Für eine erste gesamtökumenische Enzyklika: Ein Plädoyer von Pfarrer Manfred Richter, Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn. Veröffentlicht am 2. Oktober 2017

Ende Oktober 2017 geht die „Dekade“ zu Ende, in der die Menschen nicht nur in Deutschland eingeladen wurden, der Reformation zu gedenken. In den Zusammenhang passt als kritischer Impuls sehr gut Ihre neue, umfangreiche und gut von den Quellen her belegte Studie, die Sie im Untertitel zurückhaltend „“Essay zum Ökumenismus“ nennen. Darin fordern Sie eine „Erste Gesamtökumenische Enzyklika“, also ein Lehrschreiben, das von allen christlichen Kirchen verfasst und unterzeichnet wird und in den je eigenen Gemeinden verbreitet werden kann. Was sollte der wesentliche Inhalt einer solchen, geradezu sensationellen ökumenischen Enzyklika sein?

   Das Faktum selbst sollte die erste Botschaft sein: Es gibt Aussagen unseres Glaubens, die wir von nun an gemeinsam aussprechen wollen, weil wir sie teilen. Diese „gesamtökumenische“ Enzyklika, also ein Lehr-Rundschreiben oberster kirchlicher Repräsentanten (etwa der konfessionellen Weltbünde, des ÖRK und des Vatikan) gemeinsam, sollte die Bereitschaft kundtun, das ernst zunehmen und umzusetzen, was bislang alle Kirchen als ihren Willen schon erklärt haben: vertiefte Gemeinschaft zu leben in Wort und Tat, soweit keine gewissensmäßigen Hindernisse mehr im Wege stehen. Das ist gerade bei den grundlegenden Fragen der Fall: Wir sprechen das gleiche Vaterunser, bekennen das gleiche Glaubensbekenntnis, haben die gleiche Heilige Schrift und wissen alle, was das höchste Gebot ist: die Gottes- und die Nächstenliebe.

Nun liegen seit vielen Jahren viele theologische Studien vor, die den tatsächlich schon gegebenen Konsens der bisher getrennten Kirchen beschreiben. Warum folgen die Kirchenleitungen, vor allem die römische Kirche, nicht diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Ist es Ignoranz oder verbissener klerikaler Machterhalt?

   Der hier von Ihnen genannte Konsens, der in den strittigen Hauptfragen im Weltrat der Kirchen gemeinsam mit Rom weltweit und auch besonders in Deutschland gefunden wurde, besagt in der Tat, dass dieses Wort von einst: „Wir verwerfen die falsche Lehre …“, nämlich der jeweils anderen, so heute zwischen unseren Kirchen nicht mehr gilt. Überall hat sich das Bewusstsein verändert, durch Einsicht in eigene Versündigungen und unverantwortliche Verweigerungen untereinander; durch theologische Aufklärung und nicht zuletzt durch die Erfahrung der Herausforderungen der Zeit, besonders der verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten und Bolschewiken – Hier entstand die Una-Sancta-Bewegung:„Wir glauben an die Eine Heilige Kirche“ in den Gefängnissen und Kriegsgefangenenlagern.. Sicher gibt es nicht wenig Mentalität „klerikaler Machterhaltung“, wie Sie sagen – das muss jede Kirche bei sich selber prüfen. Doch müssen auch die Gewissen geachtet werden, denen diese neueren Einsichten noch fremd sind, nachdem in den Kirchen fünf Jahrhunderte lang die gegenseitige Verurteilung gepredigt wurde. Und ängstlichere Gemüter, auch in Leitungsgremien, die sich an alte Auslegungen überlieferter Formeln gebunden sehen, statt sie geistbewegt neu zu denken, müssen gewonnen werden. Es soll nicht zu neuen Spaltungen kommen.

Was wäre der neue Aspekt und der neue Inhalt einer ersten gesamtökumenischen Enzyklika?

   Aufgrund des wechselseitigen Sich-Kennenlernens in nun mehr als hundert Jahren ökumenischer Bewegung zwischen den Kirchen der Protestanten und der Orthodoxen, und seit mehr als 50 Jahren auch mit der römisch-katholischen Kirche ist ein grundlegendes Vertrauen zwischen den einstigen Feinden gewachsen. Man versteht besser, wie und warum die anderen auf andere Weise glauben – und dass wir oft Gleiches oder Ähnliches meinen, wenn auch in anderen Worten oder Strukturen und Gebräuchen. Und man fängt an, zu erkennen, dass es dabei, wie schon im Neuen Testament selber und in der Kirchengeschichte immer, Unterschiede gab und geben darf, wie überall in menschlichen Kulturen. Daher kann jetzt, meine ich, ein gemeinsames Wort gewagt werden, welches das ausspricht: Tausend Jahre Feindschaft zwischen Christen im „Westen“ und „Osten“ der Christenheit ist genug, und 500 Jahre Feindschaft innerhalb der „lateinischen“ Kirche des „Westens“ sind genug: Alle einstigen Reformationsansätze blieben unvollendet. So müssen wir öffentlich bekennen, dass wir gemeinsam an das „aggiornamento“(die erneuernde Anpassung) des Christentums für sein drittes Jahrtausend herangehen müssen. Das muss eine Botschaft an die Gläubigen nach „Innen“ sein, um die Widerstände aus Gewohnheit zu überwinden. Sie muss aber ebenso nach „Aussen“gerichtet sein: wie soll sonst die christliche Versöhnungsbotschaft in einer Welt voller Machtkonflikte zwischen Religionen und Ideologien glaubwürdig sein? Daher sollte ein Schwerpunkt liegen bei der im Kern für Christen gemeinsamen sozialethischen Botschaft zu den so missachteten Menschenrechten und zur Bewahrung der bereits in hohem Masse bedrohten Schöpfung.

Warum sind Ihrer Meinung nach immer noch theologische Dokumente, Papiere, Studien, Enzykliken überhaupt notwendig, um die Einheit der Christen zu fördern?

Der Streit der Konfessionen wurde durch Theologien und ihre Ausformulierungen in Recht setzenden Dokumenten ausgefochten, welche jeweils die „Anderen“ ausgrenzten, verurteilten oder gar der Hinrichtung preisgeben. Daher muss diesen Theologien und ihren Dokumenten, wenn sie sich absolut setzen, der Giftzahn gezogen werden. Sie müssen auf den Status von Teil-Ansichten zurückgeführt werden, die einer umfassenderen Wahrheit und einer tiefer gegründeten christlichen Praxis dienlich werden müssen.  

Was verstehen Sie unter der Einheit der Christen und der Kirchen?

   Eine bunte Vielfalt lebendig gelebter christlicher Traditionen, die sich wechselseitig bereichern und jeweils selbst relativieren im Blick auf die vielen anderen Möglichkeiten, die christliche Botschaft – das Evangelium – zu leben, und das heißt eben: „Katholisch“ im Ursprungssinne dieses Wortes zu denken und zu glauben, zu beten und zu handeln. Daher sollten unsere Kirchen zunächst eine gemeinsame Stimme finden und kundtun, verständnisvoll miteinander lernend weitergehen in dem, was wir den „konzilaren Prozess“ nennen, um eine neue Form zu finden. Damit ihre großartige universale, eben ihre „katholische“ Gemeinschaft als Kirche auch sichtbar werde – als die gemeinsame geistliche Heimat der Vielen Verschiedenen, die auf dem Wege sind.

 Nun ist die heutige konfessionelle “Landschaft” unter den Christen sehr vielfältig: Man denke etwa an die vielen auch unter sich sehr gegnerischen Pfingstkirchen und an die vielen evangelikalen Bewegungen: Hat dann die Arbeit an der Einheit der Christen noch einen realistischen Bezug?

   Es kostete seit je viel Mühe, den Starrsinn und die Machtanmaßungen geistlicher Führer zu bändigen, großer Theologen oder Päpste ebenso wie von Lokalheroen oder Gurus. Nur die konsequente Einforderung der Selbstrelativierung im Angesicht Gottes und des Nächsten und das unumgehbare Liebesgebot, also die ethische Verantwortlichkeit, werden helfen, Wege zum Miteinander ausfindig zu machen, bei Anerkennung legitimer Unterscheidungen oder Besonderheiten. Der „Weltrat der Kirchen“ (Genf) ist geradezu das Labor dazu. Die Forderung einer uniformen Rechtssetzung für eine künftige Gestalt der Weltchristenheit ist abzulösen zugunsten der Suche nach Formen einer Anerkennung bereits gelebter oder möglicher Gemeinschaft auch recht verschiedener Traditionen auf der Basis von Heiliger Schrift, Credo und Vaterunser – dies, so meine ich, durchaus in neuer Gestalt im Weltmassstab. Ein gesamtchristliches Weltforum ist überfällig.

Was treibt Sie seit Jahrzehnten so an, dass Sie immer leidenschaftlich die versöhnte Verschiedenheit der Christen, also die Versöhnung und die Einheit, fördern und fordern? Ist dieses Engagement auch auf die politische Zerrissenheit der Welt bezogen?

   Meine Taufe war römisch-katholisch. Christ wurde ich, nach gutem Religionsunterricht (einschließlich Augustinus!) lutherisch; meine Wendung zur Theologie verdanke ich Romano Guardini, dem römisch-katholischen Kulturwissenschaftler und Vorkämpfer der Ökumene in NS – Zeiten. Meine Ordination verpflichtete mich der Una Sancta, für die ich in Württemberg und dann in Berlin, hier in einer Kirche der (protestantischen) Union tätig wurde, wo wir bereits in einer einzigen großen und „vielfarbigen“ (Eph. 3, 10) christlichen Gemeinschaft jeglicher Couleur leben. Wie könnte es also anders sein, als für „eine“ Stimme und auch „eine Gestalt“ der Kirche zu kämpfen, damit sie endlich in ihrer welt – bewegenden Botschaft glaubwürdig würde? Erst so, meine ich, könnte sie selbsternannten Potentaten und hasswütigen Predigern zeigen, was Sache ist. „Warten wir nicht länger“, so könnte ich einen Wahlslogan zitieren. Ich sage: Ergreifen wir den „kairós“: Den 31. Oktober 2017 als gottgegebene Gelegenheit, über den Schatten zu springen !

Copyright: Pfarrer Manfred Richter, Berlin.

Die umfangreiche Studie Manfred Richters hat den Titel: „Oh sancta simplicitas. Über Wahrheit, die aus der Geschichte kommt. Ein Essay zum Ökumenismus“. 426 Seiten, 2017, Siedlce.

Wenn Gott schwarz wäre…Ein Buchhinweis

Wenn ein katholischer Pfarrer aus der „Demokratischen Republik Kongo“ von Rassisten aus München vertrieben wird

Ein Buchhinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 25.9.2017

So schlimm ist es bereits gekommen: Rassisten gelingt es, mit ihren Attacken einen katholischen Priester aus seiner Gemeinde in München – Zorneding (9.000 Einwohner) zu vertreiben: Über die Ereignisse berichtete 2016 sogar das ERSTE in den Tagesthemen. Nun hat der betroffene Pfarrer und habilitierte Philosoph Olivier Ndjimbi-Tshiende eine Art Rückblick auf die Ereignisse in München – Zorneding geschrieben und dabei die Chance genutzt, auch einige seiner theologischen Überzeugungen vorzutragen unter dem Titel „Und wenn Gott schwarz wäre…“

Im September 2012 wird Pfarrer Olivier, wie er allgemein wohl genannt wird, in Zorneding in sein Amt eingeführt. Nicht allen gefällt die Anwesenheit dieses afrikanischen Geistlichen im so gut katholischen, aber eben weiß – blau bayerischen Bayern. Vor allem die Ortsvorsitzende der CSU im Kreisverband Zorneding Sylvia Boher, eine promovierte Politologin, beginnt im Oktober 2015 in ihrem Parteiblättchen gegen Flüchtlinge einerseits zu hetzen und Pfarrer Olivier zu attackieren: Er hat sich erlaubt, die humane Geste in der frühen Flüchtlingspolitik von Angela Merkel öffentlich zu loben und richtig zu finden. Die AFD unterstützt die Äußerungen der CSU Frau (S. 25). Der 2. führende CSU Mann dort, Johann Haindl, nennt den Pfarrer „unseren Neger“ (S. 23).

Aus dieser Polemik der CDU Ortsvorsitzenden entwickeln sich heftige verbale Attacken gegen Pfarrer Olivier, bis hin zu unsäglichen Beleidigungen und Drohungen, die um Leib und Leben fürchten lassen. Anonyme Morddrohungen werden abgeschickt, später wird ein Rentner zu 10 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt: Er hatte gedroht, den Pfarrer während der Messe zu ermorden. Aber in Zorneding ist die Bevölkerung keineswegs geschlossen aufseiten des attackierten Opfers. „Die Leute machen ihn und seinen Pfarrgemeinderat dafür verantwortlich, dass der ganze Aufruhr um den Text der CSU Frau Boher solche weiten Kreise zieht“ (s. 34). Und das Ergebnis? Das Opfer, der afrikanische Priester, soll schuld sein am öffentlichen Streit über Flüchtlinge und „den Neger – Priester“. Pfarrer Olivier will in diesem widerlichen Milieu nicht weiter leben und arbeiten: Am 6. März 2016 kündigt er seine Abreise aus Zorneding an. Heute arbeitet der Theologe und Philosoph an der katholischen Universität Eichstätt über Flucht und Migration.

Offen bleiben in dem Buch zu den Zornedinger Ereignissen einige Fragen: Wie stark war die Unterstützung der Pfarrer Kollegen für ihren afrikanischen „Mitbruder“? Wie stark war von Anfang die Unterstützung des Münchner Kardinals Marx? Hat er dazu Stellung genommen? Wie hat sich die Parteiführung der CSU in München zu dem rassistischen Skandal verhalten? Warum wagt man es nicht in der Kirchenverwaltung des Erzbistums München, Pfarrer Olivier eine andere Stellung als Pfarrer zu geben, wenn er denn das noch will. Offenbar sind Christen in Deutschland oft nur in der Lage, Geld für Afrika zu spenden, für die armen Heidenkinder, wie man früher sagte. Aber sie sind nicht bereit, sich darüber zu freuen, dass nun aus Afrika selbst ein kompetenter Theologe seine spezielle Sicht des Glaubens erläutert. Diese Leute in Zorneding und anderswo haben offenbar wenig Interesse am Dialog, am Fragen, am Neues Entdecken. Ich hätte mir noch sehr viel mehr harte Fakten in dem Buch gewünscht. Aber offenbar ist der Autor so betrübt, dass er die Zusammenhänge rassistischer Überzeugungen von Katholiken über die CSU bis zur AFD nicht weiter ausführlich freilegen will. Angesichts der Bundestagswahlergebnisse in Bayern wäre darüber erneut zu sprechen.

Pfarrer Olivier ist so höflich, dass er seine eigenen theologischen Vorschläge zur Reform der Katholischen Kirche sehr vorsichtig formuliert. Der 2. Teil des Buches, also ca. 140 Seiten, handelt davon. Es geht um die “ewigen” katholischen Reformthemen, wie Abschaffung des Pflichtzölibates, Zulassung von Frauen zum Priestertum, mehr Barmherzigkeit, und auch dies ist wichtig für den Autor: Weniger Dogmen in einer Kirche, die tausend und einen Lehrsatz kennt und predigt.

Dies sind alles Themen, die in der europäisch dominierten Theologie seit Jahrzehnten – ohne Erfolg selbstverständlich – vorgeschlagen werden. Denn gäbe es nicht den Pflichtzölibat, bräuchte kein polnischer, indischer oder nigerianischer Priester in Deutschland die Lücken stopfen, die der Priestermangel in Deutschland und ganz Europa erzeugt. Und Pfarrer Olivier hätte von vornherein, seiner Ausbildung angemessen hierzulande die afrikanischen Formen des Christentums erklären können….

Bei dem Titel des Buches „und wenn Gott schwarz wäre“ erwartet der Leser zudem auch Hinweise zu afrikanischen Theologien und Spiritualitäten, etwa Berichte über die Inkulturation des Glaubens in den afrikanischen Kulturen. Über die Rolle des Tanzes in der katholischen Eucharistiefeier. Oder Hinweise zu den unterschiedlichen Strömungen afrikanischer Philosophien. Oder Hinweise zu dem von Rom verbotenen Ritus der „Messe von Kinshasa und Zaire“. Oder Stellungnahmen zur heftigen und in Europa als absurd empfundenen Abweisung von gelebter Homosexualität durch die allermeisten katholischen und evangelischen Bischöfe in Afrika. Das Buch „und wenn Gott schwarz wäre“ hinterlässt den Leser also nach großen Erwartungen bei dem Titel sehr ratlos. Das muss bei allem Respekt fürs Leiden Pfarrer Oliviers in Zorneding gesagt werden. Wenn Gott schwarz wäre: Würden dann die weißen Europäer den schwarzen Gott verehren? Jesus von Nazareth, geboren in Kinshasa, warum eigentlich nicht? Aber welchen Sinn haben überhaupt, philosophisch betrachtet, Farbzuweisungen zur geheimnisvollen Wirklichkeit Gottes? Unseres Erachtens gar keinen. Gott und das Göttliche haben keine Farbe und kein Geschlecht. Zentral bleibt die jesuanische Botschaft von der prinzipiellen gleichen Werthaftigkeit aller Menschen! Dies ist die Mitte des Glaubens, auch die politische. Sie passt nur all jenen Christen nicht, die sich als Europäer und CSU Mitglieder für etwas Besseres halten. Und das bedeutet: Vom Christentum haben diese Herrschaft eigentlich nichts verstanden, trotz der Predigten, Wallfahrten, Messen usw., die seit 1000 Jahren im Land der Bayern und anderswo gefeiert werden. Sind alle diese kirchlichen Veranstaltungen wirkungslos geblieben? Manchmal möchte ich das glauben.

In jedem Fall würde ich mir wünschen, wenn Pfarrer Olivier die Kraft fände, die oben genannten Themen zur Inkulturation des Christentums und des Katholizismus in Afrika oder wenigstens rund um den Kongo in einem weiteren Buch zu besprechen. Klar ist, dass uns Lesern hier dann auch die Frage dringend bewegt, wie es denn weiter geht mit der Diktatur in der „Demokratischen Republik Kongo“? Wann wird sie von wem vertrieben und verschwinden? Welche Europäer profitieren von den vielen Diktaturen in Afrika? Braucht Europa das elende Afrika für den eigenen Profit? Diese Fragen sind endlos. Sie werden selbst von aufgeschlossenen Politikern in Europa kaum noch gestellt. Und selten von Kirchenleuten, die es eigentlich wissen (müssten). Zurecht kritisiert Pfarrer Olivier,so wörtlich, die Prunksucht einiger Bischöfe hierzulande. Interessant wären seine Schilderungen, wie denn afrikanische katholische Bischöfe leben? Wie diese dann wahrscheinlich eher armen Bischöfe die Prunksucht ihrer so netten Bischofskollegen in Deutschland erleben? Denken sie dann vielleicht zu recht an Klassenunterschiede in der einen, angeblich so brüderlichen Kirche. Heiße Themen, an die sich niemand heranwagt. Weil die armen Bischöfe, wenn sie denn relativ, auf ihre Bevölkerung bezogen, tatsächlich arm sind, die paar Euros brauchen, die ihnen die Prunkbischöfe mit ihrem Milliardenhaushalt in Deutschland zuwerfen. Und man fragt sich zum Schluss, was die einst kolonisierten und misshandelten Völker Afrikas eigentlich an die Religion, also das Christentum, ihrer gar nicht so lieben Kolonialherren damals wie heute innerlich und spirituell bindet.

Olivier Ndjimbi – Tshiende, „Und wenn Gott schwarz wäre…“ Gütersloher Verlagshaus, 2017. 17,99 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Neues zur Erbsünde: Muss der christliche Glaube Angst machen?

Einige weiter führende Thesen von Christian Modehn am 20.7. 2017

Meinen zuerst veröffentlichten Beitrag, in der empfehlenswerten Zeitschrift Publik Forum, Heft 11/2017, lesen Sie hier mit einem weiteren Thesenpapier, das aus einer Diskussion hervor gegangen ist. Dass selbst Mitglieder des Augustinerordens heute wenigstens leise, aber deutliche Kritik an Augustins Erbsündenlehre äußern, lesen Sie bitte am Ende dieses Beitrags! Und sogar der treu-katholische Theologe und Historiker der frühen Kirche und der so genannten Kirchenväter, Pater Joseph Barbel, kritisiert den “kaum begreiflichen Eifer Augustins zur Widerlegung seines theologischen, die Freiheit verteidigenden Gegners, des Bischofs Julian von Eclanum”. Auch dazu mehr, siehe am Ende dieses Beitrags.

Die Diskussion über Sinn und Unsinn der christlichen Erbsünden-Lehre geht weiter, das zeigen die vielen Weiterlesen ⇘

Theologisch denken mit Marx. Über die lebendige Befreiungstheologie

Hinweise zu unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017

Von Christian Modehn

Ein Vorwort: In unserem religionsphilosophischen Salon am 26.5. 2017 haben wir anlässlich des gleichzeitig stattfindenden Kirchentages in Berlin einige zentrale Aussagen des (jungen) Marx zur Religion diskutiert. Vor allem die bekannte Aussage von Marx: „Religion ist Opium des Volkes“. Uns leitet dabei die ganz normale philosophische Überzeugung, dass natürlich etliche philosophische Fragen und Provokationen von Marx auch heute unser Denken anregen und möglicherweise korrigieren können. So etwa die Frage: Wie ist auch theologische Denken und auch kirchliche Handeln von der nun einmal zweifelsfrei vorhandenen Situation der Klassengegensätze in den Staaten und Kulturen Europas z.B. bestimmt? Gibt es überhaupt noch ein Bewusstsein dafür, dass Theologie und kirchliches Handeln etwa in Europa und den USA nicht nur Weiterlesen ⇘

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen

Der erste Lutheraner in den Niederlanden: Der Augustiner Hendrik van Zutphen, später der „Bremer Reformator“ genannt.

Von Christian Modehn am 4.5.2017. (Dieser Beitrag erschien am 28. April 2017 in kürzerer Form in der Zeitschrift Publik – Forum).

Über die Bedeutung und Wirkung des Augustinermönches Martin Luther für seine usprüngliche spirituelle “Familie”, also die Mitglieder seines Ordens (O.E.S.A. ist die damalige lateinische Abkürzung, also Augustiner-Eremiten, wie der Orden mit dem Zusatz „Eremiten“ bis ca. 1970 noch hieß) ist meines Wissens insgesamt, auch in diesem Jahr des Reformations – und Luther-Gedenkens sehr wenig publiziert worden. Dabei macht schon diese sehr kleine Studie zu den Niederlanden und den dortigen Augustinern deutlich, dass der Einfluss des Reformators und Augustiners Luther schon sehr früh sehr für den AugustinerOrden bedeutend war.

In den Niederlanden hatten sich die Lehren Martin Luthers schon 1518 herumgesprochen. Seine Schriften wurden 1519 in Antwerpen und Leiden veröffentlicht. Schon im gleichen Jahr befahl Kaiser Karl V., „alle lutherischen Bücher in den Niederlanden zu verbrennen“. Es waren vor allem Augustiner, die sich nicht einschüchtern ließen und sehr früh, von ihrem Mitbruder in Wittenberg inspiriert, mit der Reform kirchlichen Lebens begannen. Ein Zentrum war das Kloster in Dordrecht (bei Rotterdam) mit ihrem Prior Hendrik van Zutphen, der den Ordensnamen Pater Johannes hatte. 1489 in Zutphen geboren, wurde er schon 1516 Leiter des Klosters. Er setzte sich sofort für die Wiederherstellung der strengen Ordenszucht ein. Der katholischen Stadtverwaltung missfielen seine „evangelischen“ Predigten, sie vertrieb ihn und vier weitere Mönche. Sie fanden 1519 Zuflucht in Antwerpen: Aber selbst dort, der eher liberalen Stadt, wurden große Gruppen reformgesinnter Augustiner verhaftet. Hendrik van Zutphen konnte nach Wittenberg fliehen, in eine Stadt, die er schon kannte: Er hatte dort schon von 1508 bis 1512 studiert und Luther kennen gelernt.

Hendrik erlebte nun, wie sich Luther der päpstlichen Androhung des Bannes widersetzte und das päpstliche Schreiben, die „Bulle“, öffentlich verbrannte: So kam es zum definitiven Bruch mit Rom. Hendrik studierte in dieser turbulenten Zeit vor allem die Theologie des Römerbriefes, sein Studium schloss er mit dem Lizenziat ab. In „73 Thesen“ entwickelte er 1521 seine eigene Theologie: Er wandte sich etwa gegen die „stille Privatmesse“, die man für Geld zum Heil der Seelen bestellen konnte. Für ihn galt: „Die Eucharistiefeier kann niemals als ein neues unblutiges Opfer Christi verstanden werden. Die Messe ist vielmehr eine zeichenhafte Mahlzeit von Glaube und Liebe“.

Luther müssen diese Thesen gefallen haben: Er ließ Hendrik von der Wartburg aus grüßen. Als Hendrik hörte, dass in den Niederlanden immer mehr Evangelische verfolgt werden, kehrte er zur Unterstützung nach Antwerpen zurück. Dort wurde er als Prediger vom Volk gefeiert: Aber die katholische Obrigkeit wollte keine religiöse Vielfalt dulden: Sie ließ die Augustiner verhaften. Hendrik wurde allerdings in höchster Not vom empörten Volk befreit. Seine Mitbrüder Johannes van Esschen und Hendrik Vos werden 1523 auf dem Scheiterhaufen in Brüssel verbrannt. Hendrik gelangte über Enkhuizen und seine Heimatstadt Zutphen nach Bremen: Dort traf er Bekannte aus Studienzeiten in Wittenberg. Seine Predigten in der St. Ansgarii Kapelle fanden viel Zuspruch, sogar die Zustimmung des Stadtrates, aber den Widerspruch des Klerus. Hendrik wurde „zum Bremer Reformator“. Dort setzte er sich für Jacobus Probst ein, den Prior des Antwerpener Augustiner Klosters: Er hatte geheiratet und suchte nun in Bremen eine neue Stelle.

Unter allen Orden waren die Augustiner am deutlichsten von der Reformbewegung Luthers betroffen. Allein in Deutschland sind 69 von 160 Augustinerklöstern aufgelöst worden. (Weitere aktuelle Hinweise zu dem Aspekt, am Ende des Beitrags).

Hendrik van Zutphen war im Oktober 1524 aus dem Orden ausgetreten. Aber „er wolle niemals vom Evangelium schweigen… solange, bis ich den Lauf dieses Lebens vollendet habe.“ Darum folgte er im November 1524 einer Einladung, in Meldorf, Dithmarschen, zu predigen. Das Volk war wiederum begeistert, aber der dortige Klerus, vor allem der Dominikaner Pater Augustinus Torneborch, sorgte schon im Dezember 1524 für seine Verhaftung: Hendrik wurde nach Heide geschleppt, dort erst halb totgeschlagen, dann ins Feuer geworfen: Weil der Körper aber nur etwas verkohlte, wurden Kopf, Hände, Füße abgeschnitten und der Rumpf unter Spottgesängen verscharrt. Am 10.Dezember 1524 wurde das Leben des ersten niederländischen Lutheraners und „Bremer Reformators“ beendet.

Luther war entsetzt, als er davon hörte. Er verfasste die Erinnerungsschrift „Historie von Bruder Heinrich von Zutphens Märtyrtode“.

Im ganzen gesehen konnte sich die lutherische Reformation in Holland nicht durchsetzen. Luther selbst hatte 1530 den Evangelischen dort empfohlen, entweder in aller Stille außerhalb der Öffentlichkeit Gottesdienste zu feiern oder zu jenen Fürsten auszuwandern, die reformfreundlich sind. „Dieser Standpunkt schließt ganz an seine Neigung an, Unterstützung bei der Obrigkeit zu suchen. Das niederländische Volk mochte das nicht. Es wandte sich eher der radikalen Bewegung der Wiedertäufer zu und dann dem militanten Calvinismus“, so der Historiker Johan Decavele.

In den Niederlanden selbst gilt als der erste, also dort getötete, lutherische Märtyrer Jan de Bakker, am 15.9.1525 wurde er verbrannt. Und, interessanterweise möchte man fast sagen, gab es eine lutherische Märtyrerin, Wendelmoet Claesdochter, sie wurde am 20. November 1527 von Katholiken verbrannt.

Nebenbei: Wer diese Geschichte konfessionell bedingter Grausamkeit, etwa im 16. Jahrhundert, bedenkt, kommt schnell zu Vergleichen der Brutalität und des Sich – Abschlachtens, die sich heute Sunniten und Schiiten antun. Man bedenke nur: Noch vor 70 Jahren haben sich Katholiken und Protestanten in Deutschland verachtet und ignoriert und bekämpft. Die ökumenische Bewegung unter den Christen gilt es auch als Friedensbewegung zu interpretieren. Gibt es eigentlich eine ökumenische Bewegung unter den verfeindeten muslimischen Konfessionen?

Ein aktueller Hinweis:

Wie stark die Mentalität des Augustinerordens davon bestimmt ist, dass in katholischer Sicht der Ketzer und Kirchengründer und Kritiker des Mönchswesens Martin Luther einmal zum Orden gehörte, ist eine offene Frage. Tatsache ist, dass der Augustinerorden seitdem nicht gerade besonders theologisch Mutige hervorgebracht hat, von den Augustinern in den Niederlanden vielleicht abgesehen. Offenbar wollte der Orden nicht beim Papst „auffallen“, mutig war hingegen der Augustiner Gregory Baum (geboren 1923 in Berlin): Er hat als Theologe das Zweite Vatikanische Konzil geprägt. Aber Gregory Baum hat später den Augustinerorden verlassen und das Priesteramt aufgegeben. Im französischen Augustinerorden, den Assumptionisten, gab es in den achtziger Jahren Professor Daniel Olivier, er war ein großer Luther-Spezialist, in meiner Erinnerung an persönliche Begegnungen war er förmlich ein Lutheraner geworden. Entsprechend groß war die Rezeption seines Denkens in der katholischen Kirche. Solche intimen Luther-Kenner wie Pater Olivier hat der Augustinerorden (OSA) nie hervorgebracht. Wie überhaupt alle Orden im Reformationsgedenken 2017 schweigen zu der Frage: Wie kann man heute trotz Luther noch Mönch und Nonne sein. Da ist absolut nichts zu vernehmen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Krzysztof Charamsa, Theologe und Kaplan seiner Heiligkeit, legt das schwule Leben im Vatikan etwas frei

Krzysztof Charamsa, Priester und führender Mitarbeiter in der vatikanischen Glaubenskongregation, über Leben, Lieben und Lust der Glaubenswächter.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 3. 5. 2017

Der italienische Untertitel des jetzt auch auf Deutsch erschienenen Buches von Krzysztof Charamsa „Der erste Stein“ ist noch treffender: „Ich, ein schwuler Priester, und meine Rebellion gegen die Scheinheiligkeit (Heuchelei) der Kirche“. Das Buch ist tatsächlich Ausdruck einer Rebellion, des Aufstandes, der Erhebung, der Revolte. Ob diese tatsächlich ausgelöst wird, hängt auch davon ab, wie viele Theologen, Priester, Ordensleute und Bischöfe dieses Buch lesen und daraus Konsequen ziehen. Vielleicht sollten die Verlage dieses Buch jedem Bischof als Geschenk zu Pfingsten zusenden…

Auf Deutsch ist der Untertitel eher zurückhaltend „Der erste Stein“. Mit dem Untertitel „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“. Das Buch ist Ende April 2017 bei C. Bertelmann erschienen.

Es ist auch für die Interessenten des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons wichtig, weil Religionskritik ein ständiges Thema bleibt. Das Buch ist keineswegs eine bloß aufgeregte, Neugier weckende „Skandalstory“. Es bietet vielmehr die Möglichkeit, durch die Erkenntnisse eines Insiders hinter die (tatsächlich auch im materiellen Sinne vorhandenen) Festungsmauern des Vatikans zu blicken.

Dieses Buch ist ein Dokument, das diese Mauern zwar nicht einreißen wird, aber doch etwas ins Wanken bringen könnte. Es ist wichtig für alle, die die innere Verfasstheit der klerikalen Mitarbeiter an der Spitze der römischen Kirche, also in der Glaubensbehörde, verstehen wollen. Mindestens jeder zweite Priester ist homosexuell, so betont das Buch, aber kaum einer lebt das offen, verzichtet also auf seine persönliche Identität. Das gilt auch für die Kirchenzentrale. Sie wird von Männern geführt, die „scheinheilig“ sind, wie der Buchtitel sagt. Das gerade im Jahr des Reformationsgedenkens 2017 freizulegen, als seit 1517 durch den Mönch Martin Luther die Welt des zölibatären Klerus wenigstens für die evangelischen Kirchen abgeschafft wurde, ist von besonderem Reiz. Das Buch zeigt einmal mehr die jetzt auch wieder allgemeine Erkenntnis, wie wenig sich das System und die Lehren der römischen Kirche tatsächlich durch Luther, auch nur entfernt, „berühren“ oder gar verändern lassen. Alles katholische Rede von ökumenischen Fortschritten heute ist angesichts dieser Dokumente doch sehr marginal

In jedem Fall: Das Buch von Krzysztof Charamsa ist ein durchaus historisch zu nennendes Dokument. Wer einen Vergleich will: Es ist so, als würde eines der führenden Mitglieder an der Spitze einer Parteizentrale das innere Leben, etwa die Korruption und die Verlogenheit dieser Parteizentrale freilegen. Das passiert weltweit selten, weil die Karriere wichtiger ist als das Zeugnis der Wahrheit.

Krzysztof Charamsa jedenfalls hat auf seine glänzende Karriere in der römischen Glaubensbehörde verzichtet. Immerhin hatte er den Ehrentitel Monsignore erhalten und durfte sich als „Kaplan seiner Heiligkeit“ ansprechen lassen.

Das Buch zeigt, dass im Reich des Papstes Scheinheiligkeit stärker ist als die nach außen hin gezeigte Heiligkeit.

Charamsas im engeren Sinne historisch-theologischen Publikationen in italienischer Sprache von 2002 bis 2014 sind eher von einem traditionellen theologischen Konzept, etwa den Interpretationen des mittelalterlichen Thomas von Aquin, geprägt. Er ist als Konservativer, vom Katholizismus Begeisterter, zum Rebellen geworden. Es gab den Bruch, das Nicht mehr Aushalten können der ständigen Verlogenheit, das ihn zum radikalen Abstandnehmen vom System führte: Krzysztof Charamsa hat sich in aller Öffentlichkeit am 3. Oktober 2015 in Rom als schwuler Priester, als Monsignore, als Theologiedozent und führender Mitarbeiter in der Glaubensbehörde, deren Chef der Deutsche Kardinal Müller ist, geoutet und sich zu seinem Partner bekannt. Selbstverständlich wurde er danach von dem zuständigen polnischen Bischof aller seiner Ämter entbunden und als Priester suspendiert, d.h. er darf in der Sicht Roms keine priesterlichen Funktionen mehr ausüben.

Das Buch bietet viele Erkenntnisse zum Zustand der katholischen Kirche, diese Erekenntnisse können hier natürlich nicht in der gebotenen Ausführlichkeit besprochen werden. chließlich soll eine Buchkritik nicht die Lektüre ersetzen, dass die Lektüre empfohlen wird, ist klar.

Es bietet eine Biographie des aus Polen stammenden Autors.

Es berichtet über den Zustand der katholischen Kirche in Polen nach der Wende, über die maßlose hysterische Verehrung des polnischen Papstes, den Kult um seine Denkmäler usw. „Der polnische Klerus besteht aus ideologischen Manipulatoren“ (Seite 53).

Interessant und kaum zu glauben ist der Zustand der offenbar miserable Zustand der Priesterseminare in Polen, nicht nur das schlechte Essen, vor allem das schlimme Niveau der dort gelehrten bzw. eingepaukten Theologie. “Die theologischen Hochschulen, Priesterseminare also, sind große Kasernen , „in denen die Rekruten eines Heeres gedrillt wurden, das im Dienst einer restriktiven Ideologie stand“ (S. 72). Nebenbei: Diese Priester werden nach ganz Europa geschickt, um den im Westen aussterbenden Klerus zu ersetzen…

Überhaupt die Theologie, das wäre ein eigenes Thema: Man erlebt einmal mehr, dass diese dort in den Seminaren Kirchen- Lehre offenbar nur mit Mühe noch Wissenschaft zu nennen ist.

Das Buch zeigt, wie die vielen homosexuellen Priester im Vatikan sich permanent selbst verleugnen und sogar zu expliziten Feinden der Schwulen werden, bloß um nicht aufzufallen und korrekt zu erscheinen. Diese Freilegung des Lügen-Systems, in das der einzelne homosexuelle Priester und Theologe gezwungen wird, ist wohl psychologisch und religionsphilosophisch am bedenklichsten. Theologen, die sich selbst ständig belügen und keine (sexuelle) Identität haben dürfen, kontrollieren als Mitarbeiter der Glaubensbehörde jene Theologen, denen man vorwirft, gegenüber dem Lehramt zu lügen, Irrlehren zu verbreiten. Lügner kontrollieren also so genannte Lügner. Denn die angeblichen „Ketzer“ sind ja nur solche, die kreativ die Theologie etwas voranbringen wollen. Und dann verfolgt werden.

In dem Buch nennt der Autor seine Behörde, die Glaubenskongregation oft „Inquisitionsbehörde“.

Über Papst Franziskus wird oft voller Zustimmung gesprochen. Nur glaubt der Autor nicht, dass der Papst sich gegen die Macht des vatikanischen Apparates durchsetzen kann. Er berichtet, dass bei einem Kongress über die Ehe (gemeint war der Kamf gegen die Homoehe) der Papst sogar eine Rede abgelesen hat, die die konservativen Veranstalter ihm „aufgesetzt hatten“ (S. 175).

Insgesamt zeigt das Buch lang und breit, dass die Mitarbeiter der Glaubenskongregation permanent und ständig vom Thema Homosexualität wie getrieben sind, als gäbe es nichts anderes in dieser Kirche und dieser Welt. In dieser Fixiertheit zeigt sich einmal das narzisstische Verhalten dieser Kleriker. Sie kennen nur sich und die Verleugnung ihrer Identität, um Karriere zu machen, vielleicht einmal Bischof zu werden etc…

Bitter böse ist etwa ein Text, wie ein Gebet, von Krzysztof Charamsa formuliert auf Seite 177: „Gott, segne den Papst und seine Kirche. Aber Gott, halte sie fern von uns. Seine Leute (also der Klerus) können der Menschheit nicht länger den rechten Weg weisen….

An anderer Stelle ein ähnlicher Gedanke: „Das starre System der Kirche muss zerstört werden, damit sie wieder zu einer Kirche der Menschen werden kann, wie ich einer bin“ (S. 280).

Mein Coming out habe ich „der Kirche mit aller Macht ins Gesicht geschrieen“ (280). Mit diesem Buch will Krzysztof Charamsa „nur einen ersten Stein legen, einen Grundstein zu einem Leben in Freiheit“ (259). Zusammenfassend: Charamsa hat „ das Reich der Lüge hinter sich gelassen“ (Seite 281)

Fragen zum Buch:

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass Krzysztof Charamsa erklärt, warum er das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. das „schwulste Pontifikat der Neuzeit“ (S. 165) nennt, sicher weil der deutsche Papst die alten hübschen Gewänder und roten Schuhchen wieder aus der Mottenkiste hervorholte und den Pomp liebte. Sicher auch, dass seine Texte gegen Homosexuelle vor Menschenrechts-Gerichten hätten verhandelt werden müssen. Aber warum mag Charamsa diesen Papst? Warum sagt er kein Wort zu den nun einmal überall kursierenden Erzählungen, von Zeugen belegt, Ratzinger sei selbst „betroffen“, also schwul. Das ist überhaupt nicht schlimm. Schlimm ist die Verleugnung dieser Identität, die zur Verfolgung derer führt, die eben nicht so verklemmt sind wie man selbst!

Bei einer weiteren Auflage des Buches würde ich mir wünschen, dass ausführlicher auf seine Tätigkeit als Dozent in der Universität des Ordens Legionäre Christi in Rom eingeht. Eine Seite zu dem Thema ist zu wenig über diesen immer noch einflussreichen Orden, der jetzt überlebt, ohne seinen Gründer auch nur nennen zu dürfen, nämlich den pädophilen Verbrecher Pater Marcial Maciel. Ein Orden, der förmlich vor Geld stinkt, wie mexikanische Journalisten dokumentieren. Es ist für die Unabhängkeit der Wissenschaft eigentlich ein Skandal, wenn Leute aus der Glaubensbehörde auch noch als Theologiedozenten in der Uni der genannten Legionäre Christi wie auch der Jesuiten-Universität Gregoriana tätig sind. was ist das für ein Niveau? Offenbar findet man diesen Niedergang freier wissenschaftlicher Forschung in Rom normal. Wie wäre es also, dem vatikanischen Vorbild folgend, wenn Beamte des BND Vorlesungen zur Sicherheitspolitik an der Uni halten? Oder der Innenminister als Professor einer Uni die innere Ordnung Deutschlands lehren würde…

Interessant wäre es, wenn man erfahren könnte, wie viel der so gefragte Theologe und Prälat Charamsa als ein hoher Funktionär in der Glaubensbehörde monatlich verdient hat. Woher kommt das Geld für alle diese klerikalen Diener des Systems? Denn die privaten Reisen, von denen die Rede ist, sind ja selbst mit Billigfliegern nicht ganz gratis. Und wie und wo wohnte er als Kaplan seiner Heiligkeit? Vielleicht Seite an Seite mit Kardinal Müller? Da kann man doch Klartext reden!

Dass der Autor keine Namen der offenbar scharenweise homosexuellen Priester in der Glaubenskongregation ist ein bisschen verständlich, man will sich kostspielige Prozesse ersparen. Aber einige Namen betroffener Prälaten usw. sind ja auf anderem Wege doch schon in die Öffentlichkeit gelangt. Warum diese enorme Angst?

Merkwürdig kurz fällt auch der Hinweis auf das reaktionäre polnisch-katholische Rundfunk/Fernsehimperium MARYJA aus. Mich würde interessieren, warum scheitern alle Versuche, den Gründer dieser Propaganda-Maschine, Pater Rydzyk vom Redemptoristenorden, aus dem Verkehr zu ziehen?

Auch über die theologische Fakultät in Lugano (Schweiz) hätte man gern mehr erfahren, an der Krzysztof Charamsa einige Jahre studierte. Diese Fakultät gilt als Zentrum sehr konservativer religiöser Gemeinschaften, wie dem Neokatechumenat. Auch Professoren dieser Lehranstalt, wie Manfred Hauke, er war Assistent bei dem Traditionalisten Prof. Ziegenaus in Augsburg, gehören dem sehr konservativen Flügel an.

Trotz dieser offenen und natürlich vom Autor gewünschten kritischen Fragen (das ist ja demokratische Kultur) ist das Buch durchaus ein historisches Dokument. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte gibt es ein „coming out“ eines prominenten „Kaplans seiner Heiligkeit“. Die traurige Geschichte der Homosexuellen, über die wir so wenig wissen, weil alle Zeugnisse immer vernichtet wurden, bekommt durch das Buch eine neue, durchaus befreiende Bedeutung.

Wird der Apparat der Kirche so dumm sein, und dieses Buch übersehen? Ignorieren? Polemisch belächeln? Schon möglich. Die Macht des Apparates ist leider immer noch gewaltig und gewalttätig. Wie viele Menschen, wie viele Homosexuelle, sind durch die perversen Verurteilungen aus Rom in ihrem Leben irritiert und zerstört worden? Wer spricht von den vielen Opfern? Wann finden Bußgottesdienste der (selbst schwulen) Kardinäle in Rom statt, in denen sie sich heftig entschuldigen, für alles Leid, das sie und ihre Vorgänger homosexuellen Menschen angetan haben und antun. Die Festpredigt sollte dann der Priester Krzysztof Charamsa halten. All das wird in diesem Jahrhundert nicht mehr passieren. Die Mauern des Vatikans sind “ewig”, und die Insassen dieses geistigen (leiblichen) Gefängnisses sind noch stolz auf diese „Ewigkeit“…

Copyright: Christian Modehn . Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Kein Nein zu Marine Le Pen: Frankreichs Bischöfe sind neutral vor dem 2.Wahlgang

Kein Nein zu Marine Le Pen: Frankreichs Bischöfe sind neutral vor dem 2. Wahlgang am 7.5.2017.

Aktualisierung dieses Beitrags am 2. 5. 2017:  Die katholische Tageszeitung „La Croix“ meldet am 1.5. 2017, dass etwa 10 französische Bischöfe als Individuen ihre Meinung zum 2.Wahlgang am 7. Mai veröffentlicht haben. Damit wird das allgemeine neutrale Verhalten der Bischofskonferenz, weiter unten beschrieben, individuell überwunden. Der Hintergrund ist sicher, dass die eher neutrale, um nicht zu sagen angstbesetzte Stellungnahme der Bischofskonferenz doch einigen Bischöfen nicht ausreichte. Eigentlich mutig in diesem Kreis, der wenig Respekt hat vor individuellen Positionen.“La Croix“ weist ausdrücklich darauf hin, dass ein einziger Bischof den Namen Macron zitiert. Sonst sind die meisten Stellungnahmen ohne namentlichen Bezug, nur 2 nennen Madame Le Pen.  Auch dies ist typisch für Bischöfe im Umgang mit Politikern… Die denken wohl, sollen die Leser doch ein bisschen rätseln oder so was. Man stelle sich nur vor, Politiker würden die Bischöfe nicht beim Namen nennen, sondern mysteriös sagen: „Ein Ober-Hirte im Burgundischen, der bekannt ist für seinen Luxus oder ein anderer Oberhirte an der Cote d Azur, der so stark gegen Homosexuellen eingenommen ist…“ Aber lassen wir diese doch sehr bezeichnenden Spekulationen. Lediglich Bischof Wintzer von Poitiers nennt Madame Le Pen beim Namen, auch Bischof Moutel von Saint Brieuc hat keine Angst, die rechtsextreme Kandidatin beim Namen zu nenne. Nur Bischof Blanquart von Orléans nennt Macron beim Namen.

Da sind einzelne Laien-Organisationen mutiger: Dreißig katholische Organisationen, darunter Secours Catholique, als die Caritas, weisen Le Pen ausdrücklich zurück! Das Sozialforschungszentrum der Jesuiten in Paris (CERAS) sagt sogar treffend, „die Partei Front National macht ein Abgleiten ins Totalitäre möglich…“

Hingegen machen sich jetzt auch vermehrt katholische Le Pen Sympathisanten öffentlich bemerkbar, sie nennen sich etwa diskret-versteckt „Collectif Antioche“; auf dem schon bekannten rechtslastigen Blog „Salon beige“ sprechen sie sich anonym für Madame Le Pen aus. Immerhin noch ein gutes Zeichen, dass sich katholische Priester, denn die sind auch im „Collectif Antioche“ vertreten, noch schämen, für die rechtsradikale Partei öffentlich einzutreten und besser ihren Namen – dann doch angstvoll – zu verschweigen. Nach dem 7. Mai outen sie sich vielleicht, je nach dem…

Copyright: Christian Modehn

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Ein Hinweis von Christian Modehn am 29.4.2017.    (Zum Wahlverhalten der Katholiken und der anderen Religionen im 1. Wahlgang, klicken Sie hier.)

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Die französische Bischofskonferenz hat am 23. April 2017 eine Erklärung veröffentlicht. Sie soll der Unterscheidung der (katholischen) Geister vor dem 2. Wahlgang am 7. Mai 2017 dienen.

Mehrere Aspekte des insgesamt recht kurzen Textes, er umfasst bloß 4.400 Zeichen (incl. Leerzeichen), müssen eigens hervorgehoben werden.

1. Die Bischöfe geben keine direkte (namentliche) Empfehlung für einen der beiden Präsidentschaftskandidaten. Weder Macron noch Le Pen werden überhaupt genannt. So wirkt der Text abgehoben und überzeitlich.

Mein Kommentar: Ist dies Ausdruck für bischöfliche Diplomatie? Sind etwa die Bischöfe gleich mit beiden Kandidaten unzufrieden? Weil ihr geliebter konservativer Katholik Francois Fillon (und Betrüger) nicht in die Zweier-Auswahl kam? So wird es sein. Die französischen Katholiken haben sozusagen ihren „Übervater“ verloren und sind ohne Orientierung.

2. Die Bischöfe wollen auch in diesem Text (angesichts der möglichem Wahl einer rechtsextremen Präsidenten) die modern wirkende Position vertreten: Möge jeder Katholik doch selbst entscheiden.

Mein Kommentar: Diese Haltung gilt, wenn zwei demokratische Kandidaten zur Auswahl stehen, nicht aber in Zeiten rechtsextremer Bedrohung. Denn es ist nicht garantiert, dass Macron gewählt wird. Man stelle sich vor, einer der beiden Kandidaten wäre nicht vom Front National, sondern explizit von der Kommunistischen Partei: Was würden die Bischöfe warnen und toben vor diesem widerwärtigen Atheisten und Extremisten. Nicht so bei einer rechtsradikalen Kandidatin Le Pen, die sich ja bekanntlich nach außen oft so moderat und so modern gibt. Fallen die Bischöfe auf dieses Schauspiel von Le Pen rein? Sie wissen ja, dass Madame Le Pen die Gemeinde der katholischen Traditionalisten und Pius-Brüder St. Nicolas de Chardonnet, Paris, als ihre Pfarrgemeinde ansieht. Trotzdem sind die Bischöfe nicht entschieden gegen Le Pen. Denn sie wissen, dass so viele Katholiken in den „normalen“ Gemeinden längst FN Anhänger sind. Die will man doch nicht verprellen…Denn die Schar der so genannten praktizierenden Katholiken tendiert systematisch und beweisbar gegen Null.

3. Die Bischöfe nennen dennoch ein paar Begriffe, die den Katholiken bei der Wahl zu denken geben sollen, ohne dabei eine explizite Wahlempfehlung zu sein:

Sie nennen, wie so oft bei bischöflichen Stellungnahmen weltweit, ganz allgemein und abstrakt den „Respekt des Gemeinwohls, auch die Realisierung der Brüderlichkeit, die Aufmerksamkeit für die ganz Schwachen, die Würde der menschlichen Person und die Subsidiarität“ (welcher (junge) Franzose kennt diesen Begriff ?, das als Kommentar am Rande).

Mein Kommentar: Mit diesen Begriffen als Wahlkriterium ist tatsächlich jede Partei wählbar. Welche wäre schon gegen die Hilfe für Schwache? Ich vermute, dass selbst der Diktator in Nordkorea vom Respekt dieser Prinzipien schwadronieren könnte.

4. Deutlicher und damit schon implizit parteilicher werden die Bischöfe, wenn sie als Kriterium auch den Respekt für die Schwachen und eigentlich für alle Menschen eintreten und zwar „von Beginn ihres Lebens bis zum natürlichen Ende ihres Lebens“.

Mein Kommentar: Mit dieser Position ist keiner der beiden Kandidaten wählbar, denn selbst Madame Le Pen will die Abtreibung nicht ganz verbieten. Sie ist hingegen gegen aktive Sterbehilfe, darüber wird in Frankreich heftig diskutiert. Dies abwägend, läuft der Bischofstext auf eine Wahlempfehlung für Madame Le Pen hinaus. Nebenbei: Wo bitte gibt es in Frankreich noch das „natürliche Ende des Lebens“? Vielleicht auf einigen Dörfern oder in einigen Klöstern. Aber: Wird etwa in den Kliniken nicht längst „passive Sterbehilfe“ geleistet?

5.Die nicht ausgesprochene, aber indirekt dennoch mitgeteilte Wahlempfehlung der Bischöfe gilt Madame Le Pen. Das muss gesagt werden! Dies wird besonders in der Abwehr der so genannten Homo-Ehe durch die Bischöfe sichtbar. Sie sprechen verschwommen von „liens de filiation“, einem Begriff, den der FN und Madame Le Pen häufig verwenden. Sie wollen, wörtlich übersetzt, die „Verbindungen der Abstammung“, also die „Kindes-Verhältnisse“, also ganz auf die heterosexuelle Beziehung setzen. Also eine Adoption von Kindern in Homo-Ehen usw. ausschließen.

Ausdrücklich sagen die Bischöfe wieder die allseits bekannten Sprüche: „Es gilt die Familie zu unterstützen“. Und danach folgt die Beschreibung von „der“ Familie als dem „tissu nourricier“, also etwa: als dem „Züchtungs – Ernährungs – Netz“,wörtlich übersetzt, was für ein Wort! Mit dieser umständlichen Formulierung wollen die Bischöfe vermeiden, explizit von Homo-Ehe zu sprechen und sogar von der in katholischen Kreisen doch nennbaren Hetero-Ehe. Aber: Auch in dem Punkt bleiben die Bischöfe nebulös, um nicht zu sagen verlogen. Sie haben Angst, Klartext zu sprechen!

6. Als eine weitere versteckte, aber sehr deutliche Werbung für Madame Le Pen kann die Äußerung der Bischöfe angesehen werden, wenn sie vom europäischen Projekt sprechen. „Diese Anhänglichkeit an das europäische Projekt setzt voraus, mehr die historische und kulturelle Tatsache der Nationen (sic!) zu respektieren, die den europäischen Kontinent bilden“. Franzosen und Europäer sollen also wieder mehr die Nationen und dann doch wohl den Nationalismus pflegen. Was für ein Wahnsinn, wenn man weiß, dass Nationalismus IMMER zu Kriegen führt. Die Bischöfe drehen an dem Punkt also durch, oder sie biedern sich inndirekt Madame Le Pen an. Diesen Satz zur Nation hätten sie nicht sagen sollen, in einer Situation, wo wir eher den Kosmopolitismus pflegen und fördern.

7. Dieser bischöfliche Text de facto ist also eine Schande. Er ist Ausdruck von Mutlosigkeit, hinter der sich aber – aufgrund der immer so absolut wichtig genommenen sexualmoralischen und individual-ethischen Fragen (Sterben!) – eine Sympathie für Le Pen verbirgt. Wenn das so ist, wäre dies eine Katastrophe, über die man nach der Wahl weiter sprechen muss. Aber die französischen Bischöfe waren ja bekanntlich schon im 2. Weltkrieg begeisterte Anhänger von Marschall Pétain und nur ganz wenige Bischöfe waren im Widerstand aktiv.

Es würde zu weit führen, die unglaubliche Arroganz der Bischöfe theologisch ausführlicher zu betrachten: Sie nennen ihr bischöfliches Papier als Lehre „der Kirche“. Bischöfe nennen sich wieder „die Kirche“. Diese uralte Theologie glaubte man – vielleicht zu naiv – längst überwunden… Dann meinen die Bischöfe, „die Kirche“ sei „dépositaire du message de l Evangile“, also „Verwalter und Mitwisser der Botschaft des Evangeliums“. Das Evangelium als „Depot“, aus dem die Bischöfe satzweise je nah Bedarf ein paar Stückchen herausschneiden: Das ist Tätigkeit der Bischofskonferenz. Benedikt XVI. sprach übrigens immer von Glaubensgütern wie in einem Depot…

8. Dieser bischöfliche Text ist Ausdruck der völligen Ermattung und Müdigkeit der französischen Kirche. Ihr Ruf in der Öffentlichkeit war noch nie so schlecht. Kardinal Barbarin, Lyon, hat pädophile Verbrechen von Priestern verschleiert, „um der klerikalen (Amts-) Kirche keinen Schaden zuzufügen“, wie es heißt. Das hat zu recht für Empörung gesorgt. Kardinal Barbarin ist trotzdem nicht zurückgetreten. Bischof Gaschignard (Aire et Dax) ist kürzlich zurückgetreten, weil von ihm sexuelle Übergriffe an Minderjährigen schon in Toulouse bekannt wurden. Die Bischöfe von Bayonne und Fréjus (eine Hochburg des FN!) stehen ideologisch dem FN nahe, theologisch würde man sie ultra-reaktionär nennen, wenn es dieses Prädikat gibt. Die Bischofskonferenz ist in sich selbst (politisch) gespalten, auch ein bisschen FN darf dort sein…

Hinzukommt natürlich, dass die französische Kirche personell, von der Anzahl der Priester her gesehen, de facto am Ende ist. In vielen Bistümern kann man die Zahl der französischen Priester, die noch nicht 65 Jahre alt sind, an einer Hand abzählen, etwa in Moulins, Sens, Cahors, Verdun usw…. Einer von zehn noch arbeitsfähigen Priestern kommt inzwischen aus dem Ausland, sehr oft aus Afrika. So wird das klerikale System aufrechterhalten. Auf die Idee, dass Laien Gemeinden leiten und Eucharistie feiern, kommt niemand. Das Magazin „Le Point“ berichtet: „Selon le Guide 2014 de l’Eglise catholique de France, elle compte 1.620 prêtres “venus d’ailleurs”, dont 916 Africains et 314 Européens (dont une moitié de Polonais)“: Nach dem Buch „Führer der katholischen Kirche von Frankreich im Jahr 2014“ gibt es in dieser französischen Kirche 1.620 Priester, die von aus dem Ausland stammen, darunter 916 Afrikaner und 314 Europäer, von denen die Hälfte aus Polen stammt“.

9. Etwas Kritik gibt es auch in Frankreich am diesem Bischofs-Papier: „In Stunden großer Gefahr für die Demokratie muss Klartext gesprochen werden“, meint der katholische Schriftsteller und Journalist Jean- Francois Bouthors. Er hat in „Le Monde“ (vom 28. April) die Bischöfe angeklagt: Sie seien feige, sie sehen nicht die große Gefahr, die eine Wahl von Madame Le Pen zur Präsidentin bedeutet. „Es ist jetzt Zeit für die Bischöfe, klar zu reden, laut und stark. Man muss also sagen: Alles, was auf irgendeine Weise Marine Le Pen stärken kann und damit das Lager der Verteidiger der Demokratie und des europäischen Projekts schwächen kann, ist nicht akzeptabel“. Solche Stimmen sind öffentlich selten zu vernehmen.

10. Man erinnert sich jetzt an einen merkwürdigen Vorgang, dass der zweifellos nette alte Priester, Père Hamel, von Saint Etienne de Rouvray (Rouen), wie in einem Schnellverfahren selig gesprochen werden soll. Der 85 Jahre alte Priester wurde am 26. 7. 2016, bei einer Messfeier von radikalen Islamisten am Altar gelyncht. So entsetzlich und widerwärtig diese Tat ist: Wird mit der Seligsprechung dieses freundlichen uralten Pfarrers nicht ein polemischer Akzent gegen „die“ Muslime gesetzt? Und ist irgendwie jeder Priester, der ermordet wird, ein Seliger oder ein Heiliger? Warum aber sind dann die großartigen Jesuiten und Befreiungstheologen (unter ihnen Pater Ellacuria SJ) aus El Salvador dann nicht längst heilig gesprochen worden? Sie wurden am 16. November 1989 von rechtsextremen Mörderbanden hingeschlachtet, die Mörder wurden in den USA ausgebildet und von einigen Bischöfen in El Salvador unterstützt. Soll etwa der selige Priester Märtyrer, Père Hamel, ein Zeuge sein für die Sanftheit „der“ Christen gegen die Brutalität „der“ Muslime? Ein problematischer Gedanke. Mit erscheint diese so forcierte französische Seligsprechung sehr auf die religionspolitische Situation in Frankreich bezogen zu sein.

11. Die heftige Abwehr von Madame Le Pen und ihres FN bedeutet ja nicht, dass ich absolut für Macron einstehe. Aber er ist ein Demokrat, auch wenn er vielleicht problematische ökonomische Vorstellungen hat. Aber er ist kein versteckter Rassist. Mit Macron kann die Demokratie grundsätzlich noch erneuert werden. Mit Madame Le Pen ist es aus mit der Demokratie. Und mit Europa. Dann beginnt die Nostalgie des alten und veralteten autoritären Frankreich Realität zu werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der Text der Bischofskonferenz: http://www.eglise.catholique.fr/espace-presse/communiques-de-presse/438036-elections-presidentielles-leglise-redit-son-role-et-rappelle-ses-fondamentaux/ Gelesen am 29.4. 2017