Gott ist nicht tot, vielleicht hat er nur neue Kleider? Ein Katechismus des Mitgefühls.

Gottes „neue Kleider“. Der niederländische “Katechismus des Mitgefühls”.

Ein neuer Katechismus – eine Einladung, selber zu denken und den eigenen Glauben zu entwickeln.

In meiner Ra­dio­sen­dung im NDR (in der Reihe “Glaubenssachen” am 19.2. 2016) mit dem Titel “Glauben ist einfach” (klicken Sie hier) wurde der niederländische Katechismus des Mitgefühls kurz erwähnt. Einige HörerInnen waren daran so interessiert und fragten, ob es diesen menschenfreundlichen und un-dogmatischen Katechismus auch auf Deutsch gibt. “Leider nicht”, heißt meine Antwort. Ich habe aber 2010 einige ausführlichere Hinweise zu diesem bemerkenswerten Buch geschrieben, Hinweise, die ich hier noch einmal, am 21.2.2017, vorstelle:

Die 150 Abgeordneten des Niederländischen Parlaments (Tweede Kamer) erhalten dieser Tage (also 2010) einen Katechismus geschenkt. Ungewöhnlich, in einem säkularisierten Land wie Holland. Dabei handelt es sich nicht um den Versuch, klerikale Machtansprüche in der Politik durchzusetzen, das liegt den Autoren des ungewöhnlichen Katechismus auch völlig fern. Denn sie treten als “freisinnige, liberale Christen” entschieden für die Trennung von Kirche und Staat ein. Aber ihnen liegt daran, mit allen Menschen, auch mit Politikern, in einen partnerschaftlichen Dialog einzutreten, nicht über Dogmen, wohl aber auch ethische Orientierungs  – Vorschläge!

Es ist schon komisch: Ausgerechnet in Holland erscheint dieser Tage ein neuer Katechismus. Ist das Wort „Katechismus“ nicht völlig out, völlig verbraucht, gerade in den Niederlanden, wo nur noch etwa 35 Prozent der Bevölkerung Mitglieder einer christlichen Kirche sind und die wenigsten Menschen von dogmatischen Lehren unterwiesen werden wollen? In dieser Situation muss man schon etwas Außergewöhnliches vorweisen: Der neue holländische Katechismus  konnte entstehen, weil die vier freisinnigen christlichen Kirchen Hollands angesichts des zunehmenden Einflusses konservativer und reaktionärer Kirchen deutlich ihre eigene Stimme erheben, die Stimme der Freiheit, die dem Nachdenken allen Raum lässt und eben keine fertigen „ewigen“ Wahrheiten präsentiert. Es sind keine Leitungsgremien, keine Bischöfe und keine Päpste, die diesen Katechismus verfasst haben, sondern zwei Pfarrer, die im ständigen Austausch mit der Kultur der Gegenwart stehen: Christiane Berckvens – Stevelinck, Theologin der Remonstranten Kirche, und Ad Ablass, Theologe der freisinnigen Strömung innerhalb der Protestantischen Kirche (PKN) legen ein Buch vor, das in 12 Kapiteln Grundworte der menschlichen Kultur erläutert, Grundworte, die ihre Wurzeln in den biblischen Traditionen haben.  Am Anfang steht die „Compassie“, das Mitleid, am Ende die dem Mitgefühl und der Empathie verwandte Liebe. Andere Themen sind Gleichheit, Verbundenheit, Versöhnung, Gerechtigkeit, Friede, Wahrheit, Freiheit, Berufung, Glaube und Gott. Das neue Buch nennt sich ausdrücklich „Katechismus des Mitleids“, ein zweifellos ungewöhnlicher, wenn nicht gar provozierender Titel. Aber er deutet das Ziel an: Die LeserInnen werden eingeladen, angesichts der humanen, ökologischen und politischen Katastrophen der Gegenwart das Mitleiden zu entwickeln, nicht nur als spirituelle Haltung, sondern vor allem als aufgeklärtes Handeln zugunsten der Leidenden. Aber dieser Appell zum Handeln ist nicht dick aufgetragen, vielmehr bieten die einzelnen Kapitel Informationen und meditative Impulse zu diesen Grundworten humaner Existenz. So ist ein Buch entstanden, das sich wohl am besten in einer eher „meditativen und behutsamen Lektüre“ erschließt. Nebenbei: Das Buch verdankt wesentliche Anregungen der britischen Philosophin und ehemaligen katholischen Nonne Karen Armstrong, die sich ausdrücklich für eine „Charta des Mitgefühls“ einsetzt. So gehört dieses Buch zu dem weltweit entstehenden Netwerk „Compassion“! Alle Kapitel des Katechismus werden „eingeleitet“ mit schönen Nachdrucken von Gemälden, Chagall ist genauso vertreten wie Rembrandt, Claudio Taddei genauso wie Caravaggio oder Ferdinand Hodler. Die eigens für das Buch gefertigten Gemälde der Künstlerin Brigida Almeida aus Utrecht beschließen jedes Kapitel. Im Text werden die Leser mit einer Fülle an Informationen aus der Literatur, dem Film, dem Theater konfrontiert, Informationen, die gleichermaßen die Schwierigkeiten wie die Chancen einer Lebenshaltung vorstellen, die sich von den 12 „Katechismus – Grundworten“ inspirieren lassen will, biblische Perspektiven sind jeweils ein Kapitel unter den anderen. Das ist der typische freisinnige Geist, dass keinem „Bibel – Fanatismus“ gehuldigt wird, sondern spirituelle Inspirationen auch im „weiten Feld“ der Religionen und Kulturen präsentiert werden. Sympathisch werden es Berliner finden, dass zum Thema Freiheit schon im Titel auf den berühmten Ausspruch John F. Kennedys verwiesen wird: „Ich bin ein Berliner“, ein Ausspruch, der heute als Bekenntnis gegen alle Formen des Totalitarismus verstanden wird. Äußerst sympathisch ist auch, dass das Kapitel über die Liebe mit einem Bild von Julius Schnorr von Carolsfeld eröffnet wird, das die beiden Liebhaber David und Jonathan zeigt., sicher ist auch die Entscheidung für dieses Bild typisch für Freisinnige in Holland: Die Remonstranten waren ja die erste Kirche weltweit, die schon 1986 homosexuelle Paare –gleich welcher Konfession- in ihren Kirchen segnete. Sympathisch ist auch, dass der ungewöhnliche, progressive katholische Theologe Karl Rahner als Verteidiger der Mystik erwähnt wird.

Dies ist wohl der entscheidende Eindruck: Dieser auch vom Layout so schöne und freundliche Katechismus der freisinnigen Christen plädiert für die Mystik, sicher für eine moderne, eine durch die Aufklärung „hindurchgegangene” Mystik: Aber doch wird aller Nachdruck gelegt auf das innere Erleben des Göttlichen, das sich im Handeln ausdrückt. In der Mystik sehen die Autoren ohnehin die Zukunft des Religiösen. Interessant könnte es sein, wie sich die freisinnigen Kirchen selbst zu Orten (multi-religiöser) Mystik entwickeln. Vielleicht ist diese Mystik das neue Profil der Freisinnigen und ihrer Gemeinden? Vielleicht können sie mit diesem Profil weitere undogmatische, aber mystisch Interessierte einladen? Die niederländischen Autoren sind jedenfalls überzeugt: Gott ist nicht tot, er zeigt heute nur neue, ungewöhnliche „Gesichter“. Er hat vielleicht neue Kleider angelegt, wie die Autoren schreiben.

“Catechismus van de compassie”. Erschienen im Verlag Skandalon, in Vught, Holland. ISBN 978-90-76564-94-4.

 

The­sen­an­schlag heute: Kurz und störend. Ein Projekt zum 31. Oktober 2017!

Neun Komma fünf (9,5) Thesen zur Gesellschaft und zu den Kirchen. Als neuer Thesen – Anschlag.

Anstelle der heute schon wieder üblichen, in Büchern usw. veröffentlichten 95 Thesen:

Also: Neuneinhalb Thesen! Sie sind überschaubarer und vielleicht “heftiger”…

Thesen sind Einladungen zum Weiterfragen. Sie haben nichts Abgeschlossenes. Sie können selbstverständlich nicht „alles“ sagen zum Thema „Reformation 2017“.

Diese Thesen sind vor dem Hintergrund der Bedrohung der Demokratien durch das Lügen-Regime von Mister Trump formuliert sowie angesichts der Macht der Rechtsradikalen in ganz Europa; angesichts des Mauerbauens  rund um Europa; angesichts des vom reichen Europa zugelassenen massenhaften Krepierens von Afrikanern auf dem Mittelmeer; angesichts der zugelassenen “neuen KZs, die sich heute Flüchtlingslager nennen” (Zitat von Papst Franziskus, April 2017). Diese Thesen zum Reformationstag sind formuiert vor dem Hintergrund der Bedrohung der Menschheit durch (von Menschen gemachte) ökologische Katastrophen und durch die von Menschen gemachten bzw. gewollten Kriege. Diese sind intendiert von der Gier der Waffenproduzenten in Europas und Amerika. Gegenüber diesen Herren sind offenbar alle machtlos, nur die üblichen mahnenden Worte werden gesprochen…

Unsere leitende Erkenntnis ist also: Angesichts dieser Welt heute kann man nicht mehr „wie immer schon üblich“ von Reformation oder gar von Luther, Kirche, Spiritualität usw. reden und entsprechende Kirchen-Veranstaltungen planen. Haben wir das alles nicht schin 100 mal erlebt? Neues muss gesagt werden. Neue Thesen sollten gewagt werden. Die Erinnerung an einst ist wissenschaftlich wichtig, existentiell im Augenblick aber nicht so wichtig.

Lassen wir also Luther einmal beiseite und seine ewig wiederholten Prinzipien. Diese sind altbekannt, in schätzungsweise 50 neuen Lutherbüchern 2016/17 dargestellt: All das hat aber politisch bis jetzt wenig bewirkt. Widerstand gegen Unrecht, Unrechtssysteme und Lügensysteme ist bekanntlich alles andere als eine Kategorie im Denken Luthers und der meisten Lutheraner.

Es gilt heute den humanen Kern der biblischen Botschaft als menschlicher Weisheit freizulegen. Es gilt aber vor allem, einen alle Menschen verbindenden Humanismus der Vernunft zu entdecken und zu fördern. Dies ist die aktuelle Aufgabe der christlichen Kirche.

Wir verstehen die 9,5 Thesen als Projekt, an dem sich möglichst viele beteiligen können und sollen.

Gudrun Modlich hat am 27.9.2017 ihre neuneinhalb Thesen veröffentlicht:

Ist es sinnvoll an einen Gott zu glauben? Wenn ja, an welchen Gott?

9,5 Thesen von Gudrun Modlich

Vorwort:    Durch das Buch des Dalai Lama: “Ethik ist wichtiger als Religion” wurde mir klar, dass eigentlich gar nicht die Religionen ihre Ethik an die Menschen herantragen, sondern die Menschen sind es, die ihre jeweilige Ethik in ihre Religion hineinlesen. (Die Bewertung der Relevanz von Bibel- oder Koranstellen etwa erfolgt immer – unbewusst – im Licht des viel geschmähten “Zeitgeistes” oder – wie im Falle der Homophobie – um sein eigenes Unbehagen zu legitimieren.) Ein atheistischer Mensch verhält sich nicht unethischer als ein religiöser; das Maß an Mitgefühl und Altruismus korreliert nicht mit der Frömmigkeit. Was also bietet das Postulat eines Gottes? Ich habe etliche fromme Menschen erlebt, deren Glaube im Leid die Nagelprobe nicht bestand. Atheistisch erzogene Menschen hingegen griffen, um mit unverstehbarem Leid zurechtzukommen, zu einem sehr einfachen Gottesbild, das ihnen half. Im Folgenden versuche ich die Grundzüge dieser “Basisreligion” zu skizzieren, ohne Begriffe zu verwenden, die auf eine bestimmte etablierte Religion hindeuten könnten.  Das folgende Welt- bzw. Gottesbild habe ich aus Beobachtungen und Gesprächen mit Menschen, die mit Leidsituationen gut zurechtkamen, gewonnen und selbst bei Sterbebegleitungen mehrfach angewendet. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Menschen es ausprobieren und ihre Erfahrungen systematisch auswertet würden (inwieweit ist es wem, wann, unter welchen Voraussetzungen hilfreich), so dass daraus eine evidenzbasierte Maßnahme zu AEDL 13 des Pflegemodells nach Monika Krohwinkel werden könnte.

Meine 9,5 Thesen:  1. Gott ist das transzendente Du, das dem Dasein die Bedeutungsdimension hinzufügt. Diese Bedeutung ist mystisch, unverstehbar, durchzieht die Welt und übersteigt sie zugleich. Mit Gott erhält alles Dasein Glanz und Schimmer. Im Bild gesprochen: Ein an Gott Glaubender erlebt die Welt gewissermaßen in 4 D. (Was nicht heißt, dass 3 D nicht auch okay ist.)

2. Gott ist ein Baum mit vielen Blättern. Wiewohl der einzelne Mensch Gott spüren, ahnen und erfahren kann, reichen die Erfahrungen aller Menschen aller Generationen nicht aus, um das Bild Gottes zu vervollständigen.

3. Gott ist NICHT notwendig, um die Welt zu erklären. Verstandesmäßig lässt er sich nicht erfassen. Gott ist eher zu „begreifen“ mit Grundeinstellungen wie Staunen, Hingabe, Liebe.

4. Gott ist NICHT notwendig, um ethische Normen zu etablieren. Wir haben mittlerweile genügend Erfahrungen gesammelt, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen. Der Mensch ist in der Lage, “gut” und “böse” selber zu erkennen.

5. Wer OHNE Gott NICHT auskommt, das ist der Mensch in seinen existenziellen Erfahrungen, Leid, Schmerz, Verlust, Tod. In diesen Momenten ist Gott ein Ufer, an dem wir ankern können, um nicht wahnsinnig zu werden. Ohne Gott wird es hier sehr hart.

6. Das zu verkündende Gottesbild muss demzufolge ein menschliches und Leid linderndes sein. Einen unmenschlichen und grausamen Gott brauchen wir nicht! Damit Gott ein menschlicher ist, müssen wir ihn als rettend, haltend, tröstend, helfend, liebevoll, verstehend, annehmend und verzeihend beschreiben.

7. Wir Menschen sind Partner Gottes. Gott handelt durch uns, sofern wir ihn nicht daran hindern. Indem wir von uns selbst absehen, werden wir durchscheinend für die Liebe Gottes, und durch uns wird sie in der Welt erfahrbar.

8. Gott straft nicht. Niemals. Die Hölle, das sind wir selber. Das Fegefeuer ist unser Entsetzen im Erkennen darüber, wer wir selber sind, wenn wir unser Leben betrachten. Je mehr wir vorher mit unserem Leben Frieden gemacht haben, desto friedlicher ist unser Tod. Uns erfasst eine Sehnsucht. Wir werden abgeholt. Wir gehen ins Licht. Alle.

9. Gott ist nicht nur Gott aller Menschen. Er ist Gott alles Seienden. Was wir als grundloses Leid erfahren, ist nur von unserem anthropozentrischen Blickwinkel her unverstehbar. Aus einer “onto-zentrischen” Warte, d. h. mit Focus auf alles Seiende in seinem steten Wandel (welches zu überschauen nur Gott möglich ist) wären diese Erfahrungen erklärbar.

9,5. Raus aus bedrückenden Denkmustern!

Copyright: Gudrun Modlich.

Die neuneinhalb Thesen von Christian Modehn vom Februar 2017:

  1. Kirchen und Glauben, Religionen und Atheismen sind nicht primär wichtig. Was heute für den einzelnen und die Gesellschaft im Mittelpunkt steht ist das ethisch verantwortete und reflektierte Leben.
  2. Die eigene Urteilsbildung und die seelische Reife der Menschen (und Christen) zu fördern ist wichtiger als konfessionelle Dogmen – etwa im Unterricht – zu vermitteln und zu verbreiten. Philosophieren muss im Mittelpunkt stehen. Ideologien werden entlarvt und dringende humane Projekte (Ökologie, atomare Abrüstung, Kritik der totalitären und “halbtotalitären” Herrschaft  usw.) besprochen.
  3.  Eine konfessionell geprägte, so genannte christliche Ethik, ist niemals primär und maßgeblich. Sie kann lediglich die allgemeine humane, die vernünftige Ethik verstärken. Jesus von Nazareth kann „inspirierendes Vorbild“ genannt werden. „Jesuanischer Geist“ findet sich außerhalb der Gruppen, die sich ständig und oft scheinheilig auf Jesus Christus berufen. Sein Geist ist z.B. in einigen NGOs (Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International) anwesend und lebendig, vielleicht sogar lebendiger als in den müden, um Dogmen und andere Themen ewig ringenden und streitenden Kirchen.
  4. Die Menschen sollten sich in neuen offenen und reifen Gruppen und Gemeinden treffen; auch, um gemeinsam für mehr Gerechtigkeit hier und weltweit einzutreten. Das Ziel: Es darf keine Mauern zwischen den unterschiedlichen, aber gleichberechtigten Menschen und Kulturen geben. Wer als Politiker Mauern baut, auch in Europa gegenüber Flüchtlingen, muss zurückgewiesen und „in Pension“ geschickt werden.
  5. Das Hungersterben, das weltweite Elend, muss als absolute Schande der Menschheit wahrgenommen werden. Es muss alles Denken und Handeln begleiten. Es kann nur durch eine neue, gerechte Welt-Gesellschaft überwunden werden. Dazu müssen Umverteilungen des Reichtums, auch durch Enteignungen von Milliardären etwa, stattfinden. Es gilt, endlich eine „Obergrenze“ ethisch vertretbarer Einkünfte zu debattieren.
  6. Die getrennten Kirchen erkennen an: Wir wollen nur noch das eine Wesentliche, das eine Zentrum, des christlichen Glaubens lehren und leben: Die Liebe unter den Menschen und die Liebe zu einer Wirklichkeit, die viele Gott nennen. Die immer wieder und endlos besprochenen dogmatischen Differenzen werden als überflüssige Hobbys klerikaler Herrscher entlarvt. Gottesdienste werden aus der rituellen Erstarrung und Langeweile befreit. Sie werden zu Lebensfeiern.
  7. Der biblische Gott wird nicht länger als immer zur Verfügung stehende (Herrschafts-)Formel und Floskel verwendet. Gott wird vielmehr als Geheimnis eher schweigend und liebend und in einer allgemeinen Mystik verehrt. So finden unterschiedliche Religionen zueinander. Die neuen Götter in ihrer ganzen Vielfalt werden entlarvt (Fußball, Sport, Leistung, Körperkult usw.) sowie owie der oberste Gott, über allem, das Geld bzw. das Bestreben, „immer mehr“ das „Haben“ als absoluten Wert zu verehren.
  8. Das göttliche Geheimnis kann selbstverständlich auch in Kunst, Literatur, Musik, in der Erotik, in der Natur, im solidarischen Engagement entdeckt werden. Diese Gotteserfahrung ist dann authentisch, wenn sie die Menschen zu einer personalen Befreiung und Reifung führt.
  9. Die Befreiung der Frauen, besonders der leidenden und unterdrückten Frauen in den arm gemachten Weltregionen, hat oberste politische und kirchliche Priorität. Solange die römische Kirche (von den orthodoxen Staats- bzw. Regime-Kirchen ganz zu schweigen) Frauen nicht als völlig gleichberechtigt akzeptiert, kann sie nicht ernst genommen werden. Auch die völlige Gleichberechtigung homosexueller Menschen muss weltweit erkämpft werden. Homosexualität ist normal, Homosexualität ist eine normale Variante in der sexuellen Orientierung. Alles andere zu behaupten ist Unsinn, ist kontra-faktisch, widerspricht den Wissenschaften. Offenbar sind viele Christen und Kirchen immer noch gern gegen Wissenschaften eingestellt.

      9,5. Weiter denken: Und die eigenen neuneinhalb Thesen schreiben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Steve Bannon katholisch, mit Freunden auch im Vatikan, wird er exkommuniziert?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.2.2017.

Der stärkste und militanteste Mann im Trump – Regime, den sehr viele einen Rassisten und faschistoiden Typen nennen, Steve Bannon, ist, bisher eher selten wahrgenommen, ein Katholik. Der Vorschlag des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” heißt: Der Vatikan könnte und sollte Steve Bannon exkommunizieren. Als juristischen Beitrag kirchlicherseits gegen Bannon, um dadurch auf dessen völlig inakzeptable ethische und politische Positionen aufmerksam zu machen, Meinungen und Positionen, die den Weltfrieden bedrohen. Im Canon 1369 des offiziellen “Codex Iuris Canonici” heißt es innerhalb der Ausführungen zu den “Straftaten gegen die Religion und die Einheit der Kirche” u.a. “Wer eine Gotteslästerung zum Ausdruck bringt, die guten Sitten schwer verletzt oder Hass und Verachtung hervoruft, soll mit einer gerechten Strafe belegt werden”. Diesen “Tabestand” vor Augen hatte Papst Franziskus im Juni 2014 Mitglieder der süditalienischen Mafia exkommuniziert. Dieses Ereignis kommentierte Roberto Saviano mit Blick auf Italien in “Die Zeit” vom 26. Juni 2014, Seite 5: “Die Exkommunikation ist als eine Geste von größtmöglicher Symbolkraft geeignet, die oftmals engen Verbindungen der mafiösen Clans zu den Pfarreien vor Ort zu kappen”… Welche politischen Verbindungen würden “gekappt” werden, wenn Bannon exkommuniziert wäre?

Diese Forderung einer öffentlichen Ausgrenzung, Exkommunikation, Bannons sollte ausgesprochen werden, auch wenn sie wenig Chancen auf eine Realisierung hat. Denn Steve Bannon hat zu viele mächtige Fürsprecher im Vatikan, auch unter zahlreichen reaktionären Kardinälen dort, siehe unsere Hinweise auf das Institut”Dignitatis Humanae” in Rom und Brüssel. Man wundert sich dabei nur, mit wie vielen sekundären Themen sich der Vatikan befasst, wie dieses “ewige” Thema der “Wiederverheiratet Geschiedenen”…

Die „New York Times“ hat dazu ein ausführliches Dossier veröffentlicht, wie sich Bannon im Vatikan beliebt machte. Klicken Sie hier.

Und die konservative katholische Wochenzeitung „National Catholic Register“ berichtete über Bannons Verbindungen zu einem reaktionären katholischen Studienzentrum in Rom und Brüssel, mit dem hübschen Namen „Dignitatis Humanae Institut“, der Titel erinnert an einen Text zur Religionsfreiheit des 2. Vatikanischen Reformkonzils. Zu weiteren Informationen über dieses “Forschungszentrum” mit dem Namen “Institut der menschlichen Würde” (vor allem für die Würde des Mister Bannon) klicken Sie hier. Wer die website dieses Instituts aufschlägt, ist sofort mit dem Katholiken Bannon konfrontiert. Zu den “Patrons” des Instituts gehörte u.a Otto von Habsburg, sehr konservative Kardinäle, wie die Herren Kardinäle Brandmüller, BURKE oder Sarah, gehören zur Leitung; offizieller “Hausgeistlicher” ist der umstrittene englische Franziskaner Michael Seed. Informationen auch über ihn, der für die Konversion von Tony Blair zuständig war… Klicken Sie hier.

Wir fragen uns im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin:

Die Richter und Juristen im allgemeinen sind wohl noch eine starke Kraft in den USA, um gegen die totalitären Ansprüche des Trump-Regimes vorzugehen. Warum nicht auch die katholischen Kirchen-Juristen? Warum sollte also nicht die Frage diskutiert werden: Wann wird Steve Bannon, der mit universal geltenden Menschenrechten überhaupt nichts zu tun hat, siehe seine Beiträge in “Breitbart”, wann also wird dieser katholische Ober-Hetzer und katholische Feind des Demokratie nicht von Papst und US-Bischöfen EXKOMMUNIZIERT? Wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon sind überhaupt keine Freunde von Exkommunikationen. (Es wurden allzu oft die falschen, nämlich die theologischen Abweichler und theologisch kreativen Ketzer exkommuniziert…).  Aber in größter Not haben Exkommunikationen auch heute einen symbolischen und vielleicht auch politischen Wert: Den Amis sollte der Papst also sagen: Dieser Typ Steve Bannon ist ab sofort nicht mehr katholisch. Bei den großen Mafia-Bossen in Italien hat Papst Franziskus diesen symbolischen Akt auch vollzogen. Die Mafiosi morden trotzdem weiter, aber die Öffentlichkeit weiß: Diese Typen gelten selbst im Vatikan nicht als katholisch. Sie sind Verbrecher. Beichten reicht dann für sie nicht mehr: Diese Typen müssen sich politisch-ethisch verwandeln d.h. zum Respekt vor der universal (!) geltenden Menschlichkeit und den Menschenrechten zurückkehren.

Aber vielleicht stehen viele führende Katholiken und Bischöfe in den USA insgeheim und offen auf Steve Bannons Seite? Das wäre eine Katastrophe, die kritischer Recherche-Journalismus natürlich dokumentieren müßte.

Thomas Assheuer bietet in “Die Zeit” vom 9.Februar 2017, Seite 35, den wichtigen Hinweis auf eine Connection zwischen Steve Bannon und Alexander Dugin, Russland, der dort als Neo-Faschist betrachtet wird.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Die Heimat des Weltbürgers. Ein Text zum Salongespräch am 27.1.2019

Hinweise von Christian Modehn

Das dringende Thema voller offener Fragen

Die Begriffe Heimat – Nation und Weltbürger (Kosmopolit) stehen in einer Spannung zueinander, nicht nur in der politischen Philosophie, sondern in der Existenz des einzelnen. Es kommt heute in der globalen Welt darauf an, eine vernünftige Gestalt des Weltbürgers zu beschreiben und gleichzeitig eine kritische Verbundenheit mit Heimat bzw. Heimaten zu entwerfen. Dabei ist (geographische) Heimat einbezogen in einen Nationalstaat und wiederum in eine übergreifende politisch-ökonomisch-kulturelle Struktur, die EU.

Ausgangspunkt für unser Thema kann nur die kritisch reflektierte Erfahrung gegenwärtiger Politik sein. Und da hat sich in den letzten Jahren eine Metamorphose vollzogen. Man kann sie inhaltlich als bewusste Abkehr von den humanen und demokratischen Werten beschreiben, die noch vor 15 Jahren „eigentlich“ für die allermeisten selbstverständlich waren. Aber die demokratisch Gesinnten waren zu naiv: Unter dem Schein des „Normalen“ schlummerten bei vielen Rassismus, Anti-Humanismus, Nationalismus.

Es gibt also immer mehr eine aggressive Abwehr von Fremden und Flüchtlingen, mit Stacheldraht wie etwa in Ungarn, in den USA, nun auch zusätzlich noch mit Mauern.

Wir leben wieder in einer Zeit, die scharf bewachte Grenzen liebt und aktuell das mögliche Erfrieren von Flüchtlingen in der eisigen Kälte in Serbien einfach so hinnimmt. Hotels für Sommergäste stehen in den griechischen Inseln leer, und vor den Türen erfrieren Flüchtlinge in der Kälte. Und kein Mensch kommt auf die Gedanken, im Rahmen eines „humanitären Notstands“ die Hotelzimmer zwangsweise zu öffnen… Heimatliebe und Privateigentum gehen eben vor. Es gibt eine neue Fixierung auf das Eigene. Die Humanität wird vom Egoismus zerfressen und droht dabei unterzugehen.

Ich fand in der neuesten Broschüre der katholischen Akademie Frankfurt am Main auf Seite 29 angesichts der zunehmenden ungleichen Verteilung von Reichtum ein Zitat des bekannten Theater-Autors Heiner Müller: “Irgendwo werden Leiber zerbrochen, damit ich wohnen kann in meiner Scheiße“, so in dem Theaterstück „Die Hamletmaschine“ von 1977. Ein literarischer Ausdruck für erstarrte Menschlichkeit, für die dialektische Abhängigkeit vom Leiden der fernen Anderen und dem dann doch nicht so erfreulichen Leben in einer materiell gut versorgten Welt. Die katholische Akademie Frankfurt schreibt: „Doch wenigstens diese künstlerische Übermittlung der Wahrheit sollten wir wohl aushalten können. Machen wir uns nichts vor: Genauso wie es der Dramatiker Heiner Müller ausdrückt, ist es“.

Wir müssen uns z.B. angesichts des Trump-Regimes darauf einstellen, dass wir weiterhin mit einer dauerhaften gezielten Sprachverwirrung konfrontiert werden. Man denke etwa an das dort propagierte Wort der „alternativen Tatsachen“ bzw. „alternativen Wahrheit“, also der vom Regime bestimmten Wahrheits-Propaganda als Leugnung der überprüften und überprüfbaren Tatsachen. Erstaunlich und bezeichnend, dass der große Roman „1984“ von George Orwell zur Zeit wieder höchste Auflagen erlebt, nicht nur in den USA.

Heimat braucht Kritik

Der Begriff Heimat, ein typisch deutsches Wort, das immer noch romantische Vorstellungen wachruft. „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum…“ Der Text des bekannten Liedes von Franz Schubert endet mit einer Verheißung: „Nun bin ich manche Stunde entfernt von jenem Ort und immer hör ich’s rauschen: du fändest Ruhe dort“. Heimat, ein Sehnsuchts-Ort, an dem man Ruhe findet in der „tiefen Nacht“ der fremden Welt. Heimat ist in dem Sinne der vertraute Ort der Geborgenheit, der Familie und der guten Menschen, des Naturerlebens. Heimat ist auch eine überschaubare Region, in der das eigene Leben sinnvoll und lebenswert erscheint. Dies ist ein gutes Recht des Bürgers, sich diese Heimat als Ideal zu wünschen. Unter der Bedingung, dass diese Heimat von den Bürgerrechten und der Demokratie bestimmt ist. Und das ist auch in Deutschland nicht selbstverständlich. Wie viele Flüchtlinge werden in den kleinen Dörfern der Heimatverbundenen schikaniert und bedrängt. Heimatverbundenheit und Respekt der Menschenrechten gehören zusamen. Selbstverständlich haben viele Menschen mehrere „Heimaten“: Etwa die Literatur, die Musik, auch die Religionen, geistige Sphären, in denen man sich, wo auch immer man lebt, wohl fühlt, zuhause fühlt.

Der Nationalstaat und seine Aggressionen

Die geographische Heimat gibt es seit Ende des 18. Jahrhunderts nur als Einbindung in einen Nationalstaat. Der Nationalstaat ist eine moderne Erfindung. Im Nationalstaat werden wir mit bestimmten Bürgerrechten ausgestattet, wir haben etwa Ausweispapiere, sind also nicht staatenlos, „ohne Papiere“, wie man heute in Flüchtlingskreisen sagt. Der Nationalstaat mit der einheitlichen Sprache, der Zentralverwaltung und Verfassung und den festen Grenzen und Grenzkontrollen entwickelt eine Art Sendungsbewusstsein, einen missionarischen Drang. Die „Grande Nation“, Frankreich, hatte diese Mission, sie wirkte sich kolonialistisch aus; die USA hatten und haben eine Mission, weil sie meinen, die freie Welt zu repräsentieren und den eigenen Lebensstil allen anderen aufzudrücken, bis hin zum US Imperialismus.

Der Nationalstaat wird von den Herrschern als bindender Wert für alle Bürger beschworen: Siehe die Hymnen, die Flaggen-Verehrung, die Staatsfeiertage usw. Es wird der Nationalstaat auch emotional als wirksame Ideologie verbreitet, die sich in den Köpfen der Bürger festsetzen soll. Der Nationalstaat braucht als „identischer Ort“ die ideologische Abgrenzung von den anderen, den Fremden. Ich zitiere aus dem Buch „Enzyklopädie Philosophie“, Band II, ein Beitrag von Peter Alter: “Die Nation braucht Feinde, weil das offenbar die Suche nach der eigenen Identität erleichtert“ (S. 1702).

Der Nationalstaat ist nicht nur kriegerisch, er ist imperialistisch und kolonialistisch. Noch die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine Blütezeit der Sklaverei. Trotz einiger Kritik vor allem in England wurden 3,3 Millionen Sklaven noch im 19. Jahrhundert von Afrika über den Atlantik transportiert. (Christopher Baly, Die Geburt der modernen Welt, Frankfurt 2006, Seite 500). Erinnert werden muss an die so genannte „Kongo-Konferenz“ in Berlin 1884-1885, als Europa, auch Deutschland, sich Afrika aufteilte und Kolonien festlegte.

Heute erleben wir ein massives Erstarken des Nationalismus in ganz Europa und in den USA. Man denke an die Sprüche von Mister Trump „America first“ usw. Die AFD und ihr Vorzeigephilosoph Marc Jongen beziehen sich gern auf den jetzt offenbar wieder beliebten Nazi-Vordenker Carl Schmitt. Er hat in seinem Buch „Begriff des Politischen“ (1927) nicht nur die Vernichtungsmaschinerie der NAZIS vorformuliert, er stellt die Vernichtung des Heterogenen, also was nicht in den deutschen Staat passt, heraus. Schmitt hat das Freund-Feind-Schema hochgejubelt; er ist für die Plebiszite als der angemessenen Form der Demokratie eingetreten: „Die Regierten (also die Bewohner) sollten sich mit den Regierenden identifizieren!“ (in: Enzyklopädie Philosophie, II, S. 2090, Beitrag von Werner Goldschmidt). Es ist heute Konsens der Demokraten, dass die AFD “nationalistisch, autoritär und frauenfeindlich” ist, wie es Justizminister Heiko Maas sagte. „Das Programm der rechtspopulistischen Partei ist der Fahrplan in ein anderes Deutschland, in das Deutschland von vorgestern”, schreibt er für SPIEGEL Online.

Heute kommt es darauf an, die Macht selbst eines demokratischen Nationalstaates zu begrenzen und dafür zu sorgen, dass er in über-nationale Zusammenhänge und Staaten-Bündnisse (EU) eingebunden ist. Die Chancen dafür sind im Augenblick nicht gerade verheißungsvoll. Aber: Eines Tages wird es wohl eine friedliche „Nation Europa“ geben, ein Bundesstaat Europa hätte den Nationalismus überwunden.

Europa muss die Weite des freien Geistes, der Aufklärung, wieder als die Grundlage der eigenen Staaten und der vielen europäischen Heimaten erkennen.

Wir brauchen wieder die Philosophie der Aufklärung, wir brauchen den kritischen Geist gegen die Herrschaftsformen, die Ablehnung alles Totalitären in Staat und Kirchen, kurz: wir brauchen wieder mehr KANT.

 Der Weltbürger Kant und der „ewige Friede“

Es ist wichtig, an Immanuel Kant zu erinnern.

Er zeigt sich als Kosmopolit, als ein Philosoph, der die Menschheit wichtiger bewertet als die Bindung an eine Heimatregion. Er entwirft in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (von Ende 1795) die Prinzipien einer internationalen Rechts- und Friedensordnung. Nur diese Hinweise:

Kant geht es nicht um den angeblichen Frieden, genannt Waffenstillstand. Er will Frieden auf Dauer, „auf ewig“. Und dies nicht als schönen Traum, über den die Staatsoberhäupter, „die des Krieges nie satt werden können“, so wörtlich, nur lächeln können. Kant ist überzeugt: Ewiger Friede ist langfristig möglich, und er muss auf gesetzliche Weise gestaltet werden. Generell wird der Krieg von ihm geächtet. Aber solange es noch Kriege gibt, muss wenigstens eine auf den Frieden bezogene Reform der Kriegsplanungen stattfinden. Kant plädiert darum in seinen Maximen fürs Abrüsten; es darf keine Staatsschulden geben, die für ihn zur ständigen Aufrüstung führen; es darf kein stehendes Heer geben, das nur zum Wettrüsten führt; man darf sich nicht mit Gewalt in andere Regierungen einmischen, sie sollen sich selbst reformieren. Frieden setzt humanes Vertrauen untereinander voraus und das muss gefördert werden.

Was treibt die Menschen zum globalen Frieden? fragt Kant. Man sollte sie an die Schrecken der Kriege ständig erinnern; die Republik fördern als Mitbestimmung aller, also für die Demokratisierung eintreten. Die Bürger haben aus Liebe zum eigenen Leben kein Interesse an Krieg! Das heißt: Der aufgeklärte, (selbst)kritische Mensch will keinen Krieg. Nur der aufgeklärte Mensch in einer Republik, kann Frieden schaffen.

Das ist der Geist der AUFKLÄRUNG: Die Menschen sollen sich an das erinnern, was sie sein können und tun können, sich nicht auf den Ist-Zustand begrenzen. Wir leben in Zeiten, in denen die angeblich Klugen, die Besserwisser, jegliche positive Entwicklung abweisen, lächerlich machen. Diese Stimmung kann den kritischen Elan der Vernunft einschränken.

Hinter diesem Realismus der Realpolitiker verbirgt sich nur der Machterhalt der eigenen Privilegien. Wer ernsthaft in Deutschland die Rüstungsindustrie als den Kriegs befördernde Industrie nicht einschränkt und verbietet, hat als Politiker bestimmte (materielle) Interessen. Er steht nicht aufseiten des Friedens, sondern der Waffenschmiede. Warum werden solche Politiker nicht befragt und ggf. nicht mehr gewählt?

Kant fordert für das Leben einer sich dem Frieden zuwendenden Welt: Die Menschen können zwischen den Staaten hin und her verkehren; Forscher, Händler, Missionare. Immer aber sollen sie ohne Gewalt in anderen Ländern tätig sein. Im Weltbürgerrecht gibt es das Recht, dass jeder Fremde die Hospitalität, also ein Recht des Besuchens, genießen kann. Jeder kann jedes Land besuchen. Kant spricht also nicht von Gastrecht, also von einer Form des Bleiberechts. Er will nur das Besuchsrecht. Das sagt er im Blick auf die Kolonialherren: Die dürfen sich in fremden Territorien nicht niederlassen, nicht festsetzen. Kant kritisiert die Kolonialpolitik der europäischen Staaten. Die Europäer verstehen das Besuchsrecht in Afrika usw. als Eroberungsrecht. Das ist Missbrauch des Besuchsrechts. Und das muss abgewiesen werden. Darum plädiert er nur für das globale Recht, alle Länder (kurzfristig) zu besuchen.

Kant plädiert bloß für einen eher „locker verbundenen“ Völkerbund, das ist sicher ein Mangel in Kants Überlegungen.

Er sieht, dass seine Idee des Völkerbundes noch keine übergeordnete vereinheitlichende Staatsmacht kennt. Kant kann mit seiner Völkerbundsidee nur hoffen, dass die einzelnen Staaten ihre egoistische Staatsraison zurücknehmen, um des Friedens willen. Es gilt für Kant immer die MORALISCHE Pflicht, den Frieden zu fördern. Das können nur Politiker, die selbst den Prinzipien der Moral (Kategorischer Imperativ) entsprechen.

Was ist kosmopolitisch? Wer ist ein Weltbürger?

Kosmopolitisch leben heißt: Verbundenheit mit einer über alles Nationale hinausgehenden Wirklichkeit, der ganzen Welt prinzipiell. Schon Diogenes von Sinope (323 vor Chr. gestorben), der Kyniker, also der radikale Alternativler in der Antike, sah sich mehr in der Ordnung des Kosmos als in der eigenen Polis verwurzelt. Später hat dann Dante in seinem politiktheoretischen Werk „Monarchia“ von 1316 ein Weltkaiserreich entworfen, in dem die Bürger ihre partikulare Herkunft überwinden und so friedlich miteinander leben können.

Heute sind wir de facto schon immer Weltbürger. Wir sind immer schon hinausgewachsen aus den engen Grenzen von Heimat und Nation, das gilt für den Lebensstil und die Nutzung der Technik, das gilt für die Vernetzung in der Ökonomie.

Der Soziologe Ulrich Beck hat sich in zahlreichen Studien mit dem Kosmopolitismus auseinandergesetzt, für ihn hat er „eine uralte und zukunftsweisende Bedeutung“: Er ist pränational und postnational (S. 24 in: „Das kosmopolitische Europa“, 2007). Das kosmopolitische Projekt ist das Bemühen, „neue demokratische Formen der politischen Herrschaft jenseits der Nationalstaaten zu konzipieren“ (S. 25).

Kosmospolitisch handeln beginnt schon, wenn man in größeren Zusammenhängen, etwa Europas oder der Beziehungen Deutschlands zu Afrika denkt.

Dabei kommt es zuerst darauf an wahrzunehmen, dass wir immer schon in kosmopolitische Zusammenhänge hineingestellt sind:

In der eigenen Nation leben heute Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener ursprünglicher Heimaten. In Deutschland sind 20 Prozent aller Mitbürger „anderer Herkunft“, also Immigranten, Gäste, Studenten von weit her, Flüchtlinge usw. Den deutschen Pass haben Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, sie sind Deutsche! Dadurch wird die Form der homogenen Heimat überwunden.

Wir leben längst schon in kosmopolitischen HANDLUNGSRÄUMEN, betont der Soziologe Ulrich Beck. Allein schon in der Lebensgestaltung, in den neuen transnationalen Lebensräumen, sind wir mit der Welt verbunden, oft auf eine bloß äußerliche Art…

ABER: Wir sind, wegen unserer, im übrigen schon gar nicht mehr aufzuhebenden internationalen Bindungen, noch längst nicht Kosmopoliten. Die internationalen Bindungen können auch für die Vorherrschaft der eigenen Nation oder des eigenen Konzerns usw. genutzt werden. Die Zusammenhänge des Welthandels hingegen gerechter zu gestalten, ist eine „Dauerforderung“ des Kosmopoliten. Er muss sich Formen politischen Handels überlegen, um dieses Ziel durchzusetzen.

Zum Kosmopolitischen Leben und dem Weltbürger gehört elementar: Die Anerkennung des anderen Menschen ALS Menschen. „Das Fremde wird nicht als bedrohlich, desintegrierend, fragmentierend erfahren und bewertet, sondern als bereichernd….Wer die Sicht der Anderen im eigenen Lebenszusammenhang integriert, erfährt mehr über sich selbst UND die Anderen“ (Ulrich Beck, a.a.O, S 28). Zum Weltbürger gehört: Die Herrschaft des gerechten Rechts, politische Gleichheit, soziale Gerechtigkeit….

Die politische und ethische Praxis des Weltbürgers

Ein Kosmopolit ist also nicht einfach schon jeder Weltreisende. Weltbürger sein ist zuerst und vor allem eine geistige, politische, vielleicht sogar spirituelle Haltung! Ein Kosmopolit hat Kenntnisse der anderen Kulturen und Nationen. Er kann sich in die Menschen anderer Kulturen hineinversetzen, indem er mindestens die eigenen übliche Sitten und Gebräuche relativiert.

Ein Kosmopolit schätzt den anderen und die anderen, die Fremden und Befremdlichen, als gleichberechtigte menschliche Wesen. Ein Kosmopolit will die anderen als andere. Das ist kein romantisches Gefühl, in dem man sich unter Tränen der Rührung der eigenen Großzügigkeit erfreut. Den anderen und die anderen weltweit prinzipiell als Menschen anzuerkennen, hat rechtliche Konsequenzen.

Ein Beispiel: Wer etwa in seiner Heimat, seinem Nationalstaat Deutschland, gut lebt, hoffentlich aufgrund gerechter Wirtschaftsbeziehungen, und wer dieses gute Leben für sich beansprucht, muss sich sagen: Ich kann nur frei sein (also gut leben, Freiheit ist die unverzichtbare Basis dafür), wenn auch die anderen frei leben können, also gut leben können. Und zwar letztlich „alle anderen“!

Kosmopolitisches Leben hat heute vor allem angesichts der katastrophalen ungleichen Verteilung der Güter und der Einkommen Auswirkungen, es geht um den Aufbau gerechter Gesellschaften innerhalb der einen Weltgemeinschaft.

Es geht dann auch um den Willen, einen eigenen Beitrag zu leisten für den Aufbau einer gerechten Weltordnung, und das ist eine Weltgesellschaft, in der alle Menschen menschlich leben können, also gesund, gebildet, mit wirklichem Wohnraum, in demokratischer Ordnung.

Zu dem Eintreten für internationale Solidarität (als Ausdruck der weltbürgerlichen Existenz und vor allem als Ausdruck dafür, dass wir alle einer Menschheit angehören) eine Erinnerung:

In einer nüchternen philosophischen Betrachtung kann man sich auf die Weisheitssprüche des Neuen Testaments beziehen: Denken Sie etwa an das Wort Jesu bzw. schon der hebräischen Bibel: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Mit dem „Nächsten“ ist der andere Mensch gemeint, auch der in der weiten Ferne lebende andere.

Jesus spricht auch vom Barmherzigen Samariter, das Lukasevangelium im 10. Kapitel erzählt davon. Jesus verwendet das Gleichnis vom hilfsbereiten Samariter, als Beispiel, um die Frage zu illustrieren: Wer ist denn mein Nächster? Ich will hier nur aufmerksam machen, dass der barmherzige Samariter tatsächlich schon strukturelle Hilfe leistet: Er pflegt nicht nur die Wunden des Verletzten, er bringt ihn eine Herberge , bleibt bei ihm und bezahlt den weiteren Aufenthalt des Verletzten.

Stefan Gosepath, Philosoph in der FU, meint: Es gibt eine HILFSPFLICHT: Die unmittelbare Not eines anderen Menschen verpflichtet mich zu helfen, und zwar gilt diese Pflicht für nahe Menschen vor unseren Augen wie für Menschen in der weiten Ferne. Die Hilfspflicht geht von der Einsicht aus: Ich will, dass man mir in meiner Not tatsächlich hilft. Ich kann es nicht ertragen, wenn man mir in meiner Not nicht hilft. Daraus folgt: Auf Hilfe hat prinzipiell jeder Mensch als Mensch Anspruch, gerade dann, wenn er in einem Umfeld lebt, in dem humane Strukturen wenig ausgebaut sind.

Der Weltbürger sucht sich Kontakte, Partner, weltweit

Man kann wohl als einzelner Weltbürger hier nicht die Lebenssituation aller Menschen in Afrika oder wenigstens in einem Land zum Positiven verändern. Aber der deutsche Weltbürger kann sich sagen: Auch die fernen Leidenden, sagen wir in Bangui, Zentralafrikanische Republik, haben Anspruch darauf, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Es ist doch seltsam, dass dort wie fast überall in Afrika die wenigsten Menschen z.B. Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, aber smartphones besitzen, auf denen sie den Luxus der Europäer der einstigen Kolonialherren, sehen und bewundern…

Der Kosmopolit, der Weltbürger, ist der sich ständig fortbildende Bürger. Er sucht, wenn möglich, persönliche Beziehungen zu Menschen in der „Ferne“, etwa in Afrika oder Lateinamerika..

Über den kleinen Horizont der Heimat und Nation muss jeder hinausschauen … und wahrnehmen: Es sind die von den reichen Nationen dominierten ökonomischen Strukturen, die das Leben der Armen – weltweit – behindern. Und in Afrika und Lateinamerika leben überwiegend „arm gemachte Menschen“. Diese ökonomischen Strukturen muss der Weltbürger öffentlich machen und freilegen. Und sich NGOs anschließen, die diese ökonomische Allmacht gewisser transnationaler Konzerne kritisieren, sich mit dem „transfairen Handel“ befassen usw… Es gibt also „Pflichten“ des Weltbürgers! Und es gibt Pflichten, sich zu informieren: Was die eigene persönliche Gesundheit angeht, informieren wir uns pflichtgemäß über Nebenwirkungen der Medikamente usw. Wir müssen uns auch informieren, unter welchen antihumanen Bedingungen Menschen in Afrika (vor allem Kinder) dafür sorgen, dass wir modernste (Elektro)Geräte in Europa und Amerika verwenden können.  Lesen Sie dazu den aktuellen Beitrag des Geographen Michael Reckordt in der SZ, klicken Sie hier.

Zu den Grenzen von bloßer Toleranz und dem „Multi-Kulti“

Weltbürgersein erschöpft sich NICHT in Toleranz: Toleranz bedeutet bekanntlich: Ich ertrage jemanden, dessen bestimmte Eigenarten ich eigentlich nicht mag, den ich aber aus gesetzlichen Gründen nicht aus meiner Heimat vertreiben kann; mit dem ich mich also arrangieren muss. Das ist eine ganz schwache Form des Miteinanders oder besser Nebeneinanders.

Hingegen: Weltbürgersein heißt: Der Weltbürger respektiert und schätzt die einzelnen Individuen, aber er liebt in ihnen auch die Menschheit, das Gemeinsame, das uns alle verbindet. Darum gilt: In jedem einzelnen leuchtet die einmalige Individualität auf und die allen gemeinsame Menschheit.

Die Frage ist, ob eine neue weltbürgerliche Welt-Gesellschaft ohne Formen der Veränderung des eigenen Lebensstandards hierzulande und bei den so genannten Eliten in den armen Staaten gelingen kann. Das Wort Verzicht hatte noch nie einen guten Klang, es wirkt altmodisch und zu spirituell. Aber wird ohne Verzicht bestimmter Kreise, auch mit Umverteilung des Reichtums, die Krise überstanden werden? Dabei ist es selbstverständlich, dass ein Millionär anders verzichten muss als ein Mensch aus dem Mittelstand. Mit anderen Worten: Ohne eine Neuordnung des Besitzes, etwa durch Steuern auf Vermögen und Erbschaft, wird eine weltbürgerliche Ordnung, die den Namen verdient, kaum realisierbar sein.

Auch der Begriff des „Multi-Kulti“ ist kritisch zu sehen: Er unterstellt die Anwesenheit vieler verschiedener Kulturen, die aber gerade nebeneinander leben und sich nur präsentieren, etwa bei einem Karneval der Kulturen. Die anderen können sich in ihrem eigenen, abgegrenzten Bereich austoben, ihre separate Kultur pflegen und sie mir in einer Show, Karneval der Kulturen etwa, zeigen. Aber es ist exotischer, ferner Charme, der sich da zeigt, der mich nichts angeht. Der Kosmopolit ist nicht in erster Linie ein Ästhet, sondern ein politischer Ethiker der Verbundenheit unter Gleichberechtigten!

Das Nebeneinander des Multikulturellen (in England etwa Kommunitarismus) sollte durch weltbürgerliches Miteinander über werden.

Die Überwindung der skandalösen Verteilung von Reichtum: Eine Aufgabe des Weltbürgers

Nur Zur Erinnerung: Acht Multimilliardäre besitzen ebenso viel an Vermögen wie die Hälfte der Weltbevölkerung. … Lauf Oxfam besitzt das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung weit mehr als die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung. Was folgt daraus für aufgeklärte Menschen: Es muss eine Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen stattfinden. Die dumme und längst auch widerlegte Glaubenshaltung einiger Ökonomen, denen sich auch Mister Trump angeschlossen hat, heißt: „Der Markt richtet alles zum Guten, was den Reichen und Superreichen nutzt, wird am Ende allen nützen,“. Weil der Reichtum dann von oben, von den Milliardären, nach unten, zu den kleinen Leuten wie von selbst fließt. Dieser Glaubenssatz ist falsch, hat sich als dreiste Lüge erwiesen. Es muss auch darüber nachgedacht werden, in welcher Weise, nach demokratischen Regeln, Milliardäre enteignet werden zugunsten des Überlebens der vielen Millionen Hungernder.

Der kosmopolitisch Religiöse und der kosmopolitische Humanist

Zum Schluss nur der Hinweis, der später vertieft werden muss: Auch Religionen und Philosophien werden weltbürgerlich. Ich kann nicht mehr nur Christ sein, ich lerne – auch inhaltlich, von den Weisheiten anderer Religionen, verbinde mehrere Traditonen, werde also in gewisser Weise „multireligiös“. Auch Humanisten können nicht bloß europäisch-fixiert sein, sie lernen von nicht-europäischen Humanismen und (warum nicht auch religiösen) Weisheitslehren. Viele Religionen sind noch nationalistisch geprägt, sie leben in verengten Horizonten, spiegeln eher das Nationale und das Heimatliche als die Weite des Spirituellen, das überall lebt und überall anregend und aufregend ist.

Diese Hinweise sind nicht mehr als eine Einladung zum Gespräch und zum weiteren Nachdenken. Die Befreiung aus den starren emotionalen und rationalen Bindungen ans Heimatliche, Nationale und Nationalistische wird wohl dem einzelnen als einzelnen nicht so einfach gelingen. Darum: Die schrittweise Befreiung hin zum Weltbürger bedarf der Gesprächs- und Lerngemeinschaften, die wenigstens partiell auch politisch handeln, im Sinne des Kosmopolitischen. Solche Lern – und Lebensgemeinschaften (eigentlich sollten das christliche Gemeinden auch sein, aber die sind fixiert auf Fromme und Dogmatische und Traditionelle) sind förmlich ein „Gebot der Stunde“. Vielleicht wird die Philosophie noch einmal auch in der Hinsicht etwas belebend?

 Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

An Fakten glaubt man nicht!

An Fakten glaubt man nicht!

Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb, Berlin

Die Fragen stellte Christian Modehn

Die neue US – amerikanische Regierung unter Trump will der Öffentlichkeit einhämmern, dass sie allein weiß, was Fakten sind. Wir sollen Tatsachen (etwa: wie viele Leute bei der Amtseinführung Trumps dabei waren) in einer offiziell vorgegebenen Umdeutung als Glaubenshaltung akzeptieren. Glauben an die Machthaber soll Wissen ersetzen. Was kann der einzelne dagegen tun?

Es ist wirklich grotesk, was zurzeit im Weißen Haus in Washington geschieht. Es geht schlicht nicht, Faktenwissen zur Glaubensfrage zu erheben und dann auch noch über den richtigen Glauben durch willkürlichen Machtentscheid zu befinden. Was die Fakten sind, wie also sich etwas tatsächlich verhält oder verhalten hat, können wir wissen. Um solches Wissen können wir uns zumindest bemühen und das tun wir ja auch ständig. Deshalb recherchieren seriöse Journalisten, bevor sie mit einer Meldung an die Öffentlichkeit gehen. Auch die Wissenschaft, also das methodisch kontrollierte Bemühen um das Wissen, verlöre jeden Sinn, wenn das Wissen-Können durch ein Glauben-Müssen ersetzt würde.

Allerdings, worauf uns Trumps unverschämte Attacke auf die Freiheit der Medien und der Wissenschaft aufmerksam machen kann, ist, dass es Wissen und Glauben nicht nur zu unterscheiden gilt, sondern diese auch miteinander zusammenhängen.

Was wir wissen können, müssen wir auch wissen dürfen. Das ist die Basis einer freien und demokratischen Gesellschaft. Wo das Wissen, das möglich ist, nicht zugelassen oder unterdrückt oder schlicht per Machtentscheid zur Unwahrheit erklärt wird, haben wir es mit einer Diktatur zu tun. Das, was wir wissen oder zu wissen meinen, ist allerdings immer fraglich und umstritten. Ob hinsichtlich der Besucherzahl bei der Inaugurationsfeier die Medien oder die Trump-Leute Recht haben, muss geprüft werden. Das ist keine Glaubensfrage, sondern verlangt das Bemühen, herauszufinden, welche der strittigen Behauptung wahr ist. Jedes Wissen ist falsifizierbar, kann widerlegt werden. Von der Widerlegbarkeit des Wissens lebt die Wissenschaft. Die Bestreitung von Wissen will aber nie das Wissen durch einen Glauben, gar einen befohlenen Glauben ersetzen, sondern will ein zutreffenderes Wissen hervorbringen, herausfinden, was wirklich der Fall war oder der Fall ist, was also die Wahrheit ist.

Das Wissen kann und darf nicht durch den Glauben ersetzt werden. Gleichwohl ist das Wissen elementar auf den Glauben angewiesen, eben auf den Glauben an das Wissen-Können bzw. auf den Glauben an die Wahrheit. Wenn wir nicht mehr an die Wahrheit glauben und deshalb nach ihr suchen, ist kein kooperatives Zusammenleben mehr möglich.

Was kann der einzelne, was können wir tun, angesichts der empörenden Arroganz der Macht, die die neue US-amerikanische Administration demonstriert und mit der sie die Gefahr eines Endes der Freiheit der Medien, der Wissenschaft und damit der Demokratie heraufbeschwört?

Mir fällt nichts Besseres ein als zu sagen, es gilt ebenso treu wie trotzig am wahren Glauben, der ein Glaube an die Wahrheit ist, festzuhalten. Ermutigen kann uns dabei ein Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh 8, 32)

In den USA spielen fundamentalistische christliche Organisationen leider eine über-große Rolle auch in der öffentlichen Propaganda. Ist Trumps Eintreten für den autoritär vorgegebenen Glauben, entgegen der Faktenlage, auch ein Produkt dieser Kultur verirrter Frömmigkeit?

Der wahre Glaube, der ein Glaube an die Wahrheit ist, begrenzt nicht das Wissen, schon gar nicht ersetzt er das Wissen. Der wahre Glaube stachelt zum Wissen an. Wer an die Wahrheit glaubt und dann sogar auch noch weiß, dass wir an die Wahrheit glauben müssen, der will immer mehr wissen, will herausfinden, was wirklich der Fall ist. Der wahre Glaube führt in den Streit um die Wahrheit. Dieser Streit aber muss mit besseren Argumenten und mit dem Verweis auf die Evidenz von Fakten ausgetragen werden.

Insofern ist der Vorgang, den der neue US-amerikanische Präsident darstellt, in der Tat auch ein Resultat der heillosen Verwirrung im Verhältnis von Wissen und Glauben, den die religiösen Fundamentalisten aller Couleur seit längerem schon anstiften. Die religiösen Fundamentalisten behaupten ja z.B. zu wissen, dass Gott die Welt in 6 Tagen geschaffen hat. Sie versuchen dafür geologische Beweise vorzubringen. Sie kennen keinen Glauben, der wirklich Glaube ist, Vertrauen in die Durchsetzung der Wahrheit, um die wir Menschen uns immer nur strebend bemühen können. Die religiösen Fundamentalisten behaupten, zu wissen, wo es recht eigentlich um das Glauben geht und sie glauben, wo sie sich um ein besseres Wissen bemühen sollten.

Der heillosen religiösen Verirrung, der die Fundamentalisten erliegen und in deren Bannkreis auch Trump und seine Leute stehen, ist leider nur mit religiös-theologischer Aufklärung zu begegnen.

Glauben und Wissen sind zwei unterschiedliche menschliche Haltungen der Wirklichkeit gegenüber. In welcher Beziehung zur Wirklichkeit hat Glauben, wohl immer verbunden mit fragendem Zweifeln, überhaupt Sinn und ist vernünftig vertretbar?

Je mehr wir wissen, wissen können und wissen wollen, desto dringender brauchen wir den Glauben, den wahren Glauben, der ein Glaube an die Wahrheit ist. Der Glaube an die Wahrheit treibt uns dazu an, immer mehr wissen zu wollen. Er führt uns in den Streit um die Wahrheit, eben weil mit ihm das Wissen verbunden ist, dass unser Wissen immer strittig bleibt. Ohne die Auseinandersetzung zwischen miteinander streitenden Wahrheitsansprüchen gibt es kein Wissen. Wissen ist auf Dialog und Dialektik angewiesen. Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr!

So gesehen macht dann das Glauben gerade dem, der wissen will und sich am Streit um die Wahrheit beteiligt, enorm viel Sinn. Unser Bemühen um das Wissen, herauszufinden, was wirklich ist, ergibt überhaupt erst in Verbindung mit dem Glauben an die Wahrheit einen Sinn. Würden wir nicht an die Wahrheit glauben, wären wir im Grunde alle in der Lüge gefangen. Dann träte aber auch genau der Zustand ein, in dem ein kooperatives menschliches Zusammenleben gar nicht mehr möglich ist.

Also, wer an der Möglichkeit des Wissen-könnens und damit an der Unterscheidung von wahr und falsch festhält, und das sind im Grunde alle, denen es um eine demokratische Verständigung über die unser Gemeinwesen betreffenden Angelegenheiten geht, der muss zugleich ganz stark glauben, muss an die Wahrheit glauben. Ja, die Wahrheit ist das, woran wir glauben müssen, weil wir sie selbst nicht wissen können. Die Wahrheit bleibt uns entzogen, letztlich unbegreiflich, ist aber gerade so das Ziel all unseres Streben nach Wissen. Diesen Glauben gibt es nicht ohne den Zweifel, eben weil er wahrer Glaube und kein Wissen ist, zu einem solchen auch niemals werden kann.

Statt vom Glauben an die Wahrheit können wir dann aber auch vom Glauben an Gott sprechen. „Gott“ ist das Wort für den unbegreiflichen Sinn des Ganzen. Wer wahrhaft an Gott glaubt – und nicht an einen zum Zwecke eigenen Machtstrebens aufgestellten und die eigene Größe demonstrierenden Götzen –, der strebt nach der Wahrheit, setzt sich argumentativ mit den Wahrheitsbehauptungen anderer auseinander, bleibt im Gespräch.

Wer nicht an Fakten, sondern an Gott als die Wahrheit glaubt, strebt nach der Wahrheit, indem er sie herausfinden will. Er behauptet nie, die Wahrheit zu besitzen und in der eigenen Tasche zu haben.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, und Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Bei Verstand bleiben”: Philosophie als Lebenshilfe in Zeiten politischer Verwirrung.Ein Salonabend

„Bei Verstand bleiben“: Philosophie als Lebenshilfe in Zeiten politischer Verwirrung

Ein Salonabend am Freitag, den 24. Februar 2017, um 19 Uhr.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist ein Ort, in dem wir im selbstkritischen Nachdenken z.B. die Strukturen menschenwürdigen Lebens in der Gesellschaft reflektieren. In einer Zeit, die viele als tiefe Erschütterung und Verwirrung erleben, fragen wir: Kann Philosophie (noch) helfen? Und wenn ja, wie kann das (im Miteinander) gelingen? Bietet die Vernunft genug Widerstandsreserven gegen den vielen Unsinn, der heute nicht nur behauptet, sondern z.B. als Fremdenfeindlichkeit sich politisch leider durchsetzt? Können wir persönlich und politisch weiter kommen, wenn wir nicht ständig unsere Begriffe, unsere Denkkategorien, kritisch reflektieren? Ist in der Hinsicht nicht Philosophieren auch Lebenshilfe? Damit greifen wir die guten Traditionen der alten griechischen Philosophie wieder auf. Sie inspirieren! Aber wir müssen uns der heutigen drängenden Fragen stellen: Gibt es allgemeine und verbindliche philosophische Wahrheiten? Und warum ist die Anerkennung dieser verbindlichen Wahrheiten (man denke an den Kategorischen Imperativ) auch eine “Lebenshilfe”? 

Welchen Sinn hat die postmoderne Überzeugung, “alles ist Konstruktion”? Warum sind wir auf eine allgemein geteilte Anerkennung von Fakten angewiesen? Warum dürfen wir die Wahrheitsfrage (etwa bezogen auf Fakten) nicht der politischen Willkür der neuen populistischen Herrscher überlassen?

Wir treffen in der Kunstgalerie Fantom, Hektorstr 9 in Wilmersdorf.

Herzliche Einladung, weitere Hinweise zum Abend folgen. Anmeldung wie üblich an: christian.modehn@berlin.de 

Eine der besten Einführungen in die antike “Philosophie als Lebensform” hat der französische Philosoph Pierre Hadot verfasst. Auf Deutsch gibt es unverständlicherweise keine Bücher mehr von ihm, ein Skandal. Ich habe 2009 eine immer noch lesenswerte Einführung in das aktuelle Denken Hadots geschrieben, zur Lektüre klicken Sie hier.

Trump wird von Immanuel Kant verurteilt

Der Philosoph Immanuel Kant kann unter keinen Umständen die politischen Maximen von Mister Trump gelten lassen. “Make America great again”. Diese Maxime als Regierungsprogramm von Trump und Co. ist für den Philosophen Kant unvernünftig, unmenschlich, gefährlich. Denn: Wenn auch Deutschland diese nationalistische Maxime für die eigene Politik gelten lassen würde: “Macht Deutschland wieder groß”. Oder Österreich: “Macht Österreich(-Ungarn) wieder groß”. “Macht Spanien wieder groß wie einst im Kolonialismus”. Oder Russland:”Macht die Sowjetunion wieder groß” usw.: Wenn dieser Maxime jeder Staat heute in einem neuen nationalistischen Wahn folgen würde, hätten wir schnell den totalen Weltkrieg. Darum: Diese Maxime als Regierungsprogramm von Mister Trump ist kriegerisch, ist gefährlich, sie gehört verboten zu werden. Kant sagt: “Diese kriegerische Maxime hat wie jede andere kriegerische Maxime kein Recht. Sie entspricht nicht der Würde der Menschen und der Würde der Menschheit. Sie gefährdet sogar letztlich Mister Trump. Diese Maxime ist für alle lebensgefährlich, sie muss sehr schnell überwunden und abgeschafft werden”. Kant kann nur diese eine US-Maxime ertragen: “Make America democratic and human again”. Oder auch: “Gestaltet Deutschland und Europa und die Welt so, dass die Würde und vor allem die Gleichheit aller Menschen respektiert wird”. Und Kant sagt: “Überprüft alle eure politischen Maximen am Kategorischen Imperativ. Dann entsprecht Ihr den Grundsätzen der Menschlichkeit”.

Zur Vertiefung dieser philosophischen Kritik an den politischen Maximen von Mister Trump siehe die Hinweise von Peter Sloterdijk oder Thomas Jefferson, klicken Sie hier.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin