“Uns allen blüht der Tod” – Der mexikanische “dia de los muertos”

“Uns allen blüht der Tod…” – Das mexikanische Totenfest. Siehe auch den Buchhinweis am Ende dieses Beitrags.

Von Alfons Vietmeier, Mexiko – Stadt.

Das mexikanische Totenfest (“Días de los Muertos”) ist das (fast)  wichtigste Volksfest des Jahres. Zuerst und vor allem ist es ein Familienfest. Fast so wie an Weihnachten wird das Wohnzimmer geschmückt mit Girlanden und es wird ein Altar gebaut: statt Geschenke für uns Lebende, werden die Verstorbenen empfangen und beschenkt mit all den Lieblingspeisen und –Getränken, die ihnen im Leben wichtig waren; so darf auch ein Tequila nicht fehlen. Und für jeden Lebenden und Toten der Familie steht auf dem Altar ein kleiner Totenschädel aus Schokolade oder Amaranto mit einem Zettel der den jeweiligen Namen angibt. Auf dem Altar sind zudem die Fotos der Verstorbenen, einige persönliche Erinnerungsstücke und symbolisch die vier Elemente: Blumen als Zeichen von Erde, Kerzen (zumindest vier für die Himmelsrichtungen) als Zeichen des Feuers, Weihrauch als Zeichen des Windes und dann ein Wasserglas. In einigen Regionen kommen schon am 31. Oktober abends die verstorbenen Kinder; in der Mehrzahl der Regionen kommen sie am 1. November abends und am 2. November dann die verstorbenen Erwachsenen. Damit sie den Weg zum Altar auch finden, streuen viele Familien einen Weg mit den gelben Blütenblättern der “Cempasúchil – Totenblume”: gelb ist die Farbe des Lebens und der Sonne: Himmel und Erde sind vereint. Es wird gebetet, gesungen, Erinnerungen erzählt und es wird miteinander gegessen: das süsse “Totenbrot” und heisser Kakao. Natürlich werden die Gräber auf den Friedhöfen mit diesen gelben Bumen üppig geschmückt. in vielen Orten ist des Brauch , abends im Dunkeln sich auf dem Friedhof zu treffen mit vielen Kerzenlichtern: Lebende und Tote besuchen sich und nachdenklich – dankbar werden Erinnerungen, Essen und Trinken miteinander geteilt.

Die Wurzeln dieser Festtage reichen weit zurück in die vorspanische Kultur und Religion. Über Jahrtausende erwuchs diese Kosmosvision einer integralen Welt, in der Natur und Menschen eine Einheit bilden. So wie die Pflanzen blühen, Frucht bringen und sterben und dann als Dünger neues Leben zu ermöglichen, so ist es auch mit dem menschlichen Lebenszyklus. Wir sind Teil eines sich immer erneuernden Ökosystems. Tod und Leben gehören zusammen.

In solchem Begreifen eines ewigen Austausches von Leben und Tod ist auch die indigene Religion einzuorden: Das Göttliche beseelt Alles: auch die Natur hat Seele. Jedes Ökosystem, einschlieslich menschliches Leben, macht das göttliche Leben und sein Geheimnis sichtbar. Die uralten Schöpfungsmythen der verschiedenen mesoamerikanischen Völker haben gemeinsam, dass die vier Elemente “Erde – Wasser – Feuer – Wind” alleine nicht den Bestand des Kosmos und des Lebens in ihm schaffen konnten. Deshalb war ein weiterer göttlicher Schöpfungsakt notwendig: um die Dunkelheit  zu erhellen, opfert sich die Gottheit der Kranken und Leidenden, wirft sich ins heilige Feuer und beim sich Verbrennen verwandelt er sich in die Sonne (= die fünfte Dimension), die Alles erhellt und belebt. Krankheit, Leiden und Tod verwandeln sich in Licht und Leben für den ganzen Kosmos und das immer neu!

Wir müssen deshalb keine Angst vor dem Tod haben: Wir sind weiter wichtig für die nach uns Lebenden und diese pflegen zugleich uns weiter! Und zugleich auch: Mensch und Natur sind verwoben: deshalb müssen wir die Umwelt pflegen und auch immer neu die Menschenwürde verteidigen! Genau das empfinden weiterhin ganz Viele, denn es lebt im Unbewussten als kulturelles Erbgut.

Als vor 500 Jahren, nach der politischen Eroberung durch Hernán Cortés, auch der iberische Katholizismus begann die indigene Religion zu erobern, hatten die ersten Missionare kein Problem mit solchen Totenbräuchen. Sie spürten Übereinstimmung mit der christliche Sicht: “Von der Erde sind wir genommen und zur Erde kehren wir zurück!”, so wird bei Beerdigungen gebetet  und am Aschermittwoch als Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet. Von sich selbst sagte Jesus: “Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht” (Joh. 12, 24). Das “Gottesopfer” geschah am Kreuz und Ostern besiegte den Tod. Also Aschermittwoch und Allerseelen, Karfreitag  und Ostern zusammen! Auch bis heute wird das so im katholisch – kirchlichen Milieu ausgedrückt: jeder Kirchenraum hat seinen “Totenaltar”, reich geschmückt mit der Vielfalt indigener religiöser Symbole und keine kommt auf die Idee zu sagen: das ist aber heidnisch! Es ist ein kreativer Synkretismus! Ihn hat es immer schon in der Geschichte des Christentums gegeben, zum Beispiel bei den Weihnachtsbräuchen.

Weil es sich beim Totenfest um eine integrale Kosmosvision handelt, ist notwendigerweise die ganze Gesellschaft mit einbezogen. Jeder Kindergarten, jeder Schule, jedes Büro oder Geschäft hat seinen “Totenaltar” und überall dabei Girlanden und die “Totenblumen”. Jede Stadt und jeder Ortsteil hat auf seinem Hauptplatz einen Wettbewerb von “Totenaltäre” und dazu gibt’s Volksmusik und Essens- und Getränkestände: so etwas wie Weihnachtsmarkt – Stimmung, aber mit weniger Rummel und mehr Volkskultur, mit weniger Kommerz und mehr politisch satitrisch, insbesondere in den letzten Jahren.

Ich war mit meiner Familie auf dem Campus der UNAM der grössten Universtät in Lateinamerika mit rd. 250 tausend Studenten. Einige tausend Studenten und auch Professoren, Ehemalige usw. schlendern gelockert und nachdenklich über die riesige Grünfläche vor dem Rektorat  zwischen Hunderten von grossflächigen Totenaltären: Studenten und Mitarbeiten fast aller Fakultäten und Forschungsstätten haben Kreativen in wochenlanger Vorarbeit erarbeitet. Tema war in diesem Jahr die Erinnerung an das 25. Todesjahr von Jorge Luis Borges, einer der grössten lateinamerikanischen Dichter und tiefsinniger Denker des Lebensdramas. Medizinstudenten visualsieren dies scharf – kritisch mit der Darstellung von Opfern ärztlicher Fehldiagnosen, unterlegt mit Gedichten von Borges. Die Biologie hat natürlich den Tod der Umwelt zum Thema und die Fakultät der Rechtswisenschaften arbeitet das ab mit Beispielen der realen Ungerechtigkeit: die Gefängnisse von voll Kleindelinquenten, verurteilt zum sozialen Tod oder als Kanonenfutter des Drogenkrieges. Und die Täter mit weissen Kragen? Auch sie müssen sterben: der Tod ist gerecht. Uns allen blüht der Tod!

Ich sehe im Fernsehen die Übertragung der Totenfeier der neuen “Bewegung für Frieden mit Gerechtigkeit und Menschenwürde”: Tausende mit Lichtern in der Händen sind in der Dämmerung um die “Siegessäule” versammelt. Ihr Sprecher, der Poet Javier Sicilia, liest einen bewegenden Appell: Es gilt, sich heute zu erinnern insbesondere der Tausenden Opfern einer wilden Unmoral, die sich unseres Landes bemächtigt hat. Jedes Opfer hat einen Namen, ein Gesicht und seine ureigene Lebensgeschichte. Die Gesellschaft und der Staat sind tief verschuldet durch fehlende Gerechtigkeit den Opfern gegenüber und den Lebenden! Zugleich listet es einen hochpolitischen Forderungskatalog auf! Verschuldung beinhaltet auch Entschuldung und Aufbau eines gerechteren Gesellschaftsstuktur. Das mexikanische Totenfest in seiner familiären, sozialen, kulturellen und politischen Ausfächerung hat Zentrum, ein  Herz das klopft und so Herzen bewegt.

Ich höre dann in den Nachrichten vom “G 20 – Gipfel” die markante Aussage: “Der Euro ist das Herz von Europa!”. Ich werde betroffen und wütend: Geld ist zum Herzstück tausendjähriger abendländischer Kultur geworden?! Das darf doch nicht wahr sein: der brutal – orgiastische “Tanz um’s goldene Kalb” ist jetzt Herzenssache?! Genau deshalb erleiden wir eine herzlosen Zeit! So lese ich mit Genugtuung, dass sogar die FAZ (Mitherausgeber Schirrmacher, 4.11.2011) unterstreicht “…wie massiv gerade moralische Übereinkünfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanzökonomischen Vernunft zerstört werden. Solche Prozesse laufen schleichend ab, sie tun ihr Werk im Halbbewussten, manchmal über Jahrzehnte, bis aus ihnen eine neue Ideologie entstanden ist. So war es immer in den Inkubationsphasen der großen autoritären Krisen des zwanzigsten Jahrhunderts. (…) Es ist gut, einen Schritt zurückzutreten, um klar zu sehen, was sich hier vor unser aller Augen abspielt. Es ist das Schauspiel einer Degeneration jener Werte und Überzeugungen, die einst in der Idee Europas verkörpert schienen”.

Gerade unsere kritisch – chaotische Zeit im Umbruch benötigt vor allem auch Zeiten – Erfahrungen, die uns ermöglichen, den tieferen Sinn der Existenz von Welt und Mensch zu entdecken und wieder ins Zentrum zu rücken. Immer dringlicher gilt es, tiefer und weiter zu denken, umzudenken und: anders leben und handeln!

Das neue Buch:
Alfons Vietmeier, 1942 in Emsdetten geboren, studierte inMünchen und Münster Theologie. Als katholischer Priester arbeitete er an der Basis in Cardonal, bei Tula, Mexiko. 1991 zog er nach Mexiko Stadt, um außerhalb des Amtspriestertums ökumenische Bildungsarbeit zu leisten, vor allem im Blick auf die zunehmende Urbanisierung. Er ist mit einer Anthropoligin und Historikerin verheiratet.
Seit seiner Pensionierung im Jahr 2005 engagiert er sich ehrenamtlich in der Gestaltung eines zivilgesellschaftlich relevanten Netzes von der Basis aus zugunsten einer gerechten, demokratischen Gesellschaft und zugunsten von christlichen Gemeinden, die ihre politisch – soziale Aufgabe neu entdecken, und dabei gerade die religiöse Dimension auch neu wahrnehmen.
Sein neues Buch hat den Titel „Mexiko tiefer verstehen“, es bietet einen kritischen Einblick die vielfältige Realität Mexikos.
Viele Menschen in diesem Land sind dem brutalen internationalen Drogenhandel ausgesetzt, Frauen werden abgeschlachtet (Ciudad Juarez), die Zivilgesellschaft wird tyrannisiert, aber sie wehrt sich und braucht Unterstützung weltweit: Denn der Bedarf an harten Drogen in den USA und der so genannten „reichen Welt“ wird geweckt durch eine tiefe Sinnkrise, um nicht zu sagen Sinnleere, in der Millionen reicher und weniger begüterter Menschen leben. Angesichts dieses massenhaften Bedarfs an berauschenden Mitteln bis hin zu total benebelnden Giften darf man sich fragen, was es bedeutet, wenn sich die USA eine christliche Nation nennen. In god we trust, diese und ähnliche Sprüche verdecken nur die Tatsache, dass das Christentum, die Kirchen, in den USA eben nicht wirksam und prägend geworden sind. Die große Sinnleere hat der Glaube eben nicht ausfüllen können. Das Christentum in der Drogen -Konsumenten – Nation USA ist, dürfen wir es sagen, weithin nichts als schöner Schein, als eine Blase, mit der Politik (auch Außenpolitik) gemacht werden kann und mit dem sich viel Geld in Gemeinden machen lässt… das dann aber unter den Hand wieder für harte Drogen ausgegeben wird. Dies sind Randbemerkungen von Christian Modehn.

Das Buch von Alfons Vietmeier „Mexiko tiefer verstehen“ ist im Herbst 2013 im Dialog Verlag Münster erschienen.
copyright: Religionsphilosophischer Salon.

Wenn Gott fehlt. Martin Walsers Klage über den abwesenden Gott.

Wenn Gott fehlt
Martin Walsers Klage über den abwesenden Gott
Von Christian Modehn

Über neue Arbeiten von Martin Walser wird jetzt auch theologisch debattiert. In „Muttersohn“ und „Über Rechtfertigung, eine Versuchung“ gesteht Walser seine eigene Ohnmacht, „nicht glauben zu können“.
Zum Hintergrund: Schon seit seinen frühen literarischen Äußerungen lässt ihn die Frage nach Gott und Religion nicht los (schon in „Halbzeit“, 1960).Jetzt wird der Ton deutlicher, fordernder. Walser möchte so dringend an Gott glauben, aber er kann es nicht. Ihm fehle die Gnade, sagte er. Ein erfolgreiches menschliches Bemühen, die Nähe des göttlichen Geheimnisses zu erreichen, schließt er aus. Denn Walser liebt Augustin, die Reformatoren Luther und Calvin, Kierkegaard und den frühen Karl Barth („er ist für mich eine Erweckung“) über alles. Diese Herren – immer noch sehr einflussreich in den Kirchen – erklärt er zu seinen ausschließlichen Meistern, nicht etwa Theologen, die die Freiheit des Menschen noch hochschätzen. Und die durchaus zeigen könnten, dass der Mensch von sich aus in seinem Geist, in seinem Leben und Lieben, Gott nahe ist: Man denke etwa an die Beiträge Karl Rahners oder Paul Tillichs. Die ganze furchtbare Last der Erbsünde, des völlig zerstörten und „gefallenen“ Menschen, schlägt bei Walser durch. Liberale Theologie könnte hilfreich sein, aber Paul Tillich nennt er „ein abschreckendes Beispiel“. So ist Walser also förmlich eingezwängt in die klassische Gnadentheologie (des frühen Barth zumal), da wird es eine Last, wenn nicht eine Qual, überhaupt die Nähe Gottes zu spüren.
In dem neu erschienen Buch „Was fehlt, wenn Gott fehlt“ setzen sich neun Theologen, darunter eine einzige Frau, die katholische Theologin Elke Pahud de Mortagnes (Freiburg i. Br.), mit Walsers neuestem religiösen Leiden auseinander. Zu Recht schreiben sie, dass die Fixierung auf den frühen Barth des Römerbriefes in gewisser Weise eine Begrenzung ist, hat doch der spätere Barth seine radikale Dialektik selbst aufgeben müssen. Da sind die Ausführungen des Wiener Theologen Ulrich H.J. Körtner aufschlussreich. Er weist zudem darauf hin, dass Walser offenbar die theologischen Werke nicht als Theologie, sondern „als Romane liest“ (S. 131).
Natürlich muss man Walsers Weg respektieren. Aber in meiner Sicht sollte der Leser gewarnt sein: Die dialektische Theologie ist keineswegs das non plus ultra, im Gegenteil. Walser selbst springt in meiner Sicht einmal aus seiner Bindung an den absolut gnadenvoll erwählenden Gott heraus, wenn er die Erfahrung der Schönheit über alles lobt: „Darin ist die Abwesenheit von Rechtfertigung weniger spürbar“. Walser schreibt aber weiter: „Etwas schön zu finden, ist mehr als ein Ersatz für das, was fehlt. Es ist eine mich übersteigende (!) Fähigkeit, dass ich etwas schön finden kann“. Also hat der Mensch diese ihn übersteigende Fähigkeit gar nicht von sich aus? Ist etwa jede ästhetische Erfahrung schon wieder ein Gnadengeschenk, das dem einen versagt, dem anderen erschlossen ist. Ist die ganze Kunst – und Kulturwelt dann etwa ein Gnadengeschehen? Wer würde im Ernst solches behaupten! Man spürt nur, dass Walser selbst unschlüssig ist und seine absolute Bindung an Gnade irgendwie nicht „durchhalten“ kann. Diese Bindung ist ohnehin – in meiner Sicht – ein kaum auszuhaltendes schweres und trauriges Schicksal. Walser sollte fragen: Will Gott, dass wir traurig und völlig unfähig sind „ihm“ gegenüber? Will er den Menschen wertlos machen, damit ER um so mehr glänzen kann? Wenn sich dagegen Atheisten auflehnen, haben sie wohl recht. Aber es gibt (liberale) christliche Positionen, die den Menschen als Menschen hochschätzen und ehren und von permanenter Trauer befreien.
Davon ist in dem Buch „Was fehlt, wenn Gott fehlt“ nicht so deutlich die Rede. Die Autoren folgen eng den Walserschen Gedanken, bis dahin, dass etwa der Wiener Theologe Jan – Heiner Tück (S. 8) fragt, ob nicht die Theologie neu bestimmen sei, nicht nur Rede von Gott, sondern auch Rede zu Gott und Rede mit Gott zu sein. Ich frage: Theologen können ja – privat – große Beter sein, wie gefordert wird. Aber falls Theologie in Deutschland und Österreich an den Universitäten bleiben möchte, ist sie doch wohl Wissenschaft, als distanzierende, um Objektivität bemühte Wissenschaft. Sie wird in der nötigen kritischen Distanz auch zur Kirche betrieben. Wie kann an diesem Ort der Universität Theologie noch kniend und betend betrieben werden? In privaten Klosterschulen wurde und wird vor den theologischen Vorlesungen gebetet, geht das an Universitäten?
Walser versteht sich – gerade als ein nicht Begnadeter – doch immer weiter als Suchender. Er kritisiert von da aus einen in sich verschlossenen Atheismus, der a priori meint, absolut recht zu haben und sozusagen auf der Spitze der Weltevolution sich zu bewegen. Walser hält dagegen: „Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazu sagen kann, dass Gott fehlt, und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es“, schreibt er in „Über Rechtfertigung“.
Interessant auch wieder dieses Eingeständnis. Wenn er meint, diese „Ahnung“ gehöre offenbar zum Menschen als Menschen, dann sollte man doch meinen, dass diese Ahnung „wesentlich“ den (immer transzendierenden) Geist ausmacht. Walser möchte wohl fragen: Kann denn ein Atheist ernsthaft Gott ablehnen, wenn er nicht wenigstens ahnungsweise wüsste, wer oder was Gott ist. Aber genau da beginnen die Probleme: Welchen Gott haben dann die Atheisten“ ahnungsweise“ vor Augen? Den abweisenden Gott der dialektischen Theologie, den moralischen Gott der katholischen Ethik, den manchmal so lächerlichen, manipulierbaren Gott der (katholischen) Volksreligionen? Darüber wäre ein Disput sinnvoll. Es gibt bekanntlich in der christlichen Glaubenswelt (auch in den Theologien) viele verschiedene christliche „Götter“.
Im übrigen empfehle ich dringend den auch sprachlich schönen Text der Theologin Elke Pahud de Mortagnes „Einfach nur lieben. Briefe an Martin Walser“ (S. 39 – 45). Der Beitrag führt aus den rationalen Verklammerungen heraus. Darin heißt es u.a. in poetischen Formulierungen:
“Es gibt Menschen, die auf meinen Weg gestellt sind. Die sind keine Romanfiguren.
Die sind…
Die sind einfach. Was sie sind.
Diese Menschen auf meinem Weg sind mein Gericht. Und Gottes Rechtfertigung“ (S. 44).
Das sind Menschen, die „einfach nur lieben“.
Man würde sich gern weitere ähnliche Texte von dieser Theologin wünschen. Da kommen ein neuer Ton und eine neue Aussage in das ansonsten manchmal so ängstliche, deswegen oft auch langweilige theologische „Geschäft“.

Jan-Heiner Tück (Hg.): Was fehlt, wenn Gott fehlt? Martin Walser über Rechtfertigung –theologische Erwiderungen. Herder.144 Seiten. 16, 99 €

Copyright: Christian Modehn und Religionsphilosophischer Salon Berlin

Theologe im Widerspruch: Der Berliner Theologe Gregory Baum wird 90 Jahre

Der ökumenische Theologe Gregory Baum wird 90 Jahre

Von Christian Modehn

Er ist einer der letzten noch lebenden Theologen, die das 2. Vatikanische Konzil mit geprägt haben und dort die Debatten und Entscheidungen beeinflussen konnten: Gregory Baum feiert am 20. Juni 2013 seinen 90. Geburtstag in Montréal, Kanada.
Für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon gibt es viele Gründe an den vielseitig gebildeten Theologen und Soziologen zu erinnern. Seine Leistungen hinsichtlich der Verständigung zwischen katholischer Kirche und Judentum wurden früher schon auf dieser website dokumentiert, in der Form eines Interviews, das er dem Autor dieses Berichtes in Montréal gab, zur Lektüre klicken Sie hier.
Dabei wird schon deutlich: Gregory Baum ist stets ein Theologe und Soziologe, der für die Öffentlichkeit spricht, der die Sache der Religionen in verständlicher Weise darstellen kann. Man möchte ihn auch einen „journalistisch begabten Theologen“ nennen.
Gregory Baum hat sich seit dem 2. Vatikanischen Konzil als kritische Stimme, wenn nicht gar als „Dissident“ verstanden. Das wird deutlich in seiner umfassenden Vortragstätigkeit (mit entsprechenden Publikationen) etwa zu den Rechten der Frauen in der katholischen Kirche oder zum Thema Respekt und Anerkennung für homosexuelle Katholiken.
Nicht weniger interessant empfinden wir es – als Berliner -, dass Gregory Baum in Berlin am 20. Juni 1923 geboren wurde, am Schiffbauer Damm, wie er berichtete, als Kind einer jüdischen Mutter und eines protestantischen Vaters. Es gehört zur Kultur, auch der religiösen, in Berlin, auch an die großen Theologen zu erinnern, die hier ihre erste Heimat hatten….Von den Nazis vertrieben, fand er zuerst Zuflucht in England, dann landete er 1940 in Kanada; dort konvertierte er zum Katholizismus und trat später in den Augustiner Orden ein. Später heiratete er ….Viele weitere biographische Details und eine Liste seiner zahlreichen Bücher kann man anderweitig lesen. Viele Jahre arbeitete er an der Mc Gill University in Montréal, als Religionssoziologe und Theologe. Er spielt in der Stadt und darüber hinaus in ganz Kanada immer noch eine inspirierende Rolle, etwa durch seine Mitarbeit an der Zeitschrift der Jesuiten dort mit dem Titel „Relations“.
Er ist, wie er mir berichtete, auch mit der Gemeinde Saint Pierre Apotre in Montréal verbunden; dies ist eine der wenigen „offiziellen“ Pfarrgemeinden im Katholizismus, in der homosexuelle Menschen die absolute Mehrheit unter den Gottesdienstteilnehmern stellen; die Gemeinde befindet sich im so genannten „Schwulen Dorf“ von Montréal (Metro „Berry – UCAM“).
Gregory Baum hat den Glauben immer als politische Dimension verstanden, immer bezogen auf die sozialen und politischen Umstände. Die befreiungstheologische Option für die Armen hat er sich zueigen gemacht. Um der Befreiung der Menschen, auch der Katholiken, aus autoritären Strukturen geht es ihm, deswegen kritisiert er den Vatikan, weil, so wörtlich, der keinen Respekt hat vor den evidenten Lebens – Erfahrungen der Menschen von heute, eine Ignoranz, die sich in der fixierten und finsteren Moral – Rigidität vor allem zeigt. „Rom lässt die Katholiken leiden“, hat er einmal geschrieben. Gregory Baum hat vielen Menschen – gerade in seiner Beharrlichkeit als Dissident – doch Inspiration und Lebensmut gegeben, das ist ja in unserer Sicht auch eine Tugend religiöser Menschen. Deswegen darf Gregory Baum auch in Berlin und darüberhinaus in Europa nicht vergessen werden.

copyright: Christian Modehn Berlin

Wenn ein Heiliger einen pädophilen Priester schützt. Ein Hinweis zu einer Studie über den „Piaristenorden“ im 16. Jahrhundert

Wenn ein Heiliger einen pädophilen Priester schützt.

Ein Hinweis zu einer Studie über den „Piaristenorden“ im 17. Jahrhundert.

Siehe auch einen umfassenderen historischen Beitrag zum sexuellen Missbrauch im Klerus, veröffentlicht am 22.7.2023: LINK.

Am Ende dieses Beitrags lesen Sie eine Stellungnahme von Matthias Katsch, Sprecher der Initiative “Eckiger Tisch”.

Der Beitrag von Christian Modehn, veröffentlicht 2013.

1.

Über Pädophilie im Klerus kann es, von der Sache her, eigentlich keine genauen historischen Studien geben. Wenn dieses offiziell „schwerste aller Vergehen“ (so die katholoische Moral) überhaupt dokumentiert wurde: Entweder wurden die Akten später vernichtet oder sie sind unter Verschluss, so dass kein Historiker Zugang hat. Gelegentlich kann doch etwas mehr Licht in die „verdunkelte“ und offiziell verwischte bzw. „geglättete“ Kirchengeschichte gebracht werden. Die Historikerin Karin Liebreich (Cambridge) hat eine Fallstudie aus dem 17. Jahrhundert publiziert. Sie wurde im deutschsprachigen Raum bisher nicht beachtet. Wir bieten einige zentrale Forschungsergebnisse von Karin Liebreich.

2.

Die englische Historikerin hat 2004 ihre Studie über einen prominenten und äußerst einflussreichen pädophilen Priester innerhalb des katholischen Ordens der Schulpriester, auch Piaristen genannt (hergeleitet von schola pia, fromme Schule) veröffentlicht: Das Buch „Fallen Order“ hat den Untertitel „Intrigue, Heresy and Scandal in the Rome of Galielo and Caravaggio“. Das Buch hat 336 Seiten; es ist im Verlag Grove Presse in New York erschienen. Immerhin hatte Karin Liebreich Zugang zu einigen Dokumenten. Die berühmte Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong  lobt das Buch als „ a piece of investigative writing“.

3.

Der Orden der Piaristen zählt heute  ca. 1.500 Mitglieder weltweit, sie arbeiten in Schulen und Pfarrgemeinden. Erst seit einigen Jahren publiziert der Orden selbst über dieses dunkle Kapitel seiner Geschichte, freilich eher in entlegenen Fachpublikationen. Über die Anwesenheit  pädophiler Priester gleich nach der Ordensgründung im 17. Jahrhundert wird in den offiziellen websites der Piaristen geschwiegen.

Es kommt einem auch im 21. Jahrhundert sehr vertraut vor, wenn Karen Liebreich mehrfach betont: Der Ordensgründer José Calasanz wollte mit seinem Schweigen über die Untaten seines öffentlich hoch angesehenen Paters „nur dem öffentlichen Ansehen der Kirche dienen“. Immerhin müssen die pädophilen Verbrechen im Orden so erheblich gewesen sein, dass die Päpste die Piaristen im Jahr 1646 für einige Jahre auflösten, eine äußerst seltene Entscheidung in Rom. Erst 1669 wurde er als Orden wieder zugelassen.

Erstaunlich bleibt, dass der gegenüber Pädophilen Priestern durchaus duldsam – schweigsame Ordensgründer, José Calasanz (1557 – 1648) im Jahre 1767 heilig gesprochen wurde, er kann also als heiliges Vorbild verehrt werden. Etwas irritierend scheint, dass Papst Pius XII., der ja angeblich so hoch gebildet war, nicht sehr viel von diesem eher belasteten Ordensgründer wusste und ihn sogar zum weltweiten Patron aller christlichen Volksschulen ernannte. In der Piaristenkirche in Krems an der Donau wird der Heilige auf einem Gemälde zur Verehrung empfohlen. Dabei hält er ein nacktes Baby in den Händen und schaut zur Jungfrau Maria im Himmel auf. Martin Johann Schmidt hat 1784 das Gemälde geschaffen.

4.

Aus der umfangreichen Studie können wir nur einige zentralen Aussagen erwähnen: Der Piaristenorden hatte im 17. Jahrhundert durchaus den Ruf, moderne Wissenschaftler in seinen Reihen nicht nur zu dulden, sondern zu fördern, etwa Freunde und Mitarbeiter Galileo Galileis.

Aus einer gewissen Angst heraus hatte der Ordensgründer in seinen Ordensregeln verfügt, dass ein einzelner Schul-Priester nicht allein mit Schülern, Knaben, sich aufhalten dürfe. Übergriffe waren, so kann man schließen, offenbar keine Seltenheit…

Aber es ist typisch für die damalige Mentalität, die sich bis heute bekanntermaßen durchgehalten hat: Es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass die Kirche oder der Orden als heilige, besonders würdige Institutionen in einen schlechten Ruf kommen. Die öffentliche Geltung ist alles, die Fragen der interessieren nicht direkt! Nur aus diesem Grund, so die Studien der Historikerin Karen Liebreich, hat der Ordensgründer Jose Calasanz die pädophilen Vergehen seines Mitbruders Pater Stefano Cherubini ( 1600 – 1648) nicht gerichtlich verfolgt, sondern stillschweigend geduldet. Er bediente sich dabei der bis heute beliebten Methode: Der betroffene pädophilen Priester wurde einfach an einen anderen Ort versetzt. So war ihm der gute Ruf des Ordens als der Schutz der Kinder. Roland Machatschke (Wien), Journalist und Mitarbeiter der Wiener Piaristen, meint in einem Vortrag: “Ein Teil der Akten, der den so genannten Cherubini-Skandal betrifft, wurde vernichtet. Ebenso weitere Unterlagen, als der damals aufgelöste Orden 1659 seine Archive bereinigte“.

Der betreffende Pater Stefano stammte aus einer berühmten, angesehenen römischen Familie. Zur Zeit seiner Leitung der Piaristenschule in Neapel wurden pädophile Vergehen von ihm in der kirchlichen Öffentlichkeit bekannt. Der Ordensgründer griff ein … und entfernte ihn aus dem direkten Schuldienst: Er ernannte ihn zum Aufseher aller Piaristenschulen in Italien! So konnte Pater Stefano weiter reisen, sich in Schulen aufhalten und seinen „Interessen“ nachgehen. Von einer Entschuldigung wenigstens bei den Opfern keine Spur! Als belastende Informationen über Pater Stefano verbreitet wurden, betonte Pater Calasanz: „Um noch größeren Schaden in der Öffentlichkeit zu verhindern, sagte ich: Pater Stefano sollte nicht belästigt (und verdächtigt) werden“.

Schließlich baute dieser Pater Stefano sein Netzwerk so weit aus, dass er sogar zum Generaloberen des Ordens ernannt wurde; auch dagegen konnte der (heilige) Ordensgründer offenbar nichts unternehmen, so sehr war sein Einfluss gesunken angesichts der Machenschaften im Orden. Aber unter dem neuen Generaloberen Pater Stefano geriet der Orden in eine tiefe Krise; es gab sogar viele Proteste gegen Pater Stefano vonseiten anderer Piaristen, sie waren auch empört darüber, dass „allen Ordensregeln zuwider, Pater Stefano Cherubini und seine Unterstützer im Orden im Luxus lebten“. ( S. 229).

Aber die Kritik zeigte letztlich doch gewisse Wirkungen beim Papst: Es durften schließlich keine Novizen mehr aufgenommen werden, den Piaristen – Patres wurde es freigestellt, den Orden zu verlassen (S. 232). Die Schulpriester hatten keine zentrale Leitung mehr, der Orden zerfiel. Auch die berühmte Familie di Stefani konnte ihr Familienmitglied nicht länger verteidigen, als der Skandal sich immer mehr herumsprach. „Aber seine Connections schützten Pater Stefano vor Gerichtsverfahren und Gefängnisstrafen“ (S. 248).

5.

Von 1646 an existierte der durch die pädophilen Vergehen  belastete Orden der Piaristen nicht mehr, er war de facto päpstlich „verboten“. Erst 1669 wurde er wieder errichtet. Karen Liebreich fasst ihre Studien zusammen: „In jeder Hinsicht war es die oberste Priorität von dem Ordensgründer Calasanz,  für den guten Ruf des Ordens nach außen zu sorgen … und den des betroffenen Paters (Stefano)“.

Später erlebte der Orden wieder eine gewisse Blüte, die „Belastungen“ von einst schienen vergessen: „Berühmte Männer“ zählten zu den Piaristenschülern: Goya, Haydn, Mozart, Anton Bruckner, Franz Schubert , später Antonio Gaudí und sogar der Gründer des Opus Dei, José Maria Escriva. Auch er stellte den guten Ruf der Kirche nach außen hin in der Gesellschaft über alles!

copyright: Religionsphilosophischer Salon.

Matthias Katsch schreibt zu diesem Text: (Matthias Katsch ist Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“, in der sich Opfer des sexuellen Missbrauchs vor allem an Jesuiten – Einrichtungen zu Wort melden)

„Vielen Dank für den interessanten Hinweis. Tatsächlich wundert uns dieser Beleg für eine historische Tradition keineswegs. Der Priesterstand ist geradezu prädestiniert dafür, Menschen mit pädophilen Neigungen anzuziehen.

Allerdings hat sich seit dem 17. Jahrhundert gesellschaftlich einiges geändert. Damals bot der Priesterberuf auch eine Versorgung für die jüngeren Brüder der erbberechtigten Erstgeborenen. Damit entsprach der Anteil heterosexueller Männer im Priesterstand wohl der Verteilung in der Allgemeinbevölkerung – was sich mit der reichen Spottliteratur über Priester und ihre amourösen Abenteuer mit Frauen belegen lässt. Seit dem diese profanen  Gründe für eine „Berufung“ weggefallen sind, steigt der Anteil der homosexuellen Priester dementsprechend an. Denn für diese Gruppe von Männern hatte dieser Beruf eine Anziehungskraft bis in die jüngste Zeit bewahrt. Seit der Emanzipation der 70er Jahre ist dies nun auch weggefallen. Entsprechend klein ist die Zahl der Berufungen geworden und umso genauer muss man auch hingucken, wie es mit der psychischen Reife der Kandidaten aussieht.

Wir haben jedenfalls beobachtet, und die Leyengraf-Studie bestätigt dies, dass es sich in der Regel bei „unseren“ Tätern  aus den 60er, 70er und 80er Jahren nicht um Pädophile im klassischen Sinn handelte, sondern eher um sexuell unreife Menschen mit einem Hang zum Machtmissbrauch, vielleicht zum Zwecke der Kompensation.

Aber die Analogie des  Pater Stefano Cherubini zu Marcial Maciel oder Ludger Stüper SJ, der das Bonner Aloisiuskolleg über 40 Jahre beherrschte, ist schon frappierend. P. Riedel und W. Statt am Canisius Kolleg waren demgegenüber kleine Lichter, die aber immer noch dreistellige Opferzahlen produziert haben. Die Verbindung von fehlgeleiteter Sexualität und Macht ist jedenfalls auch hier klar gegeben“.

copyright: Matthias Katsch

Das mexikanische Füllhorn: Reichtum geht, Armut bleibt. Ein Beitrag von Alfons Vietmeier, Mexiko – Stadt

Alfons Vietmeier hat im Herbst 2013 ein Buch veröffentlicht, das die Beiträge unserer Serie: “Der andere Blick – Alfons Vietmeier schreibt aus Mexiko” enthält, aber auch weitere Aufsätze, die ein recht umfassendes Bild zur sozialen, politischen und vor allem religiösen Situation in Mexiko heute bieten. Das Buch “Mexiko tiefer verstehen” ist im Dialog Verlag Münster erschienen, es hat 192 Seiten mit zahlreichen Fotos. Das Buch eignet sich gut als Einführung in die vielschichtige mexikanische Lebenswelt. Alfons Vietmeier lebt seit vielen Jahren in Mexiko Stadt, er ist als Theologe und als Berater für neue kommunikative Formen in Großstädten vor allem.

Vor kurzem hat unser Freund Alfons Vietmeier regelmäßig für den religionsphilosophischen Salon aus Mexiko berichtet. Jetzt schickt er uns einen Vortrag, den er kürzlich in Emsdetten gehalten hat.

 

Gold und Silber lieb ich sehr: Das mexikanische Füllhorn: Reichtum geht, Armut bleibt.

Von Alfons Vietmeier,  Mexiko – Stadt

Es gibt keinen der zahlreichen Besucher aus Deutschland in Mexiko, der nicht nachdenklich auf das Thema der weltweiten Finanzkrise und konkret auf die Krise des Euro zu sprechen kommt. Auch die Medien sind voll davon, wenn ich im Internet Nachrichten aus Deutschland checke. Die Meinungen gehen weit auseinander über Ursachen und Konsequenzen. Bei den –zig Milliarden, die hin und her geschoben werden, wird es einfachen Menschen schwindelig, die schon wegen eines fehlenden Tausenders schlaflose Nächte haben. Sind solche Mega-Summen was für Zirkus – Jongleure, Spielmarken beim Monopoly oder Seifenblasen, die dann platzen? Allgemeine Ratlosigkeit und oft die Problemverschiebung auf Sündenböcke wie: “Die Griechen, die haben halt nur auf Pump gelebt!” Und wer von uns nicht auch? Mehr als Einer sagt dann, das Sicherste sei, in Gold und Silber anzulegen.

Bei diesem Punkt erzähle ich gerne etwas aus der Geschichte, das mich nachdenklich macht und lade ein, ebenfalls nach- und weiterzudenken.

Das mexikanische Füllhorn.

1803 war das Allroundgenie Alexander von Humboldt über ein Jahr in Mexiko. Er forschte wie wild, unter anderem über die vorhandenen und nicht ausgebeuteten Edelmetalle. Seine Erkenntnis: Mexiko ist wie ein Füllhorn, voll von Silber und Gold. Es muss nur mit moderner Technologie ausgebeutet werden.

In jener Zeit begann im südlichen Ruhrgebiet die deutsche Industrialisierung. Einige Industrielle lasen von Humboldts Forschungsbericht und waren fasziniert: In Mexiko ist schnell und leicht riesiger Gewinn zu machen; der vorhandene Bergbau muss nur modernisiert werden! Dazu werden Geld und damit Inversionisten benötigt! 1824 wurde in Elberfeld (jetzt Stadtteil von Wuppertal) eine “Deutsch – Mexikanische Bergwerksgesellschaft” gegründet, und Aktien wurden ausgegeben; unter anderem kaufte auch Goethe. Mit diesem Kapital wurden in Mexiko soweit wie möglich lokale Minen aufgekauft, die seit Jahrhunderten unter den Spaniern sehr rustikal etwas Bergbau betrieben und insbesondere Silber abbauten. Die anfängliche Euphorie war so groß, dass bis 1827 etwa 30 Silber- und Goldgruben, sowie drei Schmelzhütten erworben wurden, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht. Weiterlesen ⇘

Benedikt XVI. – oberster Lehrmeister des Politischen

Papst Benedikt XVI. als oberster Lehrmeister des Politischen

Von Christian Modehn

Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon im Rahmen der philosophisch notwendigen Kritik der Religionen und Kirchen auf die politischen Ansprüche der Päpste, besonders Benedikt XVI., immer wieder hingewiesen und diese andauernden heftigen päpstlichen Weisungen gegenüber Staat und Gesellschaft dokumentiert und erläutert. Das neue Buch von Marco Politi, einem der renommiertesten „Vatikanologen“ mit dem Titel „Benedikt. Krise eines Pontifikats“ (Rotbuch Verlag, Berlin, Dezember 2012) bietet auch zu dem Thema wichtige Hinweise. Marco Politi, Journalist bei „La Repubblica“ und „Il Fatto Qutidiano“, bestätigt unsere eigenen bisherigen Dokumentationen. Wir weisen nur auf einige zentrale Aussagen aus dem 14. Kapitel („Der Prediger und die Wüste“) seines – sehr umfangreichen, sehr präzisen empfehlenswerten – Buches hin.

Benedikt XVI. ist davon überzeugt, dass er als Papst, d.h. als Stellvertreter Christi auf Erden und als Nachfolger Petri, die Vollmacht hat, die gesamte Politik weltweit zu belehren, „was die nicht verhandelbaren Prinzipien (der Politik) sind“. Das klingt zunächst interessant, könnte man doch denken, dass sich der Papst zu einem leidenschaftlichen Verteidiger der Menschenrechte (zu denen auch die Gewissensfreiheit gehört) aufschwingt und sich sozusagen an vorderster Front gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung bestimmter Menschen usw. aufstellt.  Aber Marco Politi belehrt uns eines besseren: Der Papst duldet als individuelle Freiheit nur den freien Ausdruck des „gebildeten christlichen Gewissens“ (S. 465), also des Gewissens, das sich von der christlichen Lehre prägen lässt. Aber wer verbreitet die authentische christliche Lehre? Es ist einzig der Papst als das oberste Lehramt. Gewissensfreiheit gibt es also nur für die päpstlich geprägten Gewissen. Noch als Chef der obersten Glaubensbehörde veröffentliche Joseph Ratzinger im Jahr 2002 eine „lehrmäßige Note“, also einen alle Katholiken orientierenden, wenn nicht bindenden Text zum Verhalten der Gläubigen in der Politik. Darin heißt es, ich zitiere aus dem Buch von Marco Politi (464 f.): “Es ist keinem Gläubigen gestattet, sich auf das Prinzip des Pluralismus und der Autonomie der Laien in der Politik zu berufen, um Lösungen zu begünstigen, die den Schutz der grundlegenden ethischen Forderungen für das Gemeinwohl der Gesellschaft kompromittieren oder schwächen“. Übersetzt könnte man sagen: „Liebe Politiker, hört auf Rom, den Vatikan, wenn ihr politische Entscheidungen trefft“. In den USA wurden tatsächlich in den letzten Jahren katholische Politiker exkommuniziert, die allzu sehr dem eigenen und nicht dem päpstlichen Gewissen folgten, etwa in Fragen des Schwangerschaftsabbruches. Ultramontanismus nannte man im 19. Jahrhundert diese entfremdende Denkungsart: „Zuerst der Papst, dann mein Gewissen“.

So wird also die faktische Autonomie und die faktische Gewissensfreiheit der (politisch handelnden) Katholiken zurückgewiesen. Katholiken müssen die „grundlegenden ethischen Forderungen“  über ihren persönlichen Gewissensspruch stellen. Der Bischof von Rom ist nicht nur ein spiritueller Lehrer, er ist als Nachfolger des heiligen Petrus auch der einzig berufene Interpret des Naturrechts. Denn dort sind die „grundlegenden ethischen Forderungen“ konkretisiert. Der Papst müsste sich konsequenterweise eigentlich auch des Titels „Oberster Naturrechtslehrer“ bedienen. Immer ist von Naturrecht in päpstlichen Stellungnahmen zu lesen, sehr selten von Menschenrechten: Warum das so ist? Menschenrechte entwickeln sich, sind mit dem Leben verbunden, sind um soziale Dimensionen etwa zu ergänzen. Hingegen ist „das“ Naturrecht im päpstlichen Sinne, auch in der konkreten inhaltlichen Prägung,  etwas UNWANDELBARES und EWIGES, es ist etwas Starres und Unhistorisches. Denn das Naturrecht geht letztlich, so wörtlich „auf den Schöpfer zurück“ (S: 485). Mit „Schöpfer“ ist der Gott gemeint, so, wie ihn die klassische vatikanische Theologie deutet: Als unwandelbarer Herr und Meister von moralischen Prinzipien. „Mit dieser Formulierung wird ein gleichberechtigter Dialog mit Atheisten und Agnostikern ein gewagtes, wenn nicht unmögliches Unterfangen“, so Politi (S. 485). Und was können Buddhisten und Hinduisten mit diesem Gott der Katholiken anfangen, der das Naturrecht erlässt und aus päpstlichen Munde universal für alle und immer und ewig verbreitet? Auch diese (rhetorische) Frage stellt Politi.

Der Papst und der Vatikan haben, das ist evident, mit ihrer total objektivistischen und unhistorischen Naturrechtslehre den Anschluss verloren an die moderne Philosophie (seit Kant): Diese entwickelt ethische Orientierung und Normen einzig aus der autonomen, kritischen Vernunft …  und eben nicht aus theologisch fixierten Überzeugungen … Diese Ignoranz gegenüber dem lebendigen Wandel führt sicher sehr viele nachdenkliche Menschen zur Distanz von dieser eher versteinert erscheinenden Kirchen -, d.h. Naturrechtslehre.

Mit dieser rigiden und ahistorischen (selbst theologisch längst umstrittenen) Ideologie will der Papst seine Urangst überwinden, die panische Angst vor dem Relativismus. Nichts ist für Benedikt schlimmer, als wenn relativistisch, d.h. mit historischem und hermeneutischen Wissen die vorgeblich ewigen vatikanischen Lehren befragt werden. Dann könnte man ja auch bestimmte Bibelsprüche relativistisch deuten, etwa die Begründung des Papsttums oder den Ausschluß der Frauen vom Priesteramt, dann aber würde sozusagen das ganze vatikanische System zusammenbrechen. Aus ureigenen, auf Machterhalt bedachten Motiven muss der Papst also Verfechter des rigiden, ahistorischen Naturrechts bleiben. Relativismus würde seine eigene Existenz als Papst und seines Hofes (=curia) gefährden.

Marco Politi weist zu recht darauf hin, dass nur von dieser völlig in sich abgeschlossenen Naturrechts – Ideologie aus der Kampf des Papstes gegen den ethischen Pluralismus der Moderne zu verstehen ist. Die von konservativ bis fundamentalistisch geprägten Katholiken heiß bekämpfte und äußerst polemisch attackierte so genannte Homoehe (jetzt etwa in aller Schärfe in Frankreich) ist nur ein Beleg dafür, zu welcher Mobilisierung diese uralte Naturrechts – Ideologie in der Lage ist. Die Homoehe, so der pauschale Vorwurf, würde „die“ Familie destabilisieren. Um dieser Naturrechts – Ideologie willen hat der Vatikan übrigens auch über viele Jahre zu Berlusconi gehalten. Dem Papst und seinen Mitarbeitern war das private Leben wie das politisch wie ökonomisch verantwortungslose Verhalten Berlusconis schlicht egal. Warum? Weil Berlusconi den italienischen Bischöfen und dem Vatikan signalisierte: “Von meiner Seite hat der Vatikan nichts zu befürchten“ (S. 463). Damit meinte er: Die Finanzierung katholischer Schulen durch den Staat und die Steuerprivilegien der katholischen Kirche bleiben unter Berlusconi erhalten. ABER, das ist entscheidend, Berlusconi verspricht, gegen die Homoehe vorzugehen, gegen das Gesetz über Patientenverfügungen usw. Kardinal Bertone, die so genannte Nummer 2 im Vatikan, freute sich deswegen auch zu betonen, wie der Vatikan Berlusconi „zu Dank verpflichtet ist, weil diese Regierung im Rahmen befriedeter Beziehungen stets die Interessen der Kirche (!) berücksichtigt hat“ (s. 463). Der Vatikan löste sich aus der ultra- freundschaftlichen Beziehung mit dem Katholiken Berlusconi erst im Herbst 2011: Da hatte dieser unsägliche Machtpolitiker insgesamt und nahezu überall jegliche Akzeptanz verloren. Auffällig ist: Der Vatikan unterstützt selbst auch heute höchst umstrittene und belastete, wenn nicht kriminelle Politiker, wenn sie denn nur „die Interessen der Kirche berücksichtigen“, wie Kardinal Bertone so präzise sagt.

Die Debatte um den Einfluss der rigiden Naturrechtslehre à la Vatikan bzw. Ratzinger wird aktuell noch einmal deutlich in der Ansprache des Papstes anlässlich der Weihnachtswünsche für die Kurie am 21. Dezember 2012, wir beziehen uns hier auf den französischen Text, den „La Croix“ (Paris) druckte. Darin nimmt Benedikt XVI. direkt Bezug auf eine Abhandlung des Groß- Rabbiners von Frankreich, Gilles Bernheim. Der Papst sucht sich sozusagen ökumenischen Beistand von  prominenter orthodoxer jüdischer Seite: Wer würde es da schon wagen zu widersprechen? In schärfsten Worten polemisiert er – darin mit dem Großrabbiner einer Meinung – gegen die Auflösung „der Familie“ durch die Homoehe und die Gender Philosophie, die er übrigens bei Simone de Beauvoir festmacht. Der Papst ist sich, als angeblich so brillanter und so viel gerühmter hoch gebildeter Theologe, nicht zu schade, die  biblische Schöpfungsgeschichte wortwörtlich normativ zu deuten: „Als Mann und Frau schuf er (Gott) die Menschen (Gen. 1, 27) heißt es da: Aus diesem beschreibenden Faktum wird beim Papst gefolgert: Nur Mann und Frau können eine Familie bilden. Nur in dieser Dualität, so Benedikt und Bernheim, sei „der“ Mensch authentisch. „Die (Hetero) Familie“, so wörtlich Benedikt und Bernheim, „ist eine Realität, die schon im voraus durch die Schöpfung etabliert wurde“. Die Heteroehe ist sozusagen eine Idee Gottes, die mit der Schöpfung ad aeternum verbunden ist. Konsequent heißt es weiter: Wer diese Tatsachen der Schöpfung leugnet, „der leugnet auch Gott selbst – und der Mensch wird degradiert“. Wer die Homofamilie lebt oder befürwortet, wird in dieser Sicht förmlich zum Unmenschen. „Nur wer Gott verteidigt, verteidigt das menschliche Sein“, heißt es in der „friedlichen“ Weihnachtsansprache an den päpstlichen Hof. Merkwürdig ist, wie stark diese Form der starren Bibelinterpretation und des objektivistischen Naturrechts jegliche Bezugnahme etwa auf die Jesus – Gestalt verschwinden lässt.

Schon lange nicht mehr waren derartig maßlose Worte anlässlich einer fundamentalistischen Bibellektüre aus päpstlichem Mund zu hören. Der Vatikan, so prachtvoll barock er sich auch mit allem Pomp und Glorienschein geben mag, ist längst ein Getto geworden, das sich in starren Prinzipen einmauert und kein Interesse hat an einem Dialog, der Streit und Auseinandersetzung ist unter gleichberechtigten Partnern. „Die Stimme der Wahrheit hat immer recht…“, sie braucht keinen wirklichen Dialog. Zeichen der Ermunterung und Symbole der Hoffnung für diese so vielfältige, pluralistische Menschheit sind vom Papst trotz so vieler Worte, Weisungen und Mahnungen kaum mehr zu erwarten. Das ist die – manchen noch traurig stimmende Weihnachtsbotschaft, die dieser Tage im Vatikan verbreitet wird. Neu ist dies für einige dies vielleicht noch deprimierende Botschaft nicht. Die Schärfe des Tons wundert sogar die Freunde des religionsphilosophischen Salons. Katholische Medien sprechen bezeichnenderweise von einem aktuellen „Kulturkampf“, etwa in Frankreich anlässlich der heftigsten Debatten um die Homoehe (vgl. Christ in der Gegenwart, Heft 52, 2012, Seite 578). Kulturkampf aber ist nichts als Krieg, ausgelöst durch eine rigide Haltung des Papstes, die in der Moderne nur das Böse sehen will. Der Papst meint allen Ernstes, diese Moderne sei gottverlassen und der (heilige) Geist habe sie verlassen. Kann eine Vorstellung von Gott eigentlich noch kleinlicher werden?

Marco Politi, „Benedikt. Krise eines Pontifikats“. Rotbuch Verlag Berlin, 2012, 539 Seiten, 19, 99 Euro. Wir empfehlen dieses preiswerte Buch dringend.

copyright: christian modehn

 

Von Herodes bis Hoppenstedt: Das umfassendste Buch über Weihnachten. Von Frank Kürschner – Pelkmann

Von Herodes bis Hoppenstedt

Ein inspirierendes Werk über Weihnachten….lesbar immer, auch zu Ostern.

Von Christian Modehn

So viel Weihnachten war noch nie. Jedenfalls nicht in der Gestalt eines theologischen Buches über das populärste aller christlichen Feste. Der Hamburger Journalist und Autor Frank Kürschner – Pelkmann (Hamburg) hat in diesen Tagen ein wahrliches Meisterwerk vorgelegt: „Auf den Spuren der Weihnachtsgeschichte“ nennt er viel zu bescheiden sein 696 Seiten starkes Opus mit insgesamt 1.814 Belegen aus Wissenschaft und Forschung. Aber keine Angst, das Buch ist kein langatmiges Werk von Spezialisten für Spezialisten, es erschließt sich jedem „theologischen Laien“ … und es macht geradewegs Spaß, die schätzungsweise 50 Kapitel zu lesen: Der (Haupt -) Titel sagt schon alles: “Von Herodes bis Hoppenstedt“. Herodes kennen wir irgendwie, den Statthalter, und den Hoppenstedts sind wir (fast) alle schon im Fernsehen begegnet: In dem Film von Loriot über das eher missratene, etwas katastrophische Weihnachtsfest … eben bei Familie Hoppenstedt. So breit ist das Spektrum des Buches, weil die Rezeption des Weihnachtsfestes so unendlich ist … bis heute. Weiterlesen ⇘