Rupert Neudeck und Albert Camus.

Rupert Neudeck: Von Albert Camus inspiriert

Ein Hinweis von Christian Modehn

In den zahllosen wichtigen Erinnerungen an den großen Humanisten Rupert Neudeck wird meines Erachtens oft vergessen: Rupert Neudeck wollte nicht nur in der Tat den radikalen ethischen Forderungen des Jesus von Nazareth entsprechen, den ursprünglichen, noch kirchlich nicht verfälschten Lebensweisheiten Jesu, wie sie im Neuen Testament, etwa in der Bergpredigt oder den „Endzeitreden Jesu“, deutlich werden. Wichtig ist: Rupert Neudeck lebte auch aus dem Geist des humanistischen Philosophen Albert Camus. Das Denken Albert Camus war ihm, darf ich sagen, genauso wichtig wie die Bibel. Humanismus ist eben niemals nur “atheistischer Humanismus”. Humanismus ist in der weitenTradition vielmehr immer auch eine Verbindung von religiösem-etwa auch christlichem- und philosophischem Denken. Das hat Rupert Neudeck als Einheit gelebt. Dafür sind ihm so viele so dankbar. Er ist ein Lebens-Retter.  Insofern ist Rupert Neudeck auch ein Mensch, der zeigt: Auch philosophische Vorschläge und philosophische Erkenntnisse können ein Leben gestalten. Philosophieren hat mit dem Leben zu tun. Sie ist keine graue Theorie…

Über „Die politische Ethik bei Jean Paul Sartre und Albert Camus“ wurde Rupert Neudeck 1972 in Münster zum Doktor der Philosophie promoviert.

Im Jahr 2013 hatte ich erneut Gelegenheit, Rupert Neudeck in Berlin (anläßlich einer Konferenz über das “ROTE KREUZ”) zu sprechen und für die ARD Sender zu interviewen. 2013 war das Jahr der Erinnerung an Albert Camus (geboren 1913).

Nur drei zentrale Zitate Rupert Neudeckes zu Albert Camus:

1. „Ich erzähle immer die Geschichte, dass wir unseren Mitarbeitern bei Cap Anamur, wenn sie rausgegangen sind nach Kambodscha, Somalia, Uganda, immer ein Buch mitgegeben haben, und das geradezu das Vademecum der humanitären Arbeit ist, nämlich die „Die Pest“ von Camus, von Albert Camus“.

….. Der Roman „Die Pest“ handelt von menschlicher Solidarität in verzweifelter Lage: Rupert Neudeck:

2. „Wenn man diese Parabel gelesen hat, verstanden hat, dann weiß man die Richtung, in die man gehen muss. Und die Richtung ist nicht, dass man auf etwas verzichten muss, sondern das einzige, wozu wir in der Lage sein müssen, ist, dass wir uns schämen müssen, allein glücklich zu sein.“

Aus den Vorschlägen Albert Camus` zieht Rupert Neudeck diese Konsequenzen:

3. „Wenn wir uns ehrlich vor Augen was wir sind, was für Waschlappen wir sind, dann ist es schon etwas ganz Erfreuliches, wenn man nicht aufgibt. Wenn man nicht sagt: Macht alles keinen Sinn. Ich denke, dass es nicht stimmt, dass alles auf der Welt zum heulen ist und kaputt geht. Das ist nur eine Hälfte der Realität, es gibt eine andere, in der uns was gelingt, in der Solidarität gelingt, in kleinen Einheiten, in Kommunen, Gemeinden Dinge passieren, die großartig sind. Diese Geschichten vom Gelingen, die brauchen wir, um uns nicht immer wieder zu verzehren im Wortsinn“.

Zwei kurze, zentrale Zitate von Albert Camus, die Rupert Neudeck genau gesprochen hätte:

– „Schöpferisch sein, bedeutet zweimal zu leben“.

– „Ich empöre mich. Also sind wir!“

Zur Vertiefung in die Spiritualität von Albert Camus finden Sie u.a. in einem Beitrag des NDR, klicken Sie hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

Humanistin predigt in protestantischem Gottesdienst in Amsterdam

Ein Hinweis und ein Impuls von Christian Modehn

Am Sonntag, den 29. Mai 2016, predigt die neue Direktorin des Humanistischen Verbandes der Niederlande, Christa Compas, im Sonntagsgottesdienst der protestantischen Gemeinde der Remonstranten in Amsterdam, die Kirche heißt “de Vriburg”. “Gebt mir Brot und auch Rosen” ist das Thema. Christa Compas ist Politologin und in vielfältiger Weise auch für die Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft aktiv. Der “Humanistische Verband Hollands” ist eine bekannte Organisation, in der sich agnostische und atheistische Menschen zusammenfinden; sie haben z.B. eine eigene Universität in Utrecht. Uns freut es sehr, dass die Remonstranten eine prominente Humanistin zur Predigt im Sonntagsgottesdienst einladen. Und fragen uns natürlich, ob solches in Deutschland, etwa in Zusammenarbeit mit dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), möglich wäre. Vonseiten des HVD bestimmt… Übrigens: Eine führende Mitarbeit des theologischen Instituts der Remonstranten in Amsterdam, Christa Anbeek, war als Theologin auch Dozentin an der genannten humanistischen Universität in Utrecht. Sicher kommen sich auf diese Weise, durch gemeinsame christlich-humanistische Veranstaltungen, Glaubende und Skeptiker (Agnostiker, Atheisten…) näher und entdecken: Was uns verbindet ist größer als das,was uns trennt: Uns verbindet die Sorge um die Menschen, etwa, dass sie alle  “Brot und Rosen” haben und diese teilen und sich daran erfreuen, um den Titel der Predigt von Christa Compas in der Amsterdamer Kirche noch einmal aufzugreifen.

Ich möchte hoffen, dass der universale humanistische Geist (der ja nie ein explizit antireligiöser und atheistischer war und ist) allmählich als gemeinsame menschliche Basis wieder entdeckt und gepflegt wird. Die entscheidende Erkenntnis: Zuerst kommt der allen gemeinsame Humanismus. Und erst dann die speziellere Interpretation des Menschen, die religiöse oder eher agnostische.  Aber dies ist die zweite Ebene! Und sie sollte auch als solche (eben nicht so dringende Dimension) gelebt und gelehrt werden, gerade jetzt.

Weitere Informationen zur Predigt von Christa Compas und der protestantischen Kirche de Vrijburg in Amsterdam finden Sie hier.

Christian Modehn, religionsphilosophischer salon berlin

Pfingsten: Wie der Geist, der heilige, zu politischer Kritik führt. Eine philosophische Predigt.

Wie der heilige Geist heute zu politischer Kritik ermuntert

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht zu Pfingsten 2016! Zugleich die Skizze einer philosophischen Predigt.

1.

Muss man daran erinnern, dass Pfingsten das Fest des Geistes ist? Muss man daran erinnern, dass der Geist (nennen wir ihn philosophisch auch kritische Vernunft) als etwas Heiliges zu gelten hat, als eine Kraft, die absolut und unbedingt hoch zu schätzen, zu pflegen und zu entwickeln ist? Die Kraft, die den Menschen als Menschen auszeichnet bzw. auszeichnen sollte?

2.

Wenn die Menschen sich am Pfingstfest auf den Geist besinnen, auf ihren Geist und den, den sie mit allen Menschen  gemeinsam haben und teilen, dann liegt darin immer auch eine politische Dynamik. Christen, denen der Geist ja traditionell heilig, sogar göttlich ist, bleiben unter ihrem theologischen und religionsphilosophischen Niveau, wenn sie Pfingsten nur “inner-religiös”, nur als seelische Bereicherung ihrer hoffentlich schönen Seele begreifen.

3.

Der Geist der Kritik verweist heute selbst auf Themen, an denen wir uns geistvoll abarbeiten sollten, er zeigt die drängenden Aufgaben nämlich in den aktuellen Kontrast-Erfahrungen: Das heißt: In den Erlebnissen und Erkenntnissen so vieler, die ihr Wissen aussprechen oder noch schamhaft für sich behalten: Unsere Welt im ganzen, auch unsere Gesellschaft hier, wird nicht nur eine grundlegend andere; sie sollte auch als eine gerechtere, bessere, gestaltet werden. Den Kontrast zum Bestehenden gilt es im kritischen Denken zunächst auszuhalten und dann zu überwinden. Wir stehen an einer Wende. Sie ist in ihrer globalen Dimension nur mit dem Fall der Mauer 1989 vergleichbar. Diese Wende wird als Abschied von einer alten, selbstverständlichen Ordnung bzw. wohl eher Unordnung erfahren, in der wir hier in Europa und Nordamerika meinten, mit unseren Konzepten, auch ökonomischen Konzepten, die Welt beherrschen zu können. Kontrasterfahrungen also heißen: Nein sagen zur bestehenden ungerechten Gestalt dieser Welt; dieses Nein ist keine theoretische Konstruktion, es wird immer schon von uns erlebt, oft ausgesprochen, selten aber in den berühmten kleinen oder größeren Schritten von Reform und Revolte praktisch gestaltet. Dieses Nein ist eine Leistung unseres Geistes, der uns als Grenzen überwindende Dynamik immer schon über das jeweils Bestehende hinausführt. Diese im Neinsagen  in Umrissen sichtbare neue Welt ist eine Leistung des Geistes. Und sie sollte in Gruppen und Gemeinden besprochen werden.

4.

Darum ist in christlicher Tradition Geisterfahrung und Ernstnehmen des Geistes immer an Gruppen und Gemeinden gebunden. In der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Hegels ist der Geist, der heilige, ohne Gemeinde gar nicht denkbar. Der Verlust von Gemeinde-Erfahrungen als menschlicher, geistvoller Gemeinschaften, natürlich in Freiheit, ist eine Art Katastrophe für eine lebendige und soziale Geist-Erfahrung. Wenn Kirchenleitungen aufgrund rigider Gesetze diese Gemeinden heute in Deutschland und anderswo reduzieren (etwa wegen des Fehlens von zölibatären Priestern im römischen Katholizismus), dann verhindern diese Kirchenleitungen selbst geistvolle Erfahrungen, sie verhindern den Aufbau einer gerechteren Welt. Und die Grundidee von Pfingsten ist: Gottes Geist ist in allen Menschen, deswegen sind alle Menschen von unendlichem Wert: Dafür muss politisch gekämpft werden! Etwa: Dass der finanzielle Abstand zwischen Reichen und Armen nicht immer größer wird. Auch in Deutschland.

5.

Jetzt wird wohl alles grundlegend anders: Die Armen im Süden dulden nicht noch länger das Elend. Die menschenwürdigen Verhältnisse sind   dadurch bewirkt, dass die westliche Ökonomie und Politik ständig so genannte Politiker, meist Diktatoren in Afrika und Lateinamerika und im Mittleren Osten, hätschelt und pflegt. Und den dort lebenden Menschen keine Demokratie “gegönnt” wird. Die armen Bootsflüchtlinge aus Afrika können – überlebend angekommen – ökonomisch im Westen ausgeplündert werden, man braucht sie hier, in Kneipen und anderswo als Putzhilfen, auch wenn man nach außen so tut, als wolle man sie eher abweisen. Wenn jetzt Flüchtlinge nach Europa kommen, und es werden viele kommen, wenn man nicht mit europäischen Waffen auf diese Flüchtlinge schießt, was Frau von Storch (AFD) unsäglicherweise für denkbar hält, dann wird diese unsere Welt eine andere: “Das Elend der Welt”, kommt zu uns und wird hier bleiben. Und damit kommt zu uns “die Welt des Elends”, die Europa seit der Kolonialzeit in modernen ausbeuterischen Verhältnissen geschaffen hat, vor unsere Haustür. Aber der längst politisch etablierte Egoismus der Reichen (auch durch sich christlich nennende Parteien) wehrt mit aller Kraft die Armen ab, im eigenen Land, wie die Flüchtlinge aus der Ferne.

6.

Und damit die kritische Frage: Was haben wir aus dieser Welt gemacht, in der 1 Prozent der Bevölkerung etwa 60 Prozent aller so genannter „Vermögens-Werte“ besitzen? Wie viel Ungerechtigkeit haben wir über all die Jahrzehnte zugelassen, bloß weil sie uns „im Westen“ nützte und den heiligen Profit brachte? Wie sehr haben wir uns aus der Affäre gezogen, indem wir von Barmherzigkeit und milder Güte sprachen, die ja nicht mehr sind als: nette Opfergroschen für die Elenden. Opfergroschen verändern nicht ungerechte Strukturen. Aber das wurde und wird uns hier eingeredet. Darum ist, nebenbei gesagt, die Propaganda-Rede von Papst Franziskus zugunsten der Barmherzigkeit recht nett, strukturell aber wirkungslos…Soll der barmherzige Papst doch die Milliarden, die in den Vatikan-Banken ruhen und die Milliarden aus dem römischen Immobilienbesitz einmal den Armen zugute kommen lassen, ehe er von Barmherzigkeit so nett schwadroniert.

7.

Was sagt der kritische Geist in dieser Situation: Nimm diese neue Lage der Präsenz der Flüchtlinge an. Und heiße sie willkommen, das verlangt die Menschlichkeit. Diese Situation ist endlich einmal anzuerkennen, und: Sie ist friedlich und endlich einmal human zu gestalten, wenn es denn noch geht.

Was sagt der kritische Geist zu Pfingsten 2016 noch? Es gibt keine (linke oder sozialdemokratische) Partei, die dieser Situation gewachsen ist, keine Partei, die diesen grundstürzenden Wandel tatsächlich den Bürgern erklären kann oder auch erklären will. Die Politiker, sofern sie etwas verstehen, haben Angst, „dem Volk“ die Wahrheit zu sagen,nämlich: Wir müssen eine andere Gesellschaft hier aufbauen oder wir gehen im Wachstumswahn unter.

Die meisten Einwohner im alten Westen wollen, im verkalkten und bekanntlich tödlichen nationalstaatlichen Denken immer mehr befangen, weiter machen, wie bisher;  sie wollen die nationalen Grenzen verriegeln und Schlimmeres tun. Und die Mehrheit der dumm gehaltenen Bürger spendet Beifall. Angesichts der globalen Veränderung herrscht Angst oder „Weitermachen wie bisher“. Werden wir Populisten und äußerst Rechtslastige noch mit Argumenten von ihrem Irrtum befreit werden können? Leben wir überhaupt noch in einer Gesprächskultur, die für mentale Korrekturen Raum lässt?

Was hilft vielleicht? Natürlich der kritische und der selbstkritische Geist, der auch zum Austausch unter den Menschen führt, die diese globale Analyse teilen und nach neuer Orientierung suchen.

8.

Christliche Gemeinden und philosophische Clubs, Salons, sollten zu „Schools of life“ werden: Dieser wunderbare Titel ist zwar schon vergeben. Aber die Sache kann doch auch grenzenübergreifend gelebt werden: In diesen „schools of life“ wird eben zuerst vom Leben gesprochen, auch dem politischen, auch dem sozialen, da werden gemeinsam Auswege gesucht, da wird Neues erprobt. Das heißt etwa bezogen auf die Kirchen: Die ewige Form des immer gleichen Gottesdienstes, mit der ewig gleichen Form des Ritus, der uralten Formeln und Floskeln, diese Einfallslosigkeit im Umgang mit dem göttlichen Geist, zeigt ihre Wirkung: Fast niemanden interessiert das. Aber die Kirchen machen unbeirrt und wie erstarrt weiter wie bisher… Gibt es noch Hoffnung für die dogmatisch fixierten Kirchen in Europa? Können sie lebendig werden, und in der Mitte ihrer Veranstaltungen, d.h. im Gottesdienst, politisch werden, d.h. lebendig auf die Gegenwart antworten? Können Sie Gottesdienst als Menschendienst verstehen und leben? Ich glaube manchmal: eher nicht, es ist zu spät. Da bleibt nur die religiöse Poesie, die da ureinst in dem schönen poetisch-religiösen Text “Veni creator spiritus” formulierte: “Komm heiliger Geist…” Ob Philosophen auch die religiöse Poesie als Form ihrer Refelxionen wiederentdecken? Das wäre auch ein (selbstverständlich überkonfessionell-vernüftiges) Ereignis des Geistes.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

 

Internationaler Tag der Museen: Sind die Kirchen schon Museen?

Sind die Kirchen schon Museen?

Eher zufällige, aber vielleicht gültige Impressionen in spanischen Städten

Ein Hinweis von Christian Modehn

Am Sonntag, den 22. Mai 2016, wird wieder einmal weltweit, in Deutschland sicher mit besonderem Nachdruck, der Internationale Museumstag „gefeiert“, mit Führungen auch der besonderen Art: In Berlin werden – etwa im Deutschen Historischen Museum – auch Führungen in arabischer Sprache kostenlos angeboten, eine wichtige und schon gut „angenommene“ Initiative zugunsten der Flüchtlinge aus arabischen Ländern.

Der „Internationale Tag der Museen“ gibt natürlich auch allen religionsphilosophisch (und theologisch) Interessierten zu denken. Und es wäre sicher wert, mehrere kulturwissenschaftliche Studien zu verfassen, die sich mit der Frage befassen, auch durch repräsentative Umfragen: Was erleben und was sehen Besucher und Touristen, die Kirchen, Kathedralen, Klostergebäude usw. betreten und „besichtigen“, wie der treffende Ausdruck heißt.

Man sollte theologisch und religionsphilosophisch gesehen das offensichtliche Interesse, Kirchen zu betreten, im allgemeinen nicht pauschal schlecht machen. Vielleicht erleben die BesucherInnen, wenn sie etwa 10 Sekunden vor einer Pieta verweilen, ohne einmal zu „knipsen“, tatsächlich eine ultra-kurze Einsicht oder gar „Mini-Erleuchtung“.

Aber das „vielleicht“ muss wohl in dem Zusammenhang ganz dick unterstrichen werden.

Meine Beobachtungen im April 2016 in drei spanischen Metropolen, in Madrid, Cordoba und Malaga, sind gewiss nicht repräsentativ, dennoch können Sie eine gewisse Nachdenklichkeit wecken.

Es sind in den drei Stadtzentren ständig Touristen unterwegs, auf der Suche nach „Besichtigungs-Objekten“, die sich „lohnen“. Und da sind Kirchen nun einmal bevorzugte Gebäude. Ist es touristische Langeweile, die die Menschen in die Kirchen treibt? Wenn man denn mit den Öffnungszeiten Glück hat: In Spanien sind die katholischen Kirchen, nur um die geht es in Spanien, im Unterschied zu Frankreich, nicht durchgehend 🡰 geöffnet. Sondern von 13 bis 18 Uhr sind die alten spanischen Barock-Kirchen geschlossen. Die neuen, aus dem 20. Jahrhundert gibt es in den Vorstädten, die als Betonkirchen als nicht sehenswert gelten. Dorthin, wo die armen Menschen leben und die politische Realität zuhause ist, geht sowieso kein Tourist…

Wer sich in einer zentral gelegenen Kirche eine Stunde aufhält, etwa in San Sebastian im Zentrum von Madrid, erlebt: Die Leute laufen durch die Kirche, kreuz und quer, verweilen mal hier, mal dort, sie setzen sich auch nicht, bleiben nicht länger als 10 Sekunden irgendwo stehen, und sind nach einer Minute wieder auf der Straße. Auf den Gedanken, etliche Minuten still zu sitzen, kommen nach meinem Eindruck nur sehr wenige. Die meisten fühlen sich fremd in den Kirchen, so mein Eindruck. Etwas länger dauert der Aufenthalt, so meine Beobachtung, wenn man sich in der genannten Madrider Sebastians Kirche plötzlich wundert über die riesige Statue eines hübschen jungen Muskel-Mannes, der als der heilige Sebastian über dem gesamten Hochaltar „thront“, möchte man sagen. Und der Besucher fragt sich, ob durch diese fast nackte Männergestalt (einige tödlich Pfeile durchbohren seinen wohlgeformten Leib) damals mehr die frommen Frauen oder die sich notgedrungen versteckenden Schwulen religiös „bedient“ werden sollten. Ein anderes Gemälde, das die Heilige Anna zeigt mit Maria und dem Kind, erläuterte eine Frau ihrem Sohn als “Trinität”, Dreifaltigkeit.

Ähnliche Beobachtungen auch in Malaga, dort wird für die Kathedrale eine Eintrittsgebühr verlangt, genauso wie in der Kathedrale von Cordoba, die früher als Moschee genutzt wurde, also eigentlich „mezquita-catedral“ heißen müsste. Aber der Bischof dort will nicht, dass der Titel Moschee den Namen Kathedrale in den Schatten stellt, um es mal milde zu sagen. Die Kirche wird jedenfalls reich durch Eintrittsgebühren. Aber sie wird immer mehr geistig arm, weil durch diese Gebühren tatsächlich der Charakter des Museums unterstrichen wird: Für ein wertvolles altes Gemäuer muss man halt Eindruck zahlen, denken die Touristen. Was sich in einer Kirche zeigt, ist eben museal, wie ein el Greco Gemälde oder ein berühmter Goya. Das heißt: Die Kirche fördert geradezu den Gedanken: Lieber Tourist, wenn du die Kathedrale besuchst und ein bisschen knipst, dann bist du in einem Museum. Alles, was du siehst, ist vergangen, irgendwie wertvoll, aber so „hochaktuell“ wie ein Velazquez Gemälde. Das heißt: Die Kirche macht sich damit selbst zu einer musealen Anstalt, was ja so falsch nicht ist, wenn man die ewig selben Riten und die ewig selben alten Gebete und alten Floskeln hört, die eben seit Jahrtausenden in der Messe verwendet werden. Und die Gewänder, die Mitren, usw, all das unterstreicht den fatalen Eindruck: Religion und Bibel sind antik, sind von früher, passé, eben Museum.

Verweilen, stillewerden, meditieren, ja auch das: beten, ist völlig aus dem Blick geraten bei denen, die knipsend eine Kirche betreten. Sie haben schlicht keine Kenntnis der dargestellten Heiligen und Madonnen. Und sie sehen immer wieder einen Gekreuzigten, einen Blutenden, einen Gemarterten, diese Inflation der Kreuzesdarstellungen hat auch noch niemand besprochen: Da wird doch der Eindruck geweckt, Gott will Blut, Gott will Leiden, will Qual, selbst bei seinem Sohn. Von solch einem überall in den Barockkirchen propagierten Gottesbild (ER ist immer bärtig!) wenden sich die Menschen ab. Das ist nicht falsch. Aber ein neues Gottesbild, durchaus im Plural, kann bei diesen Ultra-Kurz-Aufenthalten nicht entstehen.

Die Summe: Die Kirche wird allein durch die Übermacht uralter Gebäude und alter Kunstwerke gerade in den fast ausschließlich einst katholisch geprägten Kulturen selbst immer mehr zum Museum. Und in Deutschland ist oft das Paradox zu beobachten: Es handelt sich um verschlossene und verriegelte Museen. Man schaue sich nur die vielen jungen Menschen an, die sich auf den Stufen vor den zugesperrten Kirchen aufhalten, dort in Gruppen sitzen, debattieren, Bier trinken, schlafen. Ich beobachte das etwa am Winterfeldt-Platz in Schöneberg (St. Matthias) oder an der alten St. Michaels Kirche am Engelbecken in Kreuzberg. Dieses Geschehen bewegt aber niemanden in der Kirchenbürokratie. Oder es suchen die vielen ärmeren, älteren Menschen Einlass in die verschlossenen Kirchen, die froh wären in einer Kirche (im Winter eher wärmend, im Sommer abkühlend) endlich einmal ohne Konsumzwang, ohne Eintrittsgebühr, in einem Raum der Öffentlichkeit auszuruhen und zu verweilen. So aber sind die Kirchen hierzulande verschlossene Museen, nur darauf bedacht, “unbefleckt” sauber zu bleiben, Schmutz durch Besucher zu vermeiden.Und sie haben auch keine Mitglieder mehr, die die Kirchen täglich ein paar Stunden offenhalten und mögliche Diebe abwehren können…Aber wer klaut schon im Ernst ein Gemälde von Pater Pio oder eine kitschige Fatima-Madonna?

So sind die zahllosen verschlossenen Kirchen hierzulande zugleich Ausdruck der personellen Schwundstufen der Kirchen, die viele Milliarden Kirchensteuern jährlich einnehmen, aber nicht in der Lage sind, ihre zentralen Gebäude, diese  Kirchen-Museen, diese Orte des Protestes gegen den totalen Kommerz, offenzuhalten und dort zum Gespräch, zur Meditation, zur Stille, ja auch: zum Gebet, einzuladen oder dieses vielleicht nachvollziehbar von Theologen erklären zu lassen. Wenn die meisten evangelischen Kirchen verschlossen bleiben und als monumentale Gebäude nur für eine Stunde, sonntags um 10, öffnen, vielleicht für 25 Gottesdienstbesucher, wie in Berlin so oft, dann ist das schlicht ein Skandal: Ein Skandal deswegen, weil man die Kritik der Reformatoren aus dem 16. Jahrhundert an den damals offenen katholischen Kirchen unbesehen fortführt, die Reformatoren meinten, damals würden in diesen katholischen Kirchen Exzesse der Heiligenverehrung geschehen usw. Diese Zeiten sind vorbei, trotzdem bleiben die meisten evangelischen Kirchen verschlossen; in Schleswig-Holstein habe ich anderes erlebt, es geht also. Das Merkwürdige ist: Über diese Themen findet keine öffentliche, auch keine halb-öffentliche, d.h. kirchliche Debatte mehr statt. So sind die verschlossenen Kirchen bester Ausdruck für die Verschlossenheit und Ferne der Kirchen und ihrer Dogmen, Moral, heute… Oder nicht?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.

http://www.museumstag.de/museumstag/ueberuns/

 

“Der Mensch ist ein Grenzgänger”. Hinweise zu einem religionsphilosophischen Salon

Der Mensch ist ein Grenzgänger: Philosophische Hinweise aus aktuellem politischem Anlass

Diese 19 Thesen wurden im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 29.4. 2016 vorgetragen und diskutiert.

Von Christian Modehn.

1. Unser philosophischer Ansatz angesichts der aktuellen Verwirrungen hinsichtlich der Grenzen heute: Wir gehen von einer philosophischen Analyse des Daseins aus, um von dort aus begründet die Wirklichkeit der Grenzen zu verstehen. Jede Person ist immer eine bestimmte, d.h. eine begrenzte. Sie muss sich um sich selbst kümmern, will sie selbst ihr eigenes leben „führen“. Das heißt auch, dass wir uns um unserer selbst willen auch abgrenzen sollen. Wir können uns nicht selbst total ent-grenzen, indem wir uns etwa für unsere Arbeit auflösen, Wir müssen unsere persönliche Eigenart und Einmaligkeit pflegen und schätzen.

2. Jeder einzelne Mensch ist also – vermittelt durch sein Bewusstsein und Selbstbewusstsein – immer ein einzelner, begrenzter. In dieser Einmaligkeit hat er, wie es in der Erklärung der Menschenrechte heißt, eine absolute Würde und einen absoluten Wert. Aber diese Begrenztheit, Bestimmtheit des einzelnen, wächst, wandelt sich im Laufe des Lebens. Diese Wandlung, Reifung, ist nur durch Überschreitung seiner bisherigen Begrenztheiten möglich. Wir sind immer mehr als nur einzelne; wir sind keine Inseln, so sehr wir uns auch „abkapseln“, „ein-igeln“: Wir teilen immer gemeinsame Sprachen, leben im Mitsein mit anderen in der einen Welt: Also Kommunikation, Lernen, Verwerfen bisheriger Überzeugungen ist die ständige Grenzüberschreitung geistvollen Lebens. Wir sind immer schon, sofern wir leben, Grenzgänger im Sinne von „Grenzen Überwinder“. Und stehen so von vornherein vor der Aufgabe der Pflege des eigenen, nun einmal begrenzten Wesens und der GLEICHZEITIGEN Offenheit für die ständige Grenzenüberwindung. Die Reflexion auf unser Bewusstsein zeigt: Wir sind immer schon ins Grenzenlose des Bewusstseins verwiesen. D.h.: Der Mensch ist in seinem Geist immer schon „offene Grenze“, „offene Begrenztheit“. Wir sind mit der Grenzen sprengenden Weite des Bewusstseins konfrontiert, wenn wir wahrnehmen, dass wir VOR aller Reflexion auf uns selbst, also noch vor dem Wissen und dem Selbstbewusstsein, bereits und immer schon auf eine weite „Ebene“ des Bewusstseins als einer ständig fließenden Gefühlswahrnehmung verwiesen sind. Diese immer anwesende weite Ebene des Bewusstseins noch vor aller Reflexivität ist für uns immer vorgegeben, nicht machbar, „ungreifbar“ und nicht zu umgreifen. „Ich weiß mit unerschütterlicher Gewissheit, dass ich bin, und dies kraft meiner Selbstvertrautheit. Aber weder weiß ich mit ebensolcher Gewissheit, woraus und woher ich bin, noch weiß ich, wozu und woraufhin ich bin“. So Saskia Wendel in ihrem Buch „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie“, Reclam, S. 36, darin folgt sie den Einsichten des große Philosophen Dieter Henrich. Das heißt, im wachen Selbstwahrnehmen und der elementaren Selbstvertrautheit bin ich über mein kleines Ego, auch über mein im Augenblick aufblitzendes Selbstbewusstsein bezogen auf eine offene Dimension, die größer ist als ich und mein Ego. Ich bin sozusagen verwiesen in einen ganz anderen, einen gründenden Grund. Mit den Worten von Dieter Henrich: „Ich bin in meiner eigenen Beschränktheit also Begrenztheit verwiesen auf mein Bewusstsein, aus etwas begründet zu sein, dem eine ganz andere Verfassung (anders als meine Begrenzheit CM) zuzuschreiben ist“. Ludwig Wittgenstein wird in seinem späteren Werk zeigen, dass die Tendenz der Naturwissenschaften, uns in ihre enge wissenschaftliche und „beweisbare“ Welt einzuschließen, falsch ist, sie führt geradewegs in ein „Gefängnis“. “Der tiefe Denker bringt uns zu der Erkenntnis, dass es etwas gibt, was nicht gesagt werden kann“, so Wittgensteins Freund Drury über Wittgenstein. Das wahre Wesen kann nicht (definierend) gesagt werden, aber es zeigt sich. Das heißt: Im geistigen Erkennen werden immer schon Grenzen gezogen, um sie zu überwinden. (zu Wittgenstein, siehe Friedo Rocken, Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie, S. 34 ff.)

3.Entscheidend ist: Das menschliche, geistvolle Leben ist ständige Suche nach der Balance im Umgang mit Grenzen.

Erst in der Auseinandersetzung mit meiner Grenze (über die ich immer schon hinaus – lebe und hinaus – schaue) wächst ein immer wieder neues lebendiges, strukturiertes Ich. Auch das Sich Abgrenzen geschieht nur um der Lebendigkeit des eigenen Daseins willen. Im Dasein geschehen ständig Grenzverschiebungen des eigenen Selbstverständnisses.

4. Geistige (und politische) Erstarrung tritt ein, wenn ein Mensch sich definitiv in bestimmte Grenzen, die er etwa in der Jugend festgelegt hat, für die ganze Lebenszeit einschließt. Da werden die anderen zu Fremden und Feinden. Darüber später mehr im Zusammenhang des Nationalismus.

5. Sich selber bestimmen und sich abgrenzen ist ein ständiger Prozess des gleichzeitigen Sich-Öffnens und damit alte Grenzen Überwindens. Das verlangt Unterscheiden lernen. Und diese Unterscheidung wird geleistet, indem ich nur bestimmte neue Wirklichkeiten in mein strukturiertes Bewusstsein einlasse, andere eben nicht. (Ich kann mich z.B. begrenzen, indem ich Pop-Musik absolut nicht hören will). Ich muss mich auch mit Grenzen sprengenden, oft unerwarteten Ereignissen auseinandersetzen, darf sie nicht abwehren und aus-grenzen, etwa wenn sie mein bisheriges Dasein in seinen alten Grenzen erschüttern: Etwa das Leiden von Angehörigen, eigene Krankheiten, Rentnersein, Alleinsein usw.

6. Dabei muss vor einem zeitlosen Verständnis von Definition, also Festlegungen des Selbst, Begrenzungen des Selbst, gewarnt werden: Auch in den Naturwissenschaften sind Definitionen immer vorläufige Grenzziehungen; um so mehr im geistigen, philosophischen Zusammenhang: Da hat eine und dieselbe „Sache“ immer mehrere gleichberechtigte „Definitionen“, auch im Laufe der eigenen Lebenszeit: Der Mensch als animal rationale, Da-Sein, Subjekt, Person, „Ebenbild Gottes“ sind alle zeitlich bedingte und deswegen begrenzte „Definitionen“, an die man sich selbstverständlich nicht dogmatisch binden darf. Die jeweiligen Inhalte ändern sich, je nach dem, wie ich meine geistigen Grenzen weite und öffne, auch bezogen auf die Inhalte von Staat, Heimat, Nation, Fremde usw.

7. In der Auseinandersetzung mit der Kunst, der Literatur, der Religion geschieht Erweiterung der je eigener Grenzen. Wer die Schönheit islamischer Kunst wahr – nimmt, ihre Symbole, Farben, ihre Abstraktheit, wird auch sein begrenztes Verstehen „des“ Islam überwinden. Das heisst: Wir überschreiten unsere Grenzen, wenn wir als einzelne Menschen mit unserem nun einmal begrenzten Weltbild ein Kunstwerk eines einzelnen Malers betrachten, der vielleicht vor 500 Jahren lebte, aber ein universal ansprechende Werk geschaffen hat, man denke etwa an Mona Lisa, vielleicht auch Nofretete: Beim Betrachten dieser Kunst geschehen Grenzüberwindungen unseres begrenzten Menschenbildes. Kunst ist immer lokal bezogen und auch global.

8.Wichtig zur Religion: Der einzelne kann heute nicht mehr nur einer und das heißt immer einer begrenzten Religion/Spiritualität „angehören“. Er sollte die eigene jeweils vertraute Religion/Weltanschauung, auch Atheismus, entgrenzen im Dialog. Entgrenzte Religion/Weltanschauung wird „multireligiös“. Wir sind immer schon, oft unbewusst, multi-religiös, indem etwa fromme Christen doch an die Astrologie glauben oder zu Maria beten usw. Heute kommt es auf eine anspruchsvollere multireligiöse Entgrenzung an, etwa durch Übernahme buddhistischer Meditationspraxis.

9.Dialog geschieht ständig, Dialog ist Überwindung meiner bisherigen Grenzen und dies ist mehr als Konfrontation und Dahersagen unterschiedlicher Meinungen, was leider meistens in „Dialog – Konferenzen“ geschieht. Dialog ist vielmehr Öffnung und Lernen und reflektierte, kritische Übernahme (!) des bisher Fremden. Das nennt man „Grenzen überwindendes Wachstum“.

10.Wer nur das begrenzte Ich (im Sinne von unwandelbar, immer dasselbe erleben, sich klammern an seinen Besitz, „Stammtisch-Ideologie“ usw.) fördert, möchte eine Gemeinschaft von vielen Ichs, aber kein vielfältig geprägtes Wir. Die populistischen (oft rechtsextremen) „Kameradschaften“ sind nur EGO – Ansammlungen zur Verteidigung des routinierten Immer Selben, d.h. des Erstorbenen. Sie suchen aber auch ideologische Grenzen überschreitend Bündnispartner, etwa AFD und FPÖ, Le Pen und Putin usw. Hintergrund ist die Angst vor Verlusten, auch materiellen Verlusten. Diese Angst drückt sich aus als Hass und unsägliche verbrecherische Aggression gegenüber Fremden und Flüchtlingen, etwa in der Gewalt gegen die Unterkünfte usw.

11. Bestimmung im Leben bleibt hingegen immer die Lebendigkeit, als immer zu suchende, nie total zu erreichende Balance zwischen der immer notwendigen Abgrenzung (gegen den Selbstverlust) und dem Austausch als Grenzüberschreitung. Vorbild dafür die NGOs, die bezeichnenderweise die Titel haben „Ärzte OHNE GRENZEN“, „Reporter OHNE GRENZEN“, „Ingenieure OHNE GRENZEN“ usw. „Philosophen OHNE GRENZEN“ sind jene, die die universal und immer gültigen Menschenrechte verteidigen.

12. Durch die Ankunft von Flüchtlingen wird das Thema Grenzen plötzlich politisch neu äußerst brisant. Dieses Ereignis der Fluchtbewegungen ist wohl DAS bestimmende Ereignis der nächsten Jahrzehnte. Die Fluchtbewegungen sind auch Resultat verfehlter, geistig begrenzter Politik des Westens, siehe George W. Bushs Irak-Krieg; siehe das kurzsichtige Verhalten Obamas, nicht schon sehr früh Assad schon auszuschalten usw…

13.Es ist seit Anfang 2016 längst Tatsache, dass sich heute Europa, die EU, einmauert, also neu ein – grenzt. Dabei droht die EU zu zerfallen. (Mauernbau ist in jeder Weise tödlich auch für die Mauerbauer selbst, siehe DDR – Führung). Auch die einzelnen europäischen Länder mauern sich ein, siehe etwa jetzt Österreich, dort wird z.B. sogar am Brenner-Pass ein „Grenzmanagment –Leitsystem“ (mit Zaun) errichtet. „Grenzmanagment –Leitsystem“: Dieser Begriff der bürokratischen Gewalt sagt alles über die nationalistische Mentalität. EU Staaten haben im Alleingang nationale Grenzen als wichtiger durchgesetzt als die Verbundenheit mit der EU. Die stramm rechtslastigen Parteien fördern in ihrer populistischen Propaganda stark den Nationalstaatsgedanken. So sagte Alexander Gauland in einem Interview mit DIE ZEIT vom 14.4. 2016 Seite 7 auf die Frage: Wo ist ihr Limes, also ihre Grenze, heute: „Der Limes ist an jeder nationalen Staatsgrenze. Dass Österreich in der Lage war, die Balkanroute zu schließen, war eine große Tat“. Dann auf die Frage: Nun sitzen aber die Flüchtlinge in Griechenland fest, wo ist denn da der Vorteil? Da heißt die Antwort Gaulands: „Dass die Flüchtlinge nicht in Deutschland sind und nicht in Österreich sind, ist der Vorteil“. Damit ist indirekt gesagt: Also kann es doch durchaus zu Auseinandersetzungen kommen zwischen Griechenland und Deutschland, wenn dieses alte/neue nationalistische Denken sich weiter durchsetzt.

Das Wort Ober-Grenze markiert in aller Deutlichkeit die bewusste Eingrenzung und Abgrenzung eines Nationalstaates, das Sich-Verklammern angstvoller Art in die eigenen Begrenztheiten, das Wort Obergrenze markiert, ideologiekritisch betrachtet, eine gewisse Hoffnungslosigkeit eines europäischen Nationalstaates. Das Wort Obergrenze wird sicher zum Unwort des Jahres 2016 erklärt werden. Zu diesem Begriff gibt es bei Google bereits 2,3 Millionen Einträge, gezählt am 26.4.2016.

14. Es wird wieder die Vorstellung vom „Nationalstaat“ in ganz Europa und weltweit herrschend. Die Geschichte zeigt: Jeder Nationalstaat muss per definitionem kriegerisch und gewalttätig sein. Wir erleben einen Rückfall ins 19. Jahrhundert. „Der Nationalismus wurde zum treibenden Faktor bei einer Neuordnung der politischen Grenzen, die nicht selten mit Krieg und Vertreibung verbunden war… Der Nationalismus legte auf eine einheitliche Sprache wert, es wurde eine mentale Nationalisierung der Bürger gepflegt bei der Durchsetzung nationaler Zugehörigkeiten“, so Herfried Münkler u.a. in „Politische Theorie und Ideengeschichte“, Beck Verlag, 2016, S. 75,

15. Die europäische Politik heute folgt ängstlich den Ängstlichen und uninformierten Populisten, die nur in ihren vertrauten und vermauerten mentalen Grenzen verweilen wollen. Damit wird die zu Beginn genannte Balance zwischen Selbstbewahrung UND Öffnung einseitig und gefährlich in die Richtung der Selbstbewahrung verlagert. Es gibt keine Balance mehr im Umgang mit Grenzen.

16. Die vielen noch kommenden Flüchtlinge (in Libyen warten noch ca. 1 Million Menschen auf die Flucht) zeigen mit aller Deutlichkeit: Die Menschen in Afrika z.B. sind heute nicht länger bereit, ihre extreme Armut in ihren Ländern zu ertragen. Das mögliche Ertrinken im Mittelmeer erscheint ihnen als ein geringeres Übel, als in den Ländern Afrika vor Hunger dazudämmern… Die Balance muss wieder gefunden werden. Die Tatsache, dass Europa auf Dauer mit Flüchtlingen leben wird, ist anzuerkennen. Das bedeutet nicht, dass nun total offene Grenzen geschaffen werden soll, das würde zu einem Selbstverlust Europas führen, aber es kommt auf eine Öffnung gegenüber den Flüchtlingen an, die den Menschenrechten entspricht und nicht dem nationalen Egoismus der Bewahrung des alten Besitzstandes.

17. Aus der Verklammerung des EGO-Europa, der sich Abschließenden und erneut Begrenzenden, gilt es sich wieder zu befreien, indem man sich an die Grundstruktur des Daseins erinnert: Ohne Öffnung als ständige eigene Grenzüberschreitung gibt es kein geistvolles, menschenwürdiges Leben für den einzelnen Menschen, die Gesellschaft, den Staat. Die Flüchtlinge sind nun einmal da! Und weitere werden kommen. Wir sollten die Chance ergreifen, mit ihnen zu leben, sie zu integrieren und auch eigene Selbstverständlichkeiten (unseren Wohlstand, warum und wodurch haben wir ihn eigentlich (?) in Frage zu stellen… Wenn sich rechtsextreme Populisten auf das (tatsächlich angebliche) christliche Abendland berufen, sollte man sie an die philosophische Einsicht (und religiöse Einsicht) von Selbstliebe und der gleichzeitigen Nächstenliebe erinnern.

18. Zwei Aufgaben sind besonders dringend: Qualitative Verbesserungen der politisch-sozialen Verhältnisse etwa in Afrika, mit der Erkenntnis der Mitschuld Europas an diesen Verhältnissen. Kritik an den verbrecherischen Politikern in Afrika selbst. Veränderung einer kolonialen Wirtschaftspolitik Europas, die immer noch die Wirtschaften dieser afrikanischen Länder schwächt und die Menschen ins Elnd führt. Die Flüchtlinge kommen nach Europa, auch wegen der heutigen kolonialen Wirtschaftspolitik Europa. Zynisch gesagt: Europa ist selber schuld, dass diese Menschen ihre Länder verlassen müssen.

Es geht also um die weitere Aufnahme der Bedrohten und Verfolgten in Europa. Im Sinne der Weitung des eigenen Bewusstseins, auch der Anerkennung, dass wir Einwandererland sind, dass wir viele Menschen „brauchen“, wenn sie denn die universal gültigen Menschenrechte verstehen lernen und anerkennen.

19. Das Thema „Wir sind Grenzgänger“ gehört in die Mitte einer Philosophie der Lebens-Kunst, des Leben-Könnens. Deutlich ist meiner Meinung nach: Weder die angstvolle Verkapselung (Borniertheit) noch die totale Freigabe jeglicher Grenze (Auflösung des Selbst, des Eigenen) entsprechen der Balance zwischen Selbstsein und Offensein. Diese Balance muss immer neu gesucht und miteinander besprochen werden. Wenn man in der Sprache der Theorie der philosophischen Ethik will: Es kommt auf einen Ausgleich an zwischen der Gesinungsethik und der Verantwortungsethik. Wobei bei der Verantwortungsethik eine gewisse Vorsicht geboten ist: Hinter einer nach außen dargestellter Verantwortungsethik kann sich ideologische nationale Borniertheit verbergen.

Copyright: Christian Modehn

 

Meinungsfreiheit – die Basis aller anderen Freiheiten. Zum “Internationalen Tag der Pressefreiheit”

Meinungsfreiheit – die Basis aller anderen Freiheiten.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Freiheit der Presse ist weltweit immer mehr bedroht, darauf macht die NGO “Reporter ohne Grenzen” auch zum 3. Mai 2016 wieder aufmerksam, dem Welttag der Pressefreiheit. Mit der Einschränkung und dem Verbot der Pressefreiheit wird die Meinungsfreiheit insgesamt schrittweise abgeschafft;  Meinungsfreiheit aber ist die Basis ALLER Freiheiten. Wir leben also in einer Situation, in der weltweit mit der Abschaffung der Meinungsfreiheit auch die Menschenrechte insgesamt in Frage gestellt, bedroht und abgeschafft werden. Die “Errungenschaften” der philosophischen Aufklärung werden nur noch in einigen Staaten respektiert. Eine schlimme Erkenntnis zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Der “Welttag der Pressefreiheit” ist also ein Tag des kritischen politischen Nachdenkens … und der Aktion, d.h. in dem Fall: der helfenden Unterstützung für Journalisten, die um der Menschenrechte willen in zahllosen Ländern bedroht sind und ermordet werden. Man beachte und beobachte auf Dauer, in welcher Weise heute populistische und rechtslastige Gruppen und Parteien (AFD, FPÖ, Le Pen Partei, Putin und CO. usw.)  in Europa mit dem Respekt vor der Pressefreiheit und den Journalisten umgehen. Man beachte, wie etwa in Brasilien durch die Übermacht einer bestimmten Presse (“O GLOBO”, TV und Print, erreicht mit seiner Propaganda über die Hälfte der Bevölkerung) der Staatspräsidentin so zugesetzt wird, dass sie aus ihrem Amt vertrieben werden soll – aus parteipolitischen Gründen. Die Lage ist insgesamt dramatisch. Ein Auszug aus einem Interview mit Christian MIHR von Reporter ohne Grenzen: „Pressefreiheit: Die Lage ist viel schlimmer“    © Reporter ohne Grenzen

Frage: Die neue Rangliste der Pressefreiheit 2016 zeichnet ein düsteres Bild. In allen Weltregionen sind im Jahr 2015 die Freiräume zurückgegangen. Ist das nur eine Verstetigung eines bereits bestehenden Trends?

Antwort: Unsere jährliche Rangliste der Pressefreiheit vergleicht in erster Linie den Zustand der Pressefreiheit in den verschiedenen Staaten miteinander. Insofern zeigt er vor allem, ob sich die Lage in den einzelnen Ländern im Verhältnis zu Ländern mit einer ähnlichen Ausgangslage verbessert oder verschlechtert hat. Da spielen ja sehr viele Entwicklungen in den derzeit 180 bewerteten Staaten hinein: zum Beispiel Änderungen in der Gesetzgebung, in der Rechtspraxis, in den Rahmenbedingungen für Medienunternehmen und natürlich Fragen der Sicherheit für Journalisten. Seit 2013 errechnen wir aus den Daten der Rangliste allerdings auch einen Indikator für den weltweiten Stand der Pressefreiheit. Und der zeigt tatsächlich eine eindeutige Verschlechterung – allein seit dem vergangenen Jahr um 3,7 Prozent und seit 2013 um insgesamt 13,6 Prozent. Am deutlichsten ist der Rückgang beim Teilindikator für die Produktionsmittel von Medien. Einige Regierungen schrecken nicht vor Blockaden des Internets oder der Zerstörung von Redaktionsräumen, Sendetechnik oder Druckpressen zurück, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich weltweit gesehen verschlechtert. Dies spiegeln die vielen Gesetze wider, die Präsidentenbeleidigung, Blasphemie oder Unterstützung des Terrorismus unter Strafe stellen und damit in einigen Ländern zu zunehmender Selbstzensur beitragen.

Frage: Ein Grund für die Verschlechterung sind die zunehmend autokratischen Tendenzen in einigen Ländern und die vielen Bürgerkriege. Besteht da immer ein direkter Zusammenhang: Also alle autoritären Regime handeln repressiv und in allen Bürgerkriegen werden Reporterinnen und Reporter ermordet?

Antwort: Einerseits kann man das wohl tatsächlich so sagen. Unser altes Motto lautet ja „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“, und das lässt sich immer wieder sehr anschaulich beobachten. Wo Regierungen einen autoritären Weg einschlagen wie derzeit etwa in Ägypten, Russland oder der Türkei, da werden unabhängige Journalisten als Störenfriede oder Verräter behandelt. Präsidenten wie Abdelfattah al-Sisi, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan reagieren sehr empfindlich darauf, wenn kritische Kommentatorinnen oder hartnäckige Rechercheure an ihrer Fassade als stets erfolgreiche, allseits beliebte Staatsmänner kratzen. Im Fall der Türkei erfahren die ständig neuen Auswüchse dieser repressiven Grundhaltung derzeit ja viel Aufmerksamkeit, aber in Ägypten zum Beispiel ist die Lage noch viel schlimmer. Und in Kriegen stellt sich die Frage der Repressionen natürlich noch viel schärfer – zumal dann, wenn sich die Kriegsparteien wie in Libyen oder Syrien nicht um das Völkerrecht scheren und Journalisten im Zweifelsfall als lästig oder als Faustpfand für internationale Aufmerksamkeit betrachten…

Frage: Deutschland hat sich von Rang 12 auf Rang 16 verschlechtert. Wie ist das zu erklären?

Antwort: Deutschlands aktuelle Verschlechterung ist ganz klar auf die erschreckend gestiegene Zahl von gewaltsamen Übergriffen auf Journalisten, aber auch von Anfeindungen und Drohungen zurückzuführen – vor allem bei den Pegida-Demonstrationen und ihren Ablegern, aber auch bei rechtsextremistischen Aufmärschen und gelegentlich bei Gegenkundgebungen. Dass in manchen Städten regelmäßig Hunderte, manchmal Tausende Menschen „Lügenpresse“ skandieren, fassen manche Menschen offenkundig als unmittelbare Aufforderung zum Handeln auf. Sorge bereiten uns aber auch Entwicklungen wie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und die immer neuen Erkenntnisse über geheimdienstliche Überwachung, die die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen ganz grundsätzlich in Frage stellen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr gegen den Bundesnachrichtendienst geklagt und sind nun sehr gespannt auf die Reaktion der Justiz…

Wir empfehlen dringend, dauernd die Publikationen von Reporter ohne Grenzen zu lesen und zu diskutieren.

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Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin von unserem Interesse für die Religionen und Kirchen dauernd das Problem: In den Kirchen z.B. wird die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit nicht umfassend respektiert. Fast alle Publikationen, die von den Kirchen selbst herausgegeben sind, zeigen sich eher als Propaganda-Informationen, nicht aber als unabhängige, einzig der Freilegung von Wahrheiten verpflichtete Veröffentlichungen. Mit anderen Worten: Pressefreiheit gibt es in den Kirchen weitgehend auch im Jahr 2016 nicht. Und darüber wird öffentlich kaum gesprochen.

Interessant ist sicher noch die philosophische Überlegung zur primären Bedeutung der Meinungsfreiheit für alle weiteren Freiheiten. Diese Stellungnahme haben wir im Jahr 2015 veröffentlicht:

Salman Rushdie hat in seiner Rede auf der Frankfurter Buchmesse am Dienstag, den 13. Oktober 2015, in aller Deutlichkeit erklärt: “Ohne die Meinungsfreiheit muss jede andere Freiheit scheitern”. Die Freiheit des Wortes, selbstverständlich des angstfreien, des öffentlichen Wortes, sei überhaupt kein kulturelles Konstrukt, also von einigen Kulturen gutgeheißen, von anderen eben nicht. Diese relativistische, angeblich klug und angeblich höflich auf kulturelle Differenzen bedachte Haltung, ist falsch! “Wir Menschen sind sprechende Tiere. Wir erzählen, und das macht uns aus. Darum sollte Redefreiheit wahrgenommen werden wie die Luft, die wir atmen: als selbstverständlich”. Meinungsfreiheit ist ein absolut geltendes Menschenrecht. Die Angst, sich frei zu äußern, auch unbequem zu den Menschenrechten zu äußern, ist weit verbreitet. Noch schlimmer ist die Angst in den westlichen Ländern, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber autoritären (arabischen) Staaten, Kritik an diesen Regimen in den eigenen westlichen Ländern besser zu unterlassen.

Meinungsfreiheit als Basis aller Freiheiten, auch der Religionsfreiheit, ist eine evidente philosophische Erkenntnis.  Wird die Meinungsfreiheit als Basis demokratischen Lebens respektiert, dann heißt das nicht, dass die Aussagen aller Feinde der Meinungsfreiheit und damit der Menschenrechte unwidersprochen (und ohne strafrechtliche Verfolgung) hingenommen werden dürfen. Das gilt etwa im Zusammenhang der rechtslastigen Feind der umfassenden Meinungsfreiheit. Maßstab der Kritik bleibt die universale Gültigkeit der Menschenrechte.Und diese Kritik muss öffentlich geäußert werden.

Wir haben in drei Beiträgen im Februar und im April 2015 ausführlicher diese philosophische Evidenz auf dieser website erläutert: Meinungsfreiheit ist die Basis aller anderen Freiheiten.

copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin

Vergiss dich selbst und finde dich. Wege aus dem Egoismus. Eine Ra­dio­sen­dung am 22.5.2016

Vergiss dich selbst und finde dich: Wege aus dem Egoismus
Von Christian Modehn

Eine Ra­dio­sen­dung am Sonntag, den 22.5.2016 um 8.40 Uhr auf NDR KULTUR

Die Hilfsbereitschaft kommt spontan: Viele Menschen können Not und Elend anderer nicht ertragen. Sie engagieren sich selbstlos, wie jetzt im Beistand für Flüchtlinge. Ohne an den eigenen Nutzen denken, bloß dem Gewissen folgen: Das zeichnet den Altruismus, die Selbstlosigkeit, aus. Sie “befreit aus der Enge des eigenen Herzens”, wie es im Psalm 18 heißt. Wer aber ohne Maß selbstlos lebt und auf vernünftige Selbstliebe verzichtet, wird schnell erschöpft, brennt aus. Andauerndes Mitleiden ist höchstens Sache von Heiligen; die anderen sollten in unserer individualistischen Gesellschaft lernen: Meine Selbstlosigkeit kann andere glücklich machen und mich selbst ganz bestimmt auch.