Sineb El Masrar: “Emanzipation im Islam”. Ein Gastbeitrag von Monika Herrmann

Probleme benennen statt zu verschweigen. Über das neue Buch von Sineb El Masrar: “Emanzipation im Islam”.

Ein Gespräch mit der Autorin.

Die Fragen stellte Monika Herrmann.

Eine junge Muslima schreibt ein Buch und kritisiert darin ihre eigene Community, ihre Glaubenschwestern ganz besonders. Grund: „Weil sie das unterdrückerische System der Männer im Islam einfach übernehmen und akzeptieren“. Sineb El Masrar fordert Muslimas auf, mal nachzudenken, sich zu wehren. Schonungslos benennt sie die Gewaltstrukturen im Islam, die immer mehr Frauen akzeptieren. Die Folge: Viele von ihnen schließen sich radikalen Gruppen an.

Frage: In Ihrem Buch reden Sie Klartext und kritisieren nicht nur die Männer im Islam, sondern auch das Verhalten der Frauen. Haben Sie nicht Angst, dass Sie sich damit viele Feinde machen?

Sineb El Masrar: Nein, überhaupt nicht, ich stelle ja keine Behauptungen auf, sondern belege im Buch die Tatsachen ganz offen. Also das, was wirklich passiert. Punkt. Wie die Akteure das dann wahrnehmen, wird man sehen.

Trotzdem: Es geht im Buch knallhart gegen muslimische Männer, die keine Scheu haben, Gewalt gegen Frauen auszuüben. Und viele lassen sich das auch gefallen. Was läuft da eigentlich?

Ja, das frag ich mich natürlich auch. Aber es gibt bei vielen Muslimas eben diese sozialen Zwänge, Abhängigkeiten, wenig Selbstbewusstsein. Anders sind diese teilweise debilen und unterwürfigen Positionen der Frauen nicht zu erklären. Ich sage deshalb: irgendwo müssen diese Frauen, die das alles erdulden, wohl auch psychische Traumata erlebt haben, wenn sie sagen: Ja, ich erdulde alles und befolge das, was die Männer mir vorgeben.

Es gibt Muslimas, die diese Unterdrückung nicht mitmachen, die sich wehren. Haben sie gar keinen Einfluss auf ihre Schwestern, die anders ticken?

Das Problem: Es gibt wenig Solidarität unter diesen Frauen. Aber das ist wie in der Frauenbewegung oder in der Familie überhaupt. Selbst unter Feministinnen ist frau sich nicht immer einig. Bei muslimischen Frauen ist das nicht anders. Ihr sozialer Hintergrund spielt oft eine große Rolle.

Im Buch heißt es, dass viele muslimische Männer der Meinung sind: Gewalt gehöre zum Islam, eben auch Gewalt gegen Frauen. Die Männer begründen das mit Inhalten im Koran.

Diesen Schwachsinn geben die Herren tatsächlich von sich. Wir sollten allerdings fragen, warum sie den Koran so interpretieren. Was liegt da vielleicht auch psychisch bei ihnen im argen, in der Erziehung, in der Sozialisation? Wie war die Beziehung zur Mutter, in der eigenen Community? Da liegt, glaube ich, der Hund begraben. In diese Richtung müssen die Fragen gestellt werden, warum diese Männer so sind wie sie sind und warum bestimmte junge Frauen ihren Verhaltensweisen folgen.

Sie sagen, dass selbst gebildete Frauen, oft nicht den Mut haben, sich zu wehren. Auch jene, die in Westeuropa, in Deutschland aufgewachsen sind, übernehmen vielfach die Vorgaben der Männer.

Genau. So ist es. Viele Frauen wünschen sich Anerkennung von Männern. Aber: Wenn ihnen ein Mann sagt, sie sollen das und das machen, weil Allah sie bei Verweigerung verfluchen würde, dann frag ich mich schon, warum diese Frauen nicht mal an die Urquellen ihrer Religion gehen. Dort würden sie nämlich diese Drohung nicht finden. Aber die meisten Frauen forschen eben nicht nach und vertrauen der falschen Sicht der Männer, die sich als Tradition durchgesetzt hat, aber deshalb nicht unhinterfragt bleiben muss.

Es gibt eine Stelle im Koran, die das Schlagen der Frauen erlaubt.

Ja, aber Koranverse sind manchmal auch widersprüchlich und interpretierbar. Im Koran wird auch dazu aufgefordert, den Verstand, den wir von Gott bekommen haben, zu benutzen. Interessant ist nun, dass bestimmte Männer und Gelehrte im Islam zu den Schlussfolgerungen kommen, Frauen zu kontrollieren, zu unterdrücken. Interessant auch, dass andere Gelehrte, die viel frauenfreundlicher waren und sind, gerne mal ignoriert oder gar angegriffen werden.

Die Ereignisse in Köln haben dazu geführt, von einem sehr radikalen Islamverständnis im arabischen Raum zu sprechen. Männer mit diesen Wurzeln stehen mit ihrem frauenfeindlichen Verhalten besonders in der Kritik.

Frauenrechte sind nicht in allen arabischen Staaten selbstverständlich. Besonders schwierig ist es in Afghanistan, Pakistan oder in Saudi Arabien. In Marokko gab es vor vielen Jahren eine Reform des Familienstands-Gesetzes. Im Moment wird dort das Erbrecht reformiert. Hintergrund: Frauen sollen mehr Rechte bekommen. Das zeigt, dass in einigen arabischen Staaten auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation der Frauen stattfindet. Aber bis dieses Denken auch in jede Ecke der Länder durchdringt, das braucht Zeit. Die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Zustände in diesen Ländern sind einfach nicht mit europäischen Verhältnissen zu vergleichen.

Stimmt mein Eindruck, dass nach den Silvesterereignissen in Köln über Männergewalt, Frauenunterdrückung auch in der muslimischen Welt mehr und kritischer geredet wird, vielleicht auch mutiger?

Viele Muslime haben immer schon die religiös begründete Gewalt innerhalb des Islam kritisiert. Was in Köln passierte, hängt jetzt nicht unbedingt mit der Religion der Männer zusammen. Diese Männer haben das getan, weil sie ohnehin mit Frauen respektlos umgehen, vielleicht unter Drogen- und Alkoholeinfluss standen. Das war einfach eine sehr aggressive Truppe von Männern, die keinerlei Respekt vor Frauen haben. Man kann dann natürlich fragen, ob es eine Legitimation für solches Verhalten im Islam gibt.

Und – gibt es die?

Natürlich nicht. Doch es gibt auch Prediger oder Gelehrte, die sagen: Wenn eine Frau zu später Stunde rausgeht und sich nicht verhüllt, darf sie sich nicht wundern, dass sie angegriffen und belästigt wird. Ich sage da: Stopp, selbst eine Frau, die nackt rausgehen würde , ist nicht einfach verfügbar.

Auch in Flüchtlingsunterkünften gibt es Übergriffe. Frauen werden von Männern angemacht, sexuell belästigt. Es heißt, die vielen allein reisenden jungen Männer toben sich jetzt aus.

Ich behaupte, dass diese Männer auch in ihren Herkunftsländern Frauen belästigen und erniedrigen. Das gibt es dort überall und zu jeder Stunde. Hierzulande ebenso, nur oftmals nicht so plump. Man muss jetzt mit solchen Männern ernsthaft sprechen, ihr Verhalten verurteilen. Auch die muslimische Gemeinschaft muss sich damit auseinandersetzen. Wichtig ist mir zu sagen: Ja, es gibt diese Männer. Die tun das, weil sie keinen Respekt vor Frauen haben. Aber es gibt eben auch eine sehr große Zahl von muslimischen Männern, die das verurteilen und sich sofort dagegen positionieren, wenn sie so etwas mitbekommen. Also ich differenziere da, was nicht bedeutet, über die Schieflage nicht zu reden. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben. Und mir war auch wichtig, im Buch Namen zu nennen, damit nicht wieder alle Muslime über einen Kamm geschert werden.

Was können und sollten die Islamverbände tun, die es in Deutschland gibt?

Ehrlich gesagt, von ihnen erwarte ich momentan nicht viel. Ich finde, die Verbände stecken Muslime eher in einem zwanghaften Korsett, das sie an der Integration hindert. Sie wollen nicht das verbindende, sondern eher das trennende. Es ist aus meiner Sicht auch nicht hilfreich sie in die Integrationsarbeit mit Flüchtlingen einzubinden. Ich bin der Meinung, dass die Islamverbände sich selbst erst finden und integrieren müssen, bevor sie andere integrieren. Sie verbreiten ein Islamverständnis, das genau das Gegenteil von Versöhnung, Pluralismus, Integration und Demokratie ist. Sie verbreiten einen Islam, der zum großen Teil nicht nur konservativ, sondern auch islamistisch und salafistisch ist.

Sie informieren im Buch auch über die Muslim-Schwestern, die mit den radikalen Muslim-Brüdern zusammenarbeiten. Was passiert da?

Sie verbreiten gemeinsam mit den Männern ein radikales Islamverständnis. In Deutschland sympathisieren viele von ihnen oft unbewusst mit dieser Ideologie, weil sie auf der Suche nach Identität sind. Frauen verhüllen sich mit der so genannten Niqab. Problematisch ist aber, dass ihre islamistischen Positionen nicht immer offen gelegt werden und deshalb oft unkritisiert bleiben. In unserer deutschen Gesellschaft gibt es da viel Aufklärungsbedarf. Denn inzwischen konvertieren ja auch Nicht-Muslime zum Salafismus und sympathisieren auch mit den Rechtspopulisten.

Deshalb vergleichen sie im Buch den Nationalsozialismus mit dem Salafismus und dem Dschihadismus. Ziemlich gewagt. Welche Parallelen sehen Sie?

Es gibt im Salafismus und Dschihadismus einen sehr starken Antisemitismus, übrigens auch bei der Muslimbruderschaft. also eine Erscheinung, die es auch bei den Nazis gab und bei den heutigen Rechten. Ihr gemeinsames Motto: Man muss Feindbilder aufbauen, um sich über andere zu erhöhen und um Menschen zu mobilisieren. Ein faschistoides Gedankengut – eindeutig. Aber man muss das benennen. Wir leben in einer Demokratie, wo Pluralismus und Religionsfreiheit, aber auch die Freiheit nicht religiös zu sein, gewährleistet sein muss. Wenn man das als ein Problem nicht darstellt, dann hat unsere Gesamtgesellschaft ein Problem.

Bedeutet das, dass Pegida-Anhänger und AFD-Mitglieder den Salafisten sehr nahe stehen?

Gewissermaßen ja. Es gibt viele Muslime, die die AFD Positionen zu Familie, Medien und Erziehung eigentlich gut finden und sie auch wählen und unterstützen würden, wenn sie nicht so Anti-Islam wären. Sie finden ihr Familienmodell gut, aber auch den Aufruf zur Schließung der Grenzen. Sie sind gemeinsam gegen Homosexualität und bevorzugen alte konservative Rollenmodelle. Der Salafismus ist ja an sich rassistisch, weil er sagt, wir haben das einzig richtige Islamverständnis und alle anderen Rechtsschulen im Islam lehnen Salafisten ab. Also ein Salafist ist bereits ausgrenzend innerhalb der eigenen muslimischen Vielfalt.

Ein ziemliches Horrorbild. Wie wird die Zukunft aussehen? Droht ein Religionskrieg?

Ich will keine Panik verbreiten. Aber die Dinge, die im Buch nachzulesen sind, müssen einfach mal offengelegt werden, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Auch die Muslime. Die meisten von ihnen wollen ja einfach nur gute Gläubige sein. Aber viele Akteure missbrauchen das. Ich will deutlich machen: Hier gibt es ein Problem und darüber müssen wir reden. Wenn wir uns alle damit auseinander setzen, wird es auch keinen Religionskrieg geben. Wir dürfen einfach keine Angst davor haben, alles zu hinterfragen. Wenn wir das nicht tun, nehmen wir allerdings diejenigen in Schutz, die nichts Gutes wollen.

Sineb El Masrar, Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden, Herder, 320 Seiten, 24,99 €

Sineb El Masrar (34) wurde als Tochter marokkanischer Einwanderer in Hannover geboren. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin, ist Journalistin und Autorin und leitet das Online-Magazin Gazelle.

Die Gemeingüter (Commons) : Ein altes/neues Modell zur Güterverteilung neben Markt bzw. Staat. Vorgestellt von Elisabeth Hoffmann, Berlin

Die Gemeingüter (Commons) : Ein altes/neues Modell zur Güterverteilung neben Markt bzw. Staat.

Vorgestellt von Elisabeth Hoffmann am 26.2.2016 im Religions-philosophischen Salon, Berlin

In neoliberalen Zeiten, wo immer mehr Wasserquellen von Nestlé weltweit betrieben und privatwirtschaftlich verwertet werden, wo Länder in Afrika und anderswo vom Landgrabbing betroffen sind, wo genetisch verändertes Gemüse oder Reis von Monsanto patentiert und damit monopolisiert werden können, wo Mittelständische Unternehmen oder Krankenhäuser von Privatinvestoren bzw. von Hedgefonds aufgekauft werden, um Dividenden für seine Anleger zu erbringen – wo also immer weniger immer mehr vom Kuchen beanspruchen und per Gesetzgebung verankern können – ist es an der Zeit mal wieder über etwas ganz altmodisches und doch sehr innovatives nachzudenken – die Allmende.

Früher hießen gemeinschaftlich genutzte Weiden Allmenden. Dort durfte jeder im Dorf seine Herden weiden lassen. Es wurde in der Dorfgemeinschaft miteinander abgesprochen, wieviele Tiere wie lange weiden durften, damit sich die Ressource nicht erschöpfte und nachhaltig (selbsterhaltend) für weitere Generationen zur Verfügung stand.

Dieses Bild der Allmende ist der Kern des Commons-Gedankens, der seit etwa 20 Jahren in Öko- Kreisen thematisiert wird. Er steht neben all den anderen neuen Ideen für eine zukunftsfähige Wirtschaft, wie die Gemeinwohlökonomie, die Bewegung der transition towns, lokale Agenda Bewegung nach der Konferenz von Rio, share economy und Degrowth-Bewegung etc. die alle und noch viel viel mehr am Schutz der natürlichen Ressourcen durch nachhaltigen Gebrauch interessiert sind. (Grenzen des Wachstums)

Besonders wichtig für uns sind die natürlichen Gemeingüter: Luft, Klima, Wasser, Meere, Boden, Urwald – also die natürliche Grundlage unseres Lebens und Überlebens für uns alle auf dieser Erde und für zukünftige Generationen. Man könnte aber auch die Sprache ansich, die Kultur, die sozialen Gebräuche, Archive, Bildung, etc dazu zählen. Moderne Allmenden entstehen heute im internet: wikipedia, Musik, Texte, …. Menschen stellen ihre Gedanken, Photos, Kunstwerke, Musik, Filme, Ideen ins Netz und alle dürfen sie nutzen, diskutieren, sich inspirieren lasssen und so fördern sie das kollektive Bewußtseinsniveau – potentiell. (Das Problem, daß auf diese Weise die kreativ Tätigen keine angemessene Honorierung mehr für ihre Werke bekommen, kann hier jetzt nicht behandelt werden)

Man unterscheidet zwischen den rivalen und nicht-rivalen Gemeingütern. Bei den rivalen wird durch die eigene Nutzung das Gemeingut verbraucht (z.B. Überweidung), bei den nicht-rivalen Gemeingütern passiert das nicht (z.B. internet, Medienkonsum). Das Wort Rivale stammt auch aus der Situation der verschiedenen Wassernutzer entlang eines Flusses. Wer weiter oben das gesamte Wasser auf seine Felder leitet, verhindert, daß die nachgelegenen Nutzer genügend Wasser bekommen.

Wir alle wissen von der Gefahr des Überfischens der Meere und der Belastung des Klimas durch CO2 für alle. Darum hat man sehr lange der Theorie von Garret Hardin zugehört, der in den 60’iger Jahren von der „Tragedy of Commons“ sprach: Kurz gesagt sagt er: Die Menschen sind zu konkurrierend und egoistisch als daß sie sich um den Erhalt der Commons kümmern würden. Darum braucht es private Unternehmen, die verantwortungsvoll die Gemeingüter bewirtschaften bzw. den Staat mit seinen Institutionen zum Schutz der Commons. (s.a. das Statement von Nestlé am Ende dieses Textes)

Diese Theorie wurde von Elinor Ostrom wiederlegt. Sie untersuchte weltweit die Bewirtschaftung von Commons, also die gemeinschaftliche Pflege und Nutzung der Ressourcen Wasser, Boden, Wald, Kultur etc und fand heraus, daß das Gegenteil der Fall sei, daß die Ressource sich nicht notgedrungen erschöpft. Daß diese Ressourcen besser bewirtschaftet werden i.S.d. Nachhaltigkeit als privat – bzw. staatliche reglementierte Nutzung und dazu den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft/Gemeinschaft förderten. Für ihre Forschung bekam sie den Nobelpreis für Wirtschaft. Das hat also Gewicht.

Die Commons existieren nicht ansich sondern bedürfen der verantwortlichen und gemeinschaftlichen Nutzung einer Gruppe.

„Each commons needs protection and so communing. No commons without communing.“ sagt der britische Historiker Peter Linebaugh und nennt die Praxis communing also eine soziale Tätigkeit und Fähigkeit des Menschen. Communing ist gefordert, um die Commons zu erhalten während sie gebraucht werden. Darum erscheint mir das Commons Konzept so radikal. Der Blick liegt nicht nur auf den gemeinschaftlich genutzten Ressourcen sondern auf dem Menschenbild und der Grundhaltung derjenigen Menschen, die sich gemeinschaftlich um die Gemeingüter verantwortungsvoll kümmern. Es beschreibt ein neues Menschenbild jenseits des profitorientierten und Andere übervorteilenden „homo oeconomikus“.

Menschenbild und Grundhaltung der Commons

Der Commons Begriff hat 3 Dimensionen: 1. Die materielle Ressource, 2. Das soziale Miteinander 3. Die gemeinsamen Regeln

Zur gemeinschaftlichen Nutzung einer Ressource bedarf es besonderer soziale Fähigkeiten und einer Haltung des Miteinanders. Es geht also um Kooperation und nicht Konkurrenz. Es geht um ein respektvolles demokratisches Miteinander ohne Hierarchien, um gemeinsam miteinander die Ressourcen nutzen zu können. Es geht um eine Vernetzung vieler verschiedener Projekte und alle miteinander. Es geht um die gemeinschaftliche Sorge und Bewirtschaftung einer Ressource ohne diese auszuschöpfen noch andere zu übervorteilen, es geht um das gemeinsame Finden von Regeln, an die sich alle halten wollen. Es geht um den Geist der Commons.

Der Begriff “Commons” verdeutlicht, dass wir gleichberechtigte Menschen sind, deren Teilhabeanspruch an Gemeinressourcen in diesem Menschsein begründet ist. (Silke Helfrich)

Einige Beispiele:

Ubuntu: Human beings are free in relatedness but never free from relationships. Menschen sind frei innerhalb des generellen Verbundenseins aber niemals frei von Beziehungen.

Aus wikipedia: Der Begriff Ubuntu kommt aus den Sprachen der afrikanischen Völker Zulu und Xhosa und steht für „Menschlichkeit“ und „Gemeinsinn“, aber auch für den Glauben an ein universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet. Alle Entwickler des Ubuntu-Netzwerkes (Computer) müssen den Code of Conduct[6] unterzeichnen, mit dem sie sich verpflichten, den Grundsatz der „Menschlichkeit“ (dort näher ausgeführt als Freundlichkeit, Respekt voreinander, Rücksicht, Teamarbeit und Ähnliches) sowohl bei der Entwicklung und der Kommunikation untereinander als auch bei dem Umgang mit den Benutzern einzuhalten.

Der Ansatz Gemeinwohlökonomie nach Christian Felber betont heute schon die Verantwortung der Unternehmen für ein nachhaltiges, bewahrendes, kulturstiftendes, gleichberechtigtes Miteinander. Die Firmenchefs, die sich darauf festlegen – es sind schon viele in Berlin/Brandenburg – machen jedes Jahr eine Gemeinwohlbilanz, wo es auch um innerbetriebliche nichthierarchische Entscheidungsprozesse geht, die bewertet werden. Motto: „Mutbürger wirtschaften anders“. Sie streben einen Wirtschaftskonvent an. Konvente wären die einzige Möglichkeit für uns als Bürger, die Verfassung zu ändern. Die Idee ist darin sowohl ein neues Geldsystem und z.B. einen gerechteren Verteilerschlüssel bei den Einkommen festschreiben zu lassen u.v.m. Diese Bewegung ist im vollen Gange – ausgehend von Österreich in ganz Europa. (Grundsätze der Gemeinwohlwirtschaft am Ende des Textes im Anhang)

Ein anderes Beispiel daß das Commons Denken über Jahrzehnte sehr nachhaltig praktiziert werden kann ist die spanische Genossenschaft MONDRAGON im Baskenland , die seit 1956 existiert.

Dazu gehört auch die neue Erfindung des Crowdfundings, wo Menschen privat gute innovative Projekte finanziell fördern. D.h. eine Projektentwicklung unabhängig von Banken.

Daß Selbstorganisation klappen kann zeigen weltweit unzählige gute Beispiele. Heute in Griechenland und Portugal. Aber auch in Argentienien während der ersten neoliberalen Krise als hunderte (!) von Betrieben von ihren Belegschaften als Kooperationen übernommen wurden. (fantastischer Film von Naomi Klein dazu: „The Take“ – warum kennt den hier niemand????)

Die gemeinwohl-orientierten soziale Fähigkeiten, die wir entwickeln müßten, um nicht-hierarchische, nicht-institutionelle Entscheidungen zu treffen, die für alle nachhaltig und gut sind, betreffen Konfliktfähigkeit, Toleranz, Respekt des Anderen, Dialog und eine bewußte innere Selbstregulation der Emotionen, Urteile, Bewertungen etc., damit sie nicht durch ihren impulsiven Ventilcharakter destruktiv für den Gemeinsinn werden und auch nicht wie heute mit Drogen, Konsum und Unterhaltung betäubt noch kompensatorisch oder direkt ausgelebt werden und so den Geist des Miteinanders zerstören. Wutbürger werden Mutbürger.

Paradigmenwechsel in der Art des Wirtschaftens durch die Commons-Idee

Mir erscheint die Einbringung des Gemeingütergedankens einem sehr tiefgehenden Paradigmenwechsels gleichzukommen – ähnlich damals der Einsicht, daß die Erde keine Scheibe ist.

Wir hängen doch alle fest in dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Kapitalismus der Privatwirtschaft und dem Sozialismus eines staatlich organiserten Verteilungsmodells von Gebrauchsgütern. Da erscheint das Commons Modell als ein neuer Weg aufzuscheinen. Er bietet sowohl ein wirtschaftliches Konzept, als auch ein soziales Paradigma an, ein neues Menschbild und eine Vision, die uns alle einbezieht, indem die Teilhabe an den Gemeingütern dem menschsein innewohnt. Das beinhaltet sowohl das Recht auf die Commons als auch die Verantwortung dafür.

Gerade in Berlin hatten wir ein entsprechendes Beispiel als die Ressource Wasser privatisiert wurde. Zum Glück sind einige Menschen uns allen schon voraus gewesen und haben sich dafür eingesetzt, daß das wieder rückgängig gemacht wurde. Man kann also Sand ins Getriebe des neoliberalen Treibens streuen. Jede/r.

Wie Noam Chomsky der Politaktivist und Autor sagt, werden wir immer in einem engen Diskursfeld gehalten, damit keine radikal neuen Ideen thematisiert werden können.

“The smart way to keep people passive and obedient,” says noted activist and author Noam Chomsky, “is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum.” Die intelligente Art und Weise Menschen passiv und gehorsam zu halten, sagt Noam Chomsky, ist das Spektrum der zulässigen Meinungen streng zu beschränken, aber innerhalb dieses Spektrums eine lebhafte Debatte zu ermöglichen.

Der Commons-Ansatz – ein radikal neuer Weg…

  1. ..weil er ein neues Menschenbild hervorhebt, eins das von dem Biologen Frans de Waal (“Kooperations-, nicht Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg der Evolution.” und dem Neurowissenschaftlern wie Joachim Bauer schon lange nachgewiesen wurde: der Mensch ist von seiner Natur her empathisch, kooperativ und am Gemeinwohl interessiert. Man muß es ihm per „Erziehung“ auf Konkurrnenz, Narzissmus, Egoismus, Spaß am Übervorteilen usw. und durch Gehorsam und Anpassung an alte Traditionen regelrecht austreiben.

 

  1. ..weil er ganz neue Praktiken des Miteinander-Entscheidens entwickelt – die Konsensbildung in Gruppen. Diese Praktiken setzen eine Befähigung zum Konfliktlösen in Gruppen voraus, die wir alle uns erst noch aneignen müßten. Was aber hinsichtlich der wohl weiter zunehmenden weltweiten Konflikte um die natürlichen Ressourcen wie Wasser und Boden absolut notwendig wäre, wenn wir nicht in einem Trümmerfeld zerstörter Naturkreisläufe, die sich einmal zerstört nicht mehr selbst erholen können, enden wollen (siehe das Fehlen des Baumbestandes im Mittelmeerraum seit der Abholzung durch die Römer für ihren Schiffsbau).

 

  1. Eine neue Kultur der gemeinsamen Sorge für die Erhaltung unserer Lebensgrundlage für uns und zukünftige Generationen. Nicht mehr der „koloniale Geist“, wo jeder sehen muß wie er klar kommt zur Not durch Krieg die gemeinsamen Ressourcen für sich allein aneignen und nach mir die Sintflut denken. Sondern eine Haltung des Miteinander-voneinander und von der Natur Abhängigeins.

 

  1. Wir (wer?) müssen lernen, die kindliche Allmachtsillusion („the winner takes it all“) aufzugeben und die Gefühle von Ohnmacht in uns zuzulassen (nach Klaus Theweleit). Das wird uns befähigen ein echtes faires Miteinander umzusetzen. Die Abwehr der Ohnmachtsgefühle scheint mir psychologisch gesehen eines der Hindernisse auf diesem Weg zu mehr Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit zu sein. Joseph Beuyss sagte: „wer seine Wunden zeigt, wird geheilt“ – das geht in dieselbe Richtung . Einmal in sich selbst die Schwäche und Verwundbarkeit erkannt, könnten wir uns zu einem mehr an Miteinander denn einem weiterem Gegeneinander hin entwickeln (ein sehr christlicher Gedanke wie mir scheint) als in ständiger Kompensation des Ohnmachtsgefühls im Erreichen perverser Reichtümer und Macht -(mißbrauchs) positionen auszuarten.

 

  1. Wir („Aufgeklärten“ i.S.d. Commons) sollten uns nicht mehr blenden lassen durch Erfolg (ohne Nachhaltigkeitsgewinn für Natur und Kultur), Milliardenumsätze und persönlichem Reichtum (ohne Gemeinwohlorientierung), elitärem Status und Gewinnerhabitus (ohne menschliche Werte gegenüber jedem Menschen auf der Welt) sondern die Werte von Respekt, Fairness, demokratisches Miteinander und Nachhaltigkeit permanent im Kopf und Herzen behalten, um nicht verwirrt zu werden und entschieden im neuen Paradigma der Commons voranzugehen.

 

  1. Das neue Ziel des Wirtschaftens ist danach nicht mehr der Profit sondern der nachhaltige (bewahrende) Verbrauch der Gemeingüter. (So könnte das Wort: Eigentum verpflichtet in Zukunft verstanden werden: wie fördere ich durch mein Handeln die Bewahrung der Schöpfung, die Gesundheit aller Menschen, die Vielfalt des Lebendigen und die Selbstorganisation des Lebens). s.a. die Maximen der Gemeinwohlökonomie im Anhang.

 

  1. Der Commons Ansatz zeigt mir, daß es nicht um ein Weiter-So geht und darin um den Schutz der Natur und Entwicklungshilfe für die Armen. Sondern um einen Paradigmenwechsel, der unser altes gemütliches Verständnis davon wie wir in der Welt sind, tief verändern könnte. Ich glaube wir sind gefordert etwas zu entwickeln, zu lernen, zu verstehen – was unser Leben, unsere Praktiken des Miteinanders, der Demokratie, des Einkaufens, des sich organisierens usw. aber vor allem unser Haltung verändern wird. Wenn wir das nicht verstehen, daß es nicht um eine Moral geht oder um einen 3. Weg der Güterverteilung sondern um ein verändertes Sein, werden wir wohl langfristig nicht mehr sein.

 

  1. Auch der Slogan der Occupy – Bewegung: Wir sind die 99,99 % … machen wir was draus, stärkt den Geist der Commons.

 

  1. „Wem gehört die Stadt, Land, Welt „– Titel von Filmen und Büchern zur Zeit fordern uns heraus, neu über unser Zusammenleben nachzudenken und wach zu werden, daß wir ein Grundrecht an den Commons haben.. Wer wenn nicht wir in den Demokratien tragen eine Verantwortung, daß sich ein Commons-Denken in der Welt verbreitet?

 

  1. Ernst Bloch schrieb als ersten Satz in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. Lassen wir uns nicht mehr „werden“ durch ein „Scheiben-Denken“ des Weiterso im unbewußten Konsumierens und räuberischen Aneignens sondern durch ein Kugel-Denken des ein „gutes Leben“ in Selbstorganisation für alle und Nachhaltigkeits-Sorge für den Planeten, der Erde – unsere Heimat.

… und hier zum Abschluss die Position von Nestlé zum Thema Wasser als Gemeingut oder als privates Wirtschaftsgut: https://www.youtube.com/watch?v=wzlzV7VaqCs

Vielleicht konnte ich Ihnen die Wichtigkeit des Commons- Ansatzes vermitteln. Ich hoffe, daß wir alle den Satz von Silke Helfrich in Zukunft beherzigen , daß der Begriff “Commons” verdeutlicht, dass wir gleichberechtigte Menschen sind, deren Teilhabeanspruch an Gemeinressourcen in diesem Menschsein begründet ist.

Anhang:

Die Eckpunkte der Gemeinwohlökonomie finden Sie hier:

http://berlin.gwoe.net/2014/05/05/eckpunkte-der-gemeinwohl-oekonomie/

Und hier noch die Gegenüberstellung der Logik des Marktes zu der der Commons:

http://www.hh-violette.de/wp-content/uploads/2013/12/logic-of-the-market-and-the-commons-chart_DEUTSCH.png

Zusammenfassung:

Buchempfehlungen

Silke Helfrich: Commons

Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons

Elinor Ostrom: Beyond Market and States

Christian Felber: Gemeinwohlökonomie

Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit

Dieter Klein: Das Morgen tanzt im Heute

Klaus Theweleit: Männerphantasien

Kreuzberg kocht

Copyright: Elisabeth Hoffmann emhoffmann@gmail.com

 

Unduldsam gegenüber Ungleichheiten. Ein Salon über Privateigentum und Gemeinwohl

Unduldsam gegenüber Ungleichheiten: Von der Beziehung „Privateigentum – Gemeinwohl“

Ein Salonabend am 26. 2. 2016

Einige Hinweise für ein Gespräch von Christian Modehn. Über den Zusammenhang von individualistischem Klammern an den Besitz und der Spiritualität lesen sie einen Hinweis am Ende dieses Beitrags.

1. Zur aktuellen Situation

Das Thema steht in aktuellem Zusammenhang: Nach Oxfam- Recherchen (2015) besitzen die 62 reichsten Menschen der Erde genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, also 3,6 Milliarden Menschen.

Es ist klar, dass diese Menschen zusammen mit den ca. 17 Millionen Millionären weltweit heute Ökonomie und Politik bestimmen. Einem Milliardär (Herrn Trump) in den USA gelingt es aus dem Stand, auch mit dem Einsatz eigener Millionen Dollar, sich als Präsidentschaftskandidat zu präsentieren. “Dieses Land, die USA, darf nicht einer Handvoll Milliardären gehören”, sagt Bernie Sanders von Demokraten. Die Reichen werden auch dort immer reicher, “es findet eine schleichende Aushöhlung der amerikanischen Mittelklasse statt, sie verarmt”: “1971 gehörten zur Mittelklasse 61 % der amerikanischen Bevölkerung,  2015 nur noch 50 %. So “Der Tagesspiegel”, 28. 2. 2016, Seite 22.

Eine umfassende Reichtums-Forschung, etwa in der Soziologie, gibt es bis heute auch in Deutschland nicht; anders als die umfassenden Studien zur Armut und zum weltweiten Elend. Woran liegt das wohl?

Das übliche Sprichwort gilt eben nicht: „Geld regiert die Welt“. Es muss heißen: „Es regieren die wenigen Menschen, die das Geld haben, über die Mehrheit.“.
Zu Deutschland: Die Kernaussage des so genannten Armuts- und Reichtumsberichts des Bundesarbeitsministeriums heißt: Die privaten Vermögen in Deutschland werden immer größer. In den letzten Jahren sind sie um 1,4 Billionen Euro gestiegen. Die obersten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Die Differenz zwischen Armen und Reichen wird auch in Deutschland immer größer.

2.Zum Begriff Gemeinwohl

In der Philosophie, seit Platon, wird darüber gestritten, wie ein gerechtes Verhältnis zwischen dem einzelnen, dem besitzenden Menschen als Bürger eines Staates, und dem Staat als dem Zusammenleben der verschiedenen Menschen zu bestimmen ist. Als höchster Zweck des Staates wurde das Gemeinwohl definiert. Das allen gemeinsame Wohl wurde dann der Philosophie des Thomas von Aquin folgend zum Mittelpunkt der katholischen Soziallehre. Das geht soweit, dass der offizielle katholische Katechismus (aus dem Vatikan 1993) in § 1903 betont: „Die staatliche Autorität wird nur dann rechtmäßig ausgeübt, wenn sie das Gemeinwohl der betreffenden Gemeinschaft anstrebt…Wenn ungerechte Gesetze gegenüber dem Gemeinwohl erlassen werden, „können solche Anordnungen das Gewissen nicht verpflichten“. Thomas von Aquin nennt solche ungerechten Gesetze „eine Gewalttat“.

Ein anderes Beispiel: Jean Jacques Rousseau sprach von der volonté générale, dem Gemeinwillen. Darunter verstand er einen gemeinsamen kollektiven Willensausdruck aller Bürger, der verschieden ist von der Verfolgung individueller Ziele des einzelnen. Es dachte an eine Einheit des gebündelten humanen Interesses aller Bürger. Dieser Gemeinwille könnte den gerechten Staat schaffen (Gemeinwohl). Das war ein Projekt, das die Französische Revolution inspirierte.

Heute wird unter dem Begriff Gemeinwohl auch die Zielvorstellung einer Politik verstanden, in der nicht die Durchsetzung individueller Machtinteressen im Vordergrund steht.. Im Artikel 14 des Grundgesetzes wird recht allgemein formuliert: (Absatz 2)“ Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Und dann wird sogar an mögliche Enteignungen gedacht: Da heißt es in Absatz 3: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt…“

Das Gemeinwohl wird sich heute immer im Diskurs der gesellschaftlichen Gruppen, bei Gleichberechtigung aller Gruppen, ermitteln lassen, wobei es durchaus auch a priori, sozusagen vom „Wesen“ des Menschen her gedacht, Kennzeichen des Gemeinwohls gibt, die sich etwa in den Menschenrechten ausdrücken.

3.Warum ist das Thema von philosophischer Bedeutung heute?

Es handelt sich um eine Frage der philosophischen Anthropologie (wer ist der Mensch, ist er wesentlich ein besitzender?), um eine Frage der Ethik (Wie viel sollte der einzelne sein Eigen nennen in einer Welt, die das Gemeinwohl respektiert ?) und auch ein religionsphilosophisches Thema (Wird Privat-Eigentum mit göttlichen, absoluten Qualitäten ausgestattet?)

Einige Hinwiese zum Zusammenhang von Ethik und Privatbesitz-Gemeinwohl:

Das Thema gewinnt Deutlichkeit, wenn man fragt, welche Gültigkeit die Gleichheit aller Menschen heute hat. Es geht um die Geltung von humanen Maßstäben, es geht um die Wiedergewinnung von Gesetzen, die gerecht sind und um die Moralität, die einen jeden vernünftigen Menschen leiten sollte, sofern er sich als Mensch unter Menschen versteht. Es geht also um die Wiedergewinnung der Selbstachtung, auch unserer eigenen, und um das Gespür für menschliches Miteinander und Verantwortung.

Die schwere Frage: Was ist Gleichheit? Es geht hier nicht um die Gleichheit der formalen Logik, sondern um die qualitative Gleichheit im sozialen Zusammenhang, um eine Gleichheit, die immer in einer bestimmten Hinsicht besteht:
Alle Menschen sind gleich, in der nicht zu bezweifelnden Hinsicht, dass alle Menschen, aber wirklich alle, eine absolut zu schützende Würde haben.

Das ist eine relativ neue Erkenntnis, man denke an die Selbstverständlichkeit, mit der früher Sklaverei für normal gehalten wurde.

Aber die menschliche Würde als das alle Menschen Verbindende ist kulturell immer inhaltlich geprägt, deswegen auch verschieden gestaltet. Aber es ist immer von der gemeinsamen Würde der Menschen die Rede. Ein Mensch ist kein Tier. Sondern der Mensch ist Vernunftwesen mit je konkreter Ausprägung. Das heißt: Alle Personen sind als Gleiche zu behandeln; aber nicht alle Personen sind genau gleich zu behandeln, wenn wir etwa von einem demokratischen Zusammenleben ausgehen: In einem Fall von Katastrophe, etwa Erdbeben, gilt die erste Fürsorge den Verletzten, nicht denen, die in gut erhaltenen Häusern leben können. Hungernde müssen zuerst versorgt werden, erst dann kommt die Sorge für die, die in der Katastrophe wohlhabend und gut ernährt geblieben sind. Zuerst sollten die Menschen in Not unterstützt werden, eine Einsicht, die im praktischen Verhalten spontan gelebt wird.

Welcher Umgang mit den Milliardären ist in einem Staat grundsätzlich richtig, also mit Milliardären, die vom Sozialstaat nichts erwarten, von ihm nichts brauchen, außer polizeilichen Schutz und gut erhaltene Straßen.

Die Antwort auf diese Frage von der Seite der Reichen ist klar: Wir spenden, geben Almosen, gründen Stiftungen, aber verteilen als die großen (oft religiösen) Gönner unsere Gelder nach eigenem Gusto. Deswegen geben wir als Multimillionäre unsere Spenden lieber zugunsten der Renovierung alter repräsentativer Gebäude, sagen wir Barock-Schlösser. Dabei sparen wir noch mal Steuern. Nicht alle Stiftungen der Superreichen sind a priori sozial und Gemeinwohl fördernd, eine banale Erkenntnis. Und die Sozialgesetze in den USA sind bis jetzt so angelegt, dass förmlich vom Staat selbst mit den Spenden der Millionäre gerechnet wird für die so genannte Sozialpolitik siehe etwa die Suppenküchen der Hungernden in den USA, gesponsert von Millionären. Ganz nett, aber Sozialpolitik eines Staates könnte anders aussehen!

Und zweitens wünschen sich dann die Reichen und Superreichen am dringendsten: Möglichst wenig Steuern, vor allem möglichst wenig Erbschaftssteuer. Und, man weiß es längst, dieser Wunsch wird den (Super) Reichen von den demokratisch gewählten Regierungen gern gewährt. Wenn man als Millionär nicht Steuerflucht begeht oder den Firmensitz nach Panama verlagert, bleibt ja immer noch der Weg nach Russland frei: Nur ein Beispiel: Typisch ist, dass der sicher nicht ganz arme Schauspieler, Koch und Weinbergsbesitzer Gérard Depardieu sich 2013 einen russischen Pass von Putin geben ließ, damit er, nun russischer Bürger, die hohen Steuern in Frankreich umgehen kann. In Russland gilt der für Millionäre geradezu traumhafte Steuersatz von 13 Prozent.

Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2018, M. Trump, der Multimillionär, will den Spitzensteuersatz für alle auf nur 25 % setzen.

4.Die (Super) Reichen betreiben Separatismus

Die Superreichen wollen sich möglich ihrer eigenen Verantwortung für ihren Staat und fürs Gemeinwohl entziehen, indem sie Steuern verteufeln. Typisch ist die Äußerung des Philosophen Peter Sloterdijk in seinem Manifest vom 10. Juni 2009: „Der Staat ist für mich nur ein (Steuern) nehmendes Ungeheuer und die Institution der Einkommenssteuer nichts anderes als ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung, im Wohlfahrtsstaat leben die Unproduktiven aufkosten der Produktiven“. Herr Sloterdijk fühlt sich als Elite, der es, als den wertvollen Menschen, besser zu gehen hat: Das zeigt auch sein Interview in der Kulturzeitschrift CICERO im Februar 2016. Dort nennt er die Flüchtlinge als die viel zu vielen Leute, „mit denen man fast nichts gemeinsam hat“ (S. 22). Und er seufzt mit dem Schriftsteller Stefan George über die Fremden: “Schon eure Zahl ist ein Frevel“. Auf den engen Zusammenhang von Finanz-„Elite“ (Elite in Anführungszeichen!) und der sich fast „rassisch“ abgrenzenden Herren-Menschen-Rasse“ ist evident: Da wird die Ideologie verbreitet: Reiche haben Talent und Fleiß, so die uralte These der Vermögenden, Arme eben nicht, sie sind faul und selbst schuld an ihrem Elend. Das ist gängige Ideologie der Superreichen seit Jahrhunderten…

Wir beobachten also heute bei den Super-Reichen, aber nicht nur dort, eine völlige Verachtung dessen, was man Gemeinwohl, oder den Sozialstaat usw. nennt. Was sagt ein höchst erfolgreicher Schriftsteller über seine Bindung und Verantwortung für sein eigenes Land, es sagt Michel Houellebecq 2010: „Ich bin kein Bürger, und habe keine Lust, einer zu werden. Man hat keine Pflichten gegenüber seinem Land, so etwas gibt es nicht. Wir sind weder Bürger noch Untertanen, sondern Individuen. Frankreich ist ein Hotel, mehr nicht“ (in Rosavallon, Die Gesellschaft der Gleichen, S.329).

Der französische Philosoph und Historiker Pierre Rosanvallon (Paris) nennt in seinem grundlegenden Buch „Die Gesellschaft der Gleichen“ Hamburger Edition 2013, diese Ignoranz allgemeiner Werte einen „umfassenden sozialen Separatismus“ (S.331). Und das ist für ihn mehr als nur ein neuer aggressiver Individualismus. Wer sich separiert aus seiner Gesellschaft, aus seinem Staat um des Privateigentums willen ausziehen will, der möchte eigentlich in einem anderen Land leben, auf einem imaginären Planeten der Reichen, aber bitte ohne Steuern. Zur Not begnügen sich die Ultra-Reichen eben mit „gated communities“, mit abgeriegelten Bezirken innerhalb einer Stadt. Also mit Luxus Oasen, die nur wenigen Erwählten Zutritt gewähren.

In jedem Fall wollen diese Privateigentums-Fanatiker und also Separatisten sich aus der Verantwortung für ihr eigenes Land (man denke auch an die Steueroasen usw.) förmlich wegstehlen. Sie halten sich, wie einst und heute der Adel, für die Privilegierten. Die Besonderen. Die wichtigeren, wertvolleren Menschen. Das ist, nebenbei, eine Form des Rassismus.

Der reiche Bürger eines Landes versteht sich nur noch als Besitzbürger, nicht mehr als politischer Bürger, der auch für die Allgemeinheit, für die anderen, Verantwortung übernimmt.

5.Kritik der gelebten Unmoral

Wir erleben also den totalen Verlust an Verantwortung für andere, das Fehlen von Empathie. Dahinter steht die Haltung: Uns soll es bestens gehen, nach uns die Sintflut. Und diese Kreise werden durch die Parlamente der westlichen Demokratien bestens bedient. Warum? Weil offenbar in diesen Parlamenten die Freunde dieser Privatbesitz-Fanatiker herrschen. Das meiste an demokratischer Kulisse ist schöner Schein. Einer der führenden kritischen Manager, Tobias Busch, schreibt am 24.2.2016 in der webite „Migazin“: „Selten in den letzten Jahrzehnten sind politische Entscheidungen so unverblümt egoistisch und unsolidarisch getroffen worden wie in diesen Tagen und Wochen. In Europa wird nicht einmal mehr die Fassade der Scheinheiligkeit gewahrt, wenn es um das Flüchtlingsthema geht. Dass jeder konsequent seine Interessen verfolgt und brutale Selbstoptimierung betreibt, ist in der Politik wohl völlig normal. Aber die Gnadenlosigkeit im Auftritt ist neu…“

Der Philosoph Norbert Copray, Herausgeber der Zeitschrift PUBLIK FORUM, schreibt in seinem Buch (2015): „An Widersprüchen wachsen“, S. 19: “Das System, wie Geld gehandhabt und wofür es eingesetzt wird, haben sich diejenigen geschaffen, die damit die Welt regieren. Mehr denn je. Und diejenigen, die das System meisterlich beherrschen, beherrschen auch die Welt zu ihrem eigenen Vorteil. Alle anderen sind ihnen egal. Das bekommen die Menschen in Afrika usw. schon viel länger zu spüren als die Menschen in der westlichen Industrie- und Finanzwelt“ (S. 19).

Wir erleben heute das Sich – Absolutsetzen des Privateigentums global. Das extreme Vermehren des Privateigentums – wie ein selbstverständlicher Selbstzweck betrieben wie aus Sucht und Gewohnheit bei den Reichen – führt zu einer Vernachlässigung dessen, was man früher Gemeinwohl nannte oder auch Verantwortung für eine staatliche Ordnung oder die Verantwortung für das, was auf dieser Welt allen Menschen gemeinsam ist, nämlich das Recht, menschenwürdig zu leben. Das ist etwa angesichts des Hungers von vielen Millionen Menschen dringendste Aufgabe, die auch finanziert werden kann, das Geld ist ja prinzipiell da. Ich empfehle das Buch des argentinischen Forschers und Journalisten Martin Caparrós „Der Hunger“, Suhrkamp Verlag, 2015.

Wichtig ist die Erkenntnis, die sich wenigstens herumsprechen sollte, auch wenn sich wohl kaum ein Millionär davon betroffen fühlt: Es gibt so etwas wie eine soziale Schuld. Das heißt: Jeder einzelne lebt von der akkumulierten Arbeit anderer. Wer zur Welt kommt, kommt in eine Welt, die ihm bereits vieles schenkt, vieles bietet, von der er lebt, ohne auch vorher etwas gearbeitet zu haben. Wir profitieren von einander, die einen etwas oder gar nicht; einige wenige hingegen sehr.

Wer große Vermögen ansammelt, bezieht sich auf die Arbeitsleistungen anderer, die schlecht bezahlt wurden. Wer viel verdient, genießt nicht das, was er sich allein erarbeitet hat.

Léon Bourgeois, ein Jurist und Gründerväter des Völkerbundes mit Friedensnobelpreis ausgezeichnet, 1851 bis 1925, sagt: „Der Mensch begeht einen Betrug, einen Diebstahl, wenn er für sich behält, was er nur durch die Arbeit und Mühe früherer Generationen hat erwerben können“ (S. 227).

Es gilt heute ein klares philosophisches Verständnis für eine Ethik des Eigentums wiederzugewinnen: Der Kategorische Imperativ Kants ist heute auch in dieser Frage ein bleibender universeller Maßstab, um die Moralität, also die Qualität der Menschwürde, in allen subjektiven Lebenshaltungen (Maximen) zu beurteilen. Gilt der Grundsatz einiger Leute, Millionäre usw., dass sie selbst unter allen Bedingungen immer reicher werden wollen, so kann diese Maxime vor einer menschlichen Moral, also der Menschenwürde, nicht bestehen. Wer an dieser Maxime festhält, verabschiedet sich, philosophisch gesehen, aus der gemeinsamen Menschenwelt (die gated communities sind dafür architektonischer Ausdruck). Fazit: Wir leben heute weithin in einem unmoralischen, d.h. im Sinne Kants, unvernünftigen und menschenunwürdigen Zustand.

Die grundlegende Frage wird nicht mehr gestellt, geschweige denn beantwortet: Warum ist es gut, gut zu sein? Also etwa dem Kategorischen Imperativ zu entsprechen oder konkreter: den Menschenrechten zu entsprechen als Form der Moralität. Die Antwort ist einfach: Es ist gut, gut zu sein, um die moralische Selbstachtung zu finden und zu bewahren. Nur wer noch Interesse hat, die grundlegende Selbstachtung zu bewahren, wird die Spaltung von Privateigentum und Gemeinwohl unerträglich finden.

Der Philosoph Helmut Rittstieg schreibt in der „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg 2010, Band I, S. 454:
„Es gibt keine pauschale Rechtfertigung für die eigentumsrechtlichen Strukturen der gegenwärtigen Marktgesellschaften. Eben sowenig ist der jeweilige konkrete Bestand an erworbenen Eigentumsrechten sakrosankt. Es gibt wohl erworbene und schlecht erworbene Eigentumsrechte, und auch die wohl erworbenen Eigentumsrechte müssen dem politischen Zugriff offen stehen, wenn sie der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung schädlich sind, wie der Übergang der Feudalgesellschaft zur bürgerlichen

6.Die Passivität der Geschädigten und der „ungleich“ Gemachten

Der Philosoph Pierre Rosanvallon kommt zum dem Gesamteindruck: „Es sieht ganz so aus, als gäbe es heute eine Art stillschweigender Toleranz gegenüber diesen Ungleichheiten (der Privateigentümer)“ (S 14). Es gibt etwa in Frankreich Umfragen mit widersprüchlichen Aussagen: 90 % meinen, die Kluft der Einkommen müsste verringert werden; gleichzeitig sagen sie zu 57 %, dass Einkommensungleichheiten unvermeidlich seien, um wirtschaftliche Dynamik zu gewährleisten“ (S. 14).

Es gibt da und dort den Willen zur Veränderung, man denke an die Versuche der Podemos-Partei, an ATTAC usw. Aber die Mentalitäten sind durch die Allmacht des Geldes so verdorben, dass die Zuversicht, Veränderungen zum Gerechten hin zu bewirken, doch fast geschwunden sind. Insofern leben wir in einer menschlich sehr traurigen Situation. Der Einsatz für die COMMONS ist sicher ein Lichtblick…

Wahrscheinlich kann das Eintreten für eine gerechte Steuerpolitik noch hilfreich sein für eine gerechte Gesellschaft:

Hier nur ein kleiner historischer Hinweis zur Einkommenssteuer: Von Bismarck wurde sie 1891 eingeführt. Die Steuerprogression erstreckte sich damals in Deutschland von 0,5 % bis 4%.

Schon 1924 war der Spitzensteuersatz in Frankreich 60%! Und er wurde selbstverständlich akzeptiert! Es wurde einst die Steuerpolitik verwendet als Instrument zur Überwindung von Ungleichheiten. Der Labour Abgeordnete Snowden (GB) sagte: „Die wenigen können nicht reich sein, ohne die große Masse ärmer zu machen“. (S. 202). Darum forderte er eine andere Steuerpolitik.

Vielen Regierungen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zweifelsfrei klar, dass sie Reformen einleiten müssen, auch in der Verteilung des Reichtums, um Revolutionen zu verhindern (S. 206). Dieser Gedanke fehlt heute völlig in der Öffentlichkeit. Viele ahnen ihn wohl, aber keine demokratische Regierung handelt danach. Revolutionen, so wusste man damals, sollten durch zeitgemäße Reformen verhindert werden (S. 208).

Das heißt: Die Begrenzung des Privateigentums muss durch bessere Gesetze durchgesetzt werden. Sicher auch mit Begrenzungen des Kapitaleigentums. Aber es ist wohl schon zu spät, denn die Reichen haben nicht nur die Ökonomie in der Hand, sondern auch die Politiker. Wir reden von Obergrenzen für Flüchtlinge, besser wäre es, von Obergrenzen von Millionärs- und Milliardärseigentümern zu sprechen und diese Obergrenzen rechtlich durchzusetzen und darüber zu diskutieren.

Meine zusammenfassende These heißt: Noch nie wurde so viel von Ungleichheit geredet, und so wenig von den Geschädigten getan, diese Ungleichheit zu korrigieren. Die Ungleichheit wird heute wie ein Gott verehrt, sagt Pierre Rosavallon. „Alles wissen und alles sagen, ohne dass sich das Geringste verändert”, das ist die Formel heutiger Zeitgenossenschaft.

Ein wichtiger Hinweis ist dem Buch „Esprit de la Révolution“ entnommen, darin schreibt im Jahr 1815 der gemäßigte Politiker Pierre Louis Roederer: “Der erste Beweggrund der Revolution von 1789 war die Unduldsamkeit gegenüber den Ungleichheiten“. (S. 12 in Rosavallon) .

Eine Ergänzung am 1.3.2016 über Besitz und Spiritualität (Frömmigkeit):

Das Denken in Besitz-Kategorien hat sich auch im religiösen Verhalten durchgesetzt. Die bürgerliche Frömmigkeit vor allem folgte, etwa im katholischen Raum, den weit verbreiteten theologischen Propaganda-Sprüchen: „Rette deine Seele“, so immer noch zu lesen auf Kreuzen, die an so genannte „Volksmissionen“, also Predigtreihen intensiver Art, erinnern. Natürlich soll man als religiöser Mensch sich um seine eigene Seele, also um den „Kern“ der eigenen Würde als Person, „kümmern“. Aber niemals in der Fixiertheit auf das eigene und nur eigene Wohl und die eigene Rettung, noch dazu auf Kosten anderer. Wahrscheinlich ist die Kontemplationslehre auch im Mittelalter schon stark ego-fixiert, auf das Sichern de eigenen Heils. Nebenbei: Dass später (ab 1970) die Befreiungstheologie verteufelt wurde von konservativen Kreisen hat sicher damit zu tun: Die Befreiungstheologie deutete, biblisch sehr treffend, Erlösung als gemeinsame soziale Befreiung.

Der Philosoph (und „Mystiker“), der Dominikaner Meister Eckart (1260-1328) wollte in seinen Schriften und Predigten aus dieser Ich-Fixierung herausführen. Für ihn zählt allein die offene Existenz, die sich befreit von der Besitzstruktur, sogar von dem Verklammertsein an einen Gott, den man meint zu „haben“: Also “Gott um Gottes willen lassen”, ist das Motto Eckarts.

Meister Eckart steht in starken Kontrast zu dem viel gelesenen und sicher auch schneller zu verstehenden Erbauungsbuch „Die Nachfoge Chrsti“ des Thomas von Kempen. “Er befürchtet vom sozialen Bereich die Behinderung persönlicher Vervollkommung. Weltflucht ist für Thomas von Kempen oft Menschenflucht“, schreibt der Eckart-Spezialist Dietmar Mieth, in „Christus – das Soziale im Menschen“, Mainz 1972, S. 51, Mieth bezieht sich dabei auf das 20. Kapitel der „Nachfolge Christi“.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon, Christian Modehn

 

 

DADA lebt

DADA lebt. Der 5. Februar gilt als 100. Geburtstag der DADA-Bewegung.

Ein Hinweis von Christian Modehn, Berlin

Hans Küng ist meines Wissens einer der wenigen heutigen (katholischen) Theologen, die DADA ausdrücklich verteidigen. Vielleicht liegt das daran, dass Küng Schweizer ist (der erste Treffpunkt der Dadaisten befand sich bekanntlich in Zürich)…? Oder weil er eben ein universal gebildeter Theologe ist?

Jedenfalls betont Küng ausdrücklich, dass keine Institution, kein Staat und keine Kirche das Recht haben, sich „aufgrund einer künstlerischen Darstellung ein moralisches Urteil über die Grundeinstellung eines Künstlers anzumaßen und sich als Richter auf Nihilismus, Dekadenz, Amoralität oder Lüge zu befinden. Vordergründig Absurdes kann einen hintergründigen Sinn haben“ (in: Hans Küng, “Musik und Religion”, München 2006, Seite 216f.)

Küng nennt zunächst Giorgio de Chirico, Hans Bellmer, Francis Bacon… Und er sagt weiter, dass selbst hinter dem – so wörtlich – „Unsinn einer dadaistischen Collage aus sinnentleerten Papierschnitzeln noch Sinn stecken kann“, also „Protest gegen die Unsinnigkeit des Krieges, den Rationalismus des technischen Zeitalters, die Verlogenheit der bürgerlichen Kultur, die falschen Götter“. Und Küng zitiert den großen DADA Inspirator Hugo Ball: „Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind“. (S. 217).

Man könnte natürlich einwenden, dass mit Küng eben ein Theologe spricht, der in allem noch so Entlegenen einen Sinn noch entdeckt. Aber was ist falsch an dieser Haltung? Selbst wer von sich paradoxerweise behauptet, etwas Sinnloses zu schaffen, meint doch: Sinnlos ist dies für die alle anderen, nicht sinnlos hingegen für mich als den schaffenden kreativen Künstler. Diese Haltung gilt sicher nicht für die DADA-Bewegung. Die wollte mitten im Ersten Weltkrieg die Gesellschaft provozieren, wach machen für die humanen Werte, indem sie das nach außen, auf den ersten Blick der Alltagsvernunft hin Sinnlose zeigte und aussprach. Dabei macht DADA deutlich, dass die übliche logische Welt – damals, 1916, als sinnlos-kriegerische Welt alles andere als rational – eben nur eine mögliche, ein schlimme Variante des Denkbaren ist. Verrückt war nicht DADA, möchte man sagen, sondern verrückt waren die in sich verkrampften kriegerischen National-Staaten… DADA öffnete so den Geist für Mögliches, für Alternativen. ABER:

Eine in sich verkrampfte, selbstsichere, kriegerisch, brutale bürgerliche Welt konnte und wollte über DADA bestenfalls schmunzeln. Diese Welt war (und ist) schlicht zu blöd, um DADA zu verstehen. Wo ist DADA heute? DADA lebt auf andere Weise: Sicher nicht nur in der Kunst und Literatur im expliziten Sinne. DADA ist dort, wo Ungeahntes dargestellt wird als Möglichkeit, als Ausweg, als Befreiung aus Denkzwängen. Als Widerstand gegen alle Stumpfsinnigen, die da uns belehren wollen mit ihrem neoliberalen Herrschafts-Credo: „Es gibt keine Alternative“. Oder jetzt: „Das Boot ist voll“. Oder: „ Die ewige Tradition lässt keine Revolution zu, etwa in den Kirchen“. Es gibt also eine neues DADA heute, nicht als Spaß der Wortspieler, sondern als Lebensform jener, die die Hoffnung und den Lebenssinn bewahrt haben und sagen: Es gibt Alternativen. Denken wir nur mal nach.Und handeln dann gemeinsam.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.

Für weitere Informationen klicken Sie hier.

Der Leichnam Pater Pios im Petersdom ausgestellt: Eine Scharlatanerie?

Der Leichnam Pater Pios (1887-1968) wird im Petersdom ausgestellt: Eine Scharlatanerie?

Ein Hinweis von Christian Modehn, im Februar 2016.m

1.

Es ist ein merkwürdiges und bedenkenswertes Zusammentreffen zweier Ereignisse: Beide dokumentieren auf verschiedenen Ebenen die unvernünftig erscheinende Glaubenspraxis im Vatikan: Am 30.1. 2016 gibt es Massendemontrationen in Italien gegen das Vorhaben der Regierung, auch in diesem Land endlich – sozusagen als Schlußlicht in Europa bei diesem Thema – die eingetragene Partnerschaft von Homosexuellen gesetzlich zu ermöglichen. Der Vatikan ist mit üblichen Argumenten sozusagen der Lieferant ideologischer, religiöser Weisheiten. Aus der schlichten Beschreibung im Alten Testament “Als Mann und Frau schuf Gott die Menschen” (Genesis, 1,27) wird wie üblich und dumm gefolgert: Also kann es deswegen nur eine Ehe von Frau und Mann geben. Von der damals einzig möglichen Heteroehe ist in diesem Bibel-Vers(verfasst ca. 500 vor Christus) keine Rede. Aber der Vatikan entnimmt der Bibel seine Weisheiten, wie es ihm, demVatikan, gefällt.

2.

An dieses Thema traut sich kein katholischer Theologe “ran”: Die merkwürdige angeblich wundertätige Gestalt des süditalienischen Kapuziner-Paters Pio ist für katholische Theologen tabu. Wovor haben diese gut bezahlten Uni-Professoren Angst? Mit diesem angeblich stigmatisierten Kapuziner, der, empirisch erwiesen, in Italien auch heute noch mehr Verehrung findet als Christus oder Maria,  befassen sich “nur”  Soziologen, Historiker oder Kunsthistoriker, wie etwa Urte Krass, Stigmata und yellow press. Die Wunder des Pater Pio”. Bibliographische Hinweise am Ende dieses Beitrags. Wichtig ist das Buch des Historikers Sergio Luzzatto, das nun nach der italienischen Erstausgabe auch in Frankreich publiziert wurde: “Padre Pio. Miracles et politique à l`age laic”, erschienen bei Gallimard , 528 Seiten, 30 €. Das Buch setzt die Gestalt dieses Kapuziners in den historischen Kontext, in dem es das Bedürfnis gab, einen Heiligen zu “schaffen”; es beschreibt auch die Anstrengungen derer, die Pater Pio – sicher aus finanziellen Gründen – in die Gestalt eines zweiten Christus erhöhen wollten.  Der Autor zeigt, wie die Faschisten sich der Gestalt Pater Pios bemächtigten.

3.

Der Religionsphilosophische Salon als Ort der Religionskritik hat sich mit Pater Pio schon seit Jahren mehrfach befasst. Diesmal ein aktueller Hinweis:

Man glaubt es kaum, schon gar nicht bei dem angeblich progressiven Papst Franziskus: Da wird der Leichnam (im Glaskasten) Padre Pios, des Volksheiligen aus Süditalien und Idols u.a. aller Taxifahrer und Mafia-Bosse, aus Süditalien in den Petersdom transportiert und vom 8. bis 14. Februar 2016 ausgestellt, anläßlich des so genannten Heiligen Jahres der Barmherzigkeit. Reliquien, eine einbalsamierte Leiche,  soll also den Gedanken der Barmherzigkeit befördern. Auf welchem theologischen Niveau bewegen sich die Herren des Vatikans eigentlich? Oder geht es nur um Werbung für die Kunstschätze des Vatikans und Roms im Heiligen Jahr? Um mehr Geld in den Kassen des Vatikans und der römischen Hotelbetriebe, zu denen bekanntermaßen heute sicher hundert Klöster gehören. Die Klöster stehen fast leer, und werden in komfortable 4 bis 5 Sterne “Herbergen” verwandelt, die Augustiner, die Nachbarn des Papstes, taten es in Rom, die römischen Franziskaner (die bei dem Projekt pleitegingen) und viele andere…Mit Pater Pio, bei vielen sehr schlichten und weniger schlichten, frommen Gemütern, lässt sich Geld machen…

4.

Religionsphilosophen fragen sich, hat mit dieser Darbietung eines Leichnams in der katholischen Hauptkirche die Vernunft nun endgültig den Vatikan verlassen? Muss der Papst sich so populistisch geben und vielleicht dabei noch konservativere Leute dort versöhnen, dass er den Leichnam Padre Pios, sichtbar und zentral im Petersdom ausstellt? Um was zu bewirken? Dass die naiv gemachten und von ihren Pfarrern ungebildet gehaltenen Frommen dort vor der Leiche beten, den Heiligen bitten und anflehen, seine jetzt nicht mehr blutenden Wunden betrachten und vergessen… dass dieser Mann ein Scharlatan war? Davon sprechen viele Studien, selbst einst die Päpste.

5.

Manche Beobachter fragen: Wie lange will der Vatikan heute eigentlich noch die Nerven der Protestanten strapazieren mit solchen irrigen Kulten um einen heilige Scharlatan? Ist alles Reden von Ökumene im Vatikan nichts als Gerede, indem man genau die Dinge heute ausdrücklich wieder tut, die Martin Luther zurecht verurteilte, wie das Ablasswesen (die “heilige Pforte durchschreiten” usw)., denn auch der Ablass ist bekanntlich wieder so beliebt und eben den Kult um angeblich heilige Leichname bzw. Skelette fördert. De facto sind sich die getrennten Kirchen offenbar bis heute nicht näher gekommen. Das sagt auch jetzt Kardinal Müller, der oberste Glaubenshüter in Rom, wenn er sich die Einheit der Christen nur als Rückkehr zum Papst vorstellen kann. Kurz und gut, warum wagt es kaum jemand zu sagen: Die Ökumene ist nichts als ein schöner, frommer “Schein”? Vielleicht eine Art theologischer Zeitvertreib? Hübsch, wenn man sich zu Konferenzen mit den ewig selben Themen trifft usw. Es geht letztlich unausgesprochen, aber sichtbar im Handeln im Vatikan, nur um die pure Vorherrschaft Roms, eines Roms, som, wie es eben “immer schon war”.

6.

Wir haben schon vor einigen Jahren auf diesen merkwürdigen “Volksheiligen”, der als Priester kaum ein vernünftiges Wort predigen konnte, angeblich mit den Wunden Christi ausgestattet,  aufmerksam gemacht. Zur Lektüre klicken Sie bitte hier.   

Interessante Hinweise, etwa zur Kritik der Päpste an diesem Scharlatan, bietet auch ein Beitrag aus Stuttgarter Zeitungvon 2015, klicken Sie hier.

Wir empfehlen die Lektüre des Beitrags von Urte Krass, “Stigmata und yellow press. Die Wunder des Pater Pio”  in dem Sammelband aus dem Suhrkamp Verlag (2011), hg von Alexander C.T.Geppert und Till Kössler, dort Seite 383-394. Diese Studie von Urte Krass (München) sollte jedem Besucher der wundertätigen Leiche Pater Pios im Petersdom als Pflicht-Lektüre überreicht werden. Geld genug dafür haben ja die Kapuziner mit ihrem “Wunderpriester”, der auch über seinen Tod hinaus für eine wunderbare Geldvermehrung der völlig naiven Frommen seit Jahrzehnten sorgt.

7.

Die Protestanten sollten im Umfeld des Reformationsgedenken 2017 (und des “Ökumenischen Kirchentages” 2017) diese Studie lesen, um sich einen Eindruck zu machen, was heute so alles wichtiggefunden wird in der katholischen Volksspiritualität, mitten im Petersdom, mitten in Italien… Diese total irrationale Volksfrömmgkeit wird amtlich, päpstlich,  gefördert …. weil sie soviel Geld-Segen bringt. Bekanntlich hat ja das riesige Krankenhaus in San Giovanni Rotondo und die dortige “wunderbar-große” Kirche des Stararchitekten Renzo Piano viele Millionen verschlungen…

Ergänzungen am 6.2.2016:  Was sagt der (angeblich progressive) Papst Franziskus von Pater Pio: Ein Zitat aus kath.net: “Nachdem am gestrigen Freitag (5.2.2016) die Reliquien von Pater Pio und Leopold Mandic in Prozession in die Petersbasilika gebracht wurden, wo sie bis zum 11. Februar bleiben werden, begrüßte Papst Franziskus die Gebetsgruppen des heiligen Pio in einer Audienz auf dem Petersplatz. In seiner Ansprache an die Zehntausenden von Pilgern unterstrich der Papst, dass Pater Pio ein „Diener der Barmherzigkeit gewesen sei. Durch das “Apostolat des Hörens, den Dienst der Beichte, sei Pater Pio eine „lebendige Liebkosung des Vaters“ gewesen, der die Wunde der Sünde heile und das Herz mit seinem Frieden aufrichte. Der heilige Pio habe dies tun können, da er immer mit der Quelle verbunden gewesen sei. Er habe ständig seinen Durst am gekreuzigten Jesus gestillt und sei so zu einem „Kanal der Barmherzigkeit“ geworden“. Er habe das Geheimnis des Schmerzes gelebt, den er aus Liebe aufgeopfert habe. So sei sein kleiner Tropfen zu einem großen Fluss der Barmherzigkeit geworden”.

8.

Und der “Fluss der Barmherzigkeit” strömt nach Rom zur Leiche Pater Pio, berichtet ebenfalls kath.net am 6.2.2016: “Pilgeransturm zur Reliquie übertrifft Erwartungen. Fünf Stunden Schlangestehen für fünf Sekunden bei der Pater-Pio-Reliquie. Zehntausende nehmen dies auf sich. Von Stefanie Stahlhofen (KNA). 450 Kilometer hat Filomena für diesen Augenblick hinter sich gebracht. Aus Lagonegro in der Basilikata ist die 65-jährige nach Rom gekommen, um die Reliquie des Heiligen Pater Pio (1887-1968) zu sehen. Dreieinhalb Stunden lang stand sie in der Schlange, andere sollen fünf Stunden gewartet haben. Egal. Filomenas Augen strahlen. «Seelenruhe» habe Pater Pio ihr gegeben, sagt sie. Der Glassarg ist kaum zu sehen vor lauter Menschen. Sie hinterlassen Blumenschmuck und kleine Zettel, pressen einen Schal, eine Hand mit oder ohne Rosenkranz, ein Heiligenbild gegen den Schrein. Sie knipsen Fotos mit dem Handy, murmeln ein Gebet. Vor ihnen der Anblick von Pios Leichnam in der typischen Kutte, die schwarz gewordene Hand über der Brust gefaltet. Eine Silikonmaske verdeckt das Gesicht. Sie verleiht dem Heiligen mit dem grauen Bart einen friedlichen Gesichtsausdruck”.

Für Philosophen: Wie der Philosoph G.W.F. HEGEL den Reliquienkult deutet, lesen Sie hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Wenn Menschen zur Sache werden. Ein Hinweis anlässlich des Holocaust-Gedenkens

Wenn Menschen zur Sache werden: Ein Hinweis anlässlich des Holocaust-Gedenkens

Von Christian Modehn

Der 27. Januar ist der Gedenktag an den Holocaust.

Ein Gedenktag einmal im Jahr ist förmlich eine Beleidigung der Millionen Menschen, die im Holocaust, also dem systematischen Ermorden der Juden im so genannten 3. Reich, umgebracht wurden, vor allem und hauptsächlich von Deutschen.

Eigentlich sollte immer “Gedenktag” an den Holocaust sein. Denn er hat seine tiefe Ursache in der Meinung der Herrschenden, es gebe wertlose Menschen, es gebe Menschen, die eigentlich als Sachen und Dinge angesehen werden können. Die zu überflüssigen Stücken geworden sind, die die Wirtschaft stören, die den eigenen Luxus bedrohen, die das unbewusste und bewusste Herrenmenschentum verunsichern. Mit solcher Mentalität hat der Holocaust bereits – geistig – begonnen. Wenn ideologische Systeme zwischen wertvollen und zweitrangigen Menschen unterscheiden und diesen Wahn in die Köpfe hämmern, hat der Holocaust praktisch schon begonnen.

Lassen wir die Diskussionen über die „Einmaligkeit“ oder „einmalige Besonderheit“ dieses Holocausts von 1933-1945 beiseite.

Tatsache ist, dass immer schon und heute wieder Menschen und ganze Gruppen von Menschen, ja „Völker“ (siehe Afrika, Südsudan, Burundi usw.) systematisch und gezielt umgebracht werden. Sie werden vor unser aller Augen getötet oder zum Verhungern gebracht, wir gucken – via TV- in die Augen der Sterbenden im Südsudan, um die sich niemand kümmert… Sozusagen life können wir im Fernsehen in „hübscher Distanz“, deswegen ungerührt, das Krepieren dieser Armen beobachten. Der “aktuelle Holocaust”?

Der Holocaust-Gedenktag ist unseres Erachtens erst dann umfassend bedacht, wenn nicht nur das Damals, das angebliche Vergangensein des tötenden Antisemitismus, erörtert wird. Wenn also der Gedenktag nicht nur als Rückblick existiert. Sondern als kritischer Blick auf die aktuelle Situation der Welt: Wo gibt es heute –verdrängte, bewusst übersehene- Holocausts?

Holocaust beginnt immer dann zu geschehen, wenn Menschen zu „anderen“, zu „Fremden“, zu „bedrohlichen Eindringlingen“ verdinglicht werden, wenn sie entpersonalisiert werden, als Massen betrachtet werden, als Nummern, etwa wie die Flüchtlinge, etwa im „Lageso-Warte-Lager-Berlin-Tiergarten“, die Tagelang in der Kälte warten müssen auf die Gnade der „Bearbeitung“ ihres “Falls”.

Philosophie und mit ihr eine religiöse wie humanistische Spiritualität hat sich heute abzuarbeiten am Thema: Wie können wir das Bewusstsein, den Geist, soweit befreien von dem längst üblich gewordenen Gedanken: Es gibt auf dieser Welt unbedeutende Menschen, unwichtige Personen, die man durchaus ausbeuten kann, die man übersehen kann und wie Sachen und Dinge behandeln und notfalls entsorgen kann. Es ist, nebenbei gesagt, bezeichnend: Die Kritiker der systematischen Tötungen der Armen, besonders der Frauen in Zentralamerika und Mexiko, bewerten die Täter, also die Mörder, aus den Kreisen der Militärs, der Regierungen, der Drogenkartelle, eben als „Herrenmenschen“.

Eine weitere Debatte über die Verdinglichung der Menschen durch einige Herren-Menschen ist dringend geboten.

Copyright: Christian Modehn

“Das Privat-Eigentum und das Gemeinwohl”. Eine kritische Philosophie des Habens und Besitzens. Ein Salonabend…

“Das Privat-Eigentum und das Gemeinwohl”. Eine kritische Philosophie des Habens und Besitzens…

Ein Salonabend am 26. 2. 2016 in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 in Berlin-Wilmersdorf. Beginn um 19 Uhr. Anmeldung an: christian.modehn@berlin.de

Wichtige Hinweise von Elisabeth Hoffmann u.a. zu den “Commons”: Siehe weiter unten.

Zur Einstimmung für unseren Salon empfehle ich eine ARD Dokumentation (2016) z. B. über die zunehmende Verarmung der so genannten Mittelschicht in Deutschland;  dies ist ein Film zugleich über die Tatsache, dass sich diese Kreise nicht wehren gegen die zunehmende, von Politikern (Schröder SPD und NachfolgerInnen) gemachte Verarmung:Man könnte doch etwa eine gerechte Steuer-Politik auch gegenüber den Reichen und Ultra-Reichen  dringend verlangen! Macht aber kaum jemand…  Schauen Sie sich diesen Film an:

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/wie-solidarisch-ist-deutschland-116.html

Dass jeder Mensch, um zu überleben, Besitz und Eigentum braucht, etwas, das ihm gehört, um das eigene Leben zu gestalten, ist keine Frage. Heute entsteht weltweit immer dringender die Frage: Wie riesig groß kann und darf um der Menschlichkeit der Menschen willen der Abstand zwischen (Ultra-) Reichen und Armen (also arm Gemachten) sein? Die Frage nach dem Eigentum hat die Philosophen spätestens seit John Locke befasst. Wir wollen auch nach dem Begriff des “Gemeinwohls” fragen, als kritischem Korrektiv eines überdehnten Eigentum-Begriffes. Hintergrund ist die niemals verstummende Forderung nach einer gerechten Ordnung für alle, die auch den Armen Gleichberechtigung bietet. Die Idee (als reale Forderung)  einer gerechten Welt ist zentrale Lehre des Christentums. Man sollte in einem modernen Verständnis des Christentums sagen: Der christliche Glaube ist der Glaube an die stets weiter zu entwickelnden Menschenrechte! Das gilt, trotz aller faktischen Verirrungen in der Christentumsgeschichte. Auch auf den Philosophen und Psychotherapeuten Erich Fromm wollen wir in unserem Salon erinnern.

Nur einige FAKTEN zur Einstimmung:Die NGO OXFAM berichtet jetzt, Januar 2016: Das oberste eine Prozent der Weltbevölkerung besitzt mehr Vermögen als der gesamte “Rest” der Menschheit, also 99 Prozent. Oft wurde auch die Zahl verbreitet: 62 der reichsten Menschen besitzen so viel wie die arme Hälfte der Menschheit. 

Zu Deutschland im Jahr 2013: 52 Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland besitzen 10 Prozent der Haushalte… 

Elisabeth Hofffmann,  mit unserem philosophischen Salon seit Jahren verbunden, schreibt zu unserem Gespräch am 26.  Februar: “Das Thema des nächsten Salons finde ich auch sehr interessant und wichtig. Als Gegenüberstellung zum Eigentumsbegriff wäre der Begriff der „Commons“ auch wichtig, die Gemeingüter oder auch früher die Allmende….was wohl alles unter dem Begriff des Gemeinwohls subsumiert werden könnte. Hier gibt’s sogar ein blog dazu. https://commonsblog.wordpress.com/was-sind-commons/. Dann gibt’s die Initiative der Gemeinwohlökonomie, die eine Gemeinwohlbilanz (ähnlich wie die Steuererklärung) den beteiligten Unternehmen abverlangt. https://www.ecogood.org/ . Gern würde ich auch über den Satz, daß Eigentum verpflichtet, philosophisch reden. Steht wohl in unserer Verfassung. Und darüber, daß das soziale Ansehen immer noch steigt, wenn man viel besitzt. Woher kommt das? Calvin? Was könnte man dem heute entgegensetzen. Jemand der Milliarden hat, sollte doch eigentlich als einer, der andere übervorteilt hat, gebrandmarkt werden. Viel besitzen ist doch schon lange nicht mehr ein Zeichen, daß man viel gearbeitet hat. Verleiht Reichtum jemanden eine Art Königswürde? Respekt? Macht? Aus einem kollektiven Gefühl heraus? Aus einer Abhängigkeit heraus? Wie schaffen wir es, das Miteinander und das Gemeinwohl als die Voraussetzung von Reichtum zu erkennen? Niemand wird allein reich. Reichtum ist immer Gemeinschaftswerk. Eine Ökonomin, Elinor Ostrom, hat vor vielen Jahren dazu geforscht und den Nobelpreis dafür erhalten, in dem sie nachwies, wie gemeinschaftliches Eigentum erfolgreich organisiert werden kann und dabei die Ressourcen geschützt werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Elinor_Ostrom

Auch dieser Link ist wichtig: https://commons-institut.org/files/Commoning_Zur_Kon-Struktion_einer_konvivialen_Gesellschaft.pdf

Es ist das Manifest für eine konviviale Gesellschaft. Ich glaube, daß das gute Organisieren der Flüchtlingskrise durch sehr viele Freiwille und Ehrenamtliche zeigt, wie eine Gesellschaft der Selbstorganisation klappen könnte, wie sie im Manifest konzipiert wird. Und hier ist noch ein guter Film von Scobel zu den Gemeingütern: https://www.youtube.com/watch?v=rQkbImeVHr8