Die Ehe für alle ist selbstverständlich! Nicht aber für “evangelikale Christen”. Der Nashville-Erklärung widerstehen!

Gegen die „Nashville-Erklärung“ protestieren die Remonstranten

Von Christian Modehn

Die Remonstranten sind eine freisinnige, liberal-theologische protestantische Kirche in Holland. Sie sind die einzige christliche Kirche weltweit, die als solche kein verpflichtendes dogmatisches Bekenntnis von ihren Freunden und Mitgliedern verlangt.

Die für Toleranz eintretenden Remonstranten lassen sich von konservativen Kirchen nicht alles bieten. Theologisch liberal sein heißt auch widersprechen, wenn die Freiheit der Menschen und ihre Würde bedroht sind.

Darum widersprechen jetzt die Remonstranten offiziell, wenn in diesen Tagen von den zunehmend mächtiger werdenden Kreisen der konservativen Kirchen der USA ein theologisches Dokument auch in Holland verbreitet wird, mit entsprechenden Unterschriftensammlungen: Es handelt sich um die so genannte Nashville-Erklärung aus dem Jahr 2017, die weltweit schon Irritationen auslöste. In dem Text wenden sich zahlreiche evangelikale US-Theologen (unter ihnen Pastor John Piper, auch in den entsprechenden Kreisen in Deutschland bekannt) gegen die Gleichwertigkeit von Homosexualität und gegen die Rechte von Transsexuellen. Die Autoren der „Nashville Erklärung“ lesen wie üblich und unbelehrbar die Mythen der Bibel wortwörtlich, was Sexualität betrifft. Was die Worte Jesu gegen die Herrschaft des „Klerus“ betrifft, bekanntlich nicht, die werden je nach Laune evangelikal interpretiert. Der ehemalige Generalsekretär der Remonstranten und Theologe Tom Mikkers hat zusammen mit der Politikerin Mirjam Sterk (CDA) in der Amsterdamer Tageszeitung “de Volkskrant” der Nashville Erklärung widersprochen.

Diese immer mächtiger werdenden evangelikalen Kreise (man denke an ihre aktuelle Unterstützung des brasilianischen rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro) wollen damit die Muster einer für Europa längst vergangenen Kultur der absoluten Dominanz der „Hetero-Ehe“ fortschreiben und damit auch an einem entsprechenden Familien- und Frauenbild festhalten. Insofern ist das Nashville Dokument auch ein politisches Pamphlet. Und ein Dokument einer in der aufgeklärten, gebildeten westlichen Welt längst untergegangen Kultur. Es ist förmlich ein Kulturkampf um die Bibelinterpretation entstanden!

Darum haben jetzt, am 7.1. 2019, die Remonstranten gegen die sogen. Nashville Erklärung protestiert. Diese Kirche war bekanntlich die erste, die schon 1986 als christliche Kirche die Segnung von Paaren des gleichen Geschlechts in ihren Kirchen gestaltete und damit diese Lebensform als normale Alternative zur Hetero-Ehe ansieht.

Es scheint, als hätten die Evangelikalen in dieser unserer Gegenwart der politischen Verwirrung (Nationalismus, Kriege, Rechtsradikalismus, Öko-Krise, Armut, Ungerechtigkeit weltweit) keine anderen Sorgen, als dieses uralte Thema der absoluten Geltung der Hetero-Ehe wieder zu propagieren. Als solle ein letztes Gefecht dieser Kirchen stattfinden um eine Kultur, die mit dem 20. Jahrhundert de facto, aber noch nicht in allen Köpfen, überwunden wurde. In Afrika sind die Kirchen die heftigsten Feinde des Respekts für Homosexuelle. Der Kardinal von Tanzania sagte kürzlich noch, besser sollten die Menschen in Tanzania verhungern, als Hilfen anzunehmen, die irgendwie mit „Gay“ (Schwul) etwas zu tun haben.

Man mache sich nur keine Illusionen: Wer heute noch christlich sein will, bindet sich oft an diese dogmatisch starren Kirchen. Diese Menschen suchen Sicherheit, Führung, sie wollen von anderen hören, was Gott will. Sie fragen nicht selbst, suchen nicht selbst. Alte Antworten in alten Floskeln und Sprüchen werden nachgesprochen…

Und vor allem: Die Nashville Erklärung könnte der Vatikan auch jetzt nicht besser formulieren. Selbst Papst Franziskus ist alles andere als ein Verteidiger der Gleichberechtigung der Homosexualität und der Homosexuellen. Er ist theologisch sehr konservativ, das hören die wenigen progressiven Katholiken nicht gern, aber es die Wahrheit. Man lese bitte auch den offiziellen, immer noch gültigen römischen Katholizismus von 1996, dort gibt es beste inhaltliche Übereinstimmungen mit der Nashville Erklärung!

Und man vergesse nicht: Die Nashville Erklärung können die meisten Muslime mit Begeisterung unterschreiben, jedenfalls solche, die in den Herrschaftsgebieten der arabischen Diktatoren leben.

Die Nashville Erklärung ist insofern leider ein ökumenisches, man möchte fast sagen, interreligiöses Dokument.

Man darf gespannt sein, wie etwa in Deutschland sich die Evangelische Kirche offiziell von diesem theologischen Unsinn aus Nashville distanziert. Kaum zu erwarten, wenn man nur an die Macht evangelikaler Kreise etwa in der Württembergischen Landeskirche denkt…Die offizielle katholische Kirche in Deutschland wird – nicht nur stillschweigend – jubeln. Das ist ja das richtige Thema für die katholischen, d.h. päpstlichen Weltjugendtage in Panama im Januar 2019. Sie haben das Motto: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte“. Haben auf solch eine antifeministische Theologie die jungen (armen) Frauen in Lateinamerika gewartet, die in dieser Macho-Gewalt-Unkultur um Überleben kämpfen müssen?

Die Nashville Erklärung richtet viel Schaden an: Sie weckt den Eindruck bei vielen LeserInnen: Ja, so denken halt „die“ Kirchen. Ist ja leider nicht ganz falsch! Die Menschen haben also einen Grund mehr, sich von den Kirchen zu verabschieden.

Die Remonstranten feiern in Holland in diesem Jahr 2019 ihr 400 Jahre dauerndes Bestehen. Ein Thema der aktuellen Auseinandersetzungen wurde ihnen nun mit der niederländischen Nashville-Erklärung vorgelegt, ein Thema, das in den Gedenk- und Denkfeiern jetzt nicht fehlen wird.

Die Remonstranten sind eine zahlenmäßig sehr kleine Kirche, aber sie sind ein Ort der Zuflucht für jene, die eine Verbindung von Moderne, Vernunft, Menschenrechten UND christlichem Glauben erleben und gestalten wollen.

Copyright: Christian Modehn, Forum der Remonstranten Berlin.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Vor 100 Jahren ermordet.

„Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden“
Nachtrag am 22.2.2019: Ein Hinweis auf das wichtige Buch von Sebastian Haffner. Am Ende dieses Beitrags.

Hinweise von Christian Modehn

1.Die so genannten „bürgerlichen, liberalen Kreise“ sollten jetzt Korrekturen ihrer Denkmuster vornehmen. Und am 15.1. 2019, ein hundert Jahre nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu einem Buch greifen und es lesen. Es ist eine Studie, die von einem auch in bürgerlichen Kreisen anerkannten Historiker und Publizisten geschrieben wurde: Sebastian Hafner hat in sein Buch (252 Seiten) „Die deutsche Revolution 1918/19“ schon 1969 unter dem Titel „Die verratene Revolution“ veröffentlicht, darin das ausführliche Kapitel über die Zusammenhänge der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht. Die Ermordung der beiden Sozialisten sei bereits „spätestens Anfang Dezember 1918 geplant und systematisch betrieben worden“ (S. 174, in der Ausgabe des Rowohlt Verlages 2018): Von wem? Von Mitarbeitern des offiziellen „Stadtkommandanten Wels“ (SPD). Auch der für Bürgerkriegs –Belange zuständige Gustav Noske (SPD), enger Mitarbeiter von Friedrich Ebert (SPD, war in der Verfolgung und Ermordung Luxemburgs und Liebknechts sehr engagiert (S. 176). Warum wurden diese beiden Sozialisten, Gegner der staatstragenden Mehrheits-SPD, ermordet? Sebastian Hafner schreibt: Luxemburg und Liebknecht „verkörperten in den Augen von Freund und Feind die deutsche Revolution. Sie waren ihre Symbole. Und mit ihnen erschlug man die Revolution“ (S. 180). Beide erkannten das „Spiel“, das von Anfang an mit der deutsche Revolution von ihren angeblichen Führern (der SPD, C.M.) getrieben wurde, und sie schrieen ihre Erkenntnis täglich laut heraus. Sie waren sachverständige Zeugen, die man erschlug, weil man ihrem Zeugnis nichts entgegenzusetzen hatte“ (ebd.) „Die „Mordhetze wurde auch und gerade von der sozialdemokratischen Presse betrieben“ (S. 181). Ein brisantes Thema und man ist gespannt, wie die SPD am 15. 1. 2019 sich zu einer Stellungnahme aufrafft. Dass im Hintergrund die reaktionären Kräfte um General Erich Ludendorff agierten und die Republik von vornherein kaputt machen wollten, ist auch klar.

Über Ebert und Noske schreibt Otto Friedrich in “Morgen ist Weltuntergang”, Berlin in den Zwanziger Jahren, Berlin 1998, S. 55.: “Wie für Ebert bedeutete Sozialismus auch für Noske, aus der Armut aufzusteigen und am Glanz des Kaiserreiches teilzuhaben…”

2.Den Interessen des religionsphilosophischen Salons entsprechend ein Wort zur „Spiritualität“ bzw. „religiösen Dimension“ von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Denn „religiöse Dimensionen“ sind wohl in jedem lebendigen Menschen lebendig, selbst wenn oder gerade weil er/sie NICHT an die Dogmen einer bestimmten Konfession gebunden ist. Bei Rosa Luxemburg wird der Gedanke der Revolution sozusagen mit einer transzendenten Aura beschrieben. In ihrem letzten Beitrag, am 15.1. 1919, schrieb Rosa Luxemburg als Redakteurin der „Roten Fahne“: „Ihr stumpfen Schergen! Die Revolution wird sich morgen schon rasselnd wieder in die Höhe richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: „Ich war, ich bin, ich werde sein“. Revolution also als Ewigkeit, am Ende der Zeiten (?) siegreich gedacht. Seinen Glauben drückte Karl Liebknecht am gleichen Tag mit den Worten aus: “Leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen, trotz alledem“. (Von Sebastian Hafner zitiert auf der Seite 177). Hafner schildert auch, mit welcher bestialischen Brutalität Luxemburg und Liebknecht von den Mördern, die von den SPD-Führern engagiert, hingerichtet wurden. Die SPD, überglücklich, parlamentarisch reagieren zu dürfen, fühlte sich als Repräsentantin der alten Ordnung, zu der nun einmal eine blinde Wut auf alles gehörte, was Revolution sich nannte. Und Hafner zeigt weiter: Der Mord an Luxemburg und Liebknecht war „der Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske Zeit, zu den millionenfachen Morden in den folgenden Jahren der Hitler Zeit“ (S. 182).

3.Auch das berühmte Zitat Rosa Luxemburgs „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ sollte heute ausführlich reflektiert werde, es bezieht sich auf die Zustände der bolschewistischen Herrschaft Lenins. Geschrieben hat dieses Wort Luxemburg im September/Oktober 1918, also wenige Monate vor ihrer Ermordung. Dieser berühmte Luxemburg Satz gehört zu ihrer größeren Studie „Zur russischen Revolution“, die erst 1922 von Paul Levi aus dem Nachlass veröffentlicht wurde. Welche Bedeutung hat dieser viel zitierte, so gar nicht „kommunistische Satz“ heute angesichts der Zunahme von rechtsradikalen Untaten in ganz Europa und weltweit? Wie weit können die Feinde der Demokratie sich der demokratischen Grundsätze bedienen, um gegen die Demokratie zu agieren? Rosa Luxemburg schrieb also die „berühmten Worte“: “Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei– mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der »Gerechtigkeit«, sondern weil all das Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die »Freiheit« zum Privilegium wird.” (Die Russische Revolution, Hrsg. Paul Levi, Verlag Gesellschaft und Erziehung G.m.b.H., 1922, S. 109 ).

André Brie ergänzt: „Luxemburg kritisiert auch, dass die Bolschewiki den Kapitalisten die Pressefreiheit verweigerten, denn „ohne eine freie, ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben“ sei „gerade die Herrschaft breiter Volksmassen völlig undenkbar“. Ihre Vorstellung ist offenbar, dass die „politische Schulung und Erziehung der ganzen Volksmasse“ nicht anders als im offenen Streit zwischen ihr und den Kapitalisten erfolgen kann. An dieser Schulung aber, und das ist der Kern ihrer Kritik, hätten Lenin und Trotzki gar kein Interesse: Es sei die „stillschweigende Voraussetzung“ ihrer Diktaturtheorie, „dass die sozialistische Umwälzung eine Sache sei, für die ein fertiges Rezept in der Tasche der Revolutionspartei liege, das dann nur mit Energie verwirklicht zu werden brauche“ (in „Standpunkte“, 10/2011)

4.Es ist eine historische Katastrophe, dass sich Kommunisten später nie an diese grundlegende Einsicht der Sozialistin Rosa Luxemburg hielten. Sie veranstalteten ihr zu Ehren Jubelfeiern, etwa in der DDR; diese grundlegende Einsicht Luxemburgs wollte man schon gar nicht wahr –nehmen, … angesichts der Diktatur der alles bestimmenden Partei. Und: Welche Rolle spielt Rosa Luxemburg heute in den sich noch kommunistisch nennenden Regimen Chinas und Nord-Koreas? Gar keine! Ist damit aber Luxemburgs Erkenntnis „Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden“ hinfällig? Überhaupt nicht. Wie könnten wir Menschen denn noch menschlich leben, wenn wir dieses „Ideal“ aufgäben.

5.Die Organisationen im „bürgerlichen Bereich“ waren auch nicht gerade Vorbilder in der Gewährung der Freiheit der anders Denkenden. Man erinnere sich an die frühe Geschichte der Bundesrepublik, an den Nazi –Freund Hans Globke, von Adenauer gefördert; an die Dominanz der alten, aus NS Zeiten stammenden Richter und Beamten, an die Hetzjagden auf Linke damals etc. Man denke auch an die Kirchen und ihre Verfolgung der Ketzer, der Abweichler bis heute, an die Exkommunikationen usw. bis heute..

6.Im Jahr 2014 erschien Band 6 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs, er bezieht sich auf die Jahre 1893 bis 1906. Darin wird auch das Thema „Luxemburg und die Religion“ dokumentiert. Der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp schreibt zu diesem Band 6: „Rosa Luxemburg, selbst säkularisierte Jüdin, ist eine humanistisch gebildete und religionsgeschichtlich kundige Autorin. Ihre Gegnerschaft trifft nicht Kirche und Religion schlechthin, schon gar nicht religiöse Menschen (“niemals … Kampf gegen religiöse Überzeugungen”), sondern den Klerikalismus und die “Kirche als geistige[n] Generalstab der herrschenden Klassen”. Kirche und Religion verklären die kapitalistische Weltordnung, meinte Rosa Luxemburg. (Quelle: https://hpd.de/node/17915). Wer würde leugnen, dass diese Erkenntnis Luxemburgs bis heute Gültigkeit hat? Wie viele Veranstaltungen in kirchlichen Akademien Deutschlands wird es zur Ermordung von Rosa Luxemburg geben? Wie viele (selbst-)kritische Gedenkartikel in kirchlichen und theologischen Zeitschriften? Wir werden uns in dieser Sache wieder melden…Wird es möglich sein, endlich der Erkenntnis zu folgen: Rosa Luxemburg war KEINE “Bolschewistin”! Viele Jahre haben bürgerlich-konservative wie auch kommunistische Interpretationen – je auf ihre Weise – Rosa Luxemburg als Bolschewistin entweder verurteilt oder verklärt.

Eine Ergänzung am 22.2.2019:

Ein Hinweis von Christian Modehn zur Mitschuld der SPD am Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ hat auf die Bedeutung von Rosa Luxemburg, auch auf ihre selten explizit thematisierte „humanistische Spiritualität“, hingewiesen. Und anlässlich des Gedenkens an die Ermordung von Rosa Luxemburg auf das große Werk von Sebastian Haffner empfehlend verwiesen: Haffner hatte schon 1969 sein Buch zum Thema Revolution in Deutschland 1918/19 unter dem Titel „Die verratene Revolution“ publiziert. Diese maßgebliche Studie erscheint nun unter dem Titel „Die deutsche Revolution 1918/1919“ (Rowohlt Verlag).
Der Tagesspiegel (19.2.2019) macht in einem Beitrag von Uwe Soukup darauf aufmerksam: Entgegen vieler polemischer Äußerungen stimmt die grundlegende Einsicht des (nicht-kommunistischen) Autors Haffner nach wie vor, nämlich: „Die Teilhabe der SPD an unfassbaren historischen Verbrechen wie den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“. Uwe Soukoup berichtet von dem letzten Pressegespräch Haffners für DIE ZEIT. Er sagte: „Ebert und Noske haben die Revolution verraten, sie sind schuld an der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg, ohne sie (die SPD) wäre Hitler nicht an die Macht gekommen“.
In seiner Kritik an der vor allem an Regierungsgewalt interessierten SPD sagte Haffner: „Ich habe es immer als sehr unangenehm empfunden, dass die Parteistiftung der SPD `Friedrich Ebert Stiftung heißt“.
Die SPD Vorsitzende Andrea Nahles musste am 9.11. 2018 einräumen, dass der SPD Politiker Gustav Noske „bei den Morden an Luxemburg und Liebknecht seine Hände im Spiel gehabt hatte“. Aber aus dieser noch vorsichtig formulierten Einsicht folgte keine Neuorientierung der SPD gegenüber Noske und seinem Meister: Ebert.
Ich hatte der Friedrich Ebert Stiftung geschrieben und an die im Hintergrund laufende Verquickung der SPD mit den Rechtsradikalen seit 1919 hingewiesen. Darauf erhielt ich am 18.1.2019 diese Antwort von Dr. Peter Beule, Mitarbeiter der Friedrich Ebert Stiftung in Bonn, Projekt Netzwerk Demokratie/Geschichte: Diese Antwort kann ich gegenüber dem nun auch aktuell im „Tagesspiegel“ Freigelegten nur als Ausrede bezeichnen, Beule schreibt: „Der Forschungsstand macht deutlich, dass die Rede von einem Mittun Friedrich Eberts bei der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, so Ihre Formulierung, jedweder Quellenbasis entbehrt. Auf die Ermordung der ehemaligen Sozialdemokrat“_innen durch rechtsradikale Freikorps am 15. Januar 1919 reagierte Ebert mit Abscheu und Bestürzung“. Was heißt schon „Mittun“? Jemand, der eine Tat inszeniert und bewusst zulässt, „tut auch mit“…
Peter Beule, SPD, meint also, Sebastian Haffners Studie sei veraltet. Das Gegenteil ist ja der Fall. Und: Keine Frage, Ebert musste nach außen hin mit Abscheu über den Mord reagieren. Hätte er öffentlich jubeln sollen, dass die in seiner Sicht „Bolschewistin/Revolutionärin“ Rosa Luxemburg endlich ermordet wurde?
Ebert hatte doch keine größere Angst als die vor einer revolutionären demokratischen Wandlung Deutschlands.
Und nebenbei: In meiner Mail hatte ich auch eine Änderung des Namens der SPD nahen Stiftung vorgeschlagen, wie Sebastian Haffner schon. Aber dazu nahm Herr Beule gar nicht Stellung. Aber wenn die SPD noch einmal selbstkritisch mit ihrer Vergangenheit umgeht: Dann darf ihre Stiftung sich nicht mehr mit dem Namen Ebert „zieren“. „Willy Brandt Stiftung“ wäre treffender!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wie könnten Christen Weihnachten noch feiern? Abschied von der “Stillen Nacht”: Weil “alles schläft”!

Ein Kommentar und Diskussions-Beitrag

Von Christian Modehn am 29.Dezember 2018

Einige Freundinnen haben mich gefragt: Was denn der “Hintergrund” für diesen Kommentar sei.

Meine Antwort: Weihnachten ist weltweit so ein zentrales Ereignis, dass man sich auch außerhalb der Weihnachtstage mit dem Ereignis befassen sollte. Und vor allem: Weil die bisher üblichen Weihnachtsfeiern/Gottesdienste der Kirchen nicht den gewünschten “Erfolg” zeigen, und dies seit Jahrhunderten: Weihnachten als viel besprochenes “Fest des Friedens” etwa ist eine reine Farce. Wer Jahre lang an Weihnachtsgottesdiensten teilnahm, der ist, soweit man das empirisch feststellen kann, eben nicht friedlicher geworden: D.h.:Die Welt ist trotz der üblichen vielen Weihnachtsgottesdienste eben nicht besser, “erlöster”, “geretteter” geworden. Man denke nur daran, dass in dem “katholischen Kontinent” Lateinamerika die tötende Gewalt, die Korruption, die Verbrechen gegen die Menschenwürde alltäglich sind und immer mehr zunehmen. Haben diese Verbrecher nicht oft an (Weihnachts-)Messen, die so hübsche Krippe verehrt und an Wallfahrten und Prozessionen teilgenommen? Haben sie nicht die “heilige Jungfrau” so oft singend gepriesen, bevor sie zu Massenvergewaltigungen sich entschieden haben? Kann eine Kirche so viele “spirituelle Erfolglosigkeit” auf Dauer ertragen? Ist das nicht alles für die Kirche furchtbar blamabel? Warum sollte man angesichts dieses spirituellen wie politischen Desasters nicht fragen: Dann sollen die Christen und Kirchen z.B. endlich beginnen, radikal anders Weihnachten zu feiern. In unserem religionsphilosophischen Salon am 14. Dezember 2018 hatten wir uns auch schon auf dieses Thema eingelassen. Zu wenig Beachtung findet auch in diesem Text leider die totale Ökonomisierung des Weihnachtsfestes. Weihnachten ist eben total Weihnachts-MARKT geworden. Und die Kirchen machen diesen Trubel und Konsumrausch mit.

Es ist naturgemäß verwegen, die Kirchen in Europa, auch in Deutschland, aufzufordern: Weihnachten in der bisherigen Form nicht mehr zu feiern. Das wäre ein dringendes Thema für die nächsten 12 Monate in 2019.

Denn, so sagen die zahllosen kirchlichen Weihnachtsfreunde: Die Gottesdienste sind doch gut besucht, wenn nicht überfüllt. Die Leute singen halt so furchtbar gern „Stille Nacht“ und „Zu Bethlehem geboren“ in den Kirchen bei Kerzenschein usw. Die Kindern staunen dann auch über die (meist kitschigen) Krippen. Einige gute Summen an Spenden werden gesammelt, für „Brot für die Welt“ und „Adveniat“. Wobei niemand wagt, diese ca. 70 Millionen Spenden in ein Verhältnis zu setzen zu den Milliarden Ausgaben zu Weihnachten für Geschenke. (Von den sinnlos verschleuderten, die Umwelt schädigenden Millionen fürs Herumballern zu Silvester ganz zu schweigen). Hinzu kommt: Die Predigten der Bischöfe und Pfarrer zu Weihnachten werden auch nicht kritisch – theologisch untersucht auf einen nachvollziehbaren Inhalt hin für die heutigen, weithin säkularisierten Weihnachtsgottesdienst-Besucher. Viele Predigten sind nur eine Wiederholung der Weihnachtsmythen der Evangelien. Und wenn es politisch wird, dann immer staatstragend moderat: Dass zu der Zeit, wo „Stille Nacht“ gesungen wird, viele Flüchtlinge in der stillen Nacht des Mittelmeeres herumirren auf ihren Kähnen, wird kaum gesagt, genauso wenig, dass so viele Menschen hierzulande eben keinen Gänsebraten verzehrten, weil die Ungerechtigkeit, d.h. die Armut, so groß ist. Nur Tierschützer können sich über diesen aufgezwungenen Gänsebraten- Verzicht freuen.

Wenn Weihnachtspredigten einen Hauch von Politik, und das heißt Politik-Kritik haben, dann sind sie allgemein, unverbindlich, in den Aussagen eben nicht „hart“ formuliert. Dass Geldspenden nur eine äußerst hilflose Art der Solidarität mit den arm gemachten Menschen in Afrika usw. ist, wagt kein Prediger zu sagen: Er müsste nämlich von einem Umbau unseres kapitalistischen Wirtschaftssystem sprechen. Wer will das schon hören?

Die Menschen verlassen die Gottesdienste der überbeschäftigten Weihnachtspastoren in dem schon von der Großmutter überlieferten kindlichen Wissen: „Christus ist erschienen, uns zu versühnen“, wie es im Lied altmodisch heißt. Oder: „Der Erlöser, der Retter, ist da. Alleluja“. Aber keiner weiß, was das bedeutet: Der Erlöser ist da? Wie bitte? Hier bei uns, in Afrika, bei Mister Trump und Putin und den übrigen so furchtbaren inhumanen Politikern wie in Syrien, Brasilien oder auf den Philippinen. Weihnachten, so der Gesamteindruck, bestätigt nur unverstandenes Geraune: „Der Erlöser ist da“, „Maria geht durch einen Dornwald“, „Tochter Zion freue dich…“ Und so weiter.

Weihnachten ist das Fest der Christen, das einerseits viel populäre Beliebtheit hat und andererseits in seinem Inhalt kaum verstanden wird.

Es ist populär beliebt, weil es mit dem Kaufrausch verbunden ist. Darum wird es auch in Japan gefeiert: Dort sagt man sich: Endlich irgend so ein europäisches Fest, das uns mit bestem Gewissen maßlos konsumieren lässt.

Aber: Der Inhalt wird auch hier in einem einst kirchlichen Europa nicht verstanden: Und der wesentliche Inhalt lässt sich in drei Worten sagen: „Weihnachten ist das Fest der „Vergöttlichung der Menschen“. Man denke an den Mystiker Angelus Silesius: „Wäre Jesus Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest dann verloren“. Weihnachten also heißt: Alle Menschen sind absolut wertvoll, das Ewige wohnt in ihnen; alle Menschen, aber auch alle, haben deswegen ein göttliches Anrecht, umfassend – menschlich zu leben. Weihnachten ist also ganz modern, sehr säkulär und nachvollziehbar für alle Vernünftigen gesagt: Das Fest der Menschenrechte.

Natürlich mag es in dieser zerrissenen Welt für einige hübsch und beruhigend sein, zu Weihnachten in infantile Phasen zurück zu gleiten, Kindheitserinnerungen zu pflegen, „vom Himmel hoch“ zu singen, zu Tränen gerührt zu sein über die sympathischen Heiligen Drei Könige etc. Aber alles das hat mit Weihnachten als dem göttlichen Fest der Menschenrechte nichts zu tun. Wobei Menschenrechte als ideale, aber bindende Forderung verstanden wird, viele verbrecherische Politiker, die Waffenhändler, die “Reformer” der neoliberalen Wirtschaft usw. berufen sich schamlos auf die Menschenrechte, das ist leider Realität, spricht aber nicht gegen die absolute Geltung der Menschenrechte.

Fordern wir also –aussichtslos, aber deutlich – eine Unterbrechung kirchlicher Weihnachtsgottesdienste der alten, „ewig“ wiederholten Art? Ja! Eindeutig!

Warum also nicht zu Weihnachten Alternativen pflegen: die Kirchen öffnen, dort nachvollziehbare Dialoge führen mit Menschen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind, vernünftig von Jesus von Nazareth sprechen, von seiner Familie, von seinen Geschwistern, seiner späteren Rebellion; dann etwas Musik hören, still sitzen, Kunst betrachten, miteinander Kleinigkeiten essen, Wein trinken, einander kennenlernen, Freundschaften bei solch einem Weihnachtsfest in den Kirchen schließen, Verabredungen treffen, also endlich mal in einer Kirche lebendig werden…

Mal sehen, wie dann die alten Weihnachtsfreunde reagieren, wie sie an den Kirchentüren klopfen und bitten: Erklärt uns doch endlich mal, was Weihnachten wirklich ist. Was die Geburt dieses armen Propheten Jesus von Nazareth eigentlich bedeutet? Gibt es für uns Erlösung, Heil, Rettung? Wenn ja: Wo und wie? Und die Antwort heißt: Erlösung gibt es nur, wenn wir den Vorschlägen und Vorschriften der Menschenrechte praktisch folgen. Und nur das ist der wahre Gottesdienst (im Sinne Jesu). Und dann kann man noch manchmal, aber sehr leise, ein bisschen schamhaft, „Stille Nacht“ singen, dann, wenn die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet sind und die vielen tausend Menschen im Jemen nicht mehr krepieren und die Milliardäre weltweit endlich angemessene, also gerechte Steuern zahlen müssen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Religions-philosophischer Salon Berlin: Ein Rückblick.

Ein Jahresrückblick: 

Was haben wir im Jahr 2018 unternommen? Die Salon-Gespräche fanden 2018 in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 statt. Für die Gastfreundschaft besten Dank. Ich habe etliche mails erhalten von den (insgesamt 480) Abonnenten meines newsletters, die unsere Initiative beachtlich finden und leider nicht teilnehmen können: Sie wohnen zu weit entfernt von Berlin… Weitere Informationen, auch über die Notwendigkeit weiterer kleiner philosophisch-religionswissenschaftlich und auch (liberal)-theologischer Salons finden Sie auf meiner website. Auf die Salonabende wird auch auf meiner webiste www.remonstranten-berlin.de hingewiesen. Zu allen Veranstaltungen stehen kurze  inspirierende Hinweise und Einführungen von Christian Modehn auf der website bereit. Alle Veranstaltungen wurden gemeinsam mit Hartmut Wiebus geplant und gestaltet.

Eine Übersicht: Zusammengestellt von Christian Modehn am 22.12. 2018:

Am 28.12.2018 eine kleine (private) philosophisch-poetische “Weihnachtsfeier” mit einigen TeilnehmerInnen des Salons.

Am 14. 12. 2018: Eine kleine Philosophie des (Weihnachts-) Festes: Mit einem Hinweis auf einen Weihnachtstext aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus: Gott unterbricht sich selbst (Kenosis). Zugleich einige Hinweise auf Denken des Philosophen Gianni Vattimo. Es waren 12 TeilnehmerInnen dabei.

Am 23. 11. 2018: „Tod-Sterben-Abschied“. Ein Salonabend mit Prof. Johan Goud, Pastor der Remonstrantenkirche, Den Haag. Mit 23 TeilnehmerInnen.

Am 18.10.2018: Gespräche (und gemeinsames Speisen) im algerischen Bistro „Chez Zola“ in Berlin, Gespräche über Algerien, islamische Philosophie, interreligiösen Dialog. Mit 12 TeilnehmerInnen.

Am 28. 9. 2018: „Monotheismus und Gewalt. Hinweise zu Jan Assmann“ (14 TeilnehmerInnen)

Am 24. 8. 2018: „Die Weisheit der Bibel und die philosophische Weisheit“ (14 TeilnehmerInnen)

Am 10.8. 2018: Sommerausflug des Salons nach Erkner (Gerhart Hauptmann Museum) und Friedrichshagen (Friedrichshagener Dichterkreis). Mit 10 TeilnehmerInnen.

Am 20. 7. 2018: „Jürgen Habermas und die Religion“ (18 TeilnehmerInnen)

Am  22. 6. 2018: „Der alltägliche Rassismus“  (13 TeilnehmerInnen)

Am 5. 2018: „Warum wir Europa fördern“. Zus. mit Jungen Remonstranten aus Holland (20 TeilnehmerInnen)

Am 23.3.2018 sprachen wir (mit 17 TeilnehmerInnen) über „Was gibt uns Halt im Leben?“

Am 23.2.2018 sprachen wir (mit 19 TeilnehmerInnen) über „Gibt es Fortschritt in meinem Leben“?

Am 26.1.2018 (mit 21 TeilnehmerInnen) sprachen wir mit Prof. Wolfgang Ullrich über das Thema „Wahre Meisterwerte“. So auch der Buchtitel im Wagenbach – Verlag.

2017:

Am 15. Dezember 2017 (mit 15 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: “Eine kleine Philosophie der Sehnsucht”.

Am 23.11.2017 (mit 19 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: „Vanitas, die Vergeblichkeit von allem?“

Am 25. 10. 2017 (mit 8 TeilnehmerInnen) sprachen wir – angesichts des Reformationsjubiläums – über das Thema : “An welchen Gott können wir und wollen wir heute (noch) glauben?“

Am 15. September 2017 (mit 17 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: Was tun? Über den MUT, diese schwierige Tugend in düsteren politischen Zeiten!”

Am 4. August 2017 machten wir mit 10 TeilnehmerInnen den Sommerausflug, diesmal nach Frohnau, u.a. mit Gesprächen mit Pfarrerin Gräb, dem Künstler Moegelin und einer Begegnung im Buddhistischen Haus…

Am 14. Juli 2017, sprachen wir mit 19 TeilnehmerInnen – anlässlich des 125. Geburtstages des Philosophen Walter Benjamin (am 15.Juli) vor allem über dessen „Geschichtsphilosophische Thesen“.

Am 26. Mai 2017 sprachen wir mit 15 TeilnehmerInnen über das Thema „Ist Religion Opium? Wann ist Religion kein Opium?“ (Anlässlich des Geburtstages von Karl Marx).

Am 21. April 2017 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen über das Thema: “Postfaktische Untaten – Ein Salonabend über das Lügen und die Suche nach Wahrheit”.

Am 31.März 2017 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen über das Thema: “Glauben und Wissen. Getrennt und doch verbunden”.

Am 24. Februar 2017 sprachen wir mit 14 TeilnehmerInnen über das Thema: „Bei Verstand bleiben. Philosophie als Lebenshilfe in Zeiten politischer Verwirrung“.

Am 29. Januar 2017 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema: “Die Heimat des Weltbürgers. Ein Versuch, dem Wahn des Nationalismus und Dogmatismus zu widerstehen“.

2016:

Ende Dezember 2016 machten wir wieder eine kl. philosophische Weihnachtsfeier.

Am 16. Dezember 2016 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema: „Was ist uns heute (noch) HEILIG?“

Am 18. November 2016 sprachen wir mir 20 TeilnehmerInnen über die aktuelle Bedeutung des Philosophen LEIBNIZ, anlässlich seines 300. Todestages.

Am 26. Oktober 2016 sprachen wir mir 20 TeilnehmerInnen über das Thema „Der Mensch ist böse? Und von Gott geschaffen?“ (Zur so gen. „Erbsünde“)

Am 23. September 2016 sprachen wir mir 13 TeilnehmerInnen über das Buch des Philosophen Michel Serres: „Erfindet euch neu“. Mit einem Beitrag von Hans Blersch.

Am 26. August 2016 machten wir wieder unseren Sommerausflug, diesmal nach Karlshorst mit dem dortigen Pfarrer Edgar Dusdal.

Am 15.Juli 2016 sprachen wir mit 19 TeilnehmerInnen – anlässlich der großen Ausstellung „El siglo de Oro“ (Spanien im 17. Jahrhundert und die spanischen Künstler) über die religiösen und philosophischen Hintergründe des „Goldenen Zeitalters“.

Am 24. Juni 2016 sprachen wir mit 21 TeilnehmerInnen in der Weinhandlung „Sinnesfreude“ anlässlich des vorgegebenen Themas der Neuköllner Kulturtage über das Thema „Sattsein ….Übersättigtsein …..Hungern“.

Am 20. Mai 2016 sprachen wir mit 23 TeilnehmerInnen über den Philosophen Emil Cioran, mit dem Berliner Philosophen Dr. Jürgen Große.

Am 29. April 2016 sprachen wir mit 18 TeilnehmerInnen über das Thema “Alle Menschen sind Grenzgänger”.

Am 18. März 2016 gab es ein sehr großes Interesse mit 25 TeilnehmerInnen zum Thema “Für eine Philosophie der Auferstehung”.

Am 26. Februar 2016 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema “Privateigentum und Gemeinwohl”. Mit einem Beitrag von Elisabeth Hoffmann..

Am 22. Januar 2016 sprachen wir mir 18 TeilneherInnen über das Thema: “Was ist wichtiger: Freiheit oder Sicherheit?

Zu 2015 nur diese wenigen Hinweise:

Wieder fand eine kl. eher private philos. Weihnachtsfeier statt.

Am 11. Dezember 2015 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen (in der Weinhandlung „Sinnesfreude“, Neukölln, über „Der schöne Schein, Wahrhaftigkeit und Authentizität“.

Am 27. November 2015 sprachen wir mit 26 TeilnehmerInnen mit dem remonstrantischen Theologen Prof. Johan Goud aus Den Haag über das Thema: „Theologie und Autobiographie“. 

….. die Liste ab Oktober 2015 wird demnächst fortgesetzt und auf der website veröffentlicht….

Der Religionsphilosophische Salon wurde 2007 gegründet und hat seit der Zeit meistens einmal im Monat eine Veranstaltung angeboten. Der Religionsphilosophische Salon wird seit der Zeit von Christian Modehn geleitet, sozusagen “ehrenamtlich” und ohne jede finanzielle Unterstützung von irgendeiner Seite.

Weihnachten – das Fest der (göttlichen) Unterbrechung und der Menschenrechte.

Hinweise von Christian Modehn zum religionsphilosophischen Salon am 14.12.2018

Zuerst einige Hinweise zu einer kleinen Philosophie des Festes als einer not-wendigen Unterbrechung im Leben. Dann, damit zusammenhängend und auf Weihnachten bezogen, einige Hinweise zu der Überzeugung: Gott selbst unterbricht sich. Gott wird Mensch. Zu Weihnachten gedenken/feiern Christen also den menschlichen Gott, d.h. Gott als Menschen und den Menschen, jeden Menschen, ja auch dieses in gewisser Weise, als göttlich. D.h. in säkularer Sprache: Absolut wertvoll. Von daher ist Weihnachten das Fest der universalen Menschenrechte. Selbstverständlich der ideologisch, kapitalistisch usw. NICHT missbrauchten Menschenrechte.

Ein Fest hat wesentlich den Charakter der Unterbrechung.

Wir können ein (Weihnachts-)Fest feiern, wenn wir noch in der Lage sind, ein Fest außerhalb der üblichen Gewohnheiten und Strukturen des Alltags zu gestalten und eben nicht bloß – zwangsweise, traditionsgemäß etc. – zu „begehen“. Feste als Routine werden ohne innere Bewegtheit, ohne spirituelles Berührtsein, ohne „Resonanz“ (Hartmut Rosa) bloß “abgefeiert”. Mit Gästen, die sich langweilen. Diese Feste werden ohne Vorbereitung, ohne Reflexion zuvor, ohne eine(n) „Zeremonienmeister(in)“, ohne eine kleine „Liturgie“, bloß „abgewickelt“. Ein Fest hat viel mit lebendigem Ritus, mit Hinhören und Nahesein, Überraschung, Spontaneität, mit Gemeinschaft ohne dauernde „Bla Bla“-Gespräche, zu tun, also auch mit Ausgelassensein, Tanz, Musik, Ekstase, Reflexion, Dialog und mit gemeinsam ausgehaltenen, erfreulichen Schweigen. Warum wird bei Festen nicht auch einmal gemeinsam geschwiegen? Mir scheint: Die meisten Europäer können keine Feste (mehr) in dieser Weise feiern. Weil der Alltag mit seinen Strukturen von Zeit (-„Managment“), Streß und Frust allbestimmend ist.

Für ein Fest brauchen alle Beteiligten Zeit UND inneres Offensein. Und Zeit haben heute immer weniger Menschen. Aber nur, wenn wir dieses Wichtige (Zeit) im Leben neu gestalten, wenn wir also im Fest aus der einseitig nach vorn laufenden Zeitlinie heraustreten können und wollen, wenn also eine „lange Gegenwart“, als dauernder und gewünschter langer Augenblick entsteht, dann ist ein Fest ein Ereignis des Miteinanders.

Wir können oft Feste nicht mehr feiern, weil wir sie nicht als Unterbrechung, sondern als lediglich als eine uns vorgesetzte, eine aufgesetzte kurze, zeitlich determinierte Pause verstehen. Zum Beispiel: Auch christliche Gottesdienste, die eigentlich immer ein Fest sein sollten, sind heute nur “Pausen”: Bei den Gottesdiensten schauen so viele schon auf die Uhr. Christliche Gottesdienste als gemeinsames Mahl und Miteinander des Sich-Austauschens sind weithin verschwunden. Sie wurden zur Routine. Und haben mäßigen Zuspruch: Wer will schon in seiner freien Zeit auch noch an rituellem Leerlauf teilnehmen? Die Gottesdienste in Taizé selbst z.B. werden wohl von vielen als Fest der Gemeinschaft erlebt, ohne Zeitdruck, ohne Floskeln etc. ein Ort, an dem die petsönliche Poesie, Gebet genannt, gelingen kann. Leider ersetzen diese Taizé-Feierstunden nicht die üblichen langweiligen Messen und Gottesdienste um 10 Uhr morgens…

Aus einer Pause kehrt man nur ein bisschen entspannt und etwas innerlich bewegt wieder in den alten Lebens/Arbeitsrhythmus zurück. Eine Pause ist noch keine Unterbrechung, denn diese zeigt neue Lebensmöglichkeiten. Unsere auf Fortschritt und Wachstum getrimmte Zivilisation versteht Pausen, auch den Kurz-Urlaub, nur als funktionale Formen der Rekreation, um dann in den vorgegebenen Alltags- und Arbeitsprozess „mit bester Gesundheit“ zurückzukehren. Die „Auszeit“ wird heute oft propagiert, sie steht wahrscheinlich aber auch noch im Dienst einer zu stärkenden Arbeitskraft, als Rückkehr ins alte Leben und der Wiederholung der üblichen Rhythmen und Arbeiten.

Ein Fest hingegen lässt sich nicht funktionalisieren! Es ist in sich sinnvoll und zeigt überraschende Wirkungen möglicherweise. Ein Fest dient nicht der Steigerung der Arbeitsfähigkeit. Es dient der Kommuniktionfähigkeit und Lebenslust.

Eine Unterbrechung hingegen ist also eine längere zeitliche Einheit, in der man Abstand nimmt vom üblichen Rhythmus zuvor; die Unterbrechung selbst wird als eine eigene Lebenswirklichkeit erfahren und reflektiert. Eine Unterbrechung kann eine von außen erzwungene Unterbrechung sein, etwa eine Krankheit; sie kann aber auch und dies ist wichtig, ein frei gewählter Abschied, wenigstens für kürzere Zeit, sein, Abschied vom „früheren Leben“ und früherem, für selbstverständlich gehaltenen Denken mit seinen je eigenen Werten.

Die Unterbrechung selbst ist eine eigene Zeit:

Man lässt die alte Alltagswelt hinter sich, man verabschiedet sich förmlich vom Alltag, tritt in einen freien Zeit-Raum, der voller Überraschungen sein kann und neuen Einsichten, und weiß, aus diesem freien Zeitraum, genannt Unterbrechung, tritt man ins Alltags-Leben verändert heraus: Man kehrt ja nach der Unterbrechung wieder ins Alltägliche zurück, aber in ein nun zu veränderndes Alltägliches: Denn du hast dein Leben und Denken (ein bisschen, vielleicht tiefer gehend) verändert mitten in der Unterbrechung. Du erlebst dich anders, denkst auch anders, du hast andere Werte und Ziele.

Weihnachten ist als Fest eine Unterbrechung.

Es ist ein Fest, über das christlich gebildete Menschen wissen: Gott unterbricht sich selbst. Das Fest als Unterbrechung findet sozusagen zu Weihnachten eine Art „göttliche“, absolute Bestätigung.

Die Kirchen haben auch zugelassen, dass Weihnachten wohl weltweit zum Konsumrausch wurde. Und mit Kitsch und Lametta zu einem meist banalen Weihnachtsmarkt-Unternehmen entartete. Weihnachten und Markt gehören ganz eng zusammen. Die Kirchen lassen das zu. Die Kirchen haben keine eigene Weihnachtskultur entwickelt. Sind die überfüllten, oft hektisch „abgesungenen“ Weihnachtsgottesdienste Ausdruck einer Weihnachtskultur? Ich denke: Sie sind es eher nicht.

Ich schlage als Beleg dafür, dass Gott sich selbst unterbricht, um es in einer dem Mythos entlehnten Sprache zu sagen, eine Lektüre eines Textes aus dem Neuen Testament vor. Im Philipperbrief des Apostels Paulus wird gezeigt: Die Metaphysik des herrschenden allmächtigen Gottes in einem fernen Himmel wird überwunden. Es gibt einen Gott, der sich verändert, der auf seine Macht verzichtet.

Nur als Hintergrund angedeutet: Das Neue Testament ist ein Buch voller unterschiedlicher Vorschläge zur Lebensgestaltung. Über die man selbstverständlich sich kritisch verständigen soll. Das Neue Testament ist ein Buch der Lebensweisheit, formuliert von Menschen, die ganz unter dem Eindruck einer ihnen einmalig erscheinenden Person, Jesus von Nazareth, lebten. Und die dieses innere Bewegtsein von dieser Person anderen weitergeben wollten. Dabei haben diese Autoren des Neuen Testaments auch viel Unsinn – in heutiger Sicht – gesagt, etwa zum Thema Frauen in der Kirche oder zur Homosexualität. Nicht alles ist weise im Neuen Testament, aber doch vieles. Wenn man es richtig übersetzt, auch säkular übersetzt.

Und so ist auch der jetzt folgende Text aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus ein Vorschlag zu einem Verständnis der eigenen Existenz und der Welt: Auch ein Bibeltext hat niemals nur eine einmal autoritär festgelegte Sinnrichtung und Interpretationsmöglichkeit. Ein Text schenkt sich dem Leser zu einem je neuen und je eigenen Interpretieren. Weil der Text selbst in seiner Sprache schon eine Pluralität des Verstehens enthält. Der Philosoph Emmanel Lévinas sagt: „Biblische Texte werden gewissermaßen vom Leser fortgeschrieben. Derjenige, der geschrieben hat, hat mehr gesagt, als er selbst denken konnte. Als ob es ein Denken gäbe, das mehr zu denken vermag, als es denkt und sagt“ (In: „Aussichten des Denkens“, S. 43).

Noch einmal zum Philipperbrief, 2.Kapitel: Gott selbst, lehrt Paulus, setzt eine Unterbrechung. Und zwar radikal: Er unterbricht sich selbst. Er will für sich selbst, für sein göttliches Leben möchte man fast sagen, eine Unterbrechung, d.h: Gott selbst will Neues, Welt und Menschen Veränderndes. In dieser Sicht ist die Vorstellung nicht mehr möglich, Gott sei ewig derselbe.

Wem das Wort Gott zu abgenutzt oder zu diffus erscheinen mag: Ich könnte auch sagen: Der grundlegende und alles tragende letztlich gute Sinn zeigt sich je neu; in einer Unterbrechung offenbart sich neuer Sinn…

Ich verwende aber den Begriff Gott, weil er ein Symbol ist für eine Wirklichkeit, die in der Tradition immer wieder verwendet wurde und wird. Wir haben vielleicht kein anderes Wort zur Verfügung?

Der Theologe Paulus dachte anfangs sehr systematisch: Gott im Himmel, der Mensch auf Erden. Dieser Vorstellung des Apostels Paulus folgend schreibt Paulus im Philipperbrief das Provozierende: Der Logos wird Mensch. Das bedeutet nichts anderes: Gott selbst wird ganz menschlich. Dies ist die zentrale These. Wenn man das weltlich interpretieren will: Der grundlegende Sinn zeigt sich neu mitten in der Welt.

Der Theologe Paulus geht davon aus, dass es Gott gibt; dass er „im Himmel“ lebt; dass er als lebendiger Gott „nicht allein im Himmel ist“, sondern einen Logos, eine göttliche Weisheit, bei sich hat. Dies ist die Rede von der Prä-Existenz des göttlichen Logos in himmlischen Sphären. Das Prä, das Zuvor, bezieht sich auf seine dann Existenz eben in Himmelshöhen. Aus der göttlichen Himmelswelt tritt der Logos heraus. Wird Mensch, wird Welt. Dies ist eine Revolution der Gottes-Bilder.

Zum Kapitel 2 des Philipperbriefes des Apostels Paulus: Philippi ist eine Stadt in der Nähe von Kavala in heutigen Nordgriechenland. Diese erste christliche Gemeinde in Europa wurde von Paulus im Jahr 49 gegründet. Der kurze Text im 2. Kapitel enthält zuerst die Aufforderung an die Gemeinde, sich der Existenz-Form, also der Gesinnung Jesu von Nazareth, anzuschließen. Dies ist eine übliche Einladung an die Gemeinde, die Lebensphilosophie des Christlichen zu leben und zu vertiefen.

Noch einmal: Christlicher Glaube ist eine Lebensphilosophie, und diese gibt es nur im Plural. Und als (politische) Praxis.

Der Brief des Theologen Paulus selbst wurde etwa im Jahr 54 geschrieben, also etwa 20 Jahre nach dem Tode Jesu von Nazareth.   (https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/paulinische-briefe/philipper/

In der Übersetzung der Züricher Bibel heißt es: (http://www.neutestamentliches-repetitorium.de/inhalt/philipper/Paragraph8.pdf)

DER TEXT: Vers 5:  Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht:

6 Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein,

7 sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch.

8 Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

JETZT folgt die theologische Aufwertung dieses Lebens im „Abstieg“zu einem weltlichen Leben Gottes:

9 Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist,

10 damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

11 und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Zur Interpretation:

Paulus denkt hier an die göttliche Wirklichkeit im Himmel. Diese göttliche Wirklichkeit wurde schon in der jüdischen Weisheitsliteratur so gedacht, als wäre die Weisheit als göttliche Weisheit schon bei der Schöpfung der Welt durch Gott „dabei“.

Diese göttliche Weisheit bei/in Gott wird in der frühen christlichen Theologie als Person aufgefasst, als Christus-Gestalt. Logos bedeutet auch Vernunft und Gespräch. Wenn der Logos in die Welt kommt, sucht er – als Jesus von Nazareth/Christus – den Dialog.

Und jetzt kommt das Entscheidende: Und das führt uns zu Weihnachten: Dieser Gott als Logos tritt aus dem Himmel des Göttlichen heraus und wird ganz Mensch, eben in der uns bekannten (siehe die Mythen im Matthäus/Lukas Evangelium) Krippe im Stall zu Bethlehem. Der göttliche Logos als göttliche Weisheit wurde Mensch, und dieser Jesus von Nazareth folgte immer seinem Gewissen („hörte auf die Stimme Gottes, den Jesus Vater nannte“) und Jesus endete als Freund der Menschen, der Ausgegrenzten zumal, als radikaler Kritiker der Gesellschaft und des herrschenden Gottesbildes am Kreuz. Jesus wusste um das Risiko seiner theologisch-politische Radikalität und war zum Äußersten bereit. “Ihm liegt daran, eine neue Ordnung, eine neue „Herrschaft“ der Liebe zu verkünden, dieses Projekt ist konträr zur bestehenden Gesellschaft. „Für Jesus hat Menschlichkeit Priorität vor einer akribischen Gesetzeserfüllung“ (Jos Rosenthal, Der Prozess Jesu, 2003 S. 24.)

Und es entsteht dann die Überzeugung der Gemeinde: Dieser außer-gewöhnliche Mensch wurde dann von Gott für sein Leben „ausgezeichnet“: Gott will, so glaubt man, dass dieser Mensch Jesus ein Lebensmittelpunkt für andere sein kann. Es ist ein Vorschlag, den das Neue Testament und Paulus machen: Dieser Jesus kann für die Menschen sogar von absoluter Bedeutung werden, das meint Paulus, wenn er von „Erhöhung“ durch Gott: Vor ihm kann man niederknien, wie sagt man heute: Das ist ja zum Hinknien usw.

Das ist die Grundaussage: Wer Gott sucht, wird auf den Menschen verwiesen, auf die Menschlichkeit, wie sie Jesus von Nazareth lebte. Diese Menschlichkeit ist Liebe. Liebe zum Nächsten. Gott wird also in der Liebe entdeckt.

Dieser Text, der den Verzicht Gottes auf seine Göttlichkeit beschreibt, wird als Erniedrigung als „Kenosis“ heute auch philosophisch bedacht.

Kenosis: Auf dieses griechische Wort aus dem Philispperbrief kommt es an: es meint das Leerwerden. Die Entäußerung. Das Freiwerden. Alles dies auf Gott selbst bezogen.

Der italienische Philosoph Gianni Vattimo definiert Kenosis „als Verzicht Gottes auf die eigene souveräne Transzendenz“, in: „Die Zukunft der Religion“, S. 62). Auch in seinem Buch „Glauben-Philosophieren“ (Reclam, 1997, Seite 56) sagt Vattimo: Die Menschwerdung Gottes, also die kenosis, sei das große Paradox, das einzige Skandalon der christlichen Offenbarung. Vattimo spricht von einer „Aussetzung aller transzendenten, unverständlichen und bizarren Züge des Göttlichen“.

Der Philosoph Vattimo ist der prominente Denker eines Christentums, das als Kenosis lebt, auch einer Kirche, die als Kenosis, als Verzicht, lebt. „Ein kenotisches Christentum ist von der Liebe (caritas) bestimmt, es entsagt allen Gewaltmechanismen, auch denjenigen, die nur theoretisch eine letzte, allgemeinverbindliche Wahrheit verteidigen wollen“ (Bernd Irlenborn, „Nach dem Tod Gottes. Gianni Vattimos Entwurf eines postmodernen Christentums“ (in: Orientierung, Zürich, 2004, S. 258)

Vattimo hat sich dem christlichen Glauben wieder zugewandt, allerdings in der Gestalt der Kenosis, was ihn zum Kritiker der etablierten und dogmatischen Kirche,  des immer noch noch auf Macht und Gewalt bedachten offiziellen Katholizismus machte. Vattimo nennt sein eigenes Denken „schwaches Denken“, „schwach“, weil es nicht mehr der metaphysischen Macht der alten Gottes-Konzepte lebt. (Siehe auch sein Buch: „Jenseits des Christentums“, München 2004.). Die kenotische Kirche akzeptiert die Säkularisierung (die schwache Kirche ohne Macht) als eine Konsequenz des Glaubens, meint (nicht nur) Vattimo.

Für Vattimo ist die Interpretation der Kenosis als der zentralen Erfahrung des Christentums eine Neuentdeckung. So soll es auch sein, denn die Interpretationsgeschichte geht weiter in die Zukunft.

Weihnachten als Kenosis Fest ist von daher nicht rückwärts, in die Vergangenheit gerichtet, sondern nach vorn, zu neuen Erfahrungen…

Dies ist eine Einladung einer spirituellem Lebensphilosophie: Wir sollten, wenn wir denn dem Lebensmodell folgen wollen, leer werden, uns unserer Sicherheiten entäußern. Wenn man so will: Dann werden wir heil, „glücklich“…Landen aber vielleicht wie Jesus von Nazareth am Kreuz, siehe Erzbischof Romero in El Salvador, oder Dietrich Bonhoeffer usw…

Weihnachten ist ein Fest des Leerwerdens. Des Weggebens alter Überzeugungen. Dem Befolgen des Gewissens. Der Verbundenheit mit den Menschen. Gott ist Liebe, sagt die Tradition. Die Lebensphilosophie Jesu von Nazareth, des Logos, folgt dieser Weisheit umfassend. Jesus von Nazareth wird selbst zum Symbol der Liebe. Wir können also sagen: Die Liebe ist göttlich, die Liebe ist in gewisser Weise Gott?

Diese Verse aus dem Philipperbrief wurden oft interpretiert, weil es um die Unterbrechung Gottes geht. Und die Göttlichkeit des Menschen!

Darum noch ein Hinweis auf den Philosophen und Religionskritiker Ludwig Feuerbach. Im Anschluss an die Jesus-Gestalt sagt er: „Gott ist die Liebe. Wer also den Menschen um des Menschen willen liebt, der ist Christ, der ist Christus selbst“ (zit. in Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, 2013, s 172.)

Feuerbach will dem Leben und der Förderung des Lebens als solchem eine religiöse Bedeutung abgewinnen und darin folgt ihm dann Nietzsche: Er hat als heftigster Religionskritiker jedoch die Jesus-Gestalt geschätzt, wenn er sagte: Man muss sich Jesus als »wärmstes Herz« denken, als den »edelsten Menschen«. Seine Botschaft der Ganzheitlichkeit lautet, so in „Der Antichrist“: »Das wahre Leben, das ewige Leben, ist gefunden. Es wird nicht verheißen, es ist da! Es ist in Euch: Als Leben in der Liebe, in der Liebe ohne Abzug und Ausschluss, ohne Distanz.« Diese Erfahrung der innersten Nähe des Göttlichen »hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in tausend Jahren. Es ist eine Erfahrung in einem Herzen, es ist überall da, es ist nirgends da …«

Gott ist Mensch. Und der Mensch, jeder Mensch, ist in gewisser Weise göttlich. Dies ist Weihnachten. Sucht Gott nicht mehr im Himmel!

Säkular verstanden: Der Mensch, jeder Mensch, ist absolut wichtig und voller einmaliger Würde. Die Pflege und Unterstützung des Menschen, jedes Menschen, der Notleidenden zumal, ist absolut wichtig. Unverzichtbarer Mittelpunkt auch aller Politik.

Weihnachten wird so zum Fest der – ideologisch von Kapitalisten usw. nicht missbrauchten – Menschenrechte. Die Aufforderung zu Weihnachten, etwas Geld für „gute Zwecke“, für die Armen usw. zu spenden, ist der hilflose Versuch, den Menschenrechten auch etwas zu entsprechen. Dabei wäre umfassende Information über den Niedergang der Menschenrechte weltweit verbunden mit politischem Engagement die treffende Antwort auf den Geist des Weihnachtsfestes. Der ewige Singsang der Kinderlieder zu Weihnachten ist nett, eine Ablenkung, vielleicht ein kurzer Ausstiegaus der banalen Alltagswelt; aber dieser Singsang ist sicher nicht die einzige Antwort auf den Gott, der Mensch ist.

Man sollte nicht in diesen Kinderliedern auf Dauer hängen bleiben. Und dann, dumm geblieben, Gott als Mann mit Bart sich denken, umgeben von hübschen Putten etc… Auch der christliche Glaube als eine Lebensphilosophie ist intellektuell anspruchsvoll. Hat nichts mit Infantilität zu tun, auch nicht zu Weihnachten. Aber leider bilden sich in der Hinsicht so wenige (Christen) Menschen weiter. Wir bedienen z.B. smartphones wie die Verrückten, wissen alles darüber…Aber wir wissen nichts von Weihnachten, wie es wirklich ist in einer reflektierten Lebensphilosophie. So bleiben viele als Erwachsene infantil, hängen den idyllischen Weihnachtsbildern Bildern der Kindheit an…Und danach geht alles weiter wie bisher. Ohne Unterbrechung. Siehe oben!

Das Spenden-Wesen zu Weihnachten als bescheidene Tat der “Gewissensberuhigung”, aber auch als politische Ablenkung zu kritisieren, ist wohl eine der schwersten, äußerst selten vollzogenen Aufgaben eines kritischen Journalismus.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

LIBYEN: KZ –„ähnliche” Zustände: Die „Hölle“ für Flüchtlinge in Libyens Lagern!

Ein Hinweis von Christian Modehn

Nun sagen es – endlich – auch deutsche Diplomaten in gar nicht so diplomatischen Floskeln: Es gibt (für sie) wieder KZs, jedenfalls Lager mit „KZ-ähnlichen Zuständen“. Sie befinden sich zur Zeit in Libyen, in den Lagern, in denen mehr als 500.000 Flüchtlinge aus Afrika gesammelt und zusammengepfercht werden, denen die Flucht über das Mittelmeer nicht gelungen ist oder die auf ein Entkommen hoffen. Siehe etwa den Focus-Bericht.

Die „Tagesthemen“ haben am 18.11. 2018 diese entsetzlichen Verhältnisse in den neuen KZs in der bei solchen Themen eher üblichen Kürze von 3 Minuten gezeigt, ein Bericht von Daniel Hechler. Einige der dortigen KZ Insassen wollen sogar wieder in ihre Heimat Eritrea zurückkehren, dort sind die politische Verhältnisse, wie einige Europäer ja inzwischen wissen, katastrophal. Aber die Katastrophe dort sei besser als das KZ in Libyen, bzw. korrekt das „KZ ähnliche Lager…“

Schon Wochen zuvor haben die Medien immer wieder über diese von der EU gut bezahlten und letztlich von ihr mit-eingerichteten KZs berichtet, die Überschriften sprachen von „Hölle“, von „entsetzlich“ usw. Man suche selbst bei google unter dem Stichwort “Flüchtlingslager in Libyen“ weitere Informationen.

Es sind mehr als 500.000 Menschen aus Afrika, die in den mindestens 24 Lagern festsitzen bzw. festgehalten werden und unter so erschreckenden Bedingungen herumsitzen auf kleinstem Raum, dass sich TBC und andere Seuchen ungehindert ausbreiten. Ärzte trauen sich in diese stinkenden und verseuchten Räume nicht mehr rein..

„Die Zeit“ berichtete, dass viele dieser geschundenen Menschen als Sklaven weiter verkauft werden.

Eine KZ „ähnliche“ Katastrophe gibt es also wieder, am Rande des so zivilisierten, so wunderbar abendländischen, so stolz christlichen Europa, das sich in seinen Gedenkfeiern ohnehin ständig des humanen Geistes rühmt und ständig „nie wieder“ sagt, dabei aber diese KZ – ähnlichen Zustände hinnimmt oder mit gelegentlichen kleinen Finanzspritzen kurzfristig etwas erträglicher macht.

Dabei wird das große Geld der EU für die Abwehr der Flüchtlinge durch Libyen ausgegeben: 46 Millionen etwa im Juli 2017; das Auswärtige Amt stellte 2017 120 Millionen für die Lager bereit.

„Die libysche Einheitsregierung wird von der Europäischen Union und Deutschland politisch und militärisch unterstützt: Die so genannte libysche Küstenwache wird auch von der Bundeswehr ausgebildet. Damit sollen Flüchtlinge aus Libyen von Europa ferngehalten werden. Eine Rückführung von Flüchtlingen in Länder, in denen ihnen Folter oder Misshandlungen drohen, wäre völkerrechtswidrig. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert die Unterstützung der libyschen Einheitsregierung und deren Sicherheitskräfte durch die EU und Deutschland: “Das ist eine Art Komplizenschaft”, sagt Iverna McGowan. “Menschen werden in die Hände von Akteuren übergeben, von denen wir wissen, dass sie Menschen misshandeln.” (Tagesschau 15.3.2018) https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-milizen-101.html

Wer wagt es die Zusammenarbeit der EU auch Deutschlands mit den libyschen Behörden in die treffenden Worte zu fassen? Wer wagt es, von einem Niedergang der Humanität in Europa zu sprechen, einem Europa, das im ganzen gesehen wirtschaftlich blendend dasteht, aber unter allen Umständen den eigenen Luxus (oftmals durch Geschäftemacherei mit auch mit afrikanischen Diktatoren erworben) verteidigen will? Wer wagt es zu sagen, dass dieses Europa am eigenen Egoismus ersticken wird, weil keine reine Luft zum Atmen unter diesen korrupten Bedingungen mehr möglich ist.

Wer wagt es eigentlich zu sagen, dass dieses sich christlich, humanistisch usw. nennende Europa im Angesicht der KZ-„ähnlichen“ Zustände vor der eigenen Haustür, also in Libyen, eine totale Schande ist. Wann wird mit der „Aufarbeitung“ dieser Schande begonnen?

Wer den Kurzbericht in den Tagesthemen am 18.11. 2018 aufmerksam gesehen hat, wird in der Mitte des Films, am Rande eines überfüllten KZ –ähnlichen Lager-Raum, einen winzigen Hausaltar gesehen haben: Auf einem Stuhl stand ein Heiligenbild: Maria und Josef und das Jesuskind auf der Flucht. Davor die Reste einer Kerze! Dieses Bild ist das Symbol einer letzten (einer transzendenten) Hoffnung dieses Elenden KZ – ähnlichen Bewohners, der vielleicht aus dem christlich geprägten Eritrea oder aus der Elfenbeinküste kommt. Ein Bild, das einen allerletzten Trost, ein letztes spirituelles Geborgenseins trotz allen Hungers und aller Scherzen, ausdrückt. Es ist, von außen betrachtet, das Opium der Krepierenden, weil ihnen die Christen jegliche Humanität verweigern.

Die Kirchen sollten diese erschütternde Film-Einstellung, dieses Heiligenbildchen mit Maria, Josef und dem Christkind im Lager, fotografieren (natürlich alle rechtlichen Fragen vorher klären, dies wird sicher nicht Monate dauern) und allen Gottesdienstbesuchern am Heiligen Abend als Meditationsbild überreichen. Mit entsprechenden politischen Informationen zu Lagerleben dort… Dann schmeckt die edle Schokolade aus der Elfenbeinküste, unter dem so genannten Christbaum verzehrt, gleich noch viel besser…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Als Buchempfehlung: Siehe meine Rezension von „Diktatoren als Türsteher Europas“. Ein schönes Weihnachtsgeschenk.

 

Von Schleiermacher heute lernen. Ein Hinweis von Prof. Wilhelm Gräb

Von Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, November 2018  – anlässlich des 250. Geburtstages von Friedrich Schleiermacher

Veröffentlicht im Interview „Religion gefährlich und unentbehrlich“

Friedrich Schleiermacher wird von Theologen und Kirchenleitungen gern der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt. Es gibt jetzt sogar eine Sonderbriefmarke zu Ehren seines 250.Geburtstages. Als diese im Berliner Dom vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist auch wieder an diesen angeblichen „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ erinnert worden. Doch er wurde dies leider nicht und auch heute müsste sich in unseren Kirchen erst noch enorm viel ändern, bevor Schleiermacher seine Ideen zu einer Kirche, die in die moderne Zeit passt, auch nur einigermaßen verwirklicht sähe.

Gewiss, Schleiermacher ist seiner Zeit selbst auch Kompromisse mit der dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstehenden preußischen Kirche eingegangen. Aber er hat sich doch mit dem König, Friedrich Wilhelm III., aufs heftigste angelegt als dieser im sog. Agendenstreit auch noch über die gottesdienstlichen Ordnungen bestimmen wollte. Schleiermachers Ideal war eine sich von unten, durch die Selbsttätigkeit der Gemeinden aufbauende Kirche, die radikale Trennung von Thron und Altar, Kirche und Staat. Er wollte eine christliche Gemeinde, die ihre Angelegenheiten selbst regelt, weil sie durch die Mitbeteiligung aller an einer Verständigung über die alle gleichermaßen betreffenden Belange des Lebens zusammengehalten wird. Die Religion gehörte für ihn essentiell zum Menschsein, weil ihm das Bewusstsein der Gottesbeziehung zugleich der Grund menschlicher Freiheit war. Den religiösen Glauben verstand er als eine unerschöpfliche Quelle der Lebenskraft, als Grund einer allen Menschen mitgegebenen Befähigung zu Autonomie, zur Selbstbestimmung in den religiösen wie in allen anderen Dingen des Daseins.

In seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), 10 Jahre nach der französischen Revolution, entwickelte Schleiermacher sein bis heute inspirierendes Kirchenideal. Er sprach von der Kirche als einer „vollkommenen Republik“, in der alle wechselseitig aufeinander wirken, Geben und Nehmen allen gleichermaßen eigen, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Eine Kirche, die dennoch nicht nur ein frommer Zirkel ist, sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die „Anschauung des Universums“ betreibt, die Suche nach dem Sinn des Ganzen und unseres eigens Dasein zu ihrer Sache macht.

Es braucht Orte und Gelegenheiten in der Gesellschaft, wo wir uns über die existentiellen Fragen des eigenen Lebens und wie über das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, verständigen können. Dass die Kirche ein solcher Ort in der Gesellschaft sein könnte, das war Schleiermachers Traum. Ich meine seine Impulse sind aktueller denn je!

copyright: Wilhelm Gräb, Berlin.