Wird Frankreich atheistisch?

Etliche Leser unserer website haben nach dem Manuskript meiner Ra­dio­sen­dung gefragt, die am Ostersonntag 2012 im Saarländischen Rundfunk gesendet wurde. Wir bieten sie hier zum Nachlesen an.

Religiösen Wandel zu dokumentieren und zu verstehen, auch den “Atheismus”, ist selbstverständlich eine Hauptaufgabe unseres Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons.

Der Beitrag zeigt, wie tiefgreifend die Veränderungen in der religiösen Landschaft Frankreichs heute sind. Er zeigt auch, wie schwierig es für die katholische Kirche dort ist, auf diese Situation kreativ zu antworten. Interessant wird für viele Leser sein, etwas näher die offene, “liberale protestantische” Gemeinde “L oratoire du Louvre” in Paris kennenzulernen.

Der vorliegende Text hat die für Radioproduktionen übliche Form weitgehend bewahrt.

Copyright: saarländischer rundfunk.

 

Kein Gott mehr in Frankreich?

Die Krise der Kirche und die Suche nach Neubeginn

Von Christian Modehn

musikal. Zuspielung, aus dem Kloster La Pierre, qui vire.

Benediktinermönche der Abtei „La Pierre qui vire“ in Burgund begrüßen in ihrer Kirche früh am morgen das Oster – Fest: O jour si plein de joie, O Tag so voller Freude. Aber zu lautstarkem Jubel fühlen sich die Mönche doch nicht ermuntert; ihre Begeisterung ist eher verhalten: Christus lebt, wie eine strahlende Sonne bricht er hervor, heißt es in dem Lied. Aber die Mönche wissen: An Jesus Christus und seine  Auferstehung glauben heute immer weniger Franzosen.

musikal. Zuspielung, bleibt noch einmal 0 10“ freistehen, dann langsam ausblenden.

Natürlich sind Frankreichs Pfarrer und Pastoren froh, dass die Gottesdienste zu Ostern etwas besser besucht werden als sonst. Dennoch liegt ein Schatten über dem Fest. Denn kürzlich wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Umfragen zur religiösen Orientierung der Franzosen veröffentlicht. Über die Ergebnisse sind viele Christen tief besorgt: Nur jeder dritte Franzose erklärt, an Gott zu glauben. So berichtet das Forschungsinstitut „Harris Interactive“. Ein weiteres Drittel betont, Atheist zu sein. Die übrigen wissen nicht so recht, wo sie religiös stehen. Sie schwanken zwischen der Bindung an Gott und dem Atheismus. Als die Forscher wissen wollten, ob der Glaube an Gott einen tragenden Sinn im Leben stiftet, antwortete nur knapp die Hälfte positiv bejahend. Die meisten finden eine glückliche Beziehung und die Liebe zwischen den Partnern oder eine gut bezahlte Arbeit viel wichtiger als den Glauben.

Einst rühmte sich Frankreich, als die „älteste Tochter der römischen Kirche“ eine ehrenvolle Sonderstellung zu haben: Nirgendwo sonst gibt es so viele Gründungen von Ordensgemeinschaften und Klöstern, nirgendwo sonst in Europa so viele Wallfahrtsorte. Wird diese älteste Tochter nun gottlos, wie es jetzt in manchen Kommentaren zu den Umfragen heißt? Gibt es einen Bruch kultureller Traditionen? Geht die christliche Ära zu Ende? Religionssoziologen warnen vor übereilten Schlüssen. Sie wissen, dass bei Umfragen oft auf Nuancen verzichtet werden muss. Und sie erinnern daran, dass es innerhalb des Glaubens wie auch beim Atheismus ein weites Feld voller unterschiedlicher Einstellungen gibt. Der tief greifende religiöse Wandel in Frankreich ist nicht zu bestreiten, aber auf ein differenziertes Verständnis kommt es an, betont der Pariser Religionssoziologe Professor Guy Michelat:

O TON, Prof. Guy Michelat

„Man glaubt, dass die Leute, die sich religionslos nennen, Atheisten seien. Das entspricht gar nicht der Realität. Denn es gibt viele Menschen, die sich religionslos nennen, aber nicht die Existenz Gottes ausschließen. Sie glauben sogar, dass es irgendetwas nach dem Tod noch geben wird. Für die älteren Leute gibt es durchaus den Glauben an ein neues Leben nach dem Tod. Und die Jüngeren sagen: Es gibt wohl etwas „danach“, aber man weiß nicht genau was. Neu ist die Idee der Reinkarnation, der Wiedergeburt. Man kann also nicht die Vorstellung ertragen, dass man wirklich einmal tot sein wird. Darum betrachte ich, wissenschaftlich gesehen, als Atheisten ausschließlich die Menschen, die die Existenz Gottes ablehnen und die meinen, dass es nach dem Tod nichts gibt!“

Die Gruppe eher „militanter Atheisten“ ist auch in Frankreich recht klein. Aber interessant ist doch: Sehr viele Menschen nennen sich ungläubig oder atheistisch, selbst wenn sie nur den traditionellen Glauben der Kirche ablehnen. Sie brauchen eine Art von Etikette, um die eigene Identität zu betonen. Der Kulturwissenschaftler Francois Barbier – Bouvet beobachtet seit Jahren diese Entwicklung. Er ist Kulturwissenschaftler und Mitarbeiter im Centre Pompidou in Paris:

 O TON. Francois Barbier – Bouvet

„Die Frage ist, ob der Atheismus zunimmt. Was zunimmt, ist die Fremdheit der Religion gegenüber. Also, nicht der Atheismus breitet sich aus. Zweitens: Leute, die früher von sich sagen, an Gott zu glauben, neigen jetzt eher zu der Antwort: Wahrscheinlich existiert er. Die alte Glaubens – Gewissheit gibt es nicht mehr. Wir haben es heute mit einer Bevorzugung des Wahrscheinlichen zu tun. Drittens ist es bemerkenswert, dass Leute, die an Gott glauben, der Kirche gegenüber feindlich eingestellt sind. Heute entwickelt sich eine Feindschaft der Kirche, nicht aber eine Feindschaft Gott gegenüber“.

Diese Entwicklung führt zu einer tiefen Beunruhigung in den Kirchen: Viele Verantwortliche sehen eine Lösung nur in der Pflege uralter Traditionen, sie wollen die Gemeinden gegen den angeblichen Ungeist der Moderne schützen und abgrenzen. Die anderen, die eher progressiven Kreise, wollen erstmal alle Details genau untersuchen: Dabei entdecken sie: Für die zunehmend feindliche Einstellung der Kirche gegenüber ist nicht nur der traditionelle Antiklerikalismus verantwortlich, der seit der Französischen Revolution unter Intellektuellen fast üblich ist. Verantwortlich für die tiefe Glaubenskrise ist auch die kirchliche Lehre, etwa in Fragen der Moral. Davon ist der Kulturwissenschaftler Francois Barbier – Bouvet überzeugt. Er ist seit vielen Jahren in der katholischen Basis  – Gemeinde engagiert, die sich in der spätgotischen Kirche Saint Merri in Paris trifft.

 O TON, Francois Barbier – Bouvet

„Heute können Menschen, die jünger als 40 sind, diejenigen Institutionen nicht mehr akzeptieren, die sich mit ihrem Privatleben befassen. Wenn die Kirche erklärt, wie man sich im Bett verhalten soll und im ganzen Feld der Sexualität, dann erscheint dies unerträglich. Man glaubt: Die Institution hat nichts über das private Leben zu befinden“.

Eine Erkenntnis, die auch von katholischen Theologen unterstützt wird. Sie verstehen die jüngsten Umfragen zum Glauben der Franzosen als eine Herausforderung, kritisch die eigene Kirche zu betrachten. Der Dominikaner Pater Jean Pierre Jossua aus Paris ist einer der prominentesten katholischen Theologen. Als Mitarbeiter der Internationalen Theologischen Zeitschrift CONCILIUM wird er weltweit geschätzt. Pater Jossua betont:

O TON, Pater Jossua

„Anstatt ein positives Zeichen zu sein, verhärtet sich die Kirche heute und wird eher zu einem negativ gefärbten Zeichen: Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter Papst Johannes XXIII. haben wir eine Zeit erlebt, wo wir glaubten, die Situation verbessert sich. Es gab innerhalb der Kirche eine positive Haltung, unterstützt von einigen Kirchenführern, die die Menschen anzog. Aber heute ist man zu moralisierenden Lehren zurückgekehrt, im Namen falscher theologischer Prinzipien, die die Menschen nicht akzeptieren. Es handelt sich dabei um moralisierende, autoritäre, klerikale Lehren, davon werden die Menschen enorm entmutigt“.

Schwindet das Vertrauen in die Kirche, dann verzichten die Menschen auf die bislang vertrauten religiösen Feiern: So ist die Zahl der Taufen in katholischen Gemeinden Frankreichs in den letzten 10 Jahren rapide gesunken, obwohl die Anzahl der Geburten insgesamt stabil blieb. Ebenso wird die sakramentale Eheschließung immer mehr abgelehnt, gegenüber 1999 hat sich ihre Anzahl jetzt fast halbiert. Und die Teilnahme an der Sonntagsmesse ist jetzt auf einem Tiefpunkt angekommen: 4 Komma 5 Prozent aller Katholiken gelten noch als praktizierende Katholiken, wobei „praktizierend“ bedeutet: Sie nehmen mindestens einmal im Monat an der Messe teil. Mit diesen Verhältnissen ist Pater Gérard Bénéteau aus Paris gut vertraut; als Pfarrer hat er sich viele Jahre um die kirchliche Jugendarbeit gekümmert. Sein Rückblick auf die letzten 20 Jahre ist ernüchternd:

O TON, Pater Beneteau

„Viele Jugendliche haben kein großes Interesse an religiösen Fragen und auch nicht an sozialen und politischen Themen. Man ist nicht mehr engagiert. Junge Leute müssen sich einfach mehr mit der eigenen Zukunft befassen. Denn was sie bringen wird, ist völlig unklar. Dazu kommt, dass die Internetnutzung auch ablenkt, man kommuniziert mit Leuten, die man eigentlich gar nicht kennt. Der Individualismus ist sehr groß, besonders bei jungen Menschen“.

Als verantwortlicher Pfarrer der Gemeinde Saint Eustache mitten in Paris hat Pater Bénéteau versucht, Alternativen zu der vorherrschenden individualistischen Lebenseinstellung aufzuzeigen. Er setzte alles daran, Gruppen zu bilden, den Dialog zu fördern. In der Kirche St. Eustache organisierte er Kunstausstellungen und Gespräche zwischen den Künstlern und den Besuchern. In einer Seitenkapelle richtete er eine Art Beratungs – Zimmer ein,  damit sich Menschen während der Woche auch spontan an einen Priester wenden können. Ein ganzes Haus in der Nachbarschaft wurde zum Treffpunkt umgestaltet. Auch für Menschen mit AIDS öffnete er die Kirche:

O TON, Pater Beneteau

„Die Pfarrgemeinde hat auf ihre Umgebung geantwortet. Die Gemeinde Saint Eustache befindet sich ja unmittelbar an der großen Station der Schnellbahn RER „Les Halles“. Dadurch hat die Gemeinde mit allen Problemen zu tun, die sich an einem Bahnhof bündeln: Da kommen Leute mit materiellen und psychischen Schwierigkeiten zusammen. Darüber hinaus befindet sich Saint Eustache in einem Viertel, wo Künstler leben, es gibt Galerien, Handwerksbetriebe, Verlage: Dann die Gemeinde mit Menschen zu tun, die von AIDS betroffen sind. Auch für sie haben wir diese Kirche geöffnet, damit sie auch  spirituell mit dem Drama dieser Krankheit umgehen können. Zu uns  kamen Menschen, um von ihrem Leiden an AIDS zu berichten; man hat gemeinsam meditiert, Musik gehört, oder gebetet. Es waren ökumenische und „multireligiöse“ Veranstaltungen“.

musikal. Zusp., Gesang aus Karmel – Kloster,

Nur dein Wort will ich kennen, nur um deine Gnade bitten: Die Verse eines modernen Liedes sollten in ihrer schlichten Sprache „eigentlich“ allgemein verständlich. Aber jüngere Menschen tun sich schon mit einfachen religiösen Begriffen schwer, hat Francois Barbier – Bouvet beobachtet. Dabei bemüht sich seine Gemeinde in der Kirche St. Merri seit Jahren um eine zeitgemäße Sprache in der Predigt und im Gebet. Junge Leute bleiben trotzdem fern:

O TON, Francois Barbier – Bouvet

„Als unsere Gemeinde gegründet wurde, waren die Teilnehmer bereits eher ältere Menschen. Und die Leute, die bei der Gründung unseres „Pastoralen Zentrums“  dreißig Jahre alt waren, sind heute 60. Heute sind die Dreißigjährigen bei uns nicht sehr zahlreich. Unsere Kirche St. Merri hat jetzt dieselben Probleme mit der  Altersstruktur wie andere Pfarrgemeinden auch. Aber die älteren Leute heute kümmern sich immer noch um die Erneuerung der Gemeinde“.

Aber wenn sich fast nur noch ältere Leute engagieren, ist das Ende einer Gemeinde absehbar. Die aktiven Kirchenmitglieder fragen sich: Verschwindet der Glaube an Gott, weil es auch die Kirche bald nicht mehr geben wird? Pascal Roland, der Bischof von Moulins in Zentralfrankreich, teilte kürzlich mit, dass nach seinen Schätzungen das kirchliche Leben in seiner Diözese in 15 Jahren nahezu verschwunden sein wird. Von 250.000 Katholiken besuchen heute noch 7.000 die Sonntagsmesse, es sind vor allem ältere Menschen um die 70.

Der Pariser Kulturwissenschaftler und engagierte Katholik Francois Barbier – Bouvet hat im Laufe der Jahre erkannt, dass gut gemeinte Experimente in den Gemeinden nicht ausreichen, um die vielen unkirchlichen oder ungläubigen Menschen wieder mit dem Glauben vertraut zu machen. Die zunehmende Distanz von der Kirche hat viel tiefere Ursachen. Denn es gibt heute einen Bruch zwischen der Welt der Kirche und der modernen Lebenserfahrung. Francois Barbier Bouvet ist überzeugt, dass auch die universal gültige Form der Messe mit ihrem ewig gleich bleibenden Ritus, nicht mehr den Erwartungen einer modernen Spiritualität entspricht:

O TON, Francois Barbier – Bouvet

„Bei den katholischen Messfeiern ist das Ritual unserer heutigen Lebensweise entgegen gesetzt. Diese Rituale bedeuten immer auch Wiederholung. Und das heißt: Alles ist vorauszusehen, eine Messe gleicht im Ritus der anderen. Die Vorstellung, alle Wochen bei derselben Feier mit denselben Leuten zusammen zu sein, ist für viele nicht mehr akzeptabel. Demgegenüber erleben wir die Entwicklung neuer religiöser Formen, sie bevorzugen bestimmte intensive Augenblicke. Man könnte sagen: Wir erleben eine Abkehr von den rituelle Wiederholungen und eine Hinwendung zu intensiven einmaligen Erfahrungen“.

Tatsächlich ist das Interesse ungebrochen groß, an besonderen religiösen Termine teilzunehmen, an katholischen Weltjugendtagen mitzumachen oder in Taizé eine Woche zu verbringen oder an Wallfahrten teilzunehmen. Menschen, die nie einen Fuß in ihre Pfarrkirche setzen, pilgern nach Lourdes, La Salette, Issoudun oder Chartres. Und aus allen französischen Klöstern ist zu hören, dass die Gästezimmer regelmäßig ausgebucht sind. Wenn sich die Formen der religiösen Bindung ändern, sollte die Kirche kreativ mit neuen Angeboten reagieren, meinen einige Theologen. Sie laden vermehrt  Menschen ein, ob gläubig oder nicht, sich in Gesprächskreisen zu treffen. Pater Jossua fördert die Auseinandersetzung mit der modernen Literatur:

O TON, Pater Jossua

„Die Literatur kann ein Ort sein, wo sich ein gewisser Glaube oder eine gewisse Form religiöser Suche ausdrücken können.  Aber Literatur kann auch außerhalb jedes Bezugs auf den Glauben ein Ort sein, wo sich Frauen und Männer aussprechen, die nach einem absoluten Ziel suchen, nach einer Transzendenz. Die Haltung kann im Einklang oder im Widerspruch stehen zur christlichen Erfahrung und ihrer Suche nach der Gott“.

Dichtung und Poesie sind gar nicht so „weltlich“ und säkular, wie oft behauptet wird. Literarische Werke können spirituelle Orientierung bieten:

O TON, Pater Jossua

„Die Poesie Hölderins oder Leopardis ist für sehr viele interessierte Menschen eine Art künstlerischer spiritueller Bewegung geworden. Für diese Menschen ersetzt die Poesie die Religion, die ihnen wie tot erscheint. Die Poesie ist für sie ein Weg zu Gott, zum Absoluten. Tatsächlich könnte man auch sagen, die Poesie hat die Funktion des Gebets angenommen. Und das Gebet hat endlich die Form von poetischer Qualität wieder gefunden“.

Für Pater Jossua ist der viel besprochene Unglaube der Franzosen vor allem ein Kommunikationsproblem: Glaubende, Skeptiker, Atheisten, sie alle können fruchtbar miteinander debattieren, wenn sie sich als gleichberechtigte Partner anerkennen:

O TON Pater Jossua

„Ich habe begriffen: Wenn ich eine richtige Haltung einnehme der Literatur gegenüber, dann heißt das: hinhören, nicht urteilen, im Dialog nicht vorherrschen. So versuche ich es im Gespräch mit ungläubigen Schriftstellern oder Universitätsprofessoren. Damit weise ich jegliche Vorherrschaft ab. Diese Haltung der Dominanz bestimmt die katholische Kirche, aber sie nützt gar nichts“.

musikal. Zusp., Reformiertes Kirchenlied

Ein Choral aus der Frühzeit der französischen Reformation: „Nicht uns gebührt die Ehre, sondern allein dir, o Gott“.

musikal. Zusp., Reformiertes Kirchenlied,

Traditionelle Choräle werden in der Protestantischen Gemeinde „L Oratoire“  du Louvre gelegentlich gesungen. Die reformierten Christen mitten in Paris wollen ihre Wurzeln nicht vergessen; aber wichtiger ist es für sie, einen modernen evangelischen Glauben zu leben. Nicht ein frommes Getto bilden, sondern die Gemeinde öffnen, heißt hier die Antwort auf den zunehmenden Unglauben.  Das wissen die Menschen in Paris und gerade deswegen besuchen sie gern diese Gemeinde, betont Pastor James Woody:

O TON, Pasteur Woody

„Ich treffe oft Franzosen, die sich Atheisten nennen. Aber wenn man mit ihnen diskutiert, dann entdeckt man: Diese Menschen sind keine Atheisten, in dem Sinne, dass sie vollständig die Existenz Gottes ablehnen. Sie lehnen nur die religiösen Formen ab, denen sie oft begegnet sind, Wenn ich dann mit diesen Menschen über den Gott spreche, den sie ablehnen, dann kann ich nur sagen: Ich selbst glaube an diesen Gott auch nicht. Also zum Beispiele an einen „allmächtigen Gott“, an einen Gott als Sieger; an einen Gott, der auch hinter allen Ereignissen der Geschichte seine Macht ausübt. Da kann ich meinen Gesprächspartnern nur sagen: An einen solchen Gott glaube ich auch nicht“.

Für Pastor Woody ist Gott eher das absolute Geheimnis, die alles gründende und tragende Wirklichkeit, die in Worten eindeutig nicht zu fassen ist.

O TON, Pasteur Woody

„Für mich zählt zuerst die Erfahrung, die die Menschen mit der Transzendenz in sich selbst machen. Wenn ich Leute treffe, die darüber diskutieren wollen, dann sage ich ihnen nicht, was sie glauben sollen. Oder welcher Gott in der Bibel vorkommt, dem man vertrauen soll. Ich interessiere mich für den inneren spirituellen Weg meiner Besucher. Mein eigenes Gottesbild dränge ich Ihnen nicht auf. Auch mein Gottesverständnis ist persönlich gefärbt“.

Eine Gemeinde der Suchenden; eine Gemeinde, die jede Indoktrination ablehnt und Raum lässt  für individuelle Frömmigkeit. Darum sind die Gottesdienste im „L Oratoire du Louvre“ auch so gut besucht:

O TON, Pasteur Woody

„Am Sonntagmorgen im Gottesdienst setzt sich die eine Hälfte der Teilnehmer aus Mitgliedern der Gemeinde zusammen. Und die andere Hälfte besteht wiederum zu gleichen Teilen aus Leuten, die den Glauben suchen und aus Leuten, die nicht glauben. So kann man also sagen: Am Sonntagmorgen ist bei uns jeder vierte Teilnehmer ein Agnostiker“.

Und diese Menschen kommen regelmäßig, sie sind in der Gemeinde  willkommen und werden als Freunde respektiert:

O TON,Pasteur Woody

„Der feste Stammkreis der Gemeinde will keine Barrieren errichten, man will den Teilnehmern am Gottesdienst keine Etiketten anheften. In unserer Gemeinde folgen wir seit mehr als einem Jahrhundert der toleranten, der so genannten „liberalen Theologie“. Deswegen glaube ich: Der Glaube des einzelnen steht über der Doktrin. Außerdem gilt: Die erste Aufgabe der Kirche ist es, die universelle Brüderlichkeit unter den Menschen zu fördern. Wir sehen die Kirche als Institution also eher relativ. Die Kirche ist immer sekundär gegenüber der Pflicht, Menschen gut aufzunehmen, die suchen und fragen“.

Angesichts des tief greifenden religiösen Wandels in Frankreich sind etliche Pfarrer und Theologen entschlossen, die Türen der Kirche weit zu öffnen. Sie soll zu einem Ort der Begegnung werden, zu einem Platz, wo jeder Mensch vorbehaltlos willkommen ist. Denn Glaubende und Nichtglaubende haben im praktischen Alltag viel mehr gemeinsame Anliegen als man ursprünglich annimmt. Sollte es nicht unter bestimmten Bedingungen auch eine praktische  Zusammenarbeit von Glaubenden und Nichtglauben geben? Etwa zugunsten der Armen und Flüchtlinge? Diakonie und Caritas laden ausdrücklich Ungläubige zur Mitarbeit in Sozialprojekten ein. Nach zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen mit Theologen will der atheistische Philosoph André Comte Sponville aus Paris ganz neu das Verhältnis von Glaubenden und Nichtglaubenden bestimmen:

O TON, Comte Sponville

„Meines Erachtens sollte man keine Grenze ziehen zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Es gibt hingegen eine Grenze zwischen den freien, offenen, toleranten Geistern auf der einen Seite, egal, ob man da an Gott glaubt oder nicht. Und auf der anderen Seite stehen die dogmatischen, die fanatischen Geister, auch dort halten sich Glaubende und Nichtglaubende auf. Gegen die Fanatiker und auch gegen die Nihilisten sollten wir kämpfen. Das sind die Leute, die an nichts glauben, die nichts respektieren, die keine Werte, keine Regeln haben, keine Prinzipien, keine Ideale. Darum will ich allen anderen ein Bündnis vorschlagen: Wir wollen zusammen die gemeinsamen Werte der Menschheit verteidigen“.

musikal. Zuspielung, Sologesang

Ein ungewöhnliches Osterlied in der Kirche von Fontenay in Burgund. Diese mittelalterlichen Klosteranlage beherbergt keine Mönche mehr, seit vielen Jahren werden hier keine Messen mehr gefeiert. Das prachtvolle romanische Gotteshaus wird als Konzerthalle genutzt. Aber die Auferstehungs – Hymne des Sängers Iegor Reznikoff wird hier von den tausend Besuchern durchaus als inspirierender Gesang geschätzt, als ein spirituelles Ereignis, das Menschen unterschiedlicher Überzeugung vereint. Christen in Frankreich beginnen zu begreifen: An vielen unterschiedlichen Orten sind religiöse Erfahrungen möglich. Vor allem: Offene, lernbereite und tolerante Gemeinden haben durchaus Zukunft. Gott ist nicht tot. Man sollte nur beginnen ihn zu suchen, wo ER sich zeigt, inspirierend und lebendig.

 

 

Der Glaube des einzelnen ist wichtiger als alle Doktrin: Liberale Protestanten in Frankreich

Der Glaube des einzelnen – wichtiger als alle Doktrin

Liberale Protestanten in Frankreich

Von Christian Modehn

Über den liberalen Protestantismus als einer modernen, vernünftigen Glaubensform, die auch vor der Kritik an der Religion Bestand hat, haben wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon aus nahe liegenden Gründen schon oft berichtet. Wir wollen diese Informationen fortsetzen und ausbauen, zumal es immer noch Missverständnisse gegenüber den liberalen Theologien gibt.

In Frankreich ist innerhalb der „Reformierten Kirche Frankreichs“ (ERF, die sich bald mit den Lutheranern vereinigen wird) durchaus eine liberal – theologische Praxis lebendig.

Als Einstieg und Beginn für weitere Studien heute einige Zitate aus einem Interview mit Pastor James Woody, Pastor in der „Paroisse de l Oratoire“ in Paris, 1. Arrondissement.

Diese Gemeinde will nicht ein frommes Getto bilden, sondern die Christen dort öffnen sich für die Begegnungen mit Menschen, die sich selbst „ungläubig“ nennen, betont Pastor James Woody:

„Ich treffe oft Franzosen, die sich Atheisten nennen. Aber wenn man mit ihnen diskutiert, dann entdeckt man: Diese Menschen sind keine Atheisten, in dem Sinne, dass sie vollständig die Existenz Gottes ablehnen. Sie lehnen nur die religiösen Formen ab, denen sie oft begegnet sind, Wenn ich dann mit diesen Menschen über den Gott spreche, den sie ablehnen, dann kann ich nur sagen: Ich selbst glaube an diesen Gott auch nicht. Also zum Beispiel an einen „allmächtigen Gott“, an einen Gott als Sieger; an einen Gott, der auch hinter allen Ereignissen der Geschichte seine Macht ausübt. Da kann ich meinen Gesprächspartnern nur sagen: An einen solchen Gott glaube ich auch nicht“.

Für Pastor Woody ist Gott eher das absolute Geheimnis, die alles gründende und tragende Wirklichkeit, die in Worten eindeutig nicht zu fassen ist.

„Für mich zählt zuerst die Erfahrung, die die Menschen mit der Transzendenz in sich selbst machen. Wenn ich Leute treffe, die darüber diskutieren wollen, dann sage ich ihnen nicht, was sie glauben sollen. Oder welcher Gott in der Bibel vorkommt, dem man vertrauen soll. Ich interessiere mich für den inneren spirituellen Weg meiner Besucher. Mein eigenes Gottesbild dränge ich Ihnen nicht auf. Auch mein Gottesverständnis ist persönlich gefärbt“.

Eine Gemeinde der Suchenden; eine Gemeinde, die jede Indoktrination ablehnt und Raum lässt  für individuelle Frömmigkeit. Darum sind die Gottesdienste im „L Oratoire du Louvre“ auch so gut besucht, meint James Woody:

„Am Sonntagmorgen im Gottesdienst setzt sich die eine Hälfte der Teilnehmer aus Mitgliedern der Gemeinde zusammen. Und die andere Hälfte besteht wiederum zu gleichen Teilen aus Leuten, die den Glauben suchen und aus Leuten, die nicht glauben. So kann man also sagen: Am Sonntagmorgen ist bei uns jeder vierte Teilnehmer ein Agnostiker“.

Und diese Menschen kommen regelmäßig, sie sind in der Gemeinde  willkommen und werden als Freunde respektiert, betont Pastor Woody:

Der feste Stammkreis der Gemeinde will keine Barrieren errichten, man will den Teilnehmern am Gottesdienst keine Etiketten anheften. In unserer Gemeinde folgen wir seit mehr als einem Jahrhundert der toleranten, der so genannten „liberalen Theologie“. Deswegen glaube ich: Der Glaube des einzelnen steht über der Doktrin. Außerdem gilt: Die erste Aufgabe der Kirche ist es, die universelle Brüderlichkeit unter den Menschen zu fördern. Wir sehen die Kirche als Institution also eher relativ. Die Kirche ist immer sekundär gegenüber der Pflicht, Menschen gut aufzunehmen, die suchen und fragen“.

Copyright: Christian Modehn, Berlin

http://oratoiredulouvre.fr

Toulouse – Perspektiven einer Kulturstadt

Toulouse – Perspektiven einer lebendigen Kulturstadt

Von Christian Modehn

Toulouse – eine Stadt, in der rassistisch motivierte Verbrechen geschahen und Kinder an der jüdischen Schule Ozar – Athora erschossen wurden,

Toulouse eine Stadt, die noch immer unter dem Schock der Verbrechen leidet, verübt von einem Mörder, der auch Militärangehörige tötete.

Toulouse, das darf nicht vergessen werden, steht eigentlich glanzvoll da, wenn man nur einige Aspekte seiner Geschichte betrachtet:

Hier hat der junge Philosoph Vladmir Jankélevitch gewirkt, er wurde vom Vichy – Regime verfolgt, lehrte seine Philosophie aber trotz allem weiter in einigen Cafés von Toulouse.

In Toulouse hat Kardinal Saliège gelebt, der als einer der wenigen französischen Bischöfe öffentlich die Nazis und das mit ihnen verbandelte Vichy – Regime kritisierte.

In Toulouse fanden die Republikaner Spaniens Zuflucht, als sie von den Franco – Truppen verfolgt wurden.

In Toulouse hat André Malraux, Schriftsteller und Widerstandskämpfer, die Befreiung erwartet.

In Toulouse hat Jean Jaurès, Sozialist und Pazifist, als Journalist gearbeitet.

In Toulouse wurde die katholische Kirchenmusik grundlegend erneuert, mit den Kompositionen der „Messe tolosane“, vor allem durch den Musiker und Komponisten André Gouzes aus dem Dominikanerorden (der Orden wurde übrigens 1215 in Toulouse gegründet).

Toulouse – die Erinnerung an eine lebendige Stadt der Kultur und der Toleranz wird alles Leiden am Schrecken der Verbrechen überdauern.

 

Wir weisen gern auf das Buch von Stéphane Baumont hin:  Le Gout de Toulouse. 2006.

Aus einer Besprechung:

Ville d’un fleuve, la Garonne, entre Atlantique et Méditerranée ; capitale de l’aéronautique comme du rugby, ville de paradoxes et de singularités entre pastel et vent d’autan, tango et bel canto ; république des Capitouls et des temps de libération, Toulouse c’est aussi et d’abord, comme le souligne Marie-Louise Roubaud, «une couleur, le rouge ocre de la brique, un accent chantant, un esprit dérangeant qui résiste». Claude Nougaro lui a donné son hymne, «Ô mon païs, ô Toulouse», entre langue d’oc et catharisme. D’autres, écrivains, poètes, troubadours, journalistes, chroniqueurs, ont su décrire le génie du lieu, terre promise de cocagne et d’esthétique architecturale. Promenade en compagnie de Gustave Flaubert, Tristan Derème, José Cabanis, Jean Jaurès, Raymond Abellio, André Fraigneau, Renaud Camus, Kléber Haedens, Stendhal, Saint-Exupéry et bien d’autres.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anpassung statt Résistance. Zur Kollaboration der katholischen Kirche in Frankreich.

Anpassung statt Résistance
Zur Kollaboration der katholischen Kirche in Frankreich.
Anlässlich des Kinofilms „Die Kinder von Paris“
Von Christian Modehn

Diesem Beitrag liegt ein Kommentar für den NDR vom 13. 2. 2011 zugrunde. Einige FreundInnen wünschten etwas ausführlichere Informationen, deswegen dieser (immer noch knappe) Text zu einem weithin unbekannten Thema….

Seit dem 10.Februar läuft in den Kinos ein bewegender, ja durchaus: ein „anrührender“ Film. Er erzählt die Geschichte jüdischer Familien, die am 16. Juli 1942, während der Nazibesetzung, in Paris verhaftet wurden. In einer Art Zwischenlager, der Halle der Radrennbahn, trieb die französische Polizei 13.000 Juden, darunter 4.000 Kinder, zusammen, bevor sie in die KZs im Osten transportiert werden.
Den Film „La Rafle“, die Razzia, haben in Frankreich bis jetzt 3 Millionen Menschen gesehen, ein riesiger Erfolg! In Deutschland wird er unter dem Titel „Die Kinder von Paris“ gezeigt.

„Ich will mit meinem Film Mitleid und Mitgefühl wecken“, betont die Regisseurin Rose Bosch, durch Emotionen könnten vor allem jüngere Menschen dazu bewegt werden, sich mit dem Grauen der Judenvernichtung gründlicher als bisher auseinanderzusetzen. Denn ganz selbstverständlich sonnen sich die meisten Franzosen noch immer in dem Glauben, ihre „Grande Nation“ habe im ganzen tapfer Widerstand geleistet gegen die Nazis und ihre Kollaborateure. Die Realität ist anders. Erst 1995 fand sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac bereit, die von den meisten Franzosen still geduldete und akzeptierte Judenverfolgung öffentlich als die “große Schande unseres Landes“ zu nennen. Der „glorreiche General de Gaulle“ wurde also in seinem Londoner Exil nicht von einer großen Volksbewegung unterstützt, die meisten Franzosen waren Mitläufer, und oft auch Mittäter.
Es ist also höchste Zeit, die viel beschworene „Résistance“, den Widerstand gegen das nazifreundliche Regime des General Pétain realistisch wahrzunehmen; auch dazu fordert der Film auf: Da kümmert sich etwa die historisch verbürgte Gestalt der Krankenschwester Annette Monod um die drangsalierten Juden in der Radrennbahn. Ausdrücklich wird sie in dem Film als Protestantin vorgestellt; ein Hinweis, dass sich die kleine Kirche der Calvinisten viel deutlicher als die Katholische Kirche den Nazis und ihren Kollaborateuren widersetzte. General de Gaulle lobte schon im Juni 1945 die Protestanten, sie hätten „die klare Vision für die Interessen der Nation bewahrt und Widerstand geleistet“.
In der katholischen Kirche gab es auch einige Mitglieder der Résistance, wie den späteren, weltberühmten Sozialpriester „Abbé Pierre“ oder den Jesuiten Pierre Chaillet, der mitten in der Résistance die (immer noch bestehende) Wochenzeitung „Témoignage Chrétien“ gündete.
Aber es ist doch bezeichnend, dass sich die Bischöfe Nordfrankreichs eine Woche nach der Verhaftung der Juden in Paris ausdrücklich weigerten, gegen die Deportationen zu protestieren. So wollten sich die Oberhirten das Regime bei Laune halten, hatte sich doch Staatschef Pétain als Förderer der katholischen Schulen gezeigt; Kreuze hingen wieder in öffentlichen Gebäude: Welch ein Erfilg! Hatte Pétain doch versprochen, den antiklerikalen, den so genannten freimaurerischen und sozialistischen Ungeist der Republik zu vertreiben. Pétain mit seiner Nazi – freundlichen Regierung in Vichy wurde katholischerseits ganz offiziell als Geschenk der Vorsehung gepriesen, „Pétain arbeitet an der Auferstehung Frankreichs“, betonte etwa der Erzbischof von Aix en Provence. Die Katholiken hatten endlich ihre eigene, ihre klerikal gefärbte Revolution, nach der Abgrund tiefen Ablehnung der „großen Revolution von 1789“ war Pétain und co. ein Lichtblick. Der Publizist Jacques Duquesne nennt in seiner Studie „Les catholiques francais sous l occupation“ zahllose ähnliche Beispiele: In der Wallfahrtskirche von Annonay wurde gar ein Bild Pétains aufgestellt; in einer katholischen Schule im Département Lot begann der Unterricht mit einem Gebet: „Unter den Augen Gottes unseres Vaters, gehorsam den Weisungen des Marschalls Pétain gehen wir Kinder Frankreichs an die Arbeit – für die Familie, das Vterland“. Der katholische Dichter Paul Claudel schrieb gar eine Ode an den Marschall, darin heißt es u.a. „Frankreich, höre diesen alten Mann, der sich mit dir befasst und der zu dir spricht wie ein Vater…“ Kardinal Baudrillart, Chef der Katholischen Universität on Paris, lobte gar die Kollaboration mit den Nazis, weil nur so der Kommunismus besiegt werden könnte. Und Monsignore Moncelle scheute sich nicht, Marschall Petain und sein Regime, in den Worten des Johannes Evangeliums „als Weg, Wahrheit und Leben“ zu rühmen.
Das autoritäre und antisemitische Regime wurde allgemein mit einem Glorienschein ausgestattet. So ist es kein Wunder, dass nach der Befreiung durch de Gaulle lange Listen unerwünschter (weil kollaborierender) Bischöfe verbreitet wurden, auch der Name des Pariser Kardinals Emmanuel Suhard stand darauf. Aber weil sich der Papst einschaltete, wurden letztlich nur neun von 20 Bischöfen ihrer Ämter enthoben. Eine wirkliche „Reinigung“ der katholischen Kirche vom antisemitischen und antirepublikanischen Ungeist hat nicht stattgefunden. Es gab nur zwei Bischöfe, die mit der Résistance zusammenarbeiteten: Erzbischof Saliège von Toulouse und Bischof Théas von Montauban, er war einer der Mitbegründer der katholischen Friedensbewegung Pax Christi.
Einige tausend französische Juden haben ihr Leben retten können; couragierte Nachbarn fanden sich bereit, sie zu verstecken. Aber dieser Widerstand der kleinen Leute, vielleicht auch der Katholiken an der Basis, widersprach der offiziellen bischöflichen Linie. Die globale Sympathie der katholischen Kirchenführung für Pétain und seine Nazi-Freunde ist um so erstaunlicher, als der viel geliebte Marschall alles andere als ein – in offizieller Sicht – vorbildlicher Katholik gelten konnte. Er war mit der von den Päpsten verbotenen „Action Francaise“ verbunden und mit deren Chefideologen Charles Maurras. Die Spezialisten für diese Fragen, die Historiker F. und R. Bédarrida, schreiben: „Die Hierarchie ging das Wagnis ein, als eines der wichtigsten Elemente im Vichy – Regime zu erscheinen. Die Katholiken sollten dem Programm der „Nationalen Revolution“ zustimmen. In der Praxis lief diese Haltung auf eine gleichsam unbedingte Unterwerfung der Kirche unter die Macht Pétains hinaus“.

Bis heute sind in dem weiten Sympathisantenumfeld der so genannten Piusbrüder die Freunde Pétains und seiner Nazi – Kollaborateure zu finden. Diese Kreise sollen, so will es ausdrücklich Papst Benedikt XVI. mit der römischen Kirche wieder voll versöhnt und integriert werden. Einen der deutlichsten Sympathisanten dieser Kreise, den einstigen Pius Bruder Abbé Laguerie, hat Benedikt XVI. wieder in die offizielle römische Kirche aufgenommen und ihn einen eigenen Orden, die Brüder vom Guten Hirten ( L institut du Bon Pasteur) in Bordeaux gründen lassen. Der Papst ist glücklich: Diese „guten Hirten“ stellen jetzt viele junge Priester, das ist ja für den Papst bekanntlich am aller wichtigsten…(Hübsche Bilder dieser Herren findet man im Internet).

Zahlreiche Informationen zu diesem Text beziehen sich auf mein Buch „Religion in Frankreich“, Gütersloher Verlagshaus, 1993. Das Buch kann noch antiquarisch bezogen werden.

Laien leiten katholische Gemeinden in POITIERS, Frankreich.

Gegen den Trend

Im französischen Bistum Poitiers leiten Laien die Gemeinden. Hier ist der Weg von unten die Antwort auf die Kirchenkrise

Von Christian Modehn.

Dieser Beitrag wurde im Jahr 2009 publiziert. Inzwischen gab es einen Wechsel in der Leitung des Erzbistums Poitiers, nach der altersbedingten Pensionierung des sehr verdienten und mutigen Erzbischofs Albert Rouet. Er hat das Programm “Laien leiten Gemeinden” und “Laien leiten Sonntagsgottesdienste mit Kommunionempfang (!)”  entworfen und immer unterstützt. Manche sahen in dem (unten beschriebenen Projekt) eine Chance, auch kleine Gemeinden, auf dem Land zumal, lebendig zu erhalten und mit dem üblichen (und bei dem zunehmenden Mangel an Priestern für die Gemeinden zerstörerischen) dominanten Klerus-Modell endlich Schluss zu machen. Der neue Erzbischof ist seit 2012 Pascal Wintzer. Er baut dieses stark auf die verantwortliche Mitwirkung der Laien setzende Modell langsam ab und kehrt zur römisch willkommenen Klerus-Vorherrschaft in den Gemeinden wieder zurück. In der vorzüglichen Studie “Trombinoscope des Eveques 2016-2017 (Edition Golias, Villeurbanne, Nov. 2016) wird jeder (!) französische Bischof, wie es sich journalistisch gehört, krititisch, also nicht kirchenabhängig, gewürdigt. Auf den Seiten 316 bis 320 wird über Erzbischof Pascal Wintzer, Poitiers, berichtet; der Beitrag über ihn hat den bezeichnenden Titel “Fossoyeur”, also Totengräber … für diese neuen Gemeindeformen. In diesen Tagen tritt eine Synode in Poitiers zusammen, dort treffen sich die Katholiken, die dem Erzbischof treu ergeben sind (“identitaires”, wie die “Trombinoscope” S. 320 berichtet. Sie sollen die Laien ablösen, die noch für das Laien-Gemeinde-Modell eintreten, schreiben die Autoren der “Trombinoscope” (= “Jahrbuch”)…Wir empfehlen allen Interessierten dieses in unserer Sicht einmalige Buch über den realen Zustand der französischen Hierarchie. Und bitten alle, die enthusiastisch einst die unten notierten Zeilen gelesen haben, und das sind auch in Deutschland viele, mit ihrer (üblichen) Frustration fertig zu werden. Im Reformationsgedenken 2017 gilt das Motto: Der Klerus beherrscht die römische Kirche … nach wie vor. Insofern bleibt Luther aktuell…

Ergänzung im November 2016: Die Gemeinden in Frankreich sterben aus, weil der Klerus ausstirbt. So einfach ist das. Und so schlimm, wenn man an den Tod der Kommunikation dadurch in den Dörfern und den möglichen Verlust an Spiritualität denkt. Über jüngste (2016) Entwicklungen, zum Thema, im Bistum Tulle (Corrèze) klicken Sie hier.

Der publizierte Text von 2009:

Die Vergangenheit wirkt so beruhigend, weil sie tot ist.« Albert Rouet, Erzbischof von Poitiers im Westen Frankreichs, liebt klare Worte, wenn er von der »Pfarrgemeinde« als Organisationsform kirchlichen Lebens spricht: Sie ist für ihn überholt. »Bei der Pfarrei ging es seit Jahrhunderten um Macht: Die Priester bestimmten alles. Jetzt sind sie noch mehr überlastet. Ständig müssen sie Messen feiern. Eine grundlegende Erneuerung ist so nicht möglich.« Weiterlesen ⇘

Vor 20 Jahren haben sich die Traditionalisten von Rom getrennt

Vor 20 Jahren haben sich die Traditionalisten von Rom getrennt

Von Christian Modehn
1.SPR.: Erzähler
2.SPR.:Übertsetzer der O TÖNE
7 O TÖNE, incl. Einer musikal Zusp.

Moderationshinweis:
Die römisch-katholische Kirche ist seit 20 Jahren gespalten. Das höchste Ideal Weiterlesen ⇘