Die Ambivalenz der Ausnahmen

Hinweise zu einem dringenden philosophischen Thema
Von Christian Modehn

1.
Die Ausnahmen kritisch., d.h. philosophisch zu denken, sollte keine Ausnahme bleiben. Bis jetzt haben Philosophen diesen Begriff und die gemeinte Realität wenig beachtet. In der dreibändigen umfangreichen „Enzyklopädie Philosophie“ (Felix Meiner Verlag) z.B. gibt es keinen eigenständigen Artikel „Ausnahmen“. Dabei bestimmen Ausnahmen das menschliche Leben, also in Ethik und Moral, im Recht, in den Religionen, der Wissenschaftsphilosophie usw.
Zu diesem umfangreichen und, wie man heute ständig sagt, „komplexen“ Thema also ausnahmsweise nur einige eher knappe Hinweise.
2.Ausnahmen in der Alltagssprache
Der Ausgangspunkt: Menschliches Leben ist von Regelmäßigkeiten, Bestimmungen, gleichbleibenden Riten, Gesetzen bestimmt. Und das ist auch gut so, wenn denn die Regelmäßigkeiten, Bestimmungen, Gesetze usw. Ausdruck von Gerechtigkeit, d.h. im Sinne der universal geltenden Menschenrechte inhaltlich bestimmt sind und ein gutes Leben ermöglichen. Aber weil diese Gesetze usw. nie total alle nur denkbaren und möglichen Situationen umfassen können, gibt es de facto dann doch immer Ausnahmen. Die Alltagssprache wäre zu analysieren: „Mit dir mache ich mal eine Ausnahme“, „in der Situation gilt das Gesetz ausnahmsweise nicht“, „ein Ausnahme – Zustand ist ausgerufen worden“, „Zugang verboten, ausnahmsweise nur für Bewohner erlaubt“.
3. Ausnahmen werden im Alltag „gewährt“
Im üblichen bürgerlichen Alltag werden manchmal dem Einzelnen Ausnahmen gewährt, als Steigerung des eigenen Wohlbefindens. Diese gewährte Ausnahme ist rechtlich in einer Art „Grauzone“ angesiedelt. Freundschaft, Kungelei oder auch Barmherzigkeit können da als Motive gelten für den, der Ausnahmen gewährt.
Die „Ausnahme Gewährenden“ können auch „die über mich bestimmenden anderen“ sein, also etwa Beamte, Politiker, Polizisten, Lehrer, Priester, Ärzte, Eltern, Chefs usw.. Sie sind es, die dem einzelnen eine Ausnahme gewähren, also eine gewisse Lebenszeit außerhalb der üblichen Regeln und Bestimmungen, Riten, Gebote, Gesetzen. „Ausnahmsweise brauchst du am Montag nicht zu arbeiten“, „Ausnahmsweise kann der Bischof dir als Katholiken deine Ehe auflösen, so dass du erneut heiraten kannst“ usw.
4. Ich selbst gewähre mir Ausnahmen
Es sind nicht nur andere, die mir Ausnahmen gestatten, dieser Aspekt ist genauso wichtig: Ich gestatte mir selbst Ausnahmen. Etwa: Ich habe mir selbst als Verpflichtung vorgenommen, jeden Tag eine Stunde Gymnastik zu machen. Aber dann kommt der Moment: „Heute mache ich mal eine Ausnahme, weil ich leichte Kopfschmerzen habe oder einfach faul bin.“
Die mir selbst gewährte Ausnahme ist ethisch plausibel und menschlich üblich und normal, vertretbar, aber wohl nur, wenn die Ausnahme einmalig ist, zumindest, wenn sie nicht üblich wird oder zum Dauerzustand. Wird hingegen zum Dauerzustand, keine Gymnastik zu machen, dann st die gelegentliche Übung die Ausnahme. So können sich also die die Werte verdrehen. Die Welt der Faulheit gibt dann also die Normen vor, abweichendes Verhalten wird dann eher pejorativ als „bloße Ausnahme“ tituliert.
5. Ausnahmen für Privilegierte und Reiche
Wer kennt das nicht: Bestimmte Menschen werden in bestimmten Situationen gegenüber der großen Mehrheit bevorzugt behandelt. Privatpatienten müssen nicht so lange warten wie Kassenpatienten. Wer dicke Trinkgelder dem Personal beim Eintritt zusteckt, bekommt schnell einen Tisch im überfüllten Restaurant. Für einen als Bischof gekleideten Mann oder einen „Spitzenpolitiker“ ist immer noch irgendwo in einem Flugzeug ein Platz frei. Hier gilt der Spruch: “Wer hat, dem wird gegeben, d.h. eine Ausnahme gewährt“.
6. Die politische Ausnahmesituation
Es kann Situationen geben, in denen nicht die Üblichkeiten, Regeln, Gesetze vorherrschen, sondern die Ausnahmen. Wer etwa die früheren oder auch aktuellen politischen Verhältnisse in manchen Staaten Zentralamerikas anschaut, könnte zu dieser Überzeugung kommen: An die geltenden Gesetze und die einmal als Ausdruck von Gerechtigkeit formulierte Verfassung halten sich ganz wenige Politiker, Richter, Staatsanwälte, Journalisten usw. Die Ausnahme ist also normal geworden. Und wer gegen diese von Unmenschlichkeit bestimmten Verhältnisse einklagt, gilt als Ausnahme-Erscheinung und wird verfolgt, ausgegrenzt, getötet. Normal also werden Folter, Unterdrückung, Gewalt. Man studiere die Verhältnisse unter Diktatoren, im Nationalsozialismus oder im Stalinismus. Wenn nicht sehr früh dieser verkehrten Welt und ihrer perversen Logik politisch Widerstand geleistet, gibt es die allgemeine Gewöhnung an die „Ausnahme“ Situation der Unmenschlichkeit.
Aktuell versuchen populäre Politiker, das wahre Verständnis von Gerechtigkeit und Wahrheit zu vernichten, und Fakes, Lügen, Unterstellungen, Märchen-Erzählungen als allgemeine und richtige Welt-Interpretation durchzusetzen.
Mister Trump ist das in den vier Jahren seiner nur auf Lügen gebauten Herrschaft weitgehend gelungen: Er hat zur großen Verwirrung, zur Etablierung einer zweiten, parallelen Welt der Fakes und Monstergeschichten wirksam beigetragen. Die Voraussetzung für diese Etablierung einer verrückten „zweiten“ Welt war freilich, weil viele Leute schon disponiert waren, diesen Wahn zu übernehmen. Ausnahmeregelungen werden dort von den Herrschern der (armen) Mehrheit der Bevölkerung aufgezwungen, immer zugunsten der Herrschenden, der Militärs, der neoliberalen Ökonomen etc.
Normativ betrachtet haben dort die dauerhaften Ausnahmeregelungen und Notstandsgesetze den Charakter des Willkürlichen, des Unmoralischen, immer auch des Gewaltsamen.
7. Ausnahmen in der Demokratie
Korrupte Staaten und korrupte Organisationen kommen also ohne Ausnahme-Regelungen, die die Herrschenden eigenmächtig erlassen, nicht aus. Demokratisch regierte Staaten können manchmal auch nicht auf Ausnahme – Regelungen verzichten. Aber Demokratien verhandeln darüber nach demokratischen, parlamentarischen Gesetzen und begrenzen die zeitliche Geltung der Ausnahmebestimmungen. Staatlich verfügte, demokratisch beschlossene Ausnahmebestimmungen bedeuten meist eine Einschränkung der individuellen Freiheit des einzelnen. Sie sind nur durchzusetzen, weil die Ausnahmebestimmungen ein höheres Gut schützen als etwa die Reisefreiheit des einzelnen, Ausnahmeregelungen schützen das höhere Gut der Gesundheit der Menschen eines ganzen Landes. Für den einzelnen bleiben die Ausnahme – Bestimmungen zweifellos oft eine gewisse Einschränkung der individuellen (individualistischen) Freiheit, sie haben also für den einzelnen einen gewissen „negativen Beigeschmack“. Und der einzelne muss nicht nur plausible Begründungen, sondern auch den demokratisch fundierten Charakter dieser Ausnahmen einfordern.
8. Ausnahmen dürfen kein Dauerzustand werden
Gewährte Ausnahmen werden einmalig gegeben und sind zeitlich begrenzt: Wer ausnahmsweise einmal am Montag von der Arbeit befreit ist, darf daraus nicht schließen, immer montags zu Hause zu bleiben. Die rechtliche und demokratische Ordnung wird erschüttert, wenn ständig vielen einzelnen Ausnahmen gewährt werden und diese dann meinen, die Ausnahme können sich doch zum Dauerzustand entwickeln, für den Gewährenden wie für den die Ausnahme Empfangenden.
9. Das absolute Verbot von Ausnahmen: „Du sollst nicht töten“. „Du sollst nicht lügen“
In der Ethik sind Prinzipien und universale Imperative formuliert, die sich auch gegen Ausnahmen in bestimmten „Fällen“ aussprechen. An die klassischen Zehn Geboten wäre zu erinnern, etwa an das 5. Gebot: „Du sollst nicht töten“ oder an das 8. Gebot „Du sollst nicht lügen“. Diese Gebote werden unterstützt von der universal geltenden „Goldenen Regel“, die nicht nur im Bereich der biblischen Offenbarungen ausgesprochen wurde.
10. Du sollst nicht töten … und der Tyrannenmord?
Die Kirche hat im Mittelalter das 5. Gebot mit einer Ausnahme ausgestattet: Etwa Thomas von Aquin, der den Tyrannenmord ethisch für vertretbar hielt. Tatsache ist, seit dem Mittelalter wurden von katholischen Theologen und katholischen Ethikern ermuntert, relativ wenige Tyrannen ermordet, es gab also eine Scheu der Untertanen, dies den Tyrannen anzutun. Bekanntlich wurde der Mönch Savonarola als religiöser Tyrann eingestuft und hingerichtet, nicht aber der ihn bekämpfende extrem unmoralische Papst Alexander VI. in Rom.
Als dann während der Französischen Revolution König Ludwig XVI. hingerichtet wurde, gab es einen totalen Aufschrei unter den frommen, selbstverständlich königstreuen Katholiken. Es war wohl mehr die maßlose Wut der Revolutionäre, gegen das Königtum im „Ancien Régime“ als der Hass auf die Person Ludwig XVI., die zur Hinrichtung des Königs führte.
Hinrichtungen im Rahmen der Todesstrafe sind bis heute nicht nur in den sehr frommen muslimischen Staaten üblich, sondern auch in einigen Staaten der „christlichen“ USA erlaubt und üblich.
Heute ist die Lehre vom Tyrannenmord ethisch – theologisch zurecht umstritten, wenn nicht obsolet, weil die Frage nicht zu beantworten ist: Wer unter all den Politikern ist denn nun der größere Tyrann? Und was ist, wenn man den größten Tyrannen tötet, dann kommt der nächste. Weil die Deutschen (vor allem die konservativen Militärs) viel zu spät auf die Idee kamen, den Tyrannen Hitler zu töten, waren Attentate gegen ihn am 20.Juli 1944, förmlich in letzter Minute, nicht ohnehin zum Scheitern verurteilt? Der Tyrannenmord ist also auch eine Frage des richtigen (frühen) Augenblicks. Hätte die Republikanische Partei Mister Trump schon vor dreieinhalb Jahren aus dem Amt gefegt, wäre der Welt viel Übles erspart geblieben. Jetzt (Mitte Januar 2021) kommen alle Aktionen gegen den eigentlich nur als absolut unmoralisch und undemokratisch zu bezeichnenden Präsidenten (warum wagt es eigentlich niemand, ihn einen Verbrecher zu nennen?) sehr spät, wahrscheinlich zu spät.
Du sollst nicht töten: Dieses Gebot wie auch der Appell zur Feindesliebe durch Jesus von Nazareth wurden im Laufe der Kirchengeschichte, und diese war ja eine Geschichte von Menschen, nie realisiert, es wurde umgedeutet, hin und her gewendet: Und dies lag daran, dass die Theologie damals besonders im Dienst der Herrschenden stand, die natürlich ein enormes Interesse daran hatten, als Tyrannen nicht „vom Thron gestürzt zu werden“. Diesen Vers aus dem bekannten Gebet „Magnificat“, gesprochen von Maria, haben die Nonnen und Mönche zu Tausenden täglich 1.500 Jahre gesungen und geschmettert. Aber es waren wohl leere Worte, Lippenbekenntnisse, daher gesagte Floskeln, der Bibel entnommen, wie viele Tyrannen haben denn die Mönche und ihre Bischöfe und Päpste vom Thron gestürzt? Und wenn, dann nur zum eigenen klerikalen Vorteil, nicht aus Gründen der Gerechtigkeitauch für die Armen.
11. „Du darfst niemals lügen“ betont KANT
Selbst in dem sehr umfangreichen „klassischen“ KANT – Lexikon von Rudolf Eisler kommt das Stichwort „Ausnahme“ nicht vor. Dabei wäre es naheliegend, gerade im Zusammenhang des absoluten Gebotes, nicht zu lügen, doch einmal nach möglichen Ausnahmen zu forschen. Kant lehnt entschieden die Lüge als eine ethisch wertvolle Haltung ab. Und das mit guten Gründen: Die Lüge, einmal vollzogen, verdirbt nicht nur das menschliche Miteinander, sie schafft förmlich eine neue Schein-Welt. Die Lüge stört und zerstört auch die „Menschheit in mir selbst“, wie Kant sagt, also das, was man klassisch, aber nach wie vor gültig, die Seele nannte. Wer Lüge zur Gewohnheit macht, zerstört sich selbst, er weiß dann nicht mehr, wer er ist.
Immer wieder und ständig wird in Debatten über „Lüge und Kant“ dieses Beispiel genannt: Soll ich lügen, wenn die Nazis an meiner Tür klingeln und mich nach einem bei mir versteckten Juden fragen. Tatsächlich habe „ich“ ihn ja versteckt. Lüge ich, rette ich wohl das Leben des Versteckten. Er und ich als Verstecker bin erst mal „gerettet“. Aber der Versteckte weiß: Mein Helfer kann lügen, er hat es ja getan. Fördert diese Einsicht das Vertrauen? Sicher nicht. Aber immerhin, zunächst einmal ist der Versteckte gerettet, eine einmalige Ausnahme hätte wohl auch Kant verziehen.
Aber dieses ständig zitierte Beispiel („Die Nazis suchen bei mir den versteckten Juden“) ist nicht nur extrem selten, weil bekanntlich viele Tausend Deutsche ihre deutschen Mitbewohner, Juden, eben nicht versteckt hatten. Lassen wir uns also bessere, uns selbst betreffende Beispiele einfallen. Wie die Lüge Beziehungen und damit Leben kaputt macht, können wir in der großen Literatur lesen, ich erinnere an Flaubert oder Fontane. Die Lügen haben bekanntlich auch die römische Kirche kaputt gemacht, wenn so viele tausend Priester gelogen haben: „Wir begehen keine Verbrechen mit Kleinen Kindern“. Viele tausend Namen müssen jetzt nicht genannt werden, nur ein beinahe schon klassisches Beispiel: Der mexikanische Ordensgründer und Multi-Millionär, Pater Marcial Maciel, Gründer des Ordens der „Legionäre Christi“. Er ist der große prominente Lügner und Freund des heiligen Papstes Johannes Paul II. Er hat die Kirche verdorben. Alles war Lüge an ihm, „Christus ist mein Leben“ nannte er unverschämt sein international verbreitetes Buch.
Also merke: Wenn Kant die Lüge das schlimmste im menschlichen Leben bezeichnet, dann hat er viele gute Gründe.
12. „Lügen müssen sein, sie dienen der Selbsterhaltung“ behauptet Nietzsche
Für die Lüge als Lebensform zu plädieren, war Nietzsche schon sehr früh wichtig, man denke an seine schon 1873 verfasste Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ , aber erst veröffentlicht von Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche 1896.
Verstellung und Täuschung und Lügen bewertet Nietzsche als existentielle Notwendigkeiten. Wahrheiten sind für Nietzsche nichts anderes als Konventionen und Illusionen. „Wir haben Lüge nötig…Die Lüge ist die Macht“ (vgl. Nietzsche Handbuch, Verlag Metzler,2000, Seite 278).
Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann sind wohl auch diese Sätze Nietzsches als Lügen zu bewerten. Aber diese Erkenntnis der Selbstwidersprüchlichkeit“ wehrt Nietzsche ab: Ihm kommt es unbedingt als Dogma auf die auch leiblich wahrnehmbare „Steigerung“ des Lebens an, und da ist die Lüge und Selbsttäuschung nicht nur hilfreich, sondern notwendig.
Tatsache ist: In seinem Plädoyer für die Lüge als Üblichkeit und Ausdruck des Lebenswillens betreibt Nietzsche die „Zersetzung moralischer Rangordnungen“ (so Vittorio Hösle, „Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie“, Beck Verlag, München 2013, s. 195). Aber auch diese „Zersetzung“ wird von Nietzsche noch einmal als Wahrheit propagiert, so dass die Bindung an Wahrheit, die der menschliche Geist einfach nicht „los“ wird, Thema bleibt… nd Kants Ethik („Kategorischer Imperativ“) wieder eine neue Bedeutung erhält.
13. Lüge und Wahrheit und „postmodernes Denken“
Es wäre weiter zu untersuchen, wie die Beliebigkeit gegenüber Lüge und Wahrheit durch die so genannte postmoderne Philosophie verstärkt wurde.
Diese philosophische Denkweise, besonders in Frankreich seit 1970 verbreitet, ist zwar als philosophische Schule seit Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr präsent und als solche kaum noch aktuell greifbar. Aber Postmoderne wird in einem gewissen populären Sinne immer noch mit der „wunderbaren Beliebigkeit“ gleichgesetzt, also mit einem Pluralismus der Wahrheiten, die ihrerseits keine gemeinsame Basis haben und so ein Universum paralleler, unvermittelter Wahrheiten erzeugen: „Suche sich jeder seine Wahrheit, die ihm gerade passt“.
14. Die von esoterischen Wahrheiten besessenen Frommen
Die Postmoderne hat den Eifer der Traditionalisten hervorgerufen, die nun angeblich göttliche Wahrheiten aus angeblich heiligen Büchern auch mit Gewalt durchsetzen wollen. Die totale Subjektivität der egozentrischen Beliebigkeit wird auch sichtbar in der Begeisterung für die eigenen Waffen, die fast jeder US-Bürger, und ein frommer zumal, in mehreren Varianten in seinem Haus hat, wenn er sie nicht ständig mit sich rumschleppt. Diese Verhältnisse bündeln sich in der unmoralischen Gestalt von Mister Trump: Dieser gefährliche, allein am Geld und an seinem Ego interessierte Typ ist aber nur möglich geworden auf einem geistigen „Boden“, in dem die Sehnsucht nach ganz anderen Wahrheiten, Fakes, und seien sie spinös, auch religiös geweckt wurde. Man könnte Trump also einen Halunken der Postmoderne und ihrer Beliebigkeit und ihrer Fakes nennen, und dies in einem Staat, dessen Einwohner alles andere als rundum gebildete demokratische Bürger sind. Mag ja die uralte Verfassung der USA als demokratisch gelten, die Mehrheit der US-Bürger ist jedenfalls nicht demokratisch gesinnt, man denke auch an das riesige Desinteresse, an Wahlen teilzunehmen. Und an dieser Verblendung sind die Religionen und vor allem die christlichen Kirchen mitschuldig. Sie haben ihre religiösen Lehren wie esoterische Geheimnisse mit viel charismatischem Tralala gelehrt und verbreitet, aber nicht als vernünftigen Ausdruck von Lebenserfahrungen. Aber dies ist ein anderes Thema.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. www.religionsphilosophischer-salon.de

Christentum und Kirche im Kapitalismus.

Weiterführende Überlegungen, anlässlich eines Buches von Rainer Bucher
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Sehr viele verdrängen es, viele wissen es, wenige sagen es laut: Das Christentum ist seit dem Auftreten des Kapitalismus im 18. Jahrhundert („industrielle Revolution“) ein „Christentum im Kapitalismus“. Diese Erkenntnis erläutert jetzt der katholische Theologe Rainer Bucher (Universität Graz) in seinem neuen Buch genau mit diesem Titel: „Christentum im Kapitalismus“.
Ich werde dabei an die offizielle Selbstbezeichnung der evangelischen Kirche in der DDR, Mitte der neunzehnhundertsiebziger Jahre, erinnert. Der „Kirchenbund“ bezeichnete sich selbst mit Zustimmung von Erich Honecker als „Kirche im Sozialismus“. Dazu gab Bischof Albrecht Schönherr gleich die ausdrückliche Interpretationsanweisung: „Wir sind eine Kirche nicht gegen und auch nicht für, sondern Kirche IM Sozialismus“. Dass dabei die DDR – Herrschaft überhaupt als Sozialismus implizit anerkannt wurde, zeigt, dass diese Selbstbezeichnung de facto mehr war als eine Art geografische Ortsangabe, so, wie man sagen könnte: „Wir sind eine Kirche in Berlin“. Aber das ist ein anderes Thema, genauso wie die Tatsache, dass einige Pfarrer und Kirchenfunktionäre diesen Sozialismus à la DDR offenbar schätzten und deswegen „inoffizielle Mitarbeiter“ („IM“) der Stasi wurden.
2.
Rainer Bucher, Autor des Buches „Christentum im Kapitalismus“, würde seine Interpretation eines Christentums „im Kapitalismus“ niemals analog zur Formel Bischof Schönherrs verstehen, er würde nicht sagen: „Wir wollen ein Christentum nicht gegen, nicht für, sondern bloß im Kapitalismus sein“. Rainer Bucher sieht in „dem“ Kapitalismus vielmehr eine totale, also nicht nur eine ökonomische, sondern auch kulturelle Herrschaft, der die Kirchen unentrinnbar ausgesetzt sind. Der Kapitalismus ist für Bucher „der Souverän“, er „macht sich die anderen untertan, auch die Religion.“ (58). Insofern hat der Kapitalismus längst „gewonnen“, wenn er auch noch nicht ganz „allmächtig“ ist (29). Diese Ambivalenz zwischen einem Kapitalismus als „Sieger“ und noch „nicht ganz allmächtig“ wird vom Autor nicht aufgelöst.
Kann das Christentum sich vielleicht aus dem Kapitalismus befreien und ihn gar mit anderen überwinden? Bloß was kommt dann? Die hartgesottenen neoliberalen Kapitalisten, Millionäre, Milliardäre aller Länder schmunzeln wohl über diese Frage… Sie halten den Kapitalismus und Neoliberalismus für ewig, unersetzbar, zum Kapitalismus gibt es keine Alternative, predigte die neoliberale Zerstörerin des Sozialen, Madame Thatcher.
Trotzdem lohnt es sich beim Thema des Buches zu bleiben. Ohne ein Trotzdem lebt keine Philosophie und eine Theologie schon gar nicht.
3.
Will das Christentum, wollen die Kirchen, in diesem allumfassenden kapitalistischen System wenigstens überleben, müssen sie sich zu ihm kritisch verhalten, das betont der Autor. Er ist wohl schon froh, wenn Christen und Kirchen den Kapitalismus etwas einschränken, etwas bremsen, etwas humaner machen. Dies ist ja die Zielvorgabe der alten SPD. Sozial gesinnte Kreise der so genannten christlichen Parteien in Europa setzten und setzen ausschließlich auf einen inneren Bewusstseinswandel der Bürger: „Sollen die Konsumenten doch anders konsumieren, also etwa Fair-Trade – Bananen kaufen“. Das Wort fair-trade setzt ja automatisch die Erkenntnis frei: Alles andere Obst, Gemüse und Fleisch etc. ist nicht NICHT-fair gehandelt, sondern entstammt unterdrückerischen, also kapitalistischen Strukturen. Nicht-fair Gehandeltes kann zudem „Gammelfleisch“ sein oder das billige Gemüse ist hochgiftig . Wie viele „Rückrufaktionen“ etwa von nicht fair gehandeltem Käse melden die großen Supermärkte wöchentlich. Die Arbeiter auf den „nicht -fairen“ Bananen – Feldern erhalten einen Hungerlohn etc. Den dicken Profit streichen die United-Fruit-Companies etc. ein. Die Supermärkte in Europa sollten also bitte immer den Untertitel führen: „Hier werden vor allem NICHT- fair-gehandelte, also ungerecht gehandelte Waren verkauft“.
4.
Aber die LeserInnen dieser kleinen Buchbesprechung sollen nun bloß nicht meinen, dass in dem Buch „Christentum im Kapitalismus“ davon die Rede ist. Der Autor hätte ja auch zurecht darauf hinweisen können, dass bei kirchlichen Empfängen und in kirchlichen Akademien usw. fair- trade- Coffee (also anti-kapitalistischer Kaffee) serviert wird. Dieser beruhigt das fromme Gewissen. Fair gehandelter Kaffee beunruhigt aber nur ein ganz kleines Bisschen die nicht fair agierenden Groß-Unternehmen. aggressiven Praktiken des Kapitalismus/Neoliberalismus.
5.
Wenn man schon von Kapitalismus spricht, wäre es auch von der Sache her geboten, den alles entscheidenden Begriff zu besprechen, also vom Klassenkampf zu sprechen, auch vom Klassenkampf im Zusammenhang von Glaube und Kirche. Nur nebenbei: Der katholische Theologe und Philosoph Giulio Girardi hat diesen Zusammenhang von Kirche und Klassenkampf ausführlich reflektiert, er wurde deswegen als Priester aus dem Salesianerorden (SDB) ausgeschlossen und durfte nicht mehr an katholischen Fakultäten lehren. Früher hätte man ihn als Ketzer gern verbrannt, jetzt rettete ihn der liberale Rechtsstaat.
6.
Solche heißen Eisen („Klassenkampf und Kirche“) berührt Rainer Buch in seinem Buch „Christentum im Kapitalismus“ nicht. Er hätte ja dabei an die ganz wenigen katholischen Bischöfe erinnern können, die den Klassenkampf in ihren Ländern und Bistümern genau erkannten und sich bewusst der Klasse der Unterdrückten angeschlossen hatten, von Bischof Pedro Casaldáliga (Brasilien) wäre also zu sprechen gewesen oder von Erzbischof Helder Camara (Brasilien) oder dem heiliggesprochenen Erzbischof Oscar Romero (El Salvador). Auch Bischof Jacques Gaillot (Evreux/Partenia) hat sich mit den unteren Klassen solidarisiert. Gaillot wurde bekanntlich vom Papst als Bischof von Evreux abgesetzt, weil der damalige französische Innenminister Pasqua die Kritik Gaillots an der offiziellen Ausländerpolitik nicht ertragen konnte…
Rainer Bucher fasst also ein gewaltiges Thema an, aber er bietet eine viel zu knapp ausgefallene Studie. Sie hat zudem noch den milde klingenden Untertitel hat: „Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt“. Ist der Kapitalismus im Ernst „Verwaltung“ zu nennen? Verwaltung bewahrt ja wenigstens, Kapitalismus aber zerstört vieles um des Profites willen. Das ist evident.
Bucher übernimmt also mit dem Untertitel diese äußerst dürftige Kapitalismus – Definition des Philosophen Jean – Luc Nancy (S. 20). Später (S. 38) betont Bucher: Nancy fasse den Kapitalismus als „ökonomisches System“ mit der Bevorzugung individueller Eigentumsrechte, zweitens als das Zur-Ware-werden alles Lebendigen sowie als die absolute Geltung des Kapitals, um Gewinne in der Zukunft zu machen.
Die heute von einer überwältigenden Mehrheit der Soziologen und Philosophen gängige Beschreibung eines eher totalitären
Kapitalismus fehlt auch bei Bucher,. Die wesentliche Einsicht der führenden Kapitalismus -Kritiker lautet: Der Kapitalismus stößt an seine Grenzen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit, die Anzahl der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten weltweit nimmt ständig zu, Millionen Menschen krepieren förmlich in ihren Slums, die Reichen haben sich an das Elend ihrer vielen Millionen Mitmenschen gewöhnt, sie sind bestenfalls noch zu Spenden bereit usw.. Der Kapitalismus als Neoliberalismus zerstört die Natur und die Umwelt mit seinem Wahn, alles Natürliche in Ware und damit in Geld zugunsten der Konzerne zu verwandeln. Der Kapitalismus mag es sehr, wenn autoritäre Regierungen etwa bei ihrer Naturzerstörung den internationalen Konzernen freie Hand lassen, wie etwa in dem verbrecherischen System zur Zeit in Brasilien. Der Kapitalismus als Ideologie des ständigen ökonomischen Wachstums ist wesentlich kriegerisch: Abwehr und Krieg, Waffenproduktion in Hülle und Fülle und Folter und Verfolgung und „Erzeugung“ von Millionen Flüchtlingen sind das Wesen des Kapitalismus/Neoliberalismus. Dass dann die von den Kapitalisten „erzeugten“ „Flüchtlingsströme“ keine menschenwürdige Aufnahme finden, gehört zum kapitalistischen Ungeist. Mit Unsummen von Geld aus Europa sollen ärmere Nationen (Türkei, Kenia, Uganda, Libyen, Niger usw.) diese vom Kapitalismus erzeugten „Flüchtlingsströme“ von den reichen Ländern bitte schön fernhalten. Und die Kirchen als Kirchen in diesem Kapitalismus bitten um Spenden für diese armen Menschen, sagen aber nicht den Regierenden klar und deutlich: Eure „christliche“ Politik ist nicht mehr menschlich, wir können sie nicht mehr unterstützen. Darüber wird nicht einmal diskutiert. Früher sprach die evangelische Kirche von politischen Situationen, in denen der „status confessionis“ gilt, ein alter Begriff, den man bitte weiter studiert in aktuellem Zusammenhang von „Kirche und Kapitalismus“
7.
Der große Soziologe Hartmut Rosa, wahrlich kein Marxist und „Klassenkämpfer“, beschreibt in seinem Buch „Resonanz“ treffend den Kapitalismus als dem ständigen Wachstum verpflichtet, mit seiner Steigerungslogik, der Sucht nach Profit, Gewinn, Rendite (Seite 725 f. in der Taschenbuchausgabe des Suhrkamp-Verlages 2019). Hartmut Rosa spricht von der „Ersetzung der blindlaufenden kapitalistischen Verwertungsmaschinerie“ (S. 726), von einer totalen Verwertungslogik, und er zitiert in einer Fußnote Karl Marx aus seinem Kommunistischen Manifest. Marx klagt den Kapitalismus an, weil er auch „alles Heilige entweiht“ (S. 680, Fn., 59). Dass sich hier auf Hartmut Rosa hinweise, geschieht sozusagen prophylaktisch, um allen konservativen Geistern zu zeigen: Die tiefgreifende und begründete Ablehnung des Kapitalismus/Neoliberalismus ist in der Welt der Wissenschaft wenn auch nuancenreich, aber universal und selbstverständlich.
8.
Der Ton in Buchers Buch bleibt moderat, der Autor meidet meines Erachtens die wirklichen heißen Fragen bei seinem Thema. Trotzdem lohnt es sich das Buch von Rainer Bucher zu lesen, schon allein deswegen, weil es über den Text hinaus zu weiterem Nachdenken anregt.
Das Buch bietet etwas Material zu den theologisch bislang kaum wahrgenommenen heutigen Marxisten wie Vattimo, Badiou, Zizek.
Das Buch von Rainer Bucher bleibt zudem inspirierend, weil klar gesagt wird: „Auch Religion und Glauben werden in Zeiten des Kapitalismus vom Kapitalismus geprägt, zutiefst und zuinnerst“ (46).
9.
Viele Themen, die das Buch nicht ausführlich behandelt, fallen dem Leser bei der Lektüre selbst ein: Ich nenne nur einige:
9.1.
Allein schon die Einbindung des europäischen Katholizismus in die Kolonialgeschichte wäre ein ganz dringendes Thema wie etwa auch die Frage: Warum glauben eigentlich die (von den Kolonialherren wie Untermenschen behandelten Afrikaner) dem christlichen Glauben, also der Religion der kapitalistisch – imperialistisch geprägten Kolonialherren? Wollen sie die kapitalistisch geprägte Denkform der europäischen Kirche nun ihrerseits übernehmen und eine afrikanisch – kapitalistische Kirche aufbauen? Wer einige Pfingstkirchen in Nigeria oder Brasilien studiert, kommt angesichts deren „Wohlstandsevangelium“ schnell zu dieser Überzeugung.
9.2.
Wenn die kapitalistische Mentalität des Verfügens und Beherrschens auch die kirchliche Spiritualität bestimmt, dann wären ganz dringende Themen zu bearbeiten: Das Festhalten an einer Hierarchie, an der pyramidalen Ordnung, entspricht den hierarchisch strukturierten Großunternehmen. Auch die miserable Rolle, die an führender Stelle Frauen in der katholischen Kirche oder der Orthodoxie spielen, gilt genauso für neoliberale Großunternehmen. Wenn der Kardinal von München jetzt ein Monatsgehalt von 12.526 Euro (B 10) erhält, entspricht diese Honorierung in etwa dem Gefälle der Gehälter in Großunternehmen zwischen Top-Leuten und kleinen Angestellten. Die Kirchen haben sich längst daran gewöhnt, sich wie Großbetriebe zu verhalten. Wenn zum Beispiel klerikales Personal nicht mehr zur Verfügung steht, um alle vorhandenen Pfarreien zu „bedienen“, werden einfach Gemeindehäuser geschlossen und die Kirchengebäude nur noch mit reduziertem Aufwand bedient. Genauso verhalten sich Unternehmen, die allein nach Gesichtspunkten des Profits ihre Filialen aufrechterhalten. Gibt es weniger Kirchenmitglieder, werden Pfarreien geschlossen. Gibt es weniger Kunden, werden Geschäfte dicht gemacht.
9.3.
Es wäre bei dem Thema dieses Buches angebracht, die innere Verdorbenheit der christlichen Glaubenslehre durch den Kapitalismus dreizulegen. Ich kann Aspekte dieses umfassenden und noch weiter auszuarbeitenden Themas hier nur andeuten:
Auch in den Kirchen gibt es die Herrschaft der großen Zahlen: Ein Gottesdienst, eine Predigt, waren dann gut, wenn sehr viele Leute im Gottesdienst waren und die Predigt hörten. Ich erinnere mich an die Klagen der Pfarrer: „Heute waren nur alte Damen im Gottesdienst“. Was ist daran schlimm? Alte Menschen haben – kurz vor Lebensende – ein gutes Recht, spirituelle Impulse zu erhalten. Und modern und jugendlich wollen die Gemeinden der schon äußerlich häßlichen Mega – Churches sein, in den USA, Nigeria, Korea oder Brasilien: Die Gottesdienste, die sie anbieten, sind als totales Show-Programm konzipiert, mit allerhand Singsang und körperlichen Verrenkungen frommer Tanz-Gruppen und den endlosen Monologen der Pastoren, die allen Erlösung versprechen, wenn sie ordentlich für den Pastor spenden. In diesen Mega – Churches wird das „Wohlstandsevangelium“ verkündet: Wer arm ist, der ist selber schuld. Das hätte der Ökonom Hayek, der Heilige der Neoliberalen, nicht besser formulieren können. Diese Mega-Churches sind religiös angehauchte kapitalistische Unterhaltungstempel.
9.4.
Aber damit wird die Frage wichtig: Wie weit ist die innere Glaubenswelt, also das Dogma, das Gebet, die Liturgie, die Kirchenlieder, von der kapitalistischen Mentalität bestimmt? Warum hält die katholische Kirche immer noch am Ablass fest und bietet ihn etwa zu Ostern sogar via Fernsehen, Radio, Internet an? Warum hält die katholische Kirche wie einst, so auch heute, daran fest, dass einfache Laien bei den Priestern Messen „bestellen“ können, gegen ein gutes Honorar freilich? Eine fremde Person betet also anstelle meiner, bloß weil ich diese Person, den Priester, dafür bezahle? Die katholischen Männerorden machen auf diese Weise immer noch ein „dickes Geschäft“. Für die Allmacht des Geldes, etwa im Katholizismus, ein weiteres Beispiel: Warum sind Heiligsprechungen so teuer? Viele tausend Euro, mindestens 50.000 Euro, müssen etwa Ordensgemeinschaften für die Heiligsprechung ihres Gründers der entsprechenden vatikanischen Bürokratie „für Heiligsprechungen“ bezahlen.
9.5.
Kapitalismus ist Egoismus: Das ist ein ganz banaler, aber immer noch treffender Basisaspekt kapitalistischer Mentalität. Der Egoismus der Beter wäre zu untersuchen, in den immer noch populären Bittgebeten: Zuerst und vor allem möge ich gerettet werden, heißt die Standardformel aller Bittgebete.
Auch von der Opfertheologie wäre zu sprechen, die in verschiedenen Konfessionen immer noch eine große Bedeutung hat, bis hin zu den grausigen Liedern am Karfreitag: Jesus Christus opfert sich am Kreuz leidend für die Erlösung der Menschen, weil es sein himmlischer, angeblich liebender Vater, dies so will. Opfert euch auf, rufen die Kapitalisten den Armen zu, gebt euch hin der Arbeit, es gibt keine Alternative für euch, ihr müsst bis zum Umfallen schuften in unseren Fabriken, vielleicht erlauben wir es dann euren armen Kindern, dass es ihnen etwas besser geht. Indem das Christentum den Wahn des Opfers in den religiösen Mittelpunkt stellt, öffnet es die Türen für die Opfer – Ideologie der kapitalistischen Herren-Menschen. Darüber hätte ich auch gern ein paar Zeilen gelesen in dem Buch „Christentum im Kapitalismus“.
10.
Lässt sich das Christentum wenigstens noch partiell in der PRAXIS vom Kapitalismus befreien? Eine schwierige Frage, auch zu dem Thema bietet das Buch „Christentum im Kapitalismus“ eher wenig. Man hätte doch sprechen können von den kleinen, aber wirksamen Gruppen innerhalb des kapitalistisch beherrschten Christentums, etwa den nicht nur in den USA, sondern weltweit präsenten Gruppen der „Catholic Worker“. Von christlichen anarchistischen (sic!) Gruppen wäre zu sprechen, von den “Religiösen Sozialisten” in der Schweiz, vor allem von den Basisgemeinden weltweit, die selbst die verheerende konservaive Pastoral-Politik des Vatikans nicht vernichten konnte. Es wäre zu denken an die Gemeinden, die wie etwa in Holland, aus dem Verbund mit den Bistümern ausgestiegen sind und unabhängige, selbst finanzierte Gemeinden sind, wie etwa die Dominikus – Gemeinde in Amsterdam (Spuistraat).
11.
Darüber hinaus wäre natürlich der enge theologische Blick zu überwinden, dass man Religion nur da vermutet, wo Religion draufsteht. Kurzum, es wäre zu fragen, ob die wahren Partner eines antikapitalistischen Christentums nicht bei den NGOs (Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace, NABU, AVAAZ) zu suchen sind. Mit denen ließe sich dann die schwere Frage erörtern, wie denn ein Leben de facto zwar noch innerhalb, geistig/politisch/spirituell außerhalb des heute dominanten Kapitalismus aussehen kann.
12.
ZUR SPRACHE:
Nur eine kleine Kritik am Schluss: Bei einer weiteren Neuauflage würde ich herzlich bitten, um des erreichbaren Verständnisses willen, den tatsächlich aus 17 (oder sind es 18?) Druckzeilen bestehenden Satz auf Seite 49) in mindestens drei Sätze aufzulösen.
Und schlechterdings unverständlich, selbst für einen Theologen, ist dieser Satz auf Seite 152: „Ohne die Dynamik des Prozedierens petrifizieren die paradoxen Polaritäten des Christentums entweder an einem ihrer Pole oder diese Balance rastet ein…“ Eingerastet ist auch mein Begreifen als ich von einer „lokalen Entbettung“ (S. 65) las. „Einbetten“ und „Umbettung“ (auf Friedhöfen) geht ja noch. Aber „Entbettung“? Ist Entbettung vielleicht eine neue Strategie des Kapitalismus, uns sogar noch unsere Betten zu nehmen? Den Schlaf raubt der Kapitalismus einigen Leuten ja ohnehin schon.

Rainer Bucher, Christentum im Kapitalismus. Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt. Echter Verlag, Würzburg, 2.Aufl. 2020, 224 Seiten, 19,90€.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Nur ein konfessionsloser Staat kann Religionsfreiheit garantieren: Erfahrungen in Frankreich.

Die Trennung von Kirchen und Staat: Vor 115 Jahren, am 9. Dezember 1905.
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Wer Frankreichs Kultur verstehen will, muss wissen, was „laicité“ bedeutet. Dieser Begriff ist zentral, er nennt das Selbstverständnisses der französischen Republik und wird wieder einmal, seit Oktober 2020, von staatlicher Seite und den katholischen Bischöfen diskutiert.
Das Wort laicité ist nur mit Mühe, nur mit Umschreibungen, ins Deutsche zu übersetzen. Deutsche, auch deutsche Journalisten und Wissenschaftler, machen es sich zu einfach und behaupten: Laicité sei nichts anderes als „Laizismus“. Dieser „Laizismus“ ist jedoch bekanntlich die kämpferische Haltung eines atheistisch eingestellten Staates gegenüber den Religionen und Kirchen. Diese Identifizierung von laicité und Laizismus ist im Blick auf Frankreich oberflächlich und falsch. Laicité bedeutet: Ein „a-religiöserStaat“, nicht ein anti-religiöser Staat.
Erst seit 1946 definiert sich Frankreich in seiner Konstitution als eine „République laique“, der Sache nach war die Französische Republik schon seit 1905 „laique“.
2.
Die Französische Republik ist bestimmten Werten, als leitenden Idealen – mindestens theoretisch -, verpflichtet: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Diese drei sind philosophisch gesehen geradezu evident für ein humanes Zusammenleben. Man könnte auch sagen, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit haben beinahe die Aura des Heiligen. Sie sind als ein öffentliches republikanisches Bekenntnis unübersehbar wahrzunehmen an allen Rathäusern, staatlichen Schulen, öffentlichen Bibliotheken und auch auf französischen 1 sowie 2 Euro Münzen.
Hinzukommt, und dies ist genauso wichtig, förmlich als Zusammenfassung dieser drei Maximen, der vierte republikanische Wert, die „laicité“.
Die heutige Verfassung sagt im Artikel 2: „Frankreich ist eine unteilbare,= laique=, eine demokratische und soziale Republik“ . „Die Laizität ist der Eckstein des republikanischen Paktes, sie beruht auf drei untrennbaren Werten: Der Freiheit des Gewissens, der rechtlichen Gleichheit aller geistigen und religiösen Optionen, der Neutralität der politischen Macht ihnen gegenüber“. So formuliert im Jahr 2003 eine hochrangige staatliche Kommission das Wesen der laicité, diese Kommission wurde geleitet von dem hoch geschätzten ehemaligen Minister Bernard Stasi.
Keine bestimmte Religion oder Kirche wird in der französischen Republik als Staatskirche anerkannt, keine bestimmte Religion wird bevorzugt. Der Gedanke ist ausgeschlossen, dass der Staat – wie in Deutschland – Kirchensteuern in Milliardenhöhe jährlich für die Kirchen und im Auftrag der Kirchen einziehen könnte. Die laicité will in dieser Neutralität primär für den gesellschaftlichen Frieden, die Toleranz, in Staat und Gesellschaft sorgen.
3.
Es wird in den kommenden Wochen, ab 2021, ein Gesetzesprojekt debattiert werden, das die laicité aktualisieren soll, „republikanische Grundprinzipien“ sind das Programm. Gedacht ist dabei an eine Art philosophisch – ethischer „Basis-Philosophie“ der Republik. Angestoßen zu diesem Projekt wurden Präsident Macron und seine Regierung durch die jüngsten mörderischen Attacken von Terroristen, die sich selbst mit dem islamischen Glauben in persönliche Verbindung brachten. Diese mörderischen Kreise oder einzelnen Personen werden allgemein „radikale Islamisten“ genannt. Wie stark bei denen der Islam oder der Ungeist des Terrors ausgeprägt ist, wird in dieser Pauschalisierung nicht unterschieden.
Keine Frage: Die Französische Republik und viele ihrer Bürger sehen sich (seit einigen Jahren) durch „islamistische“ Kreise bedroht. Eine Zeit der Pauschalurteile, der Feindbilder, hat wieder begonnen, und schnell ist man bei „DEM“ Islam als dem „Feind“ gelandet. Diese Haltung zeigen rechte und liberale Politiker aus wahltaktischen Gründen, um die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen nicht noch stärker werden zu lassen. Bekanntlich war ihr Vater Jean – Marie Le Pen als Gründer und Chef des FN ganz offensichtlich Antisemit. Die Tochter gibt sich hingegen, taktisch raffiniert, eher philosemitisch, um dann um so heftiger ihre Anti-Islam-Politik zu beschwören, die aber letztlich als Anti-Ausländer und Anti-Flüchtlingspolitik gemeint ist. „Les Francais d abord“ also die (weißen) Franzosen zuerst ist das Motto….
Dieser vielfältige Hintergrund spielt nun für das Projekt der Macron – Regierung eine wichtige Rolle, eine Art „republikanischen Grundwertekatalog“ zu schaffen. Die Muslime sollen in dieser Sicht umfassend informiert und gedrängt werden, die Werte der Republik Frankreich in der Praxis anzunehmen und zu leben. Dazu gehört selbstverständlich auch, die umfassend geltende Meinungsfreiheit zu respektieren. Tatsächlich geht es darum, allen Bürgern klar zu machen: Auch wenn Karikaturen als Ausdruck von Meinungsfreiheit oder sogar als Kunst – in der Sicht einiger – Blasphemien darstellen, gibt es einen rechtlichen Rahmen, diese Blasphemie zu respektieren. Mindestens solange, als nicht einzelne, ganz bestimmte konkrete Gläubige, in ihrem Glauben beeinträchtigt werden. Interessanterweise hat sich die katholische Kirchenführung in Frankreich auch für eine Einschränkung der umfassenden Meinungsäußerung ausgesprochen, wenn sie denn als Blasphemie öffentlich wird. Katholiken haben sich dadurch mit den entschiedenen Gegnern umfassend freier Meinungsäußerung im islamischen bzw. vor allem islamistischen Bereich in gewisser Weise verbündet.
4.
Die Integration der muslimischen Bevölkerung in die Französische Republik ist natürlich viel mehr als ein philosophisches oder religionspolitisch – „bildungsmäßiges“ Projekt. Das ist eigentlich den meisten Sozialwissenschaftlern, Politologen und auch etlichen Politikern klar: Dass das „Republikanischwerden“ bzw. „Demokratischwerden“ der muslimisch geprägten Bevölkerung bzw. der muslimischen Franzosen nur gelingen kann, wenn die evidente soziale und kulturelle Ausgrenzung der meisten Muslime in Frankreich aufhört. Das betrifft etwa die sehr oft sehr prekären Wohnverhältnisse in der Banlieue, das betrifft die Degradierung „arabischstämmiger“ Mitbürger bei der Arbeitssuche, den bekannten Rassismus etlicher Polizeibeamter usw.
5.
Bei einem neuen Nachdenken über die Werte der Republik heute kann auch der historische Rückblick nicht fehlen: Wie standen die Religionen zur Republik? Darüber wurde im Jahr 1905 nach jahrzehntelangen Debatten entschieden, als das Gesetz zur Trennung von Kirchen und Staat verabschiedet wurde. Dabei ging es damals dem Staat fast ausschließlich darum, sein Verhältnis zur katholischen Kirche festzulegen. Die protestantischen Kirchen und die Juden waren als die einzigen anderen damals aktiven Religionsgemeinschaften in Frankreich kleine Minderheiten, und vor allem: Sie hatten im Unterschied zu den Katholiken traditionell ein positives Verhältnis zur Republik und deren Werten. Protestanten und Juden hatten unter dem sehr katholischen „ancien régime“ gelitten, die Republik bedeutete für sie eine Befreiung von Verfolgung und Degradierung. Für die Katholiken, ihre Bischöfe, Priester und Mönche war die Sache ganz anders: Sie gehörten zur privilegierten Staatskirche. Nur die Armen, in den Dörfern, litten unter der Gier der Mönche und Bischöfe. Die so genannte „Entchristlichung“ in vielen Regionen Zentral-Frankreichs, in Burgund, im Limousin etc. hat in kirchlichen Missständen ihre Ursachen…D.h. die Kirche selbst ist also mit – verantwortlich für die offenbar unumkehrbare „Entchristlichung“ weiter Regionen in Frankreich. Was immer „Entchristlichung“ in der Soziologensprache auch im einzelnen bedeuten mag…
1905, dem Jahr der Gesetzgebung zur Trennung von Kirchen und Staat, waren mehr als 90 % der Bevölkerung katholisch getauft, aber nicht alle waren „praktizierend“. Wer kirchlich gebunden war, klammerte sich, politisch, auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an die Ideen der Monarchie. Schließlich hatten sie im „Zweiten Empire“ unter Louis Napoléon Bonaparte aufgrund vieler Privilegien eine kirchlich – klerikale Blütezeit erlebt, deutlichster Ausdruck dafür waren die vielen Neugründungen von Ordensgemeinschaften und Klöstern. Die meisten Katholiken waren um 1900 zudem mehrheitlich Antisemiten, wie die Ereignisse rund um die Dreyfus – Affäre beweisen. Die katholische Tageszeitung „La Croix“ (aus dem Verlagshaus mit dem hübschen Titel „La Bonne Presse“) war damals ein heftiges antisemitisches Hetzblatt. Das geben die Verleger, die französischen Augustiner, heute ganz offen zu. Denn die Katholiken identifizierten ja durchaus treffend Republik mit der Verteidigung der Menschenrechte. Und gerade diese galten den Katholiken als negativer, „abscheulicher“ Ausdruck des „Wahnsinns“ der Französischen Revolution.
In dieser antirepublikanischen Haltung wurden die Katholiken leidenschaftlich befeuert von den damaligen explizit und stolz sich reaktionär gebenden Päpsten, allen voran Gregor XVI. und Pius IX.
6.
Es ist also durchaus evident, wenn die Republikaner damals die katholische Kirche als Feind der Demokratie erkannten und diese feindliche Kraft politisch möglichst einschränken wollten. Der Katholizismus erschien den Republikanern schlicht und einfach als eine Bedrohung für das Zusammenleben und die Entwicklung fortschrittlicher Konzepte, etwa im Schulwesen, im Sinne einer Schulpflicht für alle…Heute tun manche katholischen Kommentatoren noch so, als seien die französischen Republikaner und nur sie allein, weil antiklerikal und angeblich auch atheistisch, diese üblen Bösewichte gewesen, nur sie wollten dem frommen Volk den Glauben nehmen.Die extremen Schattenseiten der Kirche werden dabei übersehen! Radikale Positionen unter den Republikanern hat es am Ende des 19.Jahrhunderts tatsächlich gegeben. Man denke an den angesehenen Wissenschaftler (Physiologen) und radikal antiklerikalen Politiker Paul Bert und an Emile Combes oder die damals breite Bewegung der „Freidenker“. Aber diese antikirchlichen Positionen haben sich sogar nach den Gesetzen von 1905 nicht durchgesetzt. Man denke nur an die Beiträge des Politikers Aristide Briand: Sein berühmter und gültiger Ausspruch ist: „Der Staat ist nicht antireligiös, er ist a-religiös“. Oder früher noch an den katholischen Philosophen und Sozialisten Jean Jaurès.
7.
Geblieben aber ist bis heute der immer wieder besprochene Eindruck, es gebe noch „zwei Frankreich“. Von einem „guerre des deux France“, einem „Krieg der zwei Frankreich“, spricht etwa der bekannte Forscher der laicité und bekennende Protestant Prof. Jean Baubérot. Es gibt also auch heute noch die republikanisch und entschieden demokratischen gesinnten Franzosen als die überwiegende Mehrheit. Und noch einige, z.T. finanziell starke Kreise, die antirepublikanisch und/oder monarchistisch gesinnt sind, zu denen u.a. auch die Anhänger des katholischen Traditionalismus zählen, der in frommer Treue zu dem erzreaktionären Erzbischof Marcel Lefèbvre immer noch eine starke Bedeutung hat.
Freilich gibt es auch „noch nicht ganz traditionalistische“, aber extrem konservative Kreise, die politisch gegen die Republik mobilisieren, etwa im Fall der „Ehe für alle“ Massen-Demonstrationen organisieren oder gegen die Gesetzgebung zugunsten des gesetzlich geregelten Schwangerschaftsabbruchs protestierten. In diesen Kreisen wurde auch eine „Christlich-demokratische Partei“ gegründet. Und etliche große Klöster, vor allem auch einige bekannte extrem konservative Bischöfe wie Dominique Rey von Fréjus-Toulon oder Marc Aillet von Bayonne, sind nicht gerade dafür bekannt, die französische Republik als eine „laique Republik“ zu unterstützen, um es milde zu sagen. Der französische Katholizismus hat sich immer einen stark konservativen, sehr päpstlichen „heißen“ Kern bewahrt, wenn er auch dialektisch auf der anderen Seite einige hoch interessante eher linke Projekte kannte, wie etwa die Arbeiterpriester oder „Basisgemeinden“, beide sind aber inzwischen fast untergegangen oder „untergegangen worden“ wegen autoritärer bischöflicher Zurückweisung. Dass der einzige wirklich theologisch progressive Bischof, Jacques Gaillot, 1994 abgesetzt wurde, kann hier nur erwähnt werden, an anderer Stelle habe ich über Bischof Jacques Gaillots Degradierung durch Papst Johannes Paul II. und die anderen Bischöfe berichtet.
Nebenbei: Im Pétain Regime unter der deutschen Besatzung siegte noch einmal das antidemokratische und katholisch-reaktionäre Frankreich.
8.
Das Gesetz der Trennung von Kirche und Staat aus dem Jahr 1905 ist also der Startpunkt einer Entwicklung der laicité, die sich dann im Laufe der Jahre immer weiter neu definierte und entwickelte. Und dies wird leider von den heutigen Kritikern der französischen laicité bewusst oder unbewusst übersehen: Im Laufe der Jahre hat die katholische Kirche viele gesetzliche Zusagen erkämpft und auch erhalten, durch die das kirchliche Leben in der Gesellschaft weiter ausgebaut werden konnte. Man könnte also sagen: Bisher hat die katholische Kirche Frankreichs seit 1905, zumal von den Päpsten dann unterstützt und vom Konkordat von 1921 abgesichert, rein rechtlich betrachtet eher eine positive Entwicklung genommen.
Voller Hochachtung sahen die national gesinnten Franzosen auf den Beitrag der Kleriker im Ersten Weltkrieg: Sehr viele Priester und Ordensleute kämpften an der Front (gegen die ebenfalls christlichen Deutschen). 4. 800 Kleriker (!) und 378 Nonnen haben „fürs Vaterland“ ihr Leben gelassen ( https://fr.geneawiki.com/index.php/Guerre_1914-1918_~_Le_Clerg%C3%A9_et_les_Congr%C3%A9gations_dans_la_Grande_Guerre#Statistiques). So viel nationaler Opfergeist gefiel dann selbst den eingefleischten Antiklerikalen…und führte zu einer gewissen Hochätzung der Kirche.
9.
Die Beispiele für die Entwickl ung der laicité sind sehr zahlreich, nur einige werden hier genannt: Katholische Privatschulen entwickelten sich seit 1960 rasant, auch dank der Zuschüsse vom Staat und der vor allem von wohlhabenden Familien unterstützten Schulen. Sie sehen auch heute in den katholischen Privat – Schulen mit SchplerInnen nur „aus gutem Hause“ eine Form der Behütung der Kinder vor den Problemen der Gesellschaft.
Heute besuchen etwa 2 Millionen Schülerinnen und Schüler katholische Privatschulen in Frankreich. Es gibt zudem 5 katholische (ziemlich teure) Privatuniversitäten. Ein gutes Beispiel für eine die Gleichberechtigung der Religionen fördernde laicité ist die Gestaltung religiöser Sendungen im staatlichen 2. Fernseh – Programm: Da beginnt das religiöse Programm an jedem Sonntag morgen um 8.45 mit einer Sendung der Buddhisten Frankreichs, danach folgen die orientalischen Christen, dann die Muslime, die Juden und die Protestanten sowie mit der längsten Sendezeit die Katholiken, die immer um 11 Uhr eine Messe life übertragen. Diese Programme werden in eigener Verantwortung der Religionsgemeinschaften realisiert. Darüber hinaus gibt es von Fall zu Fall auch objektive, aus journalistischer, unabhängiger Sicht realisierte Beiträge zum Zustand der Religionen. Auch das Kulturradio „France Culture“ hat sein eigenes religiöses Programm am Sonntagmorgen, sogar die Freidenker, die Freimaurer und die Gemeinschaft der Rationalisten haben da ihr Programm, das sie selbständig gestalten. Die Militärseelsorge müsste erwähnt werden mit 147 katholischen Geistlichen in einem eigenen Bistum, auch die anderen Religionen, auch die Muslime, habe ihre Militärseelsorger. Die heute recht lesenswerte und aufgeschlossene katholische Tageszeitung „La Croix“ (der Atheist Alfred Grosser war Jahre lang ein Kommentator dort) mit einer Auflage von ca. 100.000 Exemplaren erhält – wie andere Tageszeitungen auch – Unterstützung vom Staat, zur Zeit etwa 4, 4 Millionen Euro pro Jahr.
10.
Problematisch empfinden es viele, dass in den staatlichen Schulen kein Religionsunterricht erteilt wird. Der Staat versucht seit Jahren, überkonfessionelle Religionskunde anzubieten, über die „religiösen Tatsachen“, wie es heißt. Aber es fehlt noch an qualifizierten Lehrern. So erreicht dieses Angebot bisher nur eine Minderheit. Die katholische Kirche hat als eine Art ergänzenden Unterricht den konfessionellen Religionsunterricht am Nachmittag in den Gemeindehäusern eingerichtet, aber angesichts der zunehmenden Belastungen in den Schulen nehmen nur wenige Schüler dieses Angebot wahr.
11.
An üppige Gehälter, wie sie die Bischöfe in Deutschland erhalten, können französische Bischöfe freilich nicht denken: Bischöfe wie alle Priester erhalten – aufgrund von Spenden der Gläubigen – ein Gehalt, das dem offiziellen Mindestlohn entspricht, also etwa 1.500 Euro monatlich. Das ist auch das Gehalt des Pariser Erzbischofs. Zum Vergleich: Die Erzbischöfe von Köln oder München haben ein Gehalt von mehr als 10.000 Euro monatlich. Viele französische Priester sagen, dass sie mit dieser finanziellen Ausstattung zufrieden sind.
12.
Die katholische Kirche aber deutet die Republik manchmal doch noch als „übelwollend“ der Kirche gegenüber. So zeigt die Kirche oft noch ihr kämpferisches Gesicht.
Aktuell (im November 2020) gibt es wieder Konflikte zwischen der katholischen Kirche und dem Staat. Bei den aktuellen Auseinandersetzungen um die Einschränkungen wegen „Corona“ protestieren die Bischöfe gegen die Bestimmungen des Staates, in Zeiten des lock down nur 30 Teilnehmer an den Messen zuzulassen. Man braucht nicht viel Phantasie, dass sich auch in dieser Frage die Kirchenführung gegenüber dem Staat durchsetzt, zumal Papst Franziskus explizit auch die laicité kritisiert hat! Der Drang, die Gesellschaft und den Staat „moralisch“ zu beherrschen, ist in der Kirche immer noch lebendig.
Tatsächlich hat sich also der „conseil d Etat“, der Staatsrat, also eine Art oberstes Verwaltungsgericht, Ende November zugunsten der bischöflichen Forderungen ausgesprochen und die Regierung aufgefordert, viel mehr als nur 30 Personen in den Messen zuzulassen. Der Staatsrat hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese großzügige Haltung des Staates der Kirche gegenüber (und sicher dann im Gefolge auch allen anderen Religionen gegenüber) nicht verglichen werden kann mit Teilnahmebeschränkungen in Kinos, Theater usw. Ob dadurch die Beziehungen zwischen Kirche und Kultur zum Guten befördert werden, ist die Frage.
In Versailles jedenfalls, einem der Zentren des konservativen Katholizismus, fanden dann auch Ende November viele Messen statt mit mehr als hundert Teilnehmern, freilich, so wird betont, unter Beachtung der Hygiene – Regeln. Dass im Osten Frankreichs (Mulhouse) die ersten großen Corona-Ausbrüche nach Massen – Gottesdiensten evangelikaler Charismatiker stattfanden, scheint vergessen zu sein.
Alles Jammern katholischer Kreise, auch außerhalb Frankreichs, über die Schwäche der Kirche in der laicité in Frankreich ist in meiner Sicht also verlogen. Dass immer weniger Franzosen sich heute (etwa 50 Prozent, darunter die meisten ältere Leute) zum Katholizismus bekennen, hängt mit der dogmatischen Unbeweglichkeit der Kirchenführung zusammen. Eine Kirche, die nur zölibatäre Männer als Leiter von Eucharistiefeiern gelten lässt, gräbt sich förmlich ihr eigene Grab: Der Klerus in Frankreich ist im Greisenalter, und viele der wenigen Jüngeren Priester sind theologisch nicht gerade die muntersten. Es gibt Bistümer, wie Sens – Auxerre, wo nur noch 14 Priester laut offizieller Statistik, „jünger als 75 Jahre“ sind. Und diese „Jüngeren“ stammen meist aus Polen oder Afrika…
13.
Noch einmal: Die Sache war ab 1905 klar: Frankreich ist kein konfessionell geprägter Staat mehr. Keine Konfession ist Staatsreligion, wie einst im ancien régime. Die Republik ist religiös und weltanschaulich neutral, und gerade dadurch ermöglicht sie es, den verschiedenen Religionen in einem toleranten Miteinander in der Gesellschaft zu leben. Die französische Republik spricht von Gott, weil sie als Republik schlicht und einfach nichts von Gott wissen kann. Die Republik ist also wirklich gott-los, aber diese Haltung ermöglicht gerade den unterschiedlichen Religionen mit ihrem unterschiedlichem Gottes-Begriff ein Leben in Freiheit. Der gottlose Staat ist kein atheistischer Staat, wie es etwa die Sowjetunion unter Stalin war, die Französische Republik sieht in ihrer eigenen Gott-losigkeit gerade die Ermöglichung des pluralen religiösen Lebens. Wie ein Staat aussieht, der selbst einem konfessionell bestimmten Gott verpflichtet ist, sah man etwa in der verbrecherischen Diktatur des katholischen Staatschefs Franco oder des ultra – brutalen katholischen Diktators Trujillo in der Dominikanischen Republik oder in der Gegenwart etwa in Saudi-Arabien usw. Man möchte also mit vielen Theologen sagen: Gott sein Dank ist die Französische Republik gott – los, aber nicht atheistisch, um es noch mal zu sagen!
Und, nebenbei, wenn sich das Grundgesetz der Bunderepublik Deutschland in seiner Präambel auf „Gott“ bezieht, so ist damit bekanntlich nicht der trinitarische Gott der christlichen Dogmen und Kirchen gemeint. Sondern das Wort Gott wird hier als eine Art transzendentes Symbol verwendet, um den Menschen einzuschärfen: Es gibt eine Begrenztheit staatlicher und damit menschlicher Gewalt! Der Staat und seine Gesetze sind nichts Absolutes. Der Staat darf niemals sich selbst zu etwas Göttlichem erheben und erklären! (siehe dazu die wichtigen Ausführungen des Rechtsphilosophen Horst Dreier in seinem Buch „Staat ohne Gott“, München, 2018, S. 183 f.)
14.
Mit dem Islam tut sich der Staat seit Jahren schwer. Die Republik, der eigentlich nicht in die inneren Angelegenheiten irgendeiner Religionsgemeinschaft eingreifen darf, hat immerhin vor einigen Jahren schon selbst die Initiative ergriffen, die verschiedenen muslimischen Vereine unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen. Diese Form staatlicher aktiver Religionspolitik diente dem Zweck, eine zentrale islamische Organisation als Ansprechpartner zu schaffen. Die verschiedenen Vereine der Muslime waren dazu nicht in der Lage. Genaue Zahlen über Muslime in Frankreich liegen nicht vor. Religionsstatistiken zu führen, verbietet das Gesetz der Trennung von Kirchen und Staat. Man schätzt, dass sich etwa 5 Millionen Menschen zum Islam bekennen. Sie werden von ca. 1.200 Imamen betreut, die meist aus arabischen Ländern stammen, ihnen stehen insgesamt 2.000 Gebetshäuser zur Verfügung, manchmal gibt es in größeren Städten ansehnliche repräsentative Moscheen, deren Bau seitens der übrigen Bevölkerung immer hoch umstritten war. Oder es sind meist nur schlichte Säle und einfache Räumlichkeiten. Die neuen Prinzipien der Republik, über die man im Februar 2021 diskutieren will, sollen dafür sorgen, dass Muslime besser gebildet werden, von Imamen, die alle in Frankreich ausgebildet werden, und in Moscheen predigen, die nicht von arabischen Regimen finanziert werden usw. Vor allem gilt es, den rechtlichen Status der islamischen Gemeinden zu verändern: Der Status soll, wie bei den Kirchen, als „association cultuelle“ nach den Gesetzen von 1905 gestaltet sein.
15.
Tatsache also ist, dass Staatspräsident Macron fest entschlossen ist, die muslimischen Vereine stärker zu kontrollieren, Aufrufe zu Hass und Terrror sollen schnell stärker bestraft werden… ein islamistischer Verein mit dem Titel „Barakacity“ wurde bereits aufgelöst.
Es darf aber bezweifelt werden, ob diese Maßnahmen der Politik allein hilfreich sind, „den Islam“ in die französische Republik stärker zu integrieren, um dann sozusagen einen französischen Islam zu schaffen, von dem durchaus auch einige liberale Imame in Frankreich sprechen…
Wenig hilfreich ist die unterschwellig auch in staatlichen Behörden spürbare Meinung: Der Islam und damit die Muslime seien im allgemeinen verdächtig, sie seien eher als andere polizeilich zu überprüfen, sie seien also a priori keine zuverlässigen Menschen. Solch eine Politik hinterlässt tiefe Verletzungen bei den Menschen. Die zerrissene Gesellschaft wird auf diese Weise nicht geheilt. Die Französische Republik hat große demokratische Ideale. Sie werden leider nicht für alle Bewohner und Mitbürger (denn sehr viele Muslime sind französische Staatsbürger!) angewendet. Die Krise westlicher Demokratien wird nur überwunden werden können, wenn die leitenden Prinzipien dieser Demokratien wirklich praktisch gelebt werden. Gerade im Blick auf die Schwachen, die Armgemachten, die Flüchtlinge, die Frauen usw. müssen Politiker darauf verzichten, bloß Sprüche zu machen oder an ihre nächste „Wiederwahl“ zu denken. Laicité ist eigentlich ein Bekenntnis. Und ein Bekenntnis hat nur Sinn, wenn es gelebt wird … auch von den Politikern und Bürokraten.

Copyright: Christian Modehn. www.religionsphilosophischer-salon.de

Theologisches Denken gelingt nur im Miteinander

„Theologie aus Beziehung“ – ein neues Buch der Theologin Hadwig Müller
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
So war es Jahrhunderte lang: Die (Lehr)Bücher der katholischen Dogmatik, der Moraltheologie oder des Kirchenrechts usw. wurden an Schreibtischen verfasst, in Klöstern oder in Studierstuben von Priesterseminaren oder bischöflichen oder vatikanischen Palästen. Theologie, als Rede von dem Gott der Kirchen, entstand auf diese Weise in Europa. Und Europa war absolut, für alle Welt, maßgebend! Und es waren Männer, die „den“ Glauben „der“ Kirche den anderen „zum persönlichen Glauben“ vorsetzten. Katholische Theologie hatte, global betrachtet, im monologischen Denken einzelner oder gleichgesinnter Kleriker- Gruppen, ihren Ursprung und ihre Mitte. Das änderte sich nach 1970, also nach dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils. Da fühlten sich auch Laientheologen berufen, ihre Ethikbücher oder ihre Fundamentaltheologie zu schreiben, meist aber auch als einzelne am Schreibtisch. Oft hatten die Autoren die Fragen ihrer Studenten noch im Hinterkopf.
Ich erinnere mich noch an eine zufällige Begegnung unterwegs in München – Schwabing mit dem mir bekannten ökumenisch aufgeschlossenen, also dialogfreudigen katholischen Laientheologen (und Ex-Dominikaner) Otto Hermann Pesch. Er erklärte mir stolz, er schreibe gerade an seiner katholischen Dogmatik. Als ich fragte, ob diese Dogmatik denn von München oder Bayern und den Menschen dort geprägt sei, sagte er mir eher verlegen: „Na ja, irgendwie schon“.
Die Bindung ans Universelle und die Methode des Monologischen überwiegt bei Theologen bis heute. Da und dort gab es früher wenigstens Vorbesprechungen der Sonntagspredigt von Pfarrern mit den Laien. Aber dafür haben die wenigen verbliebenen Priester keine Zeit mehr. Die Beispiele monologischer Theologie sind uferlos. Den nur mit einer monologischen Theologie glaubte die katholische Kirche viele Jahrhunderte lang ihre „Einheit“ zu retten.
Aber, wie gesagt, allmählich ändern sich die Verhältnisse – seit etwa 1970: Katholische TheologInnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien melden sich mit eigenen Studien zu Wort, nicht immer zur Zufriedenheit der vatikanischen Glaubens-Behörde. Die Liste der Bestrafungen und Schreibverbote von TheologInnen aus den genannten Kontinenten ist lang. Einheit kann also Rom nur als Einheitlichkeit verstehen.
2.
Nur wenn man diese Situation vor Augen hat, kann man verstehen, welche Bedeutung die theologische Arbeit von Hadwig Müller hat, gerade dann, wenn sie ihrem neusten Buch den sehr knappen, wie ein Programm gemeinten Titel gibt „Theologie aus Beziehung“. Also, einmal ausführlicher formuliert heißt das: „Theologie als Versuch, von Gott zu sprechen, aber erlebt, erfahren, gedacht und formuliert aus Begegnungen und Dialogen … und nach Begegnungen und Dialogen und Auseinandersetzungen. Und erst danach geschrieben, aber voller Verunsicherung und Infragestellung des eigenen Lebens. Theologie also geprägt von der Anwesenheit der oft befremdlich Anderen“.
3.
Hadwig Müller meint in ihrem Buch immer die konstruktiven theologischen Beziehungen, die zwar auch konfliktreich sein können, die aber nicht in ein Verhältnis der Herrschaft und Willkür ausarten. Schließlich hatten die viele Priester, die des sexuellen Missbrauchs angeklagt wurden und werden, auch „Beziehungen“. Und auch die Beziehungen sind nicht gemeint, wenn Posten an theologischen Fakultäten oder Akademien nur aufgrund von „Beziehungen“ erreicht werden können.
4.
Theologie aus Beziehung also, entstanden im Dialog, im Hinhören und auch im emotionalen “Miteinanderschweigen”: Dies ist das Motto und wie ein Programm eigentlich für alle, die aus dem anstudierten und angelernten, dogmatisch exakten Floskelhaften des Sprechens von dem Göttlichen, von Gott, dem Ewigen, herausfinden wollen. 20 Aufsätze aus zwei Jahrzehnten hat Hadwig Müller unter diesem Titel versammelt. Wer genau in der Bibliographie (S. 327 – 342) hinschaut, wird auf viele weitere, aktuelle Aufsätze, Studien und Bücher verwiesen. Die meisten Beiträge in dem Buch „Theologie aus Beziehung“ sind aus Begegnungen als Lernprozessen in Brasilien entstanden oder in Frankreich. Nach ihrer theologischen Promotion über Lacan zog es Hadwig Müller erst einmal vor, Deutschland zu verlassen, und sich den Fremden, den anderen, auszusetzen, eben in Brasilien, dort lebte sie von 1983 – 1993 vor allem in Basisgemeinden. Sie wird förmlich hineingestoßen in die reale Lebenserfahrung, wie die Armen ihren Gott erleben, als eine Wirklichkeit, die allem Elend zum Trotz Sinn stiftet und Mut macht, die Misere der totalen Ungerechtigkeit zu überwinden. Hadwig Müller sagt von ihren brasilianischen Freunden und Freundinnen, es seien „Menschen, die mich leben lehrten“ (49). Die Gemeinschaft der Unterdrückten – also eine Schule des Lebens: Nicht, um sich in diesem Zustand zu fixieren, sondern um die Gerechtigkeit für alle Wirklichkeit werden zu lassen. Die Autorin erkennt während ihrer Gespräche mit Ausgegrenzten und Armen in Sao Paulo und in Crateus (Nordostbrasilien) in Gemeinschaft mit dem wegweisenden Bischof Antonio Fragoso: „Armut ist geraubtes Leben – und ich war nicht auf der Seite der Beraubten“ (29). Das führt zu weiteren Fragen, die eigentlich das herrschende System einer reichen Kirche erschüttern: „Die Kirche ruft Gläubige dazu auf, die Lebensbedingungen de Armen zu verbessern. Aber sie schweigt meistens darüber, wie sich ihre Beziehung zu den Armen auf ihre Identität als Kirche Jesu Christi auswirkt“ (51f.). Ein Bischof, der als single in einem Palast lebt (wie so viele “Oberhirten” in Deutschland usw.) und dann von der kirchlichen Solidarität mit Armen schwafelt, ist natürlich aprioi unglaubwürdig. Zu einem solchen Satz kann sich Hadwig Müller allerdings nicht aufraffen… Sie schreibt eleganter, aber nicht minder radikal: „Die Option für die Armen verlangt von den Reichen selbst ein anderes Bewusstsein: sich als Bedürftige zu wissen, die selbst aufs Empfangen angewiesen sind und die um nichts anderes als die Armut der Armen“ (55). Was das nun wieder in einer katholischen Kirche in Deutschland bedeutet, die ein Kirchensteueraufkommen im Jahr 2018 von 6,25 MILLIARDEN Euro hat, wird leider nicht erwähnt oder gar ausgebreitet. Dabei hatte ich immer geglaubt, dass durch die Befreiungstheologie sozusagen die Aufmerksamkeit auf die Gelder und Reichtümer der Kirche geschärft wird auch hierzulande…
Sehr eindringlich ist ihr Essay „Der Hunger nach Brot – das Begehren des anderen“. Im Hungern wie im Begehren äußert sich die gleiche Sehnsucht und Angewiesenheit, “nicht ohne andere“ leben zu können. Die viel besprochene Option der Kirche für die Armen ist für die Autorin das „Herzstück der Befreiungstheologie“ (58), aber sicher auch der Mittelpunkt jeder Theologie.
5.
Es wäre für ein weiterführendes Gespräch vielleicht interessant, wenn man auch kritisch die Befreiungstheologen befragen könnte, inwieweit sie in vielen ihrer Aussagen die Bibel fundamentalistisch, im Sinne von wortwörtlich, verstehen. Und inwieweit die einzelnen Verhaltensweisen und Lebensregeln Jesu von Nazareth zu unmittelbar als relevant für die (auch politische) Gegenwart eingesetzt werden. Diese Kritik wird nicht vorgebracht, um die Theologien der Befreiung zu diskreditieren, sondern um andere befreiungstheologische Möglichkeiten aufzuzeigen, die weniger im Verdacht des biblischen Fundamentalismus stehen. Alternativ wäre zu denken und mit den Betroffenen zu besprechen: etwa die Erfahrung und die daraus entstehende Weisheit, dass Gott Mensch wird in Jesus von Nazareth, wie er erlebt wird, dass nun alle Menschen göttliche Würde erhalten! Das ist – ultrakurz gefasst – auch ein Gedanke Hegels und der christlichen Mystiker, etwa Meister Eckarts. Von da aus ließe es sich auch sehr gut eintreten für eine politische Neu-Ordnung, die die Menschenrechte als oberstes „göttliches“ Gestaltungsprinzip anerkennt. Da wäre mehr vernünftige Argumentation möglich als im unvermittelten Verweis darauf, dass Jesus ein armer Handwerker war „wie wir“, dass er solidarisch war und die Frauen und die Armen liebte…Aus solchen biographischen Elemente wird dann unmittelbar geschlossen: „Also sollten wir auch solidarisch sein etc…“. Wenn hingegen jeder Mensch von unendlichem göttlichen Wert ist, kann viel besser argumentativ und vernünftig auch eine mögliche „Revolution“ zugunsten und mit den Armen eingeleitet werden.
6.
Nach Deutschland zurückgekehrt, konnte sich Hadwig Müller u.a dem deutsch-französischen Dialog widmen, aber immer unter der kaum beachteten, aber wichtigen Perspektive der Religion und der katholischen Kirche. Die Autorin hat u.a. die hochinteressanten und durchaus – leider – einmaligen Entwicklungen im Erzbistum Poitiers genau kennengelernt. Sie erlebte dort eine Kirche, die, wie bekannt, auch von dem zunehmenden Mangel an Priestern bestimmt ist. Die aber daraus, geleitet von ihrem mutigen Bischof Albert Rouet, neue Konsequenzen zog: Teams von Laien werden in den Dörfern – und Stadt-Gemeinden ohne Priester zu verantwortlichen Animateuren der Gemeinde. Deutsche Pfarreien, das weiß ich, haben sich das Projekt in Poitiers angeschaut, aber meines Wissens nichts davon als Modell für Deutschland „übernommen“. Die Fixierung auf den Klerus ist also in Deutschland nicht zu brechen. Und das Modell von Poitiers macht eben auch viel Arbeit – bei den Hauptamtlichen…
7.
Diese hier besprochenen Themen erscheinen sicher vielen philosophisch Interessierten, etwa in Berlin, der säkularen Stadt, wie Einblicke in eine ferne noch kirchlich bestimmte Welt. Aber deutlich wird: Wenn sich TheologInnen auf das Zuhören, das geduldige Mitsein, den Dialog einlassen, und sich dabei in Frage stellen lassen: Dann gibt es neue, ungeahnte Einsichten. Das gilt ja auch für die Philosophien.
8.
Ein gewisses Hemmnis für säkular, „bloß“ philosophisch Interessierte ist sicher der Untertitel des Buches: „Missionstheologische und pastoraltheologische Beiträge“. Diese speziellen Zuordnungen gelten wohl dem zweifellos begrenzten Lesepublikum innerhalb der Kirchenorganisation, die mit diesen Begriffen noch etwas anfangen kann. So aber werden mit diesen Begriffen förmlich sprachliche Barrieren aufgerichtet, die verhindern, dass säkulare und „bloß“ philosophisch Interessierte dieses Buch aufschlagen und einiges lesen. Aber das Thema „Theologie aus Beziehung“ ist bleibend inspirierend: Eine ganze Buchserie könnte unter diesem Titel erscheinen aus Beziehungen von Theologen mit Arm-Gemachten hierzulande oder mit Schwulen und Lesben und deren neuen Familien oder mit Flüchtlingen oder mit Opfern rechtsextremer Gewalt. In jedem Fall werden nun vermehrt Menschen fragen: Spricht da ein Bischof aus Beziehung mit anderen Menschen, spricht er aus dem Leben als Begegnung, der Verantwortung, der Irritation durch andere? Und man wird sicher in Zukunft noch mehr theologische Bücher beiseite legen, die nur altbekannte Begriffe dreimal hin- und herwenden und den Eindruck bestärken, vom einsamen Schreibtisch aus eine zeitgemäße Spiritualität oder Theologie entwickeln zu können. Falls diesen meinen Hinweis Theologinnen lesen, bin ich gespannt, wie sie mir plausibel machen, dass nicht allein Hadwig Müller Theologie aus wirklichen Beziehungen, Begegnungen und Lernbereitschaft gestaltet…

Hadwig Ana Maria Müller, „Theologie aus Beziehung. Missionstheologische und pastoraltheologische Beiträge“. 351 Seiten. Grünewald-Verlag, Ostfildern, 2020, 38 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

(Nebenbei: Das Thema Befreiungstheologie bewegt mich seit vielen Jahren: Ich habe 1973 in der Philos.-Theolog. Hochschule St. Augustin bei Bonn die erste große Tagung über die Befreiungstheologie in Deutschland organisiert. 1975, also zu Beginn der Debatten über die Befreiungstheologie in Deutschland, habe ich einen kleinen Essay als Broschüre veröffentlicht „Der Gott, der befreit“. 1977 habe ich zusammen mit Karl Rahner und Hans Zwiefelhofer das Buch „Befreiende Theologie“ herausgegeben…)

Meinungsfreiheit und damit auch Blasphemie als Kunst sind normal in einer Demokratie! Und die Menschenrechte sind etwas “säkulares Heiliges”

Gott oder ein Prophet lässt sich von Menschen überhaupt nicht ärgern. Woher sollten Menschen das auch wissen?

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
In Frankreich, meint Prof. Thomas Römer, Direktor des „College de France“ (Paris) in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung vom 9.11.2020, könnten jetzt „Glaubenskriege“ ausbrechen: Also gewalttätige Auseinandersetzungen fundamentalistischer, völlig unberechenbar agierender „Islamisten“ gegen die absolute Mehrheit der Franzosen und ihre Republik. Zu dieser Mehrheit der Franzosen gehören sicher auch die vielen moderaten Muslime, einzelne Imame, wie in Drancy oder Bordeaux haben sich explizit zur Republik und ihren Werten bekannt.
Die tödliche Gewalt islamistischer Kreise in Europa und anderswo hat viele Ursachen. Eine Ursache ist sicher begründet in ihrer Unfähigkeit dieser (nach außen hin) Frommen, satirische künstlerische Darstellungen des Propheten in französischen Zeitungen eben als Satiren wahrzunehmen. Diese Mörder geben an, ihr Glaube an Gott und den Propheten sei verletzt. Und. „Gott selbst will Rache“. Manche kritischen Beobachter sagen zurecht, dass auf diese Weise die Verbrecher ihre tötende Gewalt förmlich religiös entschuldigen. Und von den eigentlichen mörderischen Motiven ablenken.
Die meisten Franzosen (wie wohl die meisten Menschen in Europa) können doch wohl unterscheiden: Handelt es sich bei den satirischen Darstellungen um künstlerische Kritik gegen einzelne, heute lebende Personen? Solche satirischen Darstellungen sind abzulehnen! ODER: Handelt es sich um allgemein gehaltene Satiren gegen bloß ideale Wesen wie Gott/Göttin/Ewiges bzw. Personen der Vergangenheit, wie etwa Propheten oder Politiker oder Päpste. Im französischen recht ist es so, dass es rechtlich möglich ist, eine Religion als solche, ihre Gestalten und ihre Symbole satirisch zu beleidigen, hingegen ist es verboten, konkreter Anhänger/Mitglieder einer Religion persönlich zu beleidigen (vgl.: https://www.institutmontaigne.org/blog/le-blaspheme-en-france-et-en-europe-droit-ou-delit).
Die Kultur der Satire gibt im guten Sinne zu denken, zu fragen, zu relativieren usw.. Man muss dann erkennen, dass die meisten Menschen diese Unterscheidungsgabe („Kritik der Urteilskraft“ würde Kant sagen) hinsichtlich des Phänomens Blasphemie wohl erworben haben.
Noch einmal: Wenn also Künstler oder Satiriker ein höchstes Wesen, Gott genannt, kritisieren, wird dieses höchste Wesen als solches, Gott, eben NICHT verletzt, sondern nur die immer relativen und oft albernen Bilder des höchsten Wesens werden in Frage gestellt, zugunsten eines besseren Verstehens! Die Unterscheidung zwischen „Gott an und für sich“ und dem Gott, den Göttern, in immer neuen, relativen Bildern setzt natürlich ein bestimmtes Niveau der Bildung und der Reflexion voraus. Auch viele Christen, so muss man leider sagen, haben dieses Niveau nicht erreicht. Man denke an die orthodoxen Kirchen und ihre Kirchenführer, die Satire in der genannten Form der Blasphemie pauschal für eine Lästerung Gottes selbst halten. Diese Herren Patriarchen in Moskau z.B. meinen im Ernst, der Ewige würde sich durch endliche Menschen beleidigen lassen und so richtig böse werden. Theologie haben diese Herren leider nicht umfassend studiert, aber trotz ihrer Unbildung hohe kirchliche Funktionen erreicht und politischen Einfluss leider erlangt.
Ähnliche Entwicklungen hin zu Fanatismus gibt es bekanntermaßen auch im Judentum oder im Islam oder im Buddhismus…
Es sei also ein für alle Mal, als evidente Erkenntnis, die es selten auch in der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt, gesagt: Das höchste Wesen, der himmlische Gott, der Ewige, der Absolute, wie auch immer man „Gott“ hilflos nennt, kann gar nicht von menschlicher Seite beschädigt werden,

2.
Zurück zu Frankreich heute: Der Hass so vieler Muslime in Frankreich auf Frankreich, das sie als ein nach außen hin christliches Land oder einen säkularen Staat verstehen, ist auch durch die soziale und damit auch politische Ausgrenzung von Bürgern muslimischen Glaubens bedingt. Die heutige Gewalt islamistischer Kreise und der befürchtete „Krieg“ sind also nicht nur explizit religiös im engeren Sinn begründet! Zu diesem Thema wurden geschätzte 1000 soziologische, politologische oder psychologische Studien verfasst. Wer dabei tatsächlich kritisch forschte, musste zu der inzwischen allgemein geteilten Erkenntnis kommen: So sehr es auch zahlreiche erfolgreiche und damit reiche Geschäftsleute, Künstler, Autoren, Ärzte etc. mit einem muslimischen Hintergrund in Frankreich gibt: Die meisten Menschen mit arabischen oder , türkischen oder „schwarzafrikanischen“ Wurzeln sind diskriminiert. Diskriminiert in der Qualität ihrer Bildung, ihrer Wohnung, der Wahl ihrer Berufe usw. Und dies gilt auch, wenn die genannten Muslime die französische Staatsangehörigkeit haben. Nebenbei: Auch Christen aus „Schwarzafrika“ oder Haiti werden auch in Frankreich diskriminiert. Mit anderen Worten: Die viel gepriesenen Werte der Französischen Republik (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) gelten vorwiegend für weiße Franzosen oder Hochbegabte oder finanziell bestens Ausgestattete aus den „anderen“ Regionen und Religionen der Welt.
Es sei also, ein für allemal, als evidente Erkenntnis gesagt: Das höchste Wesen, kann nicht beleidigt werden.

3.
Die meisten Franzosen sind nicht bereit, auf Errungenschaften ihrer demokratischen Kultur zu verzichten, dazu gehört die Satire und die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst! Diese demokratischen Werte wurden von den Europäern, auch den Franzosen, mit Mühe von den autoritären Machthabern im eigenen Lande erkämpft! Das darf man nie vergessen: Die große richtige Errungenschaft der Meinungsfreiheit und damit auch im letzten der Blasphemie wurde von Franzosen errungen in einem Jahrzehnte langen Kampf gegen dunkle und dumpfe, auch klerikale Mächte im eigenen Land. Man denke an Voltaire, Rousseau, Diderot usw., an die vielen große Denker, die die Französische Revolution in gewisser Weise vorbereiten. Jenes weltgeschichtliche Ereignis also, das mit viel Mühe und langfristig unter vielen Kämpfen die universal geltenden Menschenrechte formulierte und letztlich (!) die Republik über die autoritäre Regierung einzelner Machthaber siegen ließ.
Die demokratischen Bürger haben diese Wahrheit errungen, und diese wollen sie sich nicht von niemandem mehr nehmen lassen. Das hat nichts mit fundamentalistischem Eigensinn zu tun: Die Werte der Demokratie sind als Werte, die selbstverständlich weiterentwickelt, verbessert werden müssen, Ausdruck der Vernunft: Diese Werte garantieren prinzipiell das humane Zusammenleben von Menschen, autoritäre Regime mit ihren Willkürgesetzen hingegen garantieren eben das nicht. Da hat der einzelne überhaupt keine Menschenrechte, die er einklagen kann.

4.
Darum empfinden es heute viele Franzosen als einen Rückschlag, wenn jetzt etwa in Kreisen katholischer Kleriker gefordert wird: Eigentlich sollten wir Katholiken angesichts der abscheulichen Mordtaten und Abschlachtungen der letzten Wochen auf unsere Freiheit der Kritik, auch der Religionskritik und Satire etwa in Charlie – Hebdo verzichten.
Das ist der Ernst der Kleriker (dokumentiert etwa in DIE ZEIT vom 12.11.2020, „Glauben und Zweifeln“) ? Soll man also auf die eigene Kultur der Freiheit, auch der Meinungsfreiheit, verzichten? Würde man damit nicht schon jetzt den Mördern und Schlächtern nachgeben und ihnen sogar recht geben? Wäre der Verzicht auf die Kultur der Meinungsfreiheit und der umfassenden Religionskritik ein Dienst am Frieden in der Gesellschaft? Würden das Morden und Abschlachten dann aufhören? Oder würden sich die genannten fundamentalistischen Kreise andere Objekte ihres Hasses in unserer Gesellschaft suchen, harmloser dem Anschein nach als die bisherigen mörderischen Ziele, eben die Kirchen und Christen, Journalisten und Caféhaus-oder Bar Besucher und die Redakteure einer Satire-Zeitschrift.
Vielleicht würden demnächst diese mörderischen Kreise sich Damenunterwäsche, „Dessous“ – Abteilungen in Kaufhäusern oder Fachgeschäfte für Wein und Whisky aussuchen für ihr mörderisches Tun.

5.
Damit will ich sagen: Um des angeblich lieben Friedens willen mit Islamisten können und dürfen Europäer auf wichtige Inhalte ihrer Kultur nicht verzichten. Die Frage ist nur: Kann man den fundamentalistischen Islam zur Vernunft bringen? Das würde voraussetzen, dass es einen vernünftigen islamischen Glauben gibt, etwa in der allgemein gewordenen Einschätzung, dass sich der Koran nur in der historisch-kritischen Forschung erschließt. In den Moscheen müsste also, wenn es religiös – vernünftig zuginge, gelehrt werden: „Wir Muslime in Europa treten für die Werte der Republik ein. Unser muslimischer Glaube ist unsere private Überzeugung. Sie ist für den einzelnen im privaten Leben, bei Essensvorschriften etwa, gültig, sie kann aber niemals das Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft bestimmen“. Diese Erkenntnis ist natürlich auch für Christen und Juden gültig.

6.
Die Beispiele brutaler Herrschaft und mörderischer Unterdrückung gegenüber den angeblich feindlichen „Anderen“ in „anderen Kulturen“ (Indios, Afrikaner, Asiaten, Juden usw.) durch Christen und ihre Kirchenführer sind so überwältigend, das nur noch die Erkenntnis bleibt: Der Umgang mit den „heiligen Texte“ durch die jeweiligen Frommen bleibt auf den privaten Bereich und der Gottesdienste begrenzt.

7.
Worauf läuft diese vernünftige Begrenzung religiöser Macht hinaus? Ich meine, auf eine Art von Mystik, die weiß: Das Wesentliche im Zusammenhang von Gott und Mensch spielt sich im Geist, in der Seele, des Menschen ab! Pflegt also eure Mystik, möchte man philosophisch als Empfehlung geben. Sucht nicht fundamentalistische Einpeitscher auf, sondern weise Lehrer, selbstkritische und an euren Finanzen desinteressierte Meister der Mystik. Und lasst Staat und Gesellschaft mit euren religiösen Prinzipien aus angeblich heiligen Büchern in Ruhe: Der Staat ist und bleibt weltlich, er ist also allein den Menschenrechten verpflichtet und keinem religiösen Buch.
8.
Und wenn Fromme selbstverständlich als Bürger eines demokratischen Staates politisch und gesellschaftlich aktiv werden, dann immer stets in der selbstkritischen Haltung, mit der Frage: Folge ich jetzt meinen begrenzten religiösen Weisheiten oder tatsächlich den vorrangigen Menschenrechten? Religiöse Menschen haben in der Politik wie alle anderen keinen anderen Auftrag, als die Menschenrechten zur universalen Geltung zu bringen. Der Traum von einer kirchlich beherrschten Gesellschaft, von einem vom Koran oder von der Bibel oder den Weisheitsreden Buddhas oder den Weisheitslehren der Upanishaden bestimmten Staat kann nur als Wahn bewertet werden. Das ist evident. So viel Klarheit hat Philosophie, sie ist kein postmodernes permanentes “Sowohl als auch”. Es gibt letzte Evidenzen auch in der praktischen Philosophie.
9.
Und,theologisch betrachtet, sind die Menschenrechte etwas säkulares “Heiliges”. Demokraten entwickeln sie weiter. Und haben – einmal pathetisch gesagt – kein dringenderes Verlangen, als dass die Menschenrechte politisch und ökonomisch gelten, praktisch gelten. Allen frommen Diktatoren, allen antidemokratischen Präsidenten etc. zum Trotz. Die Menschenrechte sind zwar vernünftig betrachtet evident. Aber die Menschen müssen auch an sie glauben. Nur so, mit diesem emotionalen Impuls auch der Empathie, gelangen wir zur Praxis der Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Welttag der Philosophie 2020: Welche praktische Bedeutung hat Philosophie heute?

Hinweise von Christian Modehn.

Dieser Beitrag wurde von mir vorbereitet als Grundlage für ein Gespräch in unserem religionsphilosophischen Salon am 21.11.2020, dem Welttag der Philosophie. Nun geht das nicht … wegen Corona. Aber vielleicht hat der eine oder die andere doch noch etwas Lust und vor allem Zeit, selbst, in der Einsamkeit des Nachdenkens, oder im Dialog in kleinstem Kreis, sich auf den Weg des Philosophierens zum Thema zu begeben: Was vermag Philosophie eigentlich heute.

1.
Müssen Philosophen – wieder einmal – beweisen, dass Philosophie heute not—wendig und hilfreich ist für die Gestaltung des individuellen Lebens wie für das Miteinander in Gesellschaften und Staaten? Ja, Philosophen müssen mit allem Nachdruck daran erinnern, dass das systematische und umfassend kritische und selbstkritische Denken (das ist Philosophie) auch heute unverzichtbar ist. Wer bitte schön, soll denn diese Fragen beantworten, etwa Geographen, Mathematiker, Ägyptologen oder Architekten? Also lebenswichtige Fragen wie zum Beispiel: Was ist Gerechtigkeit und wie sollte eine menschenwürdige gerechte Gesellschaft aussehen? Was ist der Maßstab, um etwa einen dem Anschein nach demokratischen Politiker als Diktator zu bezeichnen und ihn möglicherweise als Gefahr für die Menschheit in Pension zu schicken? Wer soll überleben in dem Fall, dass die hilfreichen Medikamente (auch Impfstoffe) für alle Betroffenen nicht reichen? Wer kann mir Wege zeigen, in meinem Leben einen Sinngrund zu entdecken, der das Überleben, geistig wie leiblich, ermöglicht? Ist der Mensch in seinem konkreten Dasein wirklich nur ein Resultat von allerlei Genen oder gibt es auch eine Freiheit des Geistes und des Denkens… Das sind Themen, mit denen sich vorrangig Philosophen befassen sollten und befassen müssen, selbst wenn es durchaus in allen (natur-)wissenschaftlichen Fachgebieten Menschen und speziell Forscher gibt, die über ihren nun einmal begrenzten Fachhorizont (diese fachliche Begrenzung muss ja um der Effektivität willen sein, Begrenzung ist also kein Vorwurf) hinausdenken und damit in den Bereich umfassend philosophischen, umfassend kritischen und selbstkritischen Denkens hinein gelangen.
Philosophie ist also über das spezielle „Fach“ hinausgehend eigentlich und wesentlich „Sache aller Menschen“. Nur: Einige betreiben das Philosophieren dauernd und systematisch forschend, andere, und das sind die meisten, philosophieren explizit gelegentlich, haben Einsichten, die sie im Alltagsgeschäft wieder vergessen.
2.
Damit wird schon Wichtiges angesprochen, wenn es um ein angemessenes Verstehen geht, was denn Philosophie ist. Dazu nur einige Hinweise. Sie werden publiziert anlässlich des „Welttages der Philosophie“ (am 21.11.2020), einer Initiative der UNESCO. Auch der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hatte deswegen in früheren Jahren eigene größere Veranstaltungen gestaltet.
Was also ist Philosophie? Darauf gibt es zahllose Antworten. Einige Elemente einer Beschreibung ihres Wesens scheinen mir gültig zu sein. Denn nicht alles, was behauptet, Philosophie zu sein, verdient diesen Namen. Man denke daran, dass jede Ideologie einer großen Firma sich „Philosophie“ nennt; da ist es fast schon erträglich, wenn Fitness – Studios die eigenen Trainingskonzepte oder Wohlfühlatmosphären als „Philosophie“ bezeichnen.
3.
Angesichts der aktuellen Beliebigkeit im Umgang mit der Philosophie bzw. den Philosophien, betone ich: Es gibt etwas Normatives, das kann nur etwas Geistiges sein, ohne das Philosophie als solche nicht auskommt. Und ohne Normatives ist kein humanes Leben möglich. Jeder Mensch hat seine Normen, die ihm das eigene Leben ermöglichen. Ob diese Normen immer wirklich umfassend human sind, ist eine andere Frage, die sich nur im philosophischen Disput klären lässt. Da kommt es dann darauf an, dass der einzelne der sich zeigenden Vernunft – Erkenntnis tatsächlich für sein eigenes Leben folgt.
4.
Philosophie beginnt immer und lebt immer in allen Gestalten philosophischen Ausdrucks vom Philosophieren. Philosophieren als Denken und Nach – Denken, als kritisches Fragen und sich selbst befragen, ist der lebendige Vollzug, ohne den es keine Philosophie gibt. Dieses zu betonen, mag banal erscheinen, muss aber angesichts der offensichtlichen Vielfalt der „Philosophie – Begriffe“ gesagt werden. So wie die Praxis des Musizierens, also etwas des ständigen Klavier-Übens und Klavierspielens den Pianisten erst „macht“, so wird man Philosoph durch ständiges Fragen, Nachdenken, Innehalten, Prüfen von Begriffen und allgemeinen Selbstverständlichkeiten. Weil nun aber der Mensch, und zwar jeder Mensch, sich durch Geist und Verstand und Vernunft auszeichnet gegenüber allen Tieren, (deswegen ist der Mensch als durch den Geist ausgezeichnet eben KEIN Tier), ist jeder Mensch grundsätzlich in der Lage, zu philosophieren und möglicherweise Philosoph zu werden.
5.
Die Texte, die den Anspruch haben, philosophische Texte zu sein, sind Ausdruck, „Objektivation“, des Philosophierens bestimmter Menschen, die das Philosophieren zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Auch Dichtung kann Philosophie sein, philosophische Erkenntnisse offenbare, selbstverständlich auch Kunst und auf andere Art auch Musik.
6.
Die Vielfalt der Einsichten, die philosophische Texte offenbaren, ist keineswegs Ausdruck einer gewissen intellektuellen Schwäche der Philosophie. Die Vielfalt philosophischer Einsichten auch zum gleichen Thema ist notwendig und richtig. Denn die Einsichten sind Ausdruck des Geistes einzelner Menschen oder kleiner Gruppen („philosophische Schulen“). Und zum Wesen des Geistes gehört, dass seine Vollzüge, wie Freiheit, Denken, Handeln, Entscheiden, Gerechtsein, Lieben, Hassen usw. niemals auf eine eindeutige Formel für alle Zeiten gebracht werden. Philosophie kann (und will!) niemals die Eindeutigkeit der Mathematik erzielen, und sie darf auch niemals mathematische Eindeutigkeit als Ideal anstreben. Philosophie als Selbstverständnis des Geistes hat es mit der bleibenden Offenheit des Geistes zu tun. Geist ist immer auch geschichtlich, das wissen wir als Individuen genau: Was man als Kind dachte hinsichtlich des Weltzusammenhangs z.B., kann nicht mehr das sich stets wandelnde Weltverstehen eines Erwachsenen sein. Im Disput, im Dialog, wird Wahrheit erschlossen, selbst wenn sie vorläufig ist und weiterer Dialoge später bedarf. Insofern ist Philosophie eine Art unendlicher Prozess. Und dies ist, noch einmal kein Mangel, sondern Ausdruck der Lebendigkeit des Geistes. Auch die exakten Naturwissenschaftler betonen immer wieder: Alle unsere Erkenntnisse sind letztlich vorläufig.
In der herrschenden Mentalität des Machens und Schaffens und Bewältigens hat das Vorläufige von Erkenntnissen keinen Platz. „Man“ will absolute Sicherheit und befragt Wissenschaftler und Ärzte, was sie für die Zukunft, etwa der Gesundheit, denken, man tut so, als könnten Wissenschaftler und Ärzte das so genau wissen. Wir leben in einer Gesellschaft, die das exakte und sichere Wissen, möglichst für alle Zeiten, zum obersten Gott erklärt hat. Man lebt in totaler Unsicherheit und sucht Sicherheit bei den Wissenschaften…
7.
Dem widerspricht Philosophie selbstverständlich. Sie ist nicht nur vielfältig, weil sie sich mit den grundlegenden Fragen des Lebens reflexiv befasst, wie Denken, Fragen, Glauben, Suchen, Wissen etc. Philosophie ist vielfältig, weil alle ihre Antworten – wie sollte es anders sein – in einer bestimmten historisch – kulturell geprägten Sprache gegeben werden.
8.
Das heißt nun aber nicht, dass es in der Philosophie nur um historisch bedingte „relative“ Einsichten gibt. Der einzelne hat als einzelner immer seine (oft unbewusste) Lebensphilosophie, die er naturgemäß ernst nimmt. Dennoch ist der einzelne eben immer auch Mensch, also ein „allgemeines“ menschliches Wesen, das also von bestimmten wesentlichen menschlichen Merkmalen bestimmt ist. Diese allgemeinen Merkmale muss jeder individuelle einzelne mit berücksichtigen für seine eigene Lebensphilosophie. Insofern gibt es immer nur den „allgemeinen Individuellen“. Die Krise auch unserer Gesellschaft besteht sicher auch darin, dass die vielen einzelnen nicht mehr die wesensmäßige Bindung an das Menschlich – Allgemeine sehen und leben wollen.
9.
So sind die Formulierungen des kategorischen Imperativs durch Kant zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort entstanden, wie sollte es auch anders sein? Aber diese historische Eingebundenheit der Formulierungen des kategorischen Imperativs bedeutet auch: Dieser kategorische Imperativ hat allgemeine und universale Bedeutung für jeden Menschen. Dass er erst gegen Ende des 18, Jahrhunderts formuliert wurde, bedeutet: Die Menschheit brauchte lange Zeit, um zu dieser Deutlichkeit zu kommen. Vorher gab es ja in vielen Kulturen, auch in China (Konfuzius), auch in der Bibel, Formulierungen der „Goldenen Regel“, die in ihrer Schlichtheit der Sprache durchaus einem universalen ethischen Imperativ nahekommen. Der Kategorische Imperativ ist zwar universal gültig als Maßstab des Handelns, das heißt aber nicht, dass er auch von anderen philosophischen Ansätzen kritisiert und ergänzt werden kann. Einige (wenige) philosophische Einsichten sind zwar universal gültig, aber sie nicht im Unterschied etwa zu Glaubensdogmen der römischen Kirche unantastbar und in der Sprachgestalt unwandelbar. Philosophieren und Philosophie ist ein lebendiges, sich selbst entwickelndes Geschehen des Geistes.
10.
Philosophieren bietet also für selbstkritisch nachdenkliche Menschen durchaus Gewissheiten, die inmitten des Daseins und zum Überleben unverzichtbar sind. Der kategorische Imperativ wurde genannt. Hinzu kommt die philosophische Abwehr all derer, die sich als Meister vieler absoluter ideologischer Lehren aufspielen, etwa im religiösen, kirchlichen Bereich oder innerhalb atheistischer Kreise, die sich als atheistische Dogmen aufspielen. Hinzu kommt die Einsicht, dass wir oft in Selbst – Widersprüchen leben, das klassische und einfache Beispiel ist etwa der Satz: „Es ist doch alles relativ“. Oder: „Es gibt keine Wahrheit“ Oder „Alles und alle sind sinnlos“. Für Philosophen haben solche Sprüche keinen Bestand vor der Vernunft. Wer kann auf Dauer in Selbstwidersprüchen leben? Offenbar viele, denn sonst würden sie den Einsichten ihrer Vernunft in ihrer Lebenspraxis entsprechen…
11.
Die Hauptaufgabe der Philosophie heute, in Corona -Zeiten zumal, sind die Fragen der Ethik, darauf weist die UNESCO zum diesjährigen Welttag der Philosophie hin. Und dieser Hinweis ist berechtigt, keine Frage.
12.
Ich meine noch dazu In diesen Zeiten der tiefen Krisen: Corona, Demokratie-Abwehr durch Trump und andere Autokraten; Klimakatastrophen, zunehmende Armut usw., ist eine andere philosophische Frage dringend. Und ich sage philosophische Frage und nicht theologische Frage: Wie können wir im philosophischen Denken einen tragenden Sinngrund unseres Lebens entdecken, sozusagen im transzendierenden Nachdenken, das Hegel das „Grenzen-Überschreiten hin zum Absoluten“ nannte? Wenn diese Frage eine gültige vernünftige Antwort findet, werden auch ethische aktuelle Probleme in ein ganz anderes Licht gestellt. Es wird dann nämlich in der Vernunft eine den Menschen, die Welt, gründende „göttliche“ Vernunft wahrgenommen. Sie kann in Zeiten des massiven Zusammenbruchs des alten kirchlich – dogmatischen Glaubens eine neue Gewissheit im Leben geben, ohne dass dabei der alte Vorwurf des „religiösen Opiums“ wiederholt werden muss: Denn dieser vernünftige „göttliche“, „ewige“ „Lebensgrund“ befreit gerade zum Tun, auch zum politischen Tun zugunsten der Gerechtigkeit für alle.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Kamala Harris – die „multireligiöse“ Vizepräsidentin der USA

Ein Hinweis von Christian Modehn im November 2020.

1.
Präsident Jo Biden ist gläubiger und praktizierender Katholik, das hat sich allmählich herumgesprochen. Einige katholische Bischöfe der USA haben aber Jo Biden noch in letzter Zeit sein „Katholischsein“ abgesprochen und davor gewarnt, dass Katholiken ihn wählen. Mit „Erfolg“:62 Prozent der Katholiken haben dann als gehorsame Gläubige tatsächlich TRUMP gewählt. Wollten die Bischöfe also behaupten: Jo Biden sei ein verkappter Atheist? Von wegen. Er hat nur die Ursünde für viele konservative und reaktionäre Katholiken begangen, und eben nicht die „Pro Life Bewegung“ zu seinem obersten Gott erklärt, wie es eben die genannten Kreise, auch evangelikaler Prägung, vor allem tun. Für sie ist sozusagen der Kampf für Pro Life der militante Glaubenskampf seit Jahren. Und die Grundsätze von „Pro Life“ sind das oberste Glaubensbekenntnis.
Jo Biden ist hingegen ein gläubiger Katholik, für den der Kampf um die Demokratie und Menschenrechte und Menschenwürde für alle an oberster Stelle steht. Das sind ja ohnehin die einzig möglichen humanen und demokratischen Positionen! Mit religiösen Prinzipien und Sprüchen aus heiligen Schriften lässt sich bekanntlich kein demokratischer Staat machen.
2.
Und was bedeutet der religiöse Glaube der Vizepräsidentin Kamala Harris? Diese Frage zu stellen ist in den USA normal, obwohl offiziell Kirchen und Staat getrennt sind. Aber im Unterschied zur radikaleren Laizität in Frankreich: Dort ist es eher ungehörig wissen zu wollen, was glaubt dieser oder jene Mensch, Nachbar, Kollege, Politiker, welcher Konfession gehört er an, geht er zur Kirche, zur Synagoge, zur Moschee etc…? So etwas darf man und will man in Frankreich, durch die Verfassung festgelegt, gar nicht wissen, darum gibt es auch keine präzise Religionsstatistik in Frankreich!
3.
Und das ist nun wirklich hoch interessant für alle religionswissenschaftlich oder auch theologisch Interessierten: Eine multireligiös lebende höchstrangige Politikerin in den USA: Diese Situation ist kein Wunschtraum mehr, sondern Realität: Was Prof. Perry Schmidt-Leukel in Deutschland oder die Theologin Manuela Kalsky in den Niederlanden (Amsterdam) seit Jahren fordern und selbst leben: Die multireligiös Religiöse: Das ist Wirklichkeit – bei Kamala Harris, der US Vizepräsidentin. Dieser Aspekt ist natürlich nur einer von vielen Aspekten, die wichtig sind, um Kamala Harris zu verstehen.
4.
Die Mutter von Kamala Harris , Shyamala Gopalan Harris, gestorben 2009, stammt aus Indien (Chennai, Madras), sie war eine gläubige Frau gemäß hinduistischer Spiritualität – auch als sie in den USA
lebte…und für die Menschenrechte kämpfte. Während ihrer Reisen in Indien nahm Kamala Harris an Riten in hinduistischen Tempeln teil.
Der Vater Donald Harris stammt aus Jamaica und war mit der Baptistenkirche verbunden. Kamala Harris Ehemann Dougles Emhoff ist mit jüdischen Gemeinden verbunden, und sie bekennt „mit dem ich die Traditionen und Feiern des Judentums teile“, berichtet die Tageszeitung La Croix, Paris.

In San Francisco ist Kamala Harris eng verbunden mit der Bapistengemeinde von Pastor Amos C. Brown. Er sagte über Kamala Harris in der Zeitschrift „Sojourners“: „In meiner Sicht verkörpert sie einen Satz aus dem Jakobus-Brief des Neuen Testaments, dort heißt es: „Ein Glaube ohne Taten und Werke ist tot“ (Jak. 2,26). Ein erstaunliches, sehr treffendes Wort eines berühmten US-Theologen und Kämpfers für die Menschenrechte, ist doch der Jakobus Brief von Martin Luther aufs heftigste kritisiert und abgewiesen worden, gerade weil im Jakobus Brief das TUN so betont wird als Weg der Erlösung. Dieser irrigen Interpretation Luthers folgen leiden heute immer noch viele Protestanten, aber dies ist ein anderes Thema. Kamala Harris bestätigt die Aussage ihres Pastors: „Ich habe schon in der Jugend in der Baptistenkirche von Oakland damals gelernt: Den Glauben haben bedeutet: Er ist eine Aktion. Wir müssen ihn leben und in Taten verleiblichen“. Im Pressedienst „Protestinter“ sagte sie: „Der Gott, an den ich glaube, ist der Gott der Liebe. Er will, dass wir den anderen dienen und im Namen derer sprechen, die weder reich noch mächtig sind. Dabei ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ganz zentral für mich“. Kamala Harris geht soweit, sich öffentlich auch zum privaten Gebet zu bekennen, „um Kraft und Schutz zu erbitten, gute Entscheidungen zu treffen“…

5.
Kamala Harris lebt außerhalb rigider religiöser Identitäten. Dies kann eine gute Voraussetzung sein, um ein Land, das ideologische Barrieren und religiöse Eindeutigkeiten über alles pflegt, etwas mehr zu versöhnen, d.h. zur Vernunft zu bringen, Vernunft ist bekanntlich etwas den Menschen Gemeinsames und Allgemeines. Nur sie, verbunden mit Empathie, kann eine Demokratie aufbauen. Und es ist keine Frage: Wer sich in diesem durch Mr. Trump verwüsteten Land verändern muss, sind zu allererst die meisten Republikaner. Ihre führenden Politiker und Parteimitglieder haben 4 Jahre zugesehen, offenbar aus eigenem finanziellen Interesse, wie dieser korrupte Mann, Mr.Trump, die demokratischen Werte zerstörte und die Lügen zur allgemeinen Unkultur zu etablieren suchte. Die Versöhnung der Menschen in den USA wird heftig werden. Auch die Kirchen sind innerlich politisch zerrissen. Wo sind die neutralen Vermittler, die Mediatoren?

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de

Dieser Hinweis verdankt einige Information der Tageszeitung La Croix, vom 9.11.2020, dort der Beitrag von Claire Lesegretain.