreffen können.
Aber wer glaubt, dass seine Bitte erhört worden ist, kann Gott gegenüber dankbare Freude empfinden.

Wenn nach katastrophalen Ereignissen – wie z.B. den Atombombenabwürfen 1945 („Theodizee“) –
gebetet wird/wurde, dass so etwas nicht nochmals geschieht – wie Gott sei Dank bis jetzt(!) – ist das
eine Gebetserhörung? Liegt jemand nachweisbar falsch, der das glaubt?

Zuletzt eine wichtige Bitte: „Lieber Gott, lass´ alle Menschen – ob sie darum gebetet haben oder nicht –
ein Jenseits erleben, in dem sich Bittgebete erübrigen.“

H. G. L. 18.12.2023

 

Katholiken sind niemals Freimaurer! Ein Verbot des „progressiven” Papstes Franziskus!

Neue päpstliche Attacken gegen die Freunde des Humanismus und der Toleranz.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 15.11.2023

Die oberste katholische Glaubensbehörde schlägt wieder zu: Am 15.11.2023 veröffentlicht der neue Chef der einstigen Inquisition, der Freund des Papstes und auch er ein Argentinier, also der frisch ernannte Kardinal Victor Fernandez, eine Erklärung: „Katholiken dürfen nicht Mitglieder der Freimaurer – Logen sein. Sind sie Mitglieder, werden sie vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen, katholische Freimaurer befinden sich in einem Zustand schwerer Sünde“ (Zum Vatikan-Text: Siehe unten Fußnote 1)

Die Welt heute hat eigentlich sehr viel dringendere Probleme, als sich mit dieser neuen päpstlich abgesegneten Verbots-Erklärung zu befassen.
Aber sie verdient, doch Beachtung selbst bei Menschen, denen eigentlich der Katholizismus ziemlich egal geworden ist. Man sollte also wissen:

1.
Der Kampf der katholischen Kirche gegen die Freimaurer im allgemeinen dauert schon seit Jahrhunderten. Es sind vor allem die katholischen Traditionalisten und Reaktionär-Katholiken aus dem Gefolge von Erzbischof Marcel Lefèbvre, die im 20.Jahrhundert zu den erklärten Feinden der Freimauer und ihrer Logen gehören. Man vergesse nicht: Der große Durchbruch der liberalen Freiheiten, etwa zu Beginn der Französischen Revolution, war auch Leistung von Freimaurern. Und wer Mozarts Musik schätzt, der liebt die Musik eines Freimaurers. Also: Bitte keine Mozart Messen mehr in katholischen Kirchen! (Siehe Fußnote 2 zur Geschichte von Katholizismus und Freimaurer)

2.
Bescheidene Versuche einer Annäherung an die Freimaurer auch von offizieller katholischer Seite im späten 20. Jahrhundert, durch so genannte Dialog-Konferenzen, werden seit etlichen Jahren von Rom ausgebremst. Kardinal Gianfranco Ravasi hatte sich freundlicherweise darum bemüht (Quelle: https://katholisches.info/2016/02/16/kardinal-ravasi-an-die-logen-liebe-brueder-freimaurer/), früher auch Kardinal König von Wien.

3.
Tatsache ist, dass zum Beispiel in Spanien viele Katholiken auch Priester, Mitglieder der Freimaurer – Logen sind. Bekannt ist auch, dass ohne Probleme protestantische Theologen und Pfarrer Mitglieder der Logen sind. (Quelle zu Spanien: Die wichtige Zeitschrift VIDA NUEVA: https://www.vidanuevadigital.com/2023/11/15/el-ultimo-acercamiento-a-la-masoneria-fue-con-el-cardenal-ravasi-que-en-2016-la-llamo-a-un-dialogo-sincero-con-la-iglesia/)

4.
Die Freimaurer Logen verstehen sich trotz aller Pluralität der unterschiedlichen Logen als Orte des Dialogs ideologisch verschiedener Männer und auch Frauen (auch sie sind in Logen) im Respekt vor dieser Pluralität. Logen wollen ihre Mitglieder ermuntern, im individuellen Leben das Beste für die Menschen zu tun … im Sinne der universal geltenden Menschenrechte. Deswegen waren Logen nicht nur im Katholizismus, sondern auch in faschistischen und kommunistischen Diktaturen verboten.

5.
Warum also das erneute Verbot aus Rom? Das ist entscheidend:
Weil den dortigen Theologen vor allem die Philosophie der Freimaurer höchst unangenehm ist: Es wird in vielen dieser Logen vorgeschlagen, an ein „höchstes Wesen“ zu glauben, das wichtiger und größer ist als der Gott jeder einzelnen Konfession und Religion. Sozusagen geht es zuerst um den allgemeinem Gott der einen Menschheit, vor allem dieses höchste Wesen soll respektiert und verehrt werden. Die klassische Theologie kann sich mit diesen Gedanken nicht anfreunden: Da wird die Trinität nicht beachtet, heißt der römische Vorwurf, da wird Jesus Christus nicht als Gottessohn verehrt? Aber gibt es nicht auch Größeres und Höheres als diese Dogmen? Der Gedanken fällt Rom schwer!
Die immer aktuelle Position der Philosophen der Aufklärung steht also zur Debatte. Und ohne diese Philosophie, die alle, aber auch alle Positionen und Konfessionen relativiert, selbst die vatikanisch-klerikale Hierarchie, wird es keinen Beitrag für einen Weltfrieden geben. Das sah Kant auch schon in seiner Lehre von der „unsichtbaren Kirche“.
Das also ist die richtige Überzeugung der meisten Freimaurer: Jeder und jede kann seiner humanen Ideologie, religiösen Konfession etc. verbunden bleiben, aber jeder und jede muss wissen: Es gibt etwas viel Größeres Absolutes als meinen mir wichtigen Glauben. Nur so kann der tödliche Fundamentalismus überwunden werden.

6.
Dass Freimaurer in der romanischen Welt, Lateinamerikas vor allem, eine wichtige Rolle spielten im Kampf der Unabhängigkeit ist bekannt. Die Privilegien des Klerus standen dabei zur Debatte.
Das historische Thema der Freimaurer, der Anti-Klerikalismus, ist etwas, das Romjetzt noch empört. Dabei spricht doch Papst Franziskus so oft in letzter Zeit selbst gegen (!!) die Macht des Klerikalismus…

7
Die jüngste Erklärung aus Rom gegen die Logen der Freimaurer ist also, auch theologisch gesehen, ein großer Schritt zurück, ein Schritt der den Reaktionären in der Kirche gefällt, also Konfessionellsten, den Fundamentalistischen, nicht aber den universell Denkenden.
Man muss ja kein Freund sein gegenüber einigen Üblichkeiten der Logen, etwa ihr Verschweigen darüber, wer Mitglied ist oder auch: was die Versammlungen im einzelnen bedeuten. Aber man muss immer wissen: Auch das katholische Opus Dei (70.000 Mitglieder weltweit, treffend als Geheimclub bezeichnet) schweigt sich aus, wer Mitglied in diesem geheim agierenden, politisch rechtslastigen Verein ist. Und auch die Katholiken aus der katholischen Neokatechumenalen Gemeinschaft haben Jahre lang ihre Samstag-Abend-Messen, stundenlang, hinter verschlossenen Türen gefeiert. Sie brauchten halt auch ihren eigenen., geschlossenen Raum… Und ist der Vatikan insgesamt, auch was seine Finanzaktionen tatsächlcih auch im Blick auf die kirchlichen Immobobilien in Rom angeht, nicht auch ein Geheimclub?

8.
Ich möchte gern diese Herren von der vatikanischen Glaubenskongregation fragen, was sie eigentlich von Lessings „Nathan der Weise“ denken. Eigentlich müssten sie, bei diesem ihrem Weltbild, diesen wunderbaren Text auf den sicher bald wieder zu veröffentlichenden „Index” setzen.

9.
Man stelle sich vor, die jetzt tötenden Israelis und muslimischen Palästinenser würden wahrnehmen und realisieren: Unsere jeweiligen Religionen sind ja ganz nett. Aber sie sind nicht das Höchste! Über unseren jeweiligen Religionen (wie auch der Christen!) gibt es sozusagen den einen „göttlichen Gott“ aller. Es gibt also keine herausragende, keine besondere Religion: Alle Konfessionen sind gleich viel wert oder auch unwert.
Das lehren die Freimaurer … und sie werden deswegen diskriminiert. Rom schießt gegen die Freimaurer, aber das tragen sie wohl voller Gelassenheit. Es gibt ja wohl Wichtigeres als Rom und den Vatikan mit seinen Verboten. Und das alles nachdem die Weltsynode so hübsch und nett und so liberal im Vatikan getagt hat…

Fußnote 1:

https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2023-11/vatikan-freimaurer-katholiken-glaubenslehre-klarstellung-verbot.html?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=NewsletterVN-DE

Fußnote 2:

Die schnelle Ausbreitung der Freimaurerei rief bald von Seiten der katholischen Kirche wie des Staats Kritik und zahlreiche Verbote hervor. So war die Maurerei in Neapel 1731, in Polen 1734, in Holland 1735, in Frankreich 1737, in Genf, in Hamburg, in Schweden und von Kaiser Karl VI. in den österreichischen Niederlanden 1738 sowie in Florenz 1739 untersagt. Am konsequentesten ging die spanische und portugiesische Inquisition gegen die Freimaurer vor.
Der 1738 gegen die Freimaurerei erlassene päpstliche Bannfluch In eminenti apostolatus specula (päpstliche Bulle) Clemens XII. forderte die staatlichen Mächte auf, die Freimaurerei zu verbieten. Kardinal Firrao ließ infolgedessen 1739 durch den Henker Freimaurerbücher öffentlich verbrennen, und im selben Jahr wurde der Dichter Tommaso Grudelli in Florenz der Inquisition als Häretiker denunziert und im Gefängnis gefoltert. Später kam er auf Betreiben des Großherzogs wieder frei, erlag mit 43 Jahren dennoch den Folgen der Haft.
Am 18. Mai 1751 bestätige Papst Benedikt XIV. die Bulle seines Vorgängers mit der Bulle Providas romanorum und unterstrich die Verurteilung der Freimaurerei, indem er allen Katholiken unter Androhung der Exkommunikation jeglichen Kontakt verbot, die ohne Erklärung erfolge und bis zum Tode ihre Gültigkeit behalte, woraufhin Karl III. (Spanien) im Königreich beider Sizilien die Freimaurerei verbot. Giacomo Casanova, der 1750 in den Bund der Freimaurer aufgenommen worden war, wurde am 27. Juli 1755 in Venedig wegen Freimaurerei verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, ohne dass ihm das Strafmaß mitgeteilt wurde. Aber schon am 1. November 1756 gelang ihm die Flucht aus den Bleikammern.[28] 1783 wurde der Marchese Vivaldi in Venedig wegen Freimaurerei verhaftet, im Gefängnis erdrosselt und seine Leiche öffentlich mit der Aufschrift ausgestellt: „so behandelt die Republik die Freimaurer“.
Auch Pius IX. erneuerte die Verurteilung der Freimaurerei mit Ecclesiam a Jesu Christo ebenso wie Leo XIII. in diversen Enzykliken. (siehe auch: Liste päpstlicher Rechtsakte und Verlautbarungen gegen die Freimaurerei und Geheimbünde)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Allmacht des europäischen Christentums

Wo hat das Christentum Zukunft? Im „globalen Süden“, vor allem in Afrika, wachsen die Kirchengemeinden.

Von Christian Modehn.

Eine Zusammenfassung:
Diese Hinweise sind ein kurzer religionsphilosophischer und theologiegeschichtlicher Essay.
Er zeigt: Seit dem 4. Jahrhundert kooperiert die Kirche Westeuropas immer mit den politischen Herrschern auch in der Verbreitung des christlichen Glaubens; die Entwicklung der so genannten Ost-Kirchen wird hier nicht beachtet.
Die viel besprochene Verbindung Kolonialismus und Mission begann also schon in der Frühzeit der Kirche. Der Widerstand gegen die Symbiose blieb bescheiden. Wenn Mission und Kirchengründung stattfanden, dann wurde immer das europäische Christentum mit einer europäischen Theologie den Menschen in Afrika, Amerikas Asien, Ozeanien vermitteltt, wenn nicht aufgedrängt.
Im 20. Jahrhundert widersetzten sich einige kolonisierte Christen diesem System und gründeten ihre eigenen, unabhängigen Kirchen. In Afrika wurde auch eine unabhängige katholische Kirche gegründet, eine weithin unbekannte Tatsache.
Und heute? Da verfügt die katholische Kirche in Europa über so wenige Kleriker, dass aus den ehemaligen Missionsländern einige tausend Priester (Missionare ?) in Europa eingesetzt werden. So wird das klerikale System in Europa von den einst „Missionierten“ weiter erhalten, sehr gut könnten ja auch Laien die vielen priesterlosen katholischen Gemeinden in Europa leiten, aber das will der Klerus (Papst etc.) nicht.

Die Fakten:
37 Prozent aller Christen leben heute in Lateinamerika, 24 Prozent in Afrika und 13 Prozent in Asien und der Pazifik-Region. Also leben 74 Prozent aller Christen in den Ländern des globalen Südens. Am stärksten gewachsen ist der Anteil der Christen in Afrika südlich der Sahara: 1910 waren dort nur neun Prozent der Bevölkerung Anhänger des Christentums, heute sind es 63 Prozent. Und sehr viele von ihnen sind „Fundamentalisten“. Das Ergebnis christlicher Mission im Zusammenhang mit dem Kolonialismus. LINK    Siehe auch zum Katholizismus speziell: LINK

1. Kirchen und Kolonial-Imperien
Die aktuellen Kolonialismus – Debatten sollten eigentlich auch das Interesse an Geschichte und Gegenwart der christlichen Mission in Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien fördern und aus der engen Kirchen – Welt befreien. Dabei sollte die Erkenntnis weiter vertieft werden: Mission und Kirchengründungen im „globalen Süden“ geschahen in den allermeisten Fällen im Zusammenhang und in Zusammenarbeit mit den kolonisierenden europäischen Imperien.

2. Mission war Europäisierung
Die Bindung der Kirchen und ihrer Missionare an die strategisch, vor allem militärisch mächtigen weltlichen Herrscher ist typisch für die langsame, aber oft erfolgreiche „Einpflanzung“ der Kirchen im globalen Süden. Kirchlichen Widerspruch gegen die allen christlichen Wertvorstellungen entgegengesetzte Gewalt der christlichen Kolonial – Imperien gab es eher selten. Immer wieder wird als Ausnahme hochgelobt: Pater Bartolomé de la Casas in Santo Domingo und Mexiko. Tatsache aber ist: Kirchliches Leben entwickelte sich im „Globalen Süden“ meist in Abhängigkeit vom imperialen Denken und Werten bzw. Unwerten der europäischen Herrscher. So war etwa die Akzeptanz der Sklaverei auch unter Missionaren und Kirchenführern üblich, nur um sanfte, mildernde Umstände zugunsten der christlichen Sklaven wurde die Sklavenhändler gebeten. Sogar die Päpste hatten an ihrem Hof Sklaven zur Verfügung. (Fußnote 1)
Weisheitslehren, Philosophien, Poesie, Kunst usw. der „Einheimischen“, auch ihre Kenntnisse der Natur, der Umwelt und der pflanzlichen Heilmittel, wurden in europäischer Arroganz meist abgewiesen und unterdrückt. Die bescheidenen Krankenstationen im „Süden“ funktionierten nach europäischem Vorbild und die Missions-Schulen waren im Unterricht Kopien des in Europa üblichen „Einpaukens“ und Auswendiglernens. Kinder von Kolonisten wurden gegenüber einheimischen Kindern bevorzugt…Und wenn Kirchen gebaut wurden, dann immer als treue, aber schlichte Nachbildungen europäischer Gebäude. Neugotische Kirchen und „Kathedralen“ sieht man in diesen Ländern überall. Und wenn Gottesdienste gefeiert wurden, dann immer nach den liturgischen Vorschriften Europas. Die Kirchen waren ideologisiert von der europäischen Idee, als Europäer maßgeblich und besser zu sein. . Und die Kolonialherren waren den Kirchenleuten, den Missionaren, dankbar für so viel Treue zur Herrscher – Ideologie.

3. Eine bescheidene Urkirche
Ganz anders die kirchliche Mission in der Frühzeit der Kirchen bis zu Kaiser Konstantin (Kaiser von 306 – 337). Die Präsenz der christlichen Gemeinden der „Urkirche“ war keine machtvolle Strategie. An eine Zusammenarbeit mit dem römischen Staat und seinen polytheistischen Kaisern war gar nicht zu denken. Als Minderheit verstanden sich die Kirchen als „philosophische Schulen“ neben anderen philosophischen Schulen, so der Philosophiehistoriker Pierre Hadot. Die christlichen Gemeinden nahmen an Bedeutung und an Mitgliedern nur zu, weil sie von den „anderen“ Menschen und anderen „Schulen“ vor allem als Orte der Mit – Menschlichkeit, der unmittelbaren Hilfsbereitschaft und auch des Bekennermutes in Zeiten der Verfolgung wahrgenommen und oft auch geschätzt wurden. Die Christen organisierten sich als Gemeinschaft von Hauskirchen. Man traf sich im „Wohnzimmer“ am runden Tisch, sprach miteinander Wesentliches, las spirituelle Bücher, also die Bibel, speiste auch zeremoniell miteinander, erinnerte sich dabei an Jesus von Nazareth …Ein Modell, das vielleicht wieder Zukunft hat für die Kirchen Europas des Jahres 2040, wenn die letzten Kirchen verkauft wurden und nur noch einige Kathedralen bewundert werden?

4. Kirchen stärken das Imperium
Aber dann gab es den alles entscheidenden Bruch, also das Ende der Minderheiten – Kirchen. Seit Kaiser Konstantins Hinwendung zum katholischen Glauben (312) sind die Kirchen und mit ihr die Mission fest eingebunden in die Zusammenarbeit mit den Imperien, Kaisern, Königen. Sie sahen in der Kirche und im Glauben an den einen Gott eine sehr nützliche Unterstützung eigener politischer Ansprüche. Eine einzige religiöse Ideologie, Konfession sollte den Staat seine Herrscher stützen und nicht eine Vielzahl von Konfessionen…

5. Der König als Priester
Als die Missionare auf germanische Stammesfürsten trafen, sollten diese Führer zuerst zum Übertritt ins Christentum bewegt werden, und danach sollte das Volk gehorsam der Konversion des Stammesfürsten folgen. (Siehe dazu etwa die Studie von Lutz E. von Edberg, „Die Christianisierung Europas im Mittelalter“, Reclam, 1998, etwa S. 181f.)
König Chlodwig aus der Dynastie der Merowinger ließ sich etwa im Jahr 497 in Reims taufen und dann konnte die katholische Staatsreligion organisiert werden (Padberg, ebd. S. 55). Der König sah sich als „Gesalbter Gottes“, als „priesterliche Oberhoheit“ (rex et sacerdos) (ebd., S. 57). Auch die fränkischen Bischöfe waren ihm untertan und bezeugten ihre Ergebenheit in der ersten Reichssynode zu Orléans im Jahr 511: „Er, der König, sollte die Beschlüsse der Synode gutheißen oder ablehnen, die Bischöfe würden dem königlichen Urteil selbstverständlich folgen.“ (ebd. S 233).

6. Schwache Missionare und mächtige Herrscher
Damit waren die rechtlichen, vor allem die ideologisch-theologischen Grundlagen gelegt, auf denen die katholische Kirche bis in die späte Neuzeit hinein ihre Rolle gegenüber dem Staat zu finden suchte. Lutz von Padberg schreibt im Blick auf die Mission zu Zeiten der Merowinger und Karolinger: „Im Kern waren die Missionare mehr auf die Herrscher angewiesen als umgekehrt, ein Missverhältnis, dessen sich die Missionare durchaus bewusst waren, an dem sie allerdings nicht viel ändern konnten“ ( ebd. S. 208). Im Hochmittelalter versuchten dann die Päpste (Innozenz III.) den Vorrang ihrer angeblich von Gott gegebenen Übermacht auch gegenüber den weltlichen Herrschern durchzusetzen…Ein Jahrhunderte dauernder Kampf beider Mächte begann.

7. Staatskirchen
Die Abhängigkeit der Kirchen vom Imperium bestimmte weithin alle späteren imperialen Eroberungszüge außerhalb Europas, also die Kolonialherrschaft der Neuzeit. Man muss also wahrnehmen, dass aus frühen Zeiten diese Abhängigkeit der Kirchen von den „weltlichen Imperien“ stammt! Sie ist uralt und bis in die jüngste Zeit tief ideologisch- theologisch verwurzelt! Der faschistische Staatschef Franco in Spanien (+ 1975) war der letzte Repräsentant einer katholischen Staatsreligion in Europa…Und der äußerst brutale katholische Diktator Trujillo aus der Dominikanischen Republik (1961 endlich ermordet), hatte Jahre lang „seine“ ergebene Staatskirche.
Bis heute will die katholische Kirche ihre herausragende Sonderrolle selbst in den demokratischen Staaten demonstrieren und durchsetzen: Etwa, wenn pädo – sexuelle Verbrechen des Klerus gegenüber dem Staat von Bischöfen und Päpsten verschwiegen und vertuscht werden, um die eigene innerkirchlichen Gerichtsbarkeit auszuleben … außerhalb der staatlichen Gesetze. Dabei wurde und wird von den Kirchenführern das Leiden der Opfer an die zweite Stelle gerückt.… Man sieht hier, dass „historische Hinweise“ schnell zu aktuellen Entwicklungen führen.

8. Afrika wird christlich
Nach dem Ende des offiziellen Kolonialismus (auch die neoliberalen Imperien verhalten sich gegenüber den Armen im globalen Süden wie Kolonialherren)lebt in „Afrika südlich der Sahara“ eine nahezu unüberschaubar vielfältige Kirchen – Welt fast aller nur denkbaren Konfessionen mit einem stetigen zahlenmäßigen Wachstum. Vor allem Christen evangelischer Herkunft genießen die Religionsfreiheit und gründen ihre eigenen afrikanischen Kirchen, oft im Gegensatz zu den „etablierten“ europäischen Konfessionen in Afrika (Lutheraner, Anglikaner etc…) Dabei werden sie auch von Missionaren sogar aus Süd-Korea unterstützt, selbst die russisch – orthodoxe Kirche missioniert nun verstärkt in Afrika, unterstützt von Putin und seinem Getreuen Patriarchen Kyrill von Moskau. LINK

9. Afrikaner befreien sich vom Kolonialismus und gründen eigene Kirchen
Schon seit 1880 werden unabhängige evangelische Kirchen in Afrika von Afrikanern gegründet und aufgebaut. Bei der Gründung war ein antikolonialer Impuls entscheidend. „Klassisch“ nennen Beobachter etwa die etwa 20 Millionen Mitglieder zählende Kirche der „Kimbanguisten“. Seit 1970 gibt es einen förmlichen Boom von Afrikanischen Pfingstkirchen, gegründet und geleitet von Afrikanern. Eine Forschungsgruppe der Humboldt-Universität Berlin hat mitgeteilt: Zu diesen „African Initiated Churches“ „gehört etwa ein Drittel der afrikanischen Christenheit an“. Sie haben inzwischen einen „Dachverband“ mit über 270 unabhängigen Kirchen aus allen Teilen Afrikas südlich der Sahara, mit „über 60 Millionen Mitglieder“, wie die Forschergruppe um Prof. Wilhelm Gräb (+2023) mitteilt (Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung). Diese postkolonialen Pfingst – Kirchen wollen afrikanische Traditionen mit ihrem Glauben verbinden, etwa die körperliche Heilung durch Gebet und Handlauflegung… Auch diese von Afrikanern gegründeten Kirchen setzen entschieden auf ein wortwörtliches Verstehen der biblischen Texte, so soll die geistliche „Wiedergeburt“ befördert werden.

10. Wenn afrikanische Kirchen in die Irre geführt werden….
Einige dieser Kirchen vertreten durchaus inhuman zu nennende Überzeugungen und religiöse Praktiken, so dass ein kenianischer protestantischer Theologe, Prof. Eale Bosela Ekakhot, jetzt von „irreführenden Theologien“ in Afrika spricht: „Solche Praktiken sind etwa die Aufforderungen von afrikanischen Predigern an die Gemeinde, Gras zu essen, die ein Prophet als von Gott offenbarte Eingebung als Nahrung erklärt oder … im Namen des Glaubens Bleichmittel zum Abendmahl zu trinken, weil dies der Evangelist Markus angeblich gelehrt hat.“
Der Theologe weist auch auf die Beliebtheit des neu erfundenen „Wohlstandsevangelium“ hin als einer international verbreiteten „irreführenden Theologie“. Eine Theologie also, die in die Irre (d.h. in den Wahn) führt und deswegen selbst irre ist! Prof. Eale Bosela Ekakhot weist also auf das „Wohlstandsevangelium“ hin, das auch in Afrikas blühenden Pfingstkirchen verbreitet wird mit der Lehre: Wenn du ökonomisch erfolgreich bist und dann sehr reich wirst, dann ist dies ein Zeichen der Gnade Gottes. Reich wirst du aber nur, wenn die viel Geld dem Pastor und der Gemeinde spendest, dann kommt schon die göttliche finanzielle Belohnung eines Tages… In Nigeria kann man den Boom dieser materialistischen, geldgierigen Erfolgskirchen erleben, riesige Kirchengebäude in luxuriösen Anlagen, Wohnungen für die wohlhabenden Pastoren und so weiter.

11. Die vielen afrikanischen Kirchen
Gegen den Wahn von irreführenden Theologien/Sektierern und entsprechenden Kirchen helfen nicht nur rationale theologische Argumente auch der historisch-kritischen Exegese, sondern entscheidend sind philosophische Argumente mit der damit verbundener Geltung der Menschenrechte. Nur diese stehen als Kriterien für wahr oder falsch in den Religionen zur Verfügung, sie gelten mehr als die religiösen und konfessionellen Lehren und Meinungen, als die „irreführenden Lehren“ allemal. Das ist der entscheidende Aspekt, der oft vernachlässigt wird: Die allgemeinen universal geltenden Menschenrechte der philosophischen Vernunft stehen ÜBER allen konfessionellen Einzellehren…das wollen leider die meisten Kirchenführer etc. nicht akzeptieren.
Man muss also in aller Deutlichkeit wahrnehmen: Das afrikanische Christentum ist in postkolonialen Zeiten ziemlich unübersichtlich und sehr spontan in der Neigung, „irreführenden Lehren“ auszudenken oder luxuriöse Kirchengemeinden zu installieren inmitten von großem Elend.
Kirchliche „Konferenzen“, also Zusammenschlüsse der verschiedenen Kirchen in Afrika, wie die AACC, die Allafrikanische Kirchenkonferenz (Fußnote 3) wollen die unüberschaubare Vielfalt der sich protestantisch bzw. evangelisch bzw. pfingstlerisch nennenden Kirchen bündeln und zu einem kritischen Bewusstsein führen..
Auf der anderen Seite gibt es auch viel Einsatz von Pastoren und Nonnen an der „Basis“ zugunsten der Leidenden, jener also, die wegen der Verletzung der Menschenrechte durch die meist autoritären, diktatorischen (oft sich christlich nennenden) Regime kaum Lebenschancen haben.

12. Katholische Kirchen von Afrikanern gegründet
Auch im Katholizismus von Afrika gibt es trotz der üblichen zentralistischen Kontrolle und Überwachung durch den Vatikan (man denke an die Nuntien) beachtliche Beispiele, tatsächlich unabhängige katholische Kirchen aufzubauen.Bedeutend, aber in Europa kaum bekannt ist die Kirche „Legion Maria“, sie wurde gegründet in Kenia, ist aber auch in anderen Ländern mit insgesamt drei Millionen Mitgliedern vertreten. (PS: Der Name „Legion Maria“ darf nicht mit einer römisch-katholischen Laien-Bewegung gleichen Namens verwechselt werden!). LINK. (FUßNOTE 4).
Diese vom Papst unabhängige Kirche hat über 3 Millionen Mitglieder. Auch sie legt wert auf Erfahrungen des heiligen Geistes, auf Verbindungen mit den Ahnen, auf spirituelle Heilung, Abschaffung des Zölibates usw. Wichtig ist ihre Lehre, dass der Messias Jesus Christus ein Afrikaner ist. Ein Europäer, wie die gesamte christliche Ikonographiein Europa nahelegt, war der Mann aus Nazareth auf gar keinen Fall.
Auch der von Rom exkommunizierte Bischof Emmanuel Milingo (geb. 1930 im damaligen Nord-Rhodesien) gründete eine eigene, Rom – unabhängige afrikanische Kirche, in der Priester heiraten dürfen… Das ist typisch: Die sich von Rom befreienden Kirchen schaffen das Zölibatsgesetz für Priester ab.

Auch in Lateinamerika wurden rom-unabhängige katholische Kirchen gegründet, auch dies eine Tatsache, die in offiziellen römisch-katholischen Medien Europas fast keine Beachtung findet. Wichtig ist etwa die „Brasilianisch-katholisch-apostolische Kirche“, gegründet von dem römisch-katholischen Bischof Carlos Duarte Costa /1888-1961). Er gründete die Brasilianisch- katholische Kirche im Jahr 1945 und weihte als ursprünglich römisch-katholischer Bischof andere Priester zu Bischöfen, die sich nun – rein rechtlich gesehen gemäß der vatikanischen Rechtsprechung – in der apostolischen Sukzession befinden… Auch diese Kirche ist gegen das Zölibatsgesetz, die Messen werden seit Anbeginn auf Portugiesisch gefeiert….diese Kirche zählte im Jahr 2010 560.000 Mitglieder in 26 Bistümern. LINK

13. Afrikanische Theologie und Jesus als Schwarzer Weisheitslehrer
Trotz der genannten Versuche von afrikanischen Katholiken, rom-unabhängige katholische Kirchen zu gründen, ist der afrikanische Katholizismus doch typisch zentralistisch strukturiert und deswegen noch „überschaubar“ .
Am Beispiel des Katholizismus lässt sich das Drama andeuten, das die Mission, also die Verbreitung des nun einmal europäisch geprägten Christentums verursacht hat: Es ist die Übertragung des europäischen Glaubens und vieler in der Glaubenswelt des Judentums und der griechischen Philosophie (Paulus) formulierter Dogmen in eine kulturelle und religiöse Welt von Menschen, die von all diesen Lehren und Mythen wahrscheinlich noch nicht einmal zu träumen wagten. Die sich aber dann der europäischen Religion der eher unsympathischen Kolonisten anschlossen, auch weil die Kolonialherren die Konversion wünschten und die Missionare als Beleg für die Kraft des neuen Gottes Schulen bauten und Kliniken gründeten… Was die Neubekehrten, nach einem kurzem Unterricht des römischen Katechismus, vom europäischen Christentum dann wertvoll fanden, sei dahin gestellt. Aber: Was haben denn die brutalen europäischen, christlichen Kolonialherren vom Evangelium verstanden, wo diese doch schon seit Jahrhunderten in einer so genannten „christlichen Welt“ leben ?
Wirklich erstaunlich bleibt: Viele getaufte Sklaven aus Afrika haben vor allem die Geschichten vom Exodus aus dem Alten Testament schätzen gelernt und dann in Amerika immer noch als Sklaven in ihren „Spiritual ihren Widerstand ausgedrückt. (Quelle: James Cone, „Die Bedeutung Gottes in den schwarzen Spiritual“, Concilium , 1981, S 214ff.). Die Exodus-Geschichte des Alten Testaments hat ja dann auch für die lateinamerikanischen Befreiungstheologen eine wichtige Rolle gespielt.

14. Katholische Bischöfe gegen Homosexuelle
Es ist ein typischer Ausdruck für das unkritische, gehorsame Festhalten an der moralischen Botschaft der ersten europäischen Missionare, wenn heute katholische Bischöfe Afrikas, wie die Missionare damals, Homosexualität als eine schwere Sünde verstehen, die mit Hilfe des Staates ausgerottet werden muss. Dies gilt etwa für Uganda. Auch in der anglikanischen Kirche Afrikas ist diese sich Theologie nennende Ideologie verbreitet…Die Verteufelung von Homosexuellen hat übrigens in vielen afrikanischen Kulturen VOR der Kolonisierung/Missionierung keine Bedeutung gehabt.

15. Kritische Theologen
Gegen ideologische Verengung theologischen Denkens im globalen Süden wehrt sich eine internationale ökumenische progressive TheologInnen-Initiative mit dem Namen EATWOT: Ecumenical Association of Third World Theologians. An Beispiel dieser bemerkenswerten Initiative wird die tiefe theologische Spaltung im globalen Süden deutlich, zwischen eher fundamentalistisch – frommen Denkformen und kritischen, auch befreiungstheologisch inspirierter kritischer Forschung. LINK   

16. Ein Intermezzo
Einige europäische Missionare hatten spätestens um 1960 das richtige Gefühl, dass sie eigentlich eine fremde religiöse Welt den Afrikanern aufdrängen. Und sie erfanden gewisse Formen der „Anpassung“, die natürlich problematisch waren.
Ich erinnere an die so genannte „Missa Luba“ von Katholiken aus Belgisch-Kongo, sie sangen 1957 die allgemeinen liturgischen Gesänge der katholischen Messe, auf Latein natürlich (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei), mit Trommel-Klängen unterlegt, so dass die ungebildeten Katholiken in Europa beim Hören der Schallplatte verzückt staunten: Was singen doch diese braven ehemaligen Heiden für schöne lateinische Messgesänge mit ihren exotischen Trommeln. Und das Ganze wurde von den Herren der Kirche dann als Beispiel für die Anpassung des Katholizismus an afrikanische Kulturen verkauft. Aber diese Komposition war letztlich Ausdruck für ein Gefühl, dass der Export des römischen Kirchensystems inclusive der selbstverständlich lateinischen Sprache in der Messe für die Menschen in Afrika auch eine Art Entfremdung sein kann.
Man stelle sich vor, afrikanische Knaben mussten als Messdiener lateinische Gebete auswendig lernen, damit der Priester seine Messe korrekt „lesen“ konnte.
Inzwischen hat der Vatikan nach langem Streit mit kongolesischen Katholiken die Messe im so genannten „Zaire – Ritus“ erlaubt, in der etwa sanfte Tanzschritte in der Messe erlaubt sind, das Lateinische keine Rolle mehr spielt, aber selbstverständlich der Priester gegenüber den Laien die dominante Figur ist. Es ist eben die Messe in der vorgeschriebenen römischen Liturgie-Form, die da gefeiert wird, auch wenn die Gläubigen in den Kirchen (im europäischen Stil errichtet) hin und her laufen und … Halleluja jubeln…

17. Gibt es afrikanische Christentümer?
Etliche katholische Theologinnen des globalen Südens, auch in Afrika, versuchen seit einigen Jahren, sich von den kolonialen Prägungen der europäischen Missionare zu lösen. Ihr zentrales Programm heißt INKULTURATION, also „Einpflanzung“ des katholischen Glaubens in den unterschiedlichen Kulturen mit vollem Respekt für den Wert dieser sich immer weiter entwickelnden Kulturen. Dabei stellen sich brisante Fragen, die manche europäischen Theologen kaum auszusprechen wagen: Etwa: Wie stark müssen sich afrikanische Christen an die vielen Bücher des Alten Testaments binden? Ist die gesamte und genaue Kenntnis des Alten Testaments wirklich jedem afrikanischen oder asiatischen Christen zumutbar? Welche Bedeutung auch im Gottesdienst können Weisheitslehren und Mythen der Afrikaner oder Japaner oder Chinesen haben? Welche Bedeutung hat dann Jesus von Nazareth? Er ist Jude, das ist gar keine Frage, aber vielleicht doch auch als Mensch ein Weisheitslehrer, der über die Gesetze des damaligen Judentums hinausgewachsen ist… Warum sollte es also für Afrikaner oder Japaner und Chinesen theologisch so problematisch sein, Jesus von Nazareth als einen menschlich ungewöhnlichen Weisheitslehrer zu verstehen und zu verkünden und ihm als solchem zu folgen? Oder: Müssen römisch – katholische Priester auch in Afrika oder anderswo auf das Zölibatsgesetz verpflichtet werden, wo Anthropologen wissen, dass diese Verpflichtung nicht nur ein kultureller Wahnsinn für Afrikaner ist, sondern auch eine ziemlich totale humane Überforderung darstellt. Keine offizielle Statistik in Rom sagt übrigens, wie viele Priester in Afrika oder Lateinamerika de facto verheiratet sind usw…Die Bischöfe wissen das und dulden das, solange es sich nicht bis nach Europa herumspricht. Und der sexuelle Missbrauch durch Priester in Afrika wird auch langsam Thema in Afrika selbst und darüber hinaus. Dramatisch auch die Vergewaltigungen katholischer Nonnen in Afrika, Indien unsw.  durch dortige Priester…  LINK.    Und eine NEUE STUDIE:  LINK

18. Inkulturation
Es ist schon erstaunlich, dass der katholische Priester und Theologe Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo in der Zeitschrift CONCILIUM (2006) einen grundlegenden, weiter führenden Vorschlag zum schwierigen Thema „Inkulturation“ der katholischen Glaubenslehre und des afrikanischen Christentum macht. Der Vorschlag entspricht dem von uns unter Nr. 17 Gesagten…
Erstens:
„Die Kirchen Afrikas können keine Nachahmungen oder beglaubigte Abschriften der Kirchen Europas sein.“ (S. 435). Sondern: Sie müssen das Christentum zusammen mit ihrer Kultur ausdrücken.
Zweitens:
Dabei wird die aus Europa überlieferte Lehre, also „das angeeignete Gut, notwendig verändert“ (436).
Drittens:
Und die Afrikaner müssen sich fragen: Was ist das Wesen der Botschaft Jesu von Nazareth, die sie respektieren wollen als Inspiration für ihre Lebensgestaltung. „Es geht um den Kampf für die Lebensqualität in Afrika“ (439). Es geht also um ein praktisches, ethisches Programm zugunsten der Armen in Afrika, d.h um einen Kampf gegen die Mächte der Unterdrückung. “Es geht um einen Kampf gegen alle Hochstapler und Bestien, die in diesen Zeiten das Leben der Armen ersticken, niederdrücken, zertreten“ (ebd).
Mit anderen Worten: Für den afrikanischen Theologen Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo ist auch der katholische Glaube wesentlich und entscheidend eine ethische Haltung! Die Menschenrechte werden so zum zentralen Bestandteil des christlichen Glaubens!

19. Jesus und Ägypten
Der aus Kongo-Brazzaville stammende katholische Priester und Theologe Paulin Poucouta hat einen wichtigen Aufsatz publiziert mit dem Titel „Die Erforschung des historischen Jesus in Afrika“ (CONCILIUM, 2006, s. 423 ff.). Er zeigt u.a.: Afrikanische Christen beziehen die Gestalt Jesu Christi auch auf die ägyptischen religiösen Traditionen. Das Thema wird oft als „esoterisch“ belächelt. Der Ausgangspunkt für diese Christen ist: Wie ist der im Neuen Testament erzählte Aufenthalt Jesu und seiner Familie in Ägypten zu verstehen (bei der „Flucht der heiligen Familie nach Ägypten“). Hat Jesus und seine Familie – den biblischen Mythos etwas vertiefend – in Ägypten religiös irgendetwas gelernt?
Vor allem ist die Frage entscheidend:.Ist ein afrikanischer schwarzer Christus mehr als eine künstliche Konstruktion? Wie anders denn als Afrikaner können sich afrikanische Katholiken denn Jesus als den Christus vorstellen? Damit wird Jesus mit den Kulturen Afrikas verbunden: Jesus wird dann logisch zum schwarzen Christus. Warum sollen solche Überlegungen häretisch sein? Wie haben denn die Germanen Jesus als ihren Christus gedacht? Als germanischen Fürsten. Wie haben Jesuiten ihren Jesus den gebildeten am Hof des Kaisers verständlich machen können? Jesus als den Weisheitslehrer. Die Philosophen Europas im 18. Jahrhundert waren von den Forschungen der Vorschlägen der Jesuiten zu dem Thema begeistert, etwa auch Leibniz.(Fußnote 5)

20. Spannungen im Katholizismus
Mit viel Mühe und nicht ohne Widerstand aus Europas Kirchen lösen sich Christen im globalen Süden heute aus der Last der kolonisierenden Mission von einst. Im evangelischen Bereich nehmen sich die Christen unbefangener ihre Freiheit, ohne weiteres ihre Kirchen zu gründen.
Die Sehnsucht nach einem eigenständigen Afrika-Katholizismus, der diesen Namen verdient, ist zwar lebendig, zumal sich auch Frauen, zumal Ordensfrauen, als Theologinnen qualifiziert und kritisch zu Wort melden, wie etwa die Ordensfrau Josée Ngalula aus Kinshasa, sie gehört sogar der Internationalen Theologischen Kommission de Vatikans an. LINK

Andererseits ist der katholische Zentralismus mit seiner Fixierung auf einen Wahl-Monarchen, den Papst, doch noch eine Art fortdauernder theologisch kolonialer Last, es gibt ja Vorschläge, den einen Papst durch mehrere Patriarchen zu ersetzen, einer könnte dann in Afrika leben und katholisches Leben inspirieren… Aber noch sind viele afrikanische Bischöfe sozusagen päpstlicher als der Papst, man denke etwa an den aus Guinea stammenden Kardinal Robert Sarah. Er will als Afrikaner und ehemaliger „Heide“ unbedingt an der einmal gehörten, angeblich ewigen katholischen Wahrheit der europäischen Missionare rigoros festhalten. LINK 

21. Katholische Missionare (Priester, Nonnen) aus Afrika und Indien in Europa
Die einst Missionierten senden seit einigen Jahren Missionare nach Europa: Einige tausend katholische Priester aus Afrika, Indien, den Philippinen ersetzen europäische Priester in Frankreich, Deutschland, Holland, den USA, Kanada usw: Sie sollen dort Pfarrgemeinden leiten … und sie sind dabei oft beliebter als polnische Priester, die etwa in Deutschland in den Gemeinden eingesetzt wurden.
Aber diese Priester aus dem globalen Süden verlängern das klerikale System der Katholischen Kirche Europas auf verlängern. Denn eigentlich wäre es theologisch möglich, dass Laien die vielen europäischen Gemeinden ohne Priester leiten, natürlich auch Frauen und Ordensfrauen: Kompetente MitarbeiterInnen in Führungspositionen gäbe es, theologisch hoch qualifizierte Laien – Theologinnen etwa. Aber nein, die Bischöfe und der Papst wollen diese MitarbeiterInnen nicht in Leitungsfunktionen von Gemeinden haben, der Eucharistie vorstehen dürfen sie ohnehin nicht. Deswegen werden Priester aus den einstigen Missionsgebieten eingeflogen, sie erhalten meist ohne Probleme Aufenthaltsgenehmigungen, schließlich haben wir in Deutschland ein exzellentes Verhältnis zwischen Kirche und Staat…
Und die Europäer vergessen dabei auch, dass diese Priester eigentlich in Nigeria, Uganda, Kenia, Indien, auf den Philippinen usw. auch nützlich sein könnten. So erleben wir nun eine neue Phase eines katholischen Eurozentrismus. Der europäisch – klerikal Eurozentrismus soll gerade wegen der Vorrangstellung des Klerus in der Kirche unbedingt erhalten bleiben, deswegen werden Afrikaner und Inder usw. nach Europa und in die USA als Hilfspersonal entsandt. So kommt es: Die „Dritte Welt“ soll die „Erste Welt“, also die einstigen und auf andere Weise noch gegenwärtigen Kolonialherren, religiös retten…Mindestens im katholischen Bereich…

…………………………………………………….
Fußnote 1:
Marina Caffiero, Professorin für Moderne Geschichte an der Universita di Roma Sapienza, hat die Studie «Die Sklaven des Papstes» (Original «Gli schiavi del papa») veröffentlicht im Morcelliana Verlag 2022. „Das traurigste Resultat ihrer Studie ist der Umstand, dass die Päpste bis in die 1830er- und 1840er-Jahre Sklaven beschäftigen. Das heisst also bis weit nach der Verkündigung der Freiheitsideen der Französischen Revolution, als bereits alle anderen europäischen Staaten die Sklaverei abgeschafft hatten. Erst das Ende des grossen Territorialstaats der Kirche und die Staatseinigung Italiens Mitte des 19. Jahrhunderts beendeten die Sklaverei der Stellvertreter Christi auf Erden“. (Quelle: Thomas Migge, SRF 2 am 22.9.2022.

Fussnote 2:
Misleading Theologies, irreführende Theologien, sind ein Angriff auf die Menschenwürde und ein Missbrauch religiöser Sehnsüchte. Die Allafrikanische Kirchenkonferenz geht aktiv dagegen vor, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern dieser Irrlehren werden, berichtet die Theologin und Referentin im Evangelischen Missionswerk EMW Almut Nothnagle (April 2021): „Christi Blut, für dich vergossen.“ Wir kennen diese Worte, und wir verbinden sie vielleicht mit alten Backsteinkirchen, Tradition und spirituellen Erfahrungen. Aber nun stellen Sie sich vor, dass Ihnen der Pastor nach diesen Worten eine Flasche mit Bleichmittel überreicht. Das sollen Sie nun trinken… Wie bitte? Was für uns wie purer Wahnsinn klingt, war in Limpopo, Südafrika, leider Realität. Dort erklärte ein Pastor tatsächlich, dass er Bleiche in Jesu Blut verwandeln könne, so wie Jesus Wasser in Wein verwandelte. Er schüttete dann Bleichmittel aus einer Flasche in die Münder der Menschen in seiner Gemeinde.
Leider ist dies nur eine Geschichte von mehreren aus Afrika. Dieses Phänomen wird dort „Misleading Theology“ genannt, was man mit „irreführende Theologie“ übersetzen könnte. Misleading Theology kann auch als Blasphemie und Rechtfertigung für die Ausbeutung von Menschen und für ungerechte soziale Verhältnisse bezeichnet werden. Dies wird zu einem Angriff auf die Menschenwürde. Deshalb wird sie auch von der Mehrheit der Christen als Missbrauch der religiösen Sehnsüchte der Menschen abgelehnt.
Die Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) hat sich in zwei Konferenzen mit dem Erscheinungsbild einer irreführenden Theologie befasst. Dort haben sie die Schwachstellen in ihren Kirchen in Bezug auf Reichtum und Armut, Gesundheit und Heilung, Macht und Autorität, Geschlechtergerechtigkeit und unterschiedliche staatliche Regelungen aufgezeigt. Diese Schwachstellen haben das Aufkommen irreführender Theologien in Afrika gefördert. Bleichmittel zu trinken, ist nur ein extremes Beispiel. Ebenso dazu gehören laut AACC: das Wohlstandsevangelium, der Glaube, dass von bestimmten Zeichen und Gegenständen Heilkraft ausgeht, sexueller Missbrauch als eine Form von religiösem Fruchtbarkeitsritus oder Dämonenaustreibung und finanzielle Bereicherung von religiösen Führern.
All dies sind „Misleading Theologies“, und diese Theologien sind nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Mythen und religiöse Ansichten, die die Menschenwürde verletzen, sind schon lange verbreitet. Das Wohlstandsevangelium zum Beispiel hat seinen Ursprung in den USA und ist nun auch hier in Deutschland zu finden. Man findet dieses Phänomen auch in allen Religionen, aber zunehmend in den christlichen Kirchen, wo die neu entstandenen Gruppen den Rahmen der Kirchengemeinschaft sprengen.
Aber was kann dagegen getan werden? Die AACC hat beschlossen, dass alle ökumenischen Gemeinschaften und auch die Regierungen Mechanismen einrichten müssen, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern werden. Darüber hinaus müssen sich die Kirchen darauf konzentrieren, heilsame Lehren über Menschenwürde, Autorität, Gesundheit und Heilung, Reichtum und Armut sowie menschliche Sexualität zu vermitteln. (Almut Nothnagle, EMW Themenheft 2022, „Die vielen Gesichter Christi“, S. 15.)
Verirrungen gab in den Kirchen in Europa schon in der Frühzeit der Kirchen.
Die frühe Kirche hatte die Überzeugung, dass erst das blutige Martyrium die höchste christliche Tat und der beste Ausdruck für den christlichen Glauben sei. Es gab also die Tendenzen, „die uralte Religionsvorstellung von der Sühne (für die eigenen Verfehlungen, Sünden) durch Blut zu aktivieren, wie sie beispielsweise auch die Griechen und Israeliten gekannt haben“ (Prof. Arnold Angenendt ,in: „Heilige und Reliquien“, München 1997, S. 62). „Das im Martyrium vergossene Blut bezeichnet der Theologe Tertullian (gestorben 220) als Schlüssel zum Paradies. Und für den Kirchenlehrer Cyprian von Karthago (gestorben 258) ist das Martyrium die Bluttaufe,„erhabener in der Macht , preiswürdiger in der Ehre , eine Taufe, in der die Engel taufen…“ (a.a.O. 63) und so weiter … in dieser BLUT-Hymne, als Theologie getarnt, wird offenbar zur Ermunterung der Christen aufgerufen, sich in der Verfolgungszeit abschlachten zu lassen…
Ein anderes Beispiel: Die mittelalterliche Kirchenführung erlaubte es, den ADEL religiös besonders hoch zu respektieren und zu ehren. Dies tat die Kirchenführung im bewussten Gegensatz zur neutestamentlichen Lehre, etwa wenn Paulus schreibt, dass Gott nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme (mobiles) erwählt habe (1 Kor 1,26). Trotz dieser wesentlichen Gleichheit aller Christen im Neuen Testament „erweckte die mittelalterliche Kirche ganz den Eindruck einer Adelskirche, wie es auch Adelsklöster und viele Adelsheilige gab“, so der Historiker Arnold Angenendt in „Heilige und Reliquien“, a.a.O., S. 99).

Fußnote 3:
https://www.aacc-ceta.org/. All Africa Conference of Churches (AACC)
AACC is a continental ecumenical body that accounts for over 140 million Christians across the continent.
Founded in 1963, the All Africa Conference of Churches (AACC) is an ecumenical fellowship of 204 members comprising of churches, National Councils of Churches (NCCs), Theological and Lay Training Institutions and other Christian organizations in 42 African countries.

Fussnote 4:
The Legio Maria Church in an African:
Matthew Kustenbaude, Nova Religio: The Journal of Alternative and Emergent Religions, Volume 13, Issue 1, pages 11–40:
ABSTRACT: This article examines the Legio Maria Church of western
Kenya, a relatively rare example of schism from the Roman Catholic
Church in Africa. One of more than seven thousand African Initiated
Churches in existence today, it combines conservative Catholicism,
traditional religion and charismatic manifestations of the Spirit. Yet this
group is different in one important respect—it worships a black messiah,
claiming that its founder, Simeo Ondeto, was Jesus Christ reincarnated
in African skin. This article considers factors involved in the group’s
genesis as a distinct modern-day messianic movement, including: (1) the
need to defend and define itself vis-à-vis Roman Catholicism; (2) the
appropriation of apocalyptic ideas found in Christian scriptures and
their synthesis with local religious traditions; and (3) the imitation of
Jesus’ example and teaching to confront political and religious
persecution in a manner marked by openness, universalism and non-
violence. Eschewing Western theological categories for African ones,
this article draws upon internal sources and explanations of Legio
Maria’s notion of messianism and Ondeto’s role therein to illustrate
that, far from being a heretical sect, Legio may well represent a more
fully contextualized and authentically homegrown version of
Catholicism among countless other African Christian realities.

Fußnote 5:
Zwischen 1689 und 1714 führte der deutsche Philosoph und Lutheraner Gottfried Wilhelm Leibniz einen Briefwechsel mit einer Reihe von in China lebenden Jesuiten. Der Briefwechsel wurde in Latein und Französisch geführt. In den grünen Bänden der Philosophischen Bibliothek des Meiner Verlages ist dieser Briefwechsel jetzt zusammen mit einer deutschen Übersetzung erschienen. Eine Einführung von 130 Seiten informiert über die chinesischen Erfahrungen dieser Jesuitenmission, über den durch sie aufgeworfenen berühmt-berüchtigten Ritenstreit und natürlich über Leibniz’ chinesische Interessen. Leibniz setzte auf Globalisierung. Er wollte den Austausch nicht so sehr von Waren als vielmehr den von Ideen, von wissenschaftlichen Kenntnissen…
Gottfried Wilhelm Leibniz: Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689-1714), Felix Meiner Verlag Hamburg, 2006.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Pogromgedenken am Ort eines Organisators von Pogromen: An der “Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche”.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 6. November 2023.

Am 9.11.2023 findet ein ökumenischer „Gedenkweg“ in Berlin-Schöneberg und Berlin- Wilmersdorf statt, ein Gedenken an den November – Pogrom 1938.

Ausgerechnet an der „Kaiser – Wilhelm-Gedächtniskirche“ (voller Scham oft nur „KWG“ genannt) wird der Evangelische Bischof Dr. theol. Stäblein einen „Impuls“ sprechen, also an einer Kirche, die selbst mit einem Initiator und Unterstützer von Pogromen bis heute verbunden ist. Kaiser Wilhelm II., ein Kolonialherr (wie auch Kaiser Wilhelm I.), ließ diese Kirche “KWG” errichten. LINK.

Die Fragen sind:

Kann man an diesem belasteten Ort, an dieser Kirche mit diesem unwürdigen Namen, an den November Pogrom erinnern, OHNE auch bei dieser Gelegenheit an die Pogrome deutscher Kolonisten und Kolonialherren in Afrika zu erinnern? Mit vielen tausend Ermordeten und Verhungerten… man denke an die Morde an den Hereros in Südwestafrika und an den brutal niedergeschlagenen Maji-Maji Aufstand in Deutsch-Ostafrika.

Kann man an dieser Stelle, an dieser Kirche mit diesem belasteten Titel der Kolonialherren Kaiser Wilhelm I. und II., also, wie üblich reumütig und fromm, so ohne weiteres  an die furchtbaren Novemberpogrome 1938 erinnern, veranstaltet von Verbrechern, die zudem sicher getaufte Mitglieder einer Kirche waren, ohne dabei zu erklären:

„Diese Kirche KWG ist ihrerseits in ihrem Titel, durch ihren Bauherrn, furchtbar mit Pogromen christlicher Herrscher und übrigens den Chefs der evangelischen Kirche damals verbunden. Deswegen werden wir dieser “KWG” Kirche alsbald, wenn nicht sofort, einen neuen, einen humanen, einen christlichen Namen geben. Wir wollen als evangelische Kirche schließlich etwas glaubwürdig bleiben in unserer üblichen Kritik jetzt am Rassismus und Kolonialismus und an der Sklaverei. Wir wissen als Kirche, dass es von reaktionärer Seite dagegen Widerstand geben wird, aber in dieser Debatte haben wir die einzig richtigen Argumente.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Kaiser Wilhelm II. und der Genozid in “Deutsch-Südwestafrika”.

Ein Hinweis von Christian Modehn zur Bedeutung Kaiser Wilhelm II. im Völkermord der Deutschen Kolonialherren in Afrika.

1.

Wir haben in zahlreichen Beiträgen auf dieser Website gefordert, LINK, dass die bekannte “Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche” in Berlin (KWG genannt) endlich einen anderen, ein würdigen Namen erhält. Die Kirchenleitung sollte sich also endlich trennen von der Bezeichnung eines so genannten “Gotteshauses” mit einem Rassisten und Kriegstreiber. Die Forderungen blieben erfolglos, es gab noch nicht einmal irgendeine Reaktion auf unsere e-mails an entsprechende kirchenleitende Büros… Es ist die Angst der Kirche vor den heutigen Hohenzollern, die sich da äußert?  Das wäre wahrlich skandalös. Die Kirche spricht heute manchmal sehr erregt über die Schande des Kolonialismus, der Sklaverei etc., sie hat aber nicht die Kraft, für sich selbst als Kirche daraus sichtbare Konsequenzen zu ziehen… Dann müßte man auch das unselige Kirche-Staat-Bündnis (der Kaiser, König, als oberster Kirchenchef) aufarbeiten…LINK

2.

Die Veränderung des Namens dieser Kirche am Breitscheid-Platz in Berlin ist unabhängig davon, dass dieses Gebäude eigentlich an Kaiser Wilhelm I. erinnern soll. Aber der Beschluss zu diesem Titel kam von Kaiser Wilhelm II. Und im übrigens ist Kaiser Wilhelm I. auch keine so hervorragende, so heiligmäßige Gestalt, dass nach ihm bis heute ein evangelisches Gotteshaus benannt werden darf.

3.

Manche LeserInnen haben uns gefragt, ob denn Kaiser Wilhlem II. wirklich so kriegstreiberisch, so rassistsich war. Ich will nun auf ein Intervies hinweisen zum Thema Kolonialismus und Kaiser Wilhelm II., das im Humboldt Forum im Juni 2023 stattfand. Da gibt es eigentlich keinen Raum mehr für Zweifel. Denn die Worte Kaiser Wilhelm II. sind bekanntlich Taten…

Der Spezialist für dieses Thema, der Historiker Prof. Jonas Kreienbaum (F.U. Berlin), sagte im Gespräch mit Alfred Hagemann (Humboldt-Forum) am 8. Juni 2023:

„Ich glaube, dass der Kaiser im sprachlichen Bereich am deutlichsten zu dem sich entwickelnden Genozid beiträgt. Er ist berühmt dafür, sehr martialisch aufzutreten – auch sprachlich – und das berühmteste Beispiel ist die sogenannte „Hunnenrede“.
Im Grunde fordert er die Soldaten auf: Macht keine Gefangenen! Bringt alle um, auf die ihr trefft, was zumindest an der Grenze zu einer genozidalen Aufforderung liegt.
Ich glaube, dass solche Aussagen bei kolonialen Militärs den Eindruck erweckt haben, an allerhöchster Stelle wird brutales, wenn nicht sogar genozidales Vorgehen toleriert, sogar gewünscht. Und ich glaube, genau auf dieser Ebene trägt der Kaiser dazu bei, einen diskursiven Rahmen zu schaffen, der diesen Völkermord denkbar und dann ausführbar werden lässt.
Zweitens kann man hinzufügen, dass der Kaiser auf einer symbolischen Ebene stark in den Völkermord involviert ist. Ich glaube, das wird nirgends so deutlich, wie wenn wir uns den „Vernichtungsbefehl“ Trothas anschauen. Der unterschreibt ihn nämlich, und das ist kein Zufall, mit der Formel „Der große General des mächtigen deutschen Kaisers“. Diese Vernichtungspolitik wird also im Namen des Kaisers durchgeführt und das ist ganz typisch für den kolonialen Kontext, wo das Deutsche Reich immer wieder in der Person des Kaisers symbolisiert wird.“

Quelle: LINK  

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin   LINK  

Schweigen spricht. Eine philosophische Meditation.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Philosophisch meditieren bedeutet: In der Stille eine bestimmte Form unseres Lebens im Denken zu analysieren, vielfältige Dimensionen einer bestimmten Frage zu ordnen, um zu einem tieferen Verständnis zu kommen. Damit befreien wir uns durch eigenes Denken von Üblichkeiten (Zwängen) des Alltags. Philosophieren leistet dadurch einen Beitrag zur Lebensorientierung. Das ist ihr erster Zweck. Ihn zu pflegen in dieser ver—rückten Welt, ist dringend.

2.
Schweigen wird oft noch durch Worte eingeleitet: Zum Beispiel: „Ich bin sprachlos“. Oder auch nur: „Sprachlos!“. Ein Wort, das man oft auf Todesanzeigen lesen kann.

3.
Was ist gemeint, wenn ich sage: „Mir fehlen die Worte“: „Ich kann keine Begriffe finden, die das Ereignis ausdrücken und in ein Gespräch führen können“. „Das Ereignis fällt – momentan – aus dem Horizont meines begrifflichen Denkens. Das Ereignis ist größer als mein Verstehen und Denken“.

4.
Ich verstumme also, gewissermaßen aus Unfähigkeit, in dieser Situation noch verbal zu sprechen: In der Literatur und in Alltagserfahrungen, wie in Krankheit oder im Krieg, gibt es viele Beispiele von Menschen, die für lange Zeit verstummen. Sie machen sich noch die Mühe des Überlebens, aber sie sagen kein Wort mehr. Aber ihr bloßes verstummtes Dasein spricht, hat Bedeutungen…

5.
Schweigen spricht: Das heißt: Die Haltung des Schweigens wird von anderen nicht nur wahrgenommen, sondern gedeutet, etwa: bedauert oder als Arroganz zurückgewiesen. Schweigen ist für den Schweigenden immer ein Tun des Sich – Äußerns. Schweigen ist eine Äußerung ohne Worte. Der Schweigende schreibt noch, er geht spazieren, er pflegt seinen Garten, er meditiert..

6.
Beide Möglichkeiten des Sich-Äüßerns, das verbale Sprechen wie das Schweigen, sind immer mehrdeutig: Der verbal Sprechende kann Lügen verbreiten, der Schweigende kann die Haltung seines schweigsamen Erschüttertseins nur vorspielen. Der viel Redende kann viel Unsinn sprechen. Der in Gesprächsrunden nur dasitzende Schweigende kann Nachdenklichkeit oder intellektuelle Überlegenheit nur vortäuschen. Das „authentische“ verbale Sprechen und Schweigen zeigt sich als solches erst im Rückblick. Kommunikation ist immer ein Risiko der Wahrheit.

7.
Schweigen bleibt also eine Form des Sprechens, also des Sich – Äußerns, und es steht auf einer Ebene mit dem verbalen Sprechen. Verbales Sprechen und Schweigen sind gleich viel wert.

8.
Und vor allem: Verbales Sprechen und Schweigen sind miteinander verbunden. Schweigen hat seinen Ort in der Stille, in der Ruhe, in der Einsamkeit.
Deswegen wird im Schweigen reflektiert, nicht nur über das eigene Leben und die Welt im ganzen, sondern auch über die Qualität der sprachlichen Rede, der eigenen wie der Rede der anderen.

9.
Schweigen im zeitlich begrenzten Rückzug in die Stille macht die dann folgende eigene Rede erst wertvoll. Um über das Wetter zu plaudern, braucht es nicht den Rückzug in die Stille des Schweigens. Wer aber sich selbst mitteilen will, wer versucht, Aspekte der Welterfahrung oder der Kunst oder des Lebens und Liebens auszusagen, muss vorher die Stille des Schweigens erlebt haben. Gibt es noch ein Gespür dafür, dass sich einige Menschen, Dichter, Künstler, Philosophen, Mystiker, Musiker, “aus der Erfahrung des Schweigens” äußern, sprechen?

10.
Die permanenten verbalen Äußerungen von Politikern zu „allem Möglichen“ werden deswegen so schnell vergessen, weil sie eher der Welt des Geredes als der Welt der reflektierten Argumente angehören. Demokratische Politiker plaudern zu viel und erklären zu wenig die Bedingungen des Lebens in der Demokratie. Rechtsextreme Politiker und Diktatoren lügen permanent, finden aber Dumme, die den Blödsinn glauben.
Viele der ständigen Talkshows sind oft nur Shows von Journalisten und Politikern, denen es eher um ihr Ego und ihre Karriere geht als um die Erschließung von Wahrheiten, auch von unbequemen Wahrheiten. Diese werden aus taktischen Gründen der Karriere oft verschwiegen.

11.
Ein philosophischer Vorschlag: Es sollte überhaupt nicht als peinlich gelten, wenn sich TeilnehmerInnen von Gesprächsrunden Momente des Schweigens erlauben. Also Momente, in denen möglicherweise besser nachgedacht werden kann als in dem permanenten Gerede und polemischen Aufeinander-Einreden.
Das gemeinsame Schweigen sollte jeder und jede aushalten und als Chance wahrnehmen, wieder ins eigene kritische Denken zu finden. Nichts ist störender, wenn einzelne die Stille der Pause durch verlegenes Gequatsche überbrücken wollen.

12.
Schweigeminuten, von Regierungen manchmal verordnet, heißen oft auch „Gedenkminuten“. Die Verbundenheit von Schweigen und Denken wird da einmal mehr betont, wenn auch diese offiziellen Schweigeminuten meist nur oberflächlich als „Pflichtübungen“ hingenommen werden.

13.
Aber es ist für eine Philosophie als Form der Lebensgestaltung alles andere als oberflächlich oder sogar albern, auch „Schweigeminuten“ als spirituelle Praxis den einzelnen anzuempfehlen. Aus fünf Minuten Schweigen kann dann auch eine Viertelstunde werden, in denen der einzelne in Stille dasitzt und schweigt, die vielen Gedanken vertreibt und vielleicht nur einen wichtigen Gedanken bedenkt, etwa als Beitrag für ein künftiges Gespräch.
Ohne konkrete Vorschläge bleibt alles Philosophieren als Lebenshaltung abstrakt…Ganz andere Vorschläge sind aber für Menschen notwendig, die lange Zeit allein leben und oft tagelang mit niemandem sprechen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die einen permanent reden, um nicht zu sagen quatschen (vor allem über die so genannten sozialen Netzwerke) und viele andere, die ins Verstummen abgedrängt sind, die Alten, die Kranken, die Flüchtlinge in ihren Notunterkünften….

14.
Schweigt Gott?

Diese Frage sollte in einem „religionsphilosophischen Salon“ nicht fehlen. Eine schwierige Frage. Wir meinen: Gott als Gott, also der Ewige, der Absolute, wie auch immer man die klassischen Gottes -„Namen“ wählt, kann gar nicht sprechen und auch nicht schweigen. Er ist weder ein Ding noch ein Mensch. Einige fromme Menschen fühlten sich aber berufen, ihre religiöse Lebenserfahrung in Büchern, Bibel, Koran, niederzuschreiben und diese ihre Texte dann als Gottes Wort auszugeben.
Aber es kann gar nicht Gott als Gott sein, der da in diesen Büchern, in diesen Texten spricht. Es sind religiöse Menschen, die da ihre immer diskutablen religiösen oder moralischen Überzeugungen mitteilen. Und ihre Äußerungen für Gottes Wort halten und so “verkaufen”. Die Macht des Klerus in allen Religionen bedient sich dieser Behauptung, “Gottes Wort” als solches zu besitzen. So entsteht in allen Religionen gewalttätiger Fundamentalismus.

15.
Wenn überhaupt eine „absolute“, eine von Menschen nicht manipulierbare Wirklichkeit  wahrnehmbar ist im Leben, also „spricht“, dann nur im Gewissen eines jeden. Dort zeigt sich ein absoluter Anruf, der vom Menschen nur mit innerer Gewalt „abzuschalten“ ist.

Was hört da jeder Mensch?: „Handle so, dass die Maxime deines Handelns auch allgemeines Gesetz für alle Menschen werden kann.“
Diese einfache , schwache „Sprache“ eines Absoluten im Gewissen ist machtlos, sie überlässt sich der freien Antwort der Menschen. Und die Menschen überhören oft diese „Sprache“, ziehen das alltägliche Gerede und Geplapper vor – so meinen sie, ihren Egoismus als Grundoption ihres Lebens am besten kaschieren zu können. Das Gewissen verstummt dann irgendwann und die Unvernunft beginnt ihre – auch politische – Herrschaft.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die Herrschaft von Wahn und Aberglaube in einem polnischen (schlesischen) “Heil-Ort”

Über den Roman “EMPUSION” von Olga Tokarczuk.  Von ihr eine „Schauergeschichte“ genannt.

Ein Hinweis von Christian Modehn und Hartmut Wiebus am 4.Okt. 2023

1.
Der neue Roman Olga Tokarczuks (Nobelpreis für Literatur 2018) hat den Titel „Empusion“, ein Wort, das sich auf Empusia bezieht, eine weibliche Spukgestalt der griechischen Mythologie und auf Symposion, also das Treffen der alten Griechen zum Umtrunk. Der Untertitel des Buches: „Eine natur(un)heilkundliche Schauergeschichte“.

2.
Dass „Schauergeschichte“ hier nicht im Sinne eines „Gruselromans“ zu verstehen ist, muss wohl nicht betont werden. Es ist ein Roman, der – vor dem 1. Weltkrieg – in dem schlesischen Lungen-Heil-Ort Görbersdorf angesiedelt ist. Dort wird eine Clique alter kranker, ewig parlierender Männer vorführt: So wurden bei manchen Kritikern Assoziationen geweckt an Thomas Manns „Zauberberg“. Aber diese Verbindung muss man nicht vertiefen, sie ist überhaupt nicht zentral.

3.
Entscheidend ist es wahrzunehmen, dass in diesem Lungen-Heil-Dorf das Unheil anwesend ist und zwar gewalttätig. Da gibt es einerseits die uralte, zwanghafte auch religiös gefärbte Volkstradition der Dorfbewohner im Verbund mit den im Wald lebenden Köhlern: Immer im November einen Mann in den Wald zu entführen und ihn dort abzuschlachten. Das ist wie eine Art Selbstverständlichkeit! Dadurch soll offenbar der Natur ein Opfer dargebracht werden. Von diesem Wahn des Mordens und Opferns können sich die Bewohner nicht lösen. Sie sind zwanghaft besessen.

4.
Zwanghaft denken auch die älteren Männer, die im Sanatorium von ihrer Lungenheilkrankheit geheilt werden wollen. Sie sind auch geistig krank, total verdorben in ihrem immer wieder öffentlich in „geselliger Runde“ artikulierten Hass auf „die“ Frauen: Sie gelten als Geschöpfe zweiter Klasse, zu Hilfsdiensten bestenfalls geeignet und als Gebärende und Hausfrauen wichtig … und als „Nutten“. Die übelsten Beschimpfungen auf Frauen werden von diesen kranken Männern geäußert in den Stunden der Langeweile, die sich immer mit mehreren Gläsern Schnaps versorgen. Und der Schnaps hat den bezeichnenden Titel „Schwärmerei“, so werden die Schleusen des Unbewussten geöffnet, es wird tiefsitzende, kulturelle Schmutz, den Frauenhass, herausgespült. Die Herren beginnen zu „schwärmen“ und geistig wegzuschweben… Und keiner wehrt sich dagegen oder hat gar ein schlechtes Gewissen.

5.
In dieser Gesellschaft, beherrscht von einem doppelten Wahn (Tötungsritual und Frauenhass), ist die Hauptperson der junge polnische Student Mieczyslaw Wojnicz. Er leidet nicht nur unter Lungenbeschwerden, er fühlt sich total ausgegrenzt, weil sein männlich wirkender Körper bei näherer Betrachtung (also nackt) weibliche Geschlechts-Identitäten aufweist. Diesen besonderen, eher seltenen Status seines Körpers kann der junge Student überhaupt nicht akzeptieren, er schämt sich und ist dabei verzweifelt. Erst der psychoanalytisch gebildete Arzt in der dortigen Klinik hilft ihm, das eigenen Anderssein anzunehmen, nicht als Last irgendeiner Behinderung, sondern als normalen Ausdruck für die Vielfalt menschlichen Daseins. Auf Seite 341 finden sich großartige Worte des modernen Arztes mit dem bezeichnenden Namen „Doktor Semperweiss“. Es sei normal, dass es Menschen außerhalb der üblichen Schwarz-Weiss-Einteilungen gibt“, Menschen „in der Welt des Dazwischen“. Aber absolut gleichwertig!

6.
Der Doktor befreit den jungen Studenten von den falschen Ideen des „ausgegrenzten, kranken Anderen“, Wahn-Ideen, die die herrschende Gesellschaft ihm einimpfte. Und denen er bisher gehorsam folgte…
Aber Schlimmes muss der junge Mieczyslaw Wojnicz nach seiner seelischen Befreiung noch überstehen: Er wurde von den wahnsinnigen Dorfbewohnern im Verbund mit den Köhlern ausersehen, als November-Opfer abgeschlachtet zu werden. Nur eine Art Naturwunder rettet den jungen Mann, kurz vor der Tötung und Zerstücklung im Wald: Die mordenden Köhler, der Natur als Gewalt gegenüber gläubig, fliehen vom Ort ihrer Untat und lassen das überlebende Opfer zurück.

7.
Ins Gästehaus der Patienten zurückgekehrt, sucht sich der junge Mann neue Kleider: Er findet sie in den Schränken der verstorbenen Gattin des Gästehaus-Chefs (war es Tod durch Suizid oder Mord?). Er probiert also Schuhe, Wäsche, Kleider …. alles passt: Mieczyslaw Wojnicz kann sich auch äußerlich eine neue Identität zugelegten. Er ist von jetzt an Klara Opitz. Als Frau verlässt er/sie an Seele und Leib geheilt das Dorf des Unheils.

8.
Man sollte den Roman „Empusion“ lesen als Plädoyer für die Rechte der sexuellen Diversität. Und das ist zumal im heutigen Polen alles andere als selbstverständlich, bei der reaktionären, katholisch-nationalistisch geprägten PIS-Regierung gilt nur das Gesetz: entweder Mann oder Frau, selbst Homosexuelle haben in diesem verrückten System der polnischen PIS Leute keinen Platz. Und dieses Polen gehört zur EU, erhält Milliarden von der EU und kann inhumane Praktiken und Ideologien im eigenen Land verbreiten. Man bedenke, dass Polen das unerhörteste, rabiateste Anti-Abtreibungsgesetz der Welt hat. Die Pro-life Katholiken jubeln, etwa im Umfeld des reaktionär antisemitischen katholischen Medien-Imperiums Radio Maryja.
Wie viel Wahn hat der katholische Glaube etwa in Polen erzeugt: Die heilige Jungfrau Maria wird tausendfach verehrt, aber den Frauen in Not wird jede Hilfe und jede Selbstbestimmung verweigert. Was ist das für eine Kirche, was ist das für ein sich christlicher nennender Glaube? Wagt der Papst, diesen machtvollen Club polnischer PIS Katholiken öffentlich zu verurteilen? Dies ist uns nicht bekannt.

Olga Tokarczuk, Empusion. Eine natur(un)heilkundliche Schauergeschichte. Kampa Verlag, 383 Seiten,

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus, Religionsphilosophischer Salon Berlin