Gott im Ukraine-Krieg. “Wenn es Gott gäbe, hätte er die Tragödie, die die Ukrainer erleben, nicht zugelassen“.

Religionsphilosophische Überlegungen zu einer Aussage von Oksana Ivanets, Oberstleutnant der Ukrainischen Armee. Publiziert im „Tagesspiegel“ am 8. Mai 2023, S. 10.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9. Mai 2023. Die 13. der “unerhörten Fragen”.

1.
Jede und jeder kann seinen Glauben frei aussagen. Das ist selbstverständlich. Aber jedes individuelle Glaubensbekenntnis, bezogen auf eine göttliche Wirklichkeit, auf Gott, kann und sollte philosophisch befragt werden. Gedankliche Klarheit kann das Leben nicht nur erleichtern, sondern helfen, es neu und besser zu gestalten.

2.
Die totale Verzweiflung Okasana Ivanets ist verständlich: Die Region um die bedeutende ukrainische Stadt Charkiw wurde von den russischen Truppen aufs übelste fast völlig zerstört, selbst Krankenhäuser mit ihren PatienTinnen wurden vernichtet. Menschliches Leben ist in den Ruinen nicht möglich. Die Felder sind von russischen Minen übersät, die Aufräumarbeiten werden viele Jahre dauern. Es ist schwer für die Menschen (nicht nur dort), überhaupt noch Hoffnung zu bewahren. Und dann wird von den oft noch frommen UkrainerInnen die Frage gestellt: Warum hat Gott dieses Grauen, dieses sinnlose Töten der russischen Mörder, nicht verhindert? Oksana Ivanets hat offenbar den Glauben an einen allmächtigen, treu sorgenden Gott verloren.

3.
Wer Gott als einen allmächtigen, immer wieder aktuell Wunder wirkenden und ins Weltgeschehen eingreifenden Gott versteht, wie offenbar Oksana Ivanets, kann an diesem Gott verzweifeln. Und wird damit neue Antworten suchen zu der nicht abzuweisenden Frage: Was ist der Sinn dieses Grauens, dieses Mordens, dieses Krieges. Eindeutige, sozusagen mathematisch unbedingt beweisbare Antworten kann es zu diesem philosophischen Thema nicht geben.

4.
Es kann aber gefragt werden: Wie sinnvoll ist es, eine göttliche Wirklichkeit, einen Gott, für das Kriegsgeschehen verantwortlich zu machen. Die grundlegende ERKENNTNIS ist: Ein solches Denken lenkt ab von der Verantwortlichkeit der Menschen, der Politiker vor allem, für diesen Krieg … wie für alle Kriege, die jemals von verblendeten Menschen in ideologischem Wahn geführt wurden. Und genauso wichtig: Wer Gott als Täter – parteiisch – im Krieg will, folgt einem, mit Verlaub gesagt, naiven Gottesbild. Es wurde von den Kirchen und ihren alten Dogmen zwar mit dem Inhalt vermittelt: „Gott handelt”. Aber es wurde nicht gesagt: Gott handelt nur durch die freie Entscheidung der eigentlich vernünftigen Menschen,

5.
Lassen wir also Gott in dieser konkreten politischen Frage beiseite. Fragen wir nach den Menschen, vor allem den Politikern, den Machthabern, in diesem brutalen Geschehen. Denn sie sind, die Kriege planen, Kriege ausführen, Männer als Soldaten, als Kanonenfutter, in die Schlacht schicken, sie sind es, die vom Schreibtisch aus mit Bomben humanes Lebens auslöschen.
Es sind also konkrete Menschen mit konkreten Namen, so genannte Politiker, die dieses Grauen ausrichten. Die politischen Täter (Verbrecher) wurden aber zugelassen in ihrem Tun von Politikern der benachbarten oder ferneren Staaten. Diese haben aus Mangel an kritischer Kraft, aus Bequemlichkeit, aus ökonomischen Interessen die sich aufbauenden Mörder-Politiker (etwa in Russland) zugelassen.

6.
Es ist also menschliche Dummheit, politische Nachlässigkeit, ökonomische Gier, die auch unter demokratischen Politikern den langsamen Aufbau politischer Gewalttäter wie in Russland zugelassen haben.

7.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, gegen die Freiheit, gegen die Demokratien und Menschenrechte ist also eindeutig Schuld der Menschen. Und Schuld der Politiker, die von diesen Menschen, selbst oft unkritisch, gedankenlos, egoistisch, nationalistisch, gewählt wurden. Diese Leute und die von ihnen gewählten Politiker sind nicht der besseren Einsicht gefolgt, haben im Falle Putins nicht rechtzeitig STOP gesagt und gewaltfreie Aktionen und Sanktionen gegen ihn eingeleitet. Dass eine Gestalt wie Putin und sein System so übermächtig gewaltsam werden konnten, verweist auch auf das völlig unterentwickelte demokratische Bewusstsein in Russland. Die orthodoxe Kirche wurde seit 1990 nie eine Kraft, die die Verteidigung der Menschenrechte genau wichtig fand ihre Weihrauch umwölkten stundenlangen Liturgien in altrussischer Sprache. Dieser Kirche war und ist Dogmatismus und Nationalismus wichtiger als die Ausbildung des Volkes in den Menschenrechten. Und diese russisch-orthodoxe Kirche ist seit 1961 Mitglied im „Ökumenischen Weltrat der Kirchen“ in Genf: Aber diese Theologen aus aller Welt dort ist es offenbar nicht gelungen, diesen russischen Patriarchen und Popen die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte als obersten Auftrag einer jeden sich christlich nennenden Kirche einzuschärfen. Stattdessen hat man sich in Genf theologisch hübsch ausgetauscht, und statt auch von Russland bzw. damals der Sowjetunion kritisch zu sprechen, hat man im Ökumenischen Weltkirchenrat eher von Südafrika geredet, was ja richtig war, aber eben einseitig. Die Nachlässigkeit im Umgang mit den russischen Patriarchen sieht man jetzt. Und Papst Franziskus sieht sich so stark, dass er unbedingt Patriarch Kyrill I. In Moskau treffen und „bekehren“ will. Eine Aktion, leider verspätet. Zu vieles wird versäumt…

8.
Damit sollte klar sein: Gott ist nicht schuldig am Morden und Grauen im Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Demokratien. Was hätte Gott denn vom Himmel aus Tun sollen? Mit einem göttlichen Blitz etwas den Kreml auslöschen oder den Patriarchen zum Christentum führen sollen oder was? Wenn man schon von Gott redet, sollte man wissen: Das Göttliche hat als Schöpfer der Welt (als einem evolutiven Geschehen !) den Menschen Geist und Verstand gegeben, also die einzigartige Möglichkeit, in reflektierter Freiheit das Leben, auch die Politik, zu gestalten. Diese Freiheit vollzieht sich immer in einer inneren, geistigen Reflexion, die man klassisch Gewissen nennt. Kriege sind Ausdruck dafür, dass Menschen, dass Politiker, nicht auf ihr Gewissen achten, also nicht auf die Stimme der allen Menschen gemeinsamen humanen Vernunft hören.
Nebenbei: Was wäre wenn die aktuellen Gebetswünsche der Russen „Gott hilf, dass wir die Ukraine auslöschen“, von Gott erfüllt würden? Wie parteilich darf Gott eigentlich sein, in diesem naiven Gottesbild?

9.
Kriege sind also Menschensache, und damit eigentlich zu verhindern, wenn denn Menschen auf ihre Vernunft achten, auf Ihr Gewissen, und achtsam reagieren, wenn sich in dieser Welt Gewaltherrscher etablieren. Aber viele Menschen in den Demokratien sind ja froh über diese Fehlentwicklungen, dann können sie den Gewaltherrschern und ihren Regimen Waffen verkaufen… Und Politiker können ihre nationalistischen Ambitionen ausleben. Alles das ist unvernünftiges, inhumanes Tun. Es hat aber mit Gott nichts zu tun. Es sei denn, man klagt ihn als „Schöpfer“ dieser Welt an, den Menschen überhaupt die Freiheit gegeben zu haben. Hätte der Mensch aber keine Freiheit, wäre er kein Mensch, sondern ein den eigenen Trieben folgendes Tier. Aber diese Tiere – ohne Freiheit – gehen ja mit anderen Tieren auch nicht immer freundlich um. Fressen und Gefressenwerden ist das Motto. Die Menschen aber sind eigentlich zu anderem fähig. Aufgrund ihrer Vernunft, ihres Gewissens. Aber beides „lieben“ die Menschen immer besonders, wenn Vernunft und Gewissen schlafen, stillgestellt sind…Und der Egoismus sich durchsetzen kann…

10.
Solange Friedenserziehung für Kinder und für Erwachsene in allen Ländern nicht Pflichtfach über mehrere Jahre ist, wird es immer wieder Kriege geben. Dies ist eine optimistische, vielleicht auch utopische Erkenntnis. Aber sie ist viel mehr wert als einen Gott fürs Kriegsgeschehen verantwortlich zu machen.

11.
Ist aber der Krieg einmal Realität, wie jetzt in der Ukraine, kann das stille und schreiende Gebet des leidenden einzelnen eine Hinwendung zu einer göttlichen Wirklichkeit sein, als Suche nach einem letzten spirituellen Halt, einem letzten Sinn „trotz allem“. Gebet ist also als eine poetische Form der seelischen Beruhigung und damit der reflektierten Akzeptanz des Geheimnisses menschlicher Freiheit. Was bleibt, wenn wir die Idee einer vernünftigen humane Weltordnung aus Resignation aufgeben?

12.
Befreien wir uns also davon, Kriegsgeschehen und Gott in Verbindung zu bringen. Aber die Frommen und die Weniger Frommen neigen immer wieder dazu. Jetzt wird etwa Gott in die furchtbare Trockenheit in Italien, Spanien, Frankreich einbezogen. Er, Gott als Wettergott ???, soll Regen schicken. Ein naiver Wunsch: Und ein Wahn. Es ist doch der fehlende Respekt der Menschen vor der Natur und vor allem vor dem Klima, der zu dieser gefährlichen Trockenheit führt. Anstelle von Regen-Bitt-Prozessionen sollte politische und ökologische Aufklärung in den Kirchen geschehen: Wie viel Wasser wird seit Jahren – durch schlechte Leitungen – vergeudet in den Obst-Plantagen im Süden Spaniens usw… Dies ist ein anderes, aber ähnliches Thema, das, nebenbei gesagt, zeigt, wie dringend kritische religionsphilosophische Überlegungen bleiben. Aber die Predigten der Pfarrer preisen nach wie vor einen Kriegsgott oder einen Wetter-Regen-Gott. Manchmal ist es zum Verzweigfeln mit der Unwissenheit und Dummheit des Klerus…

13.

Hat dann Gott/das Göttliche nichts mehr mit der Welt und den Menschen, den Ereignissen in der Welt etc.zu tun? In einer kritischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist die Antwort klar: Gott/das Göttliche wirkt als solcher/solches nicht unmittelbar als solcher. Da Gott/das Göttliche aber als “Schöpfer” der Evolution und des Menschen (und des menschlichen Geistes) gedacht werden kann, wirkt Gott/das Göttliche durch den von ihm geschaffenen GEIST, der Vernunft, der Empathie IM Menschen auch in der Welt etc.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der wahnsinnige Mönch als Künstler: Hugo van der Goes

Überlegungen zu dem Gemälde von Emile Wouters: „Hugo van der Goes“

Hugo van de Goes, Krank Wouters
Hugo van der Goes als kranker Mönch (im Vordergrund). Gemälde von Emile Wouters

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. Zum Gemälde:
Ein Mönch, am Rande des Wahnsinns, verstört, in sich geschlossen, so sitzt er angstvoll da. Umgeben von anderen Mönchen und einem Knabenchor mit Musizierenden. Ein einsamer Mönch, in tiefer Depression. Ein Mönch, der Suizidgedanken geäußert hat. Nun soll er musikalisch geheilt werden.

2. Ein peinliches Thema
Der seelisch schwer kranke Mönch: Nicht gerade ein häufiges Thema in der Kunst, nicht in der Literatur oder der Theologie. Eher ein peinliches Thema für die Oberen der Klöster und Bistümer bis heute.

3. Bemerkenswertes
Vieles ist bemerkenswert an diesem Gemälde des belgischen Künstlers Emile Wouters (1846 [Brüssel] – 1933 [Paris])
Das Gemälde (1872) führt in die spätmittelalterliche Klosterwelt des 15. Jahrhunderts.
Die leidende Person ist ein sehr bedeutender Künstler der Niederlande: Hugo van der Goes (um 1440 [Gent] bis 1482[Oudergem bei Brüssel]. Und er ist als angesehener Künstler, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er im Jahr 1475 in das Kloster der „Augustiner-Chorherren“ , das so genannte „Roode Klooster“ bei Brüssel, eintritt. Es galt als eher strenges „Reform-Kloster“ der sogenannten „Windesheimer – Kongregation“. Diese Kongregation besteht heute wieder, sie verweist aber auf der eigenen website nicht auf ihren berühmten Mitbruder.

4. Im Kloster die Askese pflegen
Hugo van der Goes lebte vor dem Eintritt ins Kloster recht üppig, er war Mittelpunkt der Kunstszene, ständig beschäftigt, seine Kunst war begehrt in den höchsten Kreisen, am Hof, auch in Italien. Er war hoch angesehen als „Dekan der Malergilde“. Aber nach dem plötzlichen Tod seiner innig Geliebten, berichtet Adolphe Wouters, (S.12, Fußnote 1) war er so tief verwundet und erschüttert, dass er sich aus der Welt zurückziehen wollte.
Weil er nicht mit der Frau verheiratet war, nahm in das Kloster auf. Hugo wollte dort eigentlich bescheiden als Laien-Mönch leben, also nicht als angesehener Priester. Aber das Kloster war so stolz, einen der bedeutendsten Künstler als Mitglied zu haben und gewährte ihm, dem eher untergeordneten Laien-Bruder die Teilnahme am Leben der höher gestellten Priester. Er durfte etwa in deren separatem Speisesaal essen. Und vor allem: Hugo konnte im Kloster weiter als Künstler arbeiten, dort hat er viele seiner berühmten und hoch begehrten Werke geschaffen. „Die Anbetung der Hirten“ (in einer Ruine wird Jesus geboren !) ist dort entstanden oder der „Tod Mariens“ (jetzt im Groeningen Musselin Brügge). Diese Gemälde zeigen, wie viele Goes-Arbeiten, Menschen in starker und durchdringender seelischer Anspannung.

5. Klosterleben als Krise
Diese Frage wird wohl bei der geringen historischen Kenntnis von Hugo van der Goes Leben nie geklärt werden: Ob ihm, dem spirituell Erschütterten und Suchenden, diese Bevorzugung im Kloster auch entsprochen hat. Vor allem: Ob der Eintritt ins Kloster also dem Künstler tatsächlich seelisch gut getan hat oder ob die schmerzlichen Erfahrungen des Verlustes seiner Geliebten „unbearbeitet“ blieben.

6. Suizid-Gedanken
Der Künstler – Mönch Hugo hatte sich 1481 in Köln aufgehalten und war dort und während der Rückreise ins Kloster seelisch zusammengebrochen. Er versuchte unterwegs, seinem Leben ein Ende zu setzen, berichten seine Begleiter. Im Kloster angekommen, wird der erkrankte Mönch von der Leitung seines Klosters betreut. Es gibt den Versuch, damals schon, die Idee, Musik als Therapie einzusetzen. Wie einst König Saul nach den Berichten des Alten Testaments vom Zitherspiel Davids (1 Sam 16,14-23) seelisch geheilt wurde, so erhoffte man sich auch Heilung von der Musik, im Gemälde Wouters ist auch der fürsorgliche Prior des Klosters Pater Thomas van Vossem zu sehen.

7. Musiktherapie
Hugo van der Goes wurde durch die Musik-Therapie und die Fürsorge im Kloster wohl ein wenig beruhigt, aber der Wunsch nach einem asketischen Leben war stärker. Er lehnte nun die übliche Bevorzugung im Kloster ab: Er nahm seine Mahlzeiten nun im Kreise der einfachen Laien-Brüder ein, die als schlichte Arbeiter für das Leben des Klosters und der entscheidenden betenden, studierenden Priester-Mönche sorgten.

8. Historisches
Ein Verwandter des Malers Emile Wouters, Alphonse Wouters, hatte 1872 die Schrift „Hugues Van der Goes, sa vie et ses œuvres“ veröffentlicht. Darauf bezog sich Emile Wouters. LINK 

Ab Seite 12 werden die Erinnerungen eines anderen Mönches, Gaspar Ofhuys aus Tournai (gestorben 1523), an Hugo van der Goes publiziert, es sind Überlegungen eines Mitbruders im Kloster, kurz nach dem Tod von Hugosgeschrieben, aber bis 1872 nicht veröffentlicht. Sie bieten wohl authentische Hinweise.

9. Ein Genie, dem Wahn verfallen?
Wurde Hugo van der Goes wahnsinnig oder depressiv, weil er ein Genie war, wie manche behaupten? Ich vermute aufgrund der Erlebnisse im Kloster wurde Hugo eher seelisch überfordert und zerrissen. Das gesuchte einfache Leben der Askese fand Hugo im Kloster jedenfalls nicht.

10. Ausstellung in Berlin
Die Ausstellung fast aller der wenigen erhaltenen Werke des Maler Hugo van der Goes werden in der Berliner Gemälde-Galerie (bis 16. Juli 2023) ausgestellt.

11. Religiöse Krise bei katholischen Künstlern
Im Mittelalter (und in der Barock-Zeit) widmeten sich die meisten Künstler äußerst häufig den klassischen christlichen Themen vor allem des Neuen Testaments, der Geburt Jesu, der Kreuzigung, der Auferstehung, der Himmelfahrt, dem Tod Marias, der Trinität mit der Taube als dem Symbol des nicht darstellbaren Heiligen Geistes.
Wer als Künstler immer auf diese Themen fixiert blieb, dazu gedrängt von den Aufträgen frommer, aber finanzkräftiger HerrschaftenDie „älteste Tochter der Kirche“ (etwa Kaiser Maximilian), musste der nicht bei dieser Monotonie der Themen irgendwie leiden, sich eingeschränkt fühlen: Immer dasselbe Thema malen in immer neuen Variationen. Es wurde in der Kunstgeschichte meines Wissens nicht untersucht, welche Belastungen Künstler in sich verspürten bei dieser gewissen Monotonie. Sie durften natürlich keine Kritik äußern, sonst wären sie – im Mittelalter – auf dem Scheiterhaufen gelandet.
Mit anderen Worten: Wenn sich Künstler, aber auch Literaten und Schriftsteller allzu deutlich verpflichten, immer wieder dieselben Themen der offiziellen Kirchenlehre darzustellen, können sie sich aufgrund der Monotonie des Themas, also der Übermacht des Heiligen und ineins des Leidens (Jesu am Kreuz) aus den Bahnen des gesunden Verstandes geworfen werden. Mystik und Wahn sind bereits ein Thema der Forschung, etwa am Beispiel der „Konvulsionäre“, der Frommen auf dem Friedhof von St. Médard in Paris im 18. Jahrhundert, die in der göttlichen Ekstase unter heftigen Zuckungen litten… Aber das Thema „thematische Monotonie“ (oder schädliche Routine) als krankmachendes Erleben wird bisher nicht auf Künstler, auf Maler, bezogen…
Welche große Befreiung geschah in der Renaissance, welch große Befreiung dann in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, als endlich das alltägliche Leben dargestellt wurde, freilich immer mit moralischem Fingerzeig!

Fußnote: (1)
Adolphe Wouters, „Hugo van der Goes. Sa vie et ses oeuvres“, Bruxelles 1872.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Bischof Jacques Gaillot: Abschied und Trauer

Gedenken auf der Place de la Bastille, in der Kirche St. Médard … und eine Bestattung auf dem Pariser Armenfriedhof!

Von Christian Modehn

Der Abschied von Jacques Gaillot, der von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1995 als Bischof von Evreux abgesetzt und „in die Wüste“ geschickt wurde, war für viele Menschen, seine FreundInnen, sehr bewegend. Nie zuvor hatten so ungewöhnlich unterschiedliche Menschen von einem Bischof Abschied genommen.
Am Mittwoch, dem 12. April 2023, ist Jacques Gaillot in einer Pariser Klinik gestorben. Weitere Informationen zu Jacques Gaillot LINK

Bischof Jacques Gaillot lebte viele Jahre bis zu seinem Tod im Haus der Ordensgemeinschaft der “Spiritaner” (“Väter vom heiligen Geist”) in der Rue Lhomond in Paris 5. Arr. Die dortigen Priester haben einen bewegenden Nachruf auf ihren Mitbewohner Gaillot verfasst, siehe  unten.

1. Jacques Gaillot – ein außergewöhnlicher Bischof der Moderne.

Bischof Jacques Gaillot, 2007, © René Peetermans, Wikipedia,
Bischof Jacques Gaillot, 2007, © René Peetermans, Wikipedia,

Die französische Presse hat an die Persönlichkeit dieses einmaligen katholischen Bischofs erinnert. Seine Qualitäten als Reformer der katholischen Kirche wurden dabei erwähnt. In der deutschen offiziellen Kirchen-Presse wurde er vor allem als „Helfer der Ausgeschlossenen“ gewürdigt, das war er sicher auch. Aber er war als Theologe ein mutiger Reformer der Kirche, er praktizierte die von ihm vorgeschlagenen Reformen selbst, wie schon 1988 die Segnung homosexueller Paare oder die Segnung wiederverheiratet Geschiedener oder die gelegentliche Abendmahls-Gemeinschaft mit Lutheranern, sehr früh schon forderte er als Bischof, Frauen zu PriesterInnen zu weihen. Als kein katholischer Bischof mehr mit dem ausgegrenzten Theologen und Psychotherapeuten Eugen Drewermann sprechen wollte, stellte sich Bischof gern dem Dialog mit ihm. Dass Gaillot ein ungewöhnliches Charisma hatte, auch der Präsenz im Fernsehen, ist wohl bekannt. Auf dieser website (LINK) wurde immer wieder auf die theologischen Reformen Gaillots hingewiesen. Über sein Engagement informiert bis heute die website www.partenia.org, LINK , die von Katharina Haller inspiriert und gestaltet wurde.

2.  Gedenken an der Place de la Bastille!

Gedenkfaier für Bischof Jacques Gaillot am 15. April 2023, Place de la Bastille, © Fred Accrorsi
Gedenkfeier für Bischof Jacques Gaillot am 15. April 2023, Place de la Bastille, Paris. © Fred Accrorsi

Die erste öffentliche Trauerfeier fand in Paris statt. Am Samstagnachmittag, dem 15. April 2023, fand eine Gedenkfeier und „Demonstration“ statt, sehr bewusst auf der Place de la Bastille, jenem berühmten Ort, an dem die Französische Revolution ihren „offiziellen Anfang“ nahm. Es sind also die Armen und Ausgeschlossenen, die Obdachlosen und Flüchtlinge, die als erste ein öffentliches Gedenken an Jacques Gaillot feiern!
Die Initiative zum „Gaillot-Gedenken“ ging von der französischen sozialen Bewegung „Droits devant“ aus. In ihrer Einladung zur Teilnahme am 15.4.2023 heißt es: „Jacques war für uns seit 30 Jahren die unerschütterliche, zuverlässige Unterstützung im Kampf der Menschen ohne Ausweise (ohne Papiere), der Flüchtlinge, der Wohnungslosen, er war auch der ständige Unterstützer des palästinensischen Volkes, auch unseres Kameraden Georges Ibrahim Abdallah…Ohne Fehl war auch sein Einsatz für die Geltung der Menschenrechte für alle und sein Einsatz gegen Formen des Ausschlusses aus der Gesellschaft…Die Erinnerung an Jacques, an seinen Humanismus, seine Brüderlichkeit, bleibt für immer fest verankert in unseren Herzen“.
Die Bewegung „Droits devant“ wurde von Bischof Gaillot zusammen mit Prof. Albert Jacquard und Prof. Leon Schwartzenberg und dem Autor Jacques Higelin begründet und inspiriert. Sie waren keine Katholiken, eher Skeptiker und Atheisten, aber unter ihnen fühlte sich Bischof Gaillot wohl.

Gedenkfaier für Bischof Jacques Gaillot am 15. April 2023, Place de la Bastille, © Fred Accrorsi
Gedenkfeier für Bischof Jacques Gaillot am 15. April 2023, Place de la Bastille, Paris. © Fred Accrorsi

Die Einladung zur Gedenkfeier an Jacques Gaillot auf der Place de la Bastille endet mit den Worten Senecas: `Leben bedeutet nicht: Warten, dass der Sturm vorüber geht; leben bedeutet vielmehr lernen, im Regen zu tanzen`. So war Jacques und so wird er für uns bleiben.“

2. Der Pariser Erzbischof zelebriert eine Messe
Die offizielle katholische Kirche (also die Bischöfe) hat sich von ihrem eigentlich ungeliebten Bischof Gaillot zunächst mit einer Messe in der Pariser Kirche St. Médard am 19.4. um 14.30 Uhr verabschiedet, der Gottesdienst wurde vom Pariser Erzbischof Laurent Ulrich geleitet. Ein Requiem wurde auch in Gaillots einstiger Kathedrale in Evreux (Normandie) gefeiert, am 21. April, unter Leitung des dortigen Bischofs Christian Nourrichard.

Man beachte: Ein winziger Wandel des Respekts für Bischof Gaillot zeigt sich also in der Teilnahme “offizieller” Bischöfe im Totengedenken. Als Jacques Gaillot von 1995 an in Paris lebte, suchte der arrogante, sehr konservative, sich allmächtig fühlende Kardinal Jean-Marie Lustiger von Paris (Intimus von Papst Johannes Paul II.) keinen Kontakt mit dem Bischof von Partenia, Jacques Gaillot. Sie wohnten nur wenige Straßen entfernt. Bischof Gaillot wurde zudem von der Bischofskonferenz ignoriert, er war ein Ausgeschlossener…Der Prozess der Absetzung als Bischof von Evreux 1995 im Vatikan war schon nach vatikanischen “Rechtsvorstellungen” ein Skandal.

Eine offizielle Rehabilitierung Bischof Gaillots durch den Vatikan, den Papst, die Bischöfe, fand NICHT statt, selbst wenn das manche JournalistInnen immer noch aus Unkenntnis behaupten. Es gab mit Papst Franziskus im Vatikan nur einen freundlichen Austausch mit Bischof Gaillot, mehr nicht!    Aber Jacques Gaillot blieb trotzdem mit der römischen Kirche im allgemeinen verbunden…(Siehe Fußnote 1 unten)

In Paris, St. Médard,  hielt die Predigt nicht der Erzbischof, sondern ein Pater des Klosters, in dem Jacques Gaillot viele Jahre in einem Zimmer lebte, es war Pater Franz Lichté aus dem Orden der „Väter vom heiligen Geist“ („Spiritaner“). Sein Thema war die biblische Erzählung vom „barmherzigen Samariter“. Die katholische Wochenzeitung in Paris „La Vie“ beschreibt die Messe dort als schlichte, einfache, ergreifende, aber durchaus „familiäre“ Feier. Leider war es für die Pariser schwierig, überhaupt von diesem „offiziellen katholischen Abschied“ zu erfahren. LINK.

Am 19. 4. wurde auch in Gaillots Heimatstadt St.Dizier (bei Langres) eine Gedenkmesse gefeiert.

3. Eine letzte Tat der Freiheit: Die anonyme Bestattung Bischof Gaillots
Die Bestattung ist ungewöhnlich und sicher bisher einmalig für einen katholischen Bischof, aber durchaus typisch für die Spiritualität von Jacques Gaillot: Er will auch als Verstorbener frei bleiben, ungewöhnliche, aber eigene Entscheidungen treffen und über seinen toten Körper noch frei verfügen.

Bischof Jacques Gaillot hat verfügt, dass sein toter Körper dem „Institut der Anatomie“ in Paris zur Forschung übergeben werden soll. Das hatte Bischof Gaillot schon in einem Fernsehinterview angekündigt. Die Reste seines Körpers sollen, in Asche verwandelt, anonym auf dem “Friedhof der Armen” in Paris verstreut werden.

4. Hommage à Jacques Gaillot am 4.Juni 2023

Am Sonntag, dem 4. Juni 2023 um 15 Uhr findet auf dem Platz Saint Germain des Prés in Paris (6. Arr.) eine öffentliche Ehrung Jacques Gailotts statt.  Der Titel der Veranstaltung “Eveque militant, Eveque des `Sans`” (Ein militanter Bischof, ein Bischof der Menschen OHNE…Wohnung, Passport, Rechte usw.) Eingeladen dazu haben viele Organisationen, wie die linke katholische Wochenzeitung aus der Résistance “Témoignage Chrétien”, Droits devant, Droit au logement und so weiter…Nach seiner Absetzung als Bischof von Evreux nannte sich Jacques Gaillot sehr treffend “ein Bischof ohne festen Wohnsitz”, sans domicile fixe, “SDF” war und ist die übliche Abkürzung für Obdachlose. Bischof Gaillot fand zunächst Unterkunft in einem besetzten Haus in der Rue du Dragon, ganz in der Nähe von St. Germain des Prés…

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

FUSSNOTE 1 zur Frage der offiziellen Rehabilitierung Bischof Gaillots durch den Vatikan, den Papst.

L’évêque contestataire d’Evreux reçu par le pape François 2015.
QUELLRE:
Ouest-France Modifié le 01/09/2015 à 19h48 Publié le 01/09/2015 à 00h00

Zeitung Ouest-France
Jacques Gaillot a été reçu mardi pendant trois quarts d’heure dans une atmosphère détendue par le pape François.

Mgr Gaillot a ainsi pu défendre la cause des divorcés, des homosexuels, mais aussi des immigrés.

L’évêque sanctionné en 1995 par Jean Paul II en raison de ses positions non orthodoxes, a raconté cet entretien, le premier qu’il a eu avec un pape depuis 1995 :

« Ce peuple attend beaucoup de vous »
!!!!!!« Je ne viens rien vous demander, ai-je dit au pape, mais tout un peuple de pauvres est content que vous me receviez, et se sent ainsi reconnu. Je lui ai parlé (…) de malades, des divorcés, des homosexuels. Ce peuple attend beaucoup de vous ».

Mgr Gaillot, 79 ans, en costume noir mais sans croix, a dit avoir été « déstabilisé » par l’accueil informel de François au Vatican : « J’étais dans un parloir de la Maison Sainte-Marthe (où réside le pape) et une porte s’ouvre : c’est le pape qui rentre, simplement. La réunion s’est passée de manière familiale, sans protocole. C’est vraiment un homme libre. À un moment il s’est levé et a dit : vous avez un photographe ? Comme il n’y en avait pas, nous avons pris (une photo) avec un (téléphone) portable ».

Relatant l’humour « sous-jacent » de François, Mgr Gaillot a raconté : « le pape m’a dit avec un sourire : je m’adresse à l’évêque de Partenia ».

« Continuez, ce que vous faites est bien »
En effet, le prélat français avait été relevé de ses fonctions à Evreux (centre de la France) et nommé évêque « in partibus » de Partenia en Afrique du Nord, un évêché n’existant plus, une manière de le sanctionner.

Dans le cours de la conversation, Mgr Gaillot lui a raconté comment il avait béni récemment « un couple de divorcés » et comment il lui arrivait « aussi de bénir un couple d’homosexuels ».

« Je suis en civil et je bénis. Ce n’est pas un mariage, c’est une bénédiction. On a le droit de donner la bénédiction de Dieu, on bénit bien des maisons ! Le pape a écouté, il est ouvert à tout cela. À ce moment il a rappelé que bénir, c’est dire du bien de Dieu à des gens », a précisé le prélat français.
Mgr Gaillot a rappelé qu’il était « exclu depuis vingt ans » et lui a fait valoir « que c’est un bon passeport que l’Église m’a donné. Il a ri ».
Alors que l’évêque expliquait qu’il « n’était plus invité par la conférence épiscopale », le pape n’a pas fait de commentaire. Il a simplement dit : « continuez, ce que vous faites (pour les exclus) est bien ».

« Je veux privilégier les petits pays en difficulté »
Cet entretien a eu lieu à la demande du pape François qui avait laissé pendant l’été deux messages sur le répondeur de l’évêque avant de lui écrire pour l’inviter au Vatican.
Mgr Gaillot s’était attiré il y a vingt ans les foudres du Vatican et de l’épiscopat français pour ses prises de position très médiatiques en faveur notamment des homosexuels et de l’ordination d’hommes mariés.
Pour l’entretien Mgr Gaillot était accompagné du curé de la paroisse Saint-Merri dans le quartier du Marais à Paris, Daniel Duigou.
Et le pape s’est félicité que le cardinal-archevêque de Paris, Mgr André Vingt-Trois, ait demandé à cette paroisse de se consacrer aux migrants, qui sont, a-t-il dit, « la chair de l’Église ».
« Quand nous lui avons demandé s’il viendrait en France, il a dit : vous savez, je veux privilégier les petits pays en difficulté, par exemple le Kosovo… », a encore raconté Mgr. Gaillot.
…..
Tageszeitung Le Monde:
 Le pape François reçoit en « frère » Mgr Gaillot
L’évêque français Jacques Gaillot, déchargé de ses fonctions en 1995 en raison de ses positions peu orthodoxes, a été reçu en privé au Vatican.

Par Cécile Chambraud
Publié le 02 septembre 2015 à 18h48, modifié le 02 septembre 2015 à 17h21
Le pape les a rejoints avec vingt-cinq minutes d’avance sur l’horaire prévu. C’est dans la Maison Sainte-Marthe, au Vatican, que François a reçu en privé, mardi 1er septembre, l’évêque français Jacques Gaillot, déchargé en 1995 de ses fonctions dans le diocèse d’Evreux (Eure) en raison de ses positions peu orthodoxes en faveur de l’ordination des hommes mariés, de la reconnaissance des homosexuels et du droit au blasphème, mais aussi contre les essais nucléaires.

L’entretien a eu lieu en français. « Nous sommes frères », a lancé Jorge Mario Bergoglio à l’évêque, qui était accompagné de Daniel Duigou, le curé de l’église Saint-Merry, à Paris. Le pontife argentin a fait mine d’être surpris d’apprendre que cela faisait vingt ans déjà que son interlocuteur épiscopal était officiellement évêque in partibus de Partenia, un diocèse d’Afrique du nord qui depuis des siècles n’a d’existence que de nom. « Cela fait vingt ans que je suis exclu », lui a répondu celui-ci. Peu après avoir été relevé de ses fonctions, en 1995, Mgr Gaillot avait été reçu par Jean Paul II. Dans un communiqué, le pape polonais avait rappelé « fraternellement à Mgr Gaillot qu’un évêque doit être un témoin fidèle de l’Eglise (…) et des orientations pastorales qu’elle donne ». « C’est la première fois que je rencontre un pape plus jeune que moi », a observé drôlement l’évêque de Partenia, âgé de 79 ans.

« On bénit bien des maisons, pourquoi pas des personnes ? »
« Je reste sous le charme de cette rencontre. Il nous a parlé familièrement. Il était à l’écoute. C’est un homme qui ne juge pas, qui n’essaie pas de recadrer », témoigne encore Mgr Gaillot, qui a dit à François qu’il était « un cadeau de Dieu pour le monde ». Il a été beaucoup question du prochain synode des évêques qui, en octobre, à Rome, débattra de sujets concernant la famille.
A Daniel Duigou, le pape a demandé ce qu’il répondait aux divorcés remariés qui souhaitent que l’Eglise trouve une manière de prendre en compte leur nouvelle union. « On les bénit, on les écoute », a répondu le curé parisien. Mgr Gaillot a ajouté qu’il lui arrivait de bénir des couples de même sexe : « On bénit bien des maisons, pourquoi pas des personnes ? ». Le prélat français a insisté sur les attentes de nombreux hommes et de femmes avant ce synode.
Il a aussi été question des migrants, que la paroisse Saint-Merry du père Duigou s’efforce d’accueillir. « Le pape nous a dit : les migrants sont la chair de l’Eglise », rapporte Daniel Duigou. « Il a dit : “Le Christ frappe à la porte de l’Eglise, non pas parce qu’il voudrait y rentrer, mais pour en sortir vers le monde. Il ne faut pas enfermer celui qui nous a libérés », ajoute Mgr Gaillot.
Cécile Chambraud

……..

Das Kloster der “Spiritaner”, der “Väter vom heiligen Geist”, einer kath. Ordensgemeinschaft, erinnert sich an Jacques Gaiilot:

A l’annonce de sa mort, l’émotion est grande chez les spiritains. Ses 24 années vécues en communauté à la maison-mère à Paris ont marqué les esprits et les coeurs. Plusieurs ont tenu à lui adresser un hommage fraternel.
“C’était un homme d’une densité incroyable. Ce qui retenait l’attention, immédiatement, c’était ce regard clair et transperçant, qui rejoignait la vérité de l’interlocuteur. Je me souviens surtout de cette retraite lors de la première année de responsable à Clamart, qu’il avait accepté de prêcher “exceptionnellement” disait-il… Une retraite ” Peuplée ” de toutes les rencontres et de toutes les expériences de vie qu’il résumait en un trait cinglant et dense. Tout comme ses courtes et richissimes homélies lors des messes du matin à la Maison Mère. Bon voyage Jacques !” Marc
“Que de beaux messages que je découvre avec cette nouvelle de l’entrée  de notre Grand Jacques dans la Vie en plénitude. Unanimité de nos mercis pour les fruits abondants que l’Esprit a fait jaillir en la vie de Jacques. Frère et confrère, grand priant relié inlassablement à la Source de vie pour devenir lui-même oreille attentive et cœur plein de tendresse. Frère vivant parmi nous “l’union pratique”, dans la proximité et une belle humilité. Un peu avant Laudato Si, pour Jacques, tout est lié et doit donc être relié, respecté et aimé. Quel long combat pour la justice et la paix en sillonnant le monde, en suscitant des liens et des amitiés profondes. Combat contre tout ce qui avilit l’humain et tout ce qui detruit la création.  Merci à tous nos frères qui ont pu être auprès de Jacques ces derniers jours et l’ont accompagné vers la Lumière, vers notre Grand Frère ressuscité, vers notre Père… Dans la tempête, Maître et Seigneur… vers d’autres rives tu nous conduis (et conduis Jacques) au souffle de l’Esprit.” Vincent

“À Dieu, Jacques, ce matin, j’apprenais que tu avais été hospitalisé pour un cancer et cet après-midi que tu es parti pour la maison du Père… Merci pour ta discrète présence toujours amicale et joyeuse lors de mes passages rue Lhomond, merci pour ta vie donnée et ton cœur simple et généreux et ton ministère de la solidarité envers les délaissés !” Jean Michel 
“Très cher Jacques, Tu a intitulé ton livre des entretiens avec Jean-Claude Raspiengeas “Je prends la liberté…” L’on voit bien que ce mot te tenait à coeur, j’allais dire faisait vibrer ton coeur. Liberté que tu désirais profondément non pas seulement pour toi-même, mais aussi et surtout pour tout être humain sur qui ton regard se posait. Tu étais du côté de l’homme, luttant avec lui de toutes tes forces pour la vie et donc la liberté. Vie et liberté étant pour toi une seule et même chose. En prenant la liberté (la vie) tu voulais la donner à toutes les personnes que tu rencontrais dans la rue (les migrants), dans les hôpitaux (les malades), dans les prisons (les prisonniers), qui manquaient dans une certaine mesure de liberté. Aujourd’hui, en la résurrection du Christ, Dieu t’offre en plénitude la liberté (la vie), non sans arracher de notre affection ton visage radieux que nous ne pourrons plus revoir, la douceur chaleureuse de ton âme que nous ne pourrons plus étreindre. “Ah ! Si Dieu était Dieu, bon et puissant, nous obligerait-il à cette peine des adieux ?” À Lui la Résurrection et la Vie : librement il s’est rendu solidaires de tous les enfers de nos vies. Qu’il t’en arrache aujourd’hui pour toujours. Avec toute mon affection et ma prière,” Jean Baptiste 
“Simple, humble, prêt à écouter, disponible.  Tu aimais que nous t’appelions Jacques au lieu de Monseigneur car tu voulais vivre et encourager les valeurs que tu portais. Que le Seigneur t’accueille dans sa demeure à la place qu’il a prévu pour toi.” Habib
“On n’a pas de mots assez denses pour parler de lui ! Il disait ce qu’il vivait et vivait ce qu’il disait ! C’était un frère dans tous les sens du terme…”Evarist
  • Jacques GAILLOT naît le 11 septembre 1935 à Saint-Dizier (Haute-Marne – 52), fils de négociants en vins, licencié en théologie et diplômé de l’institut de liturgie, est ordonné prêtre en mars 1961, après avoir été mobilisé 28 mois en Algérie.
  • De 1965 à 1972, il enseigne au grand séminaire régional de Reims.
  • Puis, de 1973 à 1977, il dirige l’IFEC (Institut de Formation des Éducateurs du Clergé, sous la responsabilité des évêques de France), tout en assurant un service pastoral à la paroisse Saint-Dizier de Langres. Il devient ensuite vicaire général, puis administrateur, du diocèse de Langres (52).
  • En 1982, il est nommé évêque d’Évreux, responsabilité qu’il va assurer jusqu’en 1995. Ses prises de position progressistes vont lui valoir une image d’évêque marginal, en conflit de plus en plus ouvert avec les positions morales de l’Église. Il est révoqué de sa charge à Evreux et nommé évêque de Partenia, évêché sans fidèles.
  • C’est dans notre communauté de la maison mère rue Lhomond, à Paris, que Jacques GAILLOT vient résider à partir de 1998. Il y demeurera jusqu’à l’été 2022 : le 6 juillet, il se retire à la Maison Marie-Thérèse (Paris 14 e ) qui accueille des prêtres âgés de la région parisienne.

Durant les vingt-quatre années de son séjour parmi nous, Jacques GAILLOT a gardé ses engagements propres, par exemple ses activités dans le cadre de l’association Droits Devant (en faveur des personnes sans papiers) et ses visites de détenus. Il a aussi participé fidèlement et très simplement à la vie et aux divers services de la communauté : repas, prière, service de la table, permanence à la porterie, visite des confrères hospitalisés, présidence de célébrations… À de nombreuses reprises, il a accepté d’animer récollections et retraites dans les communautés de la Province, d’intervenir lors de diverses rencontres. Grâce à ses relations multiples, il a contribué à mettre notre communauté de la Maison Mère en lien avec des personnes en difficulté ; si bien qu’à travers lui certaines de ces personnes ont pu être accueillies pour quelque temps dans notre maison. Sa présence parmi nous, à la fois fraternelle et stimulante, était unanimement appréciée.

La célébration de ses obsèques aura lieu le mercredi 19 avril à à 14h30 à Saint Médard, Paris 5e 

 

 

Freiheit – ist immer auch eine Freiheit FÜR andere: Lea Ypi.

Zur Philosophie der albanischen Autorin und Philosophin Lea Ypi
Ein Hinweis von Christian Modehn

Welcher Inhalt zum Begriff Freiheit zeigt sich für eine Frau, die ihre Kindheit und Jugend im kommunistischen Albanien erlebte?

1.
Die aus Albanien stammende Philosophin Lea Ypi hat ein viel beachtetes autobiographisches Sachbuch veröffentlicht. Der Titel: „Frei“. Der Untertitel: „Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“.
Lea Ypi, 1979 in Tirana geboren, beschreibt in dem Buch „Frei“ sehr ausführlich ihr äußerst beschwerliches Leben und das ihrer Familie und ihrer Freunde im „Sozialismus“ des Diktators Enver Hoxha. Die Zeit der so genannten „Transformation“ als mühevoller Abschied vom „Sozialismus“ wird aus subjektiver Sicht beschrieben. 1997 verlässt Lea Ypi das Land Richtung Italien, sie studiert zunächst in Rom, später u.a. in Paris, Berlin Philosophie und Literatur, seit 2016 ist sie Professorin an der angesehenen Universität „London School of Economics“.

2.
Die Geschichte des Mädchens Lea Ypi ist ein Ringen um Freiheit, wobei die Autorin nicht verschweigt, wie sie als Kind durch die Propaganda und Indoktrination in der Schule durchaus zu einem naiven Glauben an den Kommunismus fand und den Diktator – ehrfürchtig -„Onkel Enver“ nannte.

3.
Im expliziten Sinne philosophische Reflexionen zum Thema des Buches, also „Freiheit“, bietet das Buch vor allem im letzten Drittel.
Bedenkenswert etwa die Einsichten zu Widersprüchen im alltäglichen menschlichen Leben, etwa am Beispiel des Wunsches auszureisen, das eigene Land zu verlassen: Im Sozialismus wurde man verhaftet, wenn man ausreisen wollte. Im Kapitalismus ist der aus Albanien Ausreisende alles andere als willkommen, wie etwa in Italien, von dort wurden viele albanische Boots-Flüchtlinge wieder zurückgeschickt. Lapidar heißt es auf S. 199: „Welchen Wert hat das Recht auf Ausreise noch, wenn es kein Recht auf Einreise gibt?“ Und die Freiheit zu bleiben besteht auch nicht in Albanien damals (S. 200). Denn das Verbleiben im kapitalistischen Albanien bietet angesichts der Arbeitslosigkeit keine Lebenschancen. Weggehen oder Bleiben – beides bietet keine Lebenschancen.

4.
Zu denken geben die Reflexionen Lea Ypis zu zentralen politischen Begriffen: Die herrschenden Leitbegriffe der Lebensorientierung werden ausgetauscht. Der im Kapitalismus übliche Begriff „Zivilgesellschaft“ hat den sozialistisch – kommunistischen Begriff „die Partei“ ersetzt (S. 230). Zum Umfeld der „Zivilgesellschaft“ gehört für Ypi auch der Begriff „Liberalisierung“, der den Begriff „demokratischer Zentralismus“ abgelöst hatte“ (S. 231). „Privatisierung nahm die Stelle von Kollektivierung ein und Transformation die Stelle von Selbstkritik… Antiimperialistischer Kampf wurde durch Kampf gegen Korruption ersetzt“. (ebd.) Die Marktwirtschaft muss nun angekurbelt werden. (S. 261). Wie im Sozialismus gibt es also auch im liberalen Kapitalismus ein MUSS „Es gibt einen vorgeschriebenen Weg, der einzuhalten ist“ (S.261), sagt der Vater der Autorin, der nach dem Ende des Sozialismus Generaldirektor des Hafens wurde. „Er war weniger frei als er es sich vorgestellt hatte“ (S. 263). „Der Klassenkampf war nicht vorbei, das hatte der Vater begriffen!, (S.264), als er gezwungen war, aufgrund von so genannten neoliberalen „Strukturreformen“ (S. 242) Arbeiter im Hafen zu entlassen. Aber: Der Vater will sich die Namen der Entlassenen merken, er will sich stemmen gegen das Vergessen, er wehrt sich gegen eine Welt, in der Menschen nur noch als Zahlen in Statistiken vorkommen. Der Vater glaubt noch an ein Körnchen Güte in jedem Menschen.

5.
Entscheidend die Erkenntnis der Philosophin Lea Ypi: „Alle diese neuen Konzepte handelten von Freiheit, allerdings nicht mehr des Kollektivs – inzwischen ein Schimpfwort – sondern des Individuums“ (S. 231). Der einzelne steht nun absolut im Mittelpunkt der demokratisch – kapitalistischen Ordnung. Lea Ypi lässt keinen Zweifel daran, dass die Ideologie der Herrschaft des Individuums ergänzt und kritisiert werden muss durch die Erkenntnis: Freiheit ist immer auch Freiheit, FÜR andere und MIT anderen zusammen eine gerechte Gesellschaft zu schaffen.

6.
Es sind die Zweifel am Leben, an der Gesellschaft, am Staat, an der „Ordnung“ des Zusammenlebens überhaupt, die Lea Ypi zur Philosophie führen. „1990 hatten wir nichts außer Hoffnung gehabt; 1997 (dem Jahr des Krieges in Albanien aus ökonomischen Gründen) hatten wir selbst die Hoffnung verloren. Die Zukunft sah trostlos aus“ (S. 318). „Ich hatte nichts als Zweifel“ (S. 319).

7.
Als Philosophin zeigt Lea Ypi, dass der Mensch „trotz aller Zwänge nie die innere Freiheit verliert, die Freiheiten das Richtige zu tun“ (s. 323). Selbst im totalitären Kommunismus von Enver Hoxha war die Reflexionskraft der Eltern und der Großmutter noch schwach und ungebrochen da, sie wussten, wie sie in in einer Diktatur überleben konnten, etwa durch den Einsatz von Lügen gegenüber ihren Kindern bzw. Enkeln. Die Familie Ypi ist ein (seltenes) Beispiel dafür, dass Menschen, die sich die innere Freiheit der stillen Selbstreflexion bewahrt haben, selbst die stalinistische Diktatur relativ menschlich überleben können, ohne dabei mit dem Diktator zu paktieren.

8.
Lea Ypi verschweigt überhaupt nicht, dass sie sich als Philosophin und Autorin als Sozialistin versteht. Sie will sich die humanen Werte der sozialistischen Idee nicht nehmen lassen, nur weil so viele Diktatoren, sich sozialistisch nennend, nur auf autoritäre Herrschaft und Bereicherung bedacht waren. Mit dem üblichen westlichen Liberalismus kann Ypi wenig anfangen: „Ich setzte Liberalismus mit gebrochenem Versprechen gleich, mit der Zerstörung von Solidarität, mit dem Anspruch auf vererbte Privilegien und dem bewussten Ausblenden von Ungerechtigkeit“.

9.
Lea Ypi will im Sinne ihres umfassenden Verständnisses von Freiheit (Freiheit ist immer auch Freiheit FÜR andere sich einzusetzen) den Werten und Idealen des Sozialismus treu bleiben, sie will, wie wie ganz am Ende ihres Buches schreibt, „den Kampf fortführen“(S. 329). Aber, wie sie im Interview des SRF Fernseh-Interviews „Sternstunde Philosophie“ (am 18.9.2022) sagte, sie verstehe Marx auch mit den ethischen Prinzipen Kants.

10.
Aber was kann der Untertitel des Buches bedeuten? „Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“? Ist damit das Ende des albanischen Sozialismus bzw. Kommunismus gemeint? Oder nimmt Ypi ironisch Bezug auf ein Ende der Welt-Geschichte, das schon prominent verwendet wurden von dem us-amerikanischen Historiker Francis Fukuyama, der sein Buch 1992 „Ende der Geschichte“ nannte. Fukuyama behauptete: Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa und der Sowjetunion gebe es nur noch die Herrschaft der liberalen Demokratien. Dies käme dem Ende der Geschichte gleich, weil es nun keine Dialektik Ost-West mehr gibt. Diese Dialektik bewegte die Zeit, schuf Geschichte. Dieses Denkmodell „Ende der Geschichte“ bezieht sich auch auf die Hegel-Interpretation des Franzosen Alexandre Kojève. Er sagte, wie einige andere auch: Hegel meine tatsächlich, in seinem Denken an eine Art Endpunkt gekommen zu sein, und gezeigt zu haben, dass nun im Preußischen Staat alle Widersprüche aufgelöst seien, dass alles begriffen ist, dass die Versöhnung real wurde Und dies könnte eine Art „Ende der dialektisch bestimmten Geschichte“ sein.
Aber Fukuyama blieb skeptisch: Es bleibt die Versuchung, zurück zum Krieg zu degenerieren.

Lea Ypi, „Frei“. Suhrkamp Verlag 2022, 7.Aufl. 2023, auch als Taschenbuch, 333 Seiten, übersetzt von Eva Bonné.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Vorbildlicher Klerus” – Frankreichs Kirche schmückt sich mit seligen Priestern

Die „Märtyrer-Priester“ der Pariser Commune
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Das Ansehen des französischen Klerus könnte in diesen Zeiten (2022) schlimmer nicht sein: Tausendfach wurde von staatlicher Seite sexueller Missbrauch von Kindern durch Priester dokumentiert. Sexuelle Übergriffe von hoch angesehenen Gründern „neuer geistlicher Gemeinschaften“ (etwa die Brüder Philippe, Dominikaner, oder P. Delfieux, St. Gervais) empfinden gläubige Laien als spirituelle Katastrophe. Genauso die jetzt bekannte sexuelle Belästigung von Frauen durch prominenten Theologen (Jean-Fr. Six). Oder die Absetzung von Erz-Bischöfen wegen „erotischer Beziehungen mit einer Frau“ (Aupetit, Paris) oder wegen allzu offensichtlicher reaktionärer pastoraler Praxis (Ravel, Strasbourg). Erfreulich für viele die vom Vatikan verordnete Überprüfung des reaktionären Bischofs von Toulon (Rey) … und so weiter und so weiter.

2.
Das Ansehen des Klerus sollte nun wohl etwas aufpoliert werden, als am 22. April 2023 in Paris offiziell fünf französische Priester feierlich selig gesprochen wurden, mit Zustimmung des Papstes, natürlich. Diese Priester sind offiziell als Märtyrer anerkannt, sie können also, katholischer Lehre entsprechend, als Fürsprecher an Gottes Thron um Hilfe angefleht werden. Diese Priester wurden, so heißt es, wegen ihres Glaubens erschossen, und zwar in der „Blutwoche“ der Pariser Commune im Mai 1871. Und wer waren die Täter? Es waren Laien, katholisch getaufte Laien aus Paris. Sie haben die Priester erschossen. Eine Untat, gewiss. Aber, das muss man wissen: Sie wurde begangen in einer Art Bürgerkrieg: In Zeiten der Commune wollten sehr viele Pariser Bürger ihre Stadt selbst verwalten und regieren. Aber der Klerus war außerstande, diese demokratischen Forderungen der Pariser, vor allem der Arbeiter, zu verstehen oder gar zu unterstützen. Der Klerus stand aufseiten der Herrscher, die sich nach Versailles zurückgezogen hatten, sie warteten förmlich nur auf eine Zuspitzung der verzweifelt kämpfenden Communarden. Die haben die Nerven verloren und ihre gefangenen Geiseln, die Priester, erschossen. Jetzt konnten die Herrscher (der Katholik Adolphe Thiers) so brutal wie möglich zuschlagen … in der Blutwoche, in der ca. 20.000 Communarden ermordet wurden, katholische Laien. Sie wurden von den ebenfalls sich katholisch nennenden Truppen der Herrscher hingemetzelt.
Diese Zusammenhänge muss man kennen, um die Seligsprechung der fünf erschossenen Priester angemessen zu verstehen: Unter den 20.000 erschossenen Communarden, alle katholisch getaufte Laien, waren sicher auch Menschen, die am Wohl der Armen interessiert waren, wie etwa der erschossene Priester Père Henri Planchat.

3.
Aber wie schon bei den Seligsprechungen der Priester, die im Spanischen Bürgerkrieg umgekommen waren, galt die kirchenamtliche Zuweisung von Seligkeit bzw. Heiligkeit den Anhängern der alten, der nicht-demokratischen Ordnung. Die Kirche liebt eben selige und heilige Vorbilder, die von aufständischen Republikanern und Demokraten erschossen werden. Da lässt es sich dann leichter die Mordtaten und die Gewalt der anderen, der herrschenden katholischen reaktionären Seite übersehen… In rebellischen und demokratischen Kreisen nach Seligen oder Heiligen zu suchen, lohnt sich für den Seligen-und Heiligenkult der Kirche offenbar nicht. Die rechte und rechtsextreme Presse in Frankreich hat jedenfalls über diese Seligsprechung jubiliert. Vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass das Volk sich gegen den Herrscher (Macron) erheben kann. Nur waren es eben 1870/71 linke Bürger, die den autoritären Staat überwinden wollten.

Gewalt gegen den Klerus wird heute von fundamentalistischen Muslimen ausgeübt oder von fanatischen Kirchenfeinden, die so oft schöne Kirchengebäude verwüsten…Eine Schande!

4.
Zur Vertiefung zwei Beiträge vom März 2021:

– Zur Pariser Commune im allgemeinen: LINK
– Zur Erschießung der Priester durch Communarden: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Jacques Gaillot gestorben – Hinweise zu einem außergewöhnlichen Bischof!

Bischof Jacques Gaillot ist am 12. April 2023 im Alter von 87 Jahren gestorben.

Hinweise von Christian Modehn am 13.4.2023.

Es ist keine Übertreibung: Jacques Gaillot war ein ganz außergewöhnlicher Bischof, ein Mensch, der frei und mutig als Bischof lebte und als Bischof lehrte, was er selbst vor seinem Gewissen im Angesicht der Moderne und der Bibel leben und lehren konnte. Er war alles andere als ein Kirchen-Funktionär, er fühlte sich frei …und nicht unbedingt verpflichtet, die offizielle Lehre der katholischen Kirche zu vertreten. Denn er wusste: Diese ganze alte Kirchenlehre und ihre alte Moral sind oft Ausdruck einer vergangenen Ideologie. Und er wusste: Christlicher Glaube ist zuerst Solidarität mit den Armen und mit den vom Kapitalismus arm Gemachten weltweit, mit den Obdachlosen, den Flüchtlingen, den Ausländern, den sexuellen Minderheiten, den Wohnungslosen. Darum fühlte sich Bischof Gaillot in diesen Kreisen am wohlsten.

Ich habe seit 1982 Jacques Gaillot mehrfach getroffen und über ihn zahlreiche Ra­dio­sen­dungen, Zeitschriftenbeiträge und Filme fürs ERSTE (ARD) realisiert.

Aus meinen zahlreichen Veröffentlichungen nur diese Hinweise:

Abschied und Trauer: Gedenken an Jacques Gaillot LINK

Grundlegend, ein Buch-Beitrag von 2010: “Aus Gewissensgründen NEIN sagen”:  LINK

Ebenso: “Menschlichkeit zuerst”: LINK 

Ökumene mit Protestanten auch im gemeinsamen Abendmal praktizieren: LINK

Für die “Homo-Ehe” (2013): LINK

Für eine humane Form der aktiven Sterbehilfe:  LINK

Wird Bischof Gaillot vom Papst rehabilitiert? LINK

Zwei Halbstunden-Dokumentationen fürs ERSTE (ARD) über JACQUES GAILLOT: LINK 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Huub Oosterhuis gestorben: Der christliche Glaube als Poesie, Gebet und Protest.

Huub Oosterhuis ist am Ostersonntag, 9.4.2023, im Alter von 89 Jahren in Amsterdam gestorben.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.4.2023.

1.
Huub Oosterhuis ist einer der bedeutenden Poeten nicht nur im niederländischen Sprachraum. Er ist Schöpfer einer religiösen Sprache, die nicht nur die Tiefe des Empfindens heutiger Menschen bewegt, sondern die an Bildern und Symbolen so reichen Texte der Bibel, auch des „Alten Testaments“, mit dem Lebensgefühl der Moderne verbindet. Dabei ist seine politische Option auch sehr deutlich: Seine Gesellschaftskritik ist von sozialistischem Geist inspiriert und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.

2.
Auch das ist wichtig: Oosterhuis ist als Theologe auch Initiator von freien progressiven ökumenischen Gemeinden, wie der „Ecclesia“ in Amsterdam. Er hatte 1970 sein Amt als katholischer Priester (und Jesuit) aufgegeben, weil er das Zölibatsgesetz der römischen Kirche nicht mehr akzeptieren konnte und ohnehin das autoritäre System der Kirche kritisierte. Aber von der katholischen Kirche ausgestoßen, wollte er auf Gemeinden nicht verzichten, und inspirierte zu Rom-unabhängigen Gemeinden. Die „Ecclesia“ in Amsterdam ist seine Gründung, auch die rom-unabhängige Dominikus-Gemeinde in Amsterdam ist stark von ihm inspiriert.

3.
Huub Oosterhuis ist als katholischer Theologe außerhalb der römischen Macht für einige Katholiken und für etliche Protestanten zu einer Art Prophet geworden, er hat den Traum von einer anderen katholischen Kirche bereits realisiert und nicht mehr nur davon gesprochen, wie sonst überall in katholischen Kreisen üblich:
Selbstverständlich waren für ihn praktizierte Abendmahlsgemeinschaft mit Protestanten. Es war für katholische Bischöfe ein Skandal, eine Häresie, als Oosterhuis in seinen Gottesdiensten das “Wandlungsgebet” der Eucharistie von einem Chor singen ließ, diese Auszeichnung der “Wandlung” im “Hochgebet” steht im römischen Verständnis nur dem ordinierten zölibatären Prierster zu.

Laien, auch Frauen, waren als Vorsteher der Eucharistie selbstverständlich; genauso die Pflege einer hohen sprachlichen Kultur in Lied, Gebet und Predigt, selbstverständlich auch die Predigt von „Laien“ (die es im Sinne von Oosterhuis gar nicht als Laien gab), selbstverständlich auch für völlige Gleichstellung von Homosexuellen nicht nur in der Gemeinde. Selbstverständlich auch für ihn die politische Kulturdebatte in seinen Zentren, wie „de nieuwe liefe“ oder auch in „de rode Hoed“, beide in Amsterdam.

4.
Aber Oosterhuis hatte von Anfang an viele Feinde in der römischen Kirche, er, der die besten Lieder für den Gottesdienst geschrieben hatte und hervorragende Komponisten fand zur „Vertonung“ seiner Poesie, wurde ausgebremst und als Ketzer angeklagt, in manchen Bistümern der Niederlande durften seine Lieder nicht mehr in den Messen gesungen werden: Es waren ja – wie entsetzlich für die Bischöfe – Texte eine „verheirateten Ex-Priesters“.

5.
In Deutschland hatte Oosterhuis einige Freunde, seine Lieder wurden ins Deutsche übersetzt und etwa in Osnabrück in einer Kirche gesungen. Ihm wurde 2014 sogar ein Preis als Prediger von der Evangelischen Theologie in Deutschland verliehen. Der katholische Herder-Verlag in Freiburg hat etliche Bücher von Oosterhuis publiziert, dabei aber meist seine vielfältigen Aktivitäten, etwa als Inspirator progressiver Rom-unabhängiger Gemeinden verschwiegen.

6.
Irgendwie und von irgendwem inszeniert, war es möglich, dass Papst Franziskus – über den zuständigen Bischof von Haarlem-Amsterdam – am 21.Dezember 2020 Huub Oosterhuis einen persönlich wirkenden Brief schrieb, in englischer Sprache, ein Schreiben, das dem Ex-Jesuiten eine gewisse „brüderliche Nähe“ ausdrückt und verspricht, im päpstlichen Gebet seiner zu gedenken. Offenbar meint der Papst, Oosterhuis ginge es zu dem Zeitpunkt, Ende 2020, (gesundheitlich) nicht gut. „Maar dat is helemaal niet zo, hoor.”, sagte Oosterhuis, „aber das ist ganz und gar nicht so, jawohl!“ (Quelle: Tageszeitung TROUW, Amsterdam, 28.1.2022), LINK 
Von einem Dankeschön für die großartige poetisch-theologische Leistung von Oosterhuis ist im Schreiben des Papstes NICHTS zu lesen. Kein päpstliches Wort an die konservativen Bischöfe, doch bitte das Singen der Oosterhuis-Lieder in der Messe zu gestatten. Nichts davon.
Der Amsterdamer Dichter und Theologe zeigte sich vom päpstlichen Schreiben überrascht, eine Antwort hat er dem Papst nicht geschrieben.

7.
Die Liste seiner Publikationen zählt mehrere hundert Titel, mindestens 60 Bücher liegen allein in niederländischer Sprache vor, übersetzt wurden seine Bücher in sieben Sprachen.
Mit dem großen Theologen Edward Schillebeeckx (1914 – 2009) war Oosterhuis befreundet, beide setzten sich für eine radikale Kirchenreform ein. Mit Schillebeeckx führte Oosterhuis einGespräch, das auch auf Deutsch unter dem Titel „Gott ist jeden Tag neu“ 1984 erschienen ist.

Weitere Informationen von Christian Modehn über Huub Oosterhuis  LINK.

7.
Welchen Weg hätte die katholische Kirche in den Niederlanden (und darüber hinaus) genommen, wenn Papst und Bischöfe Huub Oosterhuis nicht ausgegrenzt und bekämpft hätten, sondern, wie es so viele katholische Niederländer seit 1965 wünschten, mit ihm eine moderne, demokratische, vom Zölibatsgesetz usw. befreite Kirche gestaltet hätten. In ihrer dogmatischen Erstarrung aber haben Papst und Bischöfe seit 1965 niederländische Katholiken aus der Kirche getrieben. Es blieben eigentlich nur der „harte Kern“ der Konservativen und Rom-Fans. Heute besuchen, so die Statistik 2022, nur 1 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse…(Quelle: https://religionsphilosophischer-salon.de/15614_christen-und-kirchen-in-der-minderheit-neueste-entwicklungen-in-den-niederlanden_alternativen-fuer-eine-humane-zukunft)

8.

Ein bekanntes Lied von Huub Oosterhuis, “Lied aan het Licht”: Lied an das Licht:

Licht, das uns anstößt, früh am Morgen
uraltes Licht, in dem wir stehn,

kalt, jeder einzeln, ungeborgen,

komm über mich und mach mich gehn.

Dass ich nicht ausfall ́ , dass wir alle,

so schwer und traurig wie wir sind,

nicht aus des andern Gnade fallen

und ziellos, unauffindbar sind.

Licht, meiner Stadt wachsamer Hüter,
Licht, ständig leuchtend, das gewinnt.

Wie meines Vaters feste Schulter

trag mich, dein ausschauendes Kind.

Licht in mir, schau aus meinen Augen,

ob irgendwo die Welt ersteht,

wo Menschen endlich Frieden schauen

und jeder menschenwürdig lebt.

Alles wird weichen und verwehen,
was auf das Licht nicht ist geeicht.

Sprache wird nur Verwüstung säen,

unsere Taten schwinden leicht.

Licht vieler Stimmen in den Ohren,

solang das Herz in uns noch schlägt.

Liebster der Menschen, erstgeboren,

Licht, letztes Wort von ihm, der lebt

Die Musik, die Chorsätze, zu den Gedichten, Gebeten, der Poesie von Huub Oosterhuis haben die Komponisten Bernard Huijbers, Antoine Oomen und Tom Löwenthal gestaltet.

9.

Das Kulturzentrum “De rode hoed”: LINK:

“Ecclesia in Amsterdam”: LINK.

Die freisinnige Kirche der Remonstranten hatte ihre jährliche Begegnung (“Beraadsdag) im Jahr 2012 mit Huub Oosterhuis gestaltet. LINK.

Die Ekklesia Amaterdam hat einige Partnergemeinden in einigen Städten der Niederlande:

Ekklesia Twente

Westfriese Ekklesia

Ekklesia Breda – https://www.ekklesiabreda.nl/

Stichting De Zijp in Arnhem – http://www.dezijp.nl/ 

Stichting Oecumenische Vieringen Eindhoven – https://sove-eindhoven.nl/

Pepergasthuiskerk Groningen – https://ovg-web.nl/ 

Dominicusgemeente Amsterdam- http://dominicusamsterdam.nl/ 

Keizersgrachtkerk Amsterdam – https://www.keizersgrachtkerk.nl

Oecumenische Basisgemeente de Duif – https://deduif.net/

In seinem Buch “Twee of drie. Voor en over kritische gemeenten” (Ambonboeken, Baarn, 1980),  (“Zwei oder drei. Für und über Kritische ökumenische Basisgemeinden”) schrieb Oosterhuis diese zentralen Worte (Seite 70):
“Wir hegen nicht die Illusion, das Institut Kirche von innen umwandeln zu können. Wir halten uns offen für Projekte und vor allem für Menschen innerhalb der Kirche, Bischöfe nicht ausgenommen, die an der Befreiung und Erneuerung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung interessiert sind”.

Im Jahr 2003 hat Christian Modehn ein Radio-Feature für den RBB gestaltet mit O Tönen von Oosterhuis und Stellungnahmen aus Amsterdam und Osnabrück. LINK:

Lieder und Gebete von Huub Oosterhuis auf Deutsch: LINK:

Im Herbst 2023 erscheint ein neues Liederbuch mit hundertfünfzig Liedern auf Texten von Oosterhuis, in Deutsch unter dem Titel Solang es Menschen gibt. Darin werden, neben dem Großteil der hundert Lieder aus dem Bundel Du Atem meiner Lieder (Herder 2009), mehr als fünfzig neu übersetzte Lieder erscheinen, teilweise mit Chorsätzen. Die restlichen Chorsätze und die Begleitungspartituren werden dann via Email ‘individuell’ zur Verfügung stehen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.