Der Glaube kommt vom Hören. Oder von der goldenen Gottesmutter? Beobachtungen in Spanien.

Philosophisch – theologische Eindrücke in Spaniens Kirchenwelt heute

Hinweise von Christian Modehn

Wer einige Barockkirchen in Spanien besucht und besichtigt, wird von der Fülle der Bilder, des Bunten, des Vergoldeten als Zierde der Heiligen, der Madonnen, der Kreuze und Himmelfahrten und Trinitäten förmlich erschlagen. Weiterlesen ⇘

Philosophie in Lateinamerika: Das umfassende Kompendium liegt vollständig vor.

Dies ist eine kleine Sensation, die in Deutschland endlich Aufmerksamkeit – auch bei den Verlagen – finden sollte: Nach 30 Jahre dauernder Arbeit liegt die 34 Bände umfassende Enzyklopädie zur iberoamerikanischen Philosophie jetzt (Anfang Juli 2017) vollständig vor! Mehr als 500 Autoren haben an diesem umfassenden und von nun an wohl maßgebenden Werk mitgearbeitet. Die Enzyklopädie bietet Darstellungen zu den klassischen philosophischen Disziplinen, aber auch zur Philosophie etwa der Indigenas sowie zur “Philosophie der Philosophie”. Der Philosoph Reyes Mate hat das Projekt von Anfang an inspiriert und betreut. Wir werden auf dieses grundlegende Buch später ausführlicher zurückkommen. Zunächst also nur der Hinweis, dass der Blick europäischer Philosophie sich immer mehr weitet in die Philosophien außerhalb Europas, selbst wenn diese, wie im Falle Lateinamerikas,  europäische Impulse stark in sich bergen. Auf die wichtige und durchaus eigenständige lateinamerikanische Philosophie der Befreiung (inspiriert von Prof. Enrique Dussel, Mexiko) wurde schon früher empfehlend hingewiesen!

Enciclopedia Iberoamericana de Filosofia. Editorial Trotta y Consejo Superior de Inverstigationes Cientificas. 34 Bände, sie kosten zusammen 657,40 Euro.

„Ohne Erbsünde glauben“. 10 Fragen und Antworten anlässlich einer theologischen Diskussion

Ein Hinweis von Christian Modehn,  am 8. Juni 2017.

Aus aktuellem Anlaß noch einmal am 11.11.2024 publiziert: Weil nicht (nur) Strukturreformen heute als dringende Reformen in der katholischen Kirche gelten sollten, sondern vor allem Reformen der nicht mehr vermittelbaren Dogmen. Zum Beispiel das sinnlose Dogma der Erbsünde. CM.

Siehe auch  “Muss der christliche Glaube Angst machen?” LINK sowie Weiteres zum Thema “Gegen die Erbsünde”:  LINK

1.Frage

Die Lehre von der Erbsünde ist, etwa in der katholischen Kirche, ein Dogma, also eine definierte Glaubenslehre. Kann man sich denn heute von einem Dogma mit dieser umfassenden Lehre befreien?

Ja, kann man und sollte man. Das kann nicht nur der einzelne, aufgeklärt denkende Glaubende, indem er dieses Dogma in dieser Form eben für sich beiseite lässt. Und das tun sehr viele. Die Befreiung von diesem Dogma kann aber prinzipiell auch das katholische Lehramt heute vollziehen. Wenn es denn so viel Vernunft walten lässt und erkennt: Dieses Dogma zur Erbsünde ist nicht Weiterlesen ⇘

„Mit freiem Willen das Böse getan und Hitler unterstützt“: Carl Eduard, der Herzog von Coburg (gest.1954)

Ein Hinweis auf eine historische Studie: Ein „hoch“- adliger Überzeugungstäter

Von Christian Modehn

Vor kurzem erschien eine wichtige wissenschaftliche Studie des Historikers Professor Hubertus Büschel (jetzt Uni Groningen NL) über den leidenschaftlichen Nazi, SA Mann und Hitlerfreund Herzog Carl Eduard von Coburg. Dieses Buch widmet sich dieser Person aus dem Hochadel, von der eine breitere Öffentlichkeit, außerhalb Coburgs, wohl eher geringe Kenntnisse hat. Und man wundert sich, dass noch nicht ein großer Spielfilm über diesen herzoglichen NAZI gedreht wurde! Kommt vielleicht noch, die historischen Orte sind ja alle bestens erhalten. Denn Coburg wurde fast nicht bombardiert. Weil dort ein Nachkomme des englischen Königshauses saß?

Angesichts dieser Fragen: Um so erfreulicher die Studie von Hubertus Büschel über Carl Eduard, den Enkel von Queen Victoria: Geboren wurde er in England 1884 und schon 1905 Regent von Coburg.

Im Rahmen unserer philosophischen Interessen ist dieses Buch wichtig, weil es konkret den Blick richtet auf die faktische Entwicklung von Unmoral und: Wie ein Mensch aus egozentrischen Gründen zum Täter in einem mörderischen Regime wird.

Das Buch von Hubertus Büschel endet mit einem philosophischen Hinweis: „Beim Handeln im Nationalsozialismus gab es immer auch einen freien Willen…“ (S. 239). Diese Erkenntnis wird auf Carl Eduard bezogen, den Herzog von Coburg, der alles getan hat, so wörtlich, „eine Politik (Hitlers) zu kaschieren, die sich ganz unverhohlen aggressiver Expansion, Rassismus und Antisemitismus verschrieb – und letztlich zum Tod von Millionen Menschen führte“ (ebd). Carl Eduard, der Herzog aus englischem Königshaus, tat dies alles freiwillig. Er folgte nicht seinem Gewissen und wurde zum Täter im Nazi-System. „Jedenfalls nutze er seine Bekanntschaft mit Hitler, Himmler und Heydrich nie, um… Juden vor der Deportation zu retten…Wann immer jemand sich auf der Suche nach Hilfe an den Herzog von Coburg selbst wandte, schritt dieser den üblichen Dienstweg ein und denunzierte die Betreffenden beim Gestapo-Chef Heydrich“ (S. 231). So weigerte er sich auch, die Witwe des bekannten Malers Liebermann, Martha Liebermann, zu retten….

Mit „kaschieren“ meint Hubertus Büschel die Tätigkeit des Nazi-Herzogs in seiner Funktion als Chef des Deutschen Roten Kreuzes: Auf seinen zwei Weltreisen als NAZI-DRK Chef hat er führende Politiker in den USA belogen und das Nazi Regime als human dargestellt, was diese Politiker dann lange Zeit glaubten und ihre Politik offenbar nach diesen Lügen ausrichteten.

Wer heute Coburg besucht mit seiner entsprechenden „Veste“ und den Schlössern dieses Herren, findet eigentlich unglaublich wenige kritische Erinnerungen an diesen Verbrecher, denn das sind ja wohl „Täter“ in der Nazi-Herrschaft.

Carl Eduard hat sich schon 1922 voller Sympathie Hitler zugewandt, er wurde SA Obergruppenführer und war seit 1933 Mitglied der NSDAP. Als Chef des Nazi-gesteuerten „Deutschen Roten Kreuzes“ tat er, wie gesagt, alles, um Hitler als seriösen Politiker erscheinen zu lassen.

Coburg war schon vor 1933 ultra-braun, mit entsprechenden Schikanen gegen Juden und Sozialdemokraten. Dass die Juden aus Coburg vertrieben und vernichtet wurden, ist sicher auch Carl Eduards Mit-Schuld. An die jüdische Vergangenheit in Coburg habe ich außer einer „Judengasse“ sowie einigen im Boden befindlichen „Stolpersteinen“ sowie einem eher wenig spezifischen Gedenkstein auf dem Friedhof nichts entdeckt. Eine jüdische Gemeinde gibt es in Coburg nicht mehr.

Bei den Wahlen 1929 errang die NSDAP 43,1% der Stimmen. Seit 1939 konnte Coburg die Ehrenbezeichnung „Erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands“ führen. Dies alles nur aufgrund des Engagements des Herzogs Carl Eduard.

Bis 1945 war Carl Eduard Hitler treu ergeben; was er nach 45 dachte, ist noch unklar. Ob er dann ein „lupenreiner Demokrat“ wurde, ist bei seiner totalen Verblendung eher unwahrscheinlich.

Das Buch des Historikers Hubertus Büschel (er wurde in der Nähe von Coburg 1969 geboren) kommt zur richtigen Zeit, weil bei der heute allgemein wieder zunehmenden Rechts-(Extrem)-Lastigkeit endlich Wissenslücken etwas überwunden werden. Ein Beispiel: Die Tochter Carl Eduards, Prinzessin Sibylla, ist die Mutter des amtierenden Königs Carl XVI. Gustaf von Schweden; er besucht öfter noch das schöne Coburg, so ist zu hören. Der Hochadel und die Nazis: Ein unbekanntes Thema…

Hier kann die lange Nazi-Geschichte des Herzogs Carl Eduard, wie sie die Buch leider manchmal noch zu kurz dokumentiert, nicht wiedergegeben werden. Wichtig ist: Dieser Nazi-Verbrecher wurde nach 1945 als Mitläufer freigesprochen: Ihn hat „reingewaschen“ seine alte Nazi-Kameradschaft, seine herzogliche Autorität, sicher auch die jetzt allgemein bekannte NS-Bindung der meisten Richter in der BRD nach 1945 sowie vor allem seine adlige Herkunft aus England. Wer will schon einen Angehörigen des englischen Hochadels für 30 Jahre ins Gefängnis bringen. Was hätte denn dann die liebe Königin Elisabeth gedacht? So wurde „Recht“ gesprochen, Schuldige wurden reingewaschen…. und Carl Eduard zu einer Strafe von 5000 Mark (sic) verurteilt (S.235). Der treffende Begriff „Klassenjustiz“ hätte hier sein gutes Recht!

Leider wird in der Studie nur kurz die Verquickung der dortigen evangelischen Kirche mit dem Herzog seit 1922 dokumentiert; erwähnt wird, dass die Trauerfeier für den Nazi-Herzog am 10. Mai 1954 von dem lutherischen Dekan Curt Weiß geleitet wurde. Er sagte so viel Unverschämtes, etwa: Der Herzog sei in „seinem guten Glauben, seinem aufrechten und edlen Sinn und seiner unerschütterlichen Treue missbraucht und schließlich im Stich gelassen worden“. Vom wem wurde er im Stich gelassen? Seine Nazi-Freunde standen doch zu ihm und bis auf das britische Königshaus hatten viele große adligen Herrscherhäuser von Holland über Norwegen und Preußen (Prinz Louis Ferdinand) ihr tiefes Beileid der Witwe mitgeteilt…Im Jahr 2017 wird in Coburg auch wieder an Luther in Coburg erinnert, dies wäre eine gute Gelegenheit am richtigen Ort, über die Verquickung von lutherischer Theologie zu autoritären Systemen nachzudenken und überhaupt zu fragen: Was hat uns der „politische Theologe“ Luther heute eigentlich noch zu sagen? Wahrscheinlich wenig! Luther liebte die Herrscher! Lutheraner waren nie Revolutionäre. Wer besser weiß, melde sich bei mir…

Eine erfreuliche Nachricht: Die Stadt Coburg hat – endlich !!!, 70 Jahre nach den Nazi-Verbrechen, an denen der Herzog Carl Eduard von Coburg direkt beteiligt war – eine Historiker-Kommission eingesetzt: Sie soll die braune Geschichte Coburgs endlich freilegen. Mal sehen, wann die ersten Forschungsergebnisse vorliegen.

Hubertus Büschel, „Hitlers adliger Diplomat. Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich“. S.Fischer Verlag Frankfurt a.M. 2016, 336 Seiten, 22,99€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Zu viel Luther? Einige Fragen zum (Bücher) Kult um den Reformator

Eine Art  Luther (- Bücher -) Boom hat gewisse Bereiche des kulturellen und religiösen Lebens in Deutschland erfasst: Claudia Keller hat im “Tagesspiegel” vom 23. August 2016 (Seite 6) für den Herbst etwa 50 neue Bücher über Luther gezählt, es werden nicht die (zeitlich gesehen) letzten sein. Der Reformator aus Wittenberg in allen nur denkbaren Variationen wird da “behandelt”. Nur einige Beispiele: “Luther für Eilige”, “Luther für Neugierige”, “Mensch Luther”, Luther der Rebell” und so weiter. Bald werden wohl diese Titel folgen: “Luthers liebstes Bier”, “Luthers Geheimrezepte”, “Luthers unbekanntes Liebesleben”  usw. Man muss sich fragen: Haben die Autoren und die möglichen LeserInnen keine anderen Sorgen, als alle Details zum Reformator Luther zu verbreiten und zur  Kenntnis zu nehmen? Soll ein neuer, aber ganz alter, nämlich spätmittelalterlicher  “Nationalheld” etabliert werden? In Zeiten, in denen “die Nation” leider in sehr rechtslastigen Kreisen wieder zu wichtig genommen wird? Schwappt wieder einmal die Vorliebe für Sekundärliteratur über und vernichtet alle Lust, Luthers eigene Werke selbst zu lesen? Und vor allem: Welche geistigen und theologischen Energien werden fest gelegt, wenn sich im Reformationsgedenken 2017 dann doch offenbar alles um Martin Luther dreht? Erwartet die Welt, um es einmal großspurig zu sagen, erwartet die Welt heute inmitten von Kriegen, Aggressionen, von Mord und Todschlag und Verhungernlassen ganzer Städte, von Erdulden der Herrschaft von Diktatoren, von Verzweiflung weiter Kreise der Menschheit usw. usw. wirklich, dass sich große Verlage und viele tausend Leser so hyper-intensiv mit Luther befassen? Da sage “man” bitte nicht, alle diese großen entsetzlichen Probleme der Menschheit von heute fänden doch in Luthers Büchern eine Antwort. Etwa gar in seiner eher grausigen augustinischen Lehre von der Erbsünde und der angeblich daduch total verdorbenen menschlichen Vernunft? Zudem: Ist der massive, kommerziell bedingte Bücherboom zu Luther vielleicht eine umgekehrte Fortsetzung des Ablasshandels? D.h. Wollen sich Autoren (und Verlage) frei kaufen von der Notwendigkeit und in unserer Sicht der Pflicht, einen einfachen, einen elementaren, modernen und nachvollziehbaren und berührenden Glauben zu formulieren – jenseits der alten Formeln und dogmatischen Floskeln, die heute selbst sehr nachdenkliche Menschen beim besten Willen nicht mehr verstehen und mitvollziehen können. So versteckt man sich in Theologenkreisen angstvoll in der ewigen Luther-Interpretation, anstatt einen modernen christlichen Glauben neu vorzuschlagen; selbstverständlich auch in einer neuen, entstaubten Kirche. Darum macht man es sich mit dem Bücher-Boom und den bevorstehenden Festivals im Reformationsgedenken 2017 wohl zu einfach, zu bequem. Wem ist damit gedient, d.h.spirituell “geholfen”? Ist das nicht alles Spektakel? Wer fragt, inwiefern und warum die römische Kirche immer noch – 500 Jahre nach der Reformation – an den “Skandalthemen” Luthers festhält, wie Ablasswesen, Klerikalismus, Ablehnung einer synodalen Struktur der Kirche, Zölibat, Unfehlbarkeit des Papstes usw.? Gibt es da Grund zum Feiern? Anstatt diese Fragen zu stellen: Schreibt man lieber Bücher, die Luther als den “Propheten der Freiheit” feiern, vielleicht bloß der inneren, der geistigen Freiheit? Wer schreibt über die grausigen Kämpfe und Attacken zwischen Lutheranern und Calvinisten bis ins 18. Jahrhundert? Merkwürdig ist zudem, dass bis heute der Augustinerorden, dem Luther bekanntermaßen angehörte, nicht die minimalste Äußerung zu seinem “Mitbruder” Martinus publiziert hat? Ist dem Augustinerorden dieser Mitbruder Martinus nur peinlich? Stört er das Ordensleben? Wenn ja, wie? Dazu würde man doch gern etwas vernehmen: “Katholisches Ordensleben heute trotz Luther”

Wenn man sich schon als philosophischer Religionskritiker mit Reformatoren von einst befassen will, dann empfehlen wir zwei unterschiedliche Reformatoren, die im Luther-Rausch der offiziellen Kirche natürlich, möchte ich fast sagen, untergehen und ins Vergessen gedrängt werden. Ich meine den Reformator und Theologen Thomas Müntzer und den Reformator und Theologen Jacob Arminius. Sie können den Namen klicken und werden zu weiterem kritischen Fragen und Nachdenken weiter geführt… über Luther hinaus, natürlich.Und dann wird man doch auch wieder sich Erasmus von Rotterdam zuwenden, dem moderaten, philosophisch gebildeten Theologen, der genau wusste: Auf eine kluge, man möchte sagen, vernünftige Reduzierung dieses ganzen Dogmen-Balastes des Christentums kommt es, also auf ein zeitgemäßes “Wesen des Christentums”. Dieses Projekt wird in Deutschland, von der “neuen liberalen Theologie” abgesehen, nicht bearbeitet. Wäre aber der wichtigste Beitrag im Luther-Jahr.

PS: Zu einem leider wenig beachteten Aufsatz über Erasmus: “Erasmus und sein Gott” des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, 1965 erschienen. Noch nachzulesen in: L.K.: “Geist und Ungeist christlicher Traditionen”, dort S. 44 bis 58. Merken wir uns, im Blick auf den in dieser Hinsicht völlig verstörten Luther, der der Vernunft und damit der Philosophie nichts zutraute: Kolakowski schreibt über Erasmus` Lehre: “Es ist nicht wahr, dass die Natur und die natürlichen Fähigkeiten (also die Vernunft) durch den Satan monopolisiert sind…Ein durch Gott geschaffener Mensch kann nicht einfach nur böse sein” (S. 51). Das Böse, vorhanden, muss nicht über die Erbsünde im Sinne Luthers verstanden werden. Solche Mythen braucht der heutige Mensch nicht, der weiß, dass Freiheit immer “böse Dimensionen” hat…Wie sehr Luther mit seiner Polemik das allgemeine “Licht” der Kultur  verdunkelt hat, mit unabsehbaren Folgen:  DARAN muss man sich erinnern im berühmten Reformationsgedenken 2017!  Und sich von diesem Aspekt Luthers befreien.

copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Siglo de Oro: Das goldene Jahrhundert: Es war gar nicht so golden.

Hinweise anlässlich der Ausstellung „El siglo de oro“  vom 1.7. bis 30.10.2016 in der Gemäldegalerie Berlin.

Von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 15. 7. 2016

Manche haben gefragt, warum beschäftigen wir uns als philosophischer Club, als religionsphilosophischer Salon, mit dem „siglo de oro“ in Spanien. Zumal an einem Tag, an dem der schreckliche Terror gegen so viele Menschen in Nizza bekannt wurde.

Aber sollten wir in unserem Salon an diesem Abend über den Täter spekulieren? Hätte das Erkenntnisgewinn gebracht? Sicher nicht. Politische, oft haltlose Spekulation ist etwas anderes als (klassische, metaphysische ) philosophische Spekulation. Zumal: Philosophisch darf eben nicht nur auf eine einzelne Tat gestarrt werden, sondern auch das historische Umfeld (Kolonialzeit, Kriege gegen Irak, Gewährenlassen des Massenmörders in Syrien usw.) muss immer kritisch mit-betrachtet werden. Hegel nannte das wohl “konkretes Denken”. Und das ist in Politikerkreisen z.B. kaum lebendig, weil es peinlich ist, weil es zum Eingeständnis von groben Fehlern führen müsste. Angesichts des unerfreulichen, nur der “grande nation” dienenden Verhaltens der französischen Regierungen auch nach dem Ende des Kolonialismus gegenüber den Menschen in (Nord-) Afrika, wäre zu betonen, wie dies Rudolf Balmer von der TAZ am 16. Juli auf Seite 3 treffend schreibt:”Das hat in diesen afrikanischen Ländern mitunter ein (für Frankreich CM) feindseliges Bild geschaffen, für das die Staatsführungen in Paris eine große Mitverantwortung tragen”. Weiterhin wäre von der zwanghaften, staatlich befohlenen Anpassung der Muslime an die nicht-muslimische französische Gesellschaft, etwa in der rigiden Kleiderordnung usw., zu sprechen. An die ökonomische Ausgrenzung der eher zweitklassigen “Ausländer” in den grausigen Vorstadtgettos wäre zu erinnern usw. Da wurden und werden vom Staat und der Gesellschaft Fakten gesetzt, die nicht dem Frieden dienen. Heute sieht man das Ergebnis. Das heißt natürlich auch,  dass terroristische Verbrecher eben Verbrecher sind und als einzelne auch Schuld auf sich laden und bestraft werden müssen. Aber die Dialektik zwischen Einzeltätern und dem umgebenden kulturellen, ökonomischen Milieu muss gerade im Falle Frankreichs mit berücksichtigt werden…

Darüber wollten wir am 15.7. nicht spekulieren. Wir haben über das siglo de oro gesprochen und dabei entdeckt: Wie ein Staat sich damals geistig und ökonomisch letztlich zugrunde richtete, weil er zur Toleranz nicht in der Lage war.

Lesen Sie also die Hinweise, die von Christian Modehn am 15.7.2016 zur Diskussion gestellt wurden.

Das Goldene Zeitalter, das 17. Jahrhundert in Spanien, wird als golden bewertet und dargestellt und propagiert in einer bestimmten Hinsicht: Diese spezielle „Hinsicht“ macht philosophisches kritisches Fragen aus.

Das 17. Jahrhundert war golden wegen der künstlerischen Leistungen vor allem der Maler und Bildhauer, aber auch der Dichter. Das tatsächliche Gold glänzte zwar in den Kirchen und Palästen, auch wenn Spanien viel erbeutetes Gold aus Amerika in den zahlreichen Kriegen im 17. Jahrhundert förmlich verpulvert hatte.

Und übrigens tut es wohl Spanien heute trotz aller Millionen von Touristen gut, an die Leistungen der eigenen Kultur damals zu erinnern. Und, mit Verlaub gesagt: So viel Großes bleibt ja dann, abgesehen von Goya, auch nicht viel übrig bis zum Ende der Franco-Zeit 1975.

Wer von diesen künstlerischen Leistungen in der Kunst absieht, entdeckt ein Spanien in erbärmlichen, auch ökonomisch erbärmlichen Zuständen. Tatsächlich aber war das 17. Jahrhundert in Spanien vor allem ein weithin rassistisches Jahrhundert.

Und dies war dadurch bedingt, dass der Hof, der König und seine Regierung tief überzeugt waren, dass Spanien nur eine einzige Religion haben darf. Nur einzige Ideologie sollte herrschen, weil nur diese eine den Zusammenhalt des tatsächlichen Welt-Reiches gewährleisten konnte, glaubte der sich immer katholisch definierende König. Wir erleben also an einem Beispiel, wie ein Staat aussieht, wie er auch ökonomisch verkommt und kulturell sehr eng wird, wenn er Pluralität nicht wünscht, also keine Toleranz kennt, und Andersdenkende verfolgt und tötet. Man möchte also einmal mehr sagen: Es ist die Toleranz und die reale Vielfalt in Gleichberechtigung, die einen Staat, die die Kulturen lebendig macht. Trotz dieser Belastungen sind die künstlerischen Werke, die etwa auch in der Ausstellung „El siglo de oro“ gezeigt werden, aller Beachtung wert. Sie inspirieren, auch wenn sie im Schatten der allseits drohenden Inquisition gemalt wurden.

1.  Zur KUNST

Die Künstler, die Maler und Bildhauer, galten dem Ansehen nach, im Unterschied zu Literaten etwa, wenig im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie galten eher als Handwerker. Um in der Geltung „aufzusteigen“, bemühte sich etwa Diego Velázquez, in den „Santiago-Ritterorden“ aufgenommen zu werden, und das war angesichts der Hierarchien nicht einfach.

Wer heute diese Gemälde betrachtet, entdeckt eine starke thematische Festlegung, aber dabei auch ein großartiges Können:

Es sind wirkliche, leibhaftige, lebendige Menschen, die uns anschauen; es sind Menschen, die untereinander agieren, zusammenstehen, trauern, beten usw. Diese Gesichter bewegen uns. Diese Kunst ist von einem ausdrucksvollen Realismus geprägt, oder besser: Von einer Bezogenheit auf die Wirklichkeit. Manche Interpreten sprechen gar, etwa im Falle von Velazquez, von beinahe fotografischen Leistungen.

Man denke etwa an das wohl berühmteste Bild von Velazquez „Las Meninas“, Die Hoffräulein, von 1656: In der Mitte die fünfjährige Königstochter Margarita. Alle Personen sind historische Personen. Dem Namen nach bekannt, es ist das Atelier des Malers im Alcazar. Velázquez zeigt sich selbst als Santiago-Ritter; das Königspaar ist im Spiegel zu sehen; selbst die Zwerge werden gezeigt, sie sind hier keine Untermenschen, kein Spielzeug. Es ist ein Moment, wo man glaubt: Die Zeit steht still. Es werden Seelen gezeigt, hat ein Historiker gesagt, aber es sind immer wieder wie hier auch Menschen-Seelen, die nicht lachen, nicht lächeln. Ein dauerhafter Schatten von Melancholie und Trauer ist deutlich, auch auf den späten Porträts von Philipp IV.

Zu den Zwergen: Wunderbar ist auch das Gemälde, das den gelehrten Zwerg, der Hofnarren, zeigt mit dem Buch. Ein kluges Gesicht: Der Hofnarr als gebildeter Mensch.

Nach meinem Eindruck fehlen die Alltagszenen, bodegón genannt: Diese gibt es zwar, etwa die alte Frau, die sich Eier brät oder die essenden Kinder, aber es wird auch dort kaum gelacht, es ist keine Zuversicht mehr da. Das Land selbst versinkt im Elend trotz allen früheren ökonomischen Reichtums. In dieser Situation, auch der Verteidigung des Katholischen um jeden Preis gegen Protestanten, Juden und Muslime,  werden Bilder und Skulpturen, man möchte sagen en masse, geschaffen, die den Gekreuzigten Christus zeigen oder die leidende Mutter Jesu, Maria. Mit aller Präzision wird von Gregorio Fernandez „Der tote Christus“ als Skulptur (um 1627) dargestellt, mit echt erscheinenden blutunterlaufenen Wunden und mit echt wirkenden Fingernägeln aus Stierhorn, Zähnen aus Elfenbein usw. Eine tiefe Bewegtheit, eine seelische Erschütterung soll von dieser Skulptur wie von allen Darstellungen des leidenden Christus ausgehen. Wenn Murillo in Sevilla die Werke der Barmherzigkeit zeigt, dann will er damit ausdrücklich zur Nachahmung auffordern. Diese religiösen Bilder haben explizit – angesichts des weitest verbreiteten Analphabetismus – die Tendenz, zu bilden und zur Nachahmung aufzurufen, 90 % der Bevölkerung können weder Lesen noch Schreiben.

Wenn man diese Tendenz auf die Bilder des leidenden Christus überträgt, und das muss man wohl, dann soll der Betrachter, also auch das gläubige Volk, zur Annahme des eigenen Leidens aufgefordert werden. Und das gilt dann als Christusnachfolge. Nun gibt es immer wieder Leiden unter den Menschen, aber es gibt auch von Menschen gemachtes Leiden, etwa durch die brutale Verfolgung der damals in Spanien allgegenwärtigen Inquisition: Wollten diese Leidensbilder Christi auch daran gewöhnen, an diese grasuige politische Unmenschlichkeit? Diese Frage der Leidens-Propaganda durch Kunst wird meines Erachtens kaum diskutiert: Darin könnte sich eine gewisse Abartigkeit der offiziell propagierten Frömmigkeit zeigen, so sehr auch den einzelnen in seinem Leiden und in seiner Todesangst möglicherweise dieser leidende Christus dann doch tröstet und bewegt…

Hinzu kommt: Die Fülle der Vanitas Gemälde, der Bilder der Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit, sie sind auch in Holland beliebt, immer mit Totenköpfen auf dem Tisch, man denke etwa an Harmen Steenwijk oder Pieter Claesz zur gleichen Zeit (1630). Aber dass ausschließlich nur Folianten, Bücher als Vanitas – Darstellungen vorkommen, umgeben noch von einer ablaufenden Uhr und einem Federkiel wie in einem anonymen Gemälde aus Madrid um 1639 mit dem Titel „Bücherstillleben“, das ist schon ungewöhnlich: Darin drückt sich die für Spanien damals typische Verachtung der freien Forschung, der Vielfalt der Bücher und der umfassenden intellektuellen Schulung aus. Die Botschaft ist: Bücher sollten zugebunden bleiben und eigentlich nur staubige Masse sein.

In der Kunst duldete die Inquisition keine weiblichen Akte, eines der wenigen Akt-Gemälde ist die „Venus im Spiegel“ mit einem nackten Rücken. Von Velázquez gemalt, 1644, offenbar für einen privaten Sammler.

Die Künstler Spaniens ordnen sich den fast immer kirchlichen und königlichen Auftraggebern unter; die allmächtige Kirche, sie ist von der Steuerzahlung befreit und durch Geschenke usw. sehr reich, auch in den Klöstern, steht noch im Glanz da. Und die Mönche bestellen etwa bei Zurbaran immer die selben Motive … der Kreuzigung und der Heiligen.

Entscheidend ist: Durch die Inquisition war das Themenspektrum der Kunst äußerst eingeschränkt. Das sagen alle Historiker. Und trotz dieser Einschränkungen wurden noch schöne Bilder geschaffen.

Aber im ganzen gesehen, das ist ein unbezweifelte Tatsache: Es herrschte im „siglo de oro“ die Stagnation. Manche sagen: Nicht das Goldene, sondern das Eisenerne Zeitalter war bestimmend..

Aber von dem Niedergang, ökonomisch, gesellschaftlich, geistig im Spanien des 17. Jahrhunderts ist in den Werken des siglo de oro eigentlich nicht so viel zu spüren. „Die Bilder von Velazquez verraten selten etwas von den Kämpfen seiner Zeit, der sich immer mehr verschlechternden Lage Spaniens, den Sorgen von König und Volk…. Keine der Tragödien seiner Zeit tritt in Velazquez Werk zutage. Was sich ihm, Velazquez, darstellte, ist STOLZ, und zwar Stolz als Lebensform“. (in: Velazquez und seine Zeit, TIME-Life 1972, Seite 135.

Mit Stolz könnte man auch sagen: EHRE, in der Sicht der anderen geehrt werden, wie dies Juan Goytisolo auch schreibt, als einer Grundhaltung „der“ Spanier.

2. Spanien im 17. Jahrhundert

Es gibt in dem Roman von Miguel de Cervantes (1547 bis 1616), Don Quijote, bereits das Wort vom Goldenen Zeitalter, allerdings bezogen auf eine Erzählung: Der Protagonist lässt vor Ziegenhirten eine Lobrede auf die glücklichen Zeiten halten, „welche die Alten die goldenen Zeiten genannt haben“. Damals habe es keine sexuelle Zudringlichkeit gegeben, und die Erotik sei nur von der Neigung und dem freien Willen der Beteiligten abhängig und keinem äußeren Zwang unterworfen gewesen. Die eigene Gegenwart meint Cervantes jedenfalls damit nicht.

Das Wort vom goldenen Zeitalter ist ein Titel, der im Rückblick formuliert wurde, wenn man in noch schlimmeren Zeiten auf dieses 17. Jahrhundert schaut.

Wie war die gesellschaftliche Situation? Seit 1492 sind die Muslime „endgültig“ vertrieben. Das Land ist muslimfrei, sie leben unter ständiger Kontrolle als die zwangskonvertierten Moriscos. Zu Begin des 17. Jahrhunderts wurden sie vertrieben und nach Nordafrika zurückgebracht.

Die Juden in Spanien mussten zum Katholizismus übertreten, wenn sie in Spanien bleiben wollten. Aber wenn sie konvertieren, begegnen ihnen die so genannten Altchristen voller Misstrauen, das sieht man am Beispiel der Heiligen Theresia von Avila. Von Theresa von Avila wurde jetzt ein Zitat entdeckt, das treffend auch die frauenfeindliche Mentalität in der Kirche ausdrückt: „Dir, Gott, hat vor den Frauen nicht gegraut“. Dieses Wort wurde dann von der Inquisition geschwärzt, es war diesen Herren nicht möglich zuzugestehen, dass Gott vor den Frauen nicht graut… (Dies ist übrigens der Titel eines Buches über “Mystikerinnen in der Christentumsgeschichte”, 2016, Kohlhammer Vl.).

So entwickelt sich seit dem 15. Jahrhundert eine merkwürdige Haltung unter den etablierten, alt-christlichen und sich rassistisch für blutrein haltenden „eigentlichen Spaniern“. Der Geist der Muslime wird prinzipiell verachtet, weil sie in ihrem Alltag sexuell freizügig lebten, meint man. Jedenfalls lassen die Katholiken in Granada nach der Muslim-Vertreibung gleich alle Badehäuser schließen. Auch die Wissenschaft wurde von vielen Muslimen betrieben, für die Altchristen in Spanien gilt Wissenschaft als muslimisch, sie wurde auch deswegen als freie Forschung abgelehnt. Bildung soll keine große Achtung haben. Forschung auch nicht. Die Inquisition bestimmt das ganze geistige Leben mit ihren Verboten. Es ist eine Zeit der Intellektuellen-Feindlichkeit. Juan Goytisolo weist darauf hin,  dass der Ruf der Faschisten unter Franco „Nieder mit der Intelligenz, es lebe der Tod“ (S. 64) ein „Echo ist der altchristlichen Spiritualität, die im 16. Jh. das spanische Leben prägte“… Schon unter Philipp II. wurde die Wissenschaft verachtet. „Niemand kann nur halbwegs gründlich die schönen Wissenschaften pflegen, ohne dass sogleich ein Haufen Ketzereien und jüdische Mängel entdeckt werden“, sagt der Sohn des Generalinquisitors Rodrigo Manrique. (in Goytisolo, S 38). Im “Goldenen Jahrhundert” schreibt der Jesuit Baltasar Garcian in einer bei ihm seltenen politischen Deutlichkeit über seine Gegenwart: „Die Philosophie ist außer Ansehen gekommen… die Wissenschaft der Denker hat alle Achtung verloren, eine zeitlang fand sie Gunst bei Hofe, jetzt gilt sie für eine Ungebührlichkeit“. (Handorakel, S. 55, Nr. 100)

Und die Juden waren die guten Geschäftsleute und die Händler: Aus anti-judischem Ressentiment lehnen die Altchristen für sich selbst Handel und Wirtschaft ab. Man darf ja nicht als „Jude“ erscheinen, das wäre gegen die Ehre… Also sind die „blutreinen“ altchristlichen Spanier nur Ritter, nur Adlige, nur Klerus und Mönche, und eben die Armen in den Städten und den Dörfern, die kaum das Nötige zum Überleben produzieren. Dies ist eine Zeit der selbst verursachten ökonomischen und geistigen Lähmung. Es war, noch einmal, eine rassistische Zeit, es wurde Wert gelegt auf die Reinheit des Blutes

Der Verlust so vieler tausend Moriscos und der Maranen führte auch zu einer wirtschaftlichen Katastrophe: Kenntnisreiche Händler und Handwerker fehlten. So geht es eben einer Regierung und einem König, der der Stimmung des Volkes folgt und Rassismus in die eigene Politik bestimmend übernimmt.

Nebenbei: Als Judenchristen von der Inquisition verfolgt und verbrannt wurden, hat man deren Besitz vonseiten der Inquisition sofort übernommen. Was die Nazis später taten, hatte also historische Vorbilder.

3. Wer vom goldenen Jahrhundert spricht, muss auch vom realen Gold sprechen, das den Ureinwohnern Amerikas von den Spanien geraubt wurde.

Alles Gold und Geld, das aus den so genannten Vize-Königreichen Lateinamerikas kam, wurde für die vielfältigen Kriege ausgegeben. Viel Gold ging unterwegs in die Hände der Seeräuber und der „bandoleros“ zu Lande.

Nur ein Hinweis, dass in dieser Zeit einer theologischen Verirrung durch die Inquisition und den Eroberungs – bzw. Missionierungsgedanken doch einige vernünftige und ziemlich authentische Christen lebten. Erinnert werden soll nur an den Dominikaner Mönch Bartolomé de Las Casas.

Er bezeichnet in seinen öffentlichen Predigten die Spanier seiner Zeit, im 16. Jahrhundert, als Götzendiener. Er sagt: „Die Spanier haben Gold zu ihrem Gott gemacht“, so in Gutierrez, S. 22. Dort wird auch Christoph Columbus erwähnt, er sagte: „Das Gold ist das wertvollste aller Güter. Wer es besitzt, hat alles, wessen er in dieser Welt bedarf wie auch die Mittel, um die Seelen vor dem Fegefeuer zu bewahren und sie in die Freunde des Paradieses zu schicken“. (auch Gutierrez, S. 25)

Die Stimmen, die sich gegen das Abschlachten und Ausnutzen der Indianer wehrten und für eine menschenwürdige Behandlung der Indianer eintraten, wie Pater Bartholome de la Casas, wurden zwar offiziell am Hofe Karl V. angehört und humanere Behandlungen der indianischen Völker wurden auch befohlen. Aber in den Vizekönigreichen Lateinamerikas folgten die Conquistadores nicht diesen Weisungen. Das Morden und Ausbeuten der Indianer nahm kein Ende.

Zu Mord und Totschlag ein Beispiel aus der frühen Zeit der sogen. Entdeckung: Die geschätzte Einwohnerzahl in Westindien betrug 9 Millionen im Jahr 1520. Und es war eine Million Einwohner übrig geblieben im Jahr 1570. (Gutierrez, Gott oder das Gold, S. 10.)

 Sehr wichtig und bislang nahezu unbekannt: Es gab einen „Indianer“ in Peru, ein Mitglied des Volkes der Quechua, sein Name: Felipe Guaman poma de Ayala. (Gutierrez, S.13), er lebte von 1535 bis 1615. Kurz vor seinem Tod hat er ein umfangreiches Buch auch mit vielen Bildern, Skizzen, fertig gestellt, an dem er lange daran gearbeitet hat. Er spricht als Augenzeuge, der „alle Schrecken dieser Christen“ gesehen hat. Er hat erlebt, was die Armen leiden. Er wendet sich an die Leser in Spanien. „Diese spanischen Übeltäter verschlingen mein (“indiansches”) Volk. Mir selbst als Christen will es scheinen, dass ihr Spanier euch allesamt zur Hölle verdammt (Gutierrez S.15). Und noch einmal: „Mit ihrer Gier nach Gold sollen die Spanier in die Hölle fahren“ (Gutierrez S.189) Das heißt: In der Sicht einiger Theologen und der indianischen Völker selbst ist das spanische Reich ein gottloses Reich, trotz aller zur Schau gestellten Frömmigkeit. Das siglo de oro ist ein gottloses Zeitalter in der Sicht aufgeklärter Christen schon damals! Und es ist, klassisch-theologisch gesprochen, eine Art Blasphemie, wenn mit dem erbeuteten Gold, den indianischen Völkern entrissen, dann in den spanischen (aber auch lateinamerikanischen) Kathedralen, Kirchen und Klöstern die Bilder des leidenden Christus, etwa im Rahmen,  vergoldet wurden. Mit verbrecherisch erworbenem Gold wollte man Gott ehren, die Kirche in goldigen Glanz setzen und die Frömmigkeit fördern.

4. Ein Hinweis zur Philosophie im Goldenen Zeitalter: Baltasar Gracian (1601-1658).

Er war ein Jesuit, der ohne Erlaubnis seiner Ordensoberen z.T. unter Pseudonym, kurzgefasste Lebensweisheiten für den erfolgreichen Mann seiner Zeit schrieb. Dieses Büchlein, das “Handorakel”, sollte man als Dünndruckausgabe stets bei sich als Lebenshilfe haben. Ich meine: Das Handorakel war so eine Art ANTI-Evangelium und ANTI-Bibel mit Grundsätzen, die dem Geist der universalen Nächstenliebe eher widersprechen. Das Handorakel des Baltasar Gracian war eines seiner meist gelesenen Bücher: Allein 10 verschiedene Ausgabe und Übersetzungen in Deutschland…

Baltasar Gracian war auch kurze Zeit als Prediger, auch am Hof von Madrid, tätig. Er wollte den Menschen ein erfolgreiches Leben aufzeigen mit 300 relativ kurz gefassten Lebensregeln, die er in seinem Buch von 1647 darstellt. Den Wahn der Welt zu erkennen ist das Motto des pessimistischen Denkers.

Er schreibt also Vorschläge und Weisungen seines klugen Denkens, wie man sich möglichst klug erfolgreich durchs Leben schlägt; wie man weltgewandt wird und sich zu behaupten weiß; wie man sich verstellen lernt und sich durchsetzen, wie man im richtigen Moment abwarten muss und vorsichtig agiert, nur nicht zu viel von sich selbst sagt, auch aus Angst vor der allmächtigen Inquisition. Freundschaft wird gelobt, aber es wird eher ein Grundmisstrauen gegenüber den anderen empfohlen.

Das Leben des Menschen ist, so Gracian, milicia, ist Kampf, und wir klugen Menschen sind umgeben von der malicia, der Bösartigkeit, der anderen. Nur Raffinesse ist dem gewachsen!

Gracian wurde von seinem Orden bestraft, bestraft, eingesperrt, weil er seine Werke nicht vor Drucklegung den Oberen zur Kontrolle gezeigt hatte.

Gracian hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem auch den Roman „El Criticon“, der viel beachtet wird auch von konservativen Kreisen noch heute.

Ein Hinweis nebenbei: Es gibt etwa in der „Bibliothek des Konservatismus” in Berlin, Fasanenstr. Nr. 4, zahlreiche Ausgaben des “Handorakel”, sie stehen wahrscheinlich in der Bibliothek irgendwo im Umfeld der 33 mal dort versammelten Ausgaben von „Mein Kampf“ und dem „Mythos des 20. Jahrhunderts“ und eben… etwa der „Jungen Freiheit“… Äußerst konservative Denker haben sich für ihr autoritäres Denken immer wieder Gracians bedient…

Der Jesuit Dominik Terstriep hat sich in seinem Buch „Indifferenz“, 2009 erschienen, mit Gracian kritisch auseinandergesetzt (dort Seite 123 ff). Eine kleine Rarität in der Theologie der Gegenwart!

5. Zu Cervantes

Auch Cervantes war betroffen vom Kulturdirigismus und der Inquisition. Er studierte bei dem Humanisten Juan Lopez de Hoyos, vielleicht auch bei Jesuiten in Vallodolid. Er zitiert Cristobal de Fonseca aus dem Augustinerorden. Er wurde als Seefahrer gefangen genommen und nach Algerien gebracht, im Gefängnis von 1575 bis 1580, dort Gedichte geschrieben von Mönchen des Trinitarier-Ordens losgekauft.

Es gibt in Don Quijote gelegentlich auch eine starke Darstellung von Predigten, der Ritter und sein Knecht Sancho halten sich, so wird deutlich, durchaus für Theologen.

Auch bei Cervantes gibt es diese typische Angst: Er sparte seine Kritik für bessere Zeiten auf. „Der kluge Mann spart sich für bessere Gelegenheiten auf, so Don Quijote. II 28, 934, ähnlich wie Gracian. Tatsächlich hatte die Inquisition auch Cervantes verdächtigt, er würde den Ideen von Erasmus anhängen. Die Inquisition ließ diese Stelle nicht durchgehen, wo eine Herzogin zu Sancho sagt: „Und Ihr, Sancho, mochtet daran denken, dass die Werke der Nächstenliebe, die lau und nachlässig vollzogen werden, kein Verdienst nach sich ziehen und gar wertlos sind“. (II 36).

Und weiter: „Unseren Herrgott soll man um seiner selbst willen lieb haben, ohne an Himmel und Hölle zu denken“, so wird von Mariano Delgado zitiert in: „Don Quojote für Theologen“. Dies war ein ketzerisches Postulat der Mystiker, Gott um seiner selbst willen zu lieben, ohne dabei immer gute Werke tun zu müssen.

Nebenbei: Die Religion am Hofe war sehr vom Aberglauben durchsetzt, durchaus mit so genannten heidnischen Praktiken, etwa, wenn dem kranken Sohn von Philipp IV. Amuletten angelegt werden, damit er bloß gesund bleibt.

6.Eine systematische Überlegung: Das Goldenes Zeitalter: In der Frühzeit oder in der Zukunft?

In der Dichtung Ovids und in vielen Mythen ist die goldene Zeit die Vergangenheit: Eine paradiesische Zeit, in der eben alles stimmte, alles schön und gerecht war, so, wie es Ovid in den Metamorphosen beschrieb, als der ersten glücklichen Ur-Zeit, in der die Gerechtigkeit herrschte und die Menschen von sich aus und ohne gesetzlichen Zwang das Gute und Rechte taten („Aurea prima sata est aetas“ …so beginnt der Text). Die eigene Gegenwart wurde dann von Ovid als die eiserne Zeit der Härte und des Zwangs beschrieben. Bei Ovid gibt es vier Zeitalter dort, es beginnt mit gold, also mit Frieden und Gerechtigkeit, geht über zu Silber, dann das erzürnte Zeitalter, dann zum Schluss das eiserne Zeitalter. Scham, Wahrheit und Treue verschwinden, es herrschen Betrug als auch List als auch Hinterhalt und Gewalt und die verbrecherische Liebe zu besitzen (=Geiz) nach.

Die Mystik, die christliche, neigt dazu, die gute Zeit in die Vergangenheit zu legen, in die zeitlose Ewigkeit bei Gott: Dort strebt die Seele, die ihren göttlichen Funken entdeckt hat, dort, in der Urzeit, erlebt sie die Erlösung, als Austritt aus Geschichte, als ewiges Sein in Gott.

In der Bibel wird im Buch des Apokalypse, der Geheimen Offenbarung, ganz am Ende, im 21. Kapitel, das neue Jerusalem als Ort der Verheißung beschrieben, Die Stadt war aus reinem Gold, heißt es da in Vers 18. Das ist die neue Welt. In der aller Schrecken beendet ist. Goldene Zeitalter also in der Zukunft. Dort gibt es keinen Tempel (der Juden) mehr. In der Zukunft wird die unmittelbare Gottesbegegnung geben.

Es wäre der Kritik am Gold im AT weiter nach zugehen, in den Psalmen etwa: „Die Götzen sind Silber und Gold; der Fromme liebt Gottes Gebote mehr als Gold“.

Geschichtsphilosophisch sehr interessant ist, dass es seit dem Mittelalter, etwa in Joachim von Fiore, später dann im 16. Jahrhundert durch Thomas Morus, die goldene Zeit als die zukünftige Zeit entwickelt wird. Als Utopie der menschlichen Welt, die dann auch gemacht werden kann von den Menschen. Utopie ist sozusagen ein Aufruf zur Tat. Das goldene Zeitalter wird eher wahrgenommen als Geschenk, als zufälliges Glück, etwa viele Künstler um sich zu haben. Konservative Denker weisen bis heute die Utopien ab, weil in der Utopie immer die kritische Negation der Gegenwart mitgemeint ist, wie Ernst Bloch, der Philosoph des „GEISTES der Utopie“ meint. Schon bei Thomas Morus, in seiner UTOPIA von 1535, ist Sozialkritik in großer Schärfe dargestellt. Anstelle des Egoismus wird eher für die Gütergemeinschaft plädiert.

In Berlin spricht man von den goldenen Zwanzigern, die Jahre 1924 bis 1929, die so goldig für alle Berliner, besonders für solche, die arbeitslos im Schatten der Hinterhöfe lebten, ja nicht waren. Politisch war alles sehr schwankend, das kulturelle Leben in bunter Vielfalt, die Nacht wurde zum Tage, neue Eleganz, Luxus, an der wenige teilhatten.

Das Wirtschaftswunder, einige Jahre nach der Beendigung des Holocaust, also in der Erhardt-Ära, Kanzler von 1963 -66) wird wegen des Wirtschaftsaufschwungs (bei bleibenden Schweigen über die Nazi-Verbrechen) auch golden genannt. Politisch eher ein unaufgeklärtes, die Vergangenheit verleugnendes Zeitalter!

7. UNSER persönliches goldenes Zeitalter:

Irgendwann hat jede Nation und sicher auch jedes Individuum das Verlangen, eine bestimmte reale Zeit in der eigenen Geschichte als das goldene Zeitalter oder das goldene Jahrhundert, el siglo de oro, festzulegen. Eine Zeit, meist in der Vergangenheit, in der eben alles stimmte, alles schön und gerecht war.Vielleicht ist es die (schöne !) Kindheit?

Es ist merkwürdig, wenn Künstler und Intellektuelle, die in der DDR in einer Nische der versteckten, aber sichtbaren Opposition lebten, heute sagen: „Nie war die DDR vielgestaltiger als während ihrer Auflösung von Innen heraus, so Wolfgang Engler, heute Rektor der Schauspielschule Ernst Busch. „im Gedächtnis derer, die daran teilhatten, war dies die beste Zeit“ (Tagesspiegel 15. 7. 2016).

8. Ein kritischer Hinweis zum Schluss:

Die Ausstellung „el siglo de oro“ befindet sich in der Gemäldegalerie in ständiger Berührung und Sichtweite zur allgemeinen, wunderbaren Dauerausstellung. Ich bin kurz vor Ende der Spanien-Ausstellung schnell mal zu den alten Meistern der Holländer ausgewichen. Und ich muss sagen: Es war dort für mich eine Art Befreiung, ein Aufatmen, das reale Leben von armen, vor allem bürgerlichen Menschen in Holland auf den Genre-Gemälden zu erleben. So viel Alltag, so viel Menschlichkeit, so viel Lachen und Freude und Staunen und Lesen und Saufen und Prügeln usw. Das ist doch der Alltag. Im „el siglo de oro“ hat kein Heiliger gelacht. Nur ständig diese Christus-Leichname, die Kreuzigungen, die (Selbst) Quälereien von Heiligen, dieses Blut, die Wunden.

Warum kam kein die Kunst finanzierender Klerus damals auf die Idee, den Jesus der Bergpredigt malen zu lassen, wäre doch ein tolles Motiv gewesen; oder den Jesus, der die Händler aus dem Tempel rausschmeißt; der Wunder wirkt am Sabbat natürlich als Gesetzesbrecher; der die Tischgemeinschaft liebte, der mit den Frauen so freundlich-erotischen Umgang pflegte und so weiter und so weiter. Die kirchlichen Auftrageber liebten das Leiden und das Blut und den Tod. Diese Kunst, diese Blut-Kunst der Leichname und Sterbenden, von der Kirche finanziert, ist in dieser Einseitigkeit in meiner Sicht häretisch und theologisch falsch im eigentlichen Sinne: Sie wählt einige wenige Aspekte aus dem Leben Jesu aus, die Geburt mit der Jungfrau, und immer wieder das Kreuz … und die Mönche und die Heiligen, die sich als Sünder geißeln und permanent – angeblich – Buße tun. Der Klerus stellt sich in den Mittelpunkt. Diese Tradition des leidenden, Blut triefenden Christus lebt bis heute in der semana santa. Manche Fromme oft wohl krankhaft fromm, lassen sich selbst heute noch bei diesen volksreligiösen Folklore-Veranstaltungen ans Kreuz nageln. Auf den von spanischer Frömmigkeit bestimmten Philippinen ist das noch üblich. Da staunen die Touristen… Jedenfalls ist in meiner Sicht die absolute Dominanz der Kreuzesdarstellungen und des sterbenden, verstorbenen Jesus, verheerend für ein wirklich umfassendes Verstehen des Christlichen. Dass heute so viele Menschen damit nicht mehr so viel zu tun haben, kann ich verstehen. Zeigt uns doch den ganzen Jesus von Nazareth, könnte eine Forderung heißen.

Noch einmal gefragt: Was bringt also die Ausstellung „El siglo de oro“? Sie zeigt zweifellos wunderbare Porträts von Menschen, wunderbare Charakterstudien der oft depressiven oder dummen Herrscher (Philipp IV. und Karl II.) oder der Leute am Hof . Über allem aber steht ein Schatten der Trauer, wenn nicht der Verzweiflung. Natürlich auch darüber, dass dieses “allermächtigste Königsreich”, das bis nach Lateinamerika und bis auf die Philippinen seine Macht ausgedehnt hatte und mit millionenfachem Mord an den sogen. Indianern sich finanziell zunächst bestens stabilisiert hatte, eben doch sich übernommen hatte in den Kriegen. Es war zudem an der eigenen wirtschaftlichen Unfähigkeit gescheitert. Aber auch dadurch, dass man in Spanien keine bürgerlichen Freiheiten gewährte und Wissenschaft und Forschung verhinderte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, blieb Spanien ein weithin klerikal bestimmtes eher unbewegliches, starres Land.

9. Ein aktueller Hinweis zur weiteren Debatte: Was vermag Kunst in einem Staat der Repression?

Die Kunst des “siglo de oro” war, wenn, dann nur andeutungsweise schwach, kaum politisch-kritisch. Die kritische Haltung konnte sich kein Künstler leisten, Cervantes deutet eine solche Haltung in seinem Don Quijote an.

Hingegen: Ein Hinweis auf eine heute wirkmächtige, Politisches tatsächlich verändernde Kunst: Vom 16. Juli bis 26. September 2016 gibt es im Martin Gropius Bau eine empfehenswerte Ausstellung über die oppositionelle Kunst in der DDR. Ihr Titel: „Gegenstimmen“.

Der totalitäre Herrschaftsanspruch konnte sich in der DDR eben nicht total durchsetzen, es gab von Künstlern erkämpfte freie Räume, zwar bescheiden, aber gegen Mitte der 1980 Jahre wachsend. Das waren Künstler, die nicht mehr auf sozialistische Reformhoffnungen setzten, wie der Kurator der Ausstellung, Paul Kaiser, schreibt. „Die Künstler folgten nur ihrer eigenen Erfahrungswelt, sie propagierten eine Generaldistanz, die sich nicht mehr um die Erweiterung eines künstlerischen Vokabulars, sondern um eine gänzlich neue Semantik bemühte… dadurch trug die Bohème auf ihre Weise zu innenpolitischen Destabilisierung der DDR bei.“ … „Diese Künstler sind leider fast vergessen“. Es gibt bis heute eine Verblendung, eine Ignoranz, „eine vampiristische Konsequenz westdeutscher Sinngebungsinstanzen“, wo wird Christoph Tannert von Paul Kaiser in „Museumsjournal“, 3/2016 Seite 53, zitiert.

Die Voraussetzung für diese so mutige Kunst: In der DDR gab es immerhin doch eine schwache Pluralität, trotz der dominanten Einheitspartei: Es gab die Informationen usw. aus dem Westen via Radio und Fernsehen; es gab immerhin die Kirchen, vor allem die sich nicht ins Getto versteckende evangelische Kirche, und es gab eben die Künstler, die Schriftsteller, die Filmemacher, die Musiker, die alle, trotz Stasi-Präsenz, ein Stück Freiheit eroberten. Diese Ideen waren dann die Kraft, das Regime, selbst schon ökonomisch am Ende, 1989 zum Sturz zu bringen.

Solche Konstellationen gab es in dem total vereinheitlichten, von Angst vor „den anderen“ zerfressenen katholischen System im Goldenen Zeitalter Spaniens nicht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Literatur zum Umfeld: Goldenes Zeitalter in Spanien

Gustavo Gutierrez, Gott oder das Gold. Der befreiende Weg des Bartolomé de Las Casas. Herder Verlag, 1990.

Bartolomé de Las Casas: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. herausgegeben von Michael Sievernich, Inselverlag, Frankfurt/Main / Leipzig 2006.,

Sehr zu empfehlen, bewegend: Reinhold Schneider: Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit. 8. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000 Ersterscheinung 1938, nach der 1. Auflage von den Nazis verboten, dann wieder 1946 erscheinen)

Baltasar Gracian, „Hand Orakel und Kunst der Weltklugheit“. Fischer Taschenbuch, 2008. 7 Euro. Ein philosophischer Ratgeber für ein erfolgreiches Leben.

Martin Franzbach, Cervantes, Reclam Heft, 80 Seiten. 1991. Sehr zu empfehlen.

Über den wichtigen kritischen Schriftsteller aus dem Quechua Volk mit Namen Waman Puma de Ayala (ca. 1535 bis 1615) liegen meines Wissens auf Deutsch keine Studien vor. „Es ist das reichhaltigste und umfassendste Dokument, das uns aus der Epoche der ‘Besiegten der Eroberung’ überliefert ist“, so Bernard Lavallé in Hdb.d.Gesch.Lateinamerikas, Bd.1, S.514

Informativ auf Deutsch wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Waman_Puma_de_Ayala#Literatur

Auf Deutsch eine Einführung zu Felipe Guaman poma de Ayala: http://sammelpunkt.philo.at:8080/2226/1/Fr%C3%BChmann_Poma-de-Ayala.pdf

Grundsätzlich zu Spanien im allgemeinen und en passant auch zum Goldenen Zeitalter: Juan Goytisolo, Spanien und die Spanier. Taschenbuch, viele Auflagen. 11 Euro. Suhrkamp.

Die AFD – ihre Widersprüche, ihr Zorn. Ein philosophischer Hinweis.

Zugleich eine begründete Meinungsäußerung von Christian Modehn

Philosophisch gesehen ist es evident: Wer sich selbst in seinen verbalen Äußerungen (sie sind bekanntlich immer Ausdruck des eigenen Denkens) widerspricht und die allgemeinen, für alle geltenden Gesetzen der Logik ignoriert, der lebt nicht-konsistent, der zeigt sich zerrissen, doppelbödig, widersprüchlich. Deswegen sollten solche Leute eigentlich ihre nicht-konsistenten Äußerungen korrigieren; es sei denn, sie wollen esoterische Weisheiten verbreiten, die nur Eingeweihten zugänglich sind. Damit gehören sie zu einer kommunikativ „abgekoppelten“ Sekte.

1. Sprechen, falls logisch, ist der Allgemeinheit verpflichtet

Leute, die in politischen Debatten bewusst logische Inkonsistenz zeigen und praktizieren, sind im sonstigen Leben  zumeist – notgedrungen von der Lebenspraxis – doch logisch konsistent. Sie benutzen wie alle anderen technische Geräte, verwenden im Alltag die allgemeinen üblichen Begriffe, um sich bei anderen verständlich zu machen. Aber sie schützen ihre politische Haltung vor der Logik, werfen Nebel um sich, bleiben bewusst unpräzise, wecken Ahnungen, wenig Einsicht. Logik hat immer mit Allgemeinheit zu tun.

2. Gilt die These: AFD gehört nicht zu Deutschland, aber AFD-Wähler durchaus“?

Die Führer der AFD behaupten als zentrale These, die so einfach klingt und deswegen so viel Wirkung erzielt in Kreisen, die gerne ohne lange nachzudenken autoritären Sprüchen folgen: Diese AFD Kernthese also heißt: „DER Islam gehört nicht zu Deutschland. Aber damit (so wird beschwichtigend gleich hinzugefügt, CM) ist nichts gegen einzelne Muslime gesagt“. Diese Aussage darf man nicht schnell übergehen wie es viele Journalisten tun, sondern eben auf seine Konsistenz prüfen: Gemeint ist nämlich: Die einzelnen Muslime dürfen bei einer Zurückdrängung und dann wohl auch bei einem Verbot DES Islam durchaus hier weiterleben. Sie dürfen wohl privat ihren Koran lesen und nicht nach außen hin erkennbaren Moscheen auch beten.
Diese These ist irrig und falsch: Der einzelne religiöse Mensch, eben auch ein Muslim, kann ohne den institutionellen Rahmen seine Religion, also ohne Gemeinde, ohne Lehrer, ohne Pfarrer wie auch immer, nicht als solcher leben. Auch der einzelne fromme Muslime, den die AFD ja freundlicher nicht vertreiben, sondern leben lassen will, braucht logischerweise die islamische Institution. Er braucht, wenn man den von der AFD verwendeten pauschalen Ausdruck verwendet, DEN Islam.

Zur weiteren Klärung des Problems: Die AFD Führer sollten sich mit dem Satz als “Gedankenspiel !”  auseinandersetzen, der der gleichen (un)logischen Struktur folgt: Der Satz heißt: „Die Partei AFD passt nicht zu Deutschland. Hingegen kann das einzelne AFD Mitglied und der einzelne AFD Sympathisant durchaus in Deutschland leben”.  Kann man AFD-Mitglied sein, ohne Bindung an die AFD-Führer, ohne Verbindung zur AFD Institution? Eher wohl nicht.

3. Ohne Islam gäbe es kein Europa, ebenso ohne Judentum und ohne Humanismus gäbe es kein Europa.

Zur üblichen und schon floskelhaften Beschwörung „des“ christlichen Abendlandes durch die AFD Führer: Da wird das christliche Abendland nur als polemischer Gegen-Begriff zum verhassten Islam verwendet. Diese Ideologie des gepriesenen „Abendlandes“ beruht auf historischer Unkenntnis: Wesentliche Erkenntnisse verdanken die Abendländer der intellektuellen Leistung des Islam, etwa in der Zeit von al andalus. Die Philosophie des Aristoteles (kaum zu überschätzen für die Entwicklung des modernen Europa) oder die Grundlagen der Medizin usw. verdanken „wir“ „dem“ Islam. Und das Abendland war also nie „nur“ christlich, sondern verdankt den muslimischen Gelehrten viel, und das Abendland ist auch noch humanistisch, seit der Renaissance. Und es ist jüdisch geprägt, die Zehn Gebote sind bekanntlich jüdischen Ursprungs, die Prophetische Rede von Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen ist jüdisch. Europa ist auch jüdisch. Diese zweifelsfreie Erkenntnis wird von AFD Leuten und deren Führern nicht genannt. Und Journalisten sollten in ihren Interviews – zwischen den Zeilen – auf das hören, was von AFD nicht gesagt wird. Und wer „das Christentum“ authentisch verstehen will, weiß, dass die Liebe zum Fremden zum KERN des Christentums gehört. Wer sich zum christlichen Abndland bekennt, bekennt sich automatisch zur Liebe gegenüber den Fremden und Flüchtlingen. Wenn die AFD dieses authentische Christentum nicht mag, und vieles spricht dafür, dass sie es nicht mag, dann sollte sie wie Herr Gauland (AFD) ehrlich sein und sagen: „Wir von der AFD sind nicht christlich, sondern heidnisch“

Nebenbei: Zwar utopisch, aber möglich: Es könnte ja sein, dass eines Tages AFD Leute auch irgendwo als Fremde im Ausland auftauchen und um Asyl bitten: Was machen sie dann, wenn sie im Zufluchtsland hören: „Die AFD passt nicht in unser Land“.

Immanuel Kant hat, immer logisch völlig überzeugend, empfohlen zur Überprüfung der eigenen ethischen Haltung sich selbst zu fragen: „Ist meine Maxime (“Der Islam gehört nicht zu Deutschland”) als Gesetz für alle möglich?“ Kant hätte diese genannte Maxime als Unsinn und Irrsinn zurückgewiesen.

Also noch einmal: Die Führer der AFD haben vom Christentum keine Ahnung, sie bedienen sich des „Christlichen Abendlandes“ nur, um ihre ANTI-Islam-Haltung polemisch und dem Scheine nach ein bisschen hübsch- freundlich und fromm zu kaschieren. Es gibt keine Wertschätzung des christlichen Abendlandes bei den AFD Führern. Das ist ideologische Propaganda. Frau von Storch hätte – als explizite Pro-Life-Verteidigerin – am liebsten auf Frauen und Kinder an der Grenze geschossen (wurde später von ihr irgendwie revidiert und wie immer von der „Lügen-Presse falsch verstanden).

Politische Gegner werden Feinde, und in der AFD selbstverständlich – so lange „man“ noch nicht an der Macht ist – bloß bedrängt usw. In der FPÖ hingegen wurde nach dem knappen Wahlsieg des Demokraten Alexander van der Bellen gesagt: „Na wartet ab, wenn wir FPÖ Leute erst mal die Macht haben, dann, ja dann…”  wird’s keine Demokratie mehr geben, möchte man sinngemäß fortsetzen. Der AFD Philosoph Marc Jongen hat in einem Interview mit der „ZEIT“ (vom 25. Mai 2016, Seite 42 im Feuilleton, nicht in der ZEIT Rubrik Politik, auch seltsam …) frei und offen das demokratische System –etwa Österreichs – MORSCH genannt. In Österreich habe man noch alle Ressourcen gegen die FPÖ zusammengekratzt, „bevor es (das System) um so eindrucksvoller (eben morsch) einstürzen wird“. Zu der Aussage vom Zusammenbruch des angeblich morschen demokratischen Systems wird von den Journalisten nicht weitergefragt….Später wird AFD Jongen noch in der ZEIT sagen, dass aufgrund eines deutschen Passes niemand automatisch Deutscher sein sollte. Wie denn sonst? Offenbar ist in der Sicht des AFD Jongen ein Deutscher nur, wer sein deutsches „reines Blut“ nachweisen kann. Das führt gedanklich in die Nähe von 1933 usw ist meine Meiungsäußerung. Und wenn die demokratische Legislative der Bundesrepublik das Gesetz verabschiedet hat, dass mit dem deutschen Pass jemand Deutscher ist, dann ist an diesem Rechtsverhältnis NICHTS zu deuteln. Genau diese demokratische Überzeugung aber will die AFD aushebeln.

4. Das diffuse Plädoyer für den Zorn. Zugleich ein Hinweis zum Thema Sloterdijk und die AFD

Ein neuer, klug klingender Begriff taucht unter AFD Führern oft auf, der Begriff “Thymos”, der gern von der AFD-Philosophen mit „Zorn“ übersetzt wird. Dabei ist diese enge Bedeutung eher selten, Thymos heißt eigentlich im Alt-Griechischen Gemüt und Lebenskraft, nur selten Leidenschaft und Zorn.

Aber seit dem Buch „Zorn und Zeit“ mit dem Untertitel „Politisch-psychologischer Versuch“ (erschienen bei Suhrkamp, 2006) wird viel von Thymos und der wichtigen Rolle des Zorns im „(deutschen) Volk“ schwadroniert, auch in den Kreisen der intellektuell noch etwas interessierten AFD Führung. Sloterdijk ist in seinen Thymos-Reflexionen von 2006 von Francis Fukuyama angeregt worden, der schon 1989 (!) den Begriff einführte in seinem Buch „Das Ende der Geschichte“. Marc Jongen, der AFD-Philosoph, zeigt in dem ZEIT Interview vom 25. Mai 2016 Verständnis für die rebellische Form des Thymos : „Wenn die Regierung den Bürgern von oben etwas aufdrückt, dann kommen notwendigerweise rebellische Energien noch“. Und es ist im Zusammenhang klar, dass er mit den „rebellischen Reaktionen“ die AFD Aktionen und wohl auch Pegida Attacken meint. Denn er fährt fort: “Wäre es denn wünschenswert, wenn es gar keine Abwehrreaktionen gäbe?“ Da wird wieder nicht nachgefragt: Denn mit dem eher noch ein bisschen freundlichen Wort „Abwehrreaktionen“ sind wohl auch Attacken gegen Flüchtlingsheime und Drohungen gegen demokratisch gewühlte Politiker gemeint. Dabei wird von Jongen indirekt behauptet: Nur die AFD (bzw. wohl auch Pegida) gestalten die richtigen Abwehrattacken gegen die Demokratie, die „von oben etwas aufdrückt“, so Jongen. Demokratie wird in diesen undemokratischen Kreisen bereits als etwas erlebt, das „von oben aufdrückt“…

Die in der AFD verhassten Linksradikalen („sie reißen alle Grenzen ein“, so wörtlich Jongen) gelten in der AFD als „verirrte Abkömmlinge des Christentums“, sie sind die eigentlichen Übeltäter. Warum? Weil sie das deutsche Volk und die deutsche Nation in ihren Grenzen nicht mehr lieben. Volk und Nation werden wieder zum Maßstab von anständig und unanständig. Man erinnere sich bitte …

Jongen ist zwar im ZEIT Interview ein bisschen sauer, dass Sloterdijk offenbar die AFD kritisiert. Der Sloterdijk Assistent, wohl ein intimer Kenner seines einstigen Meisters, meint dann aber doch glücklich: „Mein Eindruck ist, dass seine, Sloterdijks, Äußerungen zur Flüchtlingskrise so fern zu dem nicht stehen, was ich sage und was auch die Position der AFD ist. Und das ist letztlich wichtiger und auch wirksamer (!) als seine oder meine persönlichen Befindlichkeiten“. Mir ist nicht bekannt, dass Sloterdijk sich gegen diese Einbeziehung seines Denkens zur Flüchtlingsfrage in die AFD Ideologie öffentlich gewehrt hat.

Auf diese aktuelle Bedeutung des Sloterdijkschen Thymos-Begriffs weist jetzt Ijoma Mangold in DIE ZEIT vom 2. Juni 2016, Seite 37, hin. Der ZEIT-Journalist zeigt in seinem sehr lesenswerten Artikel, dass AFD und Pegida gern vom „Ausnahmezustand“ sprechen, als dem Moment, wo die geltenden Gesetze der Demokratie eben nicht mehr gelten und eben besonders Berufene, eben die AFD etc., in tiefster Not zur Rettung des Volkes die Macht ergreifen. Mangold schreibt: „Sie (die AFD Leute) sprechen gern vom Ausnahmezustand, denn der beendet qua Gewalt die (angeblichen, in der AFD Sicht) bloß künstlich-abstrakten Rechtsverhältnisse. Der Ausnahmezustand, der Ausbruch des Volkszorns (also Thymos, siehe Sloterdijk), ist der feuchte Traum aller Rechten. Der Vordenker der neuen Rechten, Götz Kubitschek, spricht vom Ernstfall. Marc Jongen, Solderdijks Assistent bis vor kurzem, bezeichnet das mit dem griechischen Begriff Thymos und fügt hinzu, dass es sich dabei hoffentlich um einen gerechten Zorn handelt“. (Vielleicht irrt diese AFD/Pegida-Masse auch in ihrer Wut, rechnen damit AFD Führer?

Man sieht, wie dieser schwammige und diffuse Thymos Begriff und diese Thymos, also Wut Ideologie, durch Sloterdijk 2006 verbreitet, Wirkungen im rechtslastigen Lager hat. Auch Martin Lichtmesz, ein rechter Ideologe, sprach nach der Wahl des Bundespräsidenten in Österreich im Mai 2016 diese verschwommen-drohenden Worte: „Ein Freund meinte, sein Thymos Spiegel wäre gerade am Platzen“ (Heißt das, er wäre bereit, seinen Zorn öffentlich auszutoben?) “Der Rekurs auf den Volkszorn ist immer eine verhohlene Gewaltanwendung. Wenn dem Volk erst mal der Geduldsfaden reißt, dann schützen euch eure Schein-Wahlergebnisse auch nicht mehr“: Mit diesen Worten fasst Ijoma Mangold die Thesen der Thymos-Besessenen neu rechten Ideologen zusammen.

5. Nietzsche wieder einmal der Meisterdenker ganz rechts

Es wäre wichtig, erneut auf das allen rechtslastigen und populistischen Zorn stimulierende Buch „Zorn und Zeit“ von Sloterdijk näher einzugehen. Schon dieser Titel hat ja für Philosophen einen gewaltigen Anspruch, er erinnert an Martin Heideggers grundlegendes Werk „Sein und Zeit“ (1927). Heidegger wollte den Sinn von Sein aus der Zeit verstehen. Sloterdijk will jedenfalls hohe Ansprüche wecken und möchte wohl unsere Zeit im Horizont des Zorns neu lesen oder, wer weiß das schon genau bei der Unschärfe der Formulierungen, den Sinn von Zorn aus unserer Zeit verständlich machen… Sloterdijk lobt den Thymos im Blick auf die frühe griechische Mythologie: Homers Thymos-Lehre wird freundlich zugestimmt, von den mythischen Helden ist die Rede, die zum Hüter des Zorns auserkoren sind. Und Heidegger wird fiktiv in das Thymos-Geschehen eingereiht: Sloterdijk legt dem Meister aus Messkirch die vielleicht sogar treffenden thymotischen Worte in den Mund: “Auch kämpfen heißt danken“ (S. 24). Nebenbei: Heidegger konnte (dem Sein) danken, dass er nur am Schreibtisch “kämpfen” musste in seinem antisemitischen Wahn ab 1933… Aber man könnte den Satz auch allgemeiner verstehen: Der thymotische Mensch kämpft also für seine Sache und ist dankbar, dass er kämpfen, also auch töten und ausmerzen kann. Für Sloterdijk hat die platonische Philosophie (leider) „die Austreibung des großen (!) Zorns aus der Kultur“ begonnen… O ihr Helden des Homer, möchte man weiter fantasieren, was wart ihr doch für thymotische Kämpfer. Ihr hattet wenigstens noch den „Mannesmut“ (so Sloterdijk, S. 26) und wart nicht in die furchtbaren (menschlichen) „demuts-trunkenen Subkulturen” versackt, „in denen schöne Seelen sich (in der Demokratie, CM) gegenseitig (bloß) Friedensgrüße schicken“(so Sloterdijk, S. 31). O ihr thmyotischen und mythischen Kämpfer, möchte man im Sinne Slotderdijks weiter schwadronieren, ihr hieltet – den Göttern sei Dank – nichts von Frieden und Friedensgrüßen….Kein Wunder also, wenn Sloterdijk explizit den Egoismus lobt als „die beste der menschlichen Möglichkeiten“. (Seite 31).

Und dann kommt die zentrale Aussage. Sie zeigt Sloterdijks meist in der Schwebe belassene, oft aber auch offene Vorliebe für Nietzsches radikales „Reformatorentum“, wie er sagt. Dieses bedeutet für Sloterdijk: Nietzsche vollbringt eine wertvolle Leistung, er schafft neue, eben “nicht-metaphysische, nicht-christliche moralische Gesetze” (so Sloterdijk in seine Buch „Philosophische Temperamenten, 2009, Seite 116f.). Sloterdijk schreibt in „Zorn und Zeit“: „Erst Nietzsche hat in dieser Frage wieder für klare Verhältnisse gesorgt“. Das heißt im Sinne des Übermenschen, wie es Nietzsche in seinen sehr späten Werken lehrte, etwa im „Antichrist“ (verfasst 1888) heißt es gleich am Anfang: „Die Schwachen und Missratnen sollen zugrunde gehen: Erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen (den Schwachen und Missratnen) noch dazu helfen, zugrunde zugehen. Was ist schädlicher als irgendein Laster? Das Mitleiden der Tat mit allen Mißratnen und Schwachen – das Christentum…“

Aber solche unmittelbaren Nietzsche-Zitate erspart sich Sloterdijk in seinem Plädoyer für den Egoismus „als der besten Möglichkeit“. Er lässt mit großen Worten und großer Geste vieles schön schwammig und ahnungsvoll offen. Marc Jongen etwa, der AFD Philosoph, versteht seinen Meister in Karlsruhe. Jongen sagt: „Es wäre abwegig zu meinen, der Zorn (Thymos) haben seine besten Zeiten bereits hinter sich“. Also:Der Zorn gegen das angebliche „morsche demokratische System“ wird bald stärker werden.

Sind Demokraten nun noch mehr gewarnt? Oder versuchen demokratische Politiker jetzt, bloß um zu verhindern, dass die AFD die Mehrheit erlangt, die AFD ihrerseits zu imitieren und Forderungen der AFD zu übernehmen? Man hat stark diesen Eindruck in der Flüchtlingspolitik jetzt, Juni 2016. Offenbar fehlt den Politikern und den Bürgern der demokratische Thymos. Und es fehlt das Bewusstsein, dass Politik eben auch etwas mit Moral und Menschenrechten zu hat.

6.Nietzsche -ein philosophisch-politischer Schwerpunkt ab sofort 

Die bisherigen Hinweise machen deutlich: Die so freundliche, so wohlwollende Rezeption zentraler Behauptungen des Spätwerkes Nietzsches zur neuen In(Un)-Humanität durch die neue Rechte, auch durch die AFD, angefeuert durch die eher undeutlichen Aussagen Sloterdijks zu Nietzsche, muss weiter bearbeitet werden. Nietzsche ist „am Kommen“, das ist keine Frage. Er ist ohnehin schon der Meisterdenken der Nouvelle Droite, die es bekanntlich seit 1970 in Frankreich gibt; es ist Nietzsche, den die extreme Rechte in ihre eigene Weltanschauung als Chefdenker eingliedert.

Dabei darf es nicht bleibe: Als erste Einführung zur kritischen Nietzsche Lektüre empfehle ich in dem Buch von Vittorio Hösle „Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie“ (C.H.Beck Verlag, München, 2013), das Nietzsche Kapitel mit dem Titel „Die Revolte gegen die universalistische Moral“ (Seite 185-207). Nietzsche und mit ihm seine Freunde und Deuter heute in der AFD und anderswo, so die Erkenntnis, wehren sich gegen die universalistische Moral, also gegen die allgemeinen und für alle (auch für Flüchtlinge) geltenden Menschenrechten. Es wird ein Regime etabliert von wertvollen und weniger wertvollen Menschen, die Ideologie der Herrenmenschen.

7.Wer wird die universalen Menschenrechte verteidigen?

Es geht also heute an erster Stelle für alle Demokraten darum, dass nicht noch die Geltung der Menschenrechte ertrinkt, untergeht und verschwindet. Dies zu debattieren hat absoluten Vorrang, auch in den Kirchen. Aber wie kann eine multinationale Organisation, wie die römische Kirche, im Ernst die Menschenrechte verteidigen, wenn sie in sich selbst, in ihrer eigenen Struktur, die Menschenrechte und damit die Demokratie nicht realisieren will (weil Gott es nicht will, wie es im Vatikan fundamentalistisch heißt..). Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat der Vatikan bekanntlich NICHT unterzeichnet. Alle netten, menschenfreundlichen Aktionen von Papst Franziskus sollten auch in diesem Licht gesehen werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.
Dieser Beitrag ist eine begründete Meinungsäußerung.