Im Religionsphilosophischen Salon wollen wir vermehrt auch Themen dokumentieren und erforschen, die zum weiten Umfeld des Religösen, der Religionen (auch in der Geschichte) und der Philosophien gehören. Das ist ein Prozess, der nicht zu einem definitiven Ende kommen kann. Wir wollen vor allem an vergessene und verdrängte Themen erinnern.
Ein Hinweis von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht 2021, aktualisiert am 23.7.2023
1. Zur Einführung:
Die Geschichte der Homosexuellen war und ist eine von der heterosexuellen Mehrheit ignorierte Leidensgeschichte. In 69 Staaten wird auch heute noch, 2023, Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 11 Staaten droht Homosexuellen die Todesstrafe. Quelle: LINK
Ohne körperliches Leiden, ohne Verfolgung, ohne Scheiterhaufen konnten nur einige wenige prominente Homosexuelle, modern gesprochen ohne „Outing“, überleben, es waren Fürsten und Päpste, Bischöfe und Pfarrer und Ordensobere und „einfache Mitglieder“ von Ordensgemeinschaften.
Und wie bei der jeder Geschichte von unterdrückten Minderheiten gibt es, abgesehen vom Judentum, auch keine ausgebreitete, gründliche Forschung zur Geschichte der Verfolgung der Homosexuellen, obwohl etwa in Spanien und Italien viele Dokumente zur Verfolgung und Ausrottung der Homosexuellen durch die katholische Inquisition in den Archiven vorliegen.
2.
Es ist förmlich ein Glückstreffer, wenn man in Deutschland Beiträge kirchenunabhängiger Historiker findet zu dem Thema. Ich empfehle die Lektüre des Aufsatzes von Prof. Raphael Carrasco „Sodomiten und Inquisitoren im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Studie ist erschienen in dem Sammelband „Die sexuelle Gewalt in der Geschichte“, hg. von dem Historiker Alain Corbin, Wagenbach Verlag, 1992, dort S. 45-58. Die französische Ausgabe erschien 1989. Das Buch ist auf Deutsch nur noch antiquarisch verfügbar…
3. Über den sexuellen Missbrauchs eines spanischen Priesters aus dem Merzedarier-Orden im 17. Jahrhundert , dargestellt von Raphael Carrasco, siehe die ausführliche Darstellung: LINK.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Der Roman hat zwei „Protagonisten“: Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“ und einen Kollaborateur, den Vater des Autors.
Ein Hinweis von Christian Modehn
Ein neuer Roman des französischen Autors und Journalisten Sorj Chalandon (geb.1952) mit dem Titel „Verräterkind“ (DTV, 2022, übersetzt von Brigitte Große): Über die Literaturkritik hinaus ist der Roman ein Anlass, weiter zu fragen. Was bedeutet die Kollaboration vieler Franzosen mit den Nazis? Warum sollte die Résistance in Deutschland (wieder) entdeckt werden? Wer unterstützte den „Schlächter von Lyon“, den SS-Mann und Gestapo-Chef Klaus Barbie, nach 1945? Und wie ist die Beziehung der Katholiken zu Pétain und der Résistance?
Teil 1: Hinweise zum Roman „Verräterkind“
1.
Der Roman spricht von Verbrechen der SS in Frankreich, besonders von den Untaten des Gestapo-Chefs Klaus Barbie in Lyon von Februar 1943 bis September 1944.
Im Mittelpunkt: Der Prozess gegen Barbie in Lyon im Jahr 1987.
Parallel dazu erzählt Sorj Chalandon von der Geschichte seines Vaters in der Zeit des Pétain – Regimes. Er war damals ein „salaud“, ein Dreckskerl, sagte der Großvater dem Enkel. Und dieser Typ, so will es der Autor, tritt dann im Roman als Beobachter des Barbie-Prozesses auf, während sein Sohn Sorj zugleich im Gerichts-Saal anwesend ist. Er berichtet als Journalist für die Pariser Tageszeitung „Libération“.
Sorj Chalandon muss gleichzeitig zwei unterschiedliche Prozesse verarbeiten: Den gegen Barbie und seinen privaten Prozess, den er nun gegen seinen Vater, den „Dreckskerl“, führen will. Er will ihm zeigen, dass er die Wahrheit über den „Verräter-Vater“ kennt.
2.
Der Roman ist unter dem Titel „Enfant de salaud“, also: „Kind eines gemeinen Kerls“, eines „Dreckskerls“, erschienen. Der französische Titel ist umfassender und deutlicher als „Verräterkind“. Der Vater des Autors hat sein Kind und die Mutter Jahre lang belogen, seine wahre Identität verschwiegen und riesige Lügenwelten, angeblich heldenhafter Taten, von sich selbst verbreitet. Die Realität ist: Er hat sich als Kollaborateur durchgeschlagen. Nach dem Ende des Pétain-Regimes wurde er angeklagt, verurteilt und zwei Jahre, von 1944 bis 1946, inhaftiert.
Erst im Jahr 2020 konnte Sorj Chalandon in die Strafakten seines Vater (Anklage: als Kollaborateur) einsehen, zwei Jahre später veröffentlichte er den Roman. Er lässt also seinen Vater mit diesem Wissen im Roman an dem Barbie-Prozess von 1987 teilnehmen.
3.
Diese kunstvolle Verbindung zweier unterschiedlicher Prozesse offenbart eine Gemeinsamkeit beider Täter: Weder Barbie noch sein Vater sind zum Bekenntnis der eigenen Schuld bereit und in der Lage. Beide sind seelisch erkaltete, moralisch „erstorbene“ Gestalten, selbst wenn die Bedeutung der Verbrechen Barbies sehr viel grausamer sind als die Lügen des Vaters.
Barbie ließ 44 jüdische Waisenkinder in Izieu deportieren, er gab sie dem sicheren Tod im KZ preis. Barbie war auch für die Folterung und Ermordung von Mitgliedern der Résistance, auch für den Tod des vorbildlichen Jean Moulin verantwortlich. „Barbie folterte mit Schneidbrennern, glühenden Schürhaken, Elektroschocks, kochendem Wasser und einer ganzen Sammlung an Peitschen, Werkzeugen und Knüppeln, die bei Verhören vor ihm auf dem Schreibtisch lagen“, berichtet wikipedia im Beitrag „Klaus Barbie“.
4.
„Dass der Barbie-Prozess überhaupt stattfand, ist in Frankreich schon als Erfolg und als Sieg über die Partei des Vergessens gewertet worden; nicht ganz ohne Grund, denn in den vier Jahren vor dem Prozess war vor einer öffentlichen Abrechnung mit der Vergangenheit gewarnt worden, die alte Wunden aufreißen und die Einheit der Nation gefährden könne“, schreibt der Journalist Lothar Baier, ein Spezialist für französische Politik, in seinem Buch „Firma Frankreich. Eine „Betriebs-Besichtigung“ (Berlin,1988, Seite 98 f.). Barbie wurde 1987 zu lebenslänglicher Haft verurteilt, er starb 1991 im Alter von 77 Jahren im Lyoner Gefängnis an Krebs. Er war wegen „Verbrechen gegen die Menschheit“ zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.
Zweiter Teil: Weiterführende Hinweise zur Politik und zu den Kirchen
5.
Barbie, 1913 in Bad Godesberg geboren, konnte sich gleich nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands niederlassen. Er wurde von den amerikanischen Behörden als Agent beschäftigt, als Mitarbeiter des CIC (Counter Intelligence Corps), gegen ein gutes Honorar suchte er angeblich untergetauchte Nazis.
6. Der Klerus hilft Klaus Barbie bei der Flucht
Im Jahr 1951 gelang Barbie die Flucht nach Bolivien, vor allem durch die großzügige Hilfe des katholischen Klerus. Bekannt ist diese Hilfsbereitschaft der Kirche für Nazi-„Größen“ als so genannte „Rattenlinie“, treffender wurde sie auch als „Klosterlinie“ bezeichnet, wegen der großzügigen Verstecks der flüchtenden Nazis in Klöstern, etwa in Südtirol: Führende Mitarbeiter der Kirche (allen voran der Österreicher Bischof Hudal, 1885-1963), halfen vom Vatikan aus Hunderten Tätern des Nazi-Regimes, etwa Adolf Eichmann oder Josef Mengele und eben auch Klaus Barbie.
Der Historiker Prof. Peter Hammerschmidt hat sich in seiner Dissertation (von 2013) auch ausführlich mit der Barbie-Flucht mit Hilfe des Klerus befasst. Hammerschmidt erwähnt die geradezu „vorzügliche“ Hilfsbereitschaft des aus Bosnien-Herzegowina stammenden Franziskaner-Paters Krunoslav Draganovovic (1903-1983) für Barbie und seine Familie in Genua: „Verunsichert, aber dennoch optimistisch betrat die Familie Barbie am 12. März 1951 italienischen Boden und wurde in Genua von Pater Krunoslav Draganovic empfangen: In seinen Memoiren schreibt Barbie: Ich schaute mich nach einem Geistlichen um und sah ihn nicht weit von uns entfernt stehen. Er kam auf uns zu, nannte mich beim Namen und zeigte mir ein Passfoto von mir, das er in der Hand versteckt hielt.“
Draganovic organisierte für die Familie „Altmann“ (dies war der neue Name Barbies) zwei entscheidende Dokumente: Ein bolivianisches Einreisevisum und eine Reiseerlaubnis des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Am 16. März begleitete der Priester die Neuankömmlinge zum bolivianischen Konsulat in Genua, wo Klaus Barbie die Anträge mit seinen neuen biographischen Daten ausfüllte…Barbie zeigte sich noch in seinen Memoiren tief beeindruckt von Draganovics Organisationstalent und seiner Hilfe bei der Beschaffung der begehrten Dokumente…„Draganovic bewerkstelligte diese Angelegenheit mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die ich bis heute noch bewundere. Alle Türen zu den Behörden standen ihm offen“, so Barbie in seinen Memoiren (S. 245 in Hammerschmidts genannten Buch). (Quelle: LINK )
7. Barbie – der BND Mitarbeiter
In Bolivien war Barbie enger Mitarbeiter des Diktators Banzer, er war viele Jahren dort zuständig für Techniken der Unterdrückung und Folter, aber auch für Waffenhandel und Drogenschmuggel.1966 arbeitete er von dort aus sogar einige Monate für den Bundesnachrichtendienst BND, unter seinem Namen „Klaus Altmann“… “Dass Barbie überdies gute persönliche Kontakte in Westdeutschland hatte, ist erst 2011 bekannt geworden“, so Peter Hammerschmidt. „Dieses Aktenmaterial legt die Vermutung nahe, dass Barbie bei seinen Reisen, die nachweislich bis 1980 in die Bundesrepublik durchgeführt wurden, eben auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz protegiert wurde, zu einem Zeitpunkt, als Barbie identifiziert war, und – so zeigt das Aktenmaterial – offenbar hat Barbie in Deutschland auch neofaschistische Organisationen aufgebaut und hat eben dort auch Waffendeals abgewickelt.“ (Quelle: LINK )
Barbie wurde in Bolivien, auch aufgrund der Recherchen des Ehepaars Klarsfeld, entdeckt und, nun unter demokratischen Verhältnissen in Bolivien, 1983 nach Lyon ausgeliefert…
8. Die Organisation „Die stille Hilfe“ (der Nazis) in der BRD
Nach 1945 sammelten sich in der BRD Nazi-Freunde in einem Verein, um ihre geliebten Nazi-Verbrecher zu schützen und zu stützen. Sie nannten ihren Verein „Stille Hilfe“. Zu den „Betreuten“ der „Hilfe“ gehörte auch Klaus Barbie. In ihrem zweiten Rundbrief aus dem Jahr 1991 meinten die „Stillen Helfer“ , Barbie habe „im Kriege seinen Dienst für die deutschen Besatzungsaufgaben getan“.(Quelle: DER RECHTE RAND, Nr. 15 vom Januar / Februar 1992, S. 3 ff.).
Die Gründung der „Stillen Hilfe“ fand 1949 in München statt, im Haus der Erzbischöflichen Ordinariates München mit Weihbischof Neuhäusler unter dem Titel »Komitee für kirchliche Gefangenenhilfe«, aus dem dann 1951 die „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e.V“ hervorging, gegründet von Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg. Neuhäuslers Rechtsberater und Geschäftsführer des Komitees, Rudolf Aschenauer, vertrat vor Gericht Kriegsverbrecher und war im rechtsextremen Milieu aktiv..
Präsidentin des Nazi-Vereins „Stille Hilfe“ war Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg (* 6. April 1900 in Darmstadt als Gräfin von Korff genannt Schmising-Kerssenbrock; † 24. Januar 1974 in Heiligenhaus)
Sie hatte am 30. April 1930 Wilhelm Prinz von Isenburg und Büdingen (1903–1956) geheiratet, der 1937 Professor für Sippen- und Familienforschung in München wurde und die Rassenideologien des NS Regimes vertrat. Sie selbst wurde von der Hitler Partei als „politisch zuverlässig“ eingestuft.
Auch hohe protestantische Geistliche (wie Bischof Theophil Wurm, 1888-1953) gehörten zur „Stillen Hilfe“, aber der hohe katholische Klerus ließ sich seine Hilfsbereitschaft für Nazis nicht nehmen: Im Jahr 1955 wurde der Kölner Weihbischof Wilhelm Cleven (1893-1983) ins Präsidium der „Stillen Hilfe“ berufen.
Der Nazis fördernde Verein wurde als „gemeinnützig“ anerkannt: „Bis 1993 war der Verein, der in dieser Zeit 27 Mitglieder und ein paar Hundert Spender zählte, als gemeinnützig anerkannt. Der Verfassungsschutz stufte ihn als “harmlos” ein. Nach außen sprach Gudrun Burwitz (die Tochter Heinrich Himmlers) nicht darüber: Sie helfe, wo sie könne, sagte sie 1998 der “Times”. Mehr gab sie nie preis, SPIEGEL am 29.6.2018 (Quelle: LINK
9. Die Résistance:
Unter den vielen Aspekten der Résistance wird hier an das in Deutschland weithin unbekannte, vorbildliche Engagement der Bewohner der kleinen Stadt Cambon-sur-Lignon (Département Haute Loire, Auvergne) erinnert.
In Chambon-sur-Lignon (2.400 Einwohner heute) leben vor allem Protestanten, die sich in der entlegenen Gegend vor der Verfolgung durch das katholische Königreich zeitweise schützen konnten. Die Bewohner dieser „protestantischen Insel“ in Frankreich haben den Geist des Widerstandes bewahrt … und während des Pétain-Regimes Juden geholfen, die der Willkür der deutschen Besatzer und der Kollaboration der Franzosen hilflos ausgesetzt waren. Die Protestanten dort haben in ihren Häusern und Wohnungen ingesamt 5.000 Juden versteckt, eine unglaubliche Leistung in dieser Zeit. Es waren vor allem die protestantischen Pastoren André Tocmé und Edouard Theis, die zu dieser Hilfsbereitschaft aufriefen. Sie erinnerten an die Verfolgungen, die die Vorfahren im 18. Jahrhundert unter den katholischen Herrschern erlebt hatten: Und diese Erinnerung war mehr als eine rein geistige, spirituelle Idylle. Die Bürger von Chambon-sur-Lignon begleiteten unter großen Gefahren Juden bis zur Schweizer Grenze, auf Wegen, die ihre Vorfahren im 18.Jahrhundert schon gehen mussten.
1990 hat der Staat Israel die damaligen Bewohner des Stadt Chambon-sur-Lignon und die benachbarten Dörfer als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Diese „kollektive Ehrung“mit dem herausragenden Titel „Gerechte unter den Völkern“ ist einmalig… 2007 wurden diese ungewöhnlichen Menschen auch vom französischen Staat durch eine Zeremonie im Pariser Pantheon geehrt. Einer der Juden, der dort im Versteck überleben konnte, Erich Schwam hat dem Dorf eine Erbschaft von 3 Millionen Euro hinterlassen. Damit will er helfen, dass die Kinder des Städtchens eine gute Zukunft haben…. Jerome Lévy hat über Erich Schwam einen Dokumentarfilm realisiert. LINK
Nebenbei: Auch Albert Camus hatte enge Verbindungen zu dieser kleinen Stadt: Er lebte seit 1942 öfter dort, um zu schreiben und der guten Luft wegen, um seine Tuberkulose zu heilen. Und er erfuhr wohl von der Hilfsbereitschaft der Menschen dort. Die Geschichte seines Romans „Die Pest“ verdankt sich vielen Eindrücken dort, dem Ort des Widerstandes.. (Siehe das Stichwort Chambon-sur-Lignon in: „Dictionnaire Albert Camus“, ed. Laffont, Paris 2009, S. 127f.)
Informationen zu Chambon-sur-Lignon:LINK
10. Die katholische Kirche im Pétain-Regime und die katholische Résistance.
Die Verehrung der Katholiken für Pétain, besonders in den ersten Jahren des Regimes, war sehr umfassend. Die meisten Bischöfe waren froh, dass Pétain eine „révolution nationale“ repräsentierte, in einem autoritären Staat, das den Namen Republik oder Demokratie nicht mehr beanspruchte. Die von Katholiken so sehr gefürchtete Dominanz der Freimauer, Sozialisten und „Laizisten“ war mit Pétain überwunden. Dass er und seine Minister mit Hitler sehr eng verbunden waren, wurde in Kauf genommen. Pétain gewährte den katholischen Schulen endlich wieder alle finanziellen Vorteile; Kreuze schmückte die öffentlichen Räume, das autoritäre Motto „Arbeit, Familie, Vaterland“wurde als Inbegriff des Christlichen interpretiert. Die meisten Bischöfe schwiegen, als Juden deportiert wurden. „Wegen eines unmittelbaren und letztlich nebensächlichen Vorteils für die Kirche opferten die Bischöfe die Proklamation der wichtigsten Prinzipen des Christentums, der menschlichen nämlich“, so die Historiker Francois und Renée Bédarida, zit. in Christian Modehn,“ Religion in Frankreich“, Gütersloh 1993, s. 83). Einige katholische Priester und Laien waren auch in der Résistance aktiv, aber vergleichen mit der kommunistischen Résistance waren es doch kleine Gruppen. Es ist bezeichnend, dass General de Gaulle die Befreiung Frankreichs in der Pariser Kathedrale Notre Dame ohne die Anwesenheit des politisch belasteten Kardinals Suchard feiern wollte. Neun Bischöfe wurden im Rahmen der „Reinigung“ aus ihren Ämtern entfernt, de Gaulle hatte eine viel umfassendere Befreiung von bischöflichen Pétain- Sympathisanten verlangt. Aber, vom Vatikan unterstützt, setzte sich in der Kirchenführung der Wille durch, das Schweigen der Bischöfe und die hohe Anzahl der Priester als Kollaborateure für die Zukunft zu ignorieren. „Die Kirche versuchte nicht, ihre eigene Vergangenheit anzunehmen und mit Mut ihre Verfehlungen anzuerkennen. Staat dessen hat sie es vorgezogen, Winkelzüge zu machen und zu spintisieren und tausend Rechtfertigungen zu finden“ (F. Und R. Bedarda, a.a.O, s 84).
11. Der Chef der Milice in Lyon, Paul Touvier, findet Zuflucht in Klöstern, bloß weil er „so katholisch erschien“…
Paul Touvier war 1943-1944 Chef der (mit dem Vichy-Regime Pétains kollaborierenden) Milice in Lyon. Er hat dort systematisch Juden verfolgt und Mitglieder der Résistance. „Der Judenmord war ihm ein persönliches Anliegen“, betonen Historiker übereinstimmend. Schon am 10.9. 1946 wurde er in Lyon – in Abwesenheit – zum Tode verurteilt.
Der Fall Touvier ist etwas Besonderes: Der katholische Miliz-Chef konnte sich viele Jahre, bis zum 24.Mai 1989, den Gerichten entziehen, weil er auf die Hilfe von Klerikern zählen konnte und in verschiedenen französischen Klöstern der offiziellen katholischen Kirche Zuflucht und Unterkunft fand. Von der Polizei entdeckt wurde er in Nizza, im dortigen Priorat der traditionalistischen Pius-Bruderschaft, der Gemeinschaft des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefèbvre.
Paul Touvier wurde 1915 geboren, er wuchs in einer streng-katholischen Familie auf. Wie sehr viele französische Katholiken zu der Zeit lehnte er die republikanischen, „laizistisch“ genannten Werte Frankreichs ab zugunsten des autoritären, nazifreundlichen Pétain-Regimes.
Als 1966 das Todesurteil verjährte (nach 20 Jahren, so war das damals in Frankreich üblich), setzte sich Erzbischof Villot von Lyon für Touvuier ein, 1971 wurde Touvier sogar von Staatspräsident Pompidou begnadigt. Dies löste weite Empörung aus, zumal bekannt war, dass Touvier „das meiste des von ihm beanspruchten Vermögens tatsächlich von deportierten Juden geraubt hatte.“ (Quelle: wikipedia, Paul Touvier).
Ein weites Netzwerk aus Klerus und Klöstern unterstützte Touvier auf seiner Flucht vor der Justiz weiterhin. Vor allem das Hauptkloster der Kartäuser „La Grande Chartreuse“ muss erwähnt werden, das mit dem flüchtenden Touvier „enge und ausdauernde Verbindungen“ unterhielt (zit. in „Paul Touvier et l église“, Ed. Fayard, 1992, S. 136): Ähnliche enge Verbindungen gab es mit dem Benediktinerkloster Hautecombe und dem Trappistenkloster Tamié. Touvier verbreitete bei seinen, manchmal sogar ahnungslosen Gastgebern diese Lüge, unschuldig zu sein, er habe nur der legitimen Macht gedient und dabei versucht, das Schlimmste von einen Mitbürgern abzuwehren.
Um 1957 fand Touvier entschieden Hilfe von Monsignore Charles Duquaire, dem Sekretär des Lyoner Kardinals Gerlier. „Monsignore Duquaire hat im wahrsten Sinne Paul Touvier und seine Familie adoptiert. Er hat sich in dessen Dienst gestellt, er wurde sein Beschützer, sein Stratege. Die vielen Unternehmungen Duquaires zwischen 1959 und 1973 waren nicht nur seine Hauptsorge, sondern seine wichtigste Aktivität. Duquaire, 1907 geboren, hat als Priester in Rom Kirchenrecht studiert und wurde in dem Fach promoviert. Seit 1950 arbeitete er als Sekretär von Kardinal Gerlier, 1956 wurde er Prälat seiner Heiligkeit, des Papstes. „Die Verteidigung Touviers wurde in gewisser Weise Duquaires zweite Berufung“ (S. 159). In dem Buch „Paul Touvier et l église“ wird Duquaire eine „komplexe Persönlichkeit genannt (S. 161), er fühlte sich allen Ausgegrenzten gegenüber als der „barmherzige Samariter“. So ist für ihn der Paul Touvier „ein Opfer der Ungerechtigkeit“. Und das sagte Duquaire im Wissen, dass die Milice, die Touvier leitete, „einen widerwärtigen Charakter hatte.“ (S.162).
1994 wurde Touvier wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu lebenslanger Haft verurteilt, er starb an Krebs 1996 im Gefängnis Fresnes.
In der traditionalistischen Haupt-Kirche St.Nicolas du Chardonnet (Paris) wurde ein Requiem für Paul Touvier gefeiert. Auch das ist bezeichnet für die rechtsextremen Sympathien der Pius-Bruderschaft in Frankreich.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
………..
Die Bestattung und das Requiem der Traditionalisten und ihrer reaktionären Freunde zugunsten des Milice-Chefs Paul Touvier, ein Bericht der Tageszeitung „Liberation“, Paris, 26. Juli 1996. Als Beispiel für die unglaubliche Präsenz reaktionärer rechtsextremer Gruppen in Frankreich.
„Requiem pétainiste pour Touvier. Messe intégriste à Paris et inhumation à Fresnes pour l’ancien milicien“.
par Renaud DELY et Jean HATZFELD
publié le 26 juillet 1996 à 7h48 LINK
1.
Aldo Moro: Er war einer der bedeutenden Politiker Italiens: 1945 wurde er im Alter von 29 Jahren Mitglied der „Democrazia Cristiana“ (DC), und seitdem machte er große Karriere, er hatte viele maßgebliche Positionen in der DC Regierung und der Partei inne, zuletzt war er deren Parteichef.
2.
Am 16. März 1978 wurde Aldo Moro von den „Roten Brigaden“ in Rom entführt, fünf seiner „Wächter“ wurden sofort erschossen. 55 Tage verbrachte er im „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden. Am 9. Mai 1978 wird Aldo Moro tot in einem Auto im Zentrum Roms aufgefunden, in der Nähe der Parteizentralen seiner DC und der Kommunistischen Partei: Beide Parteien sollten sich, so das neue, gewagte politische Projekt Moros in diesen Tagen, weiter politisch annähern und sogar kooperieren. Aber aufgrund der Entführung Moros und seiner Erschießung kam dieses Projekt, der „historische Kompromiss” der DC mit der kommunistischen Partei (Parteichef Berlinguer), nie zustande. Eine Kooperation von Christdemokraten, d.h. letztlich von Katholiken in Abhängigkeit vom Vatikan, und Reformkommunisten, passte den herrschenden konservativen Katholiken gar nicht. Und die extremste Linke, die Roten Brigaden, fürchteten um ihre so genannte proletarische Revolution, bei so viel Kooperation mit den Bürgerlichen. Aber im Vorhaben Moros und Berlinguers hätten die Chancen bestanden, dass zwei große Parteien Italien als eine Demokratie neu gestalten, die den Namen verdient.
3.
Die 55 Tage Moros als Geisel im Gefängnis der “Roten Brigaden“ hat der nicht nur in Italien hoch geschätzte Autor, Mafia-Spezialist und (linke) Politiker Leonardo Sciascia (1921-1989) in einer Art „dokumentarischem Roman“ untersucht. Das Buch erschien 1978, der Autor bezeichnete es als sein wichtiges, zentrales Werk. Es konzentriert sich auf eine tiefe Analyse einiger Briefe, die Moro aus seinem Gefängnis an Politiker seiner Partei wie an seine Familie schreiben konnte. Vor kurzem hat die Edition Converso eine neue Übersetzung dieses Buches von Sciascia veröffentlicht, aus dem Italienischen übersetzt von Monika Lustig, die schon zahlreiche italienische Autoren ins Deutsche übertragen hat.
4.
Sciascia Analysen zur sprachlichen Gestalt der Briefe Moros verdienen viel Aufmerksamkeit, er analysiert die Andeutungen Moros, die Implikationen seiner Forderungen, seiner Ängste.
Sciascias dokumentarischer Roman gehört nicht in die Reihe der zahlreichen „Moro-Enthüllungsbücher“. Der Text will in aufmerksamen Analysen zeigen, wie der von Terroristen gefangene Aldo Moro gerade im Schreiben seiner (insgesamt mindestens 30) Briefe seine Würde bewahrt, gegen die Sturheit seiner ehemaligen Parteifreunde in staatlicher Verantwortung ankämpft: Sie sind entschlossen, den einzelnen, den hilflosen Menschen zu opfern. Sie wollen in dieser Radikalität die Stärke des italienischen Staates gegenüber den Terroristen beweisen. Die Polizei bleibt untätig. So ist der einzelne Mensch hilflos der Staatsräson ausgeliefert: Das ist das Thema Sciascias. Er will dem ermordeten Moro seine menschliche Würde zurückgeben, wie Fabi Stassi im Nachwort schreibt (S. 211).
5.
Je mehr Sciascia sich in die Briefe Moros vertieft, um so sichtbarer wird seine Nähe, wenn nicht Sympathie für den führenden Politier der Democrazia Cristiana, einer Partei, der Sciascia eigentlich mit heftigster Kritik gegenüberstand. Er spricht im Blick auf allerlei Machenschaften der DC von einem „christdemokratischen Regime“ (10) oder von einer „christdemokratischen Mafia“ (16). Aber Moro wird dann doch für Sciascia „zu einem der Allernächsten“ (211). Jenseits aller Staatsräson sieht der Autor den einzelnen, das Opfer der Terroristen, und vor allem: den offiziell von Politikern zwar bemitleideten, de facto aber von ihnen längst dem Tode preisgegebenen, hilflosen Menschen. Seine Parteifreunde (auch Kirchenführer) sind so dreist, und erklären Moro im Laufe der Gefangenschaft für geistig verwirrt, „anders, befremdlich geworden“, nur weil er dringend darum bittet, vor dem Erschießen bewahrt zu werden: Indem nämlich endlich die Politiker in Verhandlungen treten mit den Entführern und Moro freikaufen im Austausch mit den gefangenen „Genossen“. Die Rettung unschuldigen Lebens ist für Moro als Christen das höchste Gut. Die Bindung Moros an Grundsätze christlicher Ethik und damit auch seine tiefe Bindung an die katholische Kirche werden von Sciascia eher am Rande erwähnt: Sein Freund, Papst Paul VI. setzt sich für Moros Rettung öffentlich ein. Aber er fordert schlicht und einfach nur die Freilassung des politischen Freundes, diese allgemeine Forderung, ohne Gegenleistung des Staates, können die Rote Brigaden gar nicht erfüllen. Insofern steht also auch der Papst auf der Seite der offiziellen Staatsräson. Und seine päpstliche Zeitung, der Osservatore Romano, letztlich auch. Diese geringe Hilfsbereitschaft der Kirche(nführer) muss den sehr frommen Katholiken Aldo Moro besonders hart getroffen haben. 1973 war er in den so genannten “Dritten Orden” der Dominikaner als Laienmitglied eingetreten (siehe die Zeitschrift “Wort und Antwort”, 2013, ein Beitrag von Alessandro Cortesi OP, LINK).
6.
So weiß Moro kurz vor seinem Tod, dass der italienische Staat, in seinem “Staatskult” (S. 63) Härte und angeblich Würde zeigend, ihn, den Hilflosen zum Tode verurteilt. Er wird also hingerichtet. Direkt berührend ist der Abschiedsbrief an seine Frau (144 f.) Darin distanziert er sich erneut „verbittert“ (146) von seiner Partei. „Welches Böse kann aus diesem Bösen (d.h. seinem zugelassenen Tod) entstehen?, fragt Moro (147). In seiner zugelassenen Hinrichtung, ohne jede Verhandlungsbereitschaft mit den Entführern, sieht Moro ein „Staatsmassaker“ (146). Er hat ausdrücklich gefordert, dass bei seiner Totenfeier und Bestattung kein Vertreter der Partei, des Staates, dabei sein darf. Am 10. Mai 1978 schon wurde Moro in engstem Familienkreis im Städtchen Turrrita Tiberina beigesetzt. Eine Totenmesse ohne Leiche fand dann am 13. Mai 1978 in der Basilica San Giovanni im Lateran statt, Papst Paul VI.hielt die Predigt.
7.
Warum ist das Thema „Mord an Aldo Moro“ heute so wichtig: Weil die Hinrichtung Moros weite und breite Wirkungen zeigt. Die DC ist verschwunden, als starke Kraft zeigte sich dann die Eventpartei des Medien-Herrschers und Aufschneiders Berlusconi, jetzt ist eine neofaschistisch geprägte Ministerpräsidentin an der Macht mit sehr rechten Koalitionspartnern. “Treten die schlimmsten Befürchtungen ein, so wäre der politische Mord an Aldo Moro auf lange Sicht auch ein Mord an der Politik“, schreibt der Historiker Michael Sommer in dem Buch „Politische Morde. Vom Altertum zur Gegenwart“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, im Jahr 2005, dort S. 238. Und der Autor Fabio Stassi sagt im Nachwort zu Sciascias Buch: Die Literatur, auch die Darstellung und Interpretation von Aldo Moros Leiden, sei “ein beharrlicher Protest gegen das Verschwinden der Vernunft” (S. 207).
Leonardo Sciascia, „Die Affaire Moro. Ein Roman“. Übersetzt von Monika Lustig. Sie hat auch ein kurzes Nachwort geschrieben: „Von der Pflicht, die Affaire Moro zu übersetzen“. Mit einem Nachwort von Fabio Stassi. Und einer Zeittafel. Edition Converso, Karlsruhe, 236 Seiten, 2022, 24€.
Am 15.3. 2023 um 21.55 und am 16.3.2023 um 22.30 sendet ARTE den FILM “Und draußen die Nacht” über Aldo Moro, auch in der Mediathek. LINK
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Es gibt keine (klerikalen) Vorbilder: Der 2. Teil. Der 1. Teil weist auf Kardinal Karl Lehmann, Mainz, hin.
Von Christian Modehn am 10.3.2023
Die katholische Journalistin Christine Pedotti (Paris) schreibt in der Wochenzeitung “Témoignage Chrétien” (16.3.2023): “Man müsste nun im Kirchenrecht die Kategorie der Rückgängigmachung der Heilig-Sprechung festlegen”. Konkret meint sie: Johannes Paul II. dürfte eigentlich nicht länger als “Heiliger” verehrt werden.
Er wurde als Papst wie ein Heiliger verehrt: PAPST JOHANNES PAUL II. (geb. 1920, als Papst gestorben 2005). Sofort nach seinem Tod forderten sehr viele Fromme, “santo subito”, er sollte sofort heilig gesprochen werden. Und das taten seine Nachfolger dann auch: Seit 2013 dürfen alle Katholiken den heiligen Papst Johannes Paul II. im Himmel um Fürsprache bei Gott anflehen. Zahlreiche, zum Teil monumentale Statuen und Denkmäler wurden vor allem in Polen zu Ehren des polnischen heiligen Helden und Papstes errrichtet.
Aber auch gegen ihn werden nun begründete Vorwürfe laut: Karol Wojtyla soll als Erzbischof von Krakau sexuellen Missbrauch von Priestern in “seinem” Erzbistum vertuscht haben. Das Motto heißt also immer wieder: Der Klerus schützt zuallererst den Klerus. Nicht die Opfer.
In Polen, dem Land des in die Kritik geratenen Papstes, werden diese Erkenntnisse wie erwartet zurückgewiesen.
Einige Zitate aus einer aktuellen Meldung des Bayerischen Rundfunks vom 6.3.2023:
Johannes Paul II. soll Missbrauch vertuscht haben
Der spätere Papst Johannes Paul II. soll ihm unterstellte Missbrauchstäter in Polen gedeckt haben. Das berichtet ein polnischer Investigativjournalist. Bereits zuvor hatte es ähnliche Vorwürfe gegeben, die aber in Polen zurückgewiesen wurden.
Von der Redaktion des Bayer. Rundfunks „Religion und Orientierung“. Am 6.3.2023.
Der verstorbene Papst Johannes Paul II. soll einem polnischen Medienbericht zufolge vor seiner Papstwahl Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Polens vertuscht haben. In seiner Zeit als Kardinal und Bischof von Krakau habe Karol Wojtyla von Pädophilie-Fällen gewusst, berichtete der Privatsender TVN am Sonntag unter Berufung auf Recherchen des Journalisten Marcin Gutowski.
Bericht: Karol Wojtyla war über Missbrauchstäter informiert
Dem Bericht zufolge soll Wojtyla Priester seiner Diözese, über deren Taten er informiert war, in andere Gemeinden versetzt haben, um Skandale zu vermeiden. Einer der Priester wurde demnach von dem späteren Papst nach Österreich geschickt. Kardinal Wojtyla habe für ihn ein Empfehlungsschreiben an den Wiener Kardinal Franz König geschrieben, ohne ihn über die Vorwürfe gegen den Priester zu informieren.
Bereits Anfang Dezember 2022 erhob der niederländische Journalist Ekke Overbeek in einem Enthüllungsbuch schwere Vorwürfe gegen den früheren Papst und Vorgänger von Benedikt XVI. In Dokumenten hätte Overbeek Informationen zu konkreten Fällen gefunden, in denen Wojtyla wissentlich Missbrauchspriester in andere Bistümer versetzt habe.
Polnische Medien wiesen Vorwürfe gegen Papst Johannes Paul II. 2022 zurück
Polnische Medien gelangten damals zu einer anderen Einschätzung über die Rolle des späteren Papstes in seiner Zeit als Erzbischof. Kardinal Wojtyla sei “nach Aktenlage entschieden gegen einen Priester vorgegangen, der mehrere Kinder sexuell missbraucht hat”, schrieb die Zeitung “Rzeczpospolita”. Als Beispiel wird ein Fall genannt, in dem Wojtyla schnell und wachsam reagiert habe.
Der polnische Investigativjournalist Gutowski sprach nun für seine Recherchen mit Opfern pädophiler Priester, deren Angehörigen und ehemaligen Angestellten der Diözese. Er stützte sich auch auf Dokumente der ehemaligen kommunistischen Geheimpolizei SB und Dokumente der Kirche. Bereits vor zwei Jahren habe er die ersten Hinweise bekommen, dass Wojtyla vom sexuellen Missbrauch der ihm unterstellten Pfarrer gewusst und sie gedeckt haben soll, sagte Gutowski gegenüber TVN24. Die Diözese Krakau habe ihm allerdings den Zugang zu ihren Archiven verweigert, sagte der Journalist.
Katholische Kirche verweigerte Herausgabe von Dokumenten
Die katholische Kirche in Polen hatte sich bereits in der Vergangenheit geweigert, Dokumente herauszugeben – selbst an die Justiz oder an eine öffentliche Kommission, die Missbrauchsfälle untersuchte. Ein Zeuge, der anonym bleiben wollte, bestätigte, er habe Kardinal Wojtyla persönlich von pädophilen Handlungen eines Priesters im Jahr 1973 berichtet. “Wojtyla wollte zuerst sichergehen, dass es sich nicht um Bluff handelt”, sagte der Zeuge. “Er sagte, er würde sich darum kümmern und bat, es nirgendwo zu melden.”
Thomas Doyle, ein ehemaliger katholischer Priester aus den USA, nannte die Enthüllungen des Journalisten “revolutionär” Sie zeigten, “was viele Menschen schon seit Jahren vermutet haben: Dass Johannes Paul II. von diesem Problem wusste, bevor er Papst wurde”, sagte der Experte für Kirchenrecht, der als einer der Ersten über Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche in den USA berichtet hatte. (Quelle: Mit Informationen von AFP und KNA, BR)
Ergänzung am 16.3.2023 von Christian Modehn:
Wir werden zurecht von einigen LeserInnen daran erinnert: Auch als Papst hat Karol Wojtyla sexuellen Missbrauch durch Priester ignoriert. Mit dem bekannten Täter Pater Marcial Maciel , Gründer und Chef (“Generaldirektor”) des Ordens der Legionäre Christi, war Johannes Paul II. eng verbunden, wenn nicht befreundet. Dieser vielfache Täter sexuellen Missbrauchs, an Seminaristen, aber auch an den eigenen Söhnen, Pater Marcial Maciel, war den vatikanischen Behörden spätetstens seit 1970 “einschlägig” bekannt. Diese Tatsache war dem ja sonst sehr aufmerksamen Papst Johannes Paul II. sicher nicht unbekannt. Aber er ignorierte diese Tatsache, weil er diesen Orden und seine vielen jungen Priester angesichts des Priestermangels einfach für seine klerikalen Ambitionen (“Neuevangelisierung” etc.) “brauchte”.
“Der Klerus zuerst” war also offenbar das Leitprinzip des Papstes. Verheimlichen, vertuschen, mit den Tätern befreundet sein, das war päpstliches Prinzip.
Pater Marcial Maciel erläutert in seinem Buch, mit dem, auf seine Petson bezogen, geradezu skandalösen Titel, “Christus ist mein Leben”, 2005, Edizioni ART, Roma, etwa S.180, ausführlich die enge Vertrautheit zwischen ihm und Papst Johannes Paul II… Den Chef der Legionäre Christi erlaubte sich dann Papst Benedikt XVI., nach dem Tod des polnischen Papstes, einen Verbrecher zu nennen.
Johannes Paul II. hatte den Chef der Legionäre Christi ausersehen, ihn auf den Papstreisen nach Mexiko zu begleiten, der Legionär war auf päpstlichen Wunsch hin Teilnehmer an lateinamerikanischen Bischofskonferenzen und an römischen Bischofssynoden. Der Generaldirektor der Legionäre Maciel schreibt in dem genannten Buch: “Bei anderen Gelegenheiten wurde mir die Gnade zuteil, mit dem Heiligen Vater im Apostolischen Palast zu Mittag oder zu Abend zu essen…Der Heilige Vater brachte den Legionären Christi und unserer Laienorganisation Regnum Christi stets vorbehaltlose Unterstützung (sic) entgegen” (S- 180). Und der Ober-Legionär erinnert sich an die vielen gemeinsamen Gottesdienste und Empfänge für ihn und die Seinen in wunderbarer Herzlichkeit und Vertrautheit mit dem “Heiligen” Vater… Infos zu den Legionären Christi und deren Generaldirektor Pater Marcial Maciel.
Copyright:BR und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin
Auf dieser website hat Christian Modehn schon mehrfach auf den international geschätzten Theologen Karl Rahner hingewiesen, etwa am 24.3.2014.
Dieser neue Hinweis wurde im Februar 2023 veröffentlicht. Es handelt sich um den Versuch, als Diskussionsbeitrag, Rahners umfangreiche katholische Theologie als eine moderne, und, durchaus gewagt formuliert, aber treffend, als eine „liberale katholische“ Theologie und als eine zaghafte „modernistische katholische Theologie” zu erweisen. Dass Rahner auch sehr explizit viele „katholisch-dogmatische Themen“ dargestellt hat, steht außer Frage. Aber es kann doch in einigen zentralen Texten und in der Grundform des Denkens eine Dimension freigelegt werden, die man liberal-theologisch bzw. vor allem modernistisch nennen könnte. Ich weiß, die meisten RahnerinterpretInnen, und sie sind meist katholisch, würden dieser genannten Dimension der Rahnerschen Theologie nicht zustimmen.
Aber vielleicht hilft ein ungewohnter Blick, Neues zu entdecken. Dabei ist klar, dass für den Religionsphilosophischen Salon Berlin „theologisch-liberal“ und „modernistisch“ wertvolle, sogar erstrebenswerte, positive Dimensionen jeder Theologie sind. Liberal-theologisch und modernistisch sind für uns also keine Schimpfworte, wie so oft bis heute in konservativen katholischen Kreisen, und die meisten, einflussreichen Kreise der katholischen Kirche sind dogmatisch-konservativ und klerikal. Und werden es wohl ohne eine wirkliche Reformation, die mehr ist als ein paar Reförmchen, bleiben.
Dieser Hinweis hat einen praktischen Zweck: Er will den heute und seit langem schon an ihrer Kirchenführung verunsicherten KatholikInnen (vor allem den zurecht an ihrer Kirche verzweifelten Frauen) Mut machen, von Rahners genannten Ideen inspiriert, das Wesentliche im menschlichen Leben zu entdecken und das Wesentliche im christlichen Glauben zu leben. Alle Debatten über Inner-Kirchlich-Katholisches und Strukturelles sind dann sekundär. Und mit Rahner wird man wohl sagen können: Menschlich leben und christlich glauben kann man auch außerhalb der katholischen Kirche. Dann wird vielleicht das (religiöse) Leben etwas leichter und freier.
1. Lässt sich Katholizismus und moderne Lebenswelt verbinden? Darüber wird auch jetzt wieder gestritten in den weltweiten Debatten um einen „synodalen Weg“ in der katholischen Kirche, also um eine moderate, sehr bescheidene Form der Demokratie in dieser Klerus-Männer-Kirche. Für die meisten ist und bleibt „Katholizismus und moderne Lebenswelt“ also sicher ein Widerspruch, aber das Thema ist in jedem Fall eine Herausforderung fürs (geistige) Überleben dieser Kirche. Und damit sollte sich die kulturell interessierte Öffentlichkeit befassen.
Dieser Hinweis zeigt in der gebotenen Kürze: Es gibt eine katholische Theologie, die den Katholizismus aus der theologischen Sackgasse mittelalterlichen, erstarrten neu-scholastischen Denkens herausführen könnte. Der Initiator dieses zeitgemäßen Denkens ist der katholische Theologe Karl Rahner. Seine – von manchen revolutionär genannten – Einsichten sind heute weiten Kreisen kaum bekannt, seine Vorschläge haben sich noch längst nicht innerhalb der katholischen Kirche durchgesetzt, obwohl einige Bischöfe wahrscheinlich die theologischen Entdeckungen Rahners verstanden haben (wie einst Kardinal Karl Lehmann). In den evangelischen, diesen philosophisch-theologischen Spekulationen eher abgeneigten Kirchen, fand Rahners Theologie kein großes Echo, schon gar nicht in den in vielfacher Hinsicht theologisch nach wie vor erstarrten orthodoxen Kirchen.
Es ist also Zeit, an Karl Rahner zu erinnern. Der äußere Anlass: Sein Geburtstag (am 5.3.1904) oder auch sein Todestag 80 Jahre später (am 30.3.1984). Biographische über wikipedia als Erstinformation.
2. Karl Rahner SJ ist ein katholischer Theologen der „besonderen“ Art: Er war immer auch Philosoph bzw. immer philosophierender Theologe, man denke an seine Studien „Geist in Welt“ (1939) oder auch „Hörer des Wortes“ (1941). Nur in der spekulativen Kraft seines philosophischen Denkens konnte Rahner ein hervorragender Theologe werden, der endlich Eigenes, Neues, zu sagen hat.
Rahner gebührt zweifellos das Prädikat „einer der bedeutendsten“ Theologen des 20.Jahrhunderts: Nur dies als eine knappe Begründung: Er hat die uralten Fixierungen erstarrter katholischer Theologie aufgebrochen, überwunden zugunsten einer grundlegenden Reform der Kirche. Er hat die katholische Theologie mit einer ungewöhnlichen Denkform vertraut gemacht, die man treffend „liberal theologisch“ und sogar „modernistisch“ genannt hat (1). Solche – katholisch immer umstrittenen – Prädikate einem katholischen Theologen zuzuweisen, bedeutet nicht, ihn „einzuordnen“, sondern nur aufmerksam zu machen: Wie mutig dieser Theologe war, sich auf offiziell, katholischerseits verachtete und verfolgte Denkformen der Moderne und der philosophischen Aufklärung einzulassen.
Nichts war und ist bis heute verwegener, schlimmer, skandalöser, als wenn Rom einen Theologen mit dem Titel „Modernist“ (2) diskriminiert(e) (3). Also als einen Theologen „qualifizierte“, der die subjektiven Glaubenserfahrungen des einzelnen zum Schlüssel und zum Mittelpunkt allen katholischen Glaubens macht. Und so musste Rahner sich hüten, um des eigenen Überlebens willen, mit allzu großer Deutlichkeit diese seine „modernistische“ oder auch „liberale“ Denkform plakativ zu vertreten. Er musste sogar bei seinen mehr als 4000 Publikationen uralte Themen bearbeiten und publizieren, die in die katholischen „Steinzeit“ gehören, wie etwa die Lehre von Ablass. Diese wie bestellt wirkenden Beiträge (auch gegen Hans Küngs Neuverständnis der päpstlichen Unfehlbarkeit) verfasste Rahner wohl, um in dem kontrollierenden System überleben zu können und seine aktuelle „modernistische“ Theologie weiter zu bearbeiten. Das ist eine sich aufdrängende These, wenn man die Zurückhaltung, wenn nicht Angst in den 1950-1960 Jahren denkt, mit der Rahner seine eigentlichen theologischen Neuerungen vortrug.
3. Der „Modernismus“ war eine breite und vielfältig ausgeprägte theologische Bewegung innerhalb der katholischen Kirche von ca. 1890 bis 1940), vor allem in Frankreichs, Englands und Deutschlands Kirche. Kurz zusammengefasst: Die Modernisten (ein Titel, der ihnen von Rom, dem Zentrum der Feinde des modernen katholischen Denkens, gegeben wurde) deuteten den katholischen Glauben „als die Wahrnehmung des im menschlichen Bewusstsein wirkenden Gottes; dieses lässt das Dogma entstehen, das sich also in einer vitalen Entwicklung aufgrund der Verarbeitung dieser Erfahrung durch den menschlichen Geist bildet“, schreibt der katholische Historiker Prof. Roger Aubert (4). Diese Beschreibung des „Modernismus“ ist in dieser Kürze wohl treffend, auch wenn Auberts Lexikonbeitrag eher die kirchen-offiziell gewünschte Kritik am „Modernismus“ durchblicken lässt.
4.
In diesem Hinweis wird kurz, aber angemessen, eine besonders neue, auffällige Dimension im Denken des ungewöhnlichen Karl Rahner vorgestellt. Diese Gestalt seines Denkens ist zunächst unter dem Stichwort „anthropologische Wende“ bekannt geworden. Diese Wende zum Menschen, die als Ausgangspunkt aller theologischen Reflexion die menschliche Lebenswelt nimmt, leitet heute prominente Autoren, wie Pater Anselm Grün aus Münsterschwarzach oder auf andere Art auch Eugen Drewermann. Anthropologische Wende bedeutet, kurz gesagt, für Rahner: Des Menschen geistiges Leben, wie etwa Lieben, Solidarität, Auseinandersetzung mit Verzweiflung, mit Tod, verweisen von sich aus auf eine transzendente Dimension, auf eine Bindung des menschlichen Geistes an etwas absolut Geltendes, das man Gott nennen kann, so benennt die klassische Theologie den Unendlichen und Ewigen.
Diese von Rahner inszenierte anthropologische Wende hat weitreichende Konsequenzen: Sie sprengt sozusagen die enge Bindung an einen immer wieder vermittelten amtlichen Dogmen-Glauben, der nur als Gehorsam gegenüber Dogmen etc. verstanden wird. Der offizielle „Katechismus der katholischen Kirche“ von 1995 hat fast 800 Seiten der „zu-Glaubenden“ Sätze, d.h. Wahrheiten! Welch ein Wahn! Rahner hingegen erkennt: Auf den bewussten Vollzug geistigen Lebens kommt es an, auf die Reflexion über das lebendige geistvolle Leben inmitten des Alltags: Da und nur da wird Gott erfahren. In der Lebenspraxis, die immer Praxis des Geistes, der Vernunft ist, zeigt sich einem jedem die Verbundenheit mit dem Ewigen, Absoluten, Göttlichen (5). So kann Rahner ausführlich begründet: zeigen Nächstenliebe ist Verbundenheit mit Gott, ist „Gottesliebe“. Und darauf kommt alles an im menschlichen Leben.
5.
Von dieser Einsicht aus zeigt sich für Karl Rahner eine ungewöhnliche Hochschätzung der Mystik. Denn in der Mystik wird die Trennung von Göttlich-Menschlich überwunden. Mystik „macht“ den Menschen also nicht zu einem Gott, sondern sie erfährt und benennt dann auch die Anwesenheit des Göttlichen im endlichen, begrenzten Menschen. Über die Mystik wird erneut Rahners Interesse an einer „modernistischen und liberalen katholischen Theologie“ deutlich. Grundlage ist seine zentrale, auch heute ständig zitierte These “Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein“ (6). Und Mystik ist eben nur denkbar als eine INDIVIDUELLE Lebensform und Interpretation des Glaubens. Eine historische Erinnerung: “Ab dem 16. und 17. Jahrhundert wird Mystik die Erfahrung eines radikal individuellen Umgangs mit dem Universellen, dem Transzendenten, mit Gott“. (7)
6.
Wenn Rahner von Gott spricht, dann immer nur von dem “unendlichen Geheimnis”. Geheimnis meint dabei nichts Mysteriöses, Hinterweltliches oder gar Spinöses, sondern eine alles grundlegende geistige Wirklichkeit, die sich im Denken und Handeln erschließt, die aber nur berührt, niemals umfasst und definiert oder gar beherrscht werden kann. Die Naturwissenschaften haben es mit „Rätseln“ zu tun, die sie im Laufe der Forschungen immer wieder annähernd beantworten können. Philosophien und Theologie haben es hingegen mit einem niemals durchschaubaren, aber ansatzweise erfahrbaren, berührbaren und in Poesie ahnungsweise nennbaren Geheimnis zu tun. Die alles grundlegende Wirklichkeit wird Gott genannt, aber Gott immer als als Geheimnis. Und damit stört Rahner alle besserwisserische Alltags-Theologie, die mit Gott umgeht wie mit einem Gegenstand und ihn in albernen Liedern, Gebeten etc. besingt und in höchsten Tönen preist oder aber ihn ideologisch, politisch missbraucht.
Diese Relativierung aller menschlichen Definitionen von Gott ist eine Art Revolution für die römische Kirche. Rahner denkt radikal und lässt sich von kirchenamtlichen Kritikern nicht beirren: Gott ist absolutes Geheimnis. Aber noch einmal: Dieser Gott als Geheimnis ist eine ungreifbare, aber in allen geistigen Vollzügen des Menschen anwesende Kraft, der unendliche Horizont des Denkens, der nie greifbare Urgrund, der alles gründet und belebt. Damit steht Rahner in der Tradition der Mystik. Er erwähnt in seinen Aufsätzen etwa Meister Eckart oder Theresa von Avila.
Mystik ist also nur die andere Seite der anthropologischen Wende der Theologie. Mystik ereignet sich „immer schon mitten im Alltag, verborgen und unbenannt“ (8). An vielen Beispielen aus den „konkreten Lebenserfahrungen“ zeigt Rahner die Anwesenheit des Geistes, des Heiligen Geistes, die Anwesenheit von Mystik (9), diese gut nachvollziehbaren Beschreibungen der Mystik im Alltag sind absolut lesenswert! Er spricht von Erfahrungen der Freiheit, von dem Nahesein der Finsternis des Todes, vom Trost angesichts von Verzweiflung…Und aus der Beschreibung geistvoller Lebenserfahrung in jedem Menschen zieht Rahner eine radikale Konsequenz. Radikal deswegen weil sie das enge Kirchendenken und die Herrschaft der Kirche über den einzelnen überwindet. Rahner notiert zu diesen geistvollen Alltagserfahrungen: „Da haben wir auch faktisch die Erfahrung des Übernatürlichen (also Gottes) gemacht“ (10). Und diese erfahrene, aber nie fassbare Nähe Gottes, des Ewigen wie auch immer , ist das alles Entscheidende für den Theologen Karl Rahner. Jetzt versteht man, warum er ein neuer „Modernist“ ist. Er reduziert die „Glaubenslehre“ auf Wesentliches, auf Humanes!
7. Es muss nun hingewiesen werden auf die kreative „modernistische“ Leistung Karl Rahners: Es handelt sich um seine „transzendentale Theologie“. Der Begriff transzendental erklärt den Grund, die subjektive „Basis“ des religiösen, auch des mystischen Erleben des einzelnen Menschen.
Mit dem Begriff „transzendental“ bezieht sich Rahner auf den Philosophen Immanuel Kant. Er hatte „transzendental“ seine damals neue, alles entscheidende Frage genannt, die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis im Menschen (im Subjekt) fragt. Diese Bedingung der Möglichkeit des Erkennens liegt – populär gesagt – in der Vernunft des Menschen, in seinem Geist. Dem folgt Rahner gegen die Überzeugungen der versteinerten katholischen Theologie der fünfziger und sechziger Jahre, und er sagt: “Die transzendentale Frage in der Theologie bedeutet: Welche Bedingungen müssen im Geist des Menschen gegeben sein, damit das Wort der Bibel überhaupt verstanden wird?” Rahner geht noch weiter: „Der Mensch kann die Bibel nur deswegen verstehen, weil Gott, als göttliche Gnade, bereits im Menschen anwesend ist, als innere, als subjektiv erlebte, als „transzendentale Offenbarung“ , schreibt Rahner. Er will zeigen, dass „der Glaube an Jesus Christus nicht als eine bloß von außen kommende, auch noch so erhabene Zutat zur unabwälzbaren Existenz des Menschen erscheint. Sondern wir wollen den Glauben an Jesus Christus in der innersten Mitte der Existenz auffinden, wo er schon wohnt, bevor wir, hörend auf die Botschaft der Kirche, diesen Glauben satzhaft reflektieren“ (11).Und an anderer Stelle schreibt Rahner: „Ich bin der Überzeugung, dass das Christentum eben nicht nur eine von außen her kommende Lehre ist, die dem Menschen eingetrichtert wird. Sondern, dass es wirklich ein Christentum von Innen heraus, von der innersten persönlichen, menschlichen Erfahrung her, gibt und geben muss. Das Christentum ist nicht eine Lehre, die von aussen einem erzählt, dass es so etwas gibt wie Gnade, Erlösung, Freiheit, Gott, so wie einem Europäer mitgeteilt wird, dass es Australien gibt. Sondern das Christentum ist wirklich die Auslegung dessen, was in der innersten Mitte des Menschen (an einer vielleicht verdrängten, vielleicht nicht reflektierten Erfahrung doch) schon gegeben ist“.
8. Mit der „transzendentalen Offenbarung“ ist die Anwesenheit Gottes im Geist, in der Seele des Menschen, und zwar JEDES Menschen, gemeint. Dabei werden universale Perspektiven wichtig! Das Denken wird befreit aus der engen Kirchenwelt des dogmatischen Klerus. Dieser Gott ist im Geist und der Seele und im Fühlen und Denken eines jeden Menschen grundsätzlich wirksam, lebt im Menschen, und der Mensch äußert seinen subjektiven Glauben selbstverständlich auch in Worten. Die zur anregenden Glaubenseinsicht auch für andere werden können. Dieser „innere“, der subjektive Gott ist der Ursprung der in der Geschichte sich äußernden Wort/Schrift-Offenbarung mit ihren biblischen Texten. Die „objektive“, sozusagen „außen“ greifbar sich zeigende, in der Geschichte sichtbare Offenbarung als Text ist nur in dieser engen Verbindung zur inneren Anwesenheit Gottes in jedem Menschen zu verstehen. Damit wird Entscheidendes gesehen: Wenn der Mensch den weisheitlichen Weisungen der Bibel folgt, die man als göttliche Offenbarung (Buch) nennt, dann folgt er zugleich seinen eigenen inneren Weisungen, die ihm auch seine eigene Vernunft erschließt. Es gibt also keine Fremdheit mehr gegenüber der Weisheit, die dem religiösen Menschen in den Texten der Bibel begegnen. Rahner schreibt: „Man soll aus der Erfahrung des eigenen Daseins heraus erfahren, ob das Christentum die Wahrheit des Lebens sei“ (12)
9. Nun kann bei dieser Einsicht für den Glaubenden nicht jeder Satz der Kirchenlehre die gleiche Bedeutung, Würde und Dringlichkeit haben. Es gibt also ein Kriterium, mit dem der Glaubende Wichtiges von Unwichtigem in der riesigen katholischen dogmatischen -ethischen- rechtlichen Glaubenslehre findet. In dem Aufsatz „Die Forderung nach einer =Kurzformel= des christlichen Glaubens“ (13) zeigt Rahner das wahre, und das ist das einfache (also von der Überfülle der Lehren und Sätze befreite!) Zentrum des Glaubens auf. Letztlich hat die eine alles entscheidende Mitte einen Namen: Die Nächstenliebe, die auf die Gottesliebe zugleich verweist und die Erkenntnis, dass der Mensch in seinem Leben auf ein unendliches Geheimnis (Gott genannt) bezogen ist und sich von diesem unendlichen Geheimnis getragen wissen kann.
10.
Karl Rahner wusste das er sich das Leben und Arbeite als katholischer Theologe nicht leicht macht mit seinen tatsächlich neuen Erkenntnissen. Er weist sozusagen prophylaktisch im Blick auf das strafende Lehramt in Rom auf die für ihn zentrale, aber trotz Neuinterpretation orthodoxe Gnadenlehre hin (14). In Fußnote 1 dort heißt es also: „Wenn man bedenkt, dass die Gnade Christi der äußeren Predigt des Evangeliums IMMER SCHON zuvorgekommen ist (nämlich als Anwesenheit der Gnade im Menschen selbst, CM), kann diese Forderung (nämlich nach einer Kurzformel) nicht des Modernismus verdächtigt werden“.
Wer die Geltung subjektiver Wahrheit, ja subjektiver Offenbarung im Glauben des einzelnen als Bedingung objektiver christlicher Wahrheit herausstellt, hat es also nicht leicht in der auf objektive Lehren fixierten Kirche. Kein Wunder also, dass Rahner sich schützen musste. Man sollte bedenken, dass Rahner seit den fünfziger Jahren immer unter der Kontrolle des “Heiligen Offiziums” in Rom stand und sogar noch 1961 vom Vatikan mit einem Schreibverbot bedroht wurde. Man möchte denken, dass die tatsächlich oft schwierige Sprache Rahners nicht auch sein Schutz ist, um seine Erkenntnis vor oberflächlichen Dogmatikern zu schützen! Tatsächlich sind manche Artikel Rahners eine gewisse sprachliche Zumutung, etwa sein wichtiger Beitrag über „Transzendentaltheologie“ ,ausgerechnet in dem eher doch wohl für breite Kreise bestimmten „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 7, Freiburg, 1973, Seite 324-329.
Trotz dieser unerfreulichen, feindlichen Situation etwa in Rom fühlte sich Rahner doch immer frei, zumal nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also in den siebziger Jahren, kirchenpolitisch öffentliche Kritik zu äußern. Es gibt viele Stellungnahmen, Interviews, Zeitungsbeiträge Rahners, die seine Ablehnung des römischen Herrschaftssystems belegen: So nannte er vatikanischen Theologen „Bonzen“, (16), im Sinne von ideologisch verblendeten Partei-Bonzen oder Partei-Genossen.
Seine Kritik an der bürokratischen, der möglicherweise den „heiligen Geist auslöschenden Kirche“, ist unvergessen, sein Zorn über die Dummheit der etablierten Kleriker ist bekannt. Seine radikalen Vorschläge für eine praktische „Ökumene jetzt“ (mit den Protestanten) fanden nicht das gewünschte Echo. Denn Rahner sagte tatsächlich: Abendmahls/Kommuniongemeinschaft unter Protestanten und Katholiken ist möglich, und zwar jetzt! Wenig Interesse zeigte sich die in ständigen Variationen doch immer gleichbleibende bürokratische Kirche an Rahners radikalen Vorschlägen, die er in seinem wichtigen Buch “Strukturwandel der Kirche als Chance und Aufgabe”, 1973, machte.
Nebenbei: Ich erinnere mich noch gern, dsss sich Rahner 1977 auf ein ihm durchaus neues Thema einließ und ein Vorwort schrieb zu dem von mir (und Hans Zwiefelhofer) herausgegebenen Buch „Befreiende Theologie“, (Kohlhammer Verlag), also über die Theologie der Befreiung in Lateinamerika.
11.
Warum also Rahner als modernen Theologen lesen und seinen Impulsen folgen? Das wird eingestanden: Nicht alles von ihm Veröffentlichte hat heute (2023) Relevanz für viele, etwa seine Äußerungen zum Zölibat oder zu Details der Dogmengeschichte.
In zentralen Aufsätzen hingegen hat Rahner die unaufgebbare Bedeutung und das grundlegende Recht des Glaubens des einzelnen, des Subjekts, des Menschen, im Ganzen des Glaubens verteidigt und begründet! Rahners Denken in seinen zentralen und aktuellen Veröffentlichungen befreien, weil sie auch überkonfessionell, ökumenisch, das Wesen des christlichen, also auch katholischen Glaubens zeigen, und dieses Wesen des Glaubens ist inhaltlich einfach und universal: Die Nächstenliebe und das Erspüren, dass menschliches Leben mit einem unendlichen Geheimnis zu tun hat. Mehr braucht der Mensch eigentlich nicht. Dieses von Rahner mehrfach herausgestellte Zentrum des christlichen Glaubens erinnert an Kant, an seine Religionsschrift. Aber das ist keine Kritik in meiner Sicht. Das ist gut so. So wird deutlich, dass Rahner auf die Herausforderung der modernen Philosophie, des modernen Denkens, antworten wollte. Und auf die Spuren Hegels in Rahners Denken wäre eigens hinzuweisen, also auf die Erkenntnis, dass der subjektive Geist auch die Formen des objektiven Geistes und damit auch des absoluten Geistes (Religion) prägt und in der lebendigen Geschichte zur Darstellung bringt. Und auf die Inspirationen, die Rahner von Heideggers Existenzanalysen in „Sein und Zeit“ empfangen hat, wurde schon mehrfach hingewiesen. Hier soll nur noch einmal betont werden: Rahner hat sich auf seine Art, angstvoll manchmal, den Herausforderungen der Moderne gestellt.
Zum Schluss ein Wort Rahners: „Das Christentum ist die „universale Botschaft, die nichts verbietet als die Selbstverschließung des Menschen in seine Endlichkeit. Das Christentum ist die universale Botschaft, die nichts verbietet, als dass der Mensch nicht glaubt, dass er mit der radikalen Unendlichkeit des absoluten Gottes begabt ist”. (16).
——————————— Belege der Zitate:
(1) Rahner als liberaler und modernistischer Theologe: Beleg beim englischen Theologen Philip Endean SJ in „Stimmen der Zeit, Spezial 1, 20004, Karl Rahner“. Karl Rahner als liberaler Theologe dort S. 67, 68, 69. Karl Rahner als Modernist S. 67: „Karl Rahners Vorhaben war im Grunde genommen dasselbe wie das ihre (der Modernisten)“ , S 67.
(2) Zum Modernismus, eine kurze Einführung: Prof.Peter Neuner, „Erfahrung und Geschichte. Die bleibende Herausforderung des Modernismus“, Orientierung Zürich, 1979, S. 2-6. Dieser Text kann noch im Archiv der Orientierung nachgelesen werden.
(3) Der viele Jahrzehnte gültige Antimodernisten-Eid, den alle Priester ablegen mussten, wurde 1967 von Papst Paul VI. abgeschafft, siehe den Beitrag „Antimodernisteneid“ in wikipedia.
Eine moderatere Form des Antimodernisteneids wurde aber von Kardinal Ratzinger bzw. Papst Johannes Paul II. 1998 wieder eingeführt: „Als dann in den streckenweise chaotischen Jahrzehnten nach dem Konzil anstelle des Modernismus ein Relativismus, also eine gewisse Beliebigkeit in Glauben, Liturgie und Lehre Einzug hielt, versuchte wieder ein Papst, mit einem Eid gegenzusteuern. Johannes Paul II. (1978-2005) führte 1998 einen vom damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger formulierten Treueid verbindlich ein.Er enthält im Wesentlichen eine feierliche Wiederholung des “normalen” Glaubensbekenntnisses aller Gläubigen, darüber hinaus aber auch Formeln wie diese: “Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt.” Auch gegen diesen Eid gab es zunächst Proteste und Polemik. Eine tiefgreifende Krise wie der Antimodernisteneid vor 100 Jahren löste die neue, deutlich gemäßigtere Formel indes nicht aus.“ (Quelle: DOM RADIO, Beitrag von Ludwig Ring-Eifel 31.8.2010.)
(4). Lexikonbeitrag „Modernismus“ in „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 5 (1973), Seite 100.
(5). Aufsatz „Einheit von Gottes- und Nächstenliebe“ In: „Karl Rahner Lesebuch“, Freiburg 2014 hg. Albert Raffelt, S. 408 ff.
(6). Christ ist Mystiker… Siehe: Karl Rahner: „Frömmigkeit früher und heute“, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. VII, Einsiedeln u.a. 1966, 22f.
(7) Koenraad Geldof, in: “Michel de Certeau”, hg. von Marian Füssel, Konstanz 2007, Seite 140.
(8) Karl Rahner, , siehe Fußnote 5, S. 257.
(9) ebd. S. 258 ff.
(10) ebd. S. 261
(11), Karl Rahner, „Ich glaube an Jesus Christus“, Benziger Verlag, 1968, S. 29.
(12) : in „Gegenwart des Christentums“, Freiburg 1963, S. 51, dort der Aufsatz „Über die Möglichkeit des Glaubens heute“, 1960 geschrieben
(13), veröffentlicht in Band VIII der „Schriften zur Theologie“, Seite 153 ff.
(14). ebd. auf Seite 153 in Band VIII.
(15) In“ Gegenwart des Christentums“, S. 51.
(16) Die Kleriker, die in ihrer rigiden Haltung Rahner viel Leid, viele Probleme, zufügten nannte Karl Rahner schon 1962 „gräßliche Bonzen“, Leute, die sich eines Spitzel – und Zuträgersystems bedienten. In: Herbert Vorgrimler, „Karl Rahner verstehen“, Topos Taschenbücher 2002, S. 117.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Was bedeutet „unerhört“? „Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet, beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.
1.
Hat Philosophie zum Fasten und zur „Fastenzeit“ etwas Konstruktives, Weiterführendes, Kritisches beizutragen?
Wenn man Philosophien als Interpretationen des geistvollen Lebens versteht: Dann ist das gar keine Frage. Nur: Diese Frage wurde bisher kaum gestellt, kaum gehört, bleibt unerhört.
2.
Schon im Blick auf die neuzeitliche Geschichte des Philosophierens zeigt sich: Mit dem Fasten haben sich Philosophen, etwa Kant und Nietzsche, immerhin, mit knappen Aussagen, beschäftigt. Sie haben dabei Fasten im engeren Sinne, der kirchlichen Tradition folgend, als Verzicht auf üppige (fleischliche) Nahrung verstanden. Nietzsche wetterte in seiner „Genealogie der Moral“ (1887) gegen das Fasten als eine Form des „Pharisäismus“, und er kritisierte die Bereitschaft der Fastenden, sich selbst Leiden und Schmerzen (durch Hungern) anzutun. Und Kant sah im katholisch geprägten Fasten nichts als eine „Mönchs-Asketik“, die „mit abergläubischer Furcht vor Gott verbunden ist“ (so in der „Metaphysik der Sitten“, 1797).
Kant nennt eher beiläufig das entscheidende aktuelle Stichwort, auf das wir uns – nach einleitenden Überlegungen – konzentrieren: Kant sprach von „Askese“, d.h. von „geistiger und körperlicher Übung“, im Lateinischen „Exercitium“ genannt, dies sind die zentralen Leitbegriffe griechischer und römischer Philosophen der Antike in ihrer Suche nach „Lebenskunst“.
3.
Heute gilt Fasten jenseits religiöser, spiritueller und philosophischer Traditionen als ein gesundheitlicher, auch medizinischer Wert. Fastenzeit im „säkularen Sinn“ ist dann nicht mehr als eine besondere (finanziell oft teure) Phase in der üblichen Pflege des eigenen Wohlbefindens, der eigenen guten Figur.
4.
Gelegentliches Fasten (in „Fastenzeiten“ oder Fastenkuren gegen das Übergewicht etc.) hat in der reichen Welt sozusagen dialektisch viel mit andauerndem „Fasten“ als dem ständigen Hungern (oft auch Verhungern) von Millionen Menschen im armen Süden dieser Welt zu tun. Sie müssen „fasten“ aufgrund des ungerechten Weltwirtschaftssystems. Wenn das so ist, dann hat das von unserer Ökonomie erzwungene Dauer-Fasten der Armen viel mit „Fasten“ der (häufig übergewichtigen) Reichen in den „Wachstumsgesellschaften“ zu tun. Beide Arten zu fasten sind zwei Gesichter der herrschenden neoliberalen „(Un)-Ordnung“ und ihres Dogmas des „ständigen Wachstums“.
Ein historischer Hinweis: Im Mittelalter fasteten die ohnehin stets gut versorgten Mönche und Nonnen, sie verzichteten auf Fleisch, aßen viel Fisch und tranken starkes Bier. Sie blieben also gut versorgt und … beleibt. Die arme Bevölkerung, die Frommen, die für das Kloster arbeiteten, fasteten das ganze Jahr über…
Aber es gibt heute bei vielen Menschen im „reichen Norden“ doch ein Unbehagen an dieser Situation der ungerechten Verteilung der Güter. Sie entdecken darum ihr Fasten auch als geistigen Prozess, als Suche nach dem eigenen, dem wahren Leben inmitten eines falschen, d.h. ungerechten Lebens.
5.
Und damit sind wir beim philosophischen Thema: Gibt es ein besonderes Fasten, das als kritisches Nachdenken gestaltet wird? Das also ein „Denk-Fasten“ ist, natürlich nicht als Verzicht aufs Denken, sondern gerade als neue Einübung des eigenen Denkens. Ein Fasten also, das als kritische Selbstbesinnung geschieht. Ein Fasten, in dem das Gewissen geprüft wird, und Nachdenkliche über das richtige Leben sprechen.
6.
Was heißt das? Wer in dieser Weise philosophisch fastet, versucht konkret, seine Gedanken, seine Werte, seine Ideologien, seine Urteile und Vorurteile selbstkritisch zu betrachten, Abstand von den eigenen Denk-Üblichkeiten zu nehmen, in Distanz zu sich selbst zu treten. Das eigene kritische Denken soll in der Lage versetzt werden, die eingefahrenen Denk-Üblichkeiten bzw. Denkzwänge zu erkennen … und zu korrigieren und zu überwinden.
Voraussetzung dafür ist, dass das Leiden an den bisherigen eigenen Denk-Gewohnheiten und das sind Lebens-Gewohnheiten, so groß ist, dass dass Verlangen nach einem authentischen humanen Leben nicht mehr unterdrückt werden kann. Das falsche Leben zeigt sich als solches etwa bei kritischer Achtsamkeit auf tiefsitzende „Sprüche“, wie: „Es hat ja alles kein Sinn“, „Es gibt sowieso keine Wahrheit“, „Alles ist relativ“, „Die Politiker lügen nur“, „DIE XY …Leute sind alle blöd“, „ich bin zu alt, um das noch zu machen“, „ich kann die Welt doch nicht verbessern“ usw.
7.
Wer philosophisch fastet, will also nicht länger hinnehmen, in seinem Geist von vielen sich widersprechenden Ideen, eigentlich leeren Sprüchen, Slogans, Dogmen, bestimmt zu sein. Philosophisch fasten bedeutet sozusagen ein Aufräumen im eigenen Geist, Befreiung von Schrott-Gedanken, philosophisch fasten bedeutet den Versuch, Wichtiges von Unwichtigem, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und dann auch zu trennen. Dabei entsteht die Frage: Was sind denn die Kriterien, um meinen Gedankenschrott als solchen zu erkennen, um danach zu einem befreiten, humaneren, gerechteren, ökologisch hilfreichen Lebens kommen? Können als Kriterien nur „meine“ subjektiven, nur mir guttuenden Werte gelten? Ich bin immer eil der einen Menschheit, also an allgemeine, für mich und für alle anderen geltenden Menschenrechte und Menschenpflichten gebunden. Da sind die Kriterien zu suchen.
8.
Philosophisch fasten ist ein Projekt für mein ganzes Leben, ein Projekt, das nie an ein Ende kommt. Philosophie, wörtlich übersetzt, ist Liebe zur Weisheit, und Liebe gelangt nie an ein Ende. „Die Liebe hört niemals auf“, heißt es im Weisheitsbuch „Die Bibel“, diese Erkenntnis gilt auch für die Liebe zur Weisheit, zur Philosophie. Und Liebe ist nie vollendet. Menschliches Leben, das allen Werten oder gar Idealen entsprechend irgendwann einmal perfekt und makellos dastehen will, lässt sich nicht verwirklichen. Dieser Wunsch hätte etwas Zwanghaftes.
9.
Nicht nur der innere, der Dialog mit sich selbst, auch der Dialog mit anderen gehört zum philosophischen Fasten. Man könnte auch an „philosophische Gemeinschaften“ oder „Gemeinden“ denken, die nicht Diskutierclubs der Rechthabenden sein sollten, sondern Gruppen, in denen die TeilnehmerInnen miteinander geduldig den Weg der Befreiung von belastenden Denk-Zwängen, Ideologien etc. zu gehen bereit sind. Philosophen hatten in der griechischen Antike meist ihre eigenen Schulen, d.h. Orte, Häuser, gemeinsamen Lebens. Auch die Kirche verstand sich im 2. Jahrhundert als eine „Philosophie“, als eine unter vielen philosophischen Schulen. Die Kirche hat später, zur Staatskirche geworden, die anderen philosophischen Schulen verdrängt und die so eingeschränkte Philosophie zur „Dienerin der Theologie“ degradiert. Es wäre an der Zeit, Philosophie wieder als „Schule des Lebens“ zu entdecken und zu verwirklichen. Zum Thema “Kirche als ohilosophische Schule”: LINK
10.
Die philosophische Fastenzeit kennt keine zeitliche Begrenzung etwa auf 40 Tage, wie in den Kirchen. Philosophische Fastenzeit ist immer möglich und nötig. Auch wenn sie, wie oben beschrieben, eine Zeit des Verzichts ist, des Loslassens, des Nein zu bisherigen Üblichkeiten ist: So ist Gelassenheit, ist Zuversicht, als Stimmung entscheidend. Man soll jedenfalls nicht „sauer aussehen“, wie der fastende Weisheitslehrer Jesus von Nazareth seine Jünger belehrte. Man muss diese Worte Jesu nur aktuell übersetzen. „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinschauen wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten“, sagte Jesus (Matth. 6, 16 „nach der Luther-Übersetzung“). Jesus, der Weisheitslehrer, empfiehlt hingegen: „Salbe (beim Fasten) dein Haupt und wasche dein Gesicht“ (Vers 17). Also das heißt: „Mach dich schön, für dich und andere, freu dich deines Lebens gerade im (leiblichen) Fasten und natürlich auch beim philosophischen Fasten. In diesen Kriegs-Zeiten ist diese Aufforderung wahrlich eine Provokation…
11.
Das philosophische Fasten sollte von einer zuversichtlichen, fröhlichen Stimmung beherrscht sein. Bestimmt von der Freude darüber, dass ich, dass wir, unseren geistigen Schrott selber ausmisten können, wegwerfen können all diese dummen Ideologien und Verschwörungstheorien, alle diese Sprüche der Boulevardpresse, die nur gezielt verblöden wollen, um uns unmündig zu halten. Alle diese katholischen Dogmenberge gilt es zu beseitigen und den autoritären Wahrheits-Wahn, in tausend Büchern über das Kirchenrecht mitgeteilt von klerikalen Wächtern und oft pädo-sexuellen Tätern…
Es gilt also, die von der Vernunft gesteuerten Entrümpelungen, Befreiungen des eigenen Geistes als Fest zu feiern, froh darüber, dass wir mit unserem kritischen Geist in der Lage sind, uns selbst vom Übel, d.h. vom Gedankenschrott, zu befreien und unser kurzes Leben sinnvoller zu gestalten
12.
Der Weisheitslehrer Jesus von Nazareth hat sich selbst, als er (klassisch, also hungernd) fastete, zurückgezogen in die Wüste. Auch ein interessantes Bild, das die Bibel mitteilt.
Übersetzen wir diesen seinen zeitlich begrenzten Ausstieg aus der Welt des Alltags ins philosophische Fasten: Wer wieder selbstkritisch denken will: Der oder die ziehe sich regelmäßig zurück aus dem Trubel des Alltäglichen, lerne in der Stille und Einsamkeit wieder selber zu denken, habe den Mut seine eigenen Gedanken ernst zu nehmen. Und das kann man und muss man üben …in der eigenen „Kammer”, die jeder für sich – wenigstens als geistiges Refugium – errichten sollte.
13.
Es muss zum Schluss – leider viel zu kurz – noch einmal auf griechische und römische Philosophen hingewiesen werden. Ihnen verdanken wir die bis heute gültigen Begriffe Askese (Übung, Verzicht, auch als Fasten) und Exerzitien (geistliche, geistige Übungen, oft in eins mit leiblichem Fasten).
Die Wieder-Entdeckung dieser ständigen Dimension griechischer und römischer Philosophie der Antike und Spätantike, vor allem der Stoa, des Platonismus und Epikurs, verdanken wir dem großen französischen Philosophen Pierre Hadot. Andere, wie Michel Foucault haben von ihm enorm profitiert. Foucault etwa in seinen Studien über die „Sorge um sich selbst“ oder auch der deutsche philosophische Schriftsteller Wilhelm Schmid mit seinen zahlreichen Publikationen zur Lebenskunst.
14.
Welche Impulse können wir von Pierre Hadot mitnehmen auf der Suche nach den Möglichkeiten philosophischen Fastens? Leider sind nur wenige Werke Hadots ins Deutsche übersetzt, halten wir uns an sein Buch „Philosophie als Lebenskunst“ (Fischer Taschenbuch Verlag, 2002, für viel Geld ist dieses wichtige Buch noch antiquarisch zu haben, eine Schande, dass es keine Neuauflage des Verlages gibt).Zu Hadot: LINK
Hadot legt wert darauf, dass philosophisches Fasten als Askese nur möglich ist, mit einer geistigen, einer spirituellen (aber nicht religiösen, nicht konfessionellen) Praxis. Askese ist eine „Arbeit des Ichs“ (S. 180), die ihre alltägliche Übung in der „Gewissenserforschung“ findet, eine Übung, die von Philosophen empfohlen wurde, gerade als Befreiung, wie wir sagten, von Schott der uns eingebläuten ideologischen Sprüche etc.
Zur philosophischen Übung im philosophischen Fasten gehört für Hadot auch die Vertiefung in zentrale philosophische Erkenntnisse und Weisheiten, also die Lektüre, des Bedenken der Texte, lernbereit, aber auch kritisch.
Noch wertvoller ist das Buch Hadots „La Philosophie comme manière de vivre“, (Albin Michel, Paris, 2001, auch als „Livre de poche“). „Die Philosophie als Art zu leben“, liegt leider nur in französischer Sprache vor. Darin zeigt Hadot ausführlich, dass der auch in katholischen Kirchenkreisen bekannte Begriff der „geistlichen Exerzitien“ (ein Begriff, der durch Ignatius von Loyola katholische Bedeutung bekam) seinen Ursprung hat in der antiken Philosophie. Pierre Hadot verweist auf entsprechende Studien von Paul Rabbow, der zeigt. „Das Wort Exerzitien war nicht religiös geprägt, es hat einen philosophischen Ursprung.“ (S. 152).
15.
Philosophie könnte durch die Praxis „philosophischen Fastens“ wieder für weite Kreise relevant werden. Philosophie wird dann aus den Seminaren der Universitäten befreit, sie ist kein Sonderthema für Spezialisten, sondern wird Ausdruck der Suche der Menschen nach einem guten (d.h immer auch gerechten) Leben.
16.
Wir leben in Kriegszeiten. Sehr viele Menschen in den meisten Ländern sind auf unterschiedliche Art betroffen von dem durchaus „total“ zu nennenden Angriffskrieg des Diktators Putin gegen die Ukraine. Total ist dieser Krieg, weil er die die meisten humanen Grundlagen von Sicherheit, Ökonomie, Ernährung, Solidarität usw. weltweit verwirrt, stört und zerstört. Weil dieser Krieg Putin mit einer kalten, verbrecherischen Selbstverständlichkeit viele tausend Tote in der Ukraine wie auch in Russland in Kauf nimmt. Das heißt ja nicht, dass Putin der einzige Politiker im 20./21. Jahrhundert ist, den man als Verbrecher bezeichnen muss.
17.
Bundeskanzler Scholz hat gleich nach Kriegsbeginn diese Erfahrung einer neuen Situation in Zeiten des totalen Krieges auf den Begriff gebracht: Es ist die „Zeitenwende“.
Ein Wort, das dazu auffordert, philosophisch etwas ausführlicher bedacht zu werden. „Zeiten-Wende“ meint: Umbruch der Lebensverhältnisse, Umbruch der Strukturen dieser Welt und der Gesellschaften, Wende der Zeiten als Epochenwende. Das will sagen: Nichts bleibt so, wie es einmal war. Die bisherigen Koordinaten wurden verändert. Die in der westlichen Welt vertraute Zeit, also unsere Epoche, hat sich „gewendet“ und wurde nach der Wende beendet.
18.
Aber es ist nicht nur eine philosophische Liebe zu Nuancen, wenn man genauer fragt: Was heißt denn „wenden“: Wenden bedeutet auch: Ich wende eine Seite eines Buches, nach vorn oder nach hinten. Wenden heißt auch Umdrehen, Herumdrehen, Weiterdrehen. „Tourner“ heißt das vieles Bedeutende französische Verb.
Aber auch das Rückwärts-Gewandte (Gewendete) ist mit „Wende“ immer mit-gemeint: Ich wende mich um, blicke in die Vergangenheit, ich stehe aber in der Gegenwart im Blick auf die erinnerte, ferne Vergangenheit. Mit ihr muss ich mich auseinandersetzen, und fragen, was ist alles falsch gelaufen, dass es zu dieser globalen Wende kommen konnte? Die „aktuelle Bewältigung“ der Wende darf den kritischen Blick auf die Fehler der Vergangenheit nicht blockieren…
19.
In Deutschland hat sich das Wort „Wende“ seit dem Ende der DDR 1989 sozusagen „eingebürgert“. Bekanntlich wurde der Beitritt der DDR und der DDR Bürger zur BRD als Wende bezeichnet. Die DDR „wendete“ sich, d.h. sie wandte sich der BRD zu, auch auf Druck der BRD. Die DDR wurde in dieser Wendung Teil der BRD, was manche DDR Bürger als Übernahme, wenn nicht „Einverleibung der BRD durch die DDR“ erlebten und deuteten.
Manche hätten lieber von Umbruch gesprochen, einige sogar von Revolution als der Vertreibung der DDR- Herrscher durch das Volk. Aber letztlich meinen viele doch, wenn sie von der Wende 1989 sprechen, ein positives Ereignis. Die DDR Diktatur wünscht sich fast niemand zurück.
Hat das Wort Wende in der „Zeitenwende“ von Kanzler Scholz eine positive Bedeutung? Wahrscheinlich nicht. Europa und die wenigen verbliebenen Demokratien stehen einem Block von autoritären Regimen gegenüber. Und die Religionen? Sind sie in dieser Epochenwende hilfreich? Sie zeigen ihre ganz spirituelle Schwäche, sie sind nicht in der Lage, sich religiös nennende Menschen wirklich zu einem humanen und vernünftigen Verhalten anzustiften. Die katholische Kirche ist nur mit Eigenem, Strukturellen, Kirchenrechtlichen befasst. Katastrophal ist die Situation der russisch-orthodoxen Kirche. Sie wird von dem
Kriegstreiber und Putin Freund Patriarch Kyrill von Moskau beherrscht. Er fordert in seinem nationalistischen – religiös – reaktionären Wahn das todbringende Opfer der russischen Soldaten in diesem Krieg.Und man muss sich fragen und sollte diese Frage bald vertiefen: Was hat dieser Theologe und sich Christ nennende Patriarch Kyrill eigentlich in all den Jahren vom christlichen Glauben gelernt, als er im „Ökumenischen Weltrat oder Kirchen“ (ÖRK) in Genf ein und ausging als „angesehenes Mitglied“ dieser Vereinigung. Man möchte antworten: Gar nichts hat er in den vielen, so oft hoch gepriesenen Dialogen und Konferenzen in Genf und anderswo gelernt. Und muss dann weiterfragen: Welchen Sinn haben dann eigentlich diese theologischen Debatten auf hohem Niveau, etwa in Genf?
20.
Was bleibt als vorläufige Erkenntnis: So sehr sich auch das Wort Zeitenwende einzubürgern scheint: Dieses viel zitierte Scholz-Wort vom 27.2.2022 trifft die reale Situation der Welt jetzt (4.3.2023) nicht mehr: Man sollte eher von Umsturz der bisherigen Welt-Ordnung sprechen, von Epochen-Umbruch, von Umwälzung, Umsturz, von radikalem Einschnitt. Aber diese Worte sind nicht so griffig, nicht so gefällig und zugänglich wie „Zeiten-Wende“.
„Zeitenwende“ klingt da eher neutral und wirkt so noch etwas beruhigend. Zurecht?
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Die meisten Südafrikaner und ihre PolitikerInnen freuen sich jetzt über Putins Beistand. Nun können sich diese Leute in der Republik auch Putins russisch-orthodoxer Staatskirche in Südafrika anschließen. Die Macht Putins über ein Land muss eben total sein. Und dieser Griff des russischen Herrschers nach Afrika ist auch Teil seines Angriffskrieges gegen die Ukraine und die Demokratien des Westens.
1.
Im Zusammenhang der aktuellen Bindung der Regierung der Republik Südafrika an Putins Russland hat auch die Putin-treue und Putin-hörige Russisch-orthodoxe Kirche mit ihrem Patriarchen Kyrill I. offiziell in Johannesburg eine Diözese errichtet, gleichzeitig eine weitere russisch-orthodoxe Diözese in Kairo.
Dies hatte die „Heilige Synode“ des Moskauer Patriarchats schon am 29.12. 2021 beschlossen. Außerdem wurden mehr als 100 Priester aus acht afrikanischen Ländern, die bisher dem (griechischen) Patriarchen von Alexandria unterstanden, in die russisch-orthodoxe Kirche übernommen, auf deren „Wunsch“, wie es in Moskau heißt. (Quelle: https://www.cath.ch/newsf/le-patriarcat-de-moscou-accompagne-la-presence-russe-en-afrique/)
2.
Wegen der aktuellen politischen Ambitionen Russlands in der Republik Südafrika wird hier nur auf die Etablierung des russischen Bistums Johannesburg hingewiesen.
Bislang waren auch orthodoxe Kirchen in Afrika als Missionare tätig, wie die Katholiken, die Protestanten, die Evangelikalen, Pfingstler und so weiter. Aber diese orthodoxen Missionen wurden vor allem von der griechisch-orthodoxen (!) Kirche geleitet, vor allem in Kenia gibt es eine große orthodoxe Kirche.
Dass nun die russisch-orthodoxe Kirche die Tätigkeit der griechisch-orthodoxen Kirche offenbar in ganz Afrika zurückgedrängt, hängt auch mit inner-orthodoxen Streitereien zusammen. Denn die griechisch-Orthodoxen (unter der Leitung des Patriarchen von Alexandria) unterstützen offiziell die Ukraine und die dortige von Russland unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche. Das kann die Putin-hörige russisch-orthodoxe Kirche nicht hinnehmen. Zwei orthodoxe Kirchen kämpfen also um den Einfluß in Afrika, siegreich ist die russisch-orthodoxe. Sie wird nie mehr ihre Präsenz in Südafrika aufgeben…Jede orthodoxe Kirche, die – wie die Griechen – die Ukraine unterstützt, wird drangsaliert von dem Putin Freund, dem russischen Patriarchen. Wie Putin, ein KGB Mitglied (einst).
3.
Aber dies ist nur ein Motiv für die Etablierung einer russisch-orthodoxen Institution in Südafrika. In diesem Staat geht es auf die Dauer um die Etablierung einer südafrikanisch-russischen Partnerschaft.
Das neue Exarchat in Afrika Ist der Bischof von Jerewan in Armenien, Leonid Gorbacev.
Leonid Gorbacev ist nun derneue russisch-orthodoxe Bischof für Afrika, er ist schon dabei, in Südafrika neue, mächtige Kirchen zu bauen oder einzuweihen: Wie etwa die Pfarrei „Saint John of The Ladder“, gegründet 2022, https://www.theladderon136.com/blank-page.
Schon im Januar 2022 hatte der ökumenische „Südafrikanische Kirchenrat“ die „Russisch-orthodoxe Kirche in Südafrika“ herzlich willkommen geheißen. Die Provinz Gauteng (mit Johannesburg und Pretoria) sei wohl der beste Platz für die Russen, meinte der Generalsekretär dieses offiziellen südafrikanischen ökumenischen Dachverbandes, Bischof Malusi Mpumlwana. Er hat sich auch offen „für eine Mitgliedschaft der Russen im südafrikanischen Kirchenrat“ ausgesprochen. (Quelle: https://www.urdupoint.com/en/world/south-african-council-of-churches-recognizes-1447731.html). Und er zeigte sich angesichts der allgemeinen Sympathie Südafrikas für Putins Russland optimistisch und hilfsbereit: „Als Mitglied in unserem Kirchenrat kann die russisch-orthodoxe Kirche uns ansprechen, welche Ratschläge sie benötigt“, sagte Bischof Malusi Mpumlwana.
4.
Der neue, für Südafrika zuständige Bischof Leonid Gorbacev hat jedenfalls seit langem Verbindungen zu privaten russischen Militärgruppen – darunter die „Firma Wagner“. „Diese Wagner-Leute kämen dem Projekt des Bischofs zugute, weil er damit einflussreiche Fürsprecher und auch eine Schutzmacht habe“, sagt Natallia Vasilevich. (Quelle: https://www.evangelisch.de/inhalte/209622/16-12-2022/orthodoxe-kirchen-im-konflikt-russische-kirche-will-afrika-expandieren, 16.12.2022). Natallia Vasilievich war Leiterin des Zentrums “Ecumena” in der belarussischen Hauptstadt Minsk.
5.
Und die Konsequenz in Südafrika: Fast niemand will es sich mit einer russisch-orthodoxen Kirche anlegen, die solche Verbündete hat, sagt die Frau Vasilevitch, Spezialistin für orthodoxe Kirchen, jetzt lebt sie in Bonn als Dozentin an der Universität.
Vielleicht gilt diese Angst vor kritischen Äußerungen gegenüber der Putin-Kirche auch für Südafrikaner, die z.B. im Ökumenischen Weltrat der Kirchen (ÖRK) in Genf arbeiten. Werden die Südafrikaner in Genf eher nationalen, südafrikanischen Gefühlen folgen oder werden sie erkennen, dass die Führung der russisch-orthodoxen Kirche sich soweit von christlichen Grundsätzen entfernt hat, dass für sie kein Platz in einem „Weltrat der CHRISTLICHEN Kirchen“ sein kann.
6.
Nicht nur Putin, auch die Putin-Kirche mit ihrer „Mission“ in Afrika wird die Welt noch lange beschäftigen. Wie sagte doch der für Südafrika zuständige Bischof, jetzt mit dem Titel geehrt „Metropolit Leonid von Klin“ (alias Gorbacech), am 12.1.2022, der offiziellen Website des Moskauer Patriarchats „Russian Orthodox Church“: „Jetzt arbeiten wir an einem voll-umfänglichen Programm nicht nur für die Entwicklung der Pfarreien, sondern auch zur Sicherstellung einer vollwertigen Präsenz des Russisch-orthodoxen Kirche auf dem afrikanischen Kontinent, das schließt liturgische, erzieherische und humanitäre Komponenten ein“.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophioscher Salon Berlin