„Himmelfahrt“ und Pfingsten vernünftig verstehen!

Christliche Feste vernünftig erklären. Für uns heißt das: „Undogmatisch“, also freisinnig verstehen.
Ein Hinweis von Christian Modehn

……. Wer sich sogleich für unsere Interpretation zu „Pfingsten“ interessiert: Siehe Nr. 8 f., besonders Nr. 17 und 18.

1.
Schwer tun sich die meisten – verständlicherweise – mit den Titeln (und der Bedeutung) christlicher und speziell katholischer Festtage: Von „Fronleichnam“ soll aber jetzt keine Rede sein. Auch nicht von „Allerheiligen“ oder „Allerseelen“. Von einer „Himmelfahrt“ soll gesprochen werden, aber nicht der Marias, der Mutter Jesu von Nazareth. Sie erlebte gemäß der Mythen und des Dogmas nicht eine „Himmel-Fahrt“, sondern eine „Aufnahme in den Himmel“ (Festtag 15.8.) Dabei sei Gott selbst tätig gewesen, sagte Papst Pius XII. Im Jahr 1950. Gott „nahm“ Maria in den Himmel auf… Jesus aber „stieg“/„fuhr“ – im uralten Bild – selbst in den Himmel.

2.
Hier geht es also um „Christi Himmelfahrt“. Ein religiöser Denk-Feier-Tag, der mangels tieferen Verständnisses säkular „Vatertag“ genannt wird. Populäre Ideen der Blumenhändler und Kneipiers: Die Mütter haben ihren Blumen-Feiertag, und die Väter bzw. Männer sollen doch bitte auch „endlich mal“ (?) ihren Feiertag haben. Jesus hat ja bekanntlich auch gern Wein getrunken, darin sehen „die“ Männer nun die Berechtigung, gerade an diesem berühmten Donnerstag, immer 10 Tage vor Pfingsten, einmal (un)ordentlich zu trinken. Für viele bleibt dies (leider) die einzige Verbindung zum Denken an die „Himmelfahrt Jesu Christi“.

3.
Der „Himmelfahrtstag“ meint also immer „Christi Himmelfahrt“, oder noch genauer: Die „Himmelfahrt“ Jesu von Nazareth, der von Christen als „der“ Christus, d.h. der Erlöser, verehrt wird.

4.
In den Himmel ist also Jesus „gefahren“: Was für ein merkwürdiges, ungeschicktes Bild, an dem die Kirchen dummerweise bis heute festhalten. Was ist damit in einer vernünftigen Theologie gemeint? Und nur um eine vernünftige Theologie kann es heute nur noch gehen, sie ist klar erklärend, Mysteriöses abweisend, Verstehen weckend. Und kann aber bei religiösen Themen, modern interpretiert, auch nicht auf neue Bilder, Symbole, Metaphern verzichten. Anders geht es nicht: Man hat philosophisch und theologisch nur die Wahl zwischen heute etwas verständlichen und heute sehr unverständlichen alten Bildern, Symbolen, Metaphern.

5.
Jesus von Nazareth ist, nach seinem Tod am Kreuz, als „Auferstandener“ nicht mehr sichtbar unter seinen Freunden gewesen, auch wenn die Evangelisten davon in Bildern, Mythen, voller Schwärmerei und maßlosen Übertreibungen sprechen und schreiben. Sie konnten 60 bis 80 Jahre nach Christi Geburt einfach nicht anders. „Weltbild gebunden“, sagen Theologen.

6.
Die Auferstehung Jesu bedeutet: Der Gekreuzigte liegt wie alle anderen Menschen als toter Körper im Grab. Aber eine Einsicht kommt seinen Freunden: Jesu Seele hat den Tod überlebt, den Tod überwunden: Man kann etwa sagen: Jesus lebt in der niemals zu zerstörenden Präsenz des Ewigen, dies ist eine transzendente Wirklichkeit. Das meint das uralte naive Bild: Jesus ist in den Himmel „gefahren“.
„Jesus ist nicht mehr hier“, sagt der Engel den Frauen am Grab Jesu (Markus, 16,6), d.h.: Er ist auf der Erde, irdisch, nicht mehr greifbar.
Der Glaube an eine geistige Nähe lieber Verstorbener ist ja eine weit verbreite Überzeugung, der sich niemand schämen muss.

7.
Wer also von der „Himmelfahrt Jesu von Nazareth“ spricht, muss zugleich von der Auferstehung Jesu von Nazareth reden. Und stellt dann fest: Beide Begriffe beschreiben die gleiche Erfahrung der Hinterbliebenen, also der Jesus-Freunde, der Gemeinde, die sich nach Jesu Tod versammelte. Beide Feste meinen das gleiche: Die Auferstehung Jesu IST seine „Himmelfahrt“. Nur diie bekannte Freude der Christen am Feiern erklärt die Verdoppelung des einen Gedenkens, des einen Feiertages. Und natürlich: das eigene „Kirchenjahr“ (es beginnt am 1. Adventssonntag) braucht auch verschiedene „Ereignisse“ und Feste…

8.
Und Pfingsten? Der tote Jesus ruht zwar im Grab, aber er ist als geistige, d.h. nicht zu greifende „Wirklichkeit“ mit der Gemeinde verbunden, im Geist, in der Erinnerung lebendig als der nun „Ewige“.
Diese Einsicht erlebt die Gemeinde als unverhoffte Erkenntnis, als außergewöhnliches Geschenk ihrer allen Menschen zugänglichen Vernunft. Die Freunde Jesu werden später diese besondere Einsicht ihrer Vernunft eine Gnade nennen.
Tatsächlich es ist ihr menschlicher Geist, der Jesus als auf andere Art als „lebendig“ erkennt, als Teil des Ewigen.

9.

Dieses „Ereignis“ der tieferen Einsicht meint „Pfingsten“: Jesus wird von der Gemeinde als „geistig lebendig“ erkannt und gefeiert. Diese Erkenntnis wertet die Gemeinde als überraschendes Geschenk, und: als Chance einer neuen, alle nationalen Identitäten sprengenden Gemeinschaft.

10.
Ostern – Jesu Himmelfahrt – Pfingsten, das ist die Folge der Feste im Kirchenjahr. Aber Pfingsten ist als das zeitlich letzte der drei Feste nun – logisch gesehen – das erste, d.h. das alles gründende „Ereignis“: Weil die Gemeinde der Freunde Jesu überhaupt um die Bedeutung Jesu von Nazareth ringt, kommt sie zur Einsicht: Jesus ist zwar körperlich tot – aber seine Seele, sein Geist, lebt. Und im Geist sind Gemeinde und Jesus also verbunden, diese Verbindung ist so außergewöhnlich, dass sie dann heiliger Geist genannt wird.

11.
Aber es bleibt ein Problem:
Wenn ich mit meinem menschlichen Geist, mit der Vernunft, über den „heiligen Geist“ nachdenke, ist es dann mein menschlicher Geist, der den heiligen Geist verstehen kann? Oder wirkt dann in mir, der Bibel und den offiziellen Dogmen folgend, irgendwie der besondere, der heilige Geist? Führt also nur der heilige Geist in die Höhen der Gotteserfahrung?
Noch einmal anders gefragt: Wenn ich mich mit religiösen Themen beschäftige, wirkt dann der „heilige Geist“ in mir? Aber wenn ich mich mit „weltlichen“ Problemen befasse, etwa mit der Gestaltung der Demokratie, der Solidarität oder meiner Gesundheit… , ist dann „nur“ mein menschlicher Geist tätig? Soll es also gleichsam zwei „Geister“ im Menschen geben, den üblichen menschlichen Geist, und parallel dazu, den gelegentlich wirkenden heiligen Geist?
Erlebe ich wirklich zwei Geister in mir? Der eine soll menschlich sein, der andere göttlich, heilig? Bedeutet dieser doppelte Geist nicht eine gewisse Form von Verwirrung, vielleicht von Spaltung, von Schizophrenie?

12.
Ich bin überzeugt, dass die Christen wie überhaupt alle Menschen nur einen einzigen Geist haben. Und dieser eine Geist, das Auszeichnende des Menschen, wird gelegentlich auch heilig genannt, erhaben, grundsätzlich unangreifbar. Dies ist die Leistung der Freunde Jesu, der ersten Gemeinde, in ihrer „Pfingsterfahrung“.

13.
Für die alltägliche Lebenspraxis bedeutet das: Etwas abstrakt formuliert: In der Kraft unseres Geistes, also auch der Vernunft und der Urteilskraft, können wir uns entscheiden für Gutes oder Böses in unserem Leben. Entscheiden wir uns für Gutes, etwa für den Respekt, das Mitgefühl, für die Förderung von Kunst und Literatur, für die Suche nach dem Göttlichen, dann erkennen wir: Der Geist kann in dieser speziellen Aktivität tatsächlich „heilig“, erhaben, ewig genannt werden, weil er hilft, den alltäglichen Egoismus und die Verkapselung ins Weltliche zu überwinden.
Das Böse als Tat ist genauso Ausdruck freier Entscheidungen, Ausdruck des Geistes, des Denkens. Haben wir uns für Böses entschieden, haben wir uns mit unserem Geist freiwillig (oder im psychischen Krankheitsfalle wie betäubt) gegen unser Gewissen entschieden. Aber immer ist es der eine Geist, der Geist der Freiheit, der uns zur freien Entscheidung führt.

14.
Eine weitere philosophische Überlegung:
Wenn man die menschliche Wirklichkeit mit dem Göttlichen in Verbindung bringen will, dann nur über die Erkenntnis: Das Göttliche hat die Evolution der Welt „geschaffen,“ darin entwickelt sich der Mensch als Geist und das heißt als Freiheit. Hätte der Mensch die Freiheit (die auch Freiheit zum Bösen ist) nicht, dann wäre er kein Mensch mehr, sondern ein Tier, das seinen Trieben folgt. Aber das Göttliche als „Schöpfer“ der Welt und des Menschen, hat mit seinem Geist das Geschaffene, den Menschen zumal, ausgestattet. Sonst wären die Welt und der Mensch außerhalb des Göttlichen, Gott hätte als Gott also eine Konkurrenz, er wäre nicht mehr Gott.
Der eine Geist, die eine Vernunft des Menschen ist wegen der engen Verbundenheit („Schöpfung“) mit dem Ewigen, dem Göttlichen also heilig!

15.
Durch diese Erkenntnis werden bestimmte uralte, aber immer umstrittene Dogmen in Frage gestellt. Darum ist diese hier skizzierte freisinnige theologische Erkenntnis für die dogmatisch verfassten Kirchensysteme erschütternd. Das Dogma der Erbsünde, das der Kirche von Augustinus (gestorben 430) gegen vernünftigen theologischen Widerstand aufgezwungen wurde, kann endlich beiseite gelegt werden. Fällt aber das Dogma der Erbsünde, fällt auch eine bestimmte kirchlich-dogmatische Vorstellung von „Erlösung“. Unvorstellbar wird dann das mittelalterliche Dogma, dass Jesu von Gott als dem Vater in den Tod geschickt, hingeschlachtet wird, um die Erbsünde bei den Menschen auszulöschen. Und das soll „Erlösung“ sein, diese Idee lebt leider bis heute in vielen kirchlichen Weihnachtsliedern oder Karfreitagsliedern weiter, gesungen von Leuten, die oft gar nicht verstehen, was sie da alles so singen…

16.
Jesus von Nazareth wird im neuen vernünftigen Denken zu einer Orientierung, zu einem Offenbarer, seine zentrale Lehre: Alle Menschen sind „Gottes Kinder“ – haben also den einen Geist in sich, er ist vom Ursprung her der heilige, göttliche und ewige Geist. Und die Menschen brauchen deswegen den Tod als das definitive Ende nicht zu fürchten.

17.
Und vor allem: Wenn alle Menschen „Gottes Kinder“ sind, wie das Bild richtig ausdrückt, dann ist jeder Mensch von absolutem Wert, dann sind alle Menschen untereinander Bruder und Schwestern. Daraus ergeben sich weitreichende politische Konsequenzen: Nämlich die Gültigkeit der Menschenrechte für alle, auch für die vom Kapitalismus arm Gemachten, die Hungernden, die Gefolterten, die Leute in den Lagern der Diktaturen usw.

18.
Pfingsten ist also auch ein politisches Fest, das Fest der absoluten Gleichberechtigung aller Menschen. Ein Fest mit einer Forderung also, ein Fest der Menschenrechte. Pfingsten hat also wenig zu tun mit dem Trallala des Alleluja – Enthusiasten, die sich “Charismatiker” nennen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Gott im Ukraine-Krieg. “Wenn es Gott gäbe, hätte er die Tragödie, die die Ukrainer erleben, nicht zugelassen“.

Religionsphilosophische Überlegungen zu einer Aussage von Oksana Ivanets, Oberstleutnant der Ukrainischen Armee. Publiziert im „Tagesspiegel“ am 8. Mai 2023, S. 10.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9. Mai 2023. Die 13. der “unerhörten Fragen”.

1.
Jede und jeder kann seinen Glauben frei aussagen. Das ist selbstverständlich. Aber jedes individuelle Glaubensbekenntnis, bezogen auf eine göttliche Wirklichkeit, auf Gott, kann und sollte philosophisch befragt werden. Gedankliche Klarheit kann das Leben nicht nur erleichtern, sondern helfen, es neu und besser zu gestalten.

2.
Die totale Verzweiflung Okasana Ivanets ist verständlich: Die Region um die bedeutende ukrainische Stadt Charkiw wurde von den russischen Truppen aufs übelste fast völlig zerstört, selbst Krankenhäuser mit ihren PatienTinnen wurden vernichtet. Menschliches Leben ist in den Ruinen nicht möglich. Die Felder sind von russischen Minen übersät, die Aufräumarbeiten werden viele Jahre dauern. Es ist schwer für die Menschen (nicht nur dort), überhaupt noch Hoffnung zu bewahren. Und dann wird von den oft noch frommen UkrainerInnen die Frage gestellt: Warum hat Gott dieses Grauen, dieses sinnlose Töten der russischen Mörder, nicht verhindert? Oksana Ivanets hat offenbar den Glauben an einen allmächtigen, treu sorgenden Gott verloren.

3.
Wer Gott als einen allmächtigen, immer wieder aktuell Wunder wirkenden und ins Weltgeschehen eingreifenden Gott versteht, wie offenbar Oksana Ivanets, kann an diesem Gott verzweifeln. Und wird damit neue Antworten suchen zu der nicht abzuweisenden Frage: Was ist der Sinn dieses Grauens, dieses Mordens, dieses Krieges. Eindeutige, sozusagen mathematisch unbedingt beweisbare Antworten kann es zu diesem philosophischen Thema nicht geben.

4.
Es kann aber gefragt werden: Wie sinnvoll ist es, eine göttliche Wirklichkeit, einen Gott, für das Kriegsgeschehen verantwortlich zu machen. Die grundlegende ERKENNTNIS ist: Ein solches Denken lenkt ab von der Verantwortlichkeit der Menschen, der Politiker vor allem, für diesen Krieg … wie für alle Kriege, die jemals von verblendeten Menschen in ideologischem Wahn geführt wurden. Und genauso wichtig: Wer Gott als Täter – parteiisch – im Krieg will, folgt einem, mit Verlaub gesagt, naiven Gottesbild. Es wurde von den Kirchen und ihren alten Dogmen zwar mit dem Inhalt vermittelt: „Gott handelt”. Aber es wurde nicht gesagt: Gott handelt nur durch die freie Entscheidung der eigentlich vernünftigen Menschen,

5.
Lassen wir also Gott in dieser konkreten politischen Frage beiseite. Fragen wir nach den Menschen, vor allem den Politikern, den Machthabern, in diesem brutalen Geschehen. Denn sie sind, die Kriege planen, Kriege ausführen, Männer als Soldaten, als Kanonenfutter, in die Schlacht schicken, sie sind es, die vom Schreibtisch aus mit Bomben humanes Lebens auslöschen.
Es sind also konkrete Menschen mit konkreten Namen, so genannte Politiker, die dieses Grauen ausrichten. Die politischen Täter (Verbrecher) wurden aber zugelassen in ihrem Tun von Politikern der benachbarten oder ferneren Staaten. Diese haben aus Mangel an kritischer Kraft, aus Bequemlichkeit, aus ökonomischen Interessen die sich aufbauenden Mörder-Politiker (etwa in Russland) zugelassen.

6.
Es ist also menschliche Dummheit, politische Nachlässigkeit, ökonomische Gier, die auch unter demokratischen Politikern den langsamen Aufbau politischer Gewalttäter wie in Russland zugelassen haben.

7.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, gegen die Freiheit, gegen die Demokratien und Menschenrechte ist also eindeutig Schuld der Menschen. Und Schuld der Politiker, die von diesen Menschen, selbst oft unkritisch, gedankenlos, egoistisch, nationalistisch, gewählt wurden. Diese Leute und die von ihnen gewählten Politiker sind nicht der besseren Einsicht gefolgt, haben im Falle Putins nicht rechtzeitig STOP gesagt und gewaltfreie Aktionen und Sanktionen gegen ihn eingeleitet. Dass eine Gestalt wie Putin und sein System so übermächtig gewaltsam werden konnten, verweist auch auf das völlig unterentwickelte demokratische Bewusstsein in Russland. Die orthodoxe Kirche wurde seit 1990 nie eine Kraft, die die Verteidigung der Menschenrechte genau wichtig fand ihre Weihrauch umwölkten stundenlangen Liturgien in altrussischer Sprache. Dieser Kirche war und ist Dogmatismus und Nationalismus wichtiger als die Ausbildung des Volkes in den Menschenrechten. Und diese russisch-orthodoxe Kirche ist seit 1961 Mitglied im „Ökumenischen Weltrat der Kirchen“ in Genf: Aber diese Theologen aus aller Welt dort ist es offenbar nicht gelungen, diesen russischen Patriarchen und Popen die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte als obersten Auftrag einer jeden sich christlich nennenden Kirche einzuschärfen. Stattdessen hat man sich in Genf theologisch hübsch ausgetauscht, und statt auch von Russland bzw. damals der Sowjetunion kritisch zu sprechen, hat man im Ökumenischen Weltkirchenrat eher von Südafrika geredet, was ja richtig war, aber eben einseitig. Die Nachlässigkeit im Umgang mit den russischen Patriarchen sieht man jetzt. Und Papst Franziskus sieht sich so stark, dass er unbedingt Patriarch Kyrill I. In Moskau treffen und „bekehren“ will. Eine Aktion, leider verspätet. Zu vieles wird versäumt…

8.
Damit sollte klar sein: Gott ist nicht schuldig am Morden und Grauen im Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Demokratien. Was hätte Gott denn vom Himmel aus Tun sollen? Mit einem göttlichen Blitz etwas den Kreml auslöschen oder den Patriarchen zum Christentum führen sollen oder was? Wenn man schon von Gott redet, sollte man wissen: Das Göttliche hat als Schöpfer der Welt (als einem evolutiven Geschehen !) den Menschen Geist und Verstand gegeben, also die einzigartige Möglichkeit, in reflektierter Freiheit das Leben, auch die Politik, zu gestalten. Diese Freiheit vollzieht sich immer in einer inneren, geistigen Reflexion, die man klassisch Gewissen nennt. Kriege sind Ausdruck dafür, dass Menschen, dass Politiker, nicht auf ihr Gewissen achten, also nicht auf die Stimme der allen Menschen gemeinsamen humanen Vernunft hören.
Nebenbei: Was wäre wenn die aktuellen Gebetswünsche der Russen „Gott hilf, dass wir die Ukraine auslöschen“, von Gott erfüllt würden? Wie parteilich darf Gott eigentlich sein, in diesem naiven Gottesbild?

9.
Kriege sind also Menschensache, und damit eigentlich zu verhindern, wenn denn Menschen auf ihre Vernunft achten, auf Ihr Gewissen, und achtsam reagieren, wenn sich in dieser Welt Gewaltherrscher etablieren. Aber viele Menschen in den Demokratien sind ja froh über diese Fehlentwicklungen, dann können sie den Gewaltherrschern und ihren Regimen Waffen verkaufen… Und Politiker können ihre nationalistischen Ambitionen ausleben. Alles das ist unvernünftiges, inhumanes Tun. Es hat aber mit Gott nichts zu tun. Es sei denn, man klagt ihn als „Schöpfer“ dieser Welt an, den Menschen überhaupt die Freiheit gegeben zu haben. Hätte der Mensch aber keine Freiheit, wäre er kein Mensch, sondern ein den eigenen Trieben folgendes Tier. Aber diese Tiere – ohne Freiheit – gehen ja mit anderen Tieren auch nicht immer freundlich um. Fressen und Gefressenwerden ist das Motto. Die Menschen aber sind eigentlich zu anderem fähig. Aufgrund ihrer Vernunft, ihres Gewissens. Aber beides „lieben“ die Menschen immer besonders, wenn Vernunft und Gewissen schlafen, stillgestellt sind…Und der Egoismus sich durchsetzen kann…

10.
Solange Friedenserziehung für Kinder und für Erwachsene in allen Ländern nicht Pflichtfach über mehrere Jahre ist, wird es immer wieder Kriege geben. Dies ist eine optimistische, vielleicht auch utopische Erkenntnis. Aber sie ist viel mehr wert als einen Gott fürs Kriegsgeschehen verantwortlich zu machen.

11.
Ist aber der Krieg einmal Realität, wie jetzt in der Ukraine, kann das stille und schreiende Gebet des leidenden einzelnen eine Hinwendung zu einer göttlichen Wirklichkeit sein, als Suche nach einem letzten spirituellen Halt, einem letzten Sinn „trotz allem“. Gebet ist also als eine poetische Form der seelischen Beruhigung und damit der reflektierten Akzeptanz des Geheimnisses menschlicher Freiheit. Was bleibt, wenn wir die Idee einer vernünftigen humane Weltordnung aus Resignation aufgeben?

12.
Befreien wir uns also davon, Kriegsgeschehen und Gott in Verbindung zu bringen. Aber die Frommen und die Weniger Frommen neigen immer wieder dazu. Jetzt wird etwa Gott in die furchtbare Trockenheit in Italien, Spanien, Frankreich einbezogen. Er, Gott als Wettergott ???, soll Regen schicken. Ein naiver Wunsch: Und ein Wahn. Es ist doch der fehlende Respekt der Menschen vor der Natur und vor allem vor dem Klima, der zu dieser gefährlichen Trockenheit führt. Anstelle von Regen-Bitt-Prozessionen sollte politische und ökologische Aufklärung in den Kirchen geschehen: Wie viel Wasser wird seit Jahren – durch schlechte Leitungen – vergeudet in den Obst-Plantagen im Süden Spaniens usw… Dies ist ein anderes, aber ähnliches Thema, das, nebenbei gesagt, zeigt, wie dringend kritische religionsphilosophische Überlegungen bleiben. Aber die Predigten der Pfarrer preisen nach wie vor einen Kriegsgott oder einen Wetter-Regen-Gott. Manchmal ist es zum Verzweigfeln mit der Unwissenheit und Dummheit des Klerus…

13.

Hat dann Gott/das Göttliche nichts mehr mit der Welt und den Menschen, den Ereignissen in der Welt etc.zu tun? In einer kritischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist die Antwort klar: Gott/das Göttliche wirkt als solcher/solches nicht unmittelbar als solcher. Da Gott/das Göttliche aber als “Schöpfer” der Evolution und des Menschen (und des menschlichen Geistes) gedacht werden kann, wirkt Gott/das Göttliche durch den von ihm geschaffenen GEIST, der Vernunft, der Empathie IM Menschen auch in der Welt etc.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Freiheit – ist immer auch eine Freiheit FÜR andere: Lea Ypi.

Zur Philosophie der albanischen Autorin und Philosophin Lea Ypi
Ein Hinweis von Christian Modehn

Welcher Inhalt zum Begriff Freiheit zeigt sich für eine Frau, die ihre Kindheit und Jugend im kommunistischen Albanien erlebte?

1.
Die aus Albanien stammende Philosophin Lea Ypi hat ein viel beachtetes autobiographisches Sachbuch veröffentlicht. Der Titel: „Frei“. Der Untertitel: „Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“.
Lea Ypi, 1979 in Tirana geboren, beschreibt in dem Buch „Frei“ sehr ausführlich ihr äußerst beschwerliches Leben und das ihrer Familie und ihrer Freunde im „Sozialismus“ des Diktators Enver Hoxha. Die Zeit der so genannten „Transformation“ als mühevoller Abschied vom „Sozialismus“ wird aus subjektiver Sicht beschrieben. 1997 verlässt Lea Ypi das Land Richtung Italien, sie studiert zunächst in Rom, später u.a. in Paris, Berlin Philosophie und Literatur, seit 2016 ist sie Professorin an der angesehenen Universität „London School of Economics“.

2.
Die Geschichte des Mädchens Lea Ypi ist ein Ringen um Freiheit, wobei die Autorin nicht verschweigt, wie sie als Kind durch die Propaganda und Indoktrination in der Schule durchaus zu einem naiven Glauben an den Kommunismus fand und den Diktator – ehrfürchtig -„Onkel Enver“ nannte.

3.
Im expliziten Sinne philosophische Reflexionen zum Thema des Buches, also „Freiheit“, bietet das Buch vor allem im letzten Drittel.
Bedenkenswert etwa die Einsichten zu Widersprüchen im alltäglichen menschlichen Leben, etwa am Beispiel des Wunsches auszureisen, das eigene Land zu verlassen: Im Sozialismus wurde man verhaftet, wenn man ausreisen wollte. Im Kapitalismus ist der aus Albanien Ausreisende alles andere als willkommen, wie etwa in Italien, von dort wurden viele albanische Boots-Flüchtlinge wieder zurückgeschickt. Lapidar heißt es auf S. 199: „Welchen Wert hat das Recht auf Ausreise noch, wenn es kein Recht auf Einreise gibt?“ Und die Freiheit zu bleiben besteht auch nicht in Albanien damals (S. 200). Denn das Verbleiben im kapitalistischen Albanien bietet angesichts der Arbeitslosigkeit keine Lebenschancen. Weggehen oder Bleiben – beides bietet keine Lebenschancen.

4.
Zu denken geben die Reflexionen Lea Ypis zu zentralen politischen Begriffen: Die herrschenden Leitbegriffe der Lebensorientierung werden ausgetauscht. Der im Kapitalismus übliche Begriff „Zivilgesellschaft“ hat den sozialistisch – kommunistischen Begriff „die Partei“ ersetzt (S. 230). Zum Umfeld der „Zivilgesellschaft“ gehört für Ypi auch der Begriff „Liberalisierung“, der den Begriff „demokratischer Zentralismus“ abgelöst hatte“ (S. 231). „Privatisierung nahm die Stelle von Kollektivierung ein und Transformation die Stelle von Selbstkritik… Antiimperialistischer Kampf wurde durch Kampf gegen Korruption ersetzt“. (ebd.) Die Marktwirtschaft muss nun angekurbelt werden. (S. 261). Wie im Sozialismus gibt es also auch im liberalen Kapitalismus ein MUSS „Es gibt einen vorgeschriebenen Weg, der einzuhalten ist“ (S.261), sagt der Vater der Autorin, der nach dem Ende des Sozialismus Generaldirektor des Hafens wurde. „Er war weniger frei als er es sich vorgestellt hatte“ (S. 263). „Der Klassenkampf war nicht vorbei, das hatte der Vater begriffen!, (S.264), als er gezwungen war, aufgrund von so genannten neoliberalen „Strukturreformen“ (S. 242) Arbeiter im Hafen zu entlassen. Aber: Der Vater will sich die Namen der Entlassenen merken, er will sich stemmen gegen das Vergessen, er wehrt sich gegen eine Welt, in der Menschen nur noch als Zahlen in Statistiken vorkommen. Der Vater glaubt noch an ein Körnchen Güte in jedem Menschen.

5.
Entscheidend die Erkenntnis der Philosophin Lea Ypi: „Alle diese neuen Konzepte handelten von Freiheit, allerdings nicht mehr des Kollektivs – inzwischen ein Schimpfwort – sondern des Individuums“ (S. 231). Der einzelne steht nun absolut im Mittelpunkt der demokratisch – kapitalistischen Ordnung. Lea Ypi lässt keinen Zweifel daran, dass die Ideologie der Herrschaft des Individuums ergänzt und kritisiert werden muss durch die Erkenntnis: Freiheit ist immer auch Freiheit, FÜR andere und MIT anderen zusammen eine gerechte Gesellschaft zu schaffen.

6.
Es sind die Zweifel am Leben, an der Gesellschaft, am Staat, an der „Ordnung“ des Zusammenlebens überhaupt, die Lea Ypi zur Philosophie führen. „1990 hatten wir nichts außer Hoffnung gehabt; 1997 (dem Jahr des Krieges in Albanien aus ökonomischen Gründen) hatten wir selbst die Hoffnung verloren. Die Zukunft sah trostlos aus“ (S. 318). „Ich hatte nichts als Zweifel“ (S. 319).

7.
Als Philosophin zeigt Lea Ypi, dass der Mensch „trotz aller Zwänge nie die innere Freiheit verliert, die Freiheiten das Richtige zu tun“ (s. 323). Selbst im totalitären Kommunismus von Enver Hoxha war die Reflexionskraft der Eltern und der Großmutter noch schwach und ungebrochen da, sie wussten, wie sie in in einer Diktatur überleben konnten, etwa durch den Einsatz von Lügen gegenüber ihren Kindern bzw. Enkeln. Die Familie Ypi ist ein (seltenes) Beispiel dafür, dass Menschen, die sich die innere Freiheit der stillen Selbstreflexion bewahrt haben, selbst die stalinistische Diktatur relativ menschlich überleben können, ohne dabei mit dem Diktator zu paktieren.

8.
Lea Ypi verschweigt überhaupt nicht, dass sie sich als Philosophin und Autorin als Sozialistin versteht. Sie will sich die humanen Werte der sozialistischen Idee nicht nehmen lassen, nur weil so viele Diktatoren, sich sozialistisch nennend, nur auf autoritäre Herrschaft und Bereicherung bedacht waren. Mit dem üblichen westlichen Liberalismus kann Ypi wenig anfangen: „Ich setzte Liberalismus mit gebrochenem Versprechen gleich, mit der Zerstörung von Solidarität, mit dem Anspruch auf vererbte Privilegien und dem bewussten Ausblenden von Ungerechtigkeit“.

9.
Lea Ypi will im Sinne ihres umfassenden Verständnisses von Freiheit (Freiheit ist immer auch Freiheit FÜR andere sich einzusetzen) den Werten und Idealen des Sozialismus treu bleiben, sie will, wie wie ganz am Ende ihres Buches schreibt, „den Kampf fortführen“(S. 329). Aber, wie sie im Interview des SRF Fernseh-Interviews „Sternstunde Philosophie“ (am 18.9.2022) sagte, sie verstehe Marx auch mit den ethischen Prinzipen Kants.

10.
Aber was kann der Untertitel des Buches bedeuten? „Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“? Ist damit das Ende des albanischen Sozialismus bzw. Kommunismus gemeint? Oder nimmt Ypi ironisch Bezug auf ein Ende der Welt-Geschichte, das schon prominent verwendet wurden von dem us-amerikanischen Historiker Francis Fukuyama, der sein Buch 1992 „Ende der Geschichte“ nannte. Fukuyama behauptete: Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa und der Sowjetunion gebe es nur noch die Herrschaft der liberalen Demokratien. Dies käme dem Ende der Geschichte gleich, weil es nun keine Dialektik Ost-West mehr gibt. Diese Dialektik bewegte die Zeit, schuf Geschichte. Dieses Denkmodell „Ende der Geschichte“ bezieht sich auch auf die Hegel-Interpretation des Franzosen Alexandre Kojève. Er sagte, wie einige andere auch: Hegel meine tatsächlich, in seinem Denken an eine Art Endpunkt gekommen zu sein, und gezeigt zu haben, dass nun im Preußischen Staat alle Widersprüche aufgelöst seien, dass alles begriffen ist, dass die Versöhnung real wurde Und dies könnte eine Art „Ende der dialektisch bestimmten Geschichte“ sein.
Aber Fukuyama blieb skeptisch: Es bleibt die Versuchung, zurück zum Krieg zu degenerieren.

Lea Ypi, „Frei“. Suhrkamp Verlag 2022, 7.Aufl. 2023, auch als Taschenbuch, 333 Seiten, übersetzt von Eva Bonné.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Jacques Gaillot gestorben – Hinweise zu einem außergewöhnlichen Bischof!

Bischof Jacques Gaillot ist am 12. April 2023 im Alter von 87 Jahren gestorben.

Hinweise von Christian Modehn am 13.4.2023.

Es ist keine Übertreibung: Jacques Gaillot war ein ganz außergewöhnlicher Bischof, ein Mensch, der frei und mutig als Bischof lebte und als Bischof lehrte, was er selbst vor seinem Gewissen im Angesicht der Moderne und der Bibel leben und lehren konnte. Er war alles andere als ein Kirchen-Funktionär, er fühlte sich frei …und nicht unbedingt verpflichtet, die offizielle Lehre der katholischen Kirche zu vertreten. Denn er wusste: Diese ganze alte Kirchenlehre und ihre alte Moral sind oft Ausdruck einer vergangenen Ideologie. Und er wusste: Christlicher Glaube ist zuerst Solidarität mit den Armen und mit den vom Kapitalismus arm Gemachten weltweit, mit den Obdachlosen, den Flüchtlingen, den Ausländern, den sexuellen Minderheiten, den Wohnungslosen. Darum fühlte sich Bischof Gaillot in diesen Kreisen am wohlsten.

Ich habe seit 1982 Jacques Gaillot mehrfach getroffen und über ihn zahlreiche Ra­dio­sen­dungen, Zeitschriftenbeiträge und Filme fürs ERSTE (ARD) realisiert.

Aus meinen zahlreichen Veröffentlichungen nur diese Hinweise:

Abschied und Trauer: Gedenken an Jacques Gaillot LINK

Grundlegend, ein Buch-Beitrag von 2010: “Aus Gewissensgründen NEIN sagen”:  LINK

Ebenso: “Menschlichkeit zuerst”: LINK 

Ökumene mit Protestanten auch im gemeinsamen Abendmal praktizieren: LINK

Für die “Homo-Ehe” (2013): LINK

Für eine humane Form der aktiven Sterbehilfe:  LINK

Wird Bischof Gaillot vom Papst rehabilitiert? LINK

Zwei Halbstunden-Dokumentationen fürs ERSTE (ARD) über JACQUES GAILLOT: LINK 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Huub Oosterhuis gestorben: Der christliche Glaube als Poesie, Gebet und Protest.

Huub Oosterhuis ist am Ostersonntag, 9.4.2023, im Alter von 89 Jahren in Amsterdam gestorben.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.4.2023.

1.
Huub Oosterhuis ist einer der bedeutenden Poeten nicht nur im niederländischen Sprachraum. Er ist Schöpfer einer religiösen Sprache, die nicht nur die Tiefe des Empfindens heutiger Menschen bewegt, sondern die an Bildern und Symbolen so reichen Texte der Bibel, auch des „Alten Testaments“, mit dem Lebensgefühl der Moderne verbindet. Dabei ist seine politische Option auch sehr deutlich: Seine Gesellschaftskritik ist von sozialistischem Geist inspiriert und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.

2.
Auch das ist wichtig: Oosterhuis ist als Theologe auch Initiator von freien progressiven ökumenischen Gemeinden, wie der „Ecclesia“ in Amsterdam. Er hatte 1970 sein Amt als katholischer Priester (und Jesuit) aufgegeben, weil er das Zölibatsgesetz der römischen Kirche nicht mehr akzeptieren konnte und ohnehin das autoritäre System der Kirche kritisierte. Aber von der katholischen Kirche ausgestoßen, wollte er auf Gemeinden nicht verzichten, und inspirierte zu Rom-unabhängigen Gemeinden. Die „Ecclesia“ in Amsterdam ist seine Gründung, auch die rom-unabhängige Dominikus-Gemeinde in Amsterdam ist stark von ihm inspiriert.

3.
Huub Oosterhuis ist als katholischer Theologe außerhalb der römischen Macht für einige Katholiken und für etliche Protestanten zu einer Art Prophet geworden, er hat den Traum von einer anderen katholischen Kirche bereits realisiert und nicht mehr nur davon gesprochen, wie sonst überall in katholischen Kreisen üblich:
Selbstverständlich waren für ihn praktizierte Abendmahlsgemeinschaft mit Protestanten. Es war für katholische Bischöfe ein Skandal, eine Häresie, als Oosterhuis in seinen Gottesdiensten das “Wandlungsgebet” der Eucharistie von einem Chor singen ließ, diese Auszeichnung der “Wandlung” im “Hochgebet” steht im römischen Verständnis nur dem ordinierten zölibatären Prierster zu.

Laien, auch Frauen, waren als Vorsteher der Eucharistie selbstverständlich; genauso die Pflege einer hohen sprachlichen Kultur in Lied, Gebet und Predigt, selbstverständlich auch die Predigt von „Laien“ (die es im Sinne von Oosterhuis gar nicht als Laien gab), selbstverständlich auch für völlige Gleichstellung von Homosexuellen nicht nur in der Gemeinde. Selbstverständlich auch für ihn die politische Kulturdebatte in seinen Zentren, wie „de nieuwe liefe“ oder auch in „de rode Hoed“, beide in Amsterdam.

4.
Aber Oosterhuis hatte von Anfang an viele Feinde in der römischen Kirche, er, der die besten Lieder für den Gottesdienst geschrieben hatte und hervorragende Komponisten fand zur „Vertonung“ seiner Poesie, wurde ausgebremst und als Ketzer angeklagt, in manchen Bistümern der Niederlande durften seine Lieder nicht mehr in den Messen gesungen werden: Es waren ja – wie entsetzlich für die Bischöfe – Texte eine „verheirateten Ex-Priesters“.

5.
In Deutschland hatte Oosterhuis einige Freunde, seine Lieder wurden ins Deutsche übersetzt und etwa in Osnabrück in einer Kirche gesungen. Ihm wurde 2014 sogar ein Preis als Prediger von der Evangelischen Theologie in Deutschland verliehen. Der katholische Herder-Verlag in Freiburg hat etliche Bücher von Oosterhuis publiziert, dabei aber meist seine vielfältigen Aktivitäten, etwa als Inspirator progressiver Rom-unabhängiger Gemeinden verschwiegen.

6.
Irgendwie und von irgendwem inszeniert, war es möglich, dass Papst Franziskus – über den zuständigen Bischof von Haarlem-Amsterdam – am 21.Dezember 2020 Huub Oosterhuis einen persönlich wirkenden Brief schrieb, in englischer Sprache, ein Schreiben, das dem Ex-Jesuiten eine gewisse „brüderliche Nähe“ ausdrückt und verspricht, im päpstlichen Gebet seiner zu gedenken. Offenbar meint der Papst, Oosterhuis ginge es zu dem Zeitpunkt, Ende 2020, (gesundheitlich) nicht gut. „Maar dat is helemaal niet zo, hoor.”, sagte Oosterhuis, „aber das ist ganz und gar nicht so, jawohl!“ (Quelle: Tageszeitung TROUW, Amsterdam, 28.1.2022), LINK 
Von einem Dankeschön für die großartige poetisch-theologische Leistung von Oosterhuis ist im Schreiben des Papstes NICHTS zu lesen. Kein päpstliches Wort an die konservativen Bischöfe, doch bitte das Singen der Oosterhuis-Lieder in der Messe zu gestatten. Nichts davon.
Der Amsterdamer Dichter und Theologe zeigte sich vom päpstlichen Schreiben überrascht, eine Antwort hat er dem Papst nicht geschrieben.

7.
Die Liste seiner Publikationen zählt mehrere hundert Titel, mindestens 60 Bücher liegen allein in niederländischer Sprache vor, übersetzt wurden seine Bücher in sieben Sprachen.
Mit dem großen Theologen Edward Schillebeeckx (1914 – 2009) war Oosterhuis befreundet, beide setzten sich für eine radikale Kirchenreform ein. Mit Schillebeeckx führte Oosterhuis einGespräch, das auch auf Deutsch unter dem Titel „Gott ist jeden Tag neu“ 1984 erschienen ist.

Weitere Informationen von Christian Modehn über Huub Oosterhuis  LINK.

7.
Welchen Weg hätte die katholische Kirche in den Niederlanden (und darüber hinaus) genommen, wenn Papst und Bischöfe Huub Oosterhuis nicht ausgegrenzt und bekämpft hätten, sondern, wie es so viele katholische Niederländer seit 1965 wünschten, mit ihm eine moderne, demokratische, vom Zölibatsgesetz usw. befreite Kirche gestaltet hätten. In ihrer dogmatischen Erstarrung aber haben Papst und Bischöfe seit 1965 niederländische Katholiken aus der Kirche getrieben. Es blieben eigentlich nur der „harte Kern“ der Konservativen und Rom-Fans. Heute besuchen, so die Statistik 2022, nur 1 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse…(Quelle: https://religionsphilosophischer-salon.de/15614_christen-und-kirchen-in-der-minderheit-neueste-entwicklungen-in-den-niederlanden_alternativen-fuer-eine-humane-zukunft)

8.

Ein bekanntes Lied von Huub Oosterhuis, “Lied aan het Licht”: Lied an das Licht:

Licht, das uns anstößt, früh am Morgen
uraltes Licht, in dem wir stehn,

kalt, jeder einzeln, ungeborgen,

komm über mich und mach mich gehn.

Dass ich nicht ausfall ́ , dass wir alle,

so schwer und traurig wie wir sind,

nicht aus des andern Gnade fallen

und ziellos, unauffindbar sind.

Licht, meiner Stadt wachsamer Hüter,
Licht, ständig leuchtend, das gewinnt.

Wie meines Vaters feste Schulter

trag mich, dein ausschauendes Kind.

Licht in mir, schau aus meinen Augen,

ob irgendwo die Welt ersteht,

wo Menschen endlich Frieden schauen

und jeder menschenwürdig lebt.

Alles wird weichen und verwehen,
was auf das Licht nicht ist geeicht.

Sprache wird nur Verwüstung säen,

unsere Taten schwinden leicht.

Licht vieler Stimmen in den Ohren,

solang das Herz in uns noch schlägt.

Liebster der Menschen, erstgeboren,

Licht, letztes Wort von ihm, der lebt

Die Musik, die Chorsätze, zu den Gedichten, Gebeten, der Poesie von Huub Oosterhuis haben die Komponisten Bernard Huijbers, Antoine Oomen und Tom Löwenthal gestaltet.

9.

Das Kulturzentrum “De rode hoed”: LINK:

“Ecclesia in Amsterdam”: LINK.

Die freisinnige Kirche der Remonstranten hatte ihre jährliche Begegnung (“Beraadsdag) im Jahr 2012 mit Huub Oosterhuis gestaltet. LINK.

Die Ekklesia Amaterdam hat einige Partnergemeinden in einigen Städten der Niederlande:

Ekklesia Twente

Westfriese Ekklesia

Ekklesia Breda – https://www.ekklesiabreda.nl/

Stichting De Zijp in Arnhem – http://www.dezijp.nl/ 

Stichting Oecumenische Vieringen Eindhoven – https://sove-eindhoven.nl/

Pepergasthuiskerk Groningen – https://ovg-web.nl/ 

Dominicusgemeente Amsterdam- http://dominicusamsterdam.nl/ 

Keizersgrachtkerk Amsterdam – https://www.keizersgrachtkerk.nl

Oecumenische Basisgemeente de Duif – https://deduif.net/

In seinem Buch “Twee of drie. Voor en over kritische gemeenten” (Ambonboeken, Baarn, 1980),  (“Zwei oder drei. Für und über Kritische ökumenische Basisgemeinden”) schrieb Oosterhuis diese zentralen Worte (Seite 70):
“Wir hegen nicht die Illusion, das Institut Kirche von innen umwandeln zu können. Wir halten uns offen für Projekte und vor allem für Menschen innerhalb der Kirche, Bischöfe nicht ausgenommen, die an der Befreiung und Erneuerung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung interessiert sind”.

Im Jahr 2003 hat Christian Modehn ein Radio-Feature für den RBB gestaltet mit O Tönen von Oosterhuis und Stellungnahmen aus Amsterdam und Osnabrück. LINK:

Lieder und Gebete von Huub Oosterhuis auf Deutsch: LINK:

Im Herbst 2023 erscheint ein neues Liederbuch mit hundertfünfzig Liedern auf Texten von Oosterhuis, in Deutsch unter dem Titel Solang es Menschen gibt. Darin werden, neben dem Großteil der hundert Lieder aus dem Bundel Du Atem meiner Lieder (Herder 2009), mehr als fünfzig neu übersetzte Lieder erscheinen, teilweise mit Chorsätzen. Die restlichen Chorsätze und die Begleitungspartituren werden dann via Email ‘individuell’ zur Verfügung stehen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Die Auferstehung Jesu: Ostern ist das Fest des Ewigen im Menschen.

Ein Hinweis von Christian Modehn (März 2023).

Ostern ist mit der entscheidenden Einsicht verbunden: Jeder Mensch hat Anteil am Ewigen, am Göttlichen. Nur deswegen kann der Tod ein Übergang sein in eine neue geistige Wirklichkeit. Diese Einsicht hat Jesus von Nazareth vermittelt.

1.

Das Thema “die Auferstehung Jesu von Nazareth“ verweist auf die schwierige Frage: Gibt es eine Form der Überwindung des Todes, also ein „Weiterleben“ nach dem Tod?
Theologien und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können auf das Thema nicht verzichten,  sie haben es mit der Lebensgestaltung, auch mit Sterben und Tod, zu tun. Hier wird eine der Vernunft verpflichtete Interpretation des Auferstehung Jesu von Nazareth vorgestellt. Und diese vernünftige Deutung ist einfach, verglichen mit dem Wortschwall der vielen bloß subjektivistischen, fundamentalistischen streng – kirchlichen Deutungen der Auferstehung Jesu.

2.

Am häufigsten wird bis heute in den Kirchen gelehrt und gepredigt: „Jesus ist seinem Grab entstiegen, und er ist als der leibhaftig Lebendige der Gemeinde erschienen.” Er ließ sich sogar körperlich berühren (vgl. die Erzählung vom „ungläubigen Thomas“)… Und später ist der Auferstandene “leibhaftig in den Himmel aufgefahren“. Diese sehr schlichte, aber regelmäßig bis heute verkündete Lehre hat den christlichen Glauben zu einer mysteriösen “verzauberten” Angelegenheit gemacht. Die üblichen Worte der Kirchen zur Auferstehung wecken kein nachvollziehbares Verstehen, sondern sie verbreiten den Nebel des Mysteriösen. So rutscht der christliche Glaube an die Auferstehung Jesu in den Bereich der Märchenerzählungen ab, aus Angst der Prediger und Theologen vor der Vernunft!

Man denke auch an die zahllosen Gemälde etwa aus der Barockzeit, die den Auferstandenen leibhaftig in der Welt herumlaufend zeigen oder das leere Grab mit schlafenden Grabeswächtern und siegreichen Engeln. Angesichts so viel wunderbaren Zaubers sagen dann viele Gläubige verzaubert: „Nach meinem Tod gibt es für mich im Himmel das große Wiedersehen mit den Eltern und dem lieben Onkel Heinrich und der Tante Charlotte“.
Man muss diese private Spiritualität als Meinungsäußerung respektieren, aber sie hilft nicht zu einer reflektierten Spiritualität der Menschen im 21. Jahrhundert. Sie hilft nicht zu einer reifen Spiritualität reifer, d.h. kritisch nachdenklicher, vernünftiger Menschen des 21. Jahrunderts.

3.

Die Frage ist also: Soll die Auferstehung Jesu von Nazareth ein zauberhaftes Ereignis in einer wunderbaren Welt des Ostermorgens voller frommer Phantasien bleiben? Oder sollte die Auferstehung Jesu von Nazareth mit dem einen Satz erläutert werden: „Die Freunde Jesu erkennen bald nach seinem Tod: Wie Jesus als der “Auferstandene” haben alle Menschen in ihrem Geist Anteil am Ewigen, es ist der Geist des Ewigen, der göttliche Geist, der den Tod eines jeden, auch den Tod Jesu, überwindet. Es geht um ein ewiges, geistiges „Leben“, nicht um ein leibliches.“

4.

Die zentrale Erkenntnis heißt: Nach seinem Tod wird Jesus von der Gemeinde, nach einer Phase der Trauer und des Entsetzens über seinen Tod am Kreuz, als der Lebendige erkannt. In ihrem Nachdenken über Jesus von Nazareth wendet sich die Gemeinde noch einmal dem Leben und den Lehren ihres Propheten Jesus von Nazareth zu: Und sie entdeckt: Dieser Jesus von Nazareth war von außergewöhnlicher geistiger Kraft in seinem Umgang mit den Menschen, in ihm selbst wurde die göttliche Wirklichkeit deutlich. Die Gemeinde erkennt also das Göttliche, das Ewige, im “irdischen” Leben Jesu von Nazareth. Und dieses Göttliche, dieses Ewige kann nur eine geistige Realität sein, sie kann als das Ewige im Menschen nicht sterben. Jesus nannte den Ewigen stets seinen Vater, er fühlte sich als sein „Sohn“, und lehrte zugleich: “Ihr Menschen seid – im Bild gesprochen – ebenfalls Söhne und Töchter des Göttlichen, des Ewigen, meines und unseres „Vaters“ im Himmel”.

Weil die Menschen Anteil haben am Ewigen, sind sie in der Lage, Jesus als den Auferstandenen zu erkennen.
Im „Neuen Testament“ gibt es vier unterschiedliche Erzählungen über diese Einsicht der Gemeinde: „Unser Freund und Lehrer Jesus von Nazareth, der „Menschensohn“, ist nicht in das Nichts des Todes verschwunden. Wir erfahren und verstehen kraft unseres Geistes IHN als eine bleibende, geistige Präsenz über den Tod hinaus.“

5.

Diese Erzählungen von der Auferstehung Jesu im Neuen Testament sind keine Tatsachenberichte! Kein Journalist, kein Historiker, hat die Auferstehung Jesu gesehen. Die Auferstehungs-Erzählungen des Neuen Testaments beziehen sich nicht auf ein datierbares Ereignis. Sie sind Mythen, d.h. Erzählungen von Menschen, die mit diesem Jesus persönlich und voller Liebe verbunden waren und nach seinem Tod gemeinsam zu neuen, überraschenden Erkenntnissen kommen.

6.

Die Erzählungen von der Auferstehung Jesu sind Mythen. Der Theologe Rudolf Bultmann nannte sein Programm das „Entmythologisieren“ der biblischen Erzählungen, und er meinte damit überhaupt nicht die Zerstörung des Inhalts von Mythen, sondern die Übersetzung der Mythen in nachvollziehbare moderne Sprache. Nur dann können etwa die Mythen der Auferstehung als Lebensorientierung uch heute gelten.
Lebensorientierung anbieten – das ist der Sinn von christlichen Erlösung. Von Erlösung spricht die Kirche ständig, aber was Erlösung inhaltlich nachvollziehbar bedeutet, wird meist ins Imaginäre, Phantastische geschoben, etwa in die Ideologie der Befreiung von der sogenannten Erbsünde.
Die Erkenntnis vom „Ewigen“ in jedem Menschen kann als Erlösung verstanden werden, im Sinne der Befreiung von der Angst, im Tod ins Nichts zu versinken. Es ist der Geist als die Präsenz des Ewigen, der als Geist den Tod eines jeden Menschen überwindet. Weitere Details zum „himmlischen Weiterleben“ zu nennen, würde nur zu haltlosen phantasievollen Spekulationen führen.

7.

Es bleiben Fragen zu den Mythen der Evangelisten: Etwa zum leeren Grab Jesu: Das Grab Jesu kann gar nicht leer sein, Auferstehung ist, wie gerade betont, ein geistiges Geschehen. Jesu Körper blieb also im Grab, und er wurde – geistig – als der Lebendige erfahren. Die Kirchen erlauben seit einiger Zeit auch die Feuerbestattung, offenbar wissen sie: Der Verstorbene lebt, geistig, auch wenn sein Körper zu Asche wurde.
Und nebenbei: Wäre der Auferstandene mit seinem alten, gekreuzigten Körper „auferstanden“, hätte er ja als ein Mensch noch einmal sterben müssen, was wäre dann aber passiert? Ein erneuter Prozess gegen ihn, den Kritiker des strengen religiösen Systems? Sinnlose Spekulationen sind das.
Der katholische Theologe Hans Kessler, Autor einer umfassenden Studie zum Thema, schreibt: „Wenn vom leeren Grab gesprochen wird, so ist dies nur eine Veranschaulichung der Auferstehung Jesu, ein Bild, ein Symbol, das die Erzählung farbiger machen soll. Der Osterglaube wird nicht vom leeren Grab begründet. Der Gedanke des leeren Grabes ist kein notwendiger Bestandteil des christlichen Auferstehungsglaubens. Eine im Grab aufgestellte Video-Kamera hätte den Auferstehungsvorgang nicht aufgenommen. Wer als religiöser Mensch auf einem leeren Grab besteht, leugnet das Menschsein Jesu Christi. Aber dass Jesus ganz Mensch ist, bleibt eine unaufgebbare Einsicht der Christenheit“. Zum Buch von Hans Kessler: LINK

8.

Die erste schriftliche Äußerung hat der Apostel Paulus im Jahr 50 in seinem „Ersten Brief an die Gemeinde in Thessalonich“ notiert, also knapp 20 Jahre nach Jesu Tod am Kreuz. Auch Paulus nennt kein Datum der Auferstehung. Er kennt aber den bereits lebendigen Auferstehungsglauben der Gemeinde, er spricht von der gemeinsamen, alles entscheidenden Überzeugung: „Wenn Jesus gestorben ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zu Herrlichkeit führen“ (4. Kapitel, Vers 14). Mit anderen Worten: Die Verstorbenen werden wie Jesus „auferstehen“. Damit sagt Paulus in seinen Worten das aus, was oben gezeigt wurde: Weil alle Menschen im Geist mit dem Ewigen verbunden sind, werden auch sie – wie Jesus – “zur Herrlichkeit Gottes” gelangen. Der katholische Theologe Giuseppe Barbaglio von der Universität Mailand schreibt in der theologischen Zeitschrift CONCILIUM (2006): „Jesus Christus ist als der Auferstandene unser älterer Bruder. Was ihm widerfuhr, wird uns widerfahren. Seine Auferstehung ist das Anheben unseres neuen Lebens … und unserer Auferstehung“.

9.

Die Rede vom „Ewigen im Menschen“ hat als notwendigen theologischen Hintergrund eine vernünftige Deutung des biblischen Bildes von der „Schöpfung“ der Welten durch Gott oder das Göttliche oder den Ewigen.
Nur diese kurze Erläuterung: Wenn „Gott“, der Ewige, die Welten „schafft“, dann kann Gott, der Ewige, dies nur realisieren, wenn diese Welten mit ihm, dem Göttlichen, verbunden sind. Wären die geschaffenen Welten total selbstständig, also außerhalb der Wirklichkeit des Ewigen, dann wäre Gott nicht mehr der Göttliche, der Alles Stiftende und Umfassende. Die gottlose Welt wäre eine Konkurrenz zu einem Gott, der dann keine göttlichen Qualitäten mehr hätte.
Die Welt und die Menschen können also nur in einer tiefen geistigen Verbundenheit mit Gott, dem Ewigen, dem lebendigen GEIST, verstanden werden. Eine Überlegung, die vor allem der Philosoph Hegel vorgetragen hat.

10.

Die Welt als eine „Schöpfung des lebendigen göttlichen Geistes“ verstehen: Dies ist das einzige Wunder, mit dem sich kritisches theologisches Denken beim Verstehen der Auferstehung auseinandersetzen muss. Andere „Wunder“ braucht kein Christ, kein religiöser Mensch. Der evangelische Theologe Prof. Stefan Alkier (Uni Frankfurt.M) schreibt in seinem Buch „Die Realität der Auferstehung“ (2009) diese entscheidenden Sätze: „Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen […] nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes…Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments […] von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen“ (S. 238).

11.

Die Gegenwart des Ewigen wird inmitten des Lebens erfahren und nicht nur theoretisch gedacht. Das ist die Überzeugung der frühen Christengemeinde, die der  Autor des 1. Johannesbriefes im Neuen Testament ausspricht, es ist ein Text, der am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben wurde. Der Autor schreibt:
„Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod”. (1 Joh 3, 14). Und im 4. Kapitel, Vers 12, heißt es: “Niemand hat Gott je geschaut, wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet”.

Mit anderen Worten: In der Liebe wird das Ewige in diesem menschlichen Leben erfahren.

Nur weil die Menschen lieben, also Liebe (er)leben (und Liebe ist immer mehr als Caritas, sie ist immer auch erotische Liebe), erfahren sie und denken sie das Göttliche, das im Menschen lebt. Dieses inmitten des Lebens präsente Göttliche wird den Tod überdauern. Diese Erkenntnis spricht der 1. Johannes Brief lapidar aus im Vers 6, Kap. 4: „Wir aber sind aus Gott”.

12.

Die Auferstehung Jesu sollte eine Lebensphilosophie inspirieren. Die Theologin Elisabeth Moltmann – Wendel schreibt: „Wenn wir aufmerksam werden auf die verwandelnden Kräfte, die schon hier unser Leben verändern, die uns anders sehen, fühlen, hören, schmecken lassen, dann können wir auch erwarten: Solche Kräfte werden nicht mit unserem biologischen Leben zu Ende sind. Wir können dem Schöpfersein Gottes zutrauen, dass es Energien gibt, die über unseren eigenen Lebenshorizont hinausreichen“.

13.

Kann die hier angedeutete Interpretation der Auferstehung Jesu von Nazareth “trösten”?
Sterben und Tod gehören zwar zum „Wesen“ der Menschen, aber das Sterben wird verschieden erlebt und erlitten: Im Krieg viel brutaler genauso auch in Hungerkatastrophen, dieses Sterben ist gewalttätiger als in einem gepflegten Hospiz in Europa. Immer sollte es dabei um die gemeinsame Frage gehen: Wie hätte das vorzeitige Sterben noch verhindert werden können? Durch eine Friedenspolitik, durch eine solidarische Politik…
Aber selbst wenn diese Fragen durchgearbeitet sind, drängt sich die eine Frage auf: Ist mit dem Tod alles vorbei? Ist das Versinken im Nichts die Antwort? Waren die jungen Soldaten im Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts als „Kanonenfutter“, nur „lebendes Fleisch“, das dann durch den „Fleischwolf“ des Krieges geschickt wurde, wie kürzlich ein Kriegsreporter in einer Talkshow sagte?
Wer an das Versinken des Verstorbenen im Nichts behauptet, verkündet seine Glaubensüberzeugung, genauso wie es eine Überzeugung, eine Glaubenshaltung ist, die Ewiges im Menschen, in jedem Menschen, erkennen kann.
Angesichts des Todes denken – dabei kann man, wie immer bei existentiellen Fragen, keine Evidenz erreichen, wie man sie in den Naturwissenschaften oder der Mathematik gewöhnt ist. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit.

14.

Diese Überlegungen haben auch politische Bedeutung. Wenn die Menschen wissen, sie sind mit dem Ewigen verbunden, dann haben alle Menschen eine besondere Würde. Dabei ist die wesentliche Gleichheit aller Menschen der Mittelpunkt der Menschenrechte, eine Gleichheit, die im Zusammenleben in einer gerechten Weltordnung realisiert werden muss.
Inspirierend bleibt dabei das „Auferstehungsgedicht“ des Schweizer Dichters Kurt Marti (1921-2017).
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer!
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer.
Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren!“

15.

Die vielen Millionen und Milliarden Leidender, Verfolgter, vor Hunger Sterbender, von den Kriegstreibern Getöteten: Was bedeutet für sie die Auferstehung? Darauf wird es keine evidente Antwort geben. Aber der in diesem Beitrag mitgeteilten Überzeugung folgend kann man denken: Sie haben als Menschen am Ewigen Anteil . Wer solches denkt, ist empört, dass für so viele Millionen Menschen auch heute nur der Gedanke an ein “ewiges Leben des Geistes”  sinnstiftend sein kann. Weil die herrschenden Menschen, die “Herrenmenschen” in der reichen Welt und die Herrenmenschen (Diktatoren) in der armen Welt, weiterhin weithin ohne Einschränkung so viel Unmenschlichkeit anrichten dürfen – vor den Augen der weithin hilflos gemachten “Bürger” dieser Länder.

16.

Ostern sollte also auch ein politisches Fest sein, das Fest der universalen gleichen Würde aller Menschen.
Dass diese gleiche Würde aller Menschen endlich Realität wird, ist die zentrale Aufgabe der Kirchen, wenn sie behaupten, dem Auferstandenen zu folgen. Aber die Kirchen sind zur Zeit fixiert auf sich selbst, zumal die katholische Kirche („Synodaler Weg“, Zölibat etc.), so dass sie ihre entscheidende Aufgabe der Weltgestaltung beinahe vergessen. Diese Weltgestaltung wird in dem schönen biblischen Symbol „Reich Gottes“ ausgedrückt, als einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens. Darin liegt der Lebenssinn für Menschen, die sich Christen nennen.

17.

Gilt die Auferstehung auch für die schlimmsten Verbrecher, Kriegstreiber, Mörder, Diktatoren? Dass sie als Menschen die Chance hatten, der vernünftigen Kraft ihres Geistes und ihrem Gewissen zu folgen, steht außer Frage. Nur: Sie haben sich dann im Laufe des Lebens stets für das Böse entschieden. Und sie sind dabei selbst böse geworden und haben sich damit selbst bestraft. Was mit diesen Leuten sozusagen post mortem passiert, entzieht sich jeder ernsthaften philosophischen oder theologischen Aussage… Die klassische Theologie kennt die neutestamentliche Erzählung vom “Endgericht” – und da wird eine deutliche Sprache gesprochen.

18.

Ich habe schon mehrfach Hinweise zum Thema “Die Auferstehung Jesu von Nazareth vernünftig verstehen” publiziert, etwa in einer Ra­dio­sen­dung für den RBB im April 2016, der TEXT: LINK

Und speziell ein Hinweis “Kant und die Auferstehung Jesu”: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Was heißt „philosophisch fasten“? Die 12. „der unerhörten Fragen“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.3.2023.

Was bedeutet „unerhört“? „Unerhört“ werden außerordentliche Themen genannt. Unerhörte Fragen müssen entfaltet, beschrieben werden, um ihre provokative Kraft zu bezeugen.

1.
Hat Philosophie zum Fasten und zur „Fastenzeit“ etwas Konstruktives, Weiterführendes, Kritisches beizutragen?
Wenn man Philosophien als Interpretationen des geistvollen Lebens versteht: Dann ist das gar keine Frage. Nur: Diese Frage wurde bisher kaum gestellt, kaum gehört, bleibt unerhört.
2.
Schon im Blick auf die neuzeitliche Geschichte des Philosophierens zeigt sich: Mit dem Fasten haben sich Philosophen, etwa Kant und Nietzsche, immerhin, mit knappen Aussagen, beschäftigt. Sie haben dabei Fasten im engeren Sinne, der kirchlichen Tradition folgend, als Verzicht auf üppige (fleischliche) Nahrung verstanden. Nietzsche wetterte in seiner „Genealogie der Moral“ (1887) gegen das Fasten als eine Form des „Pharisäismus“, und er kritisierte die Bereitschaft der Fastenden, sich selbst Leiden und Schmerzen (durch Hungern) anzutun. Und Kant sah im katholisch geprägten Fasten nichts als eine „Mönchs-Asketik“, die „mit abergläubischer Furcht vor Gott verbunden ist“ (so in der „Metaphysik der Sitten“, 1797).
Kant nennt eher beiläufig das entscheidende aktuelle Stichwort, auf das wir uns – nach einleitenden Überlegungen – konzentrieren: Kant sprach von „Askese“, d.h. von „geistiger und körperlicher Übung“, im Lateinischen „Exercitium“ genannt, dies sind die zentralen Leitbegriffe griechischer und römischer Philosophen der Antike in ihrer Suche nach „Lebenskunst“.
3.
Heute gilt Fasten jenseits religiöser, spiritueller und philosophischer Traditionen als ein gesundheitlicher, auch medizinischer Wert. Fastenzeit im „säkularen Sinn“ ist dann nicht mehr als eine besondere (finanziell oft teure) Phase in der üblichen Pflege des eigenen Wohlbefindens, der eigenen guten Figur.
4.
Gelegentliches Fasten (in „Fastenzeiten“ oder Fastenkuren gegen das Übergewicht etc.) hat in der reichen Welt sozusagen dialektisch viel mit andauerndem „Fasten“ als dem ständigen Hungern (oft auch Verhungern) von Millionen Menschen im armen Süden dieser Welt zu tun. Sie müssen „fasten“ aufgrund des ungerechten Weltwirtschaftssystems. Wenn das so ist, dann hat das von unserer Ökonomie erzwungene Dauer-Fasten der Armen viel mit „Fasten“ der (häufig übergewichtigen) Reichen in den „Wachstumsgesellschaften“ zu tun. Beide Arten zu fasten sind zwei Gesichter der herrschenden neoliberalen „(Un)-Ordnung“ und ihres Dogmas des „ständigen Wachstums“.
Ein historischer Hinweis: Im Mittelalter fasteten die ohnehin stets gut versorgten Mönche und Nonnen, sie verzichteten auf Fleisch, aßen viel Fisch und tranken starkes Bier. Sie blieben also gut versorgt und … beleibt. Die arme Bevölkerung, die Frommen, die für das Kloster arbeiteten, fasteten das ganze Jahr über…
Aber es gibt heute bei vielen Menschen im „reichen Norden“ doch ein Unbehagen an dieser Situation der ungerechten Verteilung der Güter. Sie entdecken darum ihr Fasten auch als geistigen Prozess, als Suche nach dem eigenen, dem wahren Leben inmitten eines falschen, d.h. ungerechten Lebens.
5.
Und damit sind wir beim philosophischen Thema: Gibt es ein besonderes Fasten, das als kritisches Nachdenken gestaltet wird? Das also ein „Denk-Fasten“ ist, natürlich nicht als Verzicht aufs Denken, sondern gerade als neue Einübung des eigenen Denkens. Ein Fasten also, das als kritische Selbstbesinnung geschieht. Ein Fasten, in dem das Gewissen geprüft wird, und Nachdenkliche über das richtige Leben sprechen.
6.
Was heißt das? Wer in dieser Weise philosophisch fastet, versucht konkret, seine Gedanken, seine Werte, seine Ideologien, seine Urteile und Vorurteile selbstkritisch zu betrachten, Abstand von den eigenen Denk-Üblichkeiten zu nehmen, in Distanz zu sich selbst zu treten. Das eigene kritische Denken soll in der Lage versetzt werden, die eingefahrenen Denk-Üblichkeiten bzw. Denkzwänge zu erkennen … und zu korrigieren und zu überwinden.
Voraussetzung dafür ist, dass das Leiden an den bisherigen eigenen Denk-Gewohnheiten und das sind Lebens-Gewohnheiten, so groß ist, dass dass Verlangen nach einem authentischen humanen Leben nicht mehr unterdrückt werden kann. Das falsche Leben zeigt sich als solches etwa bei kritischer Achtsamkeit auf tiefsitzende „Sprüche“, wie: „Es hat ja alles kein Sinn“, „Es gibt sowieso keine Wahrheit“, „Alles ist relativ“, „Die Politiker lügen nur“, „DIE XY …Leute sind alle blöd“, „ich bin zu alt, um das noch zu machen“, „ich kann die Welt doch nicht verbessern“ usw.
7.
Wer philosophisch fastet, will also nicht länger hinnehmen, in seinem Geist von vielen sich widersprechenden Ideen, eigentlich leeren Sprüchen, Slogans, Dogmen, bestimmt zu sein. Philosophisch fasten bedeutet sozusagen ein Aufräumen im eigenen Geist, Befreiung von Schrott-Gedanken, philosophisch fasten bedeutet den Versuch, Wichtiges von Unwichtigem, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und dann auch zu trennen. Dabei entsteht die Frage: Was sind denn die Kriterien, um meinen Gedankenschrott als solchen zu erkennen, um danach zu einem befreiten, humaneren, gerechteren, ökologisch hilfreichen Lebens kommen? Können als Kriterien nur „meine“ subjektiven, nur mir guttuenden Werte gelten? Ich bin immer eil der einen Menschheit, also an allgemeine, für mich und für alle anderen geltenden Menschenrechte und Menschenpflichten gebunden. Da sind die Kriterien zu suchen.
8.
Philosophisch fasten ist ein Projekt für mein ganzes Leben, ein Projekt, das nie an ein Ende kommt. Philosophie, wörtlich übersetzt, ist Liebe zur Weisheit, und Liebe gelangt nie an ein Ende. „Die Liebe hört niemals auf“, heißt es im Weisheitsbuch „Die Bibel“, diese Erkenntnis gilt auch für die Liebe zur Weisheit, zur Philosophie. Und Liebe ist nie vollendet. Menschliches Leben, das allen Werten oder gar Idealen entsprechend irgendwann einmal perfekt und makellos dastehen will, lässt sich nicht verwirklichen. Dieser Wunsch hätte etwas Zwanghaftes.
9.
Nicht nur der innere, der Dialog mit sich selbst, auch der Dialog mit anderen gehört zum philosophischen Fasten. Man könnte auch an „philosophische Gemeinschaften“ oder „Gemeinden“ denken, die nicht Diskutierclubs der Rechthabenden sein sollten, sondern Gruppen, in denen die TeilnehmerInnen miteinander geduldig den Weg der Befreiung von belastenden Denk-Zwängen, Ideologien etc. zu gehen bereit sind. Philosophen hatten in der griechischen Antike meist ihre eigenen Schulen, d.h. Orte, Häuser, gemeinsamen Lebens. Auch die Kirche verstand sich im 2. Jahrhundert als eine „Philosophie“, als eine unter vielen philosophischen Schulen. Die Kirche hat später, zur Staatskirche geworden, die anderen philosophischen Schulen verdrängt und die so eingeschränkte Philosophie zur „Dienerin der Theologie“ degradiert. Es wäre an der Zeit, Philosophie wieder als „Schule des Lebens“ zu entdecken und zu verwirklichen. Zum Thema “Kirche als ohilosophische Schule”: LINK
10.
Die philosophische Fastenzeit kennt keine zeitliche Begrenzung etwa auf 40 Tage, wie in den Kirchen. Philosophische Fastenzeit ist immer möglich und nötig. Auch wenn sie, wie oben beschrieben, eine Zeit des Verzichts ist, des Loslassens, des Nein zu bisherigen Üblichkeiten ist: So ist Gelassenheit, ist Zuversicht, als Stimmung entscheidend. Man soll jedenfalls nicht „sauer aussehen“, wie der fastende Weisheitslehrer Jesus von Nazareth seine Jünger belehrte. Man muss diese Worte Jesu nur aktuell übersetzen. „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinschauen wie die Heuchler, denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten“, sagte Jesus (Matth. 6, 16 „nach der Luther-Übersetzung“). Jesus, der Weisheitslehrer, empfiehlt hingegen: „Salbe (beim Fasten) dein Haupt und wasche dein Gesicht“ (Vers 17). Also das heißt: „Mach dich schön, für dich und andere, freu dich deines Lebens gerade im (leiblichen) Fasten und natürlich auch beim philosophischen Fasten. In diesen Kriegs-Zeiten ist diese Aufforderung wahrlich eine Provokation…
11.
Das philosophische Fasten sollte von einer zuversichtlichen, fröhlichen Stimmung beherrscht sein. Bestimmt von der Freude darüber, dass ich, dass wir, unseren geistigen Schrott selber ausmisten können, wegwerfen können all diese dummen Ideologien und Verschwörungstheorien, alle diese Sprüche der Boulevardpresse, die nur gezielt verblöden wollen, um uns unmündig zu halten. Alle diese katholischen Dogmenberge gilt es zu beseitigen und den autoritären Wahrheits-Wahn, in tausend Büchern über das Kirchenrecht mitgeteilt von klerikalen Wächtern und oft pädo-sexuellen Tätern…
Es gilt also, die von der Vernunft gesteuerten Entrümpelungen, Befreiungen des eigenen Geistes als Fest zu feiern, froh darüber, dass wir mit unserem kritischen Geist in der Lage sind, uns selbst vom Übel, d.h. vom Gedankenschrott, zu befreien und unser kurzes Leben sinnvoller zu gestalten
12.
Der Weisheitslehrer Jesus von Nazareth hat sich selbst, als er (klassisch, also hungernd) fastete, zurückgezogen in die Wüste. Auch ein interessantes Bild, das die Bibel mitteilt.
Übersetzen wir diesen seinen zeitlich begrenzten Ausstieg aus der Welt des Alltags ins philosophische Fasten: Wer wieder selbstkritisch denken will: Der oder die ziehe sich regelmäßig zurück aus dem Trubel des Alltäglichen, lerne in der Stille und Einsamkeit wieder selber zu denken, habe den Mut seine eigenen Gedanken ernst zu nehmen. Und das kann man und muss man üben …in der eigenen „Kammer”, die jeder für sich – wenigstens als geistiges Refugium – errichten sollte.
13.
Es muss zum Schluss – leider viel zu kurz – noch einmal auf griechische und römische Philosophen hingewiesen werden. Ihnen verdanken wir die bis heute gültigen Begriffe Askese (Übung, Verzicht, auch als Fasten) und Exerzitien (geistliche, geistige Übungen, oft in eins mit leiblichem Fasten).
Die Wieder-Entdeckung dieser ständigen Dimension griechischer und römischer Philosophie der Antike und Spätantike, vor allem der Stoa, des Platonismus und Epikurs, verdanken wir dem großen französischen Philosophen Pierre Hadot. Andere, wie Michel Foucault haben von ihm enorm profitiert. Foucault etwa in seinen Studien über die „Sorge um sich selbst“ oder auch der deutsche philosophische Schriftsteller Wilhelm Schmid mit seinen zahlreichen Publikationen zur Lebenskunst.
14.
Welche Impulse können wir von Pierre Hadot mitnehmen auf der Suche nach den Möglichkeiten philosophischen Fastens? Leider sind nur wenige Werke Hadots ins Deutsche übersetzt, halten wir uns an sein Buch „Philosophie als Lebenskunst“ (Fischer Taschenbuch Verlag, 2002, für viel Geld ist dieses wichtige Buch noch antiquarisch zu haben, eine Schande, dass es keine Neuauflage des Verlages gibt).Zu Hadot:  LINK
Hadot legt wert darauf, dass philosophisches Fasten als Askese nur möglich ist, mit einer geistigen, einer spirituellen (aber nicht religiösen, nicht konfessionellen) Praxis. Askese ist eine „Arbeit des Ichs“ (S. 180), die ihre alltägliche Übung in der „Gewissenserforschung“ findet, eine Übung, die von Philosophen empfohlen wurde, gerade als Befreiung, wie wir sagten, von Schott der uns eingebläuten ideologischen Sprüche etc.
Zur philosophischen Übung im philosophischen Fasten gehört für Hadot auch die Vertiefung in zentrale philosophische Erkenntnisse und Weisheiten, also die Lektüre, des Bedenken der Texte, lernbereit, aber auch kritisch.
Noch wertvoller ist das Buch Hadots „La Philosophie comme manière de vivre“, (Albin Michel, Paris, 2001, auch als „Livre de poche“). „Die Philosophie als Art zu leben“, liegt leider nur in französischer Sprache vor. Darin zeigt Hadot ausführlich, dass der auch in katholischen Kirchenkreisen bekannte Begriff der „geistlichen Exerzitien“ (ein Begriff, der durch Ignatius von Loyola katholische Bedeutung bekam) seinen Ursprung hat in der antiken Philosophie. Pierre Hadot verweist auf entsprechende Studien von Paul Rabbow, der zeigt. „Das Wort Exerzitien war nicht religiös geprägt, es hat einen philosophischen Ursprung.“ (S. 152).
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Philosophie könnte durch die Praxis „philosophischen Fastens“ wieder für weite Kreise relevant werden. Philosophie wird dann aus den Seminaren der Universitäten befreit, sie ist kein Sonderthema für Spezialisten, sondern wird Ausdruck der Suche der Menschen nach einem guten (d.h immer auch gerechten) Leben.
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Wir leben in Kriegszeiten. Sehr viele Menschen in den meisten Ländern sind auf unterschiedliche Art betroffen von dem durchaus „total“ zu nennenden Angriffskrieg des Diktators Putin gegen die Ukraine. Total ist dieser Krieg, weil er die die meisten humanen Grundlagen von Sicherheit, Ökonomie, Ernährung, Solidarität usw. weltweit verwirrt, stört und zerstört. Weil dieser Krieg Putin mit einer kalten, verbrecherischen Selbstverständlichkeit viele tausend Tote in der Ukraine wie auch in Russland in Kauf nimmt. Das heißt ja nicht, dass Putin der einzige Politiker im 20./21. Jahrhundert ist, den man als Verbrecher bezeichnen muss.
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Bundeskanzler Scholz hat gleich nach Kriegsbeginn diese Erfahrung einer neuen Situation in Zeiten des totalen Krieges auf den Begriff gebracht: Es ist die „Zeitenwende“.
Ein Wort, das dazu auffordert, philosophisch etwas ausführlicher bedacht zu werden. „Zeiten-Wende“ meint: Umbruch der Lebensverhältnisse, Umbruch der Strukturen dieser Welt und der Gesellschaften, Wende der Zeiten als Epochenwende. Das will sagen: Nichts bleibt so, wie es einmal war. Die bisherigen Koordinaten wurden verändert. Die in der westlichen Welt vertraute Zeit, also unsere Epoche, hat sich „gewendet“ und wurde nach der Wende beendet.
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Aber es ist nicht nur eine philosophische Liebe zu Nuancen, wenn man genauer fragt: Was heißt denn „wenden“: Wenden bedeutet auch: Ich wende eine Seite eines Buches, nach vorn oder nach hinten. Wenden heißt auch Umdrehen, Herumdrehen, Weiterdrehen. „Tourner“ heißt das vieles Bedeutende französische Verb.
Aber auch das Rückwärts-Gewandte (Gewendete) ist mit „Wende“ immer mit-gemeint: Ich wende mich um, blicke in die Vergangenheit, ich stehe aber in der Gegenwart im Blick auf die erinnerte, ferne Vergangenheit. Mit ihr muss ich mich auseinandersetzen, und fragen, was ist alles falsch gelaufen, dass es zu dieser globalen Wende kommen konnte? Die „aktuelle Bewältigung“ der Wende darf den kritischen Blick auf die Fehler der Vergangenheit nicht blockieren…
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In Deutschland hat sich das Wort „Wende“ seit dem Ende der DDR 1989 sozusagen „eingebürgert“. Bekanntlich wurde der Beitritt der DDR und der DDR Bürger zur BRD als Wende bezeichnet. Die DDR „wendete“ sich, d.h. sie wandte sich der BRD zu, auch auf Druck der BRD. Die DDR wurde in dieser Wendung Teil der BRD, was manche DDR Bürger als Übernahme, wenn nicht „Einverleibung der BRD durch die DDR“ erlebten und deuteten.
Manche hätten lieber von Umbruch gesprochen, einige sogar von Revolution als der Vertreibung der DDR- Herrscher durch das Volk. Aber letztlich meinen viele doch, wenn sie von der Wende 1989 sprechen, ein positives Ereignis. Die DDR Diktatur wünscht sich fast niemand zurück.
Hat das Wort Wende in der „Zeitenwende“ von Kanzler Scholz eine positive Bedeutung? Wahrscheinlich nicht. Europa und die wenigen verbliebenen Demokratien stehen einem Block von autoritären Regimen gegenüber. Und die Religionen? Sind sie in dieser Epochenwende hilfreich? Sie zeigen ihre ganz spirituelle Schwäche, sie sind nicht in der Lage, sich religiös nennende Menschen wirklich zu einem humanen und vernünftigen Verhalten anzustiften. Die katholische Kirche ist nur mit Eigenem, Strukturellen, Kirchenrechtlichen befasst. Katastrophal ist die Situation der russisch-orthodoxen Kirche. Sie wird von dem
Kriegstreiber und Putin Freund Patriarch Kyrill von Moskau beherrscht. Er fordert in seinem nationalistischen – religiös – reaktionären Wahn das todbringende Opfer der russischen Soldaten in diesem Krieg.Und man muss sich fragen und sollte diese Frage bald vertiefen: Was hat dieser Theologe und sich Christ nennende Patriarch Kyrill eigentlich in all den Jahren vom christlichen Glauben gelernt, als er im „Ökumenischen Weltrat oder Kirchen“ (ÖRK) in Genf ein und ausging als „angesehenes Mitglied“ dieser Vereinigung. Man möchte antworten: Gar nichts hat er in den vielen, so oft hoch gepriesenen Dialogen und Konferenzen in Genf und anderswo gelernt. Und muss dann weiterfragen: Welchen Sinn haben dann eigentlich diese theologischen Debatten auf hohem Niveau, etwa in Genf?
20.
Was bleibt als vorläufige Erkenntnis: So sehr sich auch das Wort Zeitenwende einzubürgern scheint: Dieses viel zitierte Scholz-Wort vom 27.2.2022 trifft die reale Situation der Welt jetzt (4.3.2023) nicht mehr: Man sollte eher von Umsturz der bisherigen Welt-Ordnung sprechen, von Epochen-Umbruch, von Umwälzung, Umsturz, von radikalem Einschnitt. Aber diese Worte sind nicht so griffig, nicht so gefällig und zugänglich wie „Zeiten-Wende“.
„Zeitenwende“ klingt da eher neutral und wirkt so noch etwas beruhigend. Zurecht?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.