Die Sprache der Musik. Ein Weg in die Transzendenz? Zu einem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon

Sprache der Musik – Sprache der Transzendenz? Ein Abend im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin (am 26.9.2014)

Hinweise von Christian Modehn

Wir haben uns viel vorgenommen, in diesem Salonabend mit dem Komponisten und Saxophonisten Joachim Gies (Berlin). Seine Wort-Beiträge, seine Musik, die wir hörten, seine Präsenz waren für die meisten TeilnehmerInnen eine Öffnung hin zu der Einsicht und dem Erfahren, dass Musik eine Sprache ist mit einer eigenen weiten Ausdruckskraft. Bezeichnend dafür ist der Bericht von Joachim Gies, wie er bei seinen Reisen in Sibirien und der Mongolei mit Menschen musikalisch kommunizierte; wie er also seine Musik spielte und seine Freunde dort darauf antworteten auf musikalische Weise. Und sie verstanden einander; das Verstehen musste nicht noch in begriffliche Sprache, in Worte, übersetzt zu werden. Musikalisch miteinander sprechen: eine Perspektive, die so viele sich wünschen, die aber so wenige wohl erreichen (auch aufgrund mangelnder Kenntnis, Instrumente selbst zu spielen usw.).

So bleibt für die meisten wohl die Frage: Was bewegt sich in mir beim Hören der Musik? Was lässt mein Leben wachsen und verwandeln durch die Musik, die ich gerade höre? Oder wohl treffender gefragt, wenn das Hören intensiv ist als eine Art Mitleben mit der Musik, eine Art Eintauchen in die Musik: Was habe ich da gerade vor einigen Minuten in dieser Symphonie eigentlich gehört? Das bloße Eintauchen in die Musik und das Verweilen in ihr kann ja nicht alles sein, meine ich.

Im Anschluss daran möchte nur einige Hinweise geben und auf Themen aufmerksam machen, die uns in unserem philosophischen Salon auch bewegt haben.

Was meinen wir, wenn wir so oft und so selbstverständlich sagen: Musik ist eine Sprache? Um da weiter zu kommen, müssen wir uns selbstverständlich lösen von dem allgemeinen Vorurteil, Sprache sei immer nur begriffliche Sprache, Reden in Worten. Sprache hingegen ist die Urform des Ausdrucks des Menschen anderen Menschen gegenüber und auch sich selbst gegenüber: Insofern ist Sprache auch Zeichensprache, Sprache ist Tanz, Sprache ist Schweigen, Sprache ist Musik machen, Sprache ist Gehen, Sprache ist Sich-Bewegen usw.

„Musizieren“ ist eine Form und eine Gestalt von Sprache und Sprechen. In ihr drückt sich der Komponist aus, sagt also musikalisch, wie er sich befindet. Musik „machen“, also „komponieren“, ist ja mehr als das Wort komponieren sagt, im Sinne eines „Zusammensetzens“, componere, von Tönen in einer bestimmten Abfolge. Musik ist keine Mathematik, sie weckt keine Freude daran, sozusagen bloß die Qualität der Quinten oder Quarten zu erleben in ihrem Aufeinanderbezogensein…

Aber, und das ist meine Meinung, alle Formen von Sprache, auch jene, die sich nicht begrifflich äußern, sind „immer schon“ geistig begleitet durch die stille Anwesenheit des Begrifflichen. Wenn der Geist auch als die Fähigkeit des Begrifflichen nicht immer schon bei jeder sprachlichen Äußerung (Musizieren, Tanzen, Sich bewegen usw.) anwesend wäre in seiner Fähigkeit, etwas Erlebtes als etwas Erlebtes zu benennen, dann wüssten wir gar nicht, dass und was wir musizierend hören, dass und in welcher Form wir tanzen usw. Das heißt: Das begriffliche Moment ist in jeder Form menschlichen Sprechens, auch still und verschwiegen im Musikhören anwesend, oft unbewusst. Aber das Begriffliche kann nach dem Hören der Musik und nach dem Eintauchen in die Musik dann doch „zum Durchbruch“ kommen: Ich kann dann sagen, wie mich die Musik bewegte. Vielleicht haben sich beim Hören der Musik schon bestimmte Stimmungen eingestellt, die wir dann im Hören andeutend begrifflich fassen, bereits „eingeschlichen“, etwa: „wie traurig“, „eine Erhebung“, „eine Bewegung“, „ein Abbruch“ usw. Wer das Requiem von Mozart hört, geht verwandelt aus der Musik heraus. Und er kann dann wenigstens in einem Wort sagen, wie und warum er verwandelt aus dem Requiem von Mozart herausgeht: „Ich bin getröstet“. „Ich blicke wieder neu auf den Tode“ etc…Sonst wäre das Hören der Musik in der Weise des „l art pour l art“, also spielerisches (banales) Spiel.

Damit wird in meiner Sicht der Nachdruck darauf gelegt, dass die Sprache der Musik keine von allem sonstigen geistigen Leben losgekoppelte, sozusagen autonome und in sich ruhende (total unbegriffliche) Welt ist. Auch die Musik gehört zur Welt des Geistes und damit wenigstens elementar zur Welt der begrifflichen Sprachlichkeit. Wir wollen uns doch schließlich austauschen über das Gehörte, wobei wir nicht nur über den mathematischen Zusammenhang von Quinten und Oktaven sprechen, sondern über den geistigen Gesamteindruck eines Cellokonzertes von Haydn oder eines Klavierstücks von Satie…

Aber inwiefern kann Musik auch eine Sprache der Transzendenz sein? Da hängt alles davon ab, wie wir Transzendenz verstehen. Es ist schon wichtig, Transzendieren als den ständigen Überschritt des Geistes über alles Gegebene und Vorfindliche zu begreifen. Wir gehen ständig über unsere kleine Welt hinaus, denken weiter, denken an morgen und die fernere Zukunft, denken an den Tod, denken an das endgültige Ende oder den Übergang usw. Musik ist eine Sprache, die uns oft hilft, aus den Verklammerungen an das bloß Gegebene und Vorfindliche hinauszukommen. Musik hilft uns hinweg über die kleinlichen Fixiertheiten auf den Alltag im Jetzt, Musik treibt ins Weite, öffnet, lässt uns manchmal rasend machen im Überschreiten der Grenzen. Musik ist Sprache, in der wir eben lebensmäßig und praktisch „Transzendieren“.

Entscheidend ist jetzt in meiner Sicht: Das Transzendieren ist eine Kraft des Geistes, die etwas Wunderbares ist, die uns staunen lässt darüber, was sozusagen alles in uns steckt an schöpferischer Kraft des Übersteigens. Diese in uns anwesende Kraft IST das von uns nicht Zerstörbare, insofern Absolute, insofern Göttliche, wenn man denn davon schon an dieser Stelle der Überlegung sprechen will. Das Göttliche ist also gerade nicht in einem fernen Himmel. Das Göttliche ist IN uns als die unbesiegbare (unabwerfbare) Kraft des ständigen und ruhelosen Überschreitens. Dann erkennen wir durch die Musik: Wir SIND Überschreiten. Wir überschreiten uns selbst. Dank der Musik.

 

Diese Gedanken werden wir in unserem philosophischen Salon weiter besprechen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

“Mr. May” – ein philosophischer Film. Eine Empfehlung

„Mr. May“ – ein philosophischer Film

Trauer um die Vergessenen – Gemeinschaft der Verstorbenen.

Eine Empfehlung von Christian Modehn

Philosophie lebt überall. Keineswegs nur in Büchern, auf denen das Stichwort Philosophie zu lesen ist. Es ist keine Frage: Philosophie lebt auch im Film, sicher in jenen, die leibhaftige Menschen in den Freuden und Nöten Weiterlesen…

Max Horkheimer ist online

Die Schriften und Briefe des Philosophen Max Horkheimer sind nun online allgemein zugänglich

Von Christian Modehn

Manchmal ist der materielle Zerfall von Papier und damit auch von Büchern und Briefen von Vorteil: Weil der Zustand der Schriften und Briefe des Philosophen und Mitbegründers der „Frankfurter Schule“ Max Horkheimer (1895 – 1973) äußerst prekär wurde und das Papier “zerbröselte”, gehen nun ab 20. August 2014 die (allermeisten) Schriften des großen Philosophen online. Es handelt sich um 250.000 Dokumentseiten, das teilte die Goethe-Universität in Franfurt am Main mit. Der Leiter des dortigen Archivs, Dr. Mathias Jehn, betonte, dass nun auch viele bislang unveröffentlichte Briefe Horkheimers allgemein zugänglich werden. Die online Publikation umfasst die Jahre seit der Studentenzeit bis zu späten Vorträgen und Interviews.

Gerade religionsphilosophisch Interessierte freuen sich enorm, nun gerade diese späten Schriften studieren zu können, werden doch darin Vorschläge für religionsphilosophisch relevante Themen ausgebreitet. Bisher wurden diese Stellungnahmen Horkheimer eher als „Ausrutscher“ und „Nebenthemen“ abgewertet. Man wird sehen, ob es bei diesem (Fehl) Urteil bleiben wird.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin wird sich alsbald mit diesen Fragen beschäftigen.

Die Internetadresse:   http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer.

Dr. Mathias Jehn äußert sich im Pressedienst der Frankfurter Uni:
„Unter den mehrere tausend Briefen Horkheimers sind auch viele, die bislang noch nie veröffentlicht wurden – so Korrespondenzen mit anderen bedeutenden Vertretern der Kritischen Theorie während der Emigration“, erläutert Jehn. Das internationale Interesse an der Frankfurter Schule und ihren Hauptprotagonisten ist seit Jahren ungebrochen, insbesondere für diese Wissenschaftler ist die Nutzung des digitalen Archivs ein enormer Gewinn.“

“Religion ohne Gott”. Ein neues Buch von Ronald Dworkin

Religion ohne Gott. Ein Buch des Philosophen Ronald Dworkin.

Hinweise von Christian Modehn

Das Thema bewegt viele Menschen: Gibt es eine Religion ohne Gott, kann man also religiös sein ohne die Annahme einer personalen göttlichen Wirklichkeit? Dass sich die Identitäten in der breiten Bewegung, die sich atheistisch nennt, verändern, wurde ja schon mehrmals in letzter Zeit betont, man denke etwa an die Arbeiten von Herbert Schnädelbach oder Alain de Botton.

Der us – amerikanische Philosoph Ronald Dworkin hat also auch gespürt, dass sich für diese Frage viele Menschen in Europa und Amerika aus tiefer persönlicher „Betroffenheit“ interessieren: Einen personalen Gott können sie vor ihrem  intellektuellen Gewissen nicht rechtfertigen, und die totale Ablehnung religiöser (Erhabenheits-) Gefühle finden doch auch Atheisten zu banal. Im Jahr 2011 hat Dworkin zu dem Thema an der Universität Bern Vorträge gehalten, sie liegen nun als Buch vor. Dworkin konnte die Vorträge nicht mehr bearbeiten, er ist am 14. Februar 2013 gestorben.

Das Buch ist im wesentlichen ein Plädoyer für die religiöse Verbundenheit von unterschiedlichen Menschen, die sich gläubig bzw. ungläubig, „atheistisch“ nennen. Sie sind nach Dworkin verbunden in der absoluten Wertschätzung, ein (ethisch) gutes Leben zu gestalten, und zwar für sich selbst wie auch in Verantwortung für andere. Es gilt, fundamentale menschliche Entscheidungen für humane Werte in den Mittelpunkt zu stellen, an diese Werte fühlen sich Gläubige wie auch Atheisten gebunden. Nicht die Frage, ob ein Gott existiert, ist nach Dworkin zentral, sondern das Leben nach einem gemeinsamen humanen Ethos. Darin kann sich „Religiöses“ zeigen. Entscheidend auch: Dadurch, so Dworkin, könne die ideologische Zerrissenheit heutiger Gesellschaften ein Stückweit überwunden, wenn nicht geheilt werden. Man stelle sich ja tatsächlich einmal vor, die sich heute im Irak und anderswo totschlagenden Gott-Gläubigen würden auf den Begriff Gott/Allah verzichten, sie würden sich also Gottes und Allahs nicht mehr bedienen für die Begründung ihres Mordens: Sie würden vielmehr sich selbst „nur“ als spirituelle Menschen betrachten: Ein bisschen negative Power wäre damit sicher überwunden. „Wenn es gelingen sollte, Religion und Gott auseinanderzudividieren, könnten wir jenen Scharmützeln etwas von der Hitzigkeit nehmen, indem wir zwischen wissenschaftlichen Fragen und Wertfragen (an die alle Menschen gebunden sind CM) unterscheiden“ (S. 18).

Aber bleiben wir bei einem Beispiel aus dem europäisch- amerikanischen Bereich, den Dworkin vor Augen hat:  Fromme Christen kümmern sich zum Beispiel vermehrt um die Erfahrungen des Wunderbaren und Erhabenen, lassen dabei Gott Gott sein; Atheisten ebenso und lassen dabei ihre Ablehnung eines himmlischen, göttlichen „Herrn“ beiseite.

Dworkin will zeigen: Es gilt, diese Einsicht unter allen Menschen zu pflegen, dass das Leben in der Welt nicht darauf verzichten kann, den Begriff Geheimnis zu verwenden.

Es gibt Lebenserfahrungen, die niemals angemessen mit der Begrifflichkeit der Naturwissenschaften erklärt und durchleuchtet werden können. Von daher wendet sich Dworkin entschieden gegen die – als philosophische Mode schon längst wieder eingeschränkte – Überzeugung der so genannten (philosophischen) Naturalisten (man denke an Richard Dawkins).

Das Buch von Dworkin „Religion ohne Gott“ wurde auch in Deutschland mit großem Interesse aufgenommen, d.h. es wurde in den Medien oft erwähnt. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass das Buch manchmal für Nichtphilosophen nicht gerade eine „leichte Lektüre“ ist. Explizit wird der Titel des Buches auch vor allem (nur) im ersten Kapitel des Buches behandelt. Das dritte Kapitel etwa behandelt Fragen rund um die Religionsfreiheit, dabei spürt man, dass Dworkin ursprünglich ein sehr starkes Interesse an Rechtsphilosophie hat und als solcher vor allem auch international geschätzt wird!

Es wird also die These zur Diskussion gestellt: „Religion ist etwas Tieferes als Gott“. Offenbar ist gemeint: Gott meint immer historisch gewordenen Gottesbilder, während Religion sich auf absolut geltende Werte bezieht.

Wichtiger noch ist die philosophische Kritik, dass Dworkin in seiner Konzeption die Werte in einer sehr objektivistischen Weise versteht. So, als würden die Werte aus dem Umfeld eines moralisch guten Lebens uns so zusagen wie feste Bilder vor Augen stehen, also objektiv und immer „vor uns“  gegeben sein. Wir müssen diese objektiven Werte nur betrachten und ihnen dann bitte schön folgen. Mit anderen Worten: Wir haben den Eindruck, dass Dworkin einer allzu objektivistischen (alten) Wertelehre folg. Dabei hat er unseres Erachtens kein Gespür dafür, dass „die Werte“ spätestens seit Nietzsche auch ein Werk des schöpferischen Subjekts sind. Von Werten kann nur noch gesprochen werden, wenn man allen Nachdruck auf den Werte erlebenden Menschen, „das Subjekt“, setzt. Und auch auf die schöpferische Kraft der Menschen, Werte zu setzen. Diese können ja auch unbedingte Geltung haben, auch wenn sie in einer bestimmten Kultur entstanden sind. Arnim Regenbogen schreibt in dem Lexikonbeitrag „Wert/Werte“ in dem dreibändigen Lexikon „Enzyklopädie Philosophie“ Band 3, Seite 2974: “Werthaftigkeit ist keine objektive Eigenschaft von Dingen, sondern muss als Beziehung bewertender Subjekte auf Gegenstände betrachtet werden. Durch eine Wertung wird ein Gegenstand menschlichen Handelns selbst zum Wert“.

Religionsphilosophisch gesehen ist es fraglich, ob ein religiöser Mensch beim Erleben des Erhabenen sozusagen aufhört weiter zu fragen und sich etwa bloß an diese weltliche Erfahrung eines (angeblich) wunderbaren Kosmos hält. Die Fragebewegung geht weiter, nicht in dem Sinne, dass klassisch metaphysisch nach der „ersten Ursache“ in Form eines alten Gottesbeweises gefragt wird. Aber in der Reflexion auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Erhabenes und Wunderbares in dieser Welt zu erleben, wird die (vom Menschen unabwerfbare, „gegebene“)  Kraft des menschlichen Geistes in neuem Licht erscheinen, als eine ständige, ruhelose Fragebewegung. Mit dieser Erfahrung und der ihr entsprechenden Aussage erlebt sich der Mensch neu, als hineingestellt in eine ständige geistige Bewegtheit ohne Ende (und unbekannter Herunft). Dabei wird sozusagen dann „das Wesen des Menschen“  (um diesen klassischen begriff einmal zu verwenden) ganz neu gesehen. Nämlich: Der Mensch kann sich nie ganz umfassen und begrifflich durchsichtig machen. Er ist sich selbst der Unbekannte, das Geheimnis, das etwas Gegebenes ist, manche sagen eine „Gabe“. Von daher tasten sich dann einige Philosophen doch weiter zu Frage: Wie kann eine umfassende Anwesenheit eines unabwerfbar „Gebenden“ in der Gabe (also dem Menschen!) gedacht werden?

Mit anderen Worten: Die Thesen von Dworkin sind insofern inspirierend, als sie auf ein dringendes Thema aufmerksam machen und so im Denken über seinen Text hinausführen – in eine größere Weite. Vielleicht könnte dann auch Gott neu ins Denken kommen, indem er nicht mehr naiv personal gedacht wird und nicht mehr naiv als absolut inexistent zurückgewiesen wird. Sondern es gibt dann ein Denken, in dem Gott in der Schwebe sozusagen bleibt, zwischen personal und a-personal gedacht. Eine Überzeugung, für die der protestantische Theologe Paul Tillich  eingetreten ist, auf ihn weist Dworkin ausdrücklich hin (Seite 41). „Vielleicht sollte man davon ausgehen, dass Tillich beides war, ein religiöser Theist und ein religiöser Atheist, der glaubte, dass die ´numinose` Beschaffenheit der religiösen Erfahrung den Unterschied zwischen beiden zum Verschwinden bringt“: (ebd.). Diese Einschätzung wird von Dworkin leider nicht weiter vertieft. Daran aber sollte man weiter „arbeiten“.

Ronald Dworkin, Religion ohne Gott. Suhrkamp, 2014, 146 Seiten, 19.95€

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Über das Spielen: Spielerisch leben, spielerisch glauben. Hinweise zum Salon am 27. 6. 2014

Spielerisch leben – spielerisch glauben

Hinweise von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 27. 6. 2014

Nur aus dem äußeren Anlass der „Fußball Weltmeisterschaften“  wollen wir uns mit dem Thema Spielen befassen. Nebenbei: In Brasilien selbst gibt es heftige Kritik an den nationalen Fußball – Organisationen, ich zitiere den bekannten kritischen brasilianischen Sportjournalisten Juca Kfouri (in Jens Glüsing, „Brasilien“, Chr. Links Verlag, Berlin, 2013,  S. 161) „So, wie der Fußball in Brasilien organisiert ist, hat er keine Zukunft. Eine korrupte Mafia beherrscht den Fußballverband“. Es ist bezeichnend, dass, nach meinem Eindruck, jetzt von den Weltmeisterschaften nur in der Formel „WM“ gesprochen wird, sehr selten fällt überhaupt noch das Wort Spiele. An die WM als „Spiel“ glauben vielleicht nur noch die Akteure selbst im Moment des Kampfes auf dem Rasen und einige enthusiastische Fans im Stadium. Für viele Zuschauer geht es ohnehin darum, den eigenen Nationalstolz pflegen zu dürfen und mögliche Gegner „kaputt zu machen“ oder „niederzuwalzen“ o.ä., wie die Presse schreibt. Über den Nationalismus bei den WMs zu sprechen, wäre ein eigenes Thema. Man hat den Eindruck: Das Sprechen von „Siegen“ und „Niederlagen“ ist offensichtlich auch die Sprache des Krieges (ohne tötende Waffen). Was sich als Spiel ausgibt und sich als Spiel verkauft, ist in Wirklichkeit mindestens ein beinhartes, ernstes Millionen – Geschäft. Und wer vor dem Fernseher dieses Spiel verfolgt, spielt er selbst dann auch als Zuschauer? Oder ist er passiv-konsumierend-sitzend-manchmal grölend auf das Ereignis “seiner“  Nationalmannschaft fixiert? Kann man passiv betrachtend spielen? Diese Frage führt schon etwas weiter: Wir wollen uns philosophisch, ausgehend von phänomenologischen Beobachtungen, dem Spiel und dem Spielen nähern: Dies nicht als Flucht vor der Realität, sondern um uns selbst tiefer zu verstehen. Denn wir erfahren uns immer schon in dieser doppelten Rolle als Spielende und ernsthafte Menschen. Diesen Zusammenhang tiefer zu verstehen, ist Sache der Philosophie, die sich als Existenzdeutung versteht.

1. Spielen ist überhaupt nichts Kindliches  oder Kindisches. Im Spiel entdecken die Kinder ihre eigene Welt, wecken ihre Phantasie, geben sich selbst Regeln und verfügen über die Dinge ihrer Umgebung: Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind in Ostberlin mit großen und kleinen Blättern Wechselstube spielte, kleine Blätter bedeuteten die DDR Mark, große die D Mark. So spiegelte sich schon der Ost – West Gegensatz, vermittelt im Elternhaus, eine Rolle im Spiel, spielerisch wurde sozusagen die Bedeutung der Währungen eingeübt. Damals war das gemeinsame Spielen in der Familie, am Tisch, manchmal ganz schlicht als Brettspiel selbstverständlich.

2. Ich erinnere nur daran, dass Spielen wichtiges Element der Freizeitgestaltung ist. So wird auch die Langeweile gestaltet; Spielen ist auch Zeitvertreib und Entspannung, man denke an Skat, den Menschen spielen, wenn sie auf den nächsten Zug warten und in der Kneipe einander besser nichts sagen, sondern spielen.

Grundsätzlich gilt, so einer der großen Theoretiker des Spielens, der Holländer Johan Huizinga: „Spiel ist freiwillige Handlung innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum; diese Spielhandlung wird freiwillig aufgenommen, aber gemäß unbedingt bindenden Regeln verrichtet. Spiel hat sein Ziel in sich selbst… und wird begleitet von einem Gefühl des Andersseins als das gewöhnliche Leben“ (S. 37). Das ist entscheidend: Im Spiel treten wir heraus aus der starr wirkenden Welt und Gesellschaft, die uns die (oft uns befremdlichen) Gesetze vorschreibt, und wenden uns einer eigenen, gesonderten Welt zu, in der andere Regeln herrschen, oft solche, die wir uns selbst gegeben haben. In den meisten Fällen ist das spielerische Spiel zweckfrei. Dadurch wird unser Geist frei, die Phantasie wird geweckt, wir kommen in geistige und körperliche Bewegung. Darum kann Huizinga sagen: „Spiel ist eines der aller fundamentalsten geistigen Elemente des Lebens“ (S. 37). Es gibt natürlich Spiele, wo dieses spielerische, freie Element fast verschwindet anstelle etwa des Gewinnstrebens (Geldspiele usw.) Also: Spiele selbst sind schon ambivalent. Nebenbei: Es gibt also auch das hässliche Spiel, ich würde sagen das unmoralische Spielen. Wenn man sich an der Börse aufhält und nur den eigenen Gewinn berücksichtigt, also an der Börse mit Milliarden (anderer Menschen) spielt, um des eigenen Gewinns willen, ist das zutiefst verwerflich.

3. Aus dieser Freiheit des authentischen, des spielerischen Spiels, entsteht letztlich das anspruchsvolle Spiel im Theater oder in der Oper usw. Im anthropologischen Spielen-Können, wenn nicht Spielen-Müssen im Menschen hat die anspruchsvollere Kultur (des Spielens) ihre geistige Basis. Man könnte den Umkehrschluss wagen: Wenn nicht mehr gespielt wird, verstanden als das spielerische Spiel als Selbstzweck ohne Finanzinteressen, dann geht auch das kulturelle Niveau ins Abseits. Man denke an die so genannten Spiel-Shows im Fernsehen, die zu best platzierten Sendezeiten das anspruchsvolle politisch-kulturelle Programm längst verdrängt haben. Anspruchsvoller Geist ist in der Sicht der „Macher“-Herren des Fernsehens dann nur etwas für Minderheiten. Der Verblödungsprozess wird so offiziell gefördert.

4. Noch einmal: Spielen ist geistig–körperliche Gestaltung von Freiheit, eine Form des Ausstiegs aus dem bedrängenden Lebensrhythmus mit seinen Geboten und Verboten, man spricht auch von „Unterbrechungen“. Der Alltag wird dann bloß noch zu dem Vorletzten, die Welt der rechnenden Verhalten wird sozusagen kraftvoll überspielt. Ohne spielerisches Spiel keine Menschlichkeit, könnte man zugespitzt sagen. Der Philosoph Martin Seel schreibt in seinem sehr empfehlenswerten Buch “111 Tugenden-111 Laster” (Fischer Verlag, 2011, Seite 223 im Kapitel Spielfreude): “Wir wollen uns in der Situation des Spielens auf eine besondere Weise gegenwärtig sein…Wir wollen in den Möglichkeiten einer außergewöhnlichen Gegenwart verweilen”.

5. Das alltägliche Leben der Arbeit und der organisierten Freizeit wird oft der Ernst des Lebens genannt. Menschen beginnen nach der Schule, in das erwachsene Leben, in den Ernst des Lebens einzutreten. Damit ist das entscheidende Stichwort gefallen: Wir müssen den Begriff „Ernst“, immer in der Form „Ernst des Lebens“ mit seinen von uns nicht gemachten Gesetzen mit- bedenken, wenn wir das Spielen bedenken. Aber an Kant sollte man sich auch hier erinnern: In seiner “Anthropologie” plädiert er fürs Spielen inmitten des Ernstes des Lebens. Im Spielen können wir uns distanzieren von den anstrengenden Verpflichtungen des Alltags. Von daher ist das Spielen um seiner selbst willen sinnvoll, weil wir in eine Form der Bewegtheit geraten zwischen positiven und negativen Stimmungen und Erwartungen mitten im Spielen. Wir fürchten uns (etwa vor einer Niederlage im Spiel) und wir sind guter Zuversicht (auf einen “Sieg”, Gewinn usw.) inmitten des Spielens. Ist diese Ambivalenz nicht Ausdruck des menschlichen Lebens?

6. Aber Spiele selbst sind ja nun wiederum selbst keineswegs das völlig Freischwebende, sozusagen phantastisch Gesetzlose. Es gibt im Spielen Auseinandersetzungen und Streit, zumal, wenn sich ein Teilnehmer nicht an die gemachten oder übernommenen Spiel–Regeln hält. Aber diese Spielverderber werden nach den Spielregeln bestraft und nach dem allgemeinen, „ernsten“ Gefühl, dass da Unrecht geschehen ist.

Also: Auch der Ernst spielt in die Welt der Spiele hinein.

Zentral ist die Erkenntnis: Wir können Spiele und Ernst nicht streng trennen und so tun, als ständen sie völlig unabhängig voneinander sich bloß abstrakt gegenüber. Auch Spiele haben in sich selbst Ernst. Aber spielerische Spiele sind doch eine andere Form zu leben als jene Daseinsvollzüge, die vorherrschend vom Ernst bestimmt sind.

7. Es ist auffällig, wie der Begriff Spielen Geltung hat in vielen alltäglichen Vollzügen: Wir sprechen vom Durchspielen verschiedener Möglichkeiten; von Anspielungen machen; Vertrauen verspielen, wir sagen „das spielt keine Rolle“. Ausstellungsräume werden bespielt; ich spiele Orgel, das direkte Verb „Orgeln“ ist verpönt; wir spielen beim Benutzen des Instruments, Spielen genannt, die  Orgel, die wohl auch spielerisch-freie Stimmungen erzeugt.

Offenbar wird das Wort spielen für Alltagsvollzüge verwendet, die etwas Offenes in sich haben und nicht den Zwang unterstreichen, unbedingt etwas so tun zu müssen, sozusagen in vollem Ernst. Selbst das Orchester, das eine Symphonie spielt, sollte doch die künstlerische Leichtigkeit, den Tanz, die Melancholie, was auch immer, ausdrücken. Bloß korrektes, die Noten Herunterspielen ist keine Kunst. Die Kunst muss spielerisch sein. Dazu die Beispiele „Das neue Arcadien–Projekt“ mi dem künstlerischen Botschafter Arcadiens. Der Künstler Peter Kees hat dieses “spielerische Projekt“ initiiert: http://www.embassy-of-arcadia.eu/Embassy_of_Arcadia/Home.html

8. Dabei gibt es durchaus auch fast absolut ernste Lebensvollzüge, in denen der Ernst mit seiner Korrektheit der Gesetze und Bestimmungen fast ausschließlich gelten muss. Der Ernst hat absolute Gültigkeit bei einer chirurgischen Operation; oder bei einer Gerichtsverhandlung. Auch in personalen Beziehungen gilt der Ernst: Ich vertraue einem anderen, weil ich annehme, er meint es ernst mit mir und seiner Liebe. Der Handschlag als Siegel einer Abmachung muss ernst gemeint sein, so muss das Vertrauen in dieses Ernstgemeintsein auch ernst wiederum ernst sein dürfen.

9. Aber ich vermute, dass es auch in den strengen Situation des Ernstes immer auch noch spielerische Elemente gelten, wenn sozusagen doch die ernsten Regeln durchbrochen werden, weil nur so eine Situation gerettet werden kann. Piloten könnten davon berichten, wie sie in Ausnahmesituationen gegen alle ernsten Regeln verstoßen müssen, um einen Absturz zu verhindern, ähnliches gilt wohl auch für Ärzte, gelegentlich.

10. Damit sind wir bei einer wichtigen Perspektive: Unsere Lebenskunst besteht darin, mit dieser ständigen Verbindung und Verschränkung von Spielen und Ernst treffend umzugehen, sozusagen die richtige Melange von Spiel und Ernst zu finden. Dabei hat natürlich die Entdeckung des spielerischen Spiels für uns selbst den großen Vorrang.

11. Spielerisch leben ist ein Element im Titels dieses Salons. Dabei meint “spielerisch leben” zunächst: Das Lockere und Freie und Selbstbestimmte ins eigene Leben integrieren. Phantasie entwickeln, auch neue Rollen annehmen und für sich mit anderen durchspielen. Wir spielen ja ohnehin immer in unserem so ernsten Leben: Die volle Wahrheit sagen wir dem anderen ja doch nie oder selte; wir jonglieren so oft mit unseren Worten, um ihn nicht zu beleidigen, um des lieben Friedens willen wird gespielt, also gelogen? Außerdem wissen wir ja nicht, ob unser hartes Urteil, unsere Wahrheit über ihn, vielleicht morgen in anderem Licht erscheint. Darum lügen wir lieber, spielerisch sagen wir: Dein Lieblingswein ist OK, obwohl er sauer schmeckt, um nur ein ganz einfaches Beispiel aus unserem alltäglichen Lügenspiel zu nennen.

Wir tragen, anders gesagt, meistens Masken, oft mehrere Masken hintereinander an einem Tag, je nachdem, wo wir uns mit wem befinden. Wir sind, anders gesagt, meistens selbst Schau–Spieler für uns und für andere. Ohne Maske zu leben wäre der Ernst, manche können das gar nicht und wollen noch im Sterben belogen werden…

Aber das Spielerische und Leichte kann ja durchaus auch mal ins Surreale gehen: Ich kann doch mich hinsetzen und spontan Gedichte schreiben, oder mich ans Klavier setzen und einfach den Mut haben, freie Phantasien zu spielen. Spielerisch leben heißt: Wie finden wir die Leichtigkeit wieder, wie können wir den Ernst des Lebens zurückdrängen und so verwandelt wieder neu ernst leben. Eben mit dem Ernst spielerisch umgehen, das beginnt bei dem Lachenkönnen, bei der Pflege des Humors.

12. Ich möchte noch weitergehen: Das Leben, unser ganzes Leben, könnten wir als Spiel begreifen. Das Leben enthält naturgemäß ernste Momente,  aber insgesamt könnte man sich doch vorstellen, dass Existenz ein freies Schweben im Dasein bedeuten könnte. Ein solcher Gedanke fällt uns schwer, weil das Leben oft/meist als Last/Ernst erlebt wird.

Aber das Leben als Spiel zu entdecken setzt nur eine Erkenntnis voraus: Wir wissen gar nicht genau, woher wir kommen. Damit ist jetzt nicht gemeint, dass wir nicht genau unseren Vater oder unsere Mutter bestimmen können. Sondern viel tiefer gilt: Wir wissen nicht, woher wir aus dem Prozess des Lebendigen, der Welt, der Natur, der Schöpfung, herstammen.

Religiöse Menschen sagen „Wir stammen aus Gottes Schöpfung und kehren zu ihm zurück“. Atheisten, die behaupten, wir kommen aus dem Nichts und gehen ins Nichts  formulieren damit ein Glaubensbekenntnis und keine Wissenschaft, wie oft behauptet wird.

Das heißt: Unser Leben bewegt sich zwischen zwei definitiv unbekannten Größen! Wir wissen weder das Woher noch das Wohin, das Danach, wir sind sozusagen als ein Seil gespannt in eine uns unbekannte Zeit auf uns unbekannten Pfählen, an denen dieses unser Seil, also wir,  gebunden ist/sind. Wir hängen sozusagen zwischen unbekannten Größen.

13. Wie kann man darauf reagieren? Bitter ernst, das ist eine sehr häufige Möglichkeit, sich das Leben schwer zu machen. Diese Bitternis entsteht wohl, weil wir vergessen, dass wir zwischen zwei unbekannten Größen hängen. Oder eben lächelnd, vielleicht manchmal lachend, immer aber zuversichtlich, dass wir diese Situation schon richtig und sinnvoll durchspielen werden. Wir müssen vielleicht unser Leben durch-spielen, d.h. es annehmen, und nach unseren Regeln gestalten – mit anderen.

14. Noch ein Wort zum zweiten Teil unseres Titels, da wird die Frage gestellt: Können wir spirituell interessiert auch spielerisch zu glauben, also spielerisch die eigene Spiritualität und Frömmigkeit gestalten, können wir uns möglicherweise spielerisch auf die göttliche Wirklichkeit zu beziehen?  Die Frage ist gar nicht befremdlich, weil wir tatsächlich immer schon spielerisch glauben. Wir vergessen das nur oft und sehen das nicht. Z.B: Wir gehen frei mit den religiösen Fragen um: Wir glauben an bestimmte Erscheinungen Mariens und stellen sie in den Mittelpunkt unseres Lebens. Oder wir sind strenge Atheisten und glauben sozusagen dieses Nichts, diese Leere. Oder wir glauben, dass die innere Stimme des Gewissens der wahre Ort der Gotteserfahrung ist usw. Oder wir “basteln” unsere Spiritualität zusammen aus Elementen verschiedener Religionen mit einer Melange einer Rosentherapie und einer täglichen Massage: Da wird streng gehandelt, also ernst „gebastelt“ an einer für mich schmackhaften „Melange“. Die Frage ist, ob dieser „new-age-Kult“ spielerisch ist, er ist nur Spiel ohne Leichtigkeit? Der spielerische Glaube hat die Leichtigkeit und auch das Element einer tiefen Reflexion auf die Bedingungen des Daseins.

15. Wenn wir spielerisch glauben, beziehen wir uns durchaus auf rational vermittelbare, also philosophische Erkenntnisse: in diesem Sinne kommt immer das eigene Wollen und Denken zum Zuge. Wer denn an eine göttliche Wirklichkeit glaubt: Der weiß sich in diese Welt von Gott gesetzt – von einem Unendlichen und Ewigen, der als Unendlicher und Ewiger nur Liebe sein kann, also aus Liebe auch die Welt und die Menschen setzt/schafft. Und mit diesem liebenden Unendlichen kann das Liebesspiel beginnen. Wir müssen lernen, den philosophisch reflektierten Glauben, die Spiritualität, also unsere eigene Religiosität, als Liebesspiel mit Gott zu verstehen. Ausgangspunkt wäre: Spielen ist ein freier Vollzug, in dem man aufleben kann, jenseits von Stress und Gesetz. Diese Situation gilt für die Beziehung Gottes zu den Menschen. Es ist ein Spiel des Auf und Ab, der Eifersucht, des Zorns, der Nähe usw.

Wenn ich in einer religiösen Deutung von Liebes-Spiel zwischen Gott und dem Menschen spreche, dann sicher in der Bedeutung, dass das Wort “Liebesspiel” analoge Bedeutung hat zu dem Liebesspiel unter Menschen. Die Voraussetzung, um überhaupt zu einer solchen analogen Aussage zu kommen, ist die Erkenntnis und die Erfahrung zuvor: dass wir Menschen uns letztlich in einem bergenden Sinnhorizont bewegen, oder auf einer unerschütterlichen Basis stehen, die wir nicht gemacht haben, die uns aber immer wieder Sinn erleben erlässt. In allem alltäglichen Tun und Sprechen setzen wir ja (unbewußt) immmer schon voraus, dass es sinnvoll ist, dies und das zu tun oder zu lassen. Das wäre philosophisch sozusagen der “Ansatz”, wir bewegen uns und sind immer schon in einem Sinnhorizont.

Es ist vielleicht interessant, dass der Choral “Wie bin ich doch so herzlich froh” (Bachwerke Verzeichnis 1 (!) ) ausdrücklich von Jesus als dem SCHATZ, also dem Geliebten spricht, dies nur am Rande für alle, die explizit religiös oder christlich interessiert sind. “Wie bin ich doch so herzlich froh, dass mein SCHATZ ist das A und O, der Anfang und das Ende”  und zum Schluß, wieder in der Sprache der Liebe, des Liebesspieles: “Deiner wart ich mit Verlangen”.

Das alles klingt jetzt arg allgemein, vielleicht mystisch, ist aber sozusagen eine Erkenntnis der klassischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Nur wenn man in diesem von uns nicht mehr greifbaren aber anwesenden Horizont denkt und lebt, hat das Wort Liebesspiel zwischen Gott und Mensch einen Sinn, das dann auch noch gilt, wenn Leiden den Menschen irritieren und zu vernichten drohen.

Spielend glauben wäre dann eine Daseins-Möglichkeit, sich ganz frei auf dem Boden, bildlich gesprochen, dem Boden des göttlichen Grundes zu bewegen. Sozusagen angstfrei zu tanzen und zu spielen und zu leben, weil man vertraut: Dieser göttliche Boden ist unverwüstlich, da werde ich nicht einbrechen oder durchbrechen, selbst wenn es, das ist jetzt nicht zynisch gemeint, zum „End-Spiel“ meines Lebens ´kommt.

16. Das Spielerische im Glauben hat auch der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal gesehen: Er hat seinen atheistischen Freunden eine Art Spiel empfohlen, als er sagte: Glaube doch ruhig in deinem Leben an Gott, selbst wenn du zweifelst. Nach dem Tod wirst du entweder im Himmel sein und sagen: O Gott, prima, dass ich geglaubt habe. Bist du aber im Nichts, weil es Gott nicht gibt, dann hast du ja so viel auch nicht verloren, wenn du auf Erden geglaubt hast. Ich weiß, diese Pascalsche Wette ist sehr problematisch. Aber es ist der Versuch, das Spielerische im Glauben zu realisieren.

Alain de Botton, der atheistische Philosoph in London, geht den ähnlichen Weg. Er rät förmlich in seinem Buch „Religion für Atheisten“, dass doch die Atheisten ruhig mal beten sollen. Sie werden eventuell danach spüren, ob sie irgendwie getröstet werden. Also spielerisch nicht glauben, auch bei Alain de Botton. (Religion für Atheisten, Fischer Verlag 2013)

17. Eine weitere Provokation kommt allerdings von dem sehr seriösen katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini, er hat 1918 ein Buch veröffentlich: „Vom Geist der Liturgie“. Darin gibt es ein Kapitel, das sich ausdrücklich mit der Liturgie als Spiel befasst. Man stelle sich vor: Die katholische Messe, das ist ja die Liturgie, als Spiel verstanden! Welche Welten liegen da zwischen Faktum und Idee. Spielerische Liturgie: Als freies Dasein des religiösen Menschen in einem religiösen Raum als Teilnehmer an einer Messe, die so meinte Guardini, die spielerische Leichtigkeit haben soll. Dies ist wohl angesichts der real existierenden Liturgie im Katholizismus und noch mehr im Protestantismus nicht mehr als ein schöner (Guardini) Traum. So viel spielerische Freiheit (niveauvoll, bitte nicht immer nur Kindergarten-Tralala) lässt die Kirchenleitung kaum zu. Selbst die zeitgenössische Kunst, die ja vom Wesen her spielerisch ist, hat einen schweren Stand INNERHALB der Kirchengebäude. Freiheit stört, Spiele stören, das ist die gängige Meinung vieler Kirchenherren. Leider. Mentalitätsänderungen sind kaum in Sicht.

18. Und die Philosophie? Ist sie auch ein (ernstes) Spiel? Das kann hier nur angedeutet werden: Wittgenstein sprach von den Sprachspielen, Fichte davon, dass jeder Mensch sich seine Philosophie frei wählt, je nach dem, was er für einen Charakter hat. Dass Philosophie nicht bitter ernst sein muss, hat ja Michel de Montaigne in seinen immer wieder zu empfehlenden Essais bewiesen.

COPYRIGHT: Christian Modehn, Berlin. Religionsphilosophischer-Salon

Zur Vertiefung:

Jürgen Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung

Harvey Cox, Das Fest der Narren

Wilhelm Gräb, „Von der Wunderkraft des Spielens“ auf www. religionsphilosophischer-salon.de

Zu Pascals „Pensées“: Dort vor allem die Nr. 246, auch auf Deutsch “Gedanken”.

Manifest für ein Europa der Bürger. Ein Gastbeitrag von Solange Wydmusch

Wir freuen uns, in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, einmal mehr einen “Gastbeitrag” veröffentlichen zu können. Die Französin, aber in erster Linie Europäerin Solange Wydmusch, Soziologin und Mitglied der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg-Oberlausitz (EKBO),  hat anläßlich der Europawahlen 2014 und vor allem angesichts der Ergebnisse in Frankreich (mit dem erschreckenden Gewinn des rechtsextremen Front National) einen Text, ein Manifest, für ein humanes Europa pubiziert, auf Deutsch, Französisch und Englisch. Es ist ein persönliches Bekenntnis zu Europa!

Wir empfehlen das “Manifest” zur Lektüre.

MANIFEST FÜR EIN EUROPA DER BÜRGER: EIN EUROPA DER ZUKUNFT UND NICHT DER ABSCHOTTUNG

Von Solange Wymusch, Berlin

Angesichts des Aufstiegs von Europagegnern, Europaskeptikern und Rechtsextremen beteuere ich mutig meinen Glauben an die Zukunft Europas, erfüllt von der Hoffnung, dass Gottes Reich im Werden ist.

Ich weigere mich, die demokratische Tragödie der Europawahl vom 25. Mai 2014, die Europa ins Herz getroffen hat, zu akzeptieren.

Ich weigere mich zu glauben, dass die europäischen Bürger es zulassen werden, dass der Rückzug auf eine abschottende Identität und auf falsch verstandene nationale Interessen Boden gewinnt. Ich glaube stattdessen, dass die Bürger, die dem gemeinsamen europäischen Projekt in aller Meinungsverschiedenheit verbunden sind, zusammen Widerstand leisten und dieses Projekt weiterverfolgen werden.

Ich weigere mich zu glauben, dass die Ablehnung und Missachtung der Politiker eine zunehmende Zahl von Nichtwählern hervorruft, die dadurch den Erfolg der extremen herbeiführen und dass unser Kontinent vom kalten Wind der Rückwärtsgewandtheit erfasst wird.

Ich weigere mich zu glauben, dass ein Europa, das durch einen Mangel an Transparenz, durch Unverständnis, durch Ablehnung einer bestimmten Technokratie und der politischen Parteien gekennzeichnet ist, seine Bürger geradezu unfähig macht, ihr großartiges Projekt weiter zu verfolgen: ein Projekt des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität unter den Ländern, der Freizügigkeit von Personen und Ideen, kurz für einen friedlichen, europäischen Kontinent, in dem es sich gut leben lässt.

Die Verwirrung vieler Bürger ist verständlich angesichts eines undurchschaubaren Zusammenwachsens Europas, verschiedenster Ausgrenzung, der Herausbildung eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten sowie der Angst vor falschen Vorstellungen über die Europäische Union.

Ich glaube dennoch, dass Transparenz und die ständige Betonung der europäischen Errungenschaften dazu verhelfen werden, das Feuer dieses Projektes, welches von visionären Politikern entzündet wurde, erneut zu entfachen. Und dass – nur vereint – die Europäer die Herausforderungen meistern werden, die alle mit gleicher Schärfe spüren.

Unser Glaube hilft uns, die Hände nicht in den Schoß zu legen, sondern die Bedrückten aufzurichten und dazu beizutragen, dass Gottes Reich in unserer Welt sichtbar wird.

Ja, ich möchte bekräftigen, dass aus unserem christlichen Glauben Vorhaben entspringen und keine Verwerfung.

Ja, die Liebe, die Gott uns bezeugt, und die Gewissheit vom Sieg des Lebens über den Tod sowie das Beispiel Christi, der die Vernachlässigten in den Mittelpunkt des Evangeliums stellt, verändern unseren Blick auf unsere Nächsten. Der Ostermorgen verwandelt unser Leben: Wie die Frauen, die von Enttäuschung bedrückt waren, sind auch wir dazu berufen aufzuerstehen, uns aufzurichten und unseren Weg wieder aufzunehmen.

Gottes Geist macht nicht alle Menschen gleich. Im Gegenteil: an Pfingsten offenbart er die Verschiedenartigkeit. Da schuf Gott die Kirche; eine Gemeinschaft, in der jeder in seiner Sprache spricht und in der die Vielfalt siegt.

Protestanten, Katholiken, Anglikaner, Orthodoxe, Christen Europas: Lasst den Kopf nicht hängen! Wagen wir es, uns in die europäische Debatte einzumischen! Lasst uns wagen, die Politiker und die Beamten direkt anzugehen! Lasst uns die europäische Bürgerschaft, welche die nationalen Grenzen überwindet, voll und ganz leben und lasst uns laut und deutlich für die Würde jedes Menschen eintreten! Lasst uns ein Wort des Willkommens, nicht der Abschottung verbreiten und jeden Angriff auf die Menschenwürde zurückweisen!

Lasst uns auf diesem Kontinent gemeinsam beten für dieses besondere Friedensprojekt, für die Aufnahme von Fremden und für die Achtung der Menschenwürde!

 

Berlin, 28. Mai 2014

 

Solange Wydmusch
, Protestantin, europäische Bürgerin

(Übersetzung aus dem Französischen)

 

 

En Francais:

Manifeste pour une Europe citoyenne : une Europe de projet et non de rejet

Aujourd’hui, dans une Europe marquée par la montée des europhobes, des eurosceptiques et de l’extrême droite et dans l’espérance du royaume de Dieu en devenir, j’affirme avec audace ma foi en l’avenir de l’Europe.

Je refuse d’accepter la tragédie démocratique des élections européennes du 25 mai 2014 qui a blessé l’Europe au cœur.

Je refuse de croire que les citoyens européens accepteront que les replis identitaires et des intérêts nationaux mal compris gagnent du terrain et je crois au contraire que, unis par le projet dans la diversité de leurs opinions, ils résisteront ensemble et poursuivront leur projet.

Je refuse de croire que le rejet et le mépris de la classe politique formeront de plus en plus d’abstentionnistes qui cautionneront le vote des extrêmes en ne se déplaçant pas et qu’un vent de régression soufflera sur notre continent.

Je refuse de croire qu’une Europe marquée par un manque de transparence, par des incompréhensions, par le rejet d’une certaine technocratie et des partis politiques, rende les citoyens européens incapables de poursuivre leur formidable projet : un projet de paix, de justice sociale, de solidarité entre les nations, de libre circulation des personnes et des idées pour un continent européen pacifié qui nous offre un extraordinaire espace de vie.

Le désarroi des citoyens devant une construction européenne illisible, devant une société à exclusions multiples et la crainte fondée de voir émerger sur le continent une société à plusieurs vitesses, ainsi que la peur suscitée par des idées fausses sur l’Union européenne, sont compréhensibles.

Je crois cependant que la transparence et la mise en avant des acquis européens aideront à raviver la flamme de ce formidable projet initié par des hommes politiques visionnaires. Et qu’unis, les Européens parviendront à relever les défis qu’ils ressentent tous avec la même acuité.

Notre foi nous aide à ne pas baisser les bras, à remettre debout les accablés, à contribuer à la visibilité du royaume de Dieu dans notre monde.

Oui, je veux réaffirmer que notre foi chrétienne est source de projet et non pas de rejet.

Oui, l’amour que Dieu nous témoigne, la certitude de la victoire de la vie sur la mort, l’exemple du Christ mettant les laissés pour compte au cœur de l’Évangile, changent notre regard sur nos prochains. Le matin de Pâques transforme notre vie : comme les femmes accablées par un discours négatif, nous sommes appelés à ressusciter, à nous relever, à reprendre la route.

L’Esprit de Dieu ne nivelle pas les humains, au contraire il manifeste à Pentecôte la diversité. Dieu crée alors l’Église, une communauté où chacun s’exprime dans sa langue, où la diversité triomphe.

Protestants, catholiques, anglicans, orthodoxes, chrétiens européens : ne baissons pas les bras, osons nous engager dans le débat européen, osons interpeller les politiques et les grands fonctionnaires, vivons pleinement notre citoyenneté européenne qui transcende les frontières et affirmons haut et fort la dignité de tout humain, propageons une parole d’accueil et non pas de rejet, dénonçons toute atteinte à la dignité de l’Homme.

Prions ensemble sur tout le continent pour ce formidable projet de paix, d’accueil de l’étranger et de respect de la dignité humaine.

Solange Wydmusch
Protestante, citoyenne européenne.

Berlin, 28 Mai 2014

 

In English:

Manifesto for a Citizens’Europe: a Project Europe not a Europe of Rejection

Today, in a Europe marked by the rise of europhobes, eurosceptics, and the extreme right, and in anticipation of the coming Kingdom of God, I boldly affirm my faith in the future of Europe.

I refuse to accept the democratic tragedy of the European elections of 25 May 2014, which have pierced the heart of Europe.

I refuse to believe that the citizens of Europe will accept that isolationism and misunderstood national interests are gaining ground; on the contrary, I believe that, united in the diversity of their opinions, they will together resist and pursue their European project.

I refuse to believe that rejection and disdain of the political class will produce more and more abstainers who lend support to the extreme vote by not going to the urns, and that a wind of regression will sweep across our continent.

I refuse to believe that a Europe marked by a lack of transparency, by incomprehension, by the rejection of a certain technocracy and the political parties will make European citizens incapable of pursuing their immense project: a project of peace, of social justice, of solidarity among nations, of freedom of movement for people and ideas for a European continent at peace that offers us an extraordinary place to live.

The consternation of citizens is understandable in the face of an illegible European construction, of a society of multiple exclusion, and of well-founded fears of seeing a multi-speed society emerge on the continent, and of fears provoked by mistaken ideas about the European Union.

I nevertheless understand that transparency and focusing attention on what has been achieved in Europe will help revive the fires of this tremendous project initiated by visionary politicians. And that, united, Europeans will succeed in taking up the challenges they all feel with the same urgency.

Our faith helps us not to give up, helps us to put those in distress back on their feet, to contribute to the visibility of the Kingdom of God in our world.

Yes, I wish to affirm that our Christian faith is a source of project and not of rejection.

Yes, the love that God gives us, the certitude that life will be victorious over death, the example of Christ who put those left behind at the heart of the Gospel changes how we see our neighbours. The morning of Easter transforms our lives: like the women distressed by a negative discourse, we are called upon to resuscitate, to rally, to set out once again.

The Spirit of God does not make all human beings the same; on the contrary, at Whitsun it manifests diversity. God thus created the Church, a community where all express themselves in their own languages, where diversity triumphs.

Protestants, Catholics, Anglicans, Orthodox, European Christians: do not give up the struggle; let us engage in the European debate; let us question the politicians and the high officials; let us live to the full our European citizenship, which transcends borders; and let us affirm with a loud and strong voice the dignity of all human beings; let us proclaim a message of welcome and not of rejection; let us denounce all violation of the dignity of humanity.

Let us pray together throughout the continent for this immense project of peace, of welcome for others, and for the respect of human dignity.

Solange Wydmusch 
Protestant, European Citizen.

Berlin, 28 May 2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brasilien heute: Kritische Bürger und die Philosophien

Brasilien heute: Kritische Bürger und die Philosophien

Von Christian Modehn

Anläßlich der Fußball WM 2014 in Brasilien machen wir noch einmal auf ein nahezu unbekanntes Thema (in Deutschland !) aufmerksam. Es ist zweifellos wichtig,  um Brasilien und die BrasilianerInnen zu verstehen, es geht um die dort auch an der Basis lebendige Philosophie. Zur Lektüre des Beitrags klicken Sie bitte hier.