Russischer Widerstand gegen Putins Chefideologen, den Patriarchen Kyrill I.

Immer mehr Gläubige trennen sich von der Russisch-Orthodoxen Kirche und ihrem Patriarchen Kyrill I.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 30.1.2024.

Ergänzung am 28.5.2025: Russisch-orthodoxe Geistliche und Laien veröffentlichten acht Thesen gegen den Angriffs-Krieg Russlands in der Ukraine. Die rund dreißig Verfasser wollen anonym bleiben, weil sie noch in Russland leben und Sanktionen oder Verfolgung befürchten. Der wichtige Text einer kleinen Gruppe russisch -orthodoxer Priester vor allem, die in Russland leben, wurde am 7. Januar 2025 veröffentlicht. Die Zeitschrift “Stimmen der Zeit” veröffentlicht diesen Text in ihrer Ausgabe vom Juni 2025 für alle Leser gratis! Siehe den ganzen Text unten FUßNOTE 1. 

1. Der Widerstand gegen den Putin – Patriarchen KyrillI. im Jahr 2024! 
Patriarch Kyrill I. von Moskau ist einer der heftigsten Unterstützer des Krieges Putins gegen die Ukraine. Das wurde auch auf dieser website seit Monaten dokumentiert. LINK. Und gegen Kyrill I. gibt es nun Widerstand auch im Klerus und eine zunehmende Distanz der Gläubigen von dieser Russisch-Orthodoxen Kirche. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung. Dass dadurch auch Putins Allmacht etwas schwächer wird.

Zur Erinnerung:

“Der Bund Russlands mit der Ukraine ist gottgewollt”, so Putin in der DUMA 2012.  2013 sagt Putin in Kiew: “Gott will eine Vereinigung der Ukraine mit Russland. Kein Politiker kann sich dem Willen Gottes widersetzen”.   “Somit sah sich Putin als Schwert Gottes, Putin, dieser Mystiker, mit einem Finger auf dem Atomknopf , die anderen Finger fromm gefaltet”, so Peter Lachmann, in “Lettre International”, Herbst 2022, S. 126.

Putin wird unterstützt vom Moskauer Patriarchat, “für das auch die Grausamkeiten des Zaren niemals ein Ärgernis darstellten, weil die Zaren-Herrschaft von Gott komme, so wie die des neuen Para- Zaren Putin. Für Patriarch Kyrill hat der Krieg um das Heilige Russland metaphysische Bedeutung, die Rückeroberung der Ukraine sei eine Sache der ewigen Erlösung. Das ist das theologische Erbe von Byzanz, als dessen Erbe und Fortsetzung  die russisch-orthodoxe Kirche sich sieht”, so Peter Lachmann, ebd. (Peter Lachmann ist ein deutsch-polnischer Dichter, Essayist, Theaterregisseur und Übersetzer.)

Peter Lachmann weist in dem Beitrag auch darauf hin, dass Psychologen Putin als “notorischen Lügner” erleben. und deuten. Notorische Lügner seien “den eigenen Lügen gewissermaßen ausgesetzte Subjekte, deren Hirn anders funktioniere…Das emotionale Vakuum sei bei Putin vollkommen, das Dauerlügen werde zum Zwang” (a.a.O., S. 127).

2.
Patriarch Kyrill I. hat bekanntlich den christlichen Glauben zu einer Putin-Ideologie verfälscht. „In einem Interview mit der Exilzeitung Verstka sagte ein Priester, der seinen Namen nicht preisgeben wollte, dass seit Beginn des Krieges Kirche und Staat in ihren Ansichten fast identisch geworden sind und die Diözesanversammlungen sich in parteipolitische Veranstaltungen verwandelt haben. Laut dem Erzpriester des Erzbistums der orthodoxen russischen Gemeinden in Westeuropa, Dimitry Sobolevskiy, ist die Kirche für die meisten Russen inzwischen nur ein weiterer Teil des Staatsapparats“ (Quelle: „Demokratie und Gesellschaft“, (FES), 22.1.2024, Beitrag von Daria Boll – Palievskaya, Journalistin und Russland-Spezialistin, Redakteurin der unabhängigen Online Zeitung: Russland.news.)

3.
Etliche Priester dieser Kirche kritisieren ihren Chef, den Ideologen Patriarch Kyrill I. Seit dem Krieg Putins gegen die Ukraine haben etwa 300 russische Priester und Diakone einen offenen Brief gegen den Krieg und gegen den Patriarchen veröffentlicht. Und der Erfolg? Das Projekt „Christen gegen den Krieg“ (in russischer Sprache) hat viele Fälle der Verfolgung dieser mutigen Priester veröffentlicht. Einer der bekanntesten liberal gesinnten Geistlichen in Russland, Pater, bzw. wie man in der Orthodoxie sagt , „Vater“ Alexej Uminski von der Dreifaltigkeitskirche in Moskau, wurde am 13. Januar 2024 seines Amtes enthoben. Pater Uminski weigerte sich öffentlich das ideologisch gefärbte Gebet zu sprechen: „Gott, gib uns den Sieg durch deine Macht“: Gemeint ist natürlich der Sieg Russlands über die Ukraine. Mehr als 12.000 Russen haben in einem Schreiben an Patriarch Kyrill ihre Unterstützung für den Priester Uminski ausgedrückt. Ihm droht nun der Ausschluss aus der Russisch-Orthodoxen Kirche.

4.
Die totale Ergebenheit des Patriarchen und seines klerikalen Clans wird von Putin belohnt: Die weltberühmte „Dreifaltigkeits-Ikone“ von Andrei Rubljow wurde aus dem Museum entfernt und dem Patriarchat übergeben. Eine Aktion mitten im Winter, die die Qualität dieses alten Kunstwerkes stören und zerstören kann.

5.
Was sind die Lichtblicke im System Putin?
Innerhalb der Russisch – Orthodoxen Kirche wird der Widerspruch gegen den Ideologen Kyrill I. immer größer. Und auch das ist erfreulich: „Scheinbar so mächtig wie nie zuvor und beinahe mit dem Kreml verschmolzen, verliert die Kirche in der russischen Gesellschaft immer mehr an Ansehen“, schreibt Daria Boll-Palievskaya. „Laut den offiziellen Statistiken des russischen Innenministeriums besuchten in diesem Jahr 1,4 Millionen Menschen die orthodoxen Weihnachtsgottesdienste, verglichen mit 2,3 Millionen im Jahr 2020 und über 2,6 Millionen im Jahr 2019. Die Berufung zum Priester wird ebenfalls immer weniger beliebt. Allein im letzten Jahr mussten drei Priesterseminare schließen.“ LINK zu Daria Boll – Palievskaya.
Nebenbei: Die russischen Gläubigen, die sich von der Putin – Kirche distanzieren und trennen, können selbstverständlich ihre private Spiritualität bewahren und persönlich pflegen, dafür braucht es bekanntlich – theologisch gesehen – keine „heilige Liturgie“ in altslawischer Sprache mit Popen, die Kriegspropaganda betreiben oder in ihren Predigten harmlose spirituelle Allgemeinheiten verbreiten, fromme Floskeln halt.

6.
Man muss sich als Religionsphilosoph also freuen, dass eine politische Organisation, die sich Kirche nennt, die Russisch – Orthodoxe Kirche, immer mehr an Ansehen in der Bevölkerung verliert. Das hilft vielleicht auch, die All – Macht Putins einzuschränken.

7.
Traurig ist nach wie vor nur die Tatsache, dass der „Ökumenische Weltrat der Kirchen“ (ÖRK) in Genf noch immer nicht die Russisch – Orthodoxe Kirche aus ihrem Weltrat rausgeschmissen hat, das fordern bekanntlich seit Monaten viele kompetente Theologen. Glauben die Herren und Damen im Weltrat der Kirchen in Genf (ÖRK) im Ernst, mit Herrn Kyrill I. einen Friedens – Dialog führen zu können?

8.
Am 30. Dezember 2023 verurteilte der Generalsekretär des ÖRK, Pastor Jerry Pillay, die, so wörtlich, „Terrorkampagne“ Russlands gegen zivile Ziele in der Ukraine. Von dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sprach Pillay nicht. Für die Welt – Ökumene in Genf handelt es sich also um Terror, nicht um Krieg. Auch nannte Pastor Pillay vom ÖRK keine Namen, nicht den Namen Putins und auch nicht den Namen Kyrill I.. Pillay sagte nebulös, man bemühe sich, „auch weiterhin nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie der ÖRK mit und über seine Mitgliedskirchen den Dialog und den Frieden fördern und für eine Beendigung der Gewalt und Angst sorgen kann, unter der die Menschen in der Ukraine aufgrund der russischen Invasion leiden.“ (Quelle: https://www.oikoumene.org/de/news/wcc-denounces-russian-campaign-to-terrorize-people-of-ukraine)

9.
An einen Rauswurf des einstigen KGB Manns, des Herrn Patriarchen Kyrill I., aus dem eigentlich doch angesehenen ÖRK ist also gar nicht zu denken. Man bemühe sich ja im ÖRK um Dialoge, nebulös formuliert, allerdings ohne sichtbare Erfolge, wie jeder weiß.
Nach dem Ende der Putin Diktatur kann man die Russisch – Orthodoxe Kirche wieder in dieses Ökumenische Weltgremium aufnehmen. Selbst der Freund aller Orthodoxen, Papst Franziskus, spricht nach meinem Eindruck nicht mehr so vieles so Wohlwollendes (und Naives) über die Russisch – orthodoxe Kirche und seinen Patriarchen. Den der Papst sooo gern besuchen würde…

10.
Über die immer wieder viel besprochenen Dialoge mit den Russisch – Orthodoxen in den ökumenischen Gremien „vor Ort“, in den Städten, Bistümern, Landeskirchen Deutschlands hört man gar nichts. Offenbar ist man friedlich ökumenisch mit den Russen vereint? Und feiert hübsche Liturgien in alt-slawischer Sprache, wie immer schon…Auf der Website des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg (OERBB.de) wird die Russisch Orthodoxe Kirche immer noch als Mitglied dieses „Rates“ erwähnt. Über den Krieg Russlands gegen die Ukraine erfährt man da überhaupt nichts…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.


Der Text oppositioneller russisch – orthodoxer Priester in Russland vom 7. Januar 2025, veröffentlicht in den “Stimmen der Zeit”, im Juni 2025, einer  Zeitschrift der Jesuiten:

Christus und dem Evangelium treu bleiben: Ein russischer Aufruf gegen den Krieg in der Ukraine.
Ein theologisches Protestdokument russisch-orthodoxer Christen aus Russland, veröffentlicht am 7.Jan. 2025.
Russisch-orthodoxe Geistliche und Laien veröffentlichten acht Thesen gegen den Krieg Russlands in der Ukraine. Die rund dreißig Verfasser wollen anonym bleiben, weil sie noch in Russland leben und Sanktionen oder Verfolgung befürchten. Johannes Oeldemann, Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und Leiter des Stipendienprogramms der Deutschen Bischofskonferenz für orthodoxe Theologen, hat den russischen Aufruf ins Deutsche übersetzt und ordnet ihn einleitend historisch und theologisch ein.
Von Johannes Oeldemann, Stimmen der Zeit 150 (2025) 415-426, Lesedauer: ca. 18 Minuten

Seit mehr als zehn Jahren – beginnend mit der Krim-Annexion und der Besetzung einiger Territorien im Osten der Ukraine im Frühjahr 2014 – befindet sich die Ukraine im Verteidigungskampf gegen russische Truppen, die die territoriale Integrität dieses jungen Staates (seit 1991) mit einer alten Tradition untergraben. Mehr als drei Jahre sind inzwischen seit der umfassenden Invasion russischer Truppen in die Ukraine vergangen, mit der Präsident Putin das Ziel verfolgt, die staatlichen Strukturen in der Ukraine vollständig zu zerschlagen und das Land in die Russische Föderation einzugliedern. Auf beiden Seiten sind inzwischen Zehntausende Soldaten getötet und Hunderttausende verletzt worden. Während in der Ukraine durch rücksichtslose Angriffe auf Wohngebiete – wie zuletzt auf die Teilnehmer der Palmsonntagsgottesdienste in der Stadt Sumy – inzwischen auch Tausende Zivilisten getötet wurden, hält sich die Zahl der zivilen Opfer in Russland in Grenzen. Dafür liegt Schätzungen zufolge die Zahl der gefallenen Soldaten auf russischer Seite etwa doppelt so hoch wie auf ukrainischer Seite. Viele russische Familien sind damit inzwischen ebenfalls „Opfer“ dieses Krieges geworden. Daher kann man sich fragen, warum es in Russland keine Proteste gegen diesen Krieg gibt.
Die Antwort auf diese Frage lautet, dass offener Protest gegen den Kurs der Regierung in Russland schlicht lebensgefährlich ist. Wer in Russland seine Stimme gegen den Krieg erhebt, wird vom Staat verfolgt, angeklagt und kommt ins Gefängnis oder – schlimmer noch – in eines der berüchtigten Lager. Kritische Medien gibt es in Russland selbst kaum noch. Die wenigen unabhängigen Zeitungen, Sender und Internetportale sind inzwischen alle ins Ausland verdrängt worden. Auch die Russische Orthodoxe Kirche unterstützt den „patriotischen“ Kampf vorbehaltlos. Patriarch Kirill hat wiederholt seine Unterstützung für Präsident Putin demonstriert und den Kampf der russischen Soldaten gar als „heiligen Krieg“ bezeichnet. In orthodoxen Gottesdiensten in Russland wird regelmäßig für den Sieg gebetet und Priester, die das Wort „Sieg“ in dem entsprechenden Gebet durch „Frieden“ ersetzt haben, wurden suspendiert. Angesichts der Unterdrückung aller oppositionellen Stimmen in Russland überrascht es umso mehr, das am 7. Januar 2025, dem Tag des orthodoxen Weihnachtsfestes in Russland, ein Aufruf russischer Priester und Laien veröffentlicht wurde, in dem diese sich mit starken Worten gegen den Krieg positionieren.
Dieser Aufruf, der von den Autoren als „Glaubensbekenntnis“ bezeichnet wird, wurde in Russland über einen Telegram-Kanal verbreitet und außerhalb Russlands von der oppositionellen „Novaya Gazeta“ publiziert. Der Text ist in acht Artikel gegliedert, die – jeweils unter Rückgriff auf biblische Zitate – auf das Gottesbild, das Verständnis des Reiches Gottes, die Würde des Menschen, die Gleichheit aller Völker vor Gott, das Leben nach den Geboten Christi, die christliche Nächstenliebe, das Verständnis von Kirche und den Dienst der Kirche an der Versöhnung eingehen. Neben biblischen Texten greift der Text, wie in der orthodoxen Theologie üblich, auch auf Zitate der Kirchenväter zurück. Bemerkenswert ist, dass auch die im Jahr 2000 publizierten „Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche“ zitiert werden, die maßgeblich vom heutigen Patriarchen mitformuliert wurden. Dadurch konfrontiert der Text die Kirchenführung mit ihrer eigenen Positionsbestimmung. Der Text schließt mit dem Jesaja-Zitat „Doch das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit“ (Jes 40,8). Es dürfte kein Zufall sein, dass dies dieselben Worte sind, mit denen auch die „Barmer Theologische Erklärung“ schließt, mit der sich die Bekennende Kirche in Deutschland 1934 gegen die nationalsozialistische Ideologie positionierte.
Ist dieser russische Aufruf eine orthodoxe „Barmer“ Erklärung? Hinsichtlich seiner Intention und der Autorenschaft ist dieses russische Glaubensbekenntnis mit Barmen vergleichbar. In seiner Struktur und Sprache unterscheidet es sich zwar von der Barmer Theologischen Erklärung, entspricht damit aber viel mehr einem genuin orthodoxen Zugang zum Thema. Anders als in Barmen ist nicht bekannt, wer die Autoren dieses Textes sind. Es heißt, dass eine Gruppe von etwa dreißig Personen – überwiegend Priester, aber auch einige Laien – hinter dem Text steht. Ihre Namen sind nicht bekannt, weil das für sie und ihre Familien lebensbedrohlich wäre. Vielleicht stehen, anders als in Barmen, keine großen Namen dahinter. Dieser Text lebt nicht von der Autorität seiner Autorinnen und Autoren, sondern einzig aus der Kraft seiner Worte. Wie die Verfasser in der kurzen Einleitung schreiben, macht jede und jeder, der diese Thesen mit anderen teilt, sich ihren Inhalt zu eigen. Die Verbreitung der Thesen wird als Bekenntnisakt bezeichnet. Insofern trägt der Text – wie Barmen – Bekenntnischarakter. Ob er für die russische Orthodoxie eine vergleichbare Bedeutung wie die Barmer Theologische Erklärung für die evangelischen Christen in Deutschland erlangt, wird letztlich erst die Wirkungsgeschichte dieses Bekenntnistextes zeigen.
„Christus und dem Evangelium treu bleiben“
Ein Aufruf von Geistlichen und Laien der Russischen Orthodoxen Kirche, 
die zwar in Russland bleiben, aber den Krieg ablehnen
– veröffentlicht am 7. Januar 2025, dem Tag des Weihnachtsfestes in Russland

Dieses Glaubensbekenntnis wurde von Kirchenleuten, Klerikern und Laien, verfasst, die größtenteils in Russland leben und sich genötigt sahen, auf jegliche Hinweise auf die Autorenschaft zu verzichten. Jeder, der die hierin enthaltenen Thesen teilt und bereit ist, sie an andere weiterzuleiten, sei es mündlich oder schriftlich, öffentlich oder auf privatem Weg, kann sich als Teilnehmer an diesem Bekenntnisakt betrachten.
Die Phänomene, auf die in diesen Thesen Bezug genommen wird, haben in unserer Kirche seit langem zugenommen. Das Schweigen der Kirchenleute kann als Zustimmung oder Akzeptanz empfunden werden, und deshalb haben wir kein Recht zu schweigen.
Wir, Kleriker und Laien, Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche – einschließlich derer unter uns, die derzeit in verschiedenen Ländern verstreut sind und anderen Jurisdiktionen angehören – glauben und bekennen, dass wir alle, unabhängig von den irdischen Umständen und den Forderungen irdischer Machthabender, aufgerufen sind, vor der Welt Zeugnis für die Lehre Jesu Christi abzulegen und immer abzulehnen, was mit dem Evangelium unvereinbar ist. Keine irdischen Ziele oder Werte können von Christen über die oder anstelle der Wahrheit gesetzt werden, die in der Lehre, dem Leben und der Person Jesu Christi offenbart wurde.

1. ÜBER GOTT: Über das Gebot „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“
Wir Christen glauben an Gott, „den Schöpfer des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren“ [Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, Anm. des Übers.], an Gott, den „Unaussprechlichen, Unerkennbaren, Unsichtbaren, Unbegreiflichen, Ewigen, Unveränderlichen“, „vor Dem Himmel und Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, erbeben“ (Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus, Ordnung des Sakraments der Heiligen Taufe).
Frappierend ist die Leichtfertigkeit, mit der nicht nur Politiker und Journalisten, sondern auch Kirchendiener den Namen Gottes in ihrer Rhetorik verwenden und dem Schöpfer des Universums unerschrocken zuschreiben und vorschreiben, auf welcher Seite Er in irdischen Konflikten zu stehen und welche der irdischen Herrscher Er zu unterstützen hat.
Dieser Gebrauch des Namens Gottes für politische Zwecke ist nichts anderes als ein Verstoß gegen das Gebot: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“ (Ex 20,7).

2. ÜBER DAS REICH GOTTES: Über die Unzulässigkeit der Vermischung dessen, was „Gottes“ und „des Kaisers“ ist, sowie die Unzulässigkeit der Verwandlung der Kirche in ein Instrument irdischer Machthabender
Das Wirken Christi beginnt mit der Verkündigung des Reiches Gottes (Mt 4,17). Die Botschaft von diesem Reich ist das Herzstück seiner Verkündigung: „Sucht aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Christus lehrt, dass dieses Reich sich von allen irdischen Staaten unterscheidet: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). Wir Christen sind seine Bürger: „Unsere Heimat ist im Himmel“ (Phil 3,20). Wir beten zu Gott: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“ (Mt 6,10). Weil er von diesem Reich gepredigt hatte, verurteilten die irdischen Machthaber und ihre Diener Christus zum Tode mit den Worten: „Jeder, der sich selbst zum König macht, lehnt sich gegen den Kaiser auf. […] Wir haben keinen König außer dem Kaiser“ (Joh 19,12-15).
Wir wissen, dass der Staat und die Institutionen zur Unterstützung von Recht und Ordnung in dieser Welt notwendig und unvermeidlich sind. Sie schaffen die Voraussetzungen für ein normales Leben der Gesellschaft, indem sie menschliche Aggression und Kriminalität niederhalten. Deshalb antwortet der Apostel Paulus denen, die ihn gefragt haben, dass Gott die Macht als eine Institution des Rechts und der Ordnung eingesetzt hat, die diejenigen zurückhält, die Böses tun:
„Es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott ist; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt. […] Denn sie (die staatliche Gewalt) steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. […] Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut“ (Röm 13,1-4).
Der Wert dieser irdischen Macht ist praktisch und vergänglich; sie ist nicht dazu da, das Paradies auf Erden zu errichten, sondern um diejenigen, die Böses tun, daran zu hindern, die Erde in eine Hölle zu verwandeln.
Ohne die praktische Bedeutung der irdischen Macht und die Pflichten des Christen gegenüber der Gesellschaft aufzuheben, unterscheidet Christus klar zwischen der irdischen Macht und dem Reich Gottes, zwischen der Beziehung des Christen zu irdischen Machthabenden und zu Gott: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mt 22,21). „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen“ (Mt 4,10). Deshalb ist jegliche Vermischung dessen, was „Gottes“ und was „des Kaisers“ ist, von Vollmachten und Aufgaben der irdischen Machthabenden mit der Macht und Herrschaft Gottes, unvereinbar mit der Lehre Christi.
Umso unvereinbarer mit der Treue zu Christus ist ein Zustand, in dem die Kirche zu einer ideologischen Abteilung des Staatsapparates wird, die als „Klammer“ [ein von der politischen Nomenklatura in Russland gern benutzter Begriff, Anm. d. Übers.] die politischen Bedürfnisse eines bestimmten Regimes bedient.

3. ÜBER DIE MENSCHENWÜRDE: Über die vorgebliche „Häresie der Menschenverehrung“ und die Unzulässigkeit, den Menschen als Verbrauchsmaterial zu missbrauchen
In der Heiligen Schrift lesen wir, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde (Gen 1,26). Etwas Ähnliches wird in der Heiligen Schrift weder über die Nation noch über den Staat noch über eine Partei gesagt.
Wir lesen, dass Gott sich nicht schämt, die Menschen „Kinder“ und „Brüder“ zu nennen, denen er gleich wird, um sie von der Sklaverei der Sünde und des Todes zu befreien (Hebr 2,11-18). Im Glaubensbekenntnis bekennen wir, dass Gott Mensch geworden ist, „um uns Menschen und um unseres Heiles willen“. Aber weder die Heilige Schrift noch das Glaubensbekenntnis sagen uns, dass Gott Mensch geworden ist um der Größe oder des Heils einer Nation, eines Staates oder einer Partei willen.
Nach dem Wort Christi können nicht nur weltliche und soziale Regelungen, sondern sogar die wichtigsten religiösen Regelungen und Gebote nicht als Selbstzweck betrachtet werden, sondern sind um des Menschen willen da: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27).
Deshalb steht für die Jünger Christi der Mensch über jeder Nation, jedem Staat und jeder Partei – und das ist keine „globale Häresie der Menschenverehrung“, sondern eine Folge der christlichen Lehre, dass der Mensch das Ebenbild Gottes ist.
Der Missbrauch des Menschen als Instrument, als ein „Rädchen oder Schräubchen“, als Verbrauchsmaterial für den Staat oder andere irdische Institutionen ist mit der Lehre Christi unvereinbar.

4. ÜBER DIE GLEICHHEIT DER VÖLKER VOR GOTT und die Unzulässigkeit der nationalen Selbstverherrlichung
Im Neuen Testament lesen wir, dass im neuen Menschen, im Gegensatz zum alten, „nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie, sondern Christus alles und in allen ist“ (Kol 3,11). In der Welt des Neuen Testaments kann es keine Nationen geben, die Gott gefallen oder missfallen: „Gott ist nicht parteiisch, sondern in jedem Volk ist ihm willkommen, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist“ (Apg 10,34-35).
Jede Erniedrigung einiger Völker und jede Erhöhung anderer, jede Form von nationalem Messianismus und nationaler Selbstverherrlichung ist mit der Lehre Christi unvereinbar, insbesondere jene, die unter der Losung „Gott ist mit uns!“ einem Volk das Recht zuschreibt, über das Schicksal anderer Völker zu entscheiden.
Deshalb können wir nicht akzeptieren, dass christliche Werte und Sinngehalte einer geopolitischen Agenda untergeschoben werden, einer Ideologie, die den Glauben an Christus durch den Glauben an die „russische Welt“, an die besondere Bestimmung des russischen Volkes und des russischen Staates, ersetzt.
Eine solche Verfälschung reduziert Gott auf eine nationale Gottheit, verengt die Orthodoxie auf eine nationale russische Religion und einen der Aspekte des nationalen Selbstbewusstseins. Sie zerstört die Lehre vom universalen Charakter der Kirche und führt zu einem Bruch mit anderen orthodoxen Ortskirchen. Aber die Kirche Christi ist größer als jede Ortskirche, auch als die Russische Orthodoxe Kirche.
Bei einer solchen Verfälschung wird die kirchliche Terminologie für politische Zwecke verwendet. An die Stelle der Lehre von der Einheit der Orthodoxen Kirche wird die Lehre von der „Einheit der Russischen Kirche“ gesetzt, und die Worte über die „Dreieinigkeit des russischen Volkes“, die in kirchennahen Dokumenten erklingen, passen die theologische Terminologie der heiligen Väter an die Bedürfnisse des politischen Diskurses an und geben dem politischen Konzept den falschen Anschein einer kirchlichen Doktrin.
Es ist ein Ausdruck von Hochmut und geistlicher Selbstüberschätzung, die eigene Nation als „universalen Herrscher“ [katechon – „Aufhalter“ des Antichrist, Anm. d. Übers.] zu bezeichnen, der die Welt vor dem Bösen schützt, und als „letzte Festung, die die Welt vor dem Kommen des Antichrist bewahrt“. Im Dasein jedes Volkes kämpfen Gott und der Teufel, und für jedes Volk ist der Ausgang dieses Kampfes bis zum Jüngsten Gericht unbekannt.

5. ÜBER DAS LEBEN NACH DEN GEBOTEN CHRISTI und dessen Ersatz durch den „Kampf für traditionelle Werte“
Christen sind aufgerufen, durch ihr eigenes Leben Zeugnis von den moralischen Lehren Christi abzulegen, wie sie im Neuen Testament dargelegt sind. Aber nirgendwo im Neuen Testament wird gesagt, dass Christen den „Außenstehenden“, also jenen, die keine Kirchenmitglieder sind, Werte – welche auch immer: moralische, familiäre, häusliche, politische oder religiöse – aufzwingen sollen.
Der Apostel Paulus regelt zwar die Lebensnormen der ersten christlichen Gemeinden, zwingt die Christen aber nicht, diese Normen den „Außenstehenden“ aufzuzwingen, und fordert sie darüber hinaus auf, den Umgang mit den „Außenstehenden“, die nicht nach diesen Normen leben, nicht zu brechen: „Denn sonst müsstet ihr ja aus der Welt auswandern […]. Was geht es mich denn an, die Außenstehenden zu richten? Habt ihr nicht die zu richten, die zu euch gehören? Die Außenstehenden aber wird Gott richten“ (1 Kor 5,10-13).
Selbst die wichtigsten moralischen Werte des Christentums sollen wir nicht mit Gewalt, sondern nur durch unser eigenes Beispiel verkünden.
Der erbitterte „Kampf“, um den „Außenstehenden“ die „traditionellen Werte“ durch Zwang und gerichtliche Verfolgung, repressive Gesetze und Denunziationen aufzuzwingen, ist nichts anderes als ein Versuch, den Schwund wahrhaft christlicher moralischer Werte wie Liebe, Freiheit, Mitgefühl und Barmherzigkeit im inneren Leben der Kirche selbst zu verschleiern.
Wir können eine Predigt, in der „traditionelle“ und „nationale“ Werte die Moral des Evangeliums, die Gebote Christi und Christus selbst ersetzen und verdrängen, nicht als christlich ansehen.

6. ÜBER DIE CHRISTLICHE NÄCHSTENLIEBE und deren Ersatz durch die Predigt von Gewalt und „Heiligem Krieg“
Christus sagt zu seinen Jüngern: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten“ (Mt 7,12); „Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten […]? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,44-48).
Von den Aposteln bis zu den Asketen unserer Zeit, wie dem heiligen Siluan vom Berg Athos, haben die Nachfolger Christi bezeugt und bezeugen, welch bedeutende Stellung die Lehre von der Feindesliebe in der christlichen Ethik hat. Christus lehrt seine Jünger: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin! Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel“ (Mt 5,39-40).
Wir wissen, dass die Anwendung von Gewalt manchmal der einzige Weg sein kann, um noch schlimmere Gewalt zu verhindern. Aber auch eine solche Gewalt, die als das geringere Übel gewählt wird, ist immer noch Gewalt, zwar ein geringeres, aber dennoch ein Übel.
Jede Predigt, die Gewalt verherrlicht, sei diese Gewalt politisch oder sozial, öffentlich oder häuslich, ist mit der Lehre Christi unvereinbar.
Der schlimmste Fall von Gewalt ist der Krieg. Wir wissen, dass Staaten manchmal gezwungen sind, Krieg zu führen, also Gewalt und Mord zu begehen, um noch schlimmere Gewalt und noch schlimmeren Mord zu verhindern. Doch auch in diesem Fall bleibt Gewalt Gewalt und Mord eine Sünde.
Wir können denjenigen dankbar sein, die – da sie sich dem Bösen widersetzt haben und dies manchmal um den Preis des eigenen Lebens – durch Gewaltanwendung noch schlimmere Gewalt verhindert haben.
Aber diese Dankbarkeit kann und darf nicht in eine Verherrlichung, Romantisierung oder Heroisierung des Gewaltaktes selbst münden. Für den Christen ist diese Dankbarkeit unweigerlich mit der Trauer darüber vermischt, dass die Gewalt in unsere Welt gekommen ist und dass sie durch Gewalt gestoppt werden musste.
Sowohl die Kirchenväter als auch das Kirchenrecht bezeugen die Sündhaftigkeit des Mordes, unabhängig von dessen Motiven. In der Regel des heiligen Basilius des Großen heißt es: „Wer seinem Nächsten einen tödlichen Schlag versetzt, ist ein Mörder, ob er nun zuerst zuschlägt oder zurückschlägt“ (Regel 43). Im Blick auf diejenigen, die bei der Abwehr eines Angriffs den Räuber töteten, schreibt Basilius vor, dass Kleriker ihres Amtes enthoben und Laien von der Kommunion ausgeschlossen werden, „denn die Schrift sagt: ‚Alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen‘ (Mt 26,52)“ (Regel 55). Der heilige Basilius rät, dass Soldaten, die im Krieg einen Mord begehen, für drei Jahre von der Kommunion ausgeschlossen werden sollen, „weil sie unreine Hände haben“ (Regel 13).
Die kirchliche Tradition verbietet es Priestern nicht nur, Waffen zu benutzen, sondern sie auch nur in die Hand zu nehmen, und sie verbietet es denen, die im Krieg gemordet haben, Priester zu werden.
Manchmal hören wir, dass in Bezug auf die Teilnehmer an Kriegshandlungen die Worte Christi zitiert werden: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“. Aber das ist eine völlige Verzerrung der Bedeutung der Worte Christi, die aus dem Kontext des Evangeliums gerissen wurden. Im Johannesevangelium sagt Christus: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde“ (Joh 15,12-14). Dies ist ein Aufruf an die Nachfolger Christi, dem Beispiel des Meisters zu folgen, der sein Leben für seine Jünger, seine Freunde, hingab. Aber er gab sein Leben nicht im Krieg, indem er andere tötete, sondern am Kreuz, indem er für unsere Sünden starb. Diese Worte beziehen sich nicht auf diejenigen, die töten, sondern auf diejenigen, die getötet werden.
Es ist kein Zufall, dass sich die Prediger der Lehre vom „heiligen Krieg“ meist nicht auf das Neue Testament, sondern auf das Alte Testament berufen, und zwar genau auf die Aspekte, die die Predigt Christi als vergangen hinter sich lässt.
Einen Krieg als „heilig“ zu erklären, ist mit der Lehre Christi unvereinbar, selbst wenn es sich um einen Verteidigungskrieg handelt. Erst recht, wenn es sich um einen Angriffskrieg handelt.

7. ÜBER DIE KIRCHE CHRISTI: Über die „Vertikale der Macht“ und das Vergessen des Synodalprinzips als Entstellungen des kirchlichen Lebens
Christus sagt über Seine Kirche: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).
Indem er das Leben der Kirche und die Welt der irdischen Mächte einander gegenüberstellt, sagt er seinen Jüngern, wie seine Kirche beschaffen sein soll: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein“ (Mt 20,25-27).
Die verschiedenen Ämter in der Kirche bedeuten nicht die Herrschaft der einen über die anderen, sondern verschiedene Arten des Dienstes, die der ganzen Gemeinde vermacht und anvertraut sind. Der Apostel Petrus schreibt: „Dient einander […], ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1 Petr 4,10), und fügt, an die Hirten gerichtet, hinzu: „Weidet die euch anvertraute Herde Gottes […] nicht aus Gewinnsucht, sondern mit Hingabe; seid nicht Beherrscher der Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde“ (1 Petr 5,2-3).
Daher ist weder die Überhöhung der Oberen noch die Erniedrigung der Untergebenen, weder die Identifizierung der Kirche mit dem Klerus, die die Laien herabsetzt, noch die Umwandlung der geistlichen Hierarchie in eine bürokratische „Vertikale der Macht“ [ein zentraler Begriff der politischen Nomenklatura in Russland, Anm. d. Übers.] mit der Lehre Christi vereinbar.
Für die orthodoxe Tradition ist es inakzeptabel, den Vorsteher zu einem „kirchlichen Autokraten“ etwa nach Art des römischen Papstes im mittelalterlichen Abendland zu machen, dessen Meinungen, Äußerungen und Entscheidungen weder einer Diskussion noch der Kritik unterliegen. Das Wort des Vorstehers ist nicht identisch mit dem Wort der Kirche.
Es ist für die Kirche nicht normal, dass das Prinzip der Synodalität weder substanziell noch wenigstens formell beachtet wird, wenn nicht einmal die vom Kirchenstatut vorgeschriebenen Bischofssynoden einberufen werden; wenn die wichtigsten Entscheidungen für das Leben der Kirche allein vom Vorsteher getroffen werden; und wenn der Widerspruch von Klerikern gegen Handlungen, Worte und die Politik ihres Vorgesetzten mit einem Meineid gleichgesetzt wird und eine Suspendierung oder Amtsenthebung nach sich zieht (eine Strafe, die das Kirchenrecht nur für die schwersten Vergehen von Klerikern vorsieht).

8. ÜBER DEN VERSÖHNUNGSDIENST als die wahre soziale und politische Sendung der Kirche
Christen sind aufgerufen, der sie umgebenden Welt durch ihr Leben und ihre Beziehung untereinander ein Beispiel zu geben – in Vergebung, Versöhnung und brüderlicher Liebe: „Wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt 6,14-15); „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe (Mt 5,23-24); „Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden“ (Röm 12,18); „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35).
Indem die Kirche Menschen verschiedener Nationalitäten, sozialer Schichten und politischer Parteien in Christus vereint, ist sie dazu berufen, der Versöhnung zwischen verfeindeten Nationen, gesellschaftlichen Gruppen und Parteien zu dienen. Christus selbst sagt über diese Mission: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Die Lehre von der friedensstiftenden Mission der Kirche wird u.a. in den „Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche“ dargelegt, die im Jahr 2000 von der Bischofssynode angenommen wurden:
„Die Orthodoxe Kirche erfüllt ihre Mission der Versöhnung unter einander feindlich gesinnten Nationen und ihren Vertretern. Dementsprechend bezieht sie keine Stellung in interethnischen Konflikten, mit Ausnahme von Fällen offensichtlicher Aggression oder Ungerechtigkeit seitens einer der Parteien“ (Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche, II.4).
„Angesichts der politischen Meinungsverschiedenheiten, Widersprüche und Kämpfe predigt die Kirche Frieden und Zusammenarbeit unter den Menschen, die unterschiedlichen politischen Ansichten anhängen. Sie duldet auch verschiedene politische Überzeugungen in der Mitte des Episkopats, des Klerus sowie der Laien, mit Ausnahme solcher, die offensichtlich zu Taten führen, die der orthodoxen Glaubenslehre und den moralischen Normen der kirchlichen Tradition widersprechen“ (Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche, V.2).
Gerade mit dem Argument, dass die Kirche mit der Mission der Vermittlung und Versöhnung unter verschiedenen politischen Kräften betraut ist, wird das Prinzip „Kirche steht außerhalb der Politik“ begründet. Die Kirche kann nicht als Vermittlerin zwischen verschiedenen politischen Kräften dienen, wenn sie eine dieser Kräfte ausdrücklich unterstützt. „Untersagt ist die Teilnahme der Kirchenleitung und der Geistlichen, folglich auch der ganzen Kirche, an der Tätigkeit politischer Organisationen, an wahlvorbereitenden Prozessen wie etwa der öffentlichen Unterstützung politischer Organisationen, die an Wahlen teilnehmen, oder einzelner Kandidaten, an Wahlkampfwerbung usw.“ (Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche, V.2).
Wenn Vertreter der Kirche zum Hass gegen andere Völker und Länder aufstacheln, anstatt den Frieden zu predigen, politische Einmütigkeit predigen, anstatt zwischen den politischen Kräften zu vermitteln, Gewaltakte gegen Andersdenkende ideologisch rechtfertigen, anstatt Versöhnung zu predigen – dann ist das eine Perversion nicht nur des Grundsatzes „Kirche steht außerhalb der Politik“, sondern auch und vor allem der Mission, zu der Christus seine Jünger ruft.
Der Versuch, das kirchliche Gebet als Instrument zur Überprüfung der Loyalität gegenüber irdischen Machthabenden zu missbrauchen, die Suspendierung und Amtsenthebung aufgrund von Gebeten für Frieden und Versöhnung – das ist nichts anderes als die Verfolgung von Christen wegen ihrer Treue zum Wort Christi.
***
Wir erinnern uns, dass Christus zu seinen Jüngern sagte: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr, außer weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden“ (Mt 5,13). Wir sehen, wie die heuchlerische Kluft zwischen Wort und Tat unsere Kirche in Verruf bringt. Erinnern wir uns an die Worte des Apostels Paulus: „Du belehrst also andere Menschen, aber dich selbst belehrst du nicht? Du predigst: Du sollst nicht stehlen! Und du stiehlst? Du sagst: Du sollst die Ehe nicht brechen! Und du brichst sie? Du verabscheust die Götzenbilder, begehst aber Tempelraub? […] Denn euretwegen wird unter den Heiden der Name Gottes gelästert, wie geschrieben steht“ (Röm 2,21-24).
Doch „das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit“ (Jes 40,8), und wir bekennen unsere Treue zu diesem Wort.
Russisches Original des Aufrufs auf: <https://telegra.ph/Hranit-vernost-Hristu-i-Evangeliyu-01-10>. Deutsche Übersetzung vom Autor dieses Beitrags.

………………………….

 

 

 

Das Gift der Rechtsextremen heute heißt Nostalgie

Ein Hinweis auf ideologische Elemente der Rechtsextremen und ihrer Parteien heute.

Von Christian Modehn, veröffentlicht am 8.1.2024.

Am 19.12.2024 ergänzt: Uns freut, dass die Soziologin Eva Illouz in ihrem neuen Buch (Suhrkamp, Herbst 2024) “Explosive Moderne”, auch der politisch relevanten Nostalgie der Populisten und Rechtsextremen einige Hinweise widmet. Sie erinnert an “Make America Great Again” (“MAGA”) von Mister Trump und zitiert aus der New York Times: “Diese MAGA Typen neigen dazu, die 195oer Jahre zu idealisieren, weitestgehend auf Grundlage eines wahnhaften Bildes davon, wie das Leben damals wirklich war” (S. 255). Für die weithin geschätzte Soziologin Eva Illouz steht fest: “Nostalgie hat eine tiefe Affinität zu reaktionärer Politik” (S. 254).

…………..

1. Zur Einführung
Rechtsextreme Parteien in Deutschland und Europa bewundern und lieben „Ideale“ der Vergangenheit. Sie sind nostalgisch bestimmt. Dabei bauen sie nicht eine monumentale Ideologie auf, etwa uralter (germanischer) Mythen. Ihre Parteiprogramme und ihr viel radikaleres politisches Handeln heute orientiert sich pragmatisch an abstrakten Prinzipen aus der politischen „Welt von (vor)gestern“. Und diese „Werte“ sind: Traditionelles Familienbild und traditionelle Rolle der Frauen, Abwehr der Gleichberechtigung sexueller Vielfalt etwa in „Homo-Ehen“, heftige Abwehr der Fremden, die die Reinheit des Blutes angeblich stören, und vor allem: die Nation als etwas Heiliges hochschätzen.
Die uralten „Werte“ bestimmten einst die politischen Zustände, die Zeiten des demokratischen Niedergangs, etwa in der Weimarer Republik, als rechtsradikale Parteien und die sie unterstützenden (!) rechts-konservativen Parteien (DNVP) das politische Leben, die Demokratie, die Menschenrechte auslöschten.
Die zerstörerische Kraft von Demokratiefeinden und Rechtsradikalen jetzt (2023/2024) wird sichtbar etwa in der Drangsalierung von Politikern. Die Meute ist gewalttätig nicht nur mit ihren permanenten Beleidigungen und Beschimpfungen. Der Ortsvorsteher Martin Klußmeier hat jetzt sein Amt in Otterberg – Drehenthalerhof (bei Kaiserslautern) aufgegeben, er hielt die ihm entgegengebrachte Verrohung einfach nicht mehr aus. Klußmeier spricht ausdrücklich von Verrohung. LINK    Und: LINK

Was ist Verrohung:

Es ist der freiwillige Rückfall der Menschen in ihr pures Naturwesen, man möchte sagen in die tierische Existenz des Beissens und … Fressens. Unter rohen Menschen (verrohten Menschen) ist der „Kampf aller gegen alle“ (so der Philosoph Thomas Hobbes, „Leviathan“) üblich.
Verrohung ist der Gegenbegriff zu Kultur, als dem Inbegriff menschlichen, geistvollen Lebens, eines menschlichen Lebens, das der Vernunft folgt und nicht blinden Gefühlen, wilden Emotionen, tödlichen Aggressionen der Meute.
Ein weiteres aktuelles Beispiel: „In Schlüttsiel zwingen mehr als 100 Demonstranten Bundeswirtschaftsminister Robert Hobeck zum Umkehren seiner Fähre. Die Regierung bezeichnet den Protest als beschämende “Verrohung der Sitten“. (Quelle: Die „Zeit“, 5. Januar 2024, 0:07 Uhr)

Ein Leben der Verrohung holt sich seine Power aus den imaginierten „Werten“ der Vergangenheit. Haben Krawalle des Pöbels gegen demokratische Politiker heute eine Art Vorbild in den Krawallen gegen Demokraten in der Weimarer Republik?

2. Details:
Die politische Ideologie der rechtsextremen Parteien im heutigen Europa hat vielfältige inhaltliche Fixierungen. Wichtig für rechtsextreme Parteien (AFD, FPÖ, Le Pen Partei „RN“, VOX in Spanien, PiS in Polen, „Brüder Italiens“ und Lega – Nord usw.) ist die deutlich propagierte Sehnsucht nach einer imaginierten heilen Vergangenheit. Nostalgie ist eine rechtsextreme Leidenschaft. Eine phantasierte, angeblich bessere, ideale Vergangenheit wird direkt oder indirekt beschworen und als erstrebenswertes politisches Ziel verbreitet. Die politische Realisierung dieser imaginierten Welt von gestern und vorgestern und deren alter „Werte” soll die Krisen der Gegenwart begrenzen, wenn nicht überwinden. Als könnten Modelle von einst hilfreich sein für die „Lösung“ heutiger Probleme in ganz anderen Konstellationen.

3. Nostalgie
Nostalgie: Das Wort stammt aus dem Griechischen: νόστος bzw. nóstos bedeutet „Rückkehr, Heimkehr“ und ἄλγος bzw. álgos „Schmerz“ .
NostalgikerInnen glauben an die Sehnsucht nach einer Heimat, nach einer Heimkehr in eine ideale Vergangenheit: Die Kindheit ist zwar fern, aber sie war – angeblich – so schön. Darum ist ja auch Weihnachten als Kinderfest der Regression immer noch populär. Die „Rolle rückwärts“ ist beliebtes Mittel der Fortbewegung.
Die alte Welt als ideologisches Refugium, das waren nicht nur die „rauschenden Bäche“ der Poesie der Romantik mit ihren klappernden Mühlen. Die alte Welt der Nostalgiker: Das waren immer auch Herrscher, Diktatoren, Krieger, nach außen hin ordentliche, brave und christliche Männer. Und falls sie Soldaten waren, mussten sie sich halt fürs Vaterland aufopfern.

4. Flucht in frühere Zeiten
Nostalgie als politische Haltung von Rechten und Rechtsextremen heute hervorzuheben, ist alles andere als ungewöhnlich. Nostalgie sei nicht nur eine individuelle Haltung, sozusagen eine private Spiritualität des einzelnen. In seinem Essay über Nostalgie (in der Zeitschrift „LETTRE international“, Winter 1999, Seite 74 ff.,) spricht der us-amerikanische Soziologe James Macdonald Jasper auch von der politischen Bedeutung der Nostalgie in seiner Jugendzeit in den USA. „Nie zuvor in der Geschichte haben die Menschen ein so dringendes Bedürfnis verspürt, sich eine beruhigende Vergangenheit zu schaffen“ (74). Sie wurde als ALTERNATIVE wahrgenommen: Die Nostalgiker wollen sich förmlich an einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzen. Dabei wurde die Bindung an Mythen aktualisiert: In der Romantik stützten sich die Nostalgiker auf den Mythos der Nation: „Der eigenen Nation wurde eine Art kultische Verehrung zuteil“ (S. 75)… Die Nationalsozialisten pflegten einen „tödlichen Mischmasch von Nostalgien, die in beunruhigender Spannung zu Elementen der Moderen standen“ (S. 77). Es ging den Nationalsozialisten – wie allen Rechtsextremisten in ihrer wahnhaften Ablehnung der Fremden und der Angst vor „Umvolkung“ – „um die Reinheit des Blutes, der Abstammung, der wahren deutschen Kultur“ (S. 77), also um das Erstarken einer „Leitkultur“.

5. AFD -d.h. die AFD ist in Wirklichkeit: Eine Alternative anstelle von Deutschland (als Demokratie)
Man analysiere den Titel „AFD“, das Kürzel für die Partei „Alternative für Deutschland“: Damit ist gemeint: „Wir als AFD bieten eine gute Alternative für das bisherige Deutschland. Also für die bisherige Demokratie.“ Das FÜR im Titel der AFD bedeutet nicht zugunsten von Deutschland im Sinne der bestehenden Demokratie, sondern Für bedeutet „anstelle von“ Deutschland. Die AFD will – als Alternative – die bisherige Demokratie in Deutschland also ersetzen. Wodurch eigentlich? Durch ein autoritäres Regime.

6. Klares Denken
Das Parteiprogramm der AFD ist sehr aufschlußreich. Und man wünscht sich dringend, dass die Leute, die für die AFD stimmen, genau wissen, welchem Verein sie da politische Herrschaft zutrauen. Offenbar ersetzt die Wut „auf das System“ (also die Demokratie) das klare Denken. Kritisches Denken kann vielleicht noch einmal wiederkehren, wenn die AFD WählerInnen das alternative, d.h. undemokratische System von AFD Regierungen erlebt haben… und dann hoffentlich von einer Nostalgie nach der von ihnen per Stimmzettel abgeschafften Demokratie erfasst werden.

7. Immer wieder Feindbild: “der” Islam
Die offiziellen Partei – Programme der Rechtsextremen zeigen sich oft harmloser als die vielen alltäglichen Äußerungen und Praktiken ihrer führenden Politiker, man denke etwa an die Statements Björn Höckes (AFD). LINK
Aber schon im moderat klingenden Programm der AFD wird klar und deutlich: Diese Partei will zurück in die alte Welt einer angeblich guten nationalen Ordnung in dem Nationalstaat Deutschland:

Auch das wird konkret gefordert: Es soll keine umfassende Frauen-Emanzipation geben, Frauen sind die Gebärenden in einer ordentlichen Hetero-Familie. Familien von Homosexuellen werden abgelehnt. Das Christentum wird als ideologisches Schmiermittel einer „abendländischen, christlichen Kultur“ in Deutschland beschworen. Der Begriff „Heimat“, „unsere so schöne Heimat“, wird gepriesen und damit konsequenterweise im Parteiprogramm auch die „Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“ hoch gelobt (Nr. 7.2. des Programms von 2016). Entsprechend in Punkt 7.6.1 des AFD Parteiprogramms heißt es rigoros: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Man möchte angesichts dieser pauschalen Verurteilung „des“ Islam und seiner Freunde sagen: Dann gehört die AFD auch nicht zu Deutschland…
Entsprechend sollen, laut Parteiprogramm, Flüchtlinge, zumal aus muslimischen Ländern, schon an der Grenze kontrolliert und abgeschoben werden. Diesen Forderungen der AFD hat sich nun auch die EU und auch Deutschland angeschlossen. Man sieht: Die Angst vor der AFD hat Wirkung in demokratischen Gremien. Man hat den Eindruck: Die AFD beginnt zu herrschen, indem demokratische Parteien Teile des AFD Programms übernehmen…
Jegliche „Umvolkung“ soll laut AFD verhindert werden. Das heißt: Das deutsche Blut soll nicht verunreinigt werden. Deswegen darf Deutschland auch nicht als Einwanderungsland verstanden werden, obwohl Millionen Fachkräfte dringend in Deutschland gebraucht werden…Weil der Nationalstaat wieder absolut im Mittelpunkt steht, soll auch die EU weitgehend geschwächt werden. Sollte man sich anschauen:  LINK:

8.
Ein Blick auf die psychischen Voraussetzungen von Nostalgie: Sie ist, wie schon gesagt, die emotionale und auch intellektuelle Bindung an die Vergangenheit in dem Sinne, dass die Vergangenheit und deren Werte bzw. Lebensformen, Gesetze und Gebote nicht nur als hilfreich, sondern als wegweisend, als aus der Krise führend, angesehen werden. Der Psychotherapeut und Philosoph Erich Fromm hat durch seine Studien zum nekrophilen Charakter darauf hingewiesen: Nekrophile (also das Tote liebende) Menschen haben ein besonderes Interesse an allem, was nicht mehr lebt, sich nicht mehr entwickelt, was erstarrt ist, schreibt Erich Fromm in seiner Studie „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1973, Band 7 der Gesamtausgabe 1980, Seite 307): “Der nekrophile Charakter erlebt nur die Vergangenheit und nicht die Gegenwart oder Zukunft als ganz real. Das, was gewesen ist, das heißt, was tot ist, beherrscht sein Leben: Institutionen, Gesetze, Eigentum, Traditionen und Besitztümer…Das Tote beherrscht das Lebendige. Im persönlichen, philosophischen und politischen Denken des Nekrophilen ist die Vergangenheit heilig,… eine drastische Veränderung ist ein Verbrechen gegen die `natürliche` Ordnung“ (ebd.).

9.
Die rechtsextremen Parteien in ihrer nekrophilen Liebe zur Vergangenheit, also zur „Nostalgie“, werden unterstützt von religiösen und kirchlichen Gruppen, die sich ebenfalls der Ideologie der „so viel besseren Vergangenheit“ und damit der bösen Gegenwart hingeben.
In der katholischen Welt sind die so genannten „Pius-Brüder”, also die Traditionalisten, gegründet von Erzbischof Marcel Lefèbvre (1905-1991), die deutlichste Bewegung katholischer Nostalgiker, auch hier lebt die Nekrophilie: Lefèbvre und die Seinen lieben über alles die lateinische Messe im alten Ritus (des 16. Jahrhunderts), Lefèbvre beschwor ständig „l église de toujours“, die “Kirche von immer“, wie er sagte, und er meinte damit immer auch: Die Messe in der jeweiligen Landessprache, vom 2. Vatikanischen Konzil beschlossen, sei ein Verbrechen gegen Gott und die Menschen. Bei Lefèbvre und den Seinen ist diese Ideologie bis heute gültig genauso wie die Verachtung der Menschenrechte, etwa die Religionsfreiheit. Sie hassen die Lebendigkeit, den Wandel, die Reform, die Reformation.
Auch diese religiöse Nostalgie kommt wie jede Nostalgie nicht ohne Feinde aus: Wie oft hat Erzbischof Lefèbvre in seinen Predigten „die Protestanten, die Freimaurer, die Liberalen“ verurteilt: Und auch: Moderne Katholiken, Anhänger des 2. Vatikanischen Konzils, hätten nichts anderes im Sinn als die Freiheit der Menschen…und diese sei doch teuflisch, führe in den Abgrund. Nur die Bindung an undemokratische Autoritäten helfe den Menschen: Darum war Erzbischof Lefèbvre ein Freund der Diktatoren in Argentinien; darum waren und sind die Pius-Bruder in Frankreich (dort unter den Laien sehr stark vertreten mit mehr als 100.000 Anhängern) auch die engsten Freunde des rechtsradikalen Führers Jean-Marie Le Pen und seiner Partei Front National: Wie oft waren die Pius-Brüder als Priester bei den Le Pen Veranstaltungen und Kundgebungen zu Ehren der heiligen Jeanne d Arc liturgisch tätig: Sie wird in rechtsextremen Kreisen Frankreichs als Heilige verehrt…, auch, weil sie Ausländer, damals waren es Engländer, besiegt und vertrieben hat.

10.
Marion Maréchal, die Nichte von Marine Le Pen, der Chefin des „Rassemblement National“, „RN“, der Nachfolgepartei des Front National von Jean-Marie Le Pen, ist eng mit den Traditionalisten und Pius – Brüdern als „praktizierende Katholikin“ verbunden. Marion Maréchal tritt nun als Europa – Kandidatin 2024 auf … für die extrem-rechte Partei des jüdischen Parteigründers Eric Zemmour: Seine Partei hat den Titel „Reconquete“, also „Zurückeroberung“. Ein Programm, das an die Zeiten der spanischen Reconquista im Mittelalter erinnert, als über einige Jahrhunderte mit vielen Kriegen die Präsenz der Muslims im katholischen Spanien beendet wurde, und die der Juden übrigens auch, falls sie nicht konvertierten… : „Vertreibung“ könnte man also auch die Partei Zemmours nennen, die beim ersten Wahlgang für die Präsidentschaftswahlen 2022 immerhin 7 % der Stimmen erhielt, in katholisch – konservativ geprägten Vierteln Versailles und des Départements Yvelines noch viel mehr. So gibt es also eine rechtsextreme „Ökumene” von einer rechtsradikalen Katholikin (Marion Maréchal) und einem rechtsradikalen Juden (Zemmour)… Im Parteiprogramm von Zemmours „Reconquete“ wird auch lang und breit ausführlich über die Befreiung Frankreichs von muslimischen Mitmenschen gesprochen.

11.
Über fundamentalistische Protestanten, also die vielen Millionen Evangelikaler, wäre zu sprechen und ihre Behauptung, in ihrem wortwörtlichen Verstehen der Bibel – Interpretation würde Jesus selbst, der Held von einst, zu ihnen sprechen … natürlich durch den Mund bestens bezahlter Pastoren und deren „Mega – Churches“. Vom Judentum wäre zu sprechen und den ultraorthodoxen Kreisen, die jede noch so detaillierte Bestimmung alter biblischer Lehren in ihr heutiges Leben umsetzen und sich in ein starres, für den einzelnen brutales Korsett von Gesetzen und Vorschriften von einst begeben. Im Islam sind es die fundamentalistischen Gruppen der Islamisten, die behaupten: Die soziale und politische Ordnung die – angeblich – Mohammed zu seinen Lebzeiten forderte und auch gestaltete müsse auch unter allen Umständen heute wieder in gleicher Weise durchgesetzt werden, und zwar auch mit tötender Gewalt gegen die Feinde dieses Glaubens.

12.
Die rechtsextremen und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien können vielleicht noch gestoppt werden: Wenn die Menschen begreifen: Die Ideologie dieser Gruppen und Parteien ist nicht nur zerstörerisch für die beste aller nur denkbaren Staatsformen, also die sich immer weiter entwickelnde Demokratie. Wer diesen rechtsradikalen Parteien folgt, zerstört auch sich selbst, lässt sich ein auf ein nekrophiles Leben. Diese rechtsextreme Ideologie ist schädlich für das, was den Menschen als Menschen auszeichnet, also für seinen Geist und seine Seele. Nostalgie ist Gift, weil sie zur Liebe zum Toten, Vergangenen, Verblichenen, zu allem Verstorbenen und Verwesenden führt.

13.
Kriege sind immer Geschehen, die das Tote und die Toten produzieren, und manche Diktatoren in Russland und anderswo sind froh, dass sich so viele ihrer Landsleute hinschlachten lassen. Putins tödliche Ideologie lebt von Versatzstücken einer „Philosophie“ der „russischen Welt“. Und Putins ideologische Stütze, der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau, Kyrill I., befeuert nicht nur den Krieg Putins, er ermuntert den Staatschef und Kriegsherrn, der Nostalgie eines „russischen Imperiums“ unbedingt und tötend Folge zu leisten.
Es ist die Liebe zum Tod und zum Toten und Töten, die letztlich hinter nostalgischen Schüben in der Politik steht. Es ist die perverse Liebe zu „meiner Nation“, deren sich der Nostalgie bedient, die die Welt zerrüttet.

14.
Welche Bedeutung hat die Vernunft noch in diesem Jahr 2024 angesichts des Niedergangs vernünftigen, demokratischen Lebens? Eine Frage, die wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin weiter diskutieren werden, zu Ehren von Immanuel Kant: Am 22. April 2024 feiern wir Kants 300. Geburtstag, selbstverständlich beginnen die „Feierlichkeiten“ jetzt.

15.
Aber was sind „philosophische Feierlichkeiten“ für den einzelnen und für Gesprächs-Gruppen? Denken und Lesen und Diskutieren und gemeinsam Speisen (wie Kant in seiner berühmten Mittags-Runde bei Wein und Fisch). LINK.

PS.:

Für das Kulturradio des RBB gestaltete ich ein Feature, das versucht, einige Erkenntnisse Immanuel Kants sozusagen unter das gebildete Volk zu bringen. Diese Ra­dio­sen­dung von 2010 fand ein großes Echo. Sie gehört in eine Reihe von mir gestalteter imaginärer Salon-Gespräche etwa zu Hegel, Heidegger, Schleiermacher usw.. Ich biete hier noch einmal den Text dieser Radio – Sendung über Kant, auch anläßlich seines 300. Geburtstages am 22.4.: LINK:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

 

 

 

.

 

Spaltung der Katholischen Kirche … wegen der Homosexuellen und ihrer Segnung?

Vor allem afrikanische Bischöfe sind gegen den Papst und dessen offizielle Bereitschaft, homosexuelle Paare zu segnen…

Ein Hinweis von Christian Modehn.

– Wir befinden uns mit unserem kritischen Hinweis auf das angeblich so progressive päpstliche Dokument “Fiducia supplicans” in guter, wissenschaftlicher und kritischer Gesellschaft. Der Kirchenrechtlicher Prof. Norbert Lüdecke (BONN) nennt dieses päpstliche Schreiben “verlogen”, “entwürdigend” für die betroffenen Homosexuellen und “toxisch”, also das Wohlbefinden der Betroffenen vergiftend. LINK.

– Während Prof. Lüdecke die päpstliche Erlaubnis zu einer Segnung von Homosexuellen mit Argumenten einer richtigen modernen Theologie ablehnt: Schlägt der bekannte reaktionäre Kardinal Robert Sarah (aus Guinea) erneut in seinem Hass auf Homosexuelle zu und nennt das päpstliche Dokument “Ficducia suupplicans”, so wörtlich, “häretisch”. Das ist schon ganz gewagt, für einen Kurienkardinal… LINK.

Damit unterstützt der greise Kurien – Kardinal Robert Sarah aus Guinea wieder Diktatoren und sonstige Politikern Afrikas, homosexuell lebende und liebende Menschen in Afrika zu verfolgen, zu bestrafen, auszugrenzen, zu töten.

Kardinal Sarahs Äußerungen sind eine Gefahr für die Menschheit! Ihm sollte der Papst jegliche öffentliche Stellungnahme verbieten. Das kann er doch als Papst mit seinen eigentlich doch auch doktatorischen Gewalten…

Als hätten wir keine anderen Sorgen: Aber der Wahn der Homophobie unter Afrikas Bischöfen geht weiter:

Keine Unterstützung für die völlige Gleichberechtigung von Homosexuellen in Afrika: Dieses Urteil maßt sich die katholische gesamt-afrikanische Bischofskonferenz an, am 11.1.2024 wurde ein entsprechendes Dokument im Vatikcan veröffentlicht. LINK

Diese Herren der Kirchen verstecken ihre Verurteilung von Homosexuellen unter der schon oft besprochenen Abweisung eines Segens für Homosexuelle.

Der Kardinal von Kinshasa sagt, Segnungen für Homosexuelle  in Afrika seien “nicht für umsetzbar, ohne Skandal zu erregen“.

Der größte Skandal aber ist die Ignoranz dieser Herren der Kirche, sie ignorieren und nehmen in Kauf, dass sie mit ihrer Äußerung der Verfolgung und Diskriminietrung von Homosexuellen in vielen Staaten Afrikas weiter ideologische Unterstützung bieten. Bravo, Diktatoren unter sich, könnte man sagen…

Und diese Herren der Kirche befinden sich in bester ökumenischer Gemeinschaft mit fundamentalistischen Muslims und fundamentalistischen Juden und fundamentalistischen Evangelikalen. Wunderbar, diese Ökumene… und eine Schande für alle, die noch einige der humanen Lehren Jesu von Nazareth wichtig finden.

Wie weit dürfen sich eigentlich die Herren der Kirche auch von Jesus von Nazareth und seinem Evangelium entfernen???

Und wie lange sind Katholiken in Europa bereit, Missionsspenden für diese ignoranten Herren der Kirche in Afrika zu überweisen (etwa über das katholische Hilfswerk Missio). Oder hat Missio, Aachen, schon gegen diesen Wahn der afrikanischen Bischöfe öffentlich protestiert?

 

1.
Immer mehr römisch-katholische Bischöfe, vor allem in Afrika, lehnen es ab, homosexuelle Paare zu segnen. Sie widersprechen damit einer Entscheidung des Papstes und seiner obersten Glaubensbehörde. Diese hatten am 18. Dezember 2023 öffentlich gemacht, dass nun doch, entgegen bisheriger offizieller Weisungen, homosexuelle Paare (und auch unverheiratete heterosexuelle Paare)  offiziell gesegnet werden dürfen. Eine kleine Korrektur in der katholischen Dogmatik: “Fiducia Supplicans“ ist der Titel des päpstlichen Schreibens, LINK.

Und dieser vatikanische Text vom Dezember 2023 ist wirklich ein kleiner “Bruch” mit einer gewissen Tradition: Offenbar ein Herzensanliegen des Papstes oder eine ganz kleine Geste der Sympathie für die ein bißchen reformbereite katholische Kirche in Deutschland??    LINK

2.
Dabei hat das Dokument der Glaubensbehörde bzw. des Papstes ausschließlich eine bescheidene Segnung, eine Art Ultra-Kurz-Liturgie erlaubt. Diese wird homosexuelle Katholiken gewährt, selbst wenn sie weiterhin nach offizieller katholischer Doktrin im objektiv falschen, sündigen Zustand der Homosexualität leben. Die Lehren des offiziellen Katechismus (1993) werden also beibehalten: „Homosexuelle Handlungen sind auf keinen Fall zu billigen“ heißt es § 2357. Sowie: „Homosexuelle sind zur Keuschheit gerufen“ (ebd.). Es sollen also homosexuelle Paare gesegnet werden, die in einer Art platonischen Freundschaft ohne Sexualität leben und … z.B. gemeinsam, brav Händchen haltend, Kaffee trinken…

3.
Die Segnung dieser sündigen Menschen hat überhaupt nichts mit einer Eheschließung zu tun, betonen die Herren der Kirche im Vatikan weiterhin. Der sehr bescheidene Ritus, von einem Priester geleitet, möglichst eher in Nebenkapellen und schon gar nicht in großen Kirchengebäuden, soll nicht im entferntesten an das Sakrament der Eheschließung erinnern. Nebenbei: Da werden manche Tiere in den katholischen Tiersegnungen in Kirchen (!) oder Autosegnungen oder Handy-Segnungen oder Walross – Segnungen durch den Erzbischof von Hamburg großzügig gestaltet:  LINK .

4.
Angesichts dieser von der Qualität und Bedeutung her eher lächerlich erscheinenden „Homo-Segnung“ ist die Aufregung vieler katholischer Bischöfe vor allem in Afrika irritierend. Man tut fast so, als hätte die Kirche nun endlich diese „Unmöglichkeit” begangen und auch die universell geltenden Menschenrechte (der Gleichheit z.B:) für ihre eigenen Mitglieder angewendet… was ja nicht der Fall ist.
Homosexuelle bleiben in katholischer Sicht „Glaubende zweiter Klasse“, man solle diesen armen Geschöpfen mit „Achtung, Takt und Mitleid“ begegnen (§ 2358, Katechismus). Papst Franziskus und seine Glaubensbehörde wollen mit ihrem Schreiben nur etwas netter und etwas freundlicher erscheinen…Aber es bleibt dabei: „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen“ (§2359).

5.
Die katholische Tageszeitung LA CROIX (Paris) fürchtet jetzt, so wörtlich, dass angesichts des Widerstandes vieler afrikanischer Bischöfe „die Einheit der Kirche langfristig bedroht sein könnte“ (26.12.2023). Die Liste der widerspenstigen afrikanischen Bischöfe ist lang) Soll man diese sich Hirten nennenden Kleriker jetzt wie auch früher schon „Homo-Feinde“ nennen oder etwas sanfter Gegner der universell geltenden Menschenrechte?
Diese Herren der Kirche halten die moralischen Gebote und Weisungen der Bibel für wichtiger und entscheidender als die vernünftigen, allgemein und universell geltenden Menschenrechte. Kirchengebote also contra Vernunfteinsicht: Ein altes Drama der katholischen Religion. Und diese Klerus – Kirche zeigt wieder, wie sie auch jetzt aus der vernünftigen Entwicklung der Zeit gefallen ist; sie zeigt, dass sie allen Ernstes meint, mit ein paar netten Reförmchen („bescheidene Segnungen nun auch für Homosexuelle Sünder“) Interesse bei Homosexuellen für den katholischen Glauben und seine Segnungen zu wecken. Wenn katholische Homosexuelle in Europa in dem Zusammenhang noch etwas vom Papst erwarten: Dann die „Homo-Ehe“ als Form der Gleichberechtigung, diese Art von Segnungen sind jedenfalls eher lächerlich. Und trotzdem muss man sich mit diesem Thema befassen: Auch aus politischen Gründen.

6.
Wenn vor allem afrikanische katholische Bischöfe diese bescheidene Segnung für Homosexuellen in ihren Ländern ablehnen, dann unterstützen sie nur die menschenverachtende Politik und die verdorbenen Politiker in ihren Ländern, die Homosexualität verbieten und geoutet Homosexuelle verfolgen, quälen und zur Tötung durch die feindlichen Massen förmlich freigeben. DESWEGEN ist die Ablehnung dieser Segnungs – Erlaubnis von Homosexuellen durch afrikanische Bischöfe ein politischer Skandal, eine Schande für alle, für die universell geltende Menschenrechte selbstverständlich wichtiger sind als ethischen Weisungen aus mythologischen Texten der Bibel seit dem 5. Jahrhundert vor Christus (AT) bis ins 1. Jahrhundert (NT). Homosexuellen freundliche offizielle kirchliche Texte hat es seit Paulus nicht gegeben. Das Evangelium der Liebe galt nicht für diese „anders“ liebenden und anders lebenden Menschen. Die Homosexuellen wurden und werden als die Anderen verfolgt ….wie die vielen anderen „Anderen“, etwa die Juden. Nur ließ sich die Verfolgungsgeschichte der Juden besser dokumentieren als die Verfolgungsgeschichte der Homosexuellen durch die katholische Kirche. Bei den kirchlichen, in enger Verbundenheit mit den autokratischen Regimen im alten Europa geschehenen Verfolgungen Homosexueller „lohnte“ sich die Dokumentation nicht, Homosexuelle waren ja „Perverse“. Nur die perversen Priester und perversen Päpste wussten sich zu schützen und ihre Perversion heimlich zu leben, nur nicht öffentlich… LINK

7.
Es droht also ein Bruch der Einheit der katholischen Kirche, wie die angesehene katholische Tageszeitung La Croix schreibt.
Die Frage ist: Warum ist ein Bruch innerhalb der Kirche eigentlich schlimm?
Bestand eine Einheit denn auch vorher schon? Wurden die einstigen Kolonialkirchen gleichberechtigt von der europäischen, kolonisierenden Mutterkirche behandelt?
Wurden diesen Kirchen eigenständige Liturgien erlaubt?
Wurden ihre afrikanischen von dem sinnlosen Zölibatsgesetz befreit?
Nein, Einheit als Form der Gleichberechtigung, gab es bisher im Katholizismus sowie so nicht.
Wenn es nun zum Bruch mit Rom kommt, dann ist dies vor allem aus politischen Gründen eine Katastrophe. (Siehe Nr 6.)

8.
Auch die Anglikanische Kirchengemeinschaft droht seit vielen Jahren wegen der Gleichberechtigung von Homosexuellen in dieser Kirche auseinanderzubrechen. Anglikanische afrikanische Bischöfe sind strikt homo-feindlich…

9.
Ein vorläufige Liste des Widerstandes der Bischöfe gegen das päpstliche „Homo-Dokument“:

Zunächst: Der reaktionäre Kardinal Gerhard Müller lieferte gleich drei Tage nach der Publikation des Textes förmlich das Stichwort für seine homophonen „Mitbrüder“ weltweit: Müller sagte: „ Eine Realität zu segnen, die konträr zur Schöpfung ist, ist nicht nur unmöglich, sondern eine Gotteslästerung (Blasphemie). Ein Priester, der eine Homo-Paar segnet, begeht ein Sakrileg“ (La Croix, a.a. O).
Die Verurteilungen und Distanzieren vom Papst folgten sofort: „La Croix“ nennt die Länder, in denen Segnungen von katholischen Homosexuellen von den Bischöfen verboten sind: „Sambia, Malawi, Nigeria, Rwanda, Kamerun, Demokratische Republik Kongo, Ghana“ (ebd.) Weitere werden folgen, wie Kenia.
Kardinal Pengo von Tanzania war in seinem Homo-Hass soweit gegangen für seine hungernden Hetero-Familien zu fordern:Lieber verhungern, als Hilfe von Homosexuellen annehmen. Welch eine Schande… LINK.

In Europa haben such Ungarns Bischöfe gegen die Entscheidung des Papstes ausgesprochen, homosexuelle Paare zu segnen.

Man hat den Eindruck: Bischöfe in den Staaten, die Homosexuellen wenig Rechte gewähren oder Homosexuelle verfolgen und unterdrücken, folgen den Weisungen ihrer Staatschefs.

10.
Der Historiker und Journalist Christophe Dickes wird in La Croix zitiert: „In der gegenwärtigen Geschichte der Kirche ist es zum ersten Mal, dass ein ganzer Kontinent es explizit ablehnt, die Weisungen des Papstes anzuwenden“ (a.a.O). Und auch aus Asien gibt es Zurückweisung des Papstes: Die Bischöfe von Astana in Kasachstan (der Weihbischof dort, Athanasius Schneider, ist Mitglied im reaktionären „Kreuzorden“, inspiriert vom mysteriösen, versponnenen „Engelwerk“, Opus Angelorum) schreiben: „Wir untersagen den Priestern und den Gläubigen jede Form der Segnung homosexueller Paare“ (La Croix, 20.12.2023).

11.
Warum sind Afrikaner, auch und vor allem christliche Afrikaner, gegen die Homosexualität und verfolgen die Homosexuellen? Denn diese Ablehnung gilt eigentlich für fast alle, auch sich protestantisch nennende oder orthodoxen Kirchen in Afrika. Homophobie ist das eine ökumenische gemeinsame Dogma der vielen Kirchen Afrikas. Von Muslimen wollen wir hier an dieser Stelle schweigen, da geht es homo-freundlicher zu…
Ein weites Thema also. Nur einige Hinweise:
Die afrikanischen Christen wurden den europäischen Missionaren im 19.Jahrhundert mit europäischer Theologie und europäischer Moral konfrontiert und sie haben diese religiösen Ideologien übernommen: Und die sagten damals klar: Homosexuelle Handlungen sind Sünde. Sie müssen verboten werden.
Afrikanische Christen und Bischöfe halten daran bis heute fest, sie haben also die Entwicklungen der christlichen Moral und Lehre im 20.und 21. Jahrhundert nicht mitgemacht, vielleicht aus Ablehnung, dieser nun von „Neokolonialisten“ verbreiteten Reform – Lehre.
Aber auch andere kulturelle Einflüsse spielen eine Rolle für die Ablehnung homosexuellen Lebens in Afrika:
Der ausführliche Beitrag über Afrika in dem umfangreichen wissenschaftlichen „Dictionnaire de l` Homophobie“ (Edition Presse Universitaires de France, Paris, 451 Seiten, 2003) betont: Die in Afrika bis heute übliche Verfolgung von Homosexuellen und das Verbot von Homosexualität sowie die öffentliche Verachtung homosexueller Menschen dauert seit den „animistischen“, den ur-alten Traditionen. „Die Homosexualität wird gemäß den animistischen Traditionen von der Gesellschaft absolut verurteilt. Sie wird mit der Hexerei verbunden, sie wird als Perversion gegen die Natur verstanden… Der Homosexuelle verliert die Fähigkeit, Kinder zu zeugen, seine Identität ist total verwirrt… Auch heute sind Homosexualität sehr stark stigmatisiert in allen Ländern Afrikas.
Im Jahr 2002 wurde dem Erzbischof von Freetown in Liberia Homosexualität vorgeworfen. Und diese Homosexualität sei sogar verantwortlich für die Ermordung von fünf Nonnen innerhalb der Unruhen im Land“ So viel zu einem Beispiel geistiger Verwirrung dort… (S. 10 und S 13 in dem genannten „Dictionnaire…“). Es gibt in Afrika aber auch etliche Staaten, die keine Gesetze kennen, die Homosexuelle diskriminieren: Siehe Fußnote 1.

12.
Die Debatte um den vatikanischen Text, der nun die Segnung von homosexuellen Menschen und homosexuellen Paaren erlaubt, zeigt deutlich: Eine Einheit der römisch – katholischen Kirche besteht nicht mehr absolut und unbedingt. Sie zerbricht langsam. Diese Einheit wird noch von Päpsten und Bischöfen behauptet, aber sie ist eher ein Wunsch, die zentralistische Gewalt von Rom aus beizubehalten und durchzusetzen. Wo, bitte schön, wird das Zölibatsgesetz der Priester de facto denn noch gelebt? Der Vatikan weiß das, die Bischöfe weltweit wissen das, es ist weitestgehend nicht der Fall. Aber dieses verrückte Gesetz wird vom zentralistischen Vatikan und dem Papst beibehalten.

13.
Der Vielfalt der Kulturen und der Vielfalt von Werten wird die Einheitsdoktrin Rom nicht gerecht. Das haben schon Theologen seit 50 Jahren gesagt, man denke nur an die Studien des Theologen Walbert Bühlmann.
Dass alle Katholiken zuallererst und immer die universellen Menschenrechte wie ihre heilige Bibel hochschätzen und leben sollen, bleibt die zentrale Forderung. Zuerst die Menschenrechte, danach erste einige Lehren und Weisheiten der Bibel, kritisch interpretiert…

14.
Homophobie hat wie Antisemitismus oder Sklaverei oder Degradierung von Frauen oder Gewöhnung an das Hungersterben von Millionen Armer weltweit nirgendwo noch einen Platz. Dennoch muss unter diesen Bedingungen überlegt werden, WIE denn etwa die Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen in der Kirche auch den Afrikanern vermittelt werden kann. Aufklärung und Bildung könnten da schon viel helfen. Haben homophobe Bischöfe jemals mit homosexuellen Christen gesprochen? Bitte mir Beispiele nennen…. Aber umfassende Bildung wiederum setzt voraus, dass Katholiken Aufklärung als umfassende kritische Bildung tatsächlich faktisch erleben: Darum, baut mehr Schulen anstelle von Kirchen in Afrika. Die Menschen braucht nicht Mega-Churches wie in Nigeria, sondern Mega-Schools. Die Mega – Churches nützen vor allem den geldgierigen homophoben so genannten Pastoren.

Fußnote 1: Mehr als die Hälfte der afrikanischen Staaten südlich der Sahara hat noch eine strenge Gesetzgebung, die Homosexualität unter Strafe stellt
Aber es gibt auch menschenfreundliche, humane Staaten in dieser Hinsicht:
Dazu gehören: Botswana (seit 2021), Gabun, (seit 2020) Angola (seit 2019): „Jede Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung ist verboten“. Auch Mozambique kennt keine diskriminierenden Gesetze (seit 2015), in Guinea-Bissau hingegen gibt’s diese humanen Gesetze schon seit 1993.Selbst wenn z.B. die Zentralafrikanische Republik oder die Demokratische Republik Kongo keine expliziten anti-gay-Gesetze haben, so herrscht doch doch ein repressives Klima gegen gays in diesen Staaten vor. Am weitesten entwickelt sind die Menschenrechte für gays in Südafrika, dort wird seit 2006 homosexuellen Paaren die Adoption erlaubt. (Quelle: Tageszeitung “La Croix”, Paris, Beitrag von Emmanuelle Ndoudi, am 27.12.2023.)

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Es ist ein Kreuz mit dieser bayerischen Regierung

Zum Kreuz – Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.12.2023

Einen Kommentar des Prof. für Kirchenrecht, Hans Michael Heinig von der UNI Göttingen, lesen Sie bitte am Ende unseres Hinweises!

1.
Nun dürfen also Kreuze, Darstellungen des Leidens und Todes Jesu Christi, in allen offiziellen Staats – Gebäuden des Bayerischen Freistaates hängen.
Diese Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 19.12. 2023 verkündet. Und die sich christlich nennende Partei CSU sowie die Freien Wähler mit ihrem rechtslastigen Chef Hubert Aiwanger freuen sich: Endlich können sie allen „anderen“ demonstrieren, dass Bayern so richtig eine christliche Demokratie ist.

2.
Das Kreuz als Symbol für die Lebens – und Leidensgeschichte Jesu von Nazareth wird nun zu einer Art Accessoire degradiert, zu einer Zierde in staatlichen Gebäuden. Neben dem Kreuz würden auch gut Gemälde „röhrende Hirsche in den bayerischen Alpen“ passen oder ein Seppelhut oder ein Porträt von FJS…

3.
Der Freistaat Bayern gibt sich „neutral“, sieht in den Kreuzes – Dekorationen in staatlichen Gebäuden natürlich keinerlei religiöse Werbung oder ideologische Wertung.
Man möchte also konsequenterweise wünschen, dass gemäß diesem Gerichtsurteil alsbald auch Symbole des Islam und des Judentums versöhnt nebeneinander die Wände der Staatsgebäude zieren, vielleicht auch einige Götterbilder der Hinduisten, natürlich auch diverse Buddha – Statuen oder Symbole afrikanischer „Natur-Religionen“. Warum nicht auch ein paar Figuren des Candomblé aus Brasilien… Alle diese Religionen sind auch in Bayern vertreten und haben – wie das Kreuz – rechtlich Anspruch auf öffentliche Sichtbarkeit in Gebäuden des Bayerischen Freistaates. Auch dieser Bundesstaat nennt sich ja verfassungsgemäß religiös – neutral. Sollte also gleichberechtigten Raum für alle Symbole aller Religionen bieten und natürlich auch der Gruppen der Atheisten, Skeptiker, Konfessionslosen. Bloß, was haben die für Symbole?

4.
Man möchte fast ein bißchen wünschen, dass alle Besucher bayerischer Staatsgebäude von allen diesen vielen religiösen Symbolen zumindest geistig erschlagen werden, dass sie also aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen, wie viele Religionen denn im heiligen Bayern vertreten sind. Und wie alle diese verschiedenen Religionen hoch geschätzt werden und ihre frommen Anhänger, selbst wenn sie ungeliebte Flüchtlinge und „Ausländer“ aus Afrika, Asien oder Lateinamerika sind. Trotzdem: Welch ein toleranter Staat ist doch dieser CSU-Staat/Aiwanger Staat!

5.
Als ein Problem, manche sagen als eine Unverschämtheit, darf man ein Statement des bayerischen Innenministers Joachim Hermann (CSU) im ZDF „Heute Journal“ am 19.12.2023 bewerten. Darin drückt der Herr Minister seine große Freude und auch die des ganzen Kabinetts aus, dass nun “eine gute Grundlage gegeben ist für die weitere Werte – Orientierung der Politik der bayerischen Staatsregierung“.
Man fragt sich: Welche Werte- Orientierung praktiziert denn eigentlich diese CSU /Aiwanger Regierung? Ist diese Bayerische Regierung also etwa nicht zuallererst und ausschließlich den Werten der Demokratie und der Menschenrechte verpflichtet, sondern den nun einmal begrenzten Werten einer Religion?
Glaubt sie im Ernst, dem Kreuz Jesu von Nazareth und seinem Leben auch nur entfernt verpflichtet zu sein und nicht dem viel geliebten „Gott – Kapitalismus“? Dient diese, dem Kreuz Jesu so gewogene Regierung den Leidenden, den Armen, den Obdachlosen? Sorgt sie für Gerechtigkeit, für bezahlbare Wohnungen für die viel besprochenen Familien, hilft sie umfassend, dass Flüchtlinge schnell integriert werden, kämpft sie gegen Antisemitismus und Rassismus und Homophobie?

6.
Diese ganze Kreuzes – Aktion ist letztlich nur eine Art ideologische Vernebelung, ein Ausdruck für die wiedererwachte „abendländische Gesinnung“. Sie war ja immer schon sehr kämpferisch … gegen alle “Andersdenkenden“, gegen Muslims und auch – Juden! Die Kreuzzüge einst waren nichts als eine lange Gewaltgeschichte…
7.
Die vielen Kreuze nun in Bayerns Amtsgebäuden sind ein Ausdruck für die rechtslastige Wende nicht nur in Bayern, die AFD hätte auch auf diese Idee kommen können.

8.
Die Oberammergauer Schnitzer können sich freuen, sie haben jetzt genug zu tun, wo doch die nächsten Passions – Spiele erst in ein paar Jahren wieder stattfinden. Aber vielleicht sind die Schnitzereien aus Oberammergau letztlich doch zu teuer für alle diese bayerischen Amtsstuben. Und die CSU/Aiwanger Regierung greift auf billige Massenware zurück, am besten in China produziert.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

……

Kommentar: Veröffentlicht in “Dom Radio” am 20.12.2023:

Kirchenrechtler kritisiert Gerichtsurteil zum Kreuz-Erlass

Neutralitätswidriges Erscheinungsbild des Staates

Der Göttinger Kirchenrechtler Hans Michael Heinig hat sich kritisch über das Urteil zum bayerischen Kreuz-Erlass geäußert. Er halte die Entscheidung in der Begründung und im Ergebnis für falsch.

Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig entschied am Dienstag, der sogenannte Kreuz-Erlass der bayerischen Landesregierung verletze weder die Weltanschauungsfreiheit noch die staatliche Neutralitätspflicht.

Heinig sagt, die Religionsfreiheit vermittele in Zusammenhang mit dem Verbot religiös-weltanschaulicher Diskriminierung einen Anspruch auf eine neutralitätsgerechte Selbstdarstellung des Staates. Dieser Anspruch werde aber im Falle der bayerischen Behördenkreuze verletzt, weil der Staat sich hier des Zentralsymbols des Christentums bemächtige und es profanisieren wolle. Denn im Erlass sei das Kreuz bloßer Ausdruck der kulturellen Prägekraft des Christentums und werde in den Behörden zur Schau stellt.

Anspruch auf Gleichberechtigung

Heinig betont, entscheidend sei nicht die Intensität der Konfrontation für Besuchende, “sondern das – von einem verständigen Empfängerhorizont aus betrachtet – neutralitätswidrige Erscheinungsbild des Staates”, das eine Religionskultur demonstrativ heraushebe und damit den Anspruch auf gleichberechtigte Achtung aller Bürger verletze. 

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte 2018 den Kreuz-Erlass auf den Weg gebracht. Demnach soll im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung des Bundeslandes gut sichtbar ein Kreuz angebracht werden. Dagegen hatte der religionskritische Bund für Geistesfreiheit in München und in Bayern geklagt.

 

 

Die Zerstörer der Demokratie in den USA: Weiße, nationalistische Evangelikale.

Die mächtigen und gefährlichen christlichen Unterstützer von Donald Trump.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.12.2023

1. Zur Einstimmung:

Die „weißen evangelikalen Nationalisten der USA“ zerstören die Demokratie in den USA und darüberhinaus. Sie wollen eine Theokratie errichten. Ihr hoch verehrter Mr. Trump soll ab 2024 wieder herrschen. Das ist keine „Verschwörungstheorie“, sondern die objektive Erkenntnis von demokratisch gesinnten Religionswissenschaftlern und Politologen in den USA. (Ein Hinweis auf eine wichtige Studie: siehe Fußnote 1).

Zerstörerische Fundamentalisten sind also nicht nur in islamistischen Kreisen (und anderen Religionen mit ultra-orthodoxen Tendenzen) zu finden. Auch ein rechtsextremer christlicher Glaube ist gefährlich für die Menschheit, für alle, die niemals auf Demokratie und Geltung der Menschenrechte verzichten wollen.

– „Wenn Trump wiederkommt, dann bleibt er für immer. Die USA würden in eine Diktatur hinein schlaf-wandeln.“ Sagt Liz Cheney, Politikerin der Republikaner und Tochter des früheren US-Vizepräsidenten Dick Cheney. (Quelle: BR, 16.12.2023)

– „Die Vorstellungen, wie eine zweite Amtszeit Donald Trumps ausfallen könnte, reichen von schlimmen Szenarien bis hin zu ganz schlimmen Szenarien.“ Sagte der USA-Politik-Experte Thomas Jäger (UNI Köln). (Quelle: ebd.)

– “Was würde eine zweite Amtszeit von Donald Trump für die USA bedeuten? In der Debatte gibt es jene Analysten, die eine Diktatur vorhersagen und jene, die Anarchie erwarten. Alle sind sich einig, dass die Politik eines weiteren Trump-Mandates ganz anders aussieht  als die erste” . (Rosa Balfour, Direktorin des Thinktanks Carnegie Europe, in: Tagesspiegel 21.Dez. 2023, Seite 8).

2. Die Verehrer und Förderer von Mr. Trump

Es sind die „weißen Amerikaner“ mit ihrem festen fundamentalistischen Glauben, die Evangelikalen, die die reaktionäre, antidemokratische Politik Mr. Trumps und seiner Republikaner heftig förderten und jetzt wieder versuchen durchzusetzen.
Wer sind Evangelikale im allgemeinen?
Zu ihnen gehören etwa 650 Millionen Christen weltweit, so Thomas Johnson, Autor des Films „Die Evangelikalen in der Eroberung der Welt“ (Quelle: RFI, 24.1.2023).
Für die Evangelikalen ist die Bibel das wichtigste Buch der Bücher, dem es inhaltlich wortwörtlich zu folgen gilt. Taufen finden bevorzugt im Erwachsenenalter statt, erst dann kann der Mensch erkennen: Die Evangelikalen sind die treibende Kraft der christlichen Mission. Und ihrer rechten politischen Mission wollen diese Frommen absolut dienen. Auch die Mega-Churches in den USA und viele „Pfingstgemeinden“ („Pentecostals“) mit ihren Mitgliedern aus der Latino – Community sind theologisch evangelikal bestimmt.

3. Eine lange Tradition:

Seit etwa 1945 sind die Evangelikalen in den USA politisch wirksam, vor allem seit den Zeiten des international äußerst umtriebigen Predigers Billy Graham. Evangelikale haben auch Ronald Reagan an die Macht gebracht und auch George W. Bush sowie danach … Mr. Trump. Weiße, nationalistische Evangelikale waren „von zentraler Bedeutung für die Organisation von Christen, die bei der Erstürmung des Capitols am 6. Januar 2021 auftauchten und auch spirituelle Kriegsführung betrieben“, so der Religionswissenschaftler Matthew D. Taylor (zit., siehe Fußnote 1)

4. Evangelikale wählen Trump

Angesichts derWahlen in den USA 2024 am 5. November 2024 muss besondere kritische Aufmerksamkeit den Evangelikalen in den USA gelten, ohne dabei das antidemokratische Verhalten der Evangelikalen in Brasilien (Bolsonaro!), Chile, Guatemala, Nigeria etc. zu vernachlässigen.
Etwa ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung versteht sich als „evangelikal“. 2020 haben 78 Prozent der weißen Evangelikalen für Trump gestimmt, 17 Prozent der weißen Evangelikalen für Biden. Atheisten und Agnostiker haben zu 11 Prozent für Trump gestimmt, 83 Prozent für Biden. 44 Prozent aller Katholiken haben für Trump gestimmt, 51 Prozent für Biden. (Source: Survey of U.S. adults conducted Sept. 30-Oct.5, 2020).

5. Lobbyarbeit

Mr. Trump genießt auch jetzt, Ende 2023, das absolute Vertrauen der Evangelikalen, selbst und wenn oder gerade weil Prozesse gegen ihn geführt werden. Diese Prozesse offenbaren den „bösen Staat“… In Iowa (Cedar Rapids) wurde er kürzlich stürmisch gefeiert: Trump sei der einzige, der eine gute Arbeit leiste. „Wir glauben, dass er die Salbung Gottes erhalten hat“, so der Evangelikale Stan Herndon (Quelle: La Croix, Paris, 14.12.2023). Es gibt zahllose Trump – Unterstützer Vereine, wie etwa das „Renewal Project“ , das evangelikale Pastoren vereint, die für Trump eintreten wollen. Der wichtigste Lobby-Verein für Trump ist sicher die „Alliance Defending Freedom“…
Der Republikaner Ron DeSantis (Florida), auch er ein Reaktionärer, hat demgegenüber eher schlechte Aussichten für eine evangelikale Unterstützung zum Präsidentenamt…

6. Die Forschungen von Sarah Posner

Zur Bedeutung der US Evangelikalen zumal für die erste Präsidentschaft von Mr. Trump hat die bekannte Investigative – Journalistin und Autorin Sarah Posner (sarahposner.com) eine viel beachtete Studie veröffentlicht: Der Titel: „Unholy“. Der präzise Untertitel: „How White Christian Nationalist powered the Trump Presidency, and the devasting legacy they left behind“. Das Buch ist im Verlag Random House, New York, im Jahr 2020 erschienen.
Die ausführliche Recherche von Sarah Posner handelt von der Geschichte und dem Aufstieg Mr. Trumps. Diese Evangelikalen haben dabei einen Präsidenten an die Macht gebracht, der im allgemeinen als der „gottloseste US – Präsident der jüngeren Zeit“ bezeichnet wird. (https://www.nzz.ch/feuilleton/evangelikale-in-den-usa-woher-ruehrt-ihr-grosser-einfluss-ld.1695702)

7. „Demokratie ist nicht immer gut“

Über die jüngsten Entwicklungen hat die Spezialistin für diese Fragen Annika Brockschmidt, in der „Zeit“ („Christ und Welt“, am 7. Dezember 2023 S.4) einen wichtigen Beitrag verfasst. Sie erinnert an Mike Johnson etwa, er sagte 2019 in einer Baptistenkirche in Louisiana: „Ihr wollte nicht in einer Demokratie leben. Herrschaft der Mehrheit nicht immer eine gute Sache“. (S. 4). Annika Brockschmidt kommentiert: „Mike Johnson ist ein Vertreter einer radikalen theologischen Tradition, die einen Gottesstaat anstrebt.“
Seit dem 25. Oktober 2023 Ist Johnson Sprecher des Repräsentantenhauses der USA!

8. Gegen die säkulare Gesellschaft

Sarah Posner zeigt, dass diese geradezu hysterische Verehrung für Trump durch die Evangelikalen das Ergebnis intensiver politischer und religiöser Lobbyarbeit seit fünf Jahrzehnten ist. Die Autorin erinnert an den Einfluss, den in der Frühzeit der Religiösen Rechten etwa Paul Weyrich (1942 – 2008) spielte, er ist u.a. der Mitbegründer der einflußreichen konservativen „Heritage Foundation“.
Zwei typische Zitate zur Ideologie von Paul Weyrich:

– „Wir unterscheiden uns von früheren Generationen von Konservativen… Wir arbeiten nicht mehr daran, den Status quo zu erhalten. Wir sind Radikale, arbeiten daran, die gegenwärtige Machtstruktur dieses Landes zu kippen.” (Quelle: Soloma, John. Ominous Politics: The New Conservative Labyrinth (1984), Hill and Wang Publ., New York).

– Und: „Der wahre Feind ist die säkulare humanistische Denkweise, die alles zerstören will, was in dieser Gesellschaft gut ist.“ (Quelle: Freedom Writer, Institute for First Amendment Studies, October 1995).
Erstaunlich ist, dass Weyrich römischer Katholik war, allerdings wechselte er später zu der mit Rom verbundenen, aber eigenständigen konservativen libanesischen Kirche der Melkiten. Sie erschien ihm nicht als so progressiv wie die offizielle römisch – katholische Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil.

9. Evangelikale wollen eine Theokratie

Die Evangelikalen wollen Gott, ihren Gott, in den absoluten, den alles bestimmenden Mittelpunkt der Politik des Weißen Hauses stellen, sie sind Theokraten. Und das heißt konkret: Die uralten Werte und der fundamentalistisch verstandene christliche Glauben bzw. die Weisungen der Bibel sollen auch politisch herrschen. Also: Absolutes Abtreibungsverbot; Diskriminierung aller Forderungen von „LGBTQ – Menschen“.
Dabei ist es diesen sich sonst so religiös – moralisch gebenden Evangelikalen egal, dass ihr hochverehrter Mr. Trump dreimal verheiratet war, dass er sexuell äußerst freizügig lebt, dass er wegen etlicher Verbrechen angeklagt ist usw.
In Trump glauben die weißen Evangelikalen endlich einen Präsidenten zu haben, der ihre eigenen Ziele definitiv durchsetzt: Gott soll herrschen im Weißen Haus – und zwar durch seinen Gesandten, Mr. Trump. Wie stolz waren die Evangelikalen, als sie im Juli 2017 Trump im Oval Office des Weißen Hauses segnen und für ihn beten durften. Wenn schon Trump selbst nicht religiös oder christlich ist, so freut er sich doch offensichtlich – abergläubisch ?- über einen himmlischen Beistand durch Bittgebete der Evangelikalen. (Siehe auch: https://www.welt.de/politik/ausland/article166594384/Gebet-im-Oval-Office-Pastor-legt-Trump-die-Hand-auf.html) (Im Buch von Sarah Posner: S 247.f.)

10. Die Feinde der Demokratie

Sarah Posner schreibt: „Die weiße evangelikale und nationalistische Trump-Basis ist zutiefst ungläubig: Das heißt: Diese Evangelikalen glauben nicht an die Realität, nicht an die Wahrheit, nicht an die Demokratie. “ (S. 267). (Übersetzung: C.M.)

11. Was sagen die Kirchenzentralen der Evangelikalen in Deutschland über ihre Glaubensbrüder/-schwestern) in den USA und deren Kampf für TRUMP?

Soweit wir in der Zeitschrift der Evangelikalen in Deutschland, der Zeitschrift „EINS, dem Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland“, sehen können, gibt es keine öffentliche und veröffentlichte Abgrenzung der deutschen Evangelikalen von den USA Evangelikalen und ihrem Kampf für Trump. (Siehe auch: https://ead.de/). Ist es peinlich, sich mit diesen „Glaubensbrüdern“ in den USA auseinanderzusetzen?

……….

Fußnote 1:
„In Gottes Namen“, ein aktuelle Studie über die radikale Rechte vor allem der weißen Evangelikalen. In „Die Zeit“, Beilage „Christ und Welt“ vom 7. Dezember 2023, S. 4, ein Beitrag von Annika Brockschmidt, Autorin des Buches „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“. Rowohlt Verlag 2021, 3. Auflage 2022. 416 Seiten, Paperback, 16 Euro.

Fußnote 2:
Man weist zurecht darauf hin, dass an der Basis der katholischen Kirche, zumal im globalen Süden, sehr viele praktische Initiativen zeigen: Diese Katholiken (oft Ordensleute, viele „Laien“) wollen die Menschenrechte praktisch verteidigen, etwa in der Unterstützung von Flüchtlingen und Obdachlosen. Siehe etwa den Hinweis auf Kardinal Ramazzini, Guatemala. LINK.
……….

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Weihnachtslieder: Verstehen wir, was wir da singen?

Über ein „Opium des Volkes“ und ein „Opium für das Volk“.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Die meisten Lieder zur Weihnachtszeit dienen der kurzfristigen Verzauberung der elenden Wirklichkeit. Wer diese “entrückten Momente” des Wegtretens in eine Traumwelt angemessen und betäubend – hilfreich findet, kann die Lieder selbstverständlich singen. Diese SängerInnen sollen nur nicht meinen, mit dem Wachrufen kurzer Verzauberungen hätten sie verstanden, was die humane Botschaft Jesu von Nazareth ist, schon gar nicht darf diese (!) Verzauberung als Vorschein der messianischen Welt gedeutet werden.

1.
Darf man Lieder gedankenlos singen? Wahrscheinlich. Wie viele dumme Schlager und Songs werden mitgesungen, ohne dabei auf den Inhalt dieser so genannten „Poesie“ zu achten.. Singen macht offenbar vielen Menschen einfach nur Spaß, sie lieben halt mehr die Melodien als den Inhalt. Die süßen oder manchmal harten Klänge wecken dabei diffuse Erinnerungen an die Kindheit, die Jugend, da singt und summt man gerne mit und versinkt im „einst“.

2.
Das gilt auch für die Weihnachtslieder, die seit Ende November allerorten erklingen, auf den Weihnachtsmärkten, als akustische Dauerberieselung auch in Kaufhäusern und „shopping – malls.“

3.
Und viele Weihnachtssongs sind auch Kirchen – Lieder, manchmal noch „Choräle“ genannt; sie werden eben auch in Gottesdiensten gesungen: Etwa „Stille Nacht“. Oder „Es ist ein Ros entsprungen“ oder „O du fröhliche…“ „Vom Himmel hoch“, singen wir mit dem Engel, der Frieden verheißt (aber nicht realisiert).

4.
Diese Songs kann man gedankenlos mitsingen und mit-summen oder die Musik an den Ohren kurz vorbei rauschen lassen, vielleicht mit einer Träne im Auge und mit dem Gedanken „Ach, wie schön war doch die Kindheit“…

5.
Diese Erinnerung ist manchmal auch eine Regression, sie beruhigt kurzfristig in diesen verrückten Zeiten („Nicht nur Religion, auch Musik als Opium des Volkes“…).

6.
Aber einige Menschen können sich und sollten sich nachdenklich und kritisch die Frage stellen: Was singe ich da eigentlich im Advent und zu Weihnachten, welche Bedeutung haben die Worte der Lieder?

7.
Kurz zusammengefasst: In den meisten üblichen kirchlichen Weihnachtsliedern wird eine Gestalt des christlichen Glaubens beschworen und verbreitet, den man heute theologisch als hoch umstritten, sogar als irreführend, falsch, als „von vorgestern“ bestimmen sollte. Diese Texte sagen einen christlichen Glauben aus, den ein vernünftig Glaubender heute (und den Typ des Glaubenden gibt es vielleicht noch) nur noch als historische Erinnerung deuten kann.

8.
Im wichtigsten Song zur Weihnachtszeit „Stille Nacht“ heißt es. „Christ, der Retter ist da“. Der Retter soll also „da“ sein, anwesend sein. Hat er als anwesender Retter die Welt verwandelt? Das behaupten ja die Weihnachtslied – SängerInnen.
Aber allein das Bekenntnis zu diesem Retter in der Gestalt des Kindes Jesus rettet eben gar nicht. Das Lied führt in die Irre, weckt falsche Hoffnungen: Denn der Retter ist erst da, erst dann wirksam, wenn Menschen anfangen, diesem Menschen Jesus, dem Weisheitslehrer, praktisch zu folgen und selber Frieden schaffen, selber Gerechtigkeit schaffen und nicht tränenreich singen: Wie schön, „der Retter ist da“, der wird’s schon machen.

9.
In dem katholischen Weihnachtslied „Heiligste Nacht“ (Kathol. Gesangbuch für das Erzbistum Berlin Nr.806) heißt es in der 2. Strophe: „Was uns der Sündenfall Adams geraubt, schenket uns deine Huld, sie tilgt die Sündenschuld, jedem, der glaubt“.
Da wird das uralte theologische Zentrum sehr vieler kirchlicher Weihnachtslieder ausgesprochen: Erlösung durch das Kind in der Krippe ist Befreiung von der Erbsünde, die Adam und Eva begangen haben, so der Mythos aus dem biblischen Buch Genesis. Diese Erbsündenlehre ist inzwischen als theologische Ideologie entlarvt worden, dazu gibt es stapelweise theologische Studien LINK, aber diese Ideologie wird immer noch behauptet von den Kirchenführungen und….zu Weihnachten besungen. Wäre diese Erbsünde besiegt, wäre wohl die Menschheit in einem besseren Zustand. Nein: Die Welt wird nur besser, wenn die Menschen gerecht handeln, und das könnten sie, das sollten sie, die Menschenrechte sind formuliert, aber sie bleiben Papier. Und die Weihnachtssänger schalten lieber Ihre Vernunft aus und singen: Das Jesuskind tilgt die Erbsünde … wie soll man bloß solch einen „Glauben“ bezeichnen?

10.
Auch in dem Lied „Es kam ein Engel hell und klar“ (Kath. Gesangbuch Nr. 138, 4. Strophe) heißt es im traditionellen Sinne der Befreiung von der Erbsünde. „Christ, unser Gott (sic!) der will euch führen aus aller Not … und von allen Sünden machen rein.“

11.
Die meisten dieser kirchlichen Weihnachtslieder verwirren den Geist, führen sozusagen in spinöse seelische und geistige Regionen, in Denkwelten, die Märchenwelten sind. Manche sagen ja: Märchen helfen, Märchen heilen. Aber sie erzeugen eben faktisch Märchenwelten.
Wie sieht denn die Bilanz der Weihnachtsfeste seit ca. 1.700 Jahren aus? Wie die Bilanz der tränenreich gesungenen Weihnachtslieder? Es ist evident: Nicht sehr viel Gutes hat das Singen dieser Songs faktisch, überprüfbar, bewirkt, nicht viel für den Frieden getan, für die Gerechtigkeit. Hilfosigkeit als auch zu Weihnachten.
Bezeichnenderweise werden zu Weihnachten Spenden gesammelt von uns Reichen und Superreichen, um durch Spenden das Elend der Armen zu mindern,. Nicht gerechte Politik ist DAS Weihnachtsthema, sondern Spenden, lächerlich geradezu.

12.
Noch einmal: Die Liste einer theologisch – kritischen Betrachtung der üblichen Weihnachtslieder in beiden so genannten Volkskirchen in Deutschland ließe sich fortsetzen. In diesen Liedern wird ein illusorischer, ein ideologischer vergifteter (Erbsünden-) Glaube besungen, den die Menschen am Heiligabend einfach so mitsingen und irgendwie übernehmen. Wer in seinem Leben mindestens 20 mal Heiligabend Gottesdienste und Messen besucht und diese und andere Songs gehört hat, entwickelt einen naiven, einen unreifen Glauben. Die übliche Form der Weihnachtsgottesdienste kann also für die religiöse, seelische Reifung gefährlich sein.

13.
Man könnte ja auch die Texte des Weihnachtsoratoriums von J.S. Bach analysieren, was da so alles inhaltlich gesungen wird. Aber in dem Fall verhält es sich wohl so wie mit Opern und Operetten: der Text ist eigentlich egal, Hauptsache die Musik stimmt. Und die Musik stimmt bei Bach.

14.
Was also ist Weihnachten für uns als Menschen, die auch zu Weihnachten nicht unsere Vernunft und das kritische Nachdenken auf Eis legen?
Es ist die Geburt eines Weisheitslehrers, der viel Richtiges und Wegweisendes sagte: Liebe zuerst! Gerechtigkeit zuerst! Frieden zuerst. Menschenrechte sind etwas Heiliges. Sie sollten also in den Gottesdiensten gelesen und besprochen werden. Und: Respekt für einen transzendenten Grund allen Seins, der Güte ist und nicht auf sture Befolgung von irgendwelchen Gesetzen Wert legt.
Jesus von Nazareth ein Weisheitslehrer also, der sein Leben hingab im Dienst an der Gerechtigkeit. Und der Menschen ermuntert, seinen Inspirationen, zusammen mit anderen humanen Inspirationen anderer Weisheitslehrer, zu folgen…

Das wäre schon alles, was an Weihnachten zu sagen und singen ist. Aber das als Realität einmal zu erhoffen, ist eine Utopie. Die meisten Menschen und mit ihnen die Kirchen lieben aufgrund der langen üblichen, erstarrten Weihnachtstraditionen das Trallala, den Rausch, das Absinken in ferne Welten der Regression zu Weihnachten. Opium halt. Begleitet vom Konsum – Rausch derer, die mit viel Geld Überflüssiges kaufen. Und manchmal etwas spenden. eher

15.
Der berühmte niederländische Theologe und Poet Huub Oosterhuis aus Amsterdam (+ 2023) hat auch Weihnachtslieder und Weihnachtsgedichte geschrieben, die für ein reifes, kritisches religiöses Bewusstsein sagbar und singbar sind. Oosterhuis hat leider auch in Holland nur eine eher begrenzte Aufnahme, zumal in katholischen Kreisen, gefunden, in Deutschland kennt man ihn auch nicht angemessen. In dem Buch „Du Atem meiner Lieder“ (Herder Verlag, 2009) heißt ein schönes Weihnachtslied von Huub Oosterhuis:

„Jesus, Kind aus Nazareth,
Liebe, sagst du, lässt sich tun,
Wirk in uns, dass wir dich tun, leucht in uns, dass wir dich sehn!

Dass wir unser Leben leben,
Dass wir tun, was nötig ist: Rechte für jedes Menschenskind, Brot für jedes Kind von Menschen
Eine neue Welt in Frieden und der Tod wird nicht mehr sein…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Bittgebete: Sinn und Unsinn!

Ein Hinweis von Christian Modehn in Zeiten von Kriegen und Vernichtung. Am 2.12.2023.

Einen Kommentar zu diesem Text, verfasst von Heinz G. Liberda, lesen Sie bitte am Ende dieses Hinweises.

1.
Angesichts der vielen politischen Katastrophen, der Kriege, der Zerstörungen, von Politikern inszeniert, sind die Menschen meist sehr hilflos. Sie haben es wie so oft versäumt, in Zeiten, als die Waffen schwiegen, Friedenszeiten genannt, für den Erhalt des Friedens zu arbeiten, Friedenspädagogik zu leisten, Politikern auf die gierigen Finger zu schauen bzw. diese zur Vernunft zu rufen. Auch jetzt stehen die Menschen hilflos da. Oder sie protestieren auf der Straße. Immerhin, ein Zeichen des Widerspruchs, aber mehr wohl nicht.

2.
Fromme Leute, etwa Christen, sehen sich in solchen Situationen der politischen, ökonomischen oder klima-bedingten Hilflosigkeit oft spontan gedrängt, einen letzten Helfer zu mobilisieren: Den als Person gedachten Gott (Vater) im Himmel. „Manchmal hilft nur noch Beten“, heißt es dann oft in einem populären, aber nicht klugen Spruch.

3.
So auch in diesen Wochen des Krieges der Hamas gegen Israel und der folgenden Antwort der Regierung Israels als Krieg gegen die Hamas. In dieser Situation fordert der Papst, fordern Bischöfe, Theologen, zum Beten, zum Bitten, auf. DOM – Radio Köln etwa berichtet am 29.Oktober 2023: „Nach dem gemeinsamen Friedensgebet im Kölner Garten der Religionen mit Vertretern von Christen, Juden und Muslimen äußert sich Kardinal Rainer Maria Woelki zum Krieg im Heiligen Land. Gebete, betont er, seien stärker als alle Waffen.“ Er behauptete in seinem frommen Überschwang (oder auch in seiner theologischen Hilflosigkeit!) weiter: „Wir können nur den Himmel bestürmen, dass Gott ein Einsehen hat und unsere Herzen aus Stein erweicht und uns Herzen aus Fleisch gibt, die Herzen aus Liebe werden und die Herzen zum Frieden führen…Wo wir als Menschen darüber hinaus eben nicht mehr weiterkommen, und dies scheint mir zum Beispiel so eine Situation zu sein, da bin ich wirklich davon überzeugt, dass das Gebet im Letzten stärker ist als alle Waffen.“

4.
„Gebet ist stärker als Waffen?“ Das setzt aber voraus: Gott hat stärkere Waffen, wenn wir ihn im Himmel denn bestürmen… Dann greift er als Gott direkt ein und schafft Frieden. Aber die Wahrheit ist: Gott als Gott hat noch nie in diese Welt eingegriffen, geschweige als Gott direkt Kriege beendet.

5.
Es ist also vom vernünftigen Denken her, der Gabe des schöpferischen Gottes an die Menschen, undenkbar und unmöglich, an dieser durchaus klassisch zu nennenden , immer wieder aufgewärmten Gebetstheologie und Bittgebets-Theologie festzuhalten.

6.
Sind Bittgebete also sinnlos und unvernünftig? Nicht unbedingt, wenn wir denn Beten und Bitten als menschliche Aktion verstehen, also als Selbstgespräch, als Poesie, als meinen „Lebenstext“: Ich spreche in stammelnden, suchenden Worten meine Situation aus, spreche meine Verzweiflung aus, meine Hoffnungslosigkeit: Und dies sage ich als Poesie, als „meinen“ Text, möglicherweise auch anderen, Freunden, Verwandten, in der Gruppe einer Gemeinde, in einem philosophischen Salon…

7.
Und was bedeutet dann Bittgebet als meine Poesie, mein Gedicht, mein „Lebenstext?
Ich sehe meine Situation und die Situation der Welt klarer, ich versinke nicht in Sprachlosigkeit, verbleibe als nicht ohne Reflexion. Und wenn ich christlich geprägt bin oder nach dem Glauben suche: Dann weiß ich: Die göttliche Schöpferkraft, der Ewige, der Unendliche, wie auch immer, lässt trotz des Wahns der Menschheit die Menschen nicht fallen, auch mich nicht, auch dich nicht. Diese Spiritualität ist vernünftig. Aber das ist dann alles: Es geht um das sich Einfühlen und Eindenken in eine metaphysische Geborgensein. Die kann einem niemand nehmen.

8.
Dabei wissen diese aufgeklärt, nachdenklichen Frommen: Kriege sind Taten der Menschen, der Politiker, der Nationalisten, der religiös verrückt gewordenen Fundamentalisten. Kriege sind also Ausdruck einer irregeleiteten Freiheit von Menschen, die sich zu Verbrechern entwickelt haben. Diese menschliche Freiheit ist „Gottes“ Gabe an die Menschen. Was wäre denn, wenn Er/Sie die Menschen nicht frei, auch frei zum Tun des Bösen, geschaffen hätte? Dann wären die Menschen eben Tiere. Und die folgen nur ihren Instinkten, sie sind nicht umfassend frei und kreativ.

9.
Können wir also noch Beten und Bittgebete sprechen? Solange fromme Leute mit ihren Gebeten und mit ihrem Glauben nicht andere schädigen, kann jeder und jede glauben was er/sie will. Aber vernünftig ist unserer Meinung nur: Gebete und Bittgebete sind meine Lebenspoesie, die mir mein Leben – auch angesichts des Unendlichen und Ewigen – deutlich macht. Die göttliche Schöpferkraft ist – religionsphilosophisch gesehen – in uns, dort haben wir sie zu pflegen und nicht einen Himmel zu bestürmen. Gott im Himmel zu bestürmen, umstimmen zu wollen, bestimmen zu wollen, ist anmaßend und theologisch dumm und dreist und human letztlich hilflos. Nur Kardinäle, denen nichts hillfreich Politisches einfällt, fordern zum „Bestürmen des Himmels“ auf…Sie fordern damit zum Aberglauben auf. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

………………

Ein Kommentar zu diesem Beitrag von Heinz G.Liberda:

“Wie jemand zum Bittgebet steht, hängt oft mit seinem Gottesbild zusammen und dieses
wiederum mit dem „Seelenkostüm“ des Betreffenden, seiner psychologischen Entwicklung.

Wenn wir uns Gott unbegrenzt vorstellen, durch nichts eingeschränkt, dann sind auch sehr
viele Gottesbilder möglich – neben dem eines überpersönlichen Gottes ebenso gut das
biblische Bild vom Vater, der Bitten „hört“ (aber nicht zum „Erhören“ gezwungen werden kann).

Wenn ein erwünschtes Ereignis eintrifft, um das gebetet wurde, dann kann das als Gebetserhörung
geglaubt werden. Nur, das gewünschte Ereignis hätte auch, unbeweisbar, ohne Bitte eintreffen können.
Aber wer glaubt, dass seine Bitte erhört worden ist, kann Gott gegenüber dankbare Freude empfinden.

Wenn nach katastrophalen Ereignissen – wie z.B. den Atombombenabwürfen 1945 („Theodizee“) –
gebetet wird/wurde, dass so etwas nicht nochmals geschieht – wie Gott sei Dank bis jetzt(!) – ist das
eine Gebetserhörung? Liegt jemand nachweisbar falsch, der das glaubt?

Zuletzt eine wichtige Bitte: „Lieber Gott, lass´ alle Menschen – ob sie darum gebetet haben oder nicht –
ein Jenseits erleben, in dem sich Bittgebete erübrigen.“

H. G. L. 18.12.2023