Der unbekannte Comenius ist der Theologe Comenius

Das neue Buch von Manfred Richter
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Keine Frage: Jan Amos Komensky ist nicht nur ein bedeutender Intellektueller Tschechiens. Er ist unter dem Namen Comenius weltweit bekannt als ein bis heute inspirierender Pädagoge, deswegen gilt er als „Lehrer der Völker“. Comenius lebte von 1592 bis 1670, er wurde von den katholischen Habsburgern in seiner Heimat verfolgt, flüchtete nach Polen und in die Niederlande, in Amsterdam ist er gestorben. Er hat ein sehr umfangreiches Werk hinterlassen, und darunter zahlreiche theologische Studien, die stets mit seiner kirchlichen Praxis verbunden sind. Und darum geht es hier.
2.
Jetzt hat der Berliner Comenius-Spezialist, Pfarrer Dr. Manfred Richter, erneut in einem umfangreichen Buch einige seiner gründlichen Studien zu dem hierzulande eher unbekannten Theologen und Bischof der protestantischen „Brüderunität“ Jan Amos Comenius vorgelegt: Der Untertitel macht von vornherein die ökumenische Energie dieses tschechischen Theologen deutlich: “Ein Bischof fordert: Ökumene radikal“. Warum radikal? Weil Comenius überzeugt ist: Eigentlich könnten die unterschiedlichen, verfeindeten protestantischen Kirchen mit gutem Willen und in friedfertigem Geist zur Versöhnung finden. Dabei werden auch die spirituellen Verbindungen von Comenius mit dem großen böhmischen Reformator Jan Hus deutlich: „Die Gemeinsamkeit liegt in der Bereitschaft, auf Gott selbst sein Vertrauen zu richten, nicht auf die abgeleitete Autorität der Kirche, die freilich ihre gottgewollte Bedeutung behält“ (S. 39).
3.
Zuflucht fand der aus dem katholischen Böhmen vertriebene Comenius auch in Polen. Mit den damals dort dialogfreundlichen Katholiken suchte er das ausdauernde, geduldige Gespräch, etwa im „Religionsgespräch in Thorn“ im Jahr 1645. Dort forderte er als Weg zur Versöhnung mit den Katholiken ein universales Konzil. Darüber hat Manfred Richter ein eigenes Buch verfasst.
Nebenbei: Heute hat das katholisch reaktionäre, antisemitische Medienimperium Radio Maryja in dieser Stadt Thorn (Torun) seine Zentrale, die beste Stütze der PIS Regierung. Ob der Manager, der Redemptoristen-Pater Rydzyk, schon mal den Namen Comenius gehört hat?
4.
Für viele LeserInnen neu dürfte sein, dass auch der Philosoph Leibniz den Theologen und Pädagogen Comenius schätzte, was sich in seinem Abschiedsgedicht zu Ehren von Comenius etwa ausdrückte (S. 359). Auch zum Thema „Leibniz und Comenus“ bietet das empfehlenswerte Buch von Manfred Richter viele Informationen.
5.
Comenius konnte als ökumenischer Vermittler wirken, weil er das Dogma der damals starken und mächtigen Kirchen teilte, das Trinitäts-Dogma, also den Glauben an den dreifaltigen, dreieinigen Gott. An diesem Bekenntnis hielt Comenius unerschütterlich fest in den Auseinandersetzungen mit der kleinen kirchlichen Bewegung der Sozzinianer, benannt nach den italienischen Juristen und Theologen aus der Familie Sozzini: Sie wollten und konnten nicht anerkennen, dass Jesus von Nazareth als Gott und damit als eine zweite Person in der Trinität betrachtet wird. Die Sozzinianer fanden ebenfalls Zuflucht in dem damals toleranten Polen. Comenius begegnete ihnen, den „Anti-Trinitariern“, also. Manfred Richter spricht von „aggressiven Bekehrungsbemühungen“ seitens der Sozzinianer. Und er nimmt als Historiker selbst persönlich Stellung, wenn er die Sozzinianer Christen nennt, aber Christen in Anführungszeichen, so werden diese verfolgten anders denkenden Christen erneut verurteilt. Gut, dass wenigstens die niederländischen Remonstranten die Sozzinianer immer noch schätzen. Woher kommt denn diese Arroganz zu wissen, dass der arme Prophet Jesus von Nazareth zur zweiten Person der Gottheit erklärt werden kann. Geht es nicht auch einfacher? Muss man einen lebendigen Gott immer trinitarisch denken? Sicher nicht, Gott „nur“ als Geist verstanden ist auch immer schon als Geist lebendig.
Manfred Richter schreibt etwa, die Sozzinianer hätten „die komplexe religiöse Logik des Heilsgeschehens (was ist denn das?, CM) nicht nachvollziehen können und eine „plumpe Eindimensionalität vertreten“ (S. 229, Fn. 16). Die Sozzinianer hätten also nicht die (offenbar trinitarische?) Qualität der Texte der Bibel gekannt, behauptet er. Als würde es im Neuen Testament auch nur einen einzigen bescheidenen Hinweis geben auf das Trinitätsdogma! Dieses ist ein Produkt des 4. Jahrhunderts, unter allerhand politischem Druck zustande gekommen, was hier nicht vertieft werden kann.
Über die Sozzinianer hat sich treffend und richtig der Philosophiehistoriker Kurt Flasch geäußert in seinem neuen empfehlenswerten Buch „Christentum und Aufklärung“.
Auch die in dem Buch „Der unbekannte Comenius“ geäußerte Liebe zu dem Kirchenvater Augustin, dem Erfinder der ebenfalls unbiblischen Erbsündenlehre, wirkt befremdlich, dass christliches Leben ohne die Erbsünden-Ideologie möglich ist, kann man anderswo nachlesen, LINK.
Aber Manfred Richter zweifelt offenbar dann doch an seinem Bravour-Urteil gegen die Sozzinianer und deren angeblicher Liebe zur willkürlichen Auswahl der Bibeltexte. Richter schreibt also in seinem Buch etwas später sehr richtig: „Allerdings muss die Frage erlaubt sein, taten es (also die willkürliche Auswahl) die orthodoxen Christen nicht auch, und bis heute? (S. 241.) Wohl wahr!
Nebenbei. Bei einer willkürlichen Auswahl der Bibeltexte wären dann also auch die so genannten orthodox glaubenden Christen Häretiker, also Leute, die auswählen.
Comenius sprach von einer triadischen Struktur der Wirklichkeit, die ein stummes Zeugnis biete für den dann doch auch triadisch gedachten Gott. Also weil Gott triadisch ist, ist die Wirklichkeit triadisch? Ist es nicht umgekehrt: Das Triadische wird von Menschen auf Gott übertragen, wie es später dann Hegel in seiner Logik der Dialektik tat: Weil der menschliche Geist (!) dialektisch, also irgendwie „trinitarisch“ ist, muss auch Gott als der absolute Geist, dialektisch, also „trinitarisch“, verstanden werden… Aber das nur am Rande, von Hegel ist in dem Buch Manfred Richters keine Rede.
6.
Weil das Thema der dogmatisch gefassten Trinität ja durchaus ein ökumenisches Thema sein sollte, das gegenüber den Festlegungen aus dem 4. und 5. Jahrhundert debattiert werden sollte: ein Zitat des großen katholischen (sic) Theologieprofessors und Dominikanermönchs in Nijmegen Edward Schillebeeckx: Er wollte und konnte ehrlicherweise von Gott nicht „zu viel wissen“. Er sah sich verpflichtet, Gott eben Gott sein zu lassen, als ein bleibendes Geheimnis. Darum sagte Schillbeeckx: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitäts-Theologie fast ein Agnostiker. Ich bekenne die Trinität, aber ich übe gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Anstrengungen, die Beziehungen zwischen den drei (göttlichen) Personen rational zu erfassen“. („Edward Schillebeeckx im Gespräch“, Luzern 1994, S. 107).
7.
Ich habe im Oktober 2017 ein Interview mit Manfred Richter über seinen Vorschlag publiziert, eine „Erste gesamtökumenische Enzyklika“ zu verfassen. Das Interview ist nach wie vor interessant, es wird in dem Buch nicht erwähnt, siehe: LINK.

Manfred Richter, „Der unbekannte Comenius. Ein Bischof fordert – Ökumene radikal“. LIT Verlag Berlin 2021, 406 Seiten, 29,90 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Philosophische Salons – die neuen Orte für Spiritualität, Lebenskunst und Religion

Anregungen anlässlich des 250. Geburtstages der ersten Saloninère in Berlin, Rahel Varnhagen.

Von Christian Modehn

1.
Gedenktage sind nicht nur Tage des Rückblicks und der kritischen Erinnerung, sondern auch Tage des Vorblicks: Der Blick in die (nahe) Zukunft soll von der Begrenztheit des Gegenwärtigen befreien und Neues soll konzipiert werden, Besseres, das die Routine traditioneller kultureller Praxis überwindet.
2.
So auch beim Denken an Rahel Varnhagen (17.5.oder 19.5.1771 bis 7.3.1833). Ihr großartiges Lebenswerk ist bekannt, wer es noch nicht kennt, sollte seine Bildungslücke alsbald schließen, Gelegenheiten gibt es ausreichend, auch im www. Dabei wird man sich auch auf die vielfältigen großartigen schriftstellerischen Leistungen Varnhagens konzentieren.
3.
Ich möchte hier nur an ihre bleibende Leistung erinnern, die mir von aktueller Bedeutung erscheint: Es ihre Gründung und Gestaltung von Gesprächsrunden, die dann später “Salons“ genannt wurden, also gesellige Zusammenkünfte mit hohem Gesprächsniveau, an dem sich unterschiedliche Menschen, meist Männer, beteiligten. Die Liste der „berühmten“ TeilnehmerInnen ist lang: Jean Paul, die Brüder Humboldt, Friedrich Schlegel, Heinrich Heine, Schleiermacher, Hegel usw. Die Gastgeberin, Rahel Varnhagen, leitete ihre Salons von 1790 bis 1806, und dann noch einmal von 1820 bis 1833. Die Zusammenkünfte in der Privatwohnung waren geprägt vom Geist der Aufklärung und damit der Vernunft, und damit auch der Toleranz: Diese Lebensphilosophie war bester Ausdruck ihrer zeitgemäßen jüdischen Spiritualität.
4.
An Rahel Varnhagen denken – das heißt heute: Nachdenken, wie denn diese offenen und von Vielfalt und Toleranz geprägten SALONS heute eine große Rolle spielen können. Dass es sozusagen „objektiv“ in der Gesellschaft einen Bedarf gibt an niveauvollem Gespräch und Austausch der verschiedenen Meinungen, braucht nicht bewiesen zu werden. Zumal die großstädtische Gesellschaft zerfällt förmlich in Inseln der Kommunikation der Gleichen, wenn nicht ohnehin die Isolierung und Einsamkeit des einzelnen beherrschend ist.
5.
Der Theologe Friedrich Schleiermacher hat in seinem 1799 veröffentlichten Text mit dem Titel “Versuch einer Theorie des geselligen Betragens” sich von den Berliner Salons inspirieren lassen und mit großer Dringlichkeit die Bedeutung der Salons unterstrichen.Vor allem werden dem Teilnehmer an Salon-Gesprächen “andere und fremde Welten nach und nach bekannt” und “auch die fremdesten Gemüter und Verhältnisse würden dem Menschen befreundet und nachbarlich”.
6.
Ich will nur daran erinnern, dass de facto in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, die alte Struktur der Kirchengemeinde sich auflöst: Gottesdienste werden gefeiert mit stets abnehmender Teilnehmerzahl. Aber wichtiger noch: Die Gesprächsangebote, die „Gruppen“, die Bildungsveranstaltungen in den Kirchengemeinden sind eher marginal. Und wenn sie noch stattfinden, müsste das intellektuelle und kritische Niveau geprüft werden. In den meisten Fällen bleiben diese Gruppen eher „homogen“ unter sich: Welcher Atheist, welcher Skeptiker, welcher Flüchtling, welcher ausländische Student usw. verirrt sich schon in einen üblichen Gemeindekreis? Der Theologe Friedrich Schleiermacher hat eine christliche Gemeinde als Ort des Gesprächs und der Begegnung definiert, daran sollte man sich erinnern.
Nebenbei: Heute hat der herrschende Klerus in der katholischen Kirche Europas die Gemeinde zu Orten des Messelesen degradiert: Ein Priester eilt sonntags von einer Kirche zur anderen, um die Messe feiern, weil nur er, als Kleriker, beansprucht in der Lage zu sein, Eucharistie feiern zu können und zu dürfen. Und die wenigen verbliebenen Katholiken in den Gemeinden nehmen diesen Klerikalismus (noch) hin.
7.
In dieser Situation des kirchlichen Niedergangs haben die offenen Debatten über Spiritualität, Lebenskunst, Religion, Philosophie in Salons eine große Chance. Sie finden nicht unter einem Dach einer Kirche oder einer Religion statt, diese Salons sind undogmatisch, offen, plural, an der Vielfalt und dem Streitgespräch interessiert.
8.
Wer kann solche Salons eröffnen? Jeder und jede, der/die sich für kompetent hält, nicht nur einen angenehmen Gesprächsraum anzubieten, sondern auch thematisch die Abende zu gestalten. Ein Künstler lädt zu Gesprächen über Kunst ein, warum nicht auch zu religiöser Kunst? Ein Kenner der Romane oder eine geduldige Leserin von Poesie lädt zu literarischen Gesprächen ein, die ohnehin die grundlegenden Sinnfragen berühren. Ein Naturwissenschaftler lädt ein, über Natur, Naturschutz, Naturgesetze und Evolution oder gar „Schöpfung“ usw. zu sprechen.
9.
Nun leben in den großen Städten zumal auch viele TheologInnen, die noch als solche tätig sind oder längst andere Berufe (Coach etc.) haben: Warum laden sie nicht zu Gesprächen über „Gott und die Welt“ ein? Und die vielen Leute, die Philosophie studiert haben: Der philosophische Salon wäre in meiner Sicht die beste Form der Erinnerung an Rahel Varnhagen.
10.
Die Frage ist, ob die entsprechenden Herren und Damen des kulturellen Establishments die enorme Bedeutung der Salons erkannt haben. Interessieren sie sich mehr für die Opernhäuser und Theater als für die eher „kleinen“, aber feinen kulturellen Basisinitiativen, wie die Salons? Falls dies der Fall ist, sollten die kulturell verantwortlichen Politiker und auch die Hochschulen und Universitäten überlegen: Wie kann man in einer Art Grundkurs Salonnièren ausbilden und fördern? Wie können die Organisatoren auch finanziell unterstützt werden, ohne dass dabei die Salons in Abhängigkeit geraten?
11.
Über den seit 2007 bestehenden (wegen Corona seit einem Jahr „ruhenden“) „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ kann man sich informieren und vielleicht inspirieren lassen: LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Was ist unmittelbar? Unsere Erkenntnis und sogar die Gotteserkenntnis?

Einführende Hinweise von Christian Modehn

1.
Das Thema hat weitreichende Bedeutung, nicht nur fürs allgemeine menschliche Erkennen, sondern auch speziell fürs Erkennen dessen, was man das Göttliche, Gott, nennt. Kann ein Mensch etwa Gott „als solchen“ unmittelbar erleben und „als“ Gott erkennen und sogar in Worten „fassen“? Können Wunder als göttliches Eingreifen in die Naturgesetze unmittelbar als solche geschehen? Kann die Kirche eine unmittelbare Begegnung mit der Jungfrau Maria behaupten, die als Himmelskönigin irgendwelche historisch sehr konkreten Worte übermittelt? Etwa in Fatima, Portugal, 1917, als die Himmelskönigin sich höchst persönlich zum kommunistischen Russland äußerte? Keine Frage: Die Frage nach dem Unmittelbaren ist für die Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und die Religionskritik aktuell und eine “Pflichtaufgabe“.
2.
Für ein „alltägliches“ Leben ist die Behauptung einer unmittelbaren Erfahrung (von Weltlichem) und deren – angeblich – unmittelbaren Erkenntnis üblich. In der unmittelbaren Erfahrung, als einer Form der mit den Sinnen geschehenen Verbundenheit / Beziehung zur Welt, wird durch die Sinne eine Gewissheit erzeugt beim Menschen. Etwa der Schmerz, wenn der Mensch Feuer berührt. Der Schmerz ist zwar unmittelbar, aber er ist immer bereits im Moment des Erlebens sprachlich geprägt, selbst wenn er noch nicht in Worten gesprochen wird. In der „sinnlichen Erfahrung“ mit der durch die Sinne erzeugten sinnlichen Gewissheit (Schmerz) ist also die Sprache und damit die Vernunft immer schon anwesend. Die Unmittelbarkeit gibt es als Erleben, aber sie ist immer schon durch die Sprache und Begriffe für den Erlebenden wie die anderen Menschen vermittelt.
3.
In dieser „unmittelbaren“ Erfahrung gibt es vier Determinanten:
Es ist das JETZT (also nicht später, nicht früher) dieser Erfahrung.
Das HIER (nur an diesem bestimmten Ort) dieser Erfahrung.
Es gibt – wie gesagt – eine immer schon latent anwesende begriffliche Form der Erfahrung und
es gibt selbstverständlich ein Ich, ein Subjekt, das diesen Komplex dieser sinnlichen Erfahrung erlebt und eben auch davon weiß. Das Subjekt ist der „Ort“ der Vermittlung und Aufhebung des Unmittelbaren.
4.
Diese (in Nr. 3 genannten) Strukturen sind allgemein für alle Subjekte im Umgang mit Welt und mit sich selbst vorhanden und gültig. Welt und Objekte werden immer mit diesen „Determinanten“ erlebt und dann auch verstanden. Die menschliche Erfahrung eines einzelnen Objekts geschieht also immer in diesen allgemeinen Determinanten. Wer vom Individuellen, Besonderen, spricht, ist also immer auf den Gebrauch allgemeiner Begriffe angewiesen. Total individuelle Begriffe einer einmaligen Erfahrung könnten nur zu einer Geheimsprache gehören, die dann aber nur der Erfinder dieser Sprache versteht.
Damit wird den Behauptungen einer total einmaligen und angeblich nicht aussagbaren, „nur“ privaten Erfahrung widersprochen.
Das einzelne Unmittelbare ist also immer in allgemeinen Begriffen vermittelt. Auch Hegel hat daran erinnert, dass das Einzelne NICHT ausschließlich in seinen engen Grenzen als einzelnes, sozusagen wie ein isolierter Punkt begriffen werden kann. Das einzelne Ding steht in einem Vermittlungszusammenhang, wie in einem Netz, mit anderen, auf die es bezogen ist.
5.
Alles Wahrnehmen und Erkennen des Unmittelbaren wird sprachlich in allgemeinen Begriffen vermittelt. Wolfgang Welsch schreibt in seinem Essay „Hegel und die analytische Philosophie“ (in: „Information Philosophie“, 2000): „Jede Berufung auf unmittelbares Wissen ist epistemologisch naiv“.
6.
Wer also das Verbundensein des Menschen mit der Welt begreifen will, muss die vernünftigen Strukturen im Subjekt analysieren. Es geht darum, die Leistungen des Bewusstseins und der Vernunft im Subjekt als konstitutiv für die Verbindung mit dem Objekt zu erkennen. Schon im praktischen Verhalten ist es so: Unser Handeln in der äußeren Wirklichkeit ist dergestalt, dass es als begrifflich geprägtes, vernünftiges Handeln diese dann ebenfalls vernünftig bestimmte Wirklichkeit tatsächlich erreicht, es gibt also eine Übereinstimmung zwischen unseren Handlungsideen und der äußeren Wirklichkeit. Das hat Hegel auch aufs theoretische Erkennen übertragen. Er sah eine Kongruenz von menschlichem Begriff und äußerem Gegenstand.
Es ist wichtig, sich in dem Zusammenhang weiter mit Hegel zu befassen: Für ihn ist der unmittelbare Mensch der in Ego – Strukturen befangene Mensch. Hegel spricht von „der Partikularität, den Leidenschaften, der Eigensucht“ (Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Suhrkamp, 323) Diese beherrschen den Menschen, der sich als total vereinzelter, als Veräußerlichter, in dem Sinne als unmittelbarer versteht. Das wahre Wesen des Menschen ist seine Teilhabe am universalen Geist, und dieses wahre Wesen muss dieser unmittelbar lebende Mensch sich durch seine Vernunft erst noch „erarbeiten“. „Der Mensch ist nur durch diese Vermittlung, er ist nicht unmittelbar“ (303 ebd.) Aber diese Arbeit der Überwindung der Unmittelbarkeit als der falschen Lebensform geschieht nicht ohne den Schmerz des Abschieds von dieser „Leidenschaft und Eigensucht“. Von diesem „natürlichen Herzen, worin der Mensch befangen ist, dies ist der Feind, der zu bekämpfen ist“ (ebd.).
Aber der universale Geist ist auch in diesen falschen Haltungen anwesend, in seiner Energie kann der Mensch die Freiheit erreichen.
7.
Wer Religionen – auch philosophisch – verstehen will, muss sich auf die Bedeutung der „Unmittelbarkeit“ einlassen: Im Christentum ist häufig die Rede von der „unmittelbaren Erfahrung Gottes“. Glaubende, die sich Mystiker nennen und von anderen als Mystiker bezeichnet werden, betonen: Ihre besondere Spiritualität zeichne sich durch die „unmittelbare Erfahrung Gottes“ aus. Diese Erfahrung hat immer einen existentiellen Aspekt. Sie berührt den ganzen Menschen, sie ist mehr als eine theoretische Einsicht: Diese kennt nur das fremde Gegenüber von Menschen und Göttlichem. In der Mystik hingegen löst sich dieses Gegenüber in ein Gefühl der Einheit auf. Die Untersuchungen dieser drei zusammenhängenden Begriffe „unmittelbar“, „Erfahrung“ und „Gott“ füllen riesige Bibliotheken. Hier nur einige Hinweise:
8.
Die Karmeliter-Nonne Theresa von Avila (1515 – 1582) gilt in der Mystik-Forschung als Vorbild mystischer Frömmigkeit. Sie hat ein umfangreiches literarisches, spirituelles, mystisches und theologisches Opus hinterlassen. Wer bei ihr nach der Bedeutung ihrer unmittelbaren Gotteserfahrung fragt, kann sich z.B. mit einem Text ihrer „Vida“ befassen. Der Mystik-Forscher Alois M. Haas hat sich damit in seinem Buch „Mystik als Aussage“ (Suhrkamp 1996) befasst. Er zitiert (S. 54) Theresa, wenn sie von der ihr zuteil gewordenen Gnade spricht, die „von kurzer Dauer“ war, nämlich Christus erfahren zu haben. Dazu waren für Theresa aber Voraussetzungen nötig: Diese Erfahrung habe sich ereignet, als „ich mich in die Nähe Christi versetzte“ und „bisweilen auch, als ich (die Bibel) las (leyendo, auf Spanisch): In diesen Momenten „überkam“ sie „ein Gefühl der Gegenwart Gottes, so dass ich gar nicht zweifeln konnte, er sei in mir oder ich sei ganz in ihm versenkt“. „Gott“ „in“ Theresa „versenkt“, eine für sie zweifelsfreie Erfahrung also, eine offenbar unmittelbare Erfahrung.
Dieses Erleben der Vereinigung mit Gott war aber für sie kein irrationaler Rauschzustand, sondern es geschah mit Bewusstsein: Denn Theresa war danach in der Lage, in Worten zu sagen: „Er (Gott) war in mir oder ich ganz in ihm versenkt“. Sie selbst wehrt sich in dem Text ausdrücklich, ihre Gotteserfahrung sei eine, so wörtlich, „Vision“ (also eine Art „Entrückung“) gewesen! Theresa bewertet hingegen ihre Gotteserfahrung überraschend als „mystische Theologie“! Damit will Theresa ihre mystische Erfahrung mit den Begriffen, eben der Theologie, verbinden, also die Unmittelbarkeit des Erlebens in eine begriffliche und „trans-subjektive“, also allgemeine Sprache überführen. Und sie wollte mit ihrem Hinweis auf Theologie ihre dogmatischen Gegner besänftigen, die mit Mystik auch zu ihrer Zeit nur subjektive Eigenwilligkeit und Entrückungen und Verzückungen vermuteten.
Wären Theresas Geist und ihr Erinnerungsvermögen ausgeschaltet gewesen in ihrer „Versenkung“, also in ihrer Gotteserfahrung, hätte sie nicht später davon sprechen können. Entscheidend ist ihr kurzer Satz: „Der Wille liebt“ in diesem Moment der Versenkung: Liebe zu Gott ist für sie die entscheidende bleibende Voraussetzung Zugang zu Gott zu finden. Dann folgen aber diese Worte, in denen sie die Grenzen des Verstehens dieser mystischen Erfahrung anspricht: „Das Gedächtnis scheint mir beinahe verloren, der Verstand denkt nicht nach, aber er verliert sich nicht. Der Verstand ist nur untätig und wie von Staunen hingerissen über das viele, das der Verstand hier gewahrt.“ Also, der Verstand selbst nicht mehr aktiv, er ist passiv „hingerissen“ von dem, was sich ihm zeigt. Und dann folgen die das mystische Geschehen wieder relativierenden Worte, um jegliches „Wegschweben“ und das Entrücktsein auszuschließen: „Denn Gott lässt den Verstand erkennen, dass der Verstand nichts von dem begreift, was seine Majestät (Gott) ihm vorstellt.“ Die mystische Erfahrung erschließt also keinen inhaltlich breiten Gewinn an Erkenntnis Gottes, keine „Details“ seines inneren, göttlichen Lebens. Vielmehr ist das Resultat: Gott zeigte sich, aber der Verstand begreift nichts Inhaltliches. Mit anderen Worten: Die Mystikerin wurde mit dem unauflösbaren Geheimnis Gottes konfrontiert.
9.
Diese Aussage als theologische Erkenntnis ist ein wichtiger Hinweis: Eine sich unmittelbar nennende Erfahrung Gottes gibt es nicht, die Erfahrung selbst enthält schon den Verstand, der dann später die Erfahrung in Worte fassen kann. Und diese vermittelnden Worte sind jeweils historisch, von der Bildung des Erlebenden, geprägt: Wenn sich Theresa, wie sie sagt, in die „Nähe Christi versetzt“, dann ist es der konkrete bildhafte Christus, der ihr auch durch die Lehre der Kirche und der Theologie ihrer Zeit und ihrer Umgebung vermittelt wurde.
10.
Warum ist es so wichtig, darauf zu insistieren, dass in der unmittelbaren mystischen Erfahrung immer die Vermittlung durch Begriffe besteht? Weil nur mit dieser Erkenntnis die immer subjektive, einzelne Erfahrung in den Bereich des allgemeinen Gesprächs und der kritischen Debatte treten kann. Das ist heute politisch so wichtig: Wer auf einer absoluten Unmittelbarkeit der religiösen Erfahrung besteht, will sich autoritär abkapseln, will sich bedeutend machen, sich als Meister und Guru aufspielen. Es wäre zu prüfen, in wie weit diese autoritäre Unmittelbarkeit von Propheten und Aposteln usw. in der kirchlichen Bibelinterpretation oder in der Korandeutung behauptet wird. Nur wer die immer vermittelte Unmittelbarkeit bejaht und kritisch durchleuchtet, will einen freien, nicht-autoritären, einen nicht-fundamentalistischen Glauben.
11.
Es ist wichtig, noch einmal auf den Philosophen G.W.F. Hegel (1770 – 1831) zurückzukommen. Für ihn ist der christliche Glaube nicht die Bindung an eine historische Gestalt (Jesus) oder an ein Buch (Bibel) oder an eine Institution. Für ihn als Philosophen, der die Religionsgeschichte und damit auch die Christentums-und Kirchen-Geschichte auf den Begriff gebracht hat, ist der Glaube des Menschen an Gott die Beziehung zum Geist, dem göttlichen. Und dieser ist als solche (weil Gott das andere seiner selbst, die Welt „schafft“) auch im Menschen selbst anwesend, eben als „Geist des Menschen“. Diese Beziehung des Geistes im Menschen auf den in ihm auch anwesenden göttlichen Geist ist das Entscheidende. Darum sagt Hegel: „Der Glaube ist Zeugnis des Geistes vom Geist“. (Vgl. dazu Walter Jaeschke, Hegels Philosophie, Hamburg 2020, Seite 387). Hegel betont immer wieder, „dass es nicht zweierlei Vernunft und nicht zweierlei Geist geben kann, nicht eine göttliche und eine menschliche, nicht einen göttlichen Geist und einen menschlichen, die schlechthin verschieden voneinander wären. Die menschliche Vernunft ist Vernunft ÜBERHAUPT, ist das göttliche im Menschen… Gott ist gegenwärtig, allgegenwärtig und als Geist gegenwärtig im (menschlichen) Geist“. (Dieses Hegelzitat siehe S. 388, Jaeschke).
12.
Daraus zieht Hegel die Konsequenz zur Erkenntnis Gottes: „Wir wissen unmittelbar von Gott, dies ist eine Offenbarung Gottes in uns. Weder die positive Offenbarung (also die Bibel) noch die Erziehung kann Religion bewirken“, denn dann wäre Religion etwas von außen Gewirktes, sagt Hegel. Dieses unmittelbare Wissen bei Hegel überrascht! Aber auch hier gilt: Es muss vermittelt werden in Begriffen. Das ist möglich, weil im unmittelbaren Erkennen die Tendenz zum Wissen schon angelegt ist. Wichtig ist für Hegel: Wenn Religion (oder auch Sittlichkeit) im Menschen immer „vorkommt“, dann wird Religion als Geistiges „im Menschen nur erregt“. „Der Mensch ist Geist an sich, die Wahrheit liegt in ihm, und so muss ihm das zum Bewusstsein gebracht werden“. (Dieses Hegelzitat stammt aus dem genannten Buch von Jaeschke S. 390). Religion „schlummert“ also förmlich im Menschen und muss zum Bewusstsein und zum begrifflichen Wissen gebracht werden. Es gibt also eine Offenbarung Gottes in den Menschen als Menschen, weil sie vom Geist, der heilig ist, sich bestimmen lassen. Dieses unmittelbare Verbundensein des Menschen mit dem göttlichen Geist ist die Basis.
In meinem eigenen Bewusstsein bin ich mit Gott unmittelbar verbunden, er ist nichts Fremdes, sondern Geist, wie ich Geist bin. Dieses Selbstverhältnis des Geistes ist also nach Hegel Ausdruck der Freiheit.
13.
Auch in der Literatur ist das Thema Unmittelbarkeit und Vermittlung naturgemäß ständig präsent. Ich denke etwa an das neue Buch „Ein Monat in Siena“ von Hisham Matar, als Übersetzung von „A month in Siena“. Der Autor, 1970 geboren, lebt als Literaturwissenschaftler in England; seine Eltern stammen aus Libyen. Sein Vater wurde als Oppositioneller 1990 aus Ägypten entführt und von Gaddafis Mördern hingerichtet.
14.
Den Tod des Vaters versucht Hisham Matar regelmäßig durch eine „unmittelbare“ Begegnung mit Kunst, mit Gemälden, zu „bearbeiten“. Hisham Matar betont, im Dialog mit einem Gemälde zu leben, vor allem eben mit den Gemälden in Siena. Es gibt für ihn einen Austausch mit dem Gemälde. Es wird für ihn zu einem geistigen und physischen Raum. „Wie ein Zimmer, in das man von Zeit zu Zeit flüchtet, um Gespräche, zu haben, die man sonst irgendwo haben kann“. In dem Beitrag von Le Monde sagt er: „Ich spreche zu den Gemälden und sie antworten mir“.
15.
Es ist das geduldige, oft stundenlange Sich-Versenken in ein Gemälde (Theresa von Avila sprach von einem Sich – Versenken in die Gestalt Jesu Christi), die zu neuen Erkenntnissen, zu rettenden Einsichten führt. Es ist dieses Sich-Hineinbegeben in eine geistige Gestalt außer mir, die zunächst zu einer Unmittelbarkeit, zu einer Vereinigung führt, die dann aber als reflektierte Unmittelbarkeit Erkenntnisse vermittelt, vielleicht neuen Mut zum Leben.
Wir sollten also das Hineintreten in eine langdauernde Unmittelbarkeit (Beispiel: Christus-Betrachtung der Theresa von Avila oder das Sich in ein Gemälde Versenken) nicht nur zulassen, sondern für uns fördern, wenn wir denn nach dem Erfahrungserlebnis Worte finden wollen, für uns selbst wie für andere.
16.
Man spürt es etwa bei trockenen theologischen Texten: Da hat der Autor keine Unmittelbarkeit erlebt, er war nicht „versenkt“ in eine Sache, eine Person, ein Bild etc., sondern er hat Begriffe hin und her gewendet. Begriffliche Trockenheit und Öde, das bestimmt etwa dogmatische Texte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Poesie – Worte der Transzendenz

Über Yves Bonnefoy
Ein Hinweis von Christian Modehn (siehe auch den Hinweis auf Baudelaire, LINK)

1.
In seiner Aufsatzsammlung mit dem Titel „Le siècle de Baudelaire“ (Paris 2014) spricht der Poet, Poetologe und Philosoph Yves Bonnefoy (1923 – 2016) ausdrücklich von der herausragenden Bedeutung der Poesie für die Frage der „Transzendenz“. Sie sollte nicht im fernen Jenseits gesucht werden, sondern als Anwesenheit, als présence, im Hier und Heute des Daseins. Dabei ist für Bonnefoy auch die Auseinandersetzung mit dem Dichter und Poeten Baudelaire wichtig, ihn nennt er „den stärksten und tiefsten Geist“ im 19. Jahrhundert. Baudelaire stellte die Frage nach der Existenz Gottes… „Aber er musste sich eingestehen, dass er nicht glaubt (S. 8).“

2.
Für Bonnefoy als Poeten und gleichzeitig Philosophen der Poesie erhalten Gedichte eine neue Bedeutung für die Spiritualitäten heute. Transzendenz wird nicht mehr in den überlieferten, alles einordnenden und übersichtlichen (dogmatischen) Begriffen gedacht und ausgesprochen, sondern in der Offenheit poetischer Worte. Dabei geht es um ein Verstehen der alltäglichen Wirklichkeit in ihrer Tiefendimension: „Es ist wichtig, die Wirklichkeit, die einfache Wirklichkeit, von dem Schleier zu befreien, der diese Wirklichkeit verdeckte (S. 11)“.
„Poesie ist nicht Literatur (etwa ein Roman), sie ist nicht Ausdruck des (nur Allgemeines fassenden) begrifflichen Denkens“ (S. 57). „Die Poesie unterscheidet sich von Literatur wie das Begehren zu sein von der Verwaltung des Habens“, betont Bonnefoy (S. 58).
Poesie ist keine Rede in fixierten Begriffen, sie ist Klang, wie Musik, die sich der geschlossenen Bedeutungen entledigt, Poesie will das EINE als das allen Gemeinsame sagen.
Die Sprache der Poesie, das ist für Bonnefoy also entscheidend, lebt wie die Musik vom Rhythmus und dem Klang. Musik und Poesie sind „nächste Verwandte“.

3.
Entscheidend bleibt für Bonnefoy: Die Présence, die Gegenwart, soll bewusst erlebt werden: Dann zeigt sich die Ganzheit des Daseins als begrenztes, endliches, sterbliches. Aber kann sich das Dasein darin einschließen?
In der Poesie wird dem widersprochen: Das wahre „Wesen“ des Transzendenten ist immanent, also im Menschen, vor allem für Bonnefoy auch in der Natur anwesend. Dort wird das Entgrenzte, vielleicht damit auch das Grenzenlose erlebt. Der moderne Mensch kann entdecken: In der Poesie ist das Unendliche mit der gewöhnlichen Existenz verbunden ist.

4.
Wenn also das Religiöse im 19.Jahrhundert aus weiten Bereichen der Kultur schwindet, sollte die besondere Bedeutung des poetischen Wortes erkannt werden. Aber mit der Poesie wird dann doch ein schwieriger Weg des Verstehens eröffnet. Aber: Bonnefoy hat auch „leichter zugängliche“ Poesie geschrieben. Man denke etwa an das Gedicht „L Arbre de la rue Descartes“ aus dem Buch „L Heure présente“:

« Passant,
Regarde ce grand arbre et à travers lui,
Il peut suffire.
Car même déchiré, souillé, l’arbre des rues,
C’est toute la nature, tout le ciel,
L’oiseau s’y pose, le vent y bouge, le soleil
Y dit le même espoir, malgré la mort.
Philosophe,
As-tu la chance d’avoir l’arbre dans ta rue,
Tes pensées seront moins ardues, tes yeux plus libres,
Tes mains plus désireuses de moins de nuit. »

„Passant,
betrachte diesen großen Baum und seinetwegen
Kann es genug sein.
Denn sogar gespalten, beschmutzt, ist der Straßenbaum
Die ganze Natur, der ganze Himmel,
der Vogel setzt sich dort nieder, der Wind dort sich bewegt und die Sonne dort
spricht dieselbe Hoffnung, trotz des Todes.
Philosoph,
hast du das Glück einen Baum in deiner Straße zu haben
dann werden deine Gedanken weniger schroff, deine Augen freier sein,
deine Hände werden gieriger sein nach weniger Nacht“. (Übersetzung: Christian Modehn)

5.
Das Gedicht ist eine deutliche Kritik Bonnefoys an der begrifflichen Fixierung des Philosophen.
Es wendet sich direkt an den Passanten, Spaziergänger … aber auch an den Philosophen. Der Titel ist auf eine Rue Descartes bezogen. In der Pariser Rue Descartes befindet sich das berühmte „Collège International de Philosophie“.

6.
Hat die Theologie, hat die Religion, haben die Kirchen die Poesie (im emphatischen Sinne – auch im Sinne Bonnefoys -) verstanden? Haben sie ihr fixierendes Begriffs-Denken, ihre Herrschaft der klaren Definitionen, korrigiert oder wenigstens eingesehen? Diese Grenzziehungen, die sie mit den Definitionen, den Dogmen, schaffen, Grenzen, die ausschließen, die Menschen zu den “anderen”, den Fremden” machen.
Ich denke: Theologien und Kirchen haben den Geist der Poesie überhaupt nicht erkannt und auch nicht rezipiert. Sie lieben nicht den freien Geist der Poesie. Sie lieben nach wie vor die banalen Gedichte und Gebete und Lieder, die einzig nach dem Prinzip des Reims gebaut sind und deswegen als populär und “tauglich” erachtet werden. Ästhetische Bildung war nie Sache der Kirchen.

7.
In Europa ist die einzige mir bekannte Ausnahme der niederländische Poet und Theologe Huub Oosterhuis (Amsterdam), aber dessen Poesie ist in den katholischen Kirchen der Niederlande offiziell im Gottesdienst verboten.in Deutschland ist seine Poesie nur marginal vertreten.
Meine Forderung also wäre, die aber angesichts der Verhärtungen im Katholizismus ziemlich sinnlos ist und angesichts des banalen Trallalas in evangelikalen Veranstaltungen ebenso sinnlos ist… aber diese Forderung soll wenigstens noch einmal genannt werden: Die Kirche sollte poetisch werden, also sanft, suchend, offen, mit Sinn für das Schöne als das Überraschende und Befremdliche. Wir bräuchten also poetische Kirchen und poetisch denkende und vor allem poetisch fühlende Herren der (römischen) Kirche.
Weniger Kirchenrecht, mehr Poesie könnte eine selbstverständlich utopische Forderung heißen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Napoléon: Wenn sich ein gewaltiger Herrscher seine Kirche schafft und seinen Kult begründet.

Der Autokrat und seine Religion.

Ein Hinweis von Christian Modehn anlässlich des 200. Todestages Napoléon Bonapartes.

1.
Die Kirche des napoleonischen Staates
Die Beziehungen Napoléons zur Religion bzw. vor allem zur katholischen Kirche sind zwar nur ein Thema unter vielen „Napoléon-Themen“ anlässlich seines 200. Todestages am 5. Mai 2021.
Seiner politischer Leidenschaft und seinem unendlichen Streben nach Macht ist es gelungen, dem Kirche-Staat–Verhältnis in Frankreich eine neue rechtliche Struktur zu geben. Diese war zwar vor allem innerhalb der Kirche stets umstritten, sie blieb aber bis zur Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1905 bestimmend.
Napoléon war mit einer katholischen Kirche konfrontiert, die nach dem Ende der Herrschaft der Revolutionäre gespalten war. Nur ein Beispiel: Unter den Priestern gab es viele, die den „Treueid“ auf die Revolution und ihre Ideale geschworen hatten und im Rahmen der neuen revolutionären Kirchengesetze auch das Zölibatsgesetz als für sie ungültig erachteten. Und es gab Priester und deren Gemeinden, die antirevolutionär eingestellt waren und die alte Kirchenordnung mit ihren Gesetzen, vor der Revolution von 1789 respektierten.
Eine einheitliche Kirche in dem zentralistischen Staat Frankreich erachtete der Herrscher Napoléon als notwendig für die Sicherung des so genannten inneren Friedens. Hinzu kam, dass die oft verwüsteten Kirchengebäude mit staatlicher Hilfe wieder in einen brauchbaren Zustand versetzt werden mussten. Die Ausbildung von Priestern musste neu gestaltet werden genauso wie die finanzielle Sicherheit der Geistlichen. Und es musste geklärt werden, wer denn das letzte Wort zu sagen hat in der Ernennung der Bischöfe: Der Papst oder er, der Herrscher und spätere Kaiser Napoléon. Napoléon legte allen wert darauf, dass selbstverständlich er wie immer das letzte Wort habe.

2.
Das Konkordat
Diese Fragen wurden in dem Konkordat von 1801 entschieden, das Napoleon mit den päpstlichen Beamten ausgehandelt hatte. An diesem Vertragstext lag Napoléon sehr viel, weil er darin den Ausbau seiner Vormacht als politischer Herrscher gegenüber der geistlichen Gewalt des Papstes sichern konnte. Napoléon konnte so die alte französische Konzeption einer „Gallikanischen Kirche“ (also der von der politischen Herrschaft in Frankreich gesteuerten Kirche) durchsetzen. Die von der Revolutionsregierung 1790 beschlossene „Constitution civile du Clergé“ hatte der Papst 1791 verurteilt, sie war eine Art Zuspitzung der sozusagen „gallikanisch – revolutionären“ Kirche. Der Papst zur Zeit von Napoléons Herrschaft, Pius VII., hingegen stimmte im Konkordat mit Napoleon zu, dass er, der Herrscher, Bischöfe ernennt, die der Papst zur Ernennung bestätigt. Zu diesem Kompromiss war Pius VII. bereit, um das (Über)Leben der katholischen Kirche in Frankreich überhaupt zu sichern. Der päpstliche Unterhändler damals, Kardinal Consalvi, hatte sich mit seiner Forderung nicht durchsetzen können, dass der Katholizismus offiziell zur Staatsreligion erklärt wird. Napoleón bestimmte mit seiner Formel „Der Katholizismus ist die Religion der großen Mehrheit der Franzosen“ eine moderatere Form von Staatskirche, ließ aber Raum für andere Religionen und Kirchen, die gesetzlich geschützt waren. Die materiellen Güter des Klerus, die von der Revolutionsregierung eingezogen wurden, durften von der Kirche nicht zurückverlangt werden. Der Staat sicherte sich seinen Einfluss auf die Kirche durch die Gründung eines „Ministeriums für die (religiösen) Kulte“. Es koordinierte die Beziehungen des Staates zu den Bischöfen und zum Klerus, dieses Ministerium bestand bis zur Trennung von Kirche und Staat 1905. In der Zeit der Restauration unter Karl X., dem Bruder Ludwig XVIII., war sogar ein Bischof Minister, Mgr. Frayssinous. Höhepunkt des Strebens nach Allmacht war die Kaiserkrönung Napoléons in Paris 1804. Die Welt war Zeuge, wie Napoléon förmlich den Papst rufen darf, damit er dem Wunsch des Herrschers entspricht. Und Napoléon krönte sich selbst während der Papst – Messe in der Kathedrale Notre Dame zum Kaiser. Der Papst setzte ungerührt die Messe fort. Aber Pius VII. war nicht bereit, Napoléons Machtpolitik zu akzeptieren, als dieser Rom zum Teil des Französischen Staates erklärte. Der Papst bewies seine Macht, als er den Kaiser 1809 exkommunizierte…Förmlich als Bestrafung wurde der Papst als Gefangener nach Savona, dann 1812 nach Fontainebleau verschleppt. Nach der Abdankung Napoléons 1814 konnte Pius VII. nach Rom zurückkehren, dies wurde von der Bevölkerung wie ein Triumph gefeiert. Pius VII. war ein ungewöhnlich großzügig denkender Papst: Der Familie Bonaparte gewährte er in Rom Asyl, bei den Engländern setzte er sich für Napoléon ein. Pius VII., durchaus ein bemerkenswerter Papst!

3.
Der demokratische Priester Abbé Grégoire
Ein eigenes Thema, der Vertiefung wert, ist die Gestalt des Abbé Grégoire(1750-1831), der als hoch gebildeter philosophischer Theologe und Priester während der Revolution zum Bischof von Blois gewählt (!) wurde. Er kämpfte gegen das Konkordat, das Napoleón aushandelte, er war gegen Napoléon, aus seiner demokratischen Grundüberzeugung heraus. Aber der ließ den demokratischen Priester und Vorkämpfer der Rechte der Sklaven leben…

4.
Der Katholizismus stiftet die Einheit im Staat
Entscheidend ist: Für Napoleon als unumschränktem Herrscher, als Kaiser, als Diktator, als Militarist, war die katholische Kirche nur als Dienerin des Staates, seines Staates, wichtig und interessant. Die Kirche sollte sich ums Jenseits kümmern, meinte er und sich aus politischen Themen heraushalten. Für ihn galt absolut das Primat des Politischen. Es kam ihm auf die ideologische Einheit im Staat an, und diesen Zusammenhalt sollte auch die katholische Religion als „die Religion der meisten Franzosen“ befördern. Spaltungen innerhalb des französischen Katholizismus lehnte er ab. Darum unterdrückte er die „Petite Eglise“, verbreitet vor allem in der Vendée, die sich den Bestimmungen des Konkordates widersetzte und an der alten Kirchenordnung vor der Revolution festhalten wollten Deswegen lehnte Napoleon den Atheismus ab, denn der würde den Zusammenhalt im Staat zerstören. Auch jede Form eines wirren, unvernünftigen Aberglaubens war ihm suspekt. „Nur durch religiöse, d.h. katholische Bindungen kann die Anarchie im Staat verhindert werden“. Darin war er durchaus religionspolitischen Positionen der Reaktionäre, wie Metternich, verwandt. Auch die philosophisch geprägte religiöse Gemeinschaft der Theophilanthropen, die eine deistische, stark die Ethik betonende Position vertrat, konnte er nicht dulden. Und die Protestanten waren ihm nicht zuverlässig genug … wegen der protestantischen Vielfalt. Insgesamt fühlte er sich, auch darin sehr unbescheiden, von Gott selbst in diese höchste politische Führung berufen.

5.
Napoléon – ein frommer Katholik?
Napoleons persönlicher Glaube war vom Katholizismus geprägt, auch wenn er viele Sakramente, Riten, Gebräuche des Katholizismus für sich selbst ablehnte, erst auf der Insel Sankt Helena soll er wieder die Beichte geschätzt haben.
Zu dem Thema hat der Historiker Hannes Liebrandt (Helikon, 2014) einen längeren Aufsatz publiziert.
Liebrandt folgt der biographischen Entwicklung: Bonaparte wurde von einer sehr religiösen, katholischen Mutter erzogen, als Jugendlicher und während der militärischen Ausbildung schätzte er eine allgemeine, wenig katholisch bestimmte Verehrung Gottes. Wenn er später, als Kaiser, an der katholischen Messe teilnahm, dann wohl eher, um einen guten Eindruck als Politiker zu machen und nicht aus innerer katholischer Bewegtheit. Im ganzen gesehen, so Liebrandt, kann zwar von einer Grundtendenz der katholischen Bindung und Frömmigkeit Napoléons gesprochen werden, aber ein definitives Urteil ist unmöglich. Wie so oft im Falle Napoléons, der insgesamt eine zwiespältige Person ist, egozenrischstes Machtstreben ist wohl seine einzige eindeutige Qualität.

6.
Der kaiserliche Katechismus
Ausdruck des maßlosen Wahns Napoléons, sich auch als religiöser Führer zu präsentieren, ist die Veröffentlichung des „Kaiserlichen Katechismus“ (1806), der als katholisches Lehrbuch überall in Frankreich Verwendung finden und zu einer exzessiven Verehrung des Kaisers führen sollte: Die Priester waren verpflichtet etwa diese widersinnigen Sprüche zu Ehren des Diktators zu lehren: „Les chrétiens doivent aux princes qui les gouvernent et […] en particulier à Napoléon Ier, notre Empereur, l’amour, le respect, l’obéissance, la fidélité, le service militaire, les tributs ordonnés pour la conservation et la défense de l’Empire et de son trône ; nous lui devons encore des prières ferventes pour le salut et pour la prospérité spirituelle et temporelle de l’Etat […] Honorer et servir notre Empereur est donc honorer et servir Dieu lui-même. […]“ „Die Christen schulden den Fürsten, die sie regieren und besonders Napoléon I., unserem Kaiser, Liebe, Respekt, Gehorsam, Treue, den Militärdienst, schulden ihm die befohlenen Abgaben zur Erhaltung und Verteidigung des Kaiserreiches und seines Thrones. Wir schulden ihm glühende Gebete für seine Gesundheit und Gebete für das spirituelle und zeitliche Glück des Staates. Unseren Kaiser zu ehren und ihm zu dienen bedeutet iatsächlich Gott selbst zu ehren und ihm zu dienen“.
Quelle: https://archives.var.fr/article.php?laref=11129&titre=decret-du-19-fevrier-1806-instaurant-la-fete-de-la-saint-napoleon-et-le-retablissement-de-la-religion-catholique-1-k-48-
Dieses religiöse Lehrbuch ist ein politischer Katechismus, er erinnert an ähnliche Lobeshymnen religiöser Art, die andere Diktatoren zu ihrem Ruhm anordneten, etwa die Gebete, die zum Wohl Marchall Pétains formuliert wurden oder die politisch – religiöse Verehrung, die bei jeder Messe zugunsten des widerwärtigen Diktators Trujillo in der Dominikanischen Republik geleistet werden musste. Das Thema „theologische Selbsterhöhung der Diktatoren“ zu vertiefen, wäre spannend und wichtig.

7. Der heilige Napoléon
Das staatliche Fest des heiligen Napoléon (ein Märtyrer unter Kaiser Diokletian) wurde auf Befehl des Kaisers Napoléon eingeführt, selbstverständlich am Geburtstag von Napoléon Bonaparte, also am 15.8. (Quelle: https://fr.wikipedia.org/wiki/Saint-Napol%C3%A9on).
Napoléon bezog sich bei diesem seinem Fest (mit Prozessionen im Freien) auf einen Heiligen Neopol bzw. Neopulus. Rom hingegen hat abgelehnt, diesen wirklichen Heiligen mit einem eher konstruierten Heiligen „Napoléon“ in Verbindung zu bringen. Darum wurde dieser Kult um den Heiligen Napoléon endgültig 1870 abgeschafft, lediglich in Ajaccio auf Korsika, dem Geburtsort von Bonaparte, soll es noch eine gewisse Verehrung für den heiligen Napoléon geben.
Es ist in gewisser Weise eine Ironie, dass Napoléon Bonaparte den Kult um einen heiligen Napoléon einführte, der als Widerstandskämpfer gegen den Kaiser ermordet wurde! Eins steht fest: Ein heiliger Napoléon ist eine politisch – theologische Erfindung! Aber die führenden Bischöfe und ihre Priester in Frankreich damals machten diesen theologischen Blödsinn gern und unterwürfig mit!(Quelle:https://www.cairn.info/revue-historique-2012-3-page-609.htmhttps://www.cairn.info/revue-historique-2012-3-page-659.htm, ein Beitrag von Vincent Petit).

Wichtig ist auch das Buch von Werner Telesko, Wien 1998:, „Napoleon Bonaparte. Der moderne Held und die bildende Kunst“. 1811 als Buch, 513 Seiten.

8.
„Napoléon und Jesus
Im März 2021 ist in Paris ein erstaunliches Buch erschienen, mit dem Titel „Napoléon et Jésus“, der Untertitel, ins Deutsche übersetzt: „Die Thronbesteigung eines Messias“. Autorin ist die junge Philosophin Marie-Paule Raffaeli-Pasquini, erschienen ist das Buch in dem katholischen Verlag (des Dominikanerordens) Editions du Cerf, Paris. Die Autorin will zeigen, dass sich Napoléon selbst in der Rolle eines Messias sah, dessen Werk ewig währt. Unterstützt wurde er in dieser maßlosen Selbsteinschätzung auch von der Verehrung, die ihm, wie einem heiligen Objekt, entgegengebracht wurde. Zahlreiche Gemälde, auch viele populäre Chansons und literarische Hymen bestätigen diesen Trend. Dass dabei auch von katholischer Seite Widerspruch kam, ist selbstverständlich. Einige Pfarrer verglichen den maßlosen Anspruch des „Christus – Napoléon“ mit drohenden Aussagen des biblischen Buches der Apokalypse (etwa zum Antichristen).
In jedem Fall: Napoléon wollte mit sich selbst als Monarchen noch einmal den von Gott gesandten Herrscher lebendig werden lassen. Die Autorin bezieht sich in ihrer ausführlichen Analyse auf ein so genanntes Mémorial, das auf St. Helena von Emmanuel Las Cases, Politiker und Napoléon – Freund verfasst wurde. Zu der genannten Neuerscheinung: Ein Interview mit der Autorin, veröffentlicht von der „Fondation Napoléon“ : https://www.napoleon.org/magazine/interviews/marie-paule-raffaelli-pasquini-napoleon-et-jesus-avril-2021/

9.
Sein bürgerliches Gesetzbuch
Es mag ja sein, dass sich Napoléon für eine Art zweiten Christus gehalten hat oder der Nachwelt dies bloß einreden wollte. Tatsache ist aber auch, dass er ein Egomane, eine Gewaltherrscher war, ein Freund des Krieges und des Mordens. Dass er die Ideen der Freiheit verbreitete, zumal in Deutschland, ist eine Tatsache. Einige zentrale Ideale der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, hat er in Deutschland und Holland durchsetzen können aufgrund seines „Code civil“, des bürgerlichen Gesetzbuches, das 1804 in Frankreich in Kraft trat. Dieses Gesetzbuch enthielt bürgerliche Freiheitsrechte für männliche (!) Bürger, es sicherte die Gleichheit vor dem Gesetz, den Schutz des Privateigentums usw. Wegen dieser Haltung, der Vollendung der Ideale der Französischen Revolution, wurde Napoléon auch von G.W.F. Hegel geschätzt, selbst wenn er seine jugendliche Begeisterung für den französischen Herrscher im Alter bremste…

10.
Ein rassistischer Gewaltherrscher
Es ist eine Tragik in der Menschheitsgeschichte, dass einige richtige Ideen manchmal von Gewalttätern vertreten werden. Und es ist eine Schande, dass diese Herrscher nicht in der seelischen Reife leben, sich selbst, persönlich, an die propagierten Ideale zu halten. Dadurch werden die politischen strukturellen Beschädigungen nur fortgesetzt. Und es ist wohl auch, gelinde gesagt, hoch problematisch, wenn eine Nation, Frankreich, auch heute noch meint, sich immer noch in dem dunklen Glanz dieses Napoléon sonnen zu können. Äußerliche Größe des Autokraten wird als nationale Größe verstanden, was für ein Wahn. Die Debatten um die Dekolonisierung werden das rassistische Gesicht Napoléons deutlicher machen. Man wird die Menschen zum Beispiel in Haiti fragen, was sie vom brutalen Kolonialherren denkenn

11.
Wann verschwindet der Text der “Marseillaise”?
Die maßlosen Feierlichkeiten, gewundenen Festreden und offiziellen Erinnerungen (Ausstellungen) an den Autokraten Napoléon jetzt, die ebenso maßlose Begeisterung der vielen Napoléon Forscher und Napoléon Publizisten, allein in diesem Jahr werden mindestens 100 neue Bücher über ihn in Frankreich erscheinen, all das zeigt: Es gibt eine gewisse Erstarrung in der französischen Kultur. Es ist dieses Sich-Klammern an alten, falschen Glanz der angeblich großen Nation. Das deutlichste Beispiel dafür ist für mich immer noch die selbstverständliche Praxis, diese Nationalhymne, die “Marseillaise” auch mit dem unsäglichen Text heute noch zu singen bzw. zu schmettern. Warum nur sind alle Versuche selbst “prominenter” Leute gescheitert, diese Marseilaise mit diesem verrückten Text in den Kellern histoischer Museen verschwinden zu lassen? Darauf gibt es bisher keine Antwort. Es ist wohl diese Macht der Gewohnheit, die so verstörend, so gefährlich ist. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wie christlich war das „christliche Europa“?

Ein zentrales Thema französischer Historiker und Religionssoziologen
Ein Hinweis von Christian Modehn

Vorwort:
Man sollte nicht vergessen, mit welchen Bravour und Penetranz der polnische Papst Johannes Paul II. (er regierte von 1978 bis 2005) sein Programm „Wir brauchen (wieder) ein christliches Europa. Wir brauchen eine Neu-Evangelisierung Europas” öffentlich überall äußerte! Das christliche Europa (gemeint war immer das katholische unter päpstlicher Leitung) beschwor er: Es war explizit nicht das liberale, also demokratische Europa! Dieses galt in päpstlicher Sicht als das relativistische und konsumistische Europa. Und es war auch NICHT das sozialistische Europa, sondern ein Europa, das sich „auf seine Wurzeln“, wie Johannes Paul II. gern sagte, besinnt … und entsprechend, vergangenheitsbezogen, handelt. Diese Wurzeln waren für den Papst das christliche Menschenbild, wie er es deutete, also der Mensch als Ebenbild Gottes. Und dieser Gott hat seine Rechte, Gottesrechte, sie waren für den Papst immer wichtiger waren als die Menschenrechte, die auf der Autonomie des Menschen (Kant) allen Wert legen. Gottesrechte kann bekanntlich allein die katholische Kirche deuten! Dieses alte Europa in der Phantasie des Papstes hat so nie bestanden, darin sind sich die Historiker einig. Aber der Papst brauchte diese Propaganda und Illusion, um kirchliche, d.h.klerikale Macht in Europa durchsetzen zu können. Die von ihm so geliebte neuen geistlichen Bewegungen (Opus Dei, Neokatechumenale, Legionäre Christi, Emmanuel, Communione e liberazione und andere) waren und sind noch immer die „Kampftruppen“ der neuen Evangelisierung Europas. (vgl. zu dem Themenkomplex die Studien in dem Buch „Le Reve de Compostelle“, Edition Centurion, Paris, 1989).
Man sieht an dem Vorwort einmal mehr auch die kirchenpolitische und religionskritische Relevanz unseres Themas…Und muss sich erinnern, wie sehr etliche der Führer und Gründer dieser neuen geistlichen Gemeinschaften inzwischen des sexuellen Missbrauchs bzw. des spirituellen Missbrauchs angeklagt und z.T. überführt wurden…

1.
Die Frage: „Wie christlich waren eigentlich die sich christlich nennenden Europäer?“ ist ein umfassendes Forschungsprojekt, wenn man die Kulturen Europas verstehen will.

Aber welche Kriterien sollen gelten, um die Christlichkeit der Europäer oder Europas „festzustellen“?
Da gibt es einerseits die Kriterien, die in den Dogmen der Kirchen vorgegeben sind: Danach ist christlich der Mensch, der an den Sakramenten teilnimmt und regelmäßig am Gottesdienst, der Hl. Messe,  und gehorsam die Weisungen der jeweiligen Hierarchie befolgt usw. Ethische Kriterien, etwa Friedfertigkeit, Toleranz für Andersdenkende, diakonisches Engagement usw. spielen dann eine untergeordnete Rolle. So kann man allen Ernstes lesen, das europäische Mittelalter und die Neuzeit seien christlich gewesen, weil Kathedralen errichtet wurden und fromme Orden durch viele tausend Mitglieder florierten und die Leute Pilgerfahrten unternahmen. Welch fromme Zeiten…Weniger Beachtung finden dabei die Kreuzzüge, die Ketzerverfolgung, die Judenverfolgung, die Missachtung und Tötung von Homosexuellen, die Degradierung von Frauen, die Hexenverbrennungen, die auch kirchlich geduldete Sklaverei und der Kolonialismus und so weiter.
Man sieht also, das Kriterium zur „Messung“ der Christlichkeit Europas, das sich an den Dogmen der Kirchenführung orientiert, ist höchst problematisch.
Aber ist eine Alternative als Kriterium so viel überzeugender, die betont: Respektieren wir die unterschiedlichen Glaubensformen und religiösen Praktiken, die etwa im Mittelalter und der Neuzeit und auch heute vorhanden sind. Und schätzen wir diese bunte und unüberschaubare Vielfalt als normal und üblich ein. Seien wir also „liberal“ und freuen uns über Astrologie und Teufelskult, über trinitarischen Glauben und antitrinitarischen Glauben, über Marienkulte und Wunderglauben, über Reliquienverehrung und Glossolalie usw. Wer als Kriterium einfach nur die bunte Vielfalt nimmt und diese gut und richtig findet als erfreuliche Pluralität aller nur denkbaren Glaubensformen, wird kaum dazu neigen, irgendeinen Augenblick der europäischen Geschichte als „Verlust des Christlichen“ bzw. als Böüte des Christlichen. zu bewerten. Religion war ja schließlich immer „irgendwie“ vorhanden.
Weiter führt und richtig ist nur ein Kriterium, das NICHT den Religionen und ihren Dogmen entnommen ist, sondern das aus der allgemeinen Vernunft stammt. Gemeint sind der auch politisch realisierte Respekt und die tatsächliche Förderung der Menschenrechte. Das ist das entscheidende Kriterium, um eine Epoche christlich oder weniger christlich zu nennen. Was als Kriterium säkular, weltlich, auf den ersten Blick erscheint, ist de facto eng gebunden an die Ethik Jesu, die im ethischen humanen Handeln den besten Gottesdienst sah und dann förmlich als Fortsetzung in der philosophischen Ethik etwa von Kant fand.

2.
Historiker und Soziologen, die noch den dogmatischen Vorgaben der Kirchen folgen, um eine Gesellschaft christlich zu nennen, verdienen trotzdem unsere Aufmerksamkeit. Denn die Ergebnisse der Historiker und Religionssoziologen müssen sich noch öffentlich, auch in den Kirchen, herumsprechen. Denn sonst besteht das Vorurteil weiter: „Früher waren die Menschen in Europa gläubiger/religiöser als heute“. Soweit man Religiosität eines Menschen überhaupt von außen „feststellen“, also an äußerer religiöser Praxis messen kann: Die These vom christlichen Abendland, bevölkert von dogmatisch und moralisch „hundertprozentigen Christen“, ist falsch. Die Leidenschaft etwa der katholischen Inquisition reagiert bereits auf diese Situation, dass in der Sicht der Kirchenführung eben nur einige als zuverlässige dogmatische Christen eingestuft werden können.
Dese Erkenntnis wirft ein ganz neues Licht auf die vielbesprochene Säkularisierung des Bewusstseins in den letzten Jahrhunderten. Aber was ist der Unterschied zwischen dem weit verbreiteten religiösen Desinteresse im 17. und 18. Jahrhundert und der Säkularisierung und dem Atheismus des 19. und 20. Jahrhunderts? Das muss noch untersucht werden.

3.
Hier geht es zunächst um Darstellung einiger wesentlicher Tatsachen, die die Geschichtswissenschaften bisher vermitteln.
Ich beginne mit Bernhard Groethuysen und seiner umfassenden Studie „Die Entstehung der bürgerlichen Welt und Lebensanschauung in Frankreich“, die zuerst 1927 in Halle erschienen, dann bei Suhrkamp 1978 veröffentlicht wurde. Nur einige zentrale Erkenntnisse können hier aus dem 2. Band dieser Studie vorgestellt werden. Groethuysen bezieht sich auf die Einschätzung des Bürgertums durch die katholische Kirche Frankreichs im 18. Jahrhundert. Und er zeigt die Verbindung, wie mit der Ablehnung des aufstrebenden Bürgertums durch die herrschende Kirche die Bürger sich in dieser Kirche nicht mehr „wohlfühlten“, verstanden fühlten und deswegen in eine radikale Distanz zur Kirche und der Kirchenlehre traten. Die Kirche hatte sich festgelegt auf „eine ein für allemal fixierte Gesellschafts – Ordnung“ (S. 195), die keinen Raum ließ für eine Verbindung des Glaubens mit den Idealen der aufstrebenden Bürger. Die Kirche verurteilte deren Willen, auch finanziell erfolgreich zu sein, etwa durch die Praxis des Geldleihens mit der Zahlung von Zinsen. Die Kirche wollte verhindern, dass der nach (ökonomischem) Erfolg strebende Bürger „über die ihm vorgezeichneten (ewigen) Grenzen hinausstrebt“ (197). Veränderungen, zumal Revolutionen, waren die größten Übel für diese Kirche. Welche Konsequenzen ergaben sich? Groethuysen schreibt: „Der Bürger braucht die Religion nicht mehr. Er hat ihre Lehren nicht eigentlich verworfen, wohl aber hat er sich ein Leben gebildet, das außerhalb des religiösen Vorstellungskreises verläuft. Religion bedeutet für ihn Vergangenheit, sie stellt sich als etwas dar, was am Leben selbst unwahr geworden ist“ (206). „Der Bürger will vor allem ein ehrlicher Mann sein, es kommt ihm nicht mehr darauf an, als frommer Mann zu gelten“ (ebd.) Und das gilt im Frankeich des 18. Jahrhunderts! Die Pfarrer und Theologen damals, so schreibt Groethuysen ausführlich, kommen zu der Überzeugung: „Die Bürger leben außerhalb des Christentums, und es könnte manchmal so scheinen, als seien sie überhaupt niemals Christen gewesen“ (S. 208). Dabei steht fest: Den Maßstab des Christlichen liefert die Kirchenführung! Aber der ehrliche Bürger könnte doch, wenn er ehrlich ist und seine Mitmenschen nicht schädigt, durchaus elementare humane und christliche Werte leben. Aber das kann und will die Kirchenführung nicht sehen und anerkennen. Groethuysen fasst die Überzeugung des nicht – kirchlichen Bürgers zusammen: „Der Bürger bedarf der kirchlichen Vorstellungswelt nicht mehr. Er findet in seinen eigenen Anschauungen und Wertungen und nur in ihnen das, dessen er bedarf, um das gesellschaftlich – wirtschaftliche Leben zu regeln und seine Ansprüche zur Geltung zu bringen.“ (210).
Damit, so müsste weiter geprüft werden, wurde der Bruch und Widerspruch eingeleitet zwischen einer Moral der kapitalistischen Wirtschaft und einer religiösen, traditionell christlichen Ethik. Weil diese sich dem Bürgertum gegenüber als total abweisend verhielt, wurde christliche Ethik später, auch selbst in reflektierter Form, als Gestaltungskraft des maßlos werdenden Kapitalismus ignoriert.

4.
Einige empirische Studien:
Wer anschauliche, eher journalistische Einschätzungen zur Religiosität der Pariser Bevölkerung wenige Jahre vor der Revolution 1789 studieren möchte, dem empfehle ich Louis Sébastien Merciers Werk „Mein Bild von Paris“, auf Deutsch, als Auswahl, als Insel Taschenbuch 1979 erschienen. Die französische Ausgabe „Tableau de Paris“ umfasst 2.400 eng bedruckte Seiten. Mercier, gesellschaftskritischer Autor und Romanschriftsteller, lebte von 1740 bis 1814 in Paris.
In der genannten deutschen Ausgabe gibt es unterschiedliche empirische Beobachtungen und Notizen. Etwa ein Kapitel mit dem Titel „Messen“. Darin beschreibt der Autor, wie die vielen und viel zu vielen Priester in Paris dort ihre (lateinischen, still gesprochenen) Messen „daher beten“ (S. 134), um Geld zu verdienen. Für die Messen müssen die Gläubigen bezahlen, die Messen gelten dem ewigen Seelenheil eines verstorbenen Angehörigen. Aber, so beobachtet Mercier, die Teilnahme an diesen Messen geschieht ohne religiöse Betroffenheit. Den ganzen religiösen Kultus hält kaum noch ein gebildeter Pariser für erwähnenswert, geschweige denn für berührend und wichtig. „Wer heute über die Messen herzieht, riskiert im schlimmsten Fall, sich lächerlich zu machen… Witze über die Messen machen höchstens noch Friseurgehilfen. Soll sie zelebrieren, soll sie hören, wer sie mag. Zu reden gibt es gar nichts mehr über die Messen“, so Mercier (S. 137). Über den sehr lebendigen Aberglauben, dem die Frommen in einem Reliquienkult anhängen, schreibt er in einem Kapitel über die „Sainte Chapelle“ (110 f). Das Niederknien selbst in schmutzigen Straßen wird als Ausdruck einer oberflächlichen Frömmigkeit beschrieben, wenn ein Priester die Straße entlanggeht, sichtbar einen Kelch vor sich hin tragend, um Todkranken die Kommunion zu reichen. Dafür kassiert der Mitarbeiter oder der Ministrant dann im Haus des Sterbenden das Honorar. Eine interessante Beschreibung über die Riten, die man Sterbenden zukommen ließ… Mercier schreibt über den damals selbstverständlichen Zwang, regelmäßig zur Beichte zu gehen, wenn man denn eine kirchliche Trauung wünscht (331). Im ganzen beobachtet Mercier: Die meisten Beichtenden sind noch teils frömmelnde teils aufrichtige Bürgersfrauen, verschiedene Greise … sowie „Dienstmägde, die – gingen sie nicht zur Beichte – von ihrer Herrschaft als Diebinnen verdächtigt würden“ (330). Aufschlussreich ist auch das Kapitel „Sonn – und Feiertage“ (235 ff). „Die Kirchen bleiben also, abgesehen von den großen Feierlichkeiten, deren prunkvolles Zeremoniell noch immer eine gewisse Anziehungskraft ausübt, ziemlich leer“ (236).

5.
Als ein universal gebildeter „Mentalitätshistoriker“ hat Jean Delumeau (1923 – 2020), zuletzt Professor am Collège de France, die „Christlichkeit“ Europas studiert. Vor allem in seinem Buch „Stirbt das Christentum?“ (Walter Verlag, Olten, 1978), hat er sich mit dem gelebten, alltäglichen Christentum an der Basis auseinander gesetzt. Er kommt zu dem Gesamtergebnis: Es geht um eine vergangene „Welt, die, obwohl faktisch fast jedermann in einer Kirche hineingeboren wurde, immer ein christliches Missionsgebiet gewesen ist“ (S. 12). Mit anderen Worten: Die getauften Christen waren de facto Heiden wie in einem Missionsgebiet. Zu der Einschätzung kann Delumeau nur kommen, weil er als praktizierender Katholik die Kriterien der Christlichkeit von der kirchlichen Dogmatik übernimmt. Und er findet Unterstützung bei dem bekannten Mittelalter-Historiker Jacques Le Goff, der betont:“ Die Christenheit um 1500 ist beinahe ein Missionsland“ (S. 32). Dieses christliche Europa „war eher eine autoritäre Konstruktion, ein gemeinsamer Rahmen für die Völker, als der bewusste Glaube der Massen an die Offenbarung“ (S. 46). In einem Vortrag über „Christenheit und Christianisierung“ im Jahr 1984 hat Delumeau erneut das Thema aufgegriffen, die katholisch-theologische Zeitschrift „Theologie der Gegenwart“ hat den Vortrag 1985 zugänglich gemacht. Die Veröffentlichung in Deutschland geschah sicher auch deswegen, weil Delumeau die besorgten Theologen des 20. Jahrhunderts beruhigen wollte. Denn seine zentrale These auch aus seinen anderen Studien lässt sich so zusammenfassen: “Heute sind eigentlich viele Europäer besser christlich gebildet als zu Zeiten der angeblich blühenden Christenheit früher“.

6.
Aber schon bald, spätestens 20 Jahre nach Delumeaus Studien, haben französische Religionssoziologen mit vielen Fakten dokumentiert gezeigt: Die Säkularisierung des Bewusstseins der Europäer spitzt sich heute förmlich zu. Während Delumeau noch ein Fragezeichen hinter seinen Buchtitel „Stirbt das Christentum?“ setzen konnte, so verwenden heute Religionssoziologen und ehrliche Theologen eher ein Ausrufungszeichen hinter diesen Titel: Ja, das Christentum, verstanden als dogmatische Organisation der großen Kirchen, stirbt langsam. Und dazu gibt es zumal in Frankreich viele sehr erhellende Studien vor allem von Religionssoziologen und Historikern. (Man denke etwa an eine Studie „Les Francais sont – ils encore catholiques?“ (hg. Von Guy Michelat u.a.), Paris 1991)

7.
Der Historiker Prof. Guillaume Cuchet hat 2018 seine Studie veröffentlicht “Comment notre monde a cessé d etre chrétien“ („Wie unsere Welt aufgehört hat christlich zu sein“). Das Buch mit dem Untertitel „Anatomie eines Zusammenbruchs“ bezieht sich auf die Situation in Frankreich, erinnert etwa an den Philosophen und Mathematiker Blaise Pascal, der schon im 17. Jahrhundert betonte: „Das authentische Christentum ist immer eine Sache einer Minderheit gewesen“. Oder an den dänischen Philosophen Kierkegaard wird erinnert, der im 19. Jahrhundert betonte: “Das Christentum existiert eigentlich nicht …Was ist das im Grunde für eine furchtbare Komödie im ganzen Land, das sich christlich nennt“ (zit. s. 12). Cuchet wendet sich dann aber sehr ausführlich einer langen Liste von Studien einer auch kirchlich orientierten Religionssoziologie zu, die alle Leidenschaft darauf verwendet(e), Statistiken zum Gottesdienstbesuch in den unterschiedlichen Regionen Frankreich während vieler Jahre zu erheben. Ausführliches Kartenmaterial wurde über all die Jahre angelegt, etwa von dem bekannten Religionssoziologen und Priester Fernand Boulard. „Keine Kirche in der ganzen Welt hat sich (wie die katholische Kirche in Frankreich CM) zu derartigen Übungen der soziologischen Selbstanalyse hingegeben“ (S. 26).
Wer versucht, angesichts der vielen, immer wieder neuen Studien eine Art Gesamteinschätzung zu formulieren, muss erkennen: Die in Frankreich viel besprochene „déchristianisation“ (Entchristlichung) hat sehr früh schon begonnen, schon vor dem Beginn der 3. Republik und den Gesetzen der laicité. Schon im 17. Jahrhundert wird dokumentiert, wie in bestimmten Regionen Frankreichs die getauften Katholiken sich von der Kirche distanzieren (vgl. S 75). Auch auf die Bedeutung der Religionsgesetze der Französischen Revolution muss hingewiesen werden. Dort, wo die Priester die “Zivilkonstitution für dem Klerus“ ablehnten, also die Revolution verurteilten, blieb die religiöse Praxis erhalten. Aber das ist nur ein Element für die Kirchenbindung. Wichtig bleiben vor allem die regionalen Unterschiede der kirchlichen Bindung in Frankreich: Es gab und gibt immer noch stark kirchlich bestimmte Gegenden, wie die Vendée oder die Bretagne UND auch Départements, in den die kirchliche Praxis de facto Null ist, wie im Département Creuse, das übrigens als einziges Département Frankreichs keinen eigenen Bischof hat (der zuständige Bischof sitzt in Limoges). Im Département Creuse “betreut” z.B. 1 Priester in 6 Pfarrgemeinden für ca. 200 Dörfer… Aber das am Rande.

8.
So sehr man auch, verglichen mit dem schwachen Stand der Religionssoziologie in Deutschland, überrascht ist, von der Fülle auch statistischer Studien und spezieller Karten in Frankreich: Die Frage, warum diese Kirche, die sich selbst „älteste Tochter der Kirche“ nennt, nun offensichtlich an ihr zahlenmäßig sichtbares Ende kommt, wird von Religionssoziologen nicht umfassend beantwortet. Dies ist eine theologische und religionswissenschaftliche Frage. Emmanuel Todd und Hervé Le Bras betonen in ihrer Studie „Le Mystère francais“ (2013), dass der französische Katholizismus als System von Glaubenshaltungen und Riten außerhalb eines begrenzten städtischen und eher auf Rentner bezogenen Milieus verschwinden könnte. (S. 83 im Buch von Cuchet). Warum? Die emanzipatorischen Bewegungen des Mai 68 werden als ein Grund genannt, auch innerkatholische Entwicklungen, wie die „Pillenenzyklika“ „Humanae Vitae“. Aber es wird nicht deutlich gesagt: Ein entscheidender Grund für das Verschwinden des katholischen Glaubens in Frankreich und anderswo in Europa sind die starre dogmatische Haltung der Kirchenführer, die Überforderungen eines vor allem alten, wenn nicht greisen Klerus, das Festhalten am klerikalen System, der Ausschluss der Frauen vom Amt sowie in den letzten Jahren: Die vielen nachgewiesenen „Fälle“ sexuellen Missbrauchs durch Priester und die Vertuschungen durch Bischöfe.

9.
Die Menschen, „ehemalige Kirchen-Mitglieder”, bleiben oft an der kulturellen, alten Welt des Katholizismus interessiert, etwa an den prächtigen gotischen Kathedralen und Klöstern, den lateinischen Gesängen und Arbeiten der Künstler. Aber wenn sich in dem Zusammenhang eine Glaubenshaltung entwickelt, dann ist sie nicht mehr oft auf die Organisation Kirche bezogen. Sondern aus solchen „kulturell – katholischen“ Erfahrungen in Kathedralen bildet sich jeder und jede dann seine individuelle Spiritualität. Die man allein lebt und bedenkt oder in kleinem privaten Kreis bespricht. Nach dem Besuch der Kathedrale kann dann selbstverständlich anschließend ein Zen-Buddhistischer Kurs besucht werden oder eine Yoga-Gruppe. Vielleicht auch einen philosophischen Zirkel, in dem die Bibel als ein Buch der Weisheit gelesen wird. So verändert sich die christliche Religion grundlegend, nicht nur in Frankreich. Verschwindet sie auch? Das sicher nicht. „Die Religion zieht um“, hat ein holländischer Theologe einmal gesagt. Nur: Die katholische Kirche beobachtet hilflos ihr eigenes langsames Verschwinden. Sie ist nicht imstande, von such aus undogmatische Gesprächskreise für die vielen Menschen anzubieten, die nach dem Sinn des Lebens fragen, vielleicht auch nach Gott, die aber keine Kirchenbindung mehr ertragen können….wohl aber dringend menschliche Gemeinschaften für ein reifes geistiges Leben suchen.
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Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Voltaire zeigt: Der christliche Glaube sollte sich von vielen Dogmen befreien.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Gibt es einen einfachen, also einen weithin von Dogmen befreiten und von der Vernunft begründeten christlichen Glauben? Der Philosoph Voltaire ist davon überzeugt und er setzt sich in seinen Büchern dafür ein, meist in Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Denken des Philosophen Blaise Pascal.
Es lohnt sich, Voltaires Erkenntnissen zu folgen. Gerade heute, wo die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in Europa aufgrund eigenen Versagens verschwindet und spirituell Fragende von den vielen Lehren, Moralprinzipien und Dogmen zurecht nichts mehr wissen wollen…

2.
Ich beziehe ich mich auf das neue Buch des bekannten Philosophiehistorikers und Philosophen Kurt Flasch: „Christentum und Aufklärung. Voltaire gegen Pascal“ (2020). Es ist in vielfacher Hinsicht anregend und wichtig, es ist sozusagen eine viel ausführlichere Studie als der Essay: „Voltaire gegen Pascal“ aus dem Buch von Flasch „Kampfplätze der Philosophie“ (2008), dort die Seiten 331 – 347.
Um die durchaus aktuellen Gedanken Voltaires vorzustellen, muss an einige grundlegende Erkenntnisse, „Voraussetzungen“, erinnert werden, die Kurt Flasch in seiner neuen umfangreichen Studie vorstellt.

3.
Grundsätzlich gilt für den Philosophiehistoriker Flasch: Voltaire als Atheisten zu verstehen ist falsch (S. 412). Diese populäre, oberflächliche Deutung ist bis heute in kirchlichen Kreisen noch gängig, dieses Vorurteil verhindert eine für die Kirchen gefährliche, aber fruchtbare Auseinandersetzung mit Voltaire. Er war aber auch kein „Deist“, also ein Denker, der an einen fernen, an der Welt desinteressierten „Uhrmacher – Gott“ glaubt .
Voltaire war nicht nur Theist, (also bezogen auf einen transzendenten Gott, der sich um seine geschaffene Welt kümmert), sondern er war Christ, ein Christ allerdings der besonderen, der kritisch reflektierten Art. „Voltaire hat intensive theologiegeschichtliche Studien betrieben“ (S. 364). „Er hat das Wissen von Lorenzo Valla, Erasmus, Servet, Fausto Sozzini, Denis Pétau und Richard Simon zusammengefasst“ (S. 412), also das Wissen der bekannten Humanisten und historisch – kritisch forschenden Theologen und Bibelwissenschaftler im 16. Und 17. Jahrhundert. Diese genannten Wissenschaftler erschütterten das klerikale und machtvoll durchgesetzte System des veralteten üblichen Wissens. Sie wurden also an den Rand der damaligen Wissenskultur gedrängt, wenn sie nicht sogar als „Irrlehrer“ verfolgt wurden.
Aber „dieses Wissen hat Voltaire gegen Pascal zur Geltung gebracht. Er versuchte, den Grundbestand des Theismus zu sichern, indem er ihn von der Metaphysik auf die Moral herüberzog“ (ebd.). Flasch weist darauf hin, dass dieser Ansatz dann von Immanuel Kant eine ausführliche Vertiefung fand, als dieser Religion in der praktischen Vernunft gegründet wusste.
Noch einmal: Voltaire ist ein theistischer Christ der besonderen, der modernen Art. Jedoch: „Die Dogmen der Welterschaffung, der moralischen Weltregierung und der Gottebenbildlichkeit des Menschen hat er nie aufgegeben, ebenso wenig die christliche Ethik in einer nicht-augustinischen Interpretation“ (402). Voltaire hat sozusagen die Zahl der glaubenden Hypothesen reduziert, er hat dadurch die Menschheit entlastet von allerhand mysteriösem Ballast.
Voltaire weiß, in welchem tiefen geistigen Umbruch er lebt, er will ein vernünftiges Christentum bewahren. „Voltaire hielt das Christentum für gesellschaftlich wünschenswert, sogar für unentbehrlich (290). Und das ist etwas ganz anderes als das leidenschaftliche religiöse Engagement Pascals: Flasch schreibt: „Pascal rettete das Christentum indem er allen blutgetränkten mythologischen Tiefsinn, den er bei Moses, Paulus und Augustin finden konnte, zur Aktualisierung des Christentums aufbot. Vom Irrationalsten (=Erbsünde, C.M.) und Unmöglichen lenkte er dunklen Glanz auf den dogmatischen Altbestand“ (291).

4.
Voltaire will also, wie Pascal hundert Jahre zuvor, den christlichen Glaubens „retten“, so wörtlich Kurt Flasch, und zwar gegen andringende Freigeister und Atheisten, aber auch vor den maßlosen dogmatischen Ansprüchen der Hierarchen und ihrer Theologen. Pascal hatte dies noch auf seine Art etwa in den Notizen, den „Pensées“ versucht. Aber er hatte keinen Respekt vor der historischen Kritik der Bibeltexte oder der philosophischer Religionskritik. Pascal hatte sich absolut an das theologisch wie historisch – kritisch unbegründbare „Mysterium der Erbsünde“ gebunden, die Erbsünde rückte in den Mittelpunkt seines Denkens. „Er machte sie zur zentralen Idee des Christentums“ (S. 414). Die Verdorbenheit der ganzen Menschheit und die Teilhabe nur weniger Erwählter an der Gnade im Sinne des späten Augustinus war für Pascal entscheidend, er wollte das von ihm gedeutete totale Elend der Menschen durch Bezug auf das ideologische Konstrukt Erbsünde des späten Augustinus verstehen. Darin folgte Pascal auch der Bindung an Augustin, die die Reformatoren Luther, Calvin und später auch der katholische Bischof Jansenius bzw. die Jansenisten über alles pflegten und liebten.

5.
Mit vielen Argumenten und Belegen spricht Kurt Flasch auch in seinem neuen Buch von seiner wissenschaftlichen Abwehr der Erbsünden – Ideologie des Augustinus, die sich verheerend auswirkte in der Kirchengeschichte, nicht nur bis zu Pascal, sondern darüber hinaus. „Voltaire ruft Pascal zu, seine Argumentation (bezogen auf die Allmacht des Konstrukts Erbsünde) schaffe Atheisten“ (S. 415). Denn sie mache den Glauben lächerlich, indem behauptet wird: Später Geborene sollen schuldig sein an der Schuld eines Früheren, nämlich des Herrn Adam. Und diese Schuld solle sich durch alle Zeiten aller Völker im „Geschlechtsverkehr“ übertragen. Und überhaupt: Nur wenige Christen werden von diesem Zornes – Gott gerettet. Die meisten sind die „massa damnata“, die verurteilte Masse derer, die zur Hölle bestimmt sind von Gott persönlich.
Was für ein Grauen wird da behauptet, auch durch Pascal. Er mag ja hübsche Sätzchen zitierfähig über das Wesen des Menschen geschrieben haben seinen „Pensées“, aber etwas zynisch gesagt: Wäre er doch bloß nur Mathematiker geblieben…Ohne ihn hätte das Christentum vielleicht einen erfreulichen Anblick erhalten.
Die offizielle dogmatische Lehre von der Erbsünde ist für Voltaire also ein Konstrukt, ein Willkürakt, den Bischof Augustin gegen besser informierte Theologen (wie Bischof Julian von Eclanum) mit Gewalt durchsetzte.
Auch darauf hat Kurt Flasch seit Jahren nun auch in anderen Studien hingewiesen. Wird seine Forschung beachtet? Ich fürchte nein, wenn man nur z.B. bedenkt, dass dem „berühmten“ Eugen Drewermann nichts anderes einfiel, meine Abweisung der Erbsündenlehre in einem Essay für Publik – Forum als „atheistisch“ zu disqualifizieren. LINK
Es ist also immer die alte Leier, die Kirche glaubt, nur Kraft der Erbsünde bestehen zu können, was in diesem System so falsch ja nicht ist: Denn, so die Dogmatik, von der Erbsünde werden Menschen allein durch die Taufe befreit. Die Taufe aber spendet einzig der Klerus. Also ist der Klerus unverzichtbar, der Erbsünden-Erfindung sei Dank, besonders dir, lieber Augustin.

6.
Hier geht es um etwas anderes, genauso Wichtiges:
In seinem genannten neuen Buch befasst sich Flasch mit den hoch gebildeten italienischen Theologen und Reformatoren Sozzini, vor allem mit Fausto Sozzini(1539-1604) und Lelio Sozzini (1525-562). Um diese Reformatoren, die das klassische Trinitätsdogma aus guten Gründen, wissenschaftlich, historisch begründet ablehnten, bildeten sich Gruppen von Gläubigen, die dann Sozzinianer genannt wurden bzw. Polnische Brüder, weil sich die Sozzininis nach Polen flüchten konnten, das damals relativ tolerant war. Dort errichtete diese christliche Gemeinschaft eine viel beachtete Hochschule in Raków. Bekannt ist der polnische Theologe und Philosoph, der Sozzinianer Andreas Wissowatius (Andrzej Wiszowaty) (1608 in Filipów – 1678 in Amsterdam).
Die Sozzinianer bzw. die „Polnischen Brüder“ waren im Studium der christlichen Traditionen schon weiter als Pascal, „sie kannten die Vielfalt der historischen Wirklichkeit aufgrund ihrer Quellenstudien“ (158). Flasch bevorzugt in seinem neuen Buch die Schreibweise „Socinianer“, ich bleibe bei der üblichen.
Es ist wichtig, dass Flasch auf die Wirkungsgeschichte der Sozzinianer auf die Arminianer hinweist. Arminianer ist bekanntlich eine ältere Bezeichnung für die bis heute in den Niederlanden vor allem bestehende humanistische freisinnige christliche Kirche der Remonstranten (vgl. etwa S.352)
Flasch betont eine „Affinitiät“ Voltaires zu den verfolgten Sozzinianern: „Sie sahen Gott … als den Vater aller Menschen, also nicht nur einer Kirche, schon gar nicht mit Jansenius und Pascal als Gott nur der Auserwählten (S 366).

7.
Eine Art Zusammenfassung:
Kurt Flasch zeigt in seinem neuen Buch, wie Voltaire das Christentum und damit die sich „orthodox“ nennenden christlichen Kirchen von vier Dogmen befreite. Sie hätten, so Voltaire, keine Begründung in der Bibel, vor allem im Neuen Testament. Das alles ist keine „theologische Spielerei“! Voltaire betont: Diese Dogmen sind gefährlich, wenn sie gesellschaftlich und politisch gelebt werden.
Diese vier Dogmen sind:
Der Glaube und das Dogma, dass die Bibel wörtlich unmittelbar von Gott selbst stammt, die so genannte Verbalinspiration der Bibel.
Der Glaube und das Dogma, dass Gott eine Trinität ist, bestehend aus drei Personen und dass Jesus von Nazareth ewig-gleich mit Gott-Vater ist.
Der Glaube und das Dogma, das alle Menschen durch die Schuld des einen Manne, Adam, schuldig wurden (Erbsünde) und dass Jesus von Gott (dem liebenden Vater ?) zu einem Sühneopfer am Kreuz zur „Erlösung“ bestimmt wird.
Der Glaube und das Dogma, dass nur einige wenige wegen der Erbsünde von Gott zur Erlösung vorherbestimmt sind.

8.
Kurt Flasch kommentiert lapidar mit Voltaire: „Da ist kein Glaubensartikel dabei, der nicht Bürgerkrieg verursacht hat“ (S. 422). „Die endlosen (dogmatischen) Wortgefechte wurden Kriegsgründe. Nicht das Christentum war abzuwählen, sondern diese vier dogmatischen Unruheherde und die immer noch kampfbereiten Konvulsionäre“ (also Ultrafromme, charismatisch sich begeistert fühlende Christen, die ihren Glauben in Zuckungen und allerhand Geschrei ausdrückten, C.M.) (422).

9.
Kurt Flasch hält sich mit Aktualisierungen seiner Studien zurück. Am Ende seiner großen Studie „Christentum und Aufklärung“ (2020) deutet er seine Skepsis an: Die Kirchen werden sich wohl kaum für den Weg des einfachen und vernünftigen, von Voltaire beschriebenen Glaubens einlassen. Eigentlich bräuchte die moderne Welt ein anderes Christentum als das herschende. Aber das Christentum, also die großen, sich machtvoll gebenden Kirchen, sind alt geworden, starr, können sich nicht aufraffen zu einer dogmatischen Säuberung ihrer ewig mitgeschleppten Lehren. Die allermeisten Kirchen sind erstarrt, haben Angst vor Neuerungen auch dogmatischer Art, weil dies de Eingeständis eines Irrtums gleich käme. Aber dogmatische Irrtümer gibt es in der Ideologie der römischen Kirche nicht, alles einmal definierte Glaubensgut der Dogmen bleibt, auf Teufel komm raus möchte man sagen.

10.
Was bleibt? Daran denken, dass es noch kleine undogmatische christliche Kirchen gibt. Oder: Den eigenen spirituellen Weg allein oder in kleinen Gruppen gehen. Oder: Voltaire lesen oder eben auch die großartigen Studien von Kurt Flasch. Für ihn wie für uns ist Augustin alles andere als ein Heiliger, in seinen letzten 30 -40 Lebensjahren hat er die Kirchen bleibend vergiftet … mit seinem Erbsünden – Wahn. Manche Erkenntnisse aus seinen literarisch so schönen „Confessiones“ bleiben natürlich bedenkenswert.

Kurt Flasch, „Christentum und Aufklärung. Voltaire gegen Pascal“, Verlag Vittorio Klostermann, 2020, 436 Seiten, 49 Euro.

Von Voltaire empfehle ich als Einstieg das „Philosophische Wörterbuch“, das bei Reclam jetzt neu erschienen ist.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de