Alle Menschen sind Masken (?) Über James Ensor

Wenn sich ein Künstler als Christus (ohne Maske!) wahrnimmt.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Wir sehen und betrachten James Ensor, seine Gemälde und Zeichnungen: Der Anlass: Vor 75 Jahren ( am 19. November 1949) ist der belgische Künstler, Autor eines vielfältigen und provozierenden Werkes, in seiner Heimatstadt Ostende gestorben. Geboren wurde er dort am 13. April 1860.
Als Einführung in sein Werk und Erläuterung zu seinem Leben empfehlen wir „Ensor“ von Ulrike Becks-Malorny, Taschen Verlag, 2016.

2.
Oostende, sein Heimatstadt, bietet ENDOR – Ausstellungen in der „Maison de James Ensor“  LINK 
genauso auch weitere bedeutende Ausstellungen in Antwerpen, etwa im „Musée Royal des Beaux -Arts d Anvers“ LINK.
Das Museum in Anvers/Antwerpen verfügt über die wichtigste Sammlung von Ensor Werken weltweit.

3.
Ensor hat furchtbar gelitten unter der Ignoranz seiner Mitbürger gegenüber seiner Kunst. Am schlimmsten war für ihn die heftige Verachtung der Kunstkritiker.
Uns interessieren hier nur einige wichtige Aspekte im Werk Ensors. Ein Eindruck vom Gesamtwerk: „Ensors Vorliebe für die Phantasie wird in eine groteske und beklemmende Bilderwelt übersetzt. Der Künstler jongliert gleichzeitig mit erheiternden und höllischen Schöpfungen, gemäß den Erfahrungen unser sehr verrückten Träume,“ heißt es in einer Publikation des KMSKA Museums in Antwerpen.

4.
Gemälde philosophisch zu verstehen: Darum geht es uns. Voraussetzung ist das geduldige Betrachten der Bilder und Zeichnungen usw., genauso das Fragen nach der zentralen „Botschaft“, die bedeutend sein könnte für das Selbstverständnis der Menschen – auch heute. Philosophische Bildbetrachtungen kommen nicht ohne kunsthistorische Kenntnisse aus: Aber philosophische Deutungen gehen darüber hinaus, sie verstehen Gemälde als Ausdruck von unterschiedlichen Lebenserfahrungen, dabei werden sie provozieren und zu Gesprächen anstoßen. Aber das ist ja der Sinn philosophischer Bild-Betrachtungen.

5. Masken
James Ensor ist der Maler der Masken, der Künstler, der Menschen vorwiegend als Masken darstellt. Und zwar als Massenmenschen, die sich in den verrücktesten Masken verstecken. Menschen, wenn sie als Masse oder als Gruppe auftreten, benötigen Masken. Das berühmte und durchaus als ein „Hauptwerk“ geltende Gemälde „Der Einzug Christi in Brüssel im Jahre 1889“ ist dafür der beste Hinweis. Davon später.
Ensor der Menschen als Masken versteht und darstellt. Diese Option hat auch biographische Gründe: Ensor lebt als Kind und Jugendlicher bei seiner Mutter in Ostende, sie bietet in ihrem Geschäft viele Masken an und kann sie durchaus verkaufen, sie sind begehrt, zumal in Zeiten des berühmten Karnevals, eines herausragenden Ereignisses im Leben der Menschen von Ostende und der weiten Umgebung. „Ensor entwirft in seinen Bildern ein ganzes Universum verschiedener Masken…Dabei wendet er Gestaltungsweisen an, die auch die Karikaturisten benutzen: Übertreibung, Verkürzung, Verzerrung. Bei Ensor schlägt sich dies in einer Vielfalt der abstrusesten Physiognomien nieder…“(Ulrike Becks – Malorny, S. 58). So sehr also die Maskenwelt des Karnevals eine Rolle spielt für Ensors Interesse an Masken: Ihm geht es aber um Grundsätzliches und Aktuelles: Der Mensch ist Maske.
Darum ist nicht die Darstellungsform der vielen bunten Masken – Menschen in ihrer grellen farblichen Gestaltung entscheidend: Philosophisch wird erst die Erkenntnis: Menschen sind für Ensor nichts als Träger von Masken. Der Kunst -Historiker Wieland Schmied schreibt: „Hinter den Masken wird kein Leben gelebt; die Masken selbst sind die Wesen, mit denen es Ensor zu tun hat, niemand verbirgt sich hinter ihnen, hinter den Masken ist kein Gesicht“. (Wieland Schmied: „Zweihundert Jahre phantastische Malerei“, Band 1, DTV 1980, S. 217. ).

6.
Mit seiner Kunst kann Ensor seine persönliche Wut auf die ihm bekannten Maskenträger seiner Heimatstadt Ostende hinausschreien. „Die Masken gefielen mir auch, weil sie das Publikum verletzten, das mich so schlecht aufgenommen hat“, schreibt Ensor Anfang 1895, berichtet Wieland Schmied (s. 219). „Die Masken zeigen das Gefühl, an das Ensor die gefühllosen Menschen erinnern wollte“ (dort S. 221). In einer Publikation des KMSKA in Antwerpen heißt es. „Im Verlauf des 19. Jahrhunderts arbeiten viele Künstler zum Thema Masken, wie Munch oder Nolde. Aber bei ihnen bilden die Masken vor allem ein dekoratives Element oder sie sind ein Mittel, um mysteriöses Weise die Identität einer Person zu verstecken. Bei Ensor hingegen enthüllen die Masken im Gegenteil die tiefe Natur des Menschen. Und genau da geht Ensor neue, eigene Wege“. (Übersetzung: CM).

7. Christus
Ensor hat mehrfach in seinem Werk die Christus – Gestalt dargestellt, was erstaunlich ist, verstand er sich doch eher als Atheist denn als „Christus – Gläubigen“. Dennoch zeigt Ensor eine gewisse Wertschätzung Christi: In seinen Zeichnungen von 1885 tritt Christus immer in Verbindung mit dem dominierenden Licht auf. Von Christus geht strahlende Helligkeit aus, etwa in „Christus stillt den Sturm“ von 1891. Das Licht könnte als die entscheidende religiöse, sozusagen vor- konfessionelle Dimension im Werk Ensors verstanden werden.“ Das Licht gewinnt für Ensor religiöse Dimension. Seine Entdeckung ist für den Künstler eine Art `Erlösungserfahrung`“, schreibt Horst Schwebel in „Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, Freiburg 1893, S. 15-16.

Bekannt und geradezu berühmt ist wie schon erwähnt „Der Einzug Christi in Brüssel im Jahre 1889“, ein gewaltiges Werk, Öl auf Leinwand,: 252 cm mal 430 cm. Christus in der Mitte des Werkes, auf einem Esel reitend und die Menschen segnend, ist umgeben von einer wirklich massenhaften Masse von Menschen, alle sind sie Maskenträger, Christus zeigt seine Identität!Christi Gesicht erinnert stark an Ensor selbst, der sich – wie so häufig – in der Christus – Gestalt, in Christi Leidensweg, aber auch dem späteren Triumph der Auferstehung, wiederfindet und in ihm repräsentiert sieht. Es ist also der Christus – Ensor der da in Brüssel einzieht… Man wird das riesige Gemälde – auch in dem genannten Buch von Ulrike Becks – Malorny – lange Zeit betrachten, dabei auf die Transparente des dargestellten Spektakels („Vive la Sociale“) achten…
Auch in dem Gemälde „Ecce Homo“ von 1891 stellt sich Ensor als leidender Christus dar, umgeben von seinen Widersachern, den Kunstkritikern Fétis und Sulzberger. Aber der anklagende Blick zeigt einen gar nicht bescheidenen „Christus – Ensor“, er weiß, dass er der Siegreiche einst sein wird. Über den „späten Ruhm“ Ensors berichtet Ulrike Becks – Malorny auf S. 85ff.

8. Masken und Philosophen

Von Ensors Masken ausgehend kann man sich weiter die Frage aufwerfen: Wie sind Philosophen mit dem Thema Masken umgegangen? Hier kann nur auf Friedrich Nietzsche und Michel Foucault kurz hingewiesen werden.

8.1. Friedrich Nietzsche
Die Frage war für Nietzsche leitend: Warum verstellen sich Menschen, setzen sich Masken auf, leben also schließlich auch als Maske? Das wurde für Nietzsche wichtig, seit er sich mit dem „Problem des Schauspielers“ befasste. Bei Wagner hatte Nietzsche „den Hang zum Schauspielern“ entdeckt, diesen Hang „kannte er nur allzu gut an sich selbst“ („Nietzsche Handbuch“, 2000, Seite 318, Beitrag von Ingo Christians). Die Figur des Schauspielres ist bei Nietzsche also „negativ aufgeladen“ (ders. S.319). Positiver sieht Nietzsche die Vielgestaltigkeit des Menschen, weil für ihn jeder Mensch „mehrere Personen ist, die jeweils einzelne Qualitäten zusammenfassen und betonen (heute könnte man hierfür den Begriff de sozialen Rolle ins Spiel bringen); Maske ist damit für Nietzsche ein Ausdruck für die Vielgestaltigkeit und Komplexität des Menschen“ (ebd.). Schwierig wird es, wenn man die Erkenntnis ernst nimmt: Ist die Gesellschaft ausschließlich von Masken-Trägern bestimmt, gibt es dann noch „authentisches Leben“ und „authentische Äußerungen“ der einzelnen, also auch authentische und wahre sprachliche Äußerungen. Wenn alle Menschen als Maskenträger verstanden werden, verschwindet dann die Idee der Wahrheit für den einzelnen als Masken – Mensch Sprechenden? Und wie können die vom Masken- Mensch vorgebrachten Wort – Beiträge von anderen angesehen werden, sind sie nur Ausdruck einer bestimmten Wahrheit des Masken – Menschen zu einer bestimmten Zweit mit einer bestimmten Maske? Wie sind gegenteilige Äußerungen von dem selben Maskenträger zu späterer Zeit aber mit anderer Maske, zu verstehen. Man kann den Eindruck haben: Werden Menschen erst einmal prinzipiell als Masken ( – Träger) identifiziert, schwinden für alle gültige Wahrheit – Kriterien. Bei Nietzsche müsste man dann von dessen Definition der Wahrheit als einer „Funktion des Willens zur Macht“ sprechen…(zu Nietzsche siehe auch: Corinna Schubert, „Masken denken – in Masken denken“, Bielefeld, 2020).

8.2. Michel Foucault
Das Wort Maske spielt im Werk Michel Foucaults eine große Rolle. In seinem Buch „Dits et écrits I“, Gallimard S. 448 antwortet Foucault auf die Frage, was er als Philosoph als Einsicht der Psychologie wichtig fände: „Die erste Vorsichtsmaßregel (als Dozent) wäre, dass ich mir eine sehr perfekte Maske kaufen würde, die sehr weit entfernt ist von meiner normalen Physiognomie. So dass mich meine Schüler nicht erkennen. Ich würde versuchen, wie Antony Perkins in dem Film „Psychose“, auch eine ganz andere Stimme anzuwenden…“ Dabei hat Foucault das Ziel: Er will als Autor ganz hinter seinem Werk zurücktreten. Der Autor ist nicht wichtig, er trägt eine Maske, um nicht identifiziert zu werden. Das Werk zählt nicht der Autor. Kein Foucault Klischee, keine „begriffliche Einordnung“ seiner Arbeit soll als vereinzeltes Urteil gelten. Foucault will sich nicht „identifizieren“ (lassen) und verbirgt sich, versteckt sich, mit Masken. Er will kein (klassischer) Philosoph(ie-Professor) sein, aber ein philosophisch um die Wahrheit kämpfender vielseitiger Denker, also anders als die anderen und nicht zu identifizieren mit einigen Schlagworten…
(Siehe den Aufsatz „Le philosophe masqué“ von Jean Zoungrana, Philosophe, in “Le Portique“, 7/2001).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

Dantes Poesie: Hilfreich, heilsam, erlösend.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 6.10.2024 aus Anlass des neuen Buches von Fabio Stassi!

Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse 2024: Etwas Neues über Dante!

1.
Dantes Poesie hat heilende Kraft, betont der Schriftsteller Fabio Stassi: Dante Alighieri (geb. 1265 in Florenz – gestorben 1321 in Ravenna) als inspirierenden, hilfreichen Dichter – Therapeuten entdecken: ein anspruchsvolles Unternehmen. Fabio Stassi, Autor zahlreicher Romane wie „Die Seele aller Zufälle“, arbeitet auch als Bibliothekar an der römischen Staats – Universität La Sapienza.

2.
Dante war ein mittelalterlicher, ein frommer, ein theologisch gebildeter, immer Papst-kritischer Mensch. Die Lektüre seiner Werke zeigt ihn als einen Dichter von HEUTE, meint Stassi, nicht nur, weil seine Texte körperliche wie seelische Leiden heilen bzw. wenigstens lindern, aber auch weil sie die zerrütteten politischen Verhältnisse freilegen. „Die Göttliche Komödie“ Dantes ist „ein Schrei nach radikaler Reform“, schreibt auch der Philosoph Kurt Flasch (Fußnote 1). Ergänzend zu Stassi sollte man wohl auch meinen: Dantes „Göttliche Komödie“ hält die Sehnsucht nach dem Himmel, dem Paradies Gottes – trotz oder wegen der Hölle – offen. Das war Dantes religiöse Überzeugung, ob man sie heute als „bloß mittelalterlich“ bewerten sollte und bewerten darf, ist die Frage.

3.
Zur Frankfurter Buchmesse 2024 mit dem Gastland Italien wird also eine herausfordernde These publiziert: „Wer sich auf die Poesie Dantes einlässt, wird ein neuer Mensch.“ Die „heilbringende Poesie“, so Fabio Stassi, kann die Vorstellung von religiöser Erlösung fördern! Stassis Bibliotherapie hat nun also höchste Ansprüche. Die noch etwas etwas bescheidenere Bibliotherapie, der Roman „Die Seele aller Zufälle“,  ist 2018 in Italien erschienen. Zur Bibliotherapie: LINK.

4.
Fabio Stassis leider etwas zu kurzer neuer, sehr persönlicher Essay erscheint auf Deutsch unter dem Titel: „Ich, ja ich werd` Sorge tragen für dich“, erschienen in der Edition Converso, Karlsruhe. LINK. Übersetzt man den italienischen Titel dann heißt das Buch: „Und ein schöner Vers heilt mich von allem Übel.“
Den Essay hat Stassi anläßlich eines Dante – Festival 2021 in Rom (auf dem Gelände der Basilica di Massenzio) verfasst.

5.
Dante selbst kennt seelische Qualen (den Verlust von Beatrice, seiner hoch verehrten Freundin) und er weiß aus eigener Erfahrung, was körperliche Leiden (Herzkrankheiten) an Unlust am Leben erzeugen. Aber Dante hat die Kraft, in seiner Poesie über das eigene Leiden hinauszuschauen, hinaus zu leben, möchte man sagen und die LeserInnen gerade deswegen zu trösten.

6.
Stassi bezieht sich in seinem Essay auf die Hauptwerke Dantes. Berühmt ist sein großes und großartiges Werk „Divina Comedia“ (1319), auf Deutsch „Göttliche Komödie“. Es liegen in deutscher Sprache fünfzig Übersetzungen des ganzen Werkes und siebenundzwanzig Teilübersetzungen vor. Das philosophische und politische Hauptwerk Dante „Über die Monarchie“ (1313) wird leider von Stasi nicht berücksichtigt.

7.
In der „Divina Comedia“ beschreibt Dante seinen eigenen Weg zum Paradies, er führt durch die Hölle und „Vorhölle“. Die Schilderung der Qualen der von Gott Bestraften und Verurteilten ist außergewöhnlich heftig und für die Leser anstrengend, schockierend: Aber Dante empfindet Mitleid für die Verdammten, betont Stassi (S. 17). Die Begegnung mit den Höllen Bewohnern soll wohl bei den LeserInnen eine heilsame Warnung haben, etwa: „Folgt nicht dem Lebensmodell der Übeltäter.“ Ob diese Warnung vor der Hölle auch heute noch wirksam ist, sei dahingestellt. Mit dem Glauben an einen Gott als den Weltenherrscher ist auch der Glaube an einen Gott als gerechten Richter aller Menschen verloren gegangen. Man hat den Eindruck: Verbrecher selbst aus so genannten christlichen Kulturen Europas (Putin nennt sich orthodoxer Christ, Hitler blieb sein ganzes Leben Mitglied der katholischen Kirche, General Franco war erz-katholisch usw.) haben offenbar überhaupt keine Angst vor einem ewigen Aufenthalt in der Hölle. Sonst würden sie sich anders verhalten. Dies nur das Rande, sozusagen als Fortführung der Gedanken Fabio Stassis.

8.
Dantes Poesie hat selbst in höchster Not, unter heftigster Lebensbedrohung, geradezu eine spirituelle Kraft. Stassi erinnert, dass der Schriftsteller Primo Levi im KZ Auschwitz einige Verse Dantes präsent hat und dadurch einen Mitgefangenen Italienisch lehrt…Stassi erinnert auch an den großen russischen Dante – Kenner Ossip Mandelstamm, er hatte noch in den Todes – Lagern Stalins einige Verse Dantes als eine Art letzten Trost im Gedächtnis.

9.
Dantes Poesie und Dichtung kann, wie er selbst in einem Brief schreibt, „die Lebendigen in diesem Leben (durch die Poesie) aus dem Zustand des Elends herausführen und zum Glück leiten“ (vgl. S. 79). Stassis Therapie durch Poesie hat politische Konsequenzen. Er nennt die Schmerzen seines Landes, „das seit Jahrhunderten unter den immer gleichen Übeln leidet: Jeder Aspekt des Nationalcharakters wird von Dante untersucht, Servilismus, Schmeichelei, Neigung zu Trägheit, Hochmut, abgründige Obsession der Fleischeslust“ (S. 60). Und Dante sagt im Blick auf seine Landsleute: „Die blinde Habgier hat euch ganz verhext! Ihr seid ja wie das Nuckelkind, das verhungert, aber die Amme wegstößt ( Paradies XXX, 139, zit. S 61 bei Stassi).

1o.
Sehr verständlich, wenn Stassi seinen Essay in einer gewissen Trauer und Melancholie beschließt: „Wenn die Dichter und die Schriftsteller und die anderen Bannerträger der Vernunft die Stimme verlieren, sind es die Diktatoren, die sie wiederfinden.“ (S 77)

11.
Mit Interesse werden die LeserInnen auch das Nachwort des Schweizers Autors und hervorragenden Dante – Spezialisten Ralph Dutli lesen (S. 107 ff.): “Die tiefste Hölle ist bekanntlich bei Dante kein übereifriges Heizungsunternehmen, sondern eine gigantische Kühltruhe.“ (S. 113). Vor allem Dutlis Hinweis auf den russischen Dante-Kenner Ossip Mandelstam ist wichtig: „In sein eigenes, anti-stalinistische Pamphlet, die `Vierte Prosa` von 1929/30, führte Mandelstamm gleichsam als Signal ein Dante Zitat ein, den Anfangsvers von Dantes Inferno – `Mitten auf unserer Lebensreise` – und Mandelstam bezeichnete damit seinen Eintritt in die Hölle der dreißiger Jahre unter Stalin… und die Beschwörung des Kannibalismus (bei Dante) ist bei Mandelstam eine Anspielung auf die ihre Kinder essenden Bauern während der von Stalin angeordneten Hungerkatastrophe des Holodomor (`Tötung durch Hunger`) 1931-1933 in der Ukraine“ (S. 120f.).

12.
Ich wünschte mir, dass Stassi bald erklärt, wie denn die Beziehungen der von ihm hoch gelobten hilfreichen Poesie zu den bekanntermaßen auch hilfreichen Weisheits – Sprüchen der griechischen Philosophie (Stoa, Epikur, Neoplatonismus) sind oder die Beziehungen zu den Weisheitssprüchen des Alten Testaments, dort etwa das Buch „Jesus Sirach“. Stassi lässt sich von seiner Überzeugung leiten: „Allein die Poesie, das sei nochmals betont, kann mehr als die Philosophie, mehr als die Religion und jedwede andere Disziplin den Menschen zur Heilung, zur Glückseligkeit und so letztendlich zur Gesundheit führen“ (S. 42). Zweifellos eine sehr steile These, wobei da noch zu fragen wäre, ob Glückseligkeit (“letztendlich”, nur?) Gesundheit ist.

13.
Ich suche in dem zweifellos kurzen Essay auch Hinweise auf die heftigste und allzu berechtigte Papstkritik, die Dante in den Kapiteln über die Hölle in der „Göttlichen Komödie“ äußert (und auch in dem schon erwähnten Buch „Über die Monarchie“). Man denke also an Dantes Verurteilung der in jeder Hinsicht unwürdigen und korrupten Päpste zu seiner Lebenszeit, also an Bonifaz VIII., Clemens V. oder Johannes XXII.

14.
Und weiter, um die Bibliotherapie Stassis im Sinne Dante weiter zu konkretisieren: Wäre es nicht auch eine Art Therapie, wenn Katholiken angesichts der vielen verbrecherischen Päpste aus der katholischen Kirche austreten und einfach sagen: Es reicht mir! Gibt es also einen heilsamen, befreienden Kirchenaustritt aufgrund von Dante Lektüren  auch heute?

15.
Irritierend bleibt, dass die Päpste des 20. Jahrhunderts bis hin zu Papst Franziskus voller Lob und beinahe überschwänglich auf Dante (den Papst – Feind) und sein Werk hinweisen. Papst Franziskus urteilt in seinem ausführlichen Dante – Text vom 25.3.2021 sehr milde und objektiv wohl auch falsch, wenn er schreibt: „Dante würde in einigen (sic) Bereichen der Kirche Verfallserscheinungen anprangern…“ Dabei war Dante DER mittelalterliche Kirchen – und Papstkritiker überhaupt! Und dies, obwohl – oder weil – alle seine Sehnsucht dem Himmel galt, dem Glanz des Ewigen, des Lichtes, dem Paradies, …vielleicht auch bloß der umfassend humanen Weltordnung? Siehe Fußnote 3: Papst Paul VI. über Dante!)

Fußnote 1:
Kurt Flasch, Kampfplätze der Philosophie“, Frankfurt M.-2008, S 184).

Fußnote 2:
Papst Franziskus über Dante zum 700. Todestag 202P: LINK. https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_letters/documents/papa-francesco-lettera-ap_20210325_centenario-dante.html

Fußnote 3:
Papst Paul VI. sagte über Dante manchmal in erstaunlicher Nähe zu Fabio Stassis These: »Die Göttliche Komödie ist von ihrer Zielsetzung her in erster Linie praktisch und transformativ. Sie will nicht bloß poetisch schön und moralisch gut sein, sondern sie möchte den Menschen radikal verändern und ihn von der Unordnung zur Weisheit, von der Sünde zur Heiligkeit, vom Elend zum Glück, von der furchterregenden Vision der Hölle zur selig machenden Schau des Paradieses geleiten«. (Papst Paul VI. In seinem Apostolischen Schreiben „altisssimi cantus“, 1966.)
………………
ZUM BUCH: Fabio Stassi,“ Ich, ja ich werd‘ Sorge tragen für dich. Kurze Abhandlung über Dante, die Dichtung und den Schmerz“ .
Aus dem Italienischen von Monika Lustig. Mit einem Nachwort von Ralph Dutli. 128 Seiten.
Verlag: Edition CONVERSO, Karlsruhe. 22,00 €

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

Der schöne Schein von katholischer Modernität und die dunkle Realität heute.

Was man über die Entwicklungen im Katholizismus jetzt wissen sollte. Einige Fakten.
Hinweise von Christian Modehn.

1. “Klerikalismus ist Sünde” sagt der Papst.
Papst Franziskus ist wahrscheinlich der erste Papst, der den Klerikalismus aufs heftigste öffentlich kritisiert und explizit verurteilt. Der Papst ist als oberster Kleriker („heiliger Vater“) über die Verhaltensweisen und Ideologien der heute lebenden Kleriker, also der Priester in der römisch-katholischen Kirche, total empört. In seiner wohl Biographie zu nennenden Veröffentlichung mit den Titel „Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“ (2024, ein in mehreren Sprachen herausgegebenes Buch, auf Deutsch bei HarperCollins) sagt Papst Franziskus: „Klerikalismus ist eine wahre Krankheit, eine Pest, Klerikalismus ist Sünde, eine Perversion, Klerikalismus habe die Macht, die Kirche zu zerstören usw…“ (die Belege auf den Seiten 256-257). Und dann auch dieses: „Klerikalismus ist das Gegenteil von Synodalität“, so auf Seite 257. Und der Leser denkt Ende September 2024 daran, dass ab 2. Oktober 2024 wieder die Weltsynode in Rom tagen wird: Und alle wissen schon jetzt: Synode im eigentlichen Sinne ist diese Veranstaltung nicht: Die Kleriker sind die große Mehrheit der Teilnehmer; Mehrheits-Entscheidungen der Synodalen haben keine Bedeutung, alle Entscheidungen der Synodalen müssen vom Papst gutheißen oder verworfen werden. Und der Anteil der Frauen unter den Synodalen ist sehr gering. Dabei sind mindestens eine halbe Milliarde der Katholiken weltweit Frauen! 45 Frauen unter den 368 Synodalen sind stimmberechtigt., berichtet katholisch.de am 1.10.2024. Anne Soupa, eine französische Historikerin und Theologin über die uralte Angst des Klerus vor den Frauen, diese Angst gilt auch für den Papst und seine Synode: LINK  Das Thema Diakonat für Frauen hat der Kleriker, Papst Franziskus, ausgeschlossen. Und die Presse ist bei den Synoden-Debatten nicht zugelassen. Von umfassender Demokratie ist auf der Weltsynode keine Spur. Der Klerikalismus, verstanden auch als päpstliche Allmacht, besteht also auch wie vor weiter. Was sollen dann aber diese Verbal – Attacke des Papstes gegen den Klerikalismus? Nur eine von anderen, schnell daher gesagten emotionalen päpstlichen Ausrutschern oder Launen? Wahrscheinlich ist das so.

2. Keine Analyse des “perversen Klerikalismus”.
Man beachte: Die Verurteilung des Klerikalismus, als, so wörtlich, Perversion, als Sünde, als Zerstörung der Kirche, als Pest usw. wird vom Papst nur kurz als Empörung ausgesprochen, sie wird von ihm nicht tiefer analysiert, geschweige denn überhaupt präzise definiert. Man könnte also den Eindruck haben: Der Papst äußert seine Klerikalismus – Empörung, um noch etwas Beifall in katholischen – progressiven Kreisen zu erhalten: Diese Gruppen sind ja bekanntlich mit sehr gutem Grund antiklerikal. Und diese sollen sich nun über einen verbal antiklerikalen Papst freuen…
Nebenbei: Es ist durchaus zum Schmunzeln, dass die Klerikalismus – Attacken des Papstes in einer Epoche stattfinden, in der die aus Europa selbst stammenden Kleriker de facto, also für alle nachweisbar, zu einer aussterbenden Berufs – Gruppe gehören. Der viel besprochene „enorme Priestermangel“ (und die Vergreisung des Klerus) in Europa kann nur noch durch den Import von vielen tausend Klerikern aus Afrika, Indien, den Philippinen, aus Polen auch noch vorläufig noch etwas ausgeglichen werden. Aber der Klerikalismus besteht auch mit wenigen Priestern fort.

3.
Schon im Jahr 2014 hatte Papst Franziskus in seiner Ansprache vor den Kardinälen den Klerikalismus aufs heftigste kritisiert und die in päpstlicher Sicht irregeleiteten Kardinäle und Bischöfe am päpstlichen Hof eigentlich verurteilt….LINK

4.
Aber entscheidend ist: Die heftigste Zurückweisung des Klerikalismus durch den Papst hat für ihn selbst und seine Theologie kaum praktische Konsequenzen. Der Papst könnte bei der Allmacht seines Amtes das unsägliche Zölibatsgesetz für Kleriker sofort abschaffen. Das wäre kirchenrechtlich möglich. Der Papst ahnt doch hoffentlich: Das Zölibatsgesetz, die Verpflichtung der Priester, sich ohne erotische – sexuelle Liebesbeziehung irgendwie „keusch“, vielleicht a- sexuell, vielleicht zunehmend homosexuell, durchs klerikale Leben zu schlagen, ist fraglos ein Grund fürs Entstehen des krankhaften, vom Papst pervers genannten Klerikalismus. Und der Klerikalismus zeigt sich in der Öffentlichkeit als neurotische Herrschaft, als Allmachtsgefühl, als Überzeugung von heiliger Auserwähltheit, als neurotischer Zwang, eigene, auffallende Priestergewänder (Talare etc.) in der Öffentlichkeit zu tragen… Man lese das Buch von Eugen Drewermann „Kleriker“ erneut!

5. Papst Franziskus hält gegen alle theologische Erkenntnis am Zölibat fest.
Selbstverständlich gibt es in dieser verrückt gewordenen Welt voller Rassismus und Rechtsextremismus und Ignoranz der Klimakatastrophe etc. philosophische dringendere Themen. Aber Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie also Religionskritik muss sich um dieses Thema kümmern. Einen kritischen Journalismus, also einen, der sich mit Kirchenfragen als Investigativer Journalismus befasst, gibt es bekanntlich nicht. Wir erinnern also an dieses Thema, weil der Papst aus seinem offenbar innersten Zorn auf den Klerikalismus heute keine wirksamen, praktischen Konsequenzen zieht.
2014 sagte er noch auf einer Pressekonferenz, „weil der Zölibat kein Dogma ist, ist die Tür (zur Aufhebung des Zölibates ) Immer offen“. Aber schon 2019 lehnte der Papst dann die Forderung der so genannten „Amazons – Synode“ im Vatikan ab, verheiratete Männer als Priester wenigstens für den Amazonas- Bereich zuzulassen. Und 2023 sagte er dem argentinischen Publikation „Perfil“: „Ich bin noch nicht bereit, das Zölibatsgesetz zu überprüfen“. In einem Brief an französische Seminaristen vom 1. 12. 2023 zeigte Papst Franziskus auch noch seine Bindung an eine fundamentalistische Bibelauslegung, als er behauptete: „Der Priester ist zölibatär, weil Jesus es war, ganz einfach.“ LINK
Und auch auf der Weltsynode, die am 2.Oktober 2024 in Rom beginnen wird, hat der Papst, nach wie vor allmächtig, das Zölibatsgesetz NICHT als Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Und die synodalen Schäfchen folgen brav der päpstlichen Verfügung…

6. Nur Kleriker leiten die Kirche.
Papst Franziskus setzt also (trotz der vielen tausend Missbrauchs-Verbrechen durch den Klerus) das von ihm so verhasste klerikale System in aller Form fort, zum Schaden der ganzen Kirche und … auch der Gesellschaft: Denn neurotische Priester, möglicherweise pädosexuelle Täter, sind nun einmal keine guten Seelsorger… in schwierigen Zeiten zumal.
Sicherlich, es gibt einige päpstliche kosmetische Reförmchen: Zum Beispiel: Einige Frauen arbeiten jetzt in päpstlichen Behörden, einige Frauen arbeiten sozusagen als Notlösung in bischöflichen Bürokratien, Ordinariate genannt; einige wenige Frauen sind TeilnehmerInnen der Weltsynode im Oktober 2024. Im ganzen aber bleibt es dabei: Papst Franziskus unternimmt nichts Grundlegendes gegen die Macht des Klerus, die Leitung der Kirche bleibt absolut Kleriker-, also Männer Sache.

7. Katholische Kirche ist stolz, nicht demokratisch zu sein.
Und die katholische Kirchenführung betont jetzt erneut, wie stolz sie ist, keine Demokratie zu sein, keine demokratische Strukturen etc. zu haben und bei dem Ausschluss der Frauen vom Priester auch die universal geltenden Menschenrechte zu missachten. … Und all das sagt die Kirchenführung ungeniert, zu einer Zeit, in der in den wenigen noch verbliebenen Demokratien dann die Demokratie von Rechtsextremen abgeschafft werden wird.
Noch einmal: Die katholische Kirche tut so, als würde sie mit diesen Synoden einen modernen und demokratischen Anschein wecken. Die Realität ist anders: Papst Franziskus negierte in seinem Buch „Leben“ (Verlag HarperCollins 2024, Seite 64) jegliche Hoffnung auf eine demokratisch – katholische Kirche: „Die Kirche ist doch, wie ich häufig genug sage, kein Parlament!“

8. Fundamentalistische Theologie des Papstes
Aber der angeklagte, aber auch wie bestehende Klerikalismus zeigt seine Macht auch in seinen Weisungen zur spirituellen Praxis der Glaubenden, der Laien und der „einfachen Priester“. Und dieser Einfluß klerikaler Theologie, also meist fundamentalistischer Theologie. Siehe dazu die Bibelauslegung des Papstes, siehe dazu u.a jetzt wieder das Insistieren auf die absolute biologische Fixierung auf die zwei von Gott angeblich auf immer fest gelegten Geschlechter, so der Papst am 28.9. 2024 in Löwen, Belgien. Und von dieser fundamentalistischen Rede des Papstes hat sich die katholische Universität Löwen, Belgien, distanziert! LINK
Es geht also um die Vorherrschaft klerikaler Theologie und klerikaler Spiritualität heute. Der Papst unternimmt nichts, um abergläubische Praktiken der Frömmigkeit und Spiritualität zu unterbinden. Im Gegenteil, er unterstützt diese Formen abergläubischer Spiritualität sogar noch.
Zur theologischen Erinnerung: Religiöse Praktiken können nicht nur nach inner-religiösen oder inner-theologischen Kriterien beurteilt werden, sondern vor allem nach universell allgemeinen Grundsätzen der Vernunft. Diese selbstkritische Vernunft hat ihren Ausdruck in den universell gelten Menschenrechten. Deswegen ist die Kategorie „Aberglaube“ im religiösen Bereich auch in der katholischen Kirche berechtigt und notwendig. Das heißt: Ein vernünftiger Mensch kann nicht zulassen, dass die Religionen und Kirchen und Päpste etc. heute ausschließlich selbst definieren, was Religion, Glaube, Spiritualität ist.

9. Ablass wird propagiert: Von Martin Luther nichts gelernt.
Alte, theologisch längst obsolete Praktiken werden wieder propagiert: Das Jahr 2025 wird in der katholischen Kirche als „Heiliges Jahr“ gefeiert. Und das bedeutet: Etwa 25 Millionen Pilger werden in Rom erwartet. Sie werden zweifellos die leeren Kassen des Vatikans füllen: Denn der „heilige Stuhl“ hat ein Haushaltsdefizit von ca.80 Millionen Euro, wie der Papst vor dem Kardinalskollegium betonte, so wurde am am 20.9. 2024 berichtet.

Auch der Ablass wird wieder im heiligen Jahr besonders gewährt! Der Ablass ist keineswegs in den „Verließen“ des Vatikans verschwunden nach Luthers Kritik, nein, er wird nach wie vor offiziell propagiert. LINK.

10. An den Teufel glauben!
Der Glaube an den Teufel wird nach wie vor offiziell vom Papst gefördert und unterstützt: Am 25.9.2024 belehrte Papst Franziskus in seiner wöchentlichen Generalaudienz: „Der Teufel existiert, er verführt die Menschen dazu, seine Existenz abzulehnen.“
Der Exorzismus als katholischer Ritus, Menschen aus der Macht des Teufels zu befreien, wird nach wie vor von Priestern praktiziert, auch wenn die Kirchenführung jetzt, so der Papst in seiner Ansprache am 25.9.2024, etwas vorsichtiger vorgehe bei der rituellen Vertreibung des Teufels…
Auch dies: Exorzismus – Kurse finden an der Universität „Regina Apostolorum“ in Rom (unter der Leitung des höchst umstrittenen katholischen Ordens „Legionäre Christi) seit vielen Jahren regelmäßig statt. „Nach Schätzungen von Geistlichen sind allein in Italien rund 400 Exorzisten tätig.“ LINK
Wer etwa die Websites französischer Bistümer studiert, findet immer wieder den Hinweis auf die zuständigen Exorzisten. Etwa für das Erzbistum Paris LINK https://dioceseparis.fr/service-de-l-exorcisme.html. Oder ein Beitrag aus „Le Monde“ 2021: LINK

11. Die Kleriker sind absolut wichtig, weil nur sie die Messe zelebrieren dürfen!
Die absolute Vorrangstellung des Klerus in der Katholischen Kirche wird nach wie vor auch in der Spiritualität und der Glaubenslehre zementiert. Die Priester stehen an erster Stelle, weil nur sie die heilige Messe zelebrieren dürfen. Diese Messe wird als das absolut Höchste innerhalb der katholischen Spiritualität propagiert. Ohne Priester keine Messe, ohne Messe keine wahre Spiritualität. Wenn Priester fehlen, müssen „halt eben“ die überflüssigen Kirchengebäude geschlossen und verkauft werden. Das ist jetzt Praxis in Europa. Natürlich verlassen sehr viele Millionen nachdenkliche Menschen in Europa diese Kirche, so dass auch deswegen die Gebäude überflüssig werden…
Die ursprüngliche, biblische Mahlfeier der Gemeinde als Gedenken an Jesus von Nazareth wurde durch den Klerus zu einer kultischen Opferhandlung (zur Messe) umgewidmet, dieser kultischen Opferhandlung kann nur der geweihte Priester (ein Mann natürlich) vorstehen. (Vgl. den Beitrag des Theologen Helmut Jaschke „Das Eucharistieverständnis der katholischen Kirche ist überholt“ in Publik-Forum 17/2024, Seite 38.)

12. “Ich betete zur Mutter Gottes”.
Der Marien – Kult ist in der heutigen katholischen Kirche, Stand September 2024, kaum zu bremsen:
Papst Franziskus ist intensivster Verehrer der Jungfrau Maria. Seit jungen Jahren verehrt er besonders die wundertätige Jungfrau Maria mit dem Titel „Maria Knotenlöserin“: Der Papst sagt: „Ich hab mich Maria ganz hingegeben und gespürt, wie sie mir geholfen hat, alle meine Knoten zu lösen. ….Die Hingabe an die Mutter Gottes muss klar, schön, rein und schlicht sein, Maria und ihr Sohn (in dieser Reihenfolge, sic CM) müssen immer an erster Stelle stehen“, so in dem Buch des Papstes mit dem Titel „Leben“, Verlag HarperCollins. Seite 123. Dort war er auch sehr ehrlich: „Ich betete zur Mutter Gottes“ (Seite 73).

13. Maria erscheint auf Erden
Die überschwängliche Verehrung Mariens im Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien wird jetzt vom Papst anerkannt, selbst wenn er es verbietet, die monatlichen Äußerungen der dort aus dem Himmel hereinschwebenden Maria als Offenbarungen zu deuten. Quelle. Die Übernatürlichkeit, also Echtheit der Erscheinungen Marias auf bosnischem Boden, wird also vom Papst nicht bestätigt, so weit ist man theologisch schon gekommen. Um die vielen tausend Medjugorje – Pilger nicht zu brüskieren, drückt der Papst dann doch ein insgesamt positives Urteil über den Wallfahrtsort und die Botschaften Mariens dort aus: Insgesamt sei dieser Ort der Auftritte Mariens in Medjugorje „ein Schatz“ für die Frommen, den es zu pflegen gilt.
LINK
Die website katholisch.de nennt weitere Orte der Erscheinungen Mariens und angeblicher Wunder. „Zu nennen sind Trevignano bei Rom, Brescia und Como in der Lombardei, Kalabrien im Südwesten Italiens, gefolgt vom spanischen Wallfahrtsort Chandavila.“ LINK

14. Blutwunder als Spiritualität moderner Menschen.
Neben der höchst lebendigen Marien-Verehrung ist der so genannte mysteriöse, nicht mystische (!) Volksglaube vor allem in Italien, Spanien, Portugal, Lateinamerika sehr lebendig. Diese Frommen wollen das Göttliche oder ihren Gott und ihre Heiligen wirklich greifen, sehen, spüren, riechen…Bekannt ist die Vorliebe der Neapolitaner für das Blutwunder des heiligen Januarius (San Gennaro). Das Blut befindet sich in einer Ampulle, es darf sich aber erst verflüssigen nach einem zu Ehren des Heiligen gefeierten Messe. Aber im September 2024 war das Blut bereits vor der Messe verflüssigt, und das gilt als ein böses Omen. Aber der kompetente Blutwunder – Spezialist, der Erzbischof, beruhigte die nervösen und furchtsamen Frommen. Der katholische Aberglaube erzeugt Angst: Denn das Ausbleiben des Blutwunders wird in Verbindung gebracht mit den (bevorstehenden ?) vulkanischen Aktivitäten in der Nähe Neapels…

15.  Ein heilihger Scharlatan
Offiziell propagiert und fördert nach wie vor der Klerus auch eine exzessive Heiligen – und Reliquien- Verehrung. Über den Kapuziner-Pater Pio, den Scharlatan mit den Wundmalen Jesu an den Händen, wurde oft berichtet: Er ruht in einem Glassarg in San Giovanni Rotondo. Papst Franziskus holte die Kapuziner – Mumie in seinem Glassarg sogar in den Petersdom nach Rom. LINK

16. Das heilige Herz  auf Reisen.
Nicht weniger interessant ist die aktuelle Verehrung des jungen Heiligen Carlo Acutis (1991-2006), dessen Leiche im offenen Sarkophag in Assisi ausgestellt wird. Dem toten Körper hat man allerdings das jugendliche Herz entnommen (nicht für mögliche Transplantation), sondern: Die Kirche schickte dieses heilige konservierte Herz im Jahr 2024 auf Pilgerfahrt quer durch Europa. Selbst Katholiken fanden diese Rundreise eines Herzens geschmacklos. Um das Herz des jungen Toten wurde das Bekenntnis Carlo Acutis angebracht: „Die Eucharistie ist meine Autobahn zum Himmel“.

Nachtrag am 26.10.2024: Ende Oktober 2024 hat Papst Franziskus erneut eine Enzyklika veröffentlicht, ausgerechnet, um die Verehrung des Herzens Jesu zu fördern! Veröffentlicht zu einem Moment, als im Vatikan dreihundert Katholiken aus aller Welr, vor allem Kleriker, über die “Synodalität” der katholischen Kirche, also deren schwacher, möglicher Modernität und Demokratie, debattieren. Gibt es für Papst Franziskus wirklich kein dringenderes Thema für die bedrohte Menschheit von heute? Offenbar nicht.

Das Herz Jesu ist Gegenstand einer Frömmigkeit, die seit dem 19. Jahrhundert vor allem entleiblicht ist und nur das Herz Jesu bedenkt und pflegt, wenn nicht beweint, und gerade nicht umfassend dessen ganzes irdisches schwieriges, aber befreiendes Leben betrachtet. Es sind die  neuen geistlichen Gemeinschaften, wie die sehr konservative Bewegung “Emmanuel” in Paray-Le-Monial, die heute den Herz – Jesu – Kult fördern … für eine kleine Gruppe sehr frommer, sehr antimoderner Katholiken. Aber denen entspricht die Enzyklika.

17. Psychiater vermeiden im Apostolischen Palast
Papst Franziskus hasst also den perversen, sündigen Klerikalismus. Aber er hasst offenbar nicht die Kleriker. Aber er persönlich will doch Vorbild sein und lehnt klerikale Bevorzugung ab, das darf nicht vergessen werden. Er findet das für Päpste übliche Leben in den Palästen des Vatikans unerträglich. Entsprechend äußerte er sich in seiner Biographie mit dem Titel „Leben“ (2024): „Hätte ich mich nach der Papstwahl entschieden, in die Päpstliche Wohnung des apostolischen Palastes zu ziehen, dann hätte ich vermutlich über kurz oder lang einen Psychiater gebraucht“ (S. 221). Zur Erinnerung: Papst Benedikt XVI. hat mit seinem Sekretär Erzbischof Georg Gänswein in diesem apostolischen Palast offenbar recht gern gewohnt, Papst Johannes Paul II. übrigens auch…Waren diese geistlichen Herrschaften während all der Jahre des isolierten Wohnens im Apostolischen Palast beim Psychiater?

18.
Weitere Beispiele für den Klerikalismus und für den damit zusammenhängenden Aberglauben in der katholischen Kirche heute können die LeserInnen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen einbringen. Wir brechen diese religionskritischen Hinweise hier erst einmal ab.

19.
Mit dem Fortbestehen des Klerikalismus und damit der Kleriker als einem herausgehobenem, besonderen exklusiven Stand begibt sich die katholische Kirche weiterhin ins Getto.
Und damit zusammenhängend: Mit der ungebrochenen Förderung populärer Frömmigkeit und veralteter Theologien wird diese Gettobildung weiter gefördert.

20.
Wenn gelegentlich der Anschein erweckt wird, wie jetzt durch die „Weltsynode“ im Oktober 2024, die katholische Kirche suche den Anschluß an die demokratische Moderne, sie habe die Absicht, mit einfacher, nachvollziehbarer Glaubens -Lehre auch kritisch denkende Menschen religiös zu interessieren: Dann sollte man wissen: Es handelt sich immer nur um Reförmchen des Klerus, also um leichte Veränderungen der klerikal bestimmten Kulissenlandschaft. Erst wenn es keinen herausgehobenen Klerus – Stand mehr gibt, wird diese Kirche menschenfreundlicher, frauenfreundlicher vor allem, sagen wir es: Erst dann wird diese Kirche modern und vernünftig werden und den Weisungen des armen Propheten Jesus von Nazareth entsprechend leben.

21. Dieser Hinweis  bezieht sich nur auf die römisch – katholische Kirche. Ähnliche Studien sollten zu den orthodoxen Kirchen unternommen werden oder natürlich auch zu den fundamentalistischen evangelikalen Kirchen und den Pfingstkirchen.
Wenn man sich nur das weite bunte Feld der christlichen Kirchen ansieht, und von kritischen Beobachtungen zum Islam oder zum Judentum absieht, dann muss man sagen: Das „Christentum“ ist heute ganz überwiegend noch anti-modern, anti-demokratisch, anti-feministisch bestimmt. Und man fragt sich: Wie sinnlos ist eigentlich die kritische theologische Wissenschaft, wenn die Herren der Kirchen gar nicht die Erkenntnisse der theologischen Wissenschaften respektieren. Man sollte dieses Verhalten Dummheit nennen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Peter Sloterdijk: Vordenker der Rechtsradikalen.

Hinweis auf ein Interview mit Sloterdijk vom 27.2.2016 mit der Zeitschrift CICERO

Von Christian Modehn am 24.9.2024.

Vorwort: Es ist erstaunlich, dass jetzt, nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, also nach dem deutlichen Sich – Durchsetzen der rechtsradikalen, von vielen faschistisch genannten Partei AFD nicht ausführlich auf die ideologischen Stichwortgeber dieser Partei hingewiesen wird. Zu diesen ideologischen Wegbereitern gehört sicher auch auch der philosophische Schriftsteller Peter Sloterdijk, dies ist eine begründete Meinungsäußerung.

1.
Angesichts der Wahlerfolge der rechtsextremen Partei AFD müssen sich Demokraten auch die Frage stellen: Wer sind die maßgeblichen und wirkungsvollen Vordenker für Positionen dieser Rechtsextremen? Vordenker sind einflußreiche Intellektuelle, die als Meister des vagen Ausdrucks gelegentlich dann doch in Interviews kurz und knapp ihre tiefe Überzeugung, ihre Ideologie, verbreiten: Auf deren Formeln können sich dann die rechtsextremen Parteien und ihre gehorsamen Massen einstellen, können ihnen folgen, auch in der rabiaten politischen Praxis. Das erleben wir leider seit einigen Jahren…

2.
Der viel schreibende „philosophische Schriftsteller“ Peter Sloterdijk, so nennt er sich selbst, hat in Heft 2/2016 der sehr rechts orientierten Zeitschrift CICERO ein Interview gegeben. Der Titel „Das kann nicht gut gehen. Peter Sloterdijk über Angela Merkel, die Flüchtlinge sind das Regiment der Furcht“. Sloterdijk verbreitet dort Thesen, die tatsächlich eine humane Flüchtlingsflüchtlingspolitik verhindern.

3.
Wir haben im März 2016 auf dieses Interview reagiert: LINK

Leider ist dieses Interview Sloterdijks offenbar weithin in Vergessenheit geraten.

Einige zentrale pauschale Thesen Sloterdijks, die  als Slogans von Rechtsextremen verwendet werden könnten:

– „Mit dem (sic!) Islam lässt sich keine authentische Zivilgesellschaft füllen.“ (Seite 20, Cicero).

– „Die deutsche Regierung hat sich (mit der Aufnahme der Flüchtlinge 2015) in einem Akt des Souveränitätsverzichtes der Überrollung preisgegeben.“ (Seite 21) Man beachte das in rechtsextremen Kreisen übliche Wort der “Überrollung” durch Flüchtlinge, CM)

– „Die postmodernisierte Gesellschaft existiert in einem surrealen Modus der Grenzenvergessenheit.“ (Seite 21)

– „Man glaubt hierzulande immer noch, eine Grenze sei dazu da, um sie zu überschreiten“. (S. 21).

– „Heute treten die Verwahrlosung des Journalismus, die zügellose Parteinahme (für die Flüchtlinge) allzu deutlich hervor“. (Seite 22)

– „Integration (der Flüchtlinge) ist ein Ausdruck, der einem unerreichbaren Ziel vorauseilt.“ (Seite 22).

– „Wir wären schon mehr als zufrieden, wenn man es zur beruhigten Koexistenz mit den Flüchlingen brächte, zu einer freundlichen Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass es zu viele Leute gibt, mit denen man nichts gemeinsam hat. Wer kennt nicht die Momente, in denen man mit Stefan George sagen möchte: Schon eure Zahl ist Frevel“? (Seite 22). (So sprechen europäische Herrenmenschen, C.M.)

Von der EU hält Sloterdijk sehr wenig: „ Dem Nationalstaat darf man ein langes Leben prophezeien, weil er das einzige politische Großgebilde ist, das bis zur Stunde halbwegs funktioniert.“ (Seite 23).

– “Die Europäer werden früher oder später eine effiziente gemeinsame Grenzpolitik entwickeln. Auf Dauer setzt der territoriale Imperativ sich durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung.” (S. 23, das ist Schlußwort Sloterdijks im Interview)

Die LeserInnen sollten prüfen, welche dieser Sloterdijk – Thesen (2016 !) von der AFD direkt  bzw. leicht abgewandelt übernommen wurden und heute von dieser und anderen rechtsextremen Parteien verbreitet werden.

Wird  Sloterdijk ungewollt auch mal selbstkritisch: „ An jeder Ecke steht ein semantischer Drogenhändler“ (Seite 22). An wen denkt er wohl?

Unseren Kommentar, begründete Meinungsäußerung, kann man noch ausführlich nachlesen: LINK.

Zum ehem. Assistenten Sloterdijks an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Marc Jongen:

1.

Kaum hatte Sloterdijk 2016 das genannte Interview für CICERO gegeben, trat einige Monate später sein Assistent (an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe) dann im Zentrum rechtsradikaler Ideologie, im Rittergut in Schnellroda, als viel gepriesener Referent auf: Am 17. Februar 2027 hielt Marc Jongen an diesem „Institut für Staatspolitik“ einen Vortrag mit dem Titel „Migration und Thymostraining“. Das Thema der Tagung war Gewalt, unter den Referenten waren auch zwei bekannte Vertreter der rechtsradikalen Szene, der US-Amerikaner Jack Donovan und der Österreicher Martin Sellner. Der Sloterdijk – Assistent Marc Jongen nannte dort die “Migranteninvasion” einen Akt der Gewalt gegen die Integrität des deutschen Volkes. Und er schwadronierte über Sloterdijks zentrales Stichwort ” Thymos” und “Thymos-Schwäche der Deutschen. “Den Islam” dagegen hielt er dagegen für eine gefährliche “thymotisch hoch aktive Kultur”…

2.

Für den Thymos als Zorn hatte sich Jongens Meister Sloterdijk bekanntlich in seinem Buch „Zorn und Zeit“ (2006, wie üblich bei Suhrkamp) stark gemacht. Thymos verstand der sprach-kreative Sloterdijk als „Regungsherd des stolzen Selbst“ (S. 24), ein Wortspiel, den manch einen an die neunzehnhundertdreißiger Jahre in Deutschland erinnerte. Aber dieser Regungsherd sei dann doch, so Sloterdijk als Übersetzer seiner eigenen Sprüche, als, so wörtlich, „Mannesmut“ bzw.“Beherztheit” (S. 26) zu verstehen. Mannesmut ist immer noch zornig genug und kriegerisch…Das Sloterdijk – Wort “Beherztheit” für Thymos verwendete Marc Jongen auch. Auch die schwammige Sloterdijk – Formel des “wohltemperierten Thymos” verwendete Jongen. Allein schon die Identität der von Jongen verwendeten Formeln mit Sloterdijk ist erstaunlich, siw wurden, wie gesagt, gesprochen in einem wichtigen Zentrum des rechtsradikalen Denkens, dem  “Institut für Staatspolitik”. Eine Studie über dieses Institut ist 2020 im VSA:Verlag Hamburg erschienen, “Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts”. Zu Jongen dort S. 130f.

3.

Marc Jongen gab in seinem Vortrag am 17.2.2017  Sprüche und Hetze und Beleidigungen von sich, die in in AFD Kreisen damals schon üblich waren. Jongen sprach vom „Merkel – REGIME“; sprach vom „hunderttausendfachen Eindringen kulturfremder Menschen…“, sprach vom „desaströsen Zustand der deutschen Medien wie auch eines Großteils der sogenannten Intellektuellen“, Jongen sprach vom „öffentlich-rechtlichen Sedierungsfunk und seiner dauerpalavernden Günstlinge“ usw., alles Stichworte, die in etwas versteckterer, milderer, CDU – FDP affiner Verträglichkeit auch von Sloterdijk im Interview mit CICERO vorgebracht wurden.

4.

Wie sein Meister Sloterdijk lobt auch Jungen in seinem Vortrag den Philosophen Heiner Mühlmann: Er lehrte auch an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe mit seinem Chef Sloterdijk. Sloterdijk weist in „Zorn und Zeit“, Seite 16, Fußnote 5, auf Heiner Mühlmann hin.“Das Sloterdijk-Alphabet“ hat übrigens ein eigenes Stichwort „Mühlmann“ und der Autor des Sloterdijk Alphabetes, Holger Freiherr von Dobeneck, ein Kenner also, schreibt klipp und klar: „Heiner Mühlmanns Buch „Natur und Kultur“ ist Sloterdijks favorisiertes Kulturmodell.“ (Seite 182). Jongen sagt in seinem Vortrag 2017 im rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ im Sinne von Mühlmann: „Am Anfang jeder Kultur, so Mühlmann, steht ein Akt der Gewalt, nämlich der Krieg oder, wie er es nennt, die Maximal-Stress-Cooperation (MSC). Indem die Individuen einer Population im Maximalstreß des Kampfes um Leben und Tod gegen einen realen oder zuweilen auch imaginierten Aggressor miteinander kooperieren und auf diese Weise zusammengeschweißt werden, schaffen sie die psychosozialen und affektiven, die »natürlichen« Grundlagen einer Kultur.“

5.

Man sollte diese Aussagen zum Krieg auch auf das Miteinander in der Demokratie beziehen: Da gibt es rechtsextreme Gruppen, die gegen einen Aggressor vorgehen, und diese Aggressoren  sind in erster Linie Ausländer, Flüchtlinge, demokratische Politiker, demokratische Journalisten, antifaschistische Kreise usw.

6.

Man beachte, dass der Autor des Buches “Das Sloterdijk Alphabet“ schon 2006 auf geistige, praktische Verbindungen Sloterdijks /Jongens mit dem „Institut für Staatspolitik“ im Rittergut Schnellroda hinweist (S. 260).

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophishcer Salon Berlin.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Jesus als Mann. Aber: Christus als Witwer, als gay, als Frau?

Was die Phantasie mit dem armen Mann aus Nazareth so alles macht.
Anläßlich des Buches „Christus (m/w/d)“ von Anselm Schubert

Von Christian Modehn am 15.9.2024

1.
Welche seltenen Themen suchen sich Theologieprofessoren, wie viel Zeit widmen sie Problemen, die en vogue sind? Etwa der Frage: Wie männlich war Jesus von Nazareth, und zu welchem Mann wurde Christus gemacht, welches andere Geschlecht könnte er gehabt haben? Ein Freund sagte mir: Das sind Themen, die nicht von sehr dringender Relevanz sind, wenn man nur an die aktuellen Debatten der zerrissenen Gesellschaft und der verfeindeten Staaten denkt, an die Klima – Katastrophen, die Sehnsucht nach heilender Transzendenz und nach Sinn, nach Respekt, vielleicht auch noch nach einer Kirche, die ihre veralteten Dogmen endlich beiseite legt und die Klerusherrschaft abschafft…
Aber Anselm Schubert zeigt, mit welcher Phantasie Fromme und weniger Fromme sich auf das Thema „Christus (m/w/d)“ schon seit dem 2. Jahrhundert mit der Wucht aller ihrer Phantasie eingelassen haben. Auch die christliche Religion lebt von Phantasie, Projektion, man könnte manchmal auch sagen vom frommen Wahn derer, die sich Christen nennen.

2.
Dies nur als Einstimmung auf die Lektüre des Buches „Christus (m/w/d)“, mit dem Untertitel „Eine Geschlechtergeschichte“. Die Studie (396 Seiten, davon 117 Seiten wissenschaftliche Anmerkungen Literaturhinweise) hat der protestantische Erlanger Kirchenhistoriker Prof. Anselm Schubert nach Jahre langem Studium verfasst. Erschienen ist das Buch im C.H. Beck Verlag, 2024. Ganz zum Schluss, im „Dank“ bei seinen Helfern für diese ungewöhnliche Studie, schreibt Professor Anselm Schubert: „Dieses Buch ist über eine lange Reihe von Jahren entstanden“ (S. 277). Wohl wahr, man glaubt es sofort, so viele Quellen und Literaturverweise zu diesem bislang kaum bearbeiteten Thema wird man so leicht nicht mehr finden.

3.
Das Buch ist in gewisser Hinsicht eine Meisterleistung, eine Meisterleistung des Fleißes und der Energie, die absonderlichsten Fragen zur Männlichkeit “Christi“ bzw. „Jesu Christi“ zu erforschen: Wer hat sich schon einmal mit Themen befasst wie: „Der mystische Bräutigam“ (S.85), „Die Trinitarische Weiblichkeit“ (S.78), „Der geschlechtslose Erlöser“ (S. 66), „Die Seitenwunde Jesu als Uterus und Vagina“ (S.113 ff.). Wie sonderbar interessiert, darf man sagen: verrückt, waren viele kirchlich Fromme damals…Sie hatten keine Scheu zu sagen: „Die Brüste Christi stillen mit Milch“ (S. 105). Auch sehr „erbauend“: „Jesus als Witwer“ (S. 217) oder inspirierend der „Polygame Jesus der Mormonen“ (S. 221). Natürlich darf bei dem Thema nicht der schwule Jesus (S. 229) fehlen. Bibelfeste LeserInnen erinnern sich daran, dass Johannes, offenbar der Jüngste in der 12-Apostel-Schar, oft an der Brust Jesu, „des Herrn“, ruhte bei gemeinsamem Speisen. Eine Idee, die viele tausend Künstler begeisterte: Man beachte, dass Hans Schäufelin in seinem Abendmahlsgemälde (1515) diesen Jüngling Johannes sogar auf den Schoß Jesu setzte. War das etwa ein heimlicher Ausdruck von Pädophilie? Da entsteht – nebenbei – die Frage: Hat die „Pädophilie“ im zölibatären Klerus vielleicht eine ihrer Wurzeln in pädophil deutbaren Gemälden, Ikonen, die allüberall in katholischen Räumen zu finden sind? Ich kam auf diese Idee, als ich in der sehr geräumigen Sakristei einer Kathedrale in Spanien, also dort, wo sich die Priester für den „heiligen Dienst“ ankleiden und auskleiden, eine Fülle von nackten männlichen Putten und nackten heiligen (?) Knaben entdeckte… Eine gute Inspiration für die Priester vor dem „heiligen Opfer“, der Messe…

4.
Das Buch des Kirchenhistorikers Anselm Schubert bietet Einsichten und Einblicke in eine schier unerschöpfliche Materialfülle zu allen nur denkbaren Fragen zur Männlichkeit, zur Sexualität, Diversität, Weiblichkeit und Homosexualität von Christus.
Anselm Schubert verteidigt in einem Interview mit „Christ und Welt/Die Zeit“ vom 12.9.2024, Seite 15, seine mühevolle Kleinarbeit: Bestimmte Menschen und Gruppen hätten halt ein „ein Bedürfnis gehabt, sich mit Christus auf ihre Weise zu identifizieren. Jede und jeder sucht sich immer auch etwas Eigenes in Christus.“ Jedem und jeder sein, ihr Christus also. Ob es allerdings theologisch normative Grenzen dieses Bedürfnisses der Christus-Frommen geben sollte, wird nicht erörtert.

5.
Religiöse Phantasie gibt es auch heute: Vielleicht kommt jemand auf die hübsche Idee angesichts der Raumfahrt heute, Christus als den ersten Raumfahrer zu verehren, angesichts seiner biblisch besprochenen und als heiliges Fest gestalteten „Himmelfahrt“. Vielleicht wird der Weltraumfahrer Christus bei seinem Aufstieg sogar von seiner unbefleckten Mutter Maria begleitet, die laut katholischem Dogma auch eine „Aufnahme in den Himmel“ post mortem (z. T. staatliches Fest am 15. August) kennt und erfahren sein dürfte. Man sieht an diesen Beispielen, wie religiöse Traditionen zu Phantastereien und zu Wahn verführen können. Noch eine Idee: Über den leiblichen Vater Jesu von Nazareth, den „heiligen Joseph“, wird im Neuen Testament fast nichts aussagt, dennoch oder gerade deswegen entwickelte sich allmählich eine eigene ausgebreitete Josephs – Forschung, die „Josephologie“, mit einem Schwerpunkt in Montréal. LINK. https://www.saint-joseph.org/fr/

6.
Anselm Schubert hat sich vorgenommen, so wörtlich, „den letzten blinden Fleck“, also das bisher total Vernachlässigte in der Jesus/Christus – Forschung, auszubreiten und hervorzuheben, also die Frage nach der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung Christi (S. 21). Trotz dieser Materialfülle habe ich den Eindruck, dass eine tiefere theologische und historisch fundierte Reflexion hilfreich gewesen wäre: Etwa eine Antwort auf die Frage: Warum kamen denn vor allem die Mystiker und die Mystikerinnen im Mittelalter auf diese so absonderliche Ideen…Hatten sie nichts Besseres zu denken und zu tun? Schämten sie sich vielleicht sogar über ihre – in unserer heutigen Sicht ! – hoch merkwürdigen Ideen, Phantasien, Projektionen und sogar abartigen Themen? Wer sich durch diese von Schubert ausgebreiteten historischen Details förmlich lesend durchgeboxt hat, sagt sich am Schluss: Wie konnte sich eine ungebremste, sich religiös nennende Phantasie über die Sexualitäten Christi da nur in dieser christlichen Kirche breit machen. Waren die sonst so strengen Bischöfe und Päpste ausnahmsweise mal großzügig, weil sie dachten: Hauptsache die Leute sind fromm?

7.
Freilich: Das Hauptproblem für Theologen, nicht nur angesichts dieser Studie, muss genannt werden: Im Neuen Testament, das ist die entscheidende Hauptquelle aller auf Jesus bezogenen Studien ist, wird Jesus von Nazareth eindeutig als Mann beschrieben: Er wurde als Knabe nach jüdischem Gesetz beschnitten. Und er ist als Mann identifiziert worden im Prozess, der zu seiner Hinrichtung führte; an seinem Kreuz hoch oben wurde der Titel „König der Juden“ von den Römern angebracht und nicht etwa „Königin der Juden“.
Und trotz dieser evidenten Männlichkeit Jesu explodierte förmlich die fromme Phantasie einige Jahrzehnte nach Jesu Tod. In den Gemälden zur Geburt Jesu wird dieser Neugeborne als Junge gezeigt, und dazu schreibt Schubert: „Aber er war für viele Christinnen und Christen eben manchmal doch ein Mädchen, ein Androgyn oder etwas, das sich in den Kategorien menschlicher Geschlechtsidentitäten schlicht nicht fassen ließ“ (S. 22). Mit anderen Worten: Die Künstler (und die Literaten und die Theologen) nahmen sich ab dem 3. Jahrhundert die Freiheit, um auch der Kultur der Umgebung zu entsprechen, Christus als Mädchen oder als Androgyn oder, wie Schubert befremdlich schreibt, „als ETWAS“ (sachlich?,CM) darzustellen, das aus den Geschlechtsidentitäten herausfällt…
Aus Jesus wurde dann, wie Schubert zeigt, die göttliche „Weisheit“, er wurde als „androgyn“ usw. gedeutet, und das bis ins 18. Jahrhundert hinein. Dann aber wurde Christus vor allem in harter Gegenüberstellung gedeutet: Man lehrte: Der Mensch ist eben nur männlich ODER nur weiblich, so hieß die rabiate allgemeine Norm. Erst die feministische Philosophie und Theologie hat diese schlichte und falsche Definition der Identitäten aufgehoben. Sehr viele Christen und Kirchenführer halten aber diese veralteten Identitäten für absolut gültig, auch jetzt noch.

8.
Über die gelebte Sexualität Jesu von Nazareth wird im Neuen Testament nichts, aber auch gar nichts berichtet. Genauso wie nichts explizit über den Humor Jesu gesagt wird oder über seine ja durchaus denkbaren körperlichen Krankheiten, etwa wegen des vielen Wanderns in glühender Hitze usw. Dass er leibhaftiger Mensch war, wird nur in seiner Vorliebe fürs Essen und fürs Trinken guten Weines angedeutet. Vielleicht ist diese Vorliebe damals schon typisch männlich? Die Menschlichkeit des Mannes Jesus von Nazareth wird also im Neuen Testament auf ein Minimum an „Informationen“ reduziert. Die Geschichten, Mythen, von der Geburt Jesu und seiner Kindheit, wurden, kurz und bündig, erst spät in die Evangelien aufgenommen.

9.
Jesus als der religiöse Mensch, als der Prediger, als Kritiker bestehender jüdischer Religion, wird immer im Neuen Testament auch als der keusche, enthaltsame Mann dargestellt. Was wäre denn auch passiert, wenn Jesus als Mann Kinder gezeugt hätte, wie hätte die Kirche diese Jesus- Kinder bewerten müssen? Unvorstellbar, dass nach Jesu Tod seine Söhne als dann kirchlich zu deutende Gottessöhne herumlaufen und sich so systematisch eine Art Gottessohn – Geschlecht auf Erden etabliert! Undenkbar eine solche dann entstehende Dynastie der „Gott – Menschen“ und Erlöser…
Mit anderen Worten: So klug waren die ersten Christen schon: Jesus durfte also gar keine gelebte Sexualität haben! Anselm Schubert sagt in einem Interview für katholisch.de am 21.8.2024: „Eine Ehe Jesu wird nirgends in der Bibel erwähnt – und dem wäre sicher so gewesen, wenn er eine geführt hätte. Den Zölibat halte also auch ich für die wahrscheinlichere Variante.“ Wichtiger ist: Jesus durfte in kirchlicher Sicht überhaupt keine Ehe führen und schon gar nicht – wie und mit wem auch immer – Kinder zeugen.
PS: Die Gottessöhne und – töchter entstanden aber dann auf andere Weise doch, indem die Kirche lehrte: Jeder Christ (wenn nicht sogar jeder Mensch) ist mit dem heiligen Geist ausgestattet, als Gottes Sohn und Tochter… Solche tiefer gehenden Überlegungen vermisse ich im Buch von Anselm Schubert.

10.
With zu übersehen ist für die sexuelle Enthaltsamkeit Jesu von Nazareth etwas anderes, das meines Erachtens von Anselm Schubert nicht ausführlich herausgearbeitet wird. Denn es ist allgemein anerkannte Tatsache: Jesus von Nazareth war vom alsbaldigen Ende aller Zeiten überzeugt, und mit diesem Ende wird das Gottesreich Wirklichkeit (vgl. Matthäus 10,23 oder Markus 9,1 und 13,30. „Jesu Naherwartung (des ankommenden Reiches Gottes) ist das alles entscheidende Element: Es prägt Jesu Verhalten und Tun“, so der katholische Theologe Prof. Hermann Baum in seinem Buch „Die Verfremdung Jesu“, erschienen im katholischen Patmos Verlag, 2006, dort S. 35). Vor allem Paulus zeigt in seinen Briefen, etwa im 1. Thessalonicher – Brief aus dem Jahr 51: Wenn das Ende der Welt bevorsteht, dann sind alle Fragen nach einer möglichen Ehe, Sexualität, Frauen – oder Männer-Freundschaften usw. völlig zweitrangig.
Die Erwartung Jesu vom alsbald bevorstehenden Ende der Welt und dem Beginn des Reiches Gottes ist wohl der entscheidende Schlüssel für das Desinteresse Jesu von Nazareth selbst, sich irgendwie sexuell aktiv zu betätigen oder seine sexuelle Identität hervorzutun. Jesus war demnach de facto bloß ein Mann, ein jüdischer Mann, und das ist alles, was historisch zu sagen ist.

11.
Die ersten Christen hätten ja auch sagen können: Jesus von Nazareth war ein Mann, also evident ein jüdischer Mann. Und dann hätten sie in ihrer beliebten theologischen Deduktion sagen können: Unser christlicher Gott wird also („inkarniert“ sich!) ein jüdischer Mann. Und damit, dem kirchlichen Dogma entsprechend, wird auch die zweite Person in der göttlichen Trinität, Jesus – Christus, jüdisch, also Teil der jüdischen Gemeinschaft. Das heißt: Der christliche Gott des kirchlichen Dogmas wird also Jude. Damit werden natürlich zwei Weltbilder miteinander verschränkt, das jüdische (Gott als handelnder, liebender, zorniger Gott) und das griechische Weltbild der Trinität bzw. eines philosophischen Gottes: Dieser überlässt die Menschen und die Welt nach der Schöpfung sich selbst…
Trotzdem, dieser ketzerische Gedanke „Der trinitarische Gott wird jüdisch“ drängt sich spekulativ auf, nachdem man sich durch diese Fülle von Phantasien und frommem Wahn zur Männlichkeit, Weiblichkeit, Homosexualität, Diversität Christi in diesem Buch durchgeboxt hat. Ein ungeheuerlicher Gedanke, gewiss, der bisher nicht diskutiert wurde.

12.
Bei diesem Faktum zum jüdischen Mann (und Propheten) Jesus von Nazareth könnte eigentlich die Studie von Anselm Schubert wirklich enden. Aber das Haupt – Problem aller christlichen Theologie ist bekanntlich: Für Christen (also für Glaubende schon wenige Jahre nach Jesu Tod und seiner geglaubten Auferstehung) ist Jesus von Nazareth immer der Christus, der Erlöser. Jesus ist eben nicht Christus, und Christus ist nicht Jesus, obwohl dies immer behauptet wird.
Spätestens seit dem 3. Jahrhundert wird Jesus im Dogma zum Gottessohn erklärt bzw. dann seit dem 4.Jahrhundert zu einer „Person“ der göttlichen Trinität. Diese göttlich – menschliche Christus – Gestalt wurde von der frühen Kirche und ihren Theologen nur konstruiert, also „gemacht“ (vom heiligen Geist natürlich, sagen die Dogmatiker…), um den armen, sehr begrenzten Jesus von Nazareth sozusagen für alle Menschen und immer, außerhalb des Judentums, bedeutend und „erlösend“ zu machen. Und mit dieser „Umwidmung“ dieses kulturell – religiös begrenzten jüdischen Jesus zu einem universalen Christus werden alle geistigen Türen der Phantasie und des frommen Wahns geöffnet, um sich auch mit dem Sexualleben dieses Christus (nicht mehr dieses Jesus!) zu befassen, wie es in Nr. 3 unseres Hinweises in der hier gebotenen Kürze angedeutet wurde. Mit der „Umwidmung“ Jesu zum universalen, allen Kulturen und Sprachen zugänglichen Christus wurde es möglich, dass jeder und jede sich so seine phantastischen Gedanken über diesen seinen Christus machen konnte. Der Glaube ist ja immer individuell, keine Frage! Aber meiner Meinung nach haben die frommen MystikerInnen im Mittelalter doch allzu stark ihr erotisches Ego in ihre Glaubensergüsse und Christus – Bindungen einfließen lassen. Also, ein sehr sehr weites Feld frommer bzw. esoterischer und literarischer, künstlerischer und theologischer Spekulationen wird eröffnet.

13.
Das Buch von Anselm Schubert wird zu weiteren theologischen und kulturwissenschaftlichen und sicher auch spekulativen Forschungen zur Sexualität „Christi“ führen. Schubert macht in seinem Buch auf die Themen weiterer Diskussionen aufmerksam: „Geschlecht galt in der Antike (auch zur Zeit Jesu) eher als moralische und intellektuelle Eigenschaft, nicht als körperliche. Man ging von einer einzigen menschlichen Geschlechtlichkeit aus, die sich auf einer Skala bewegte zwischen weiblich und männlich, wobei das Männliche höherwertig galt…“ (Die Zeit, 12.9.204, Seite 15.)

Anselm Schubert, „Christus (m/w/d). Eine Geschlechtergeschichte.“ C.H.Beck Verlag München , 2024, 396 Seiten, 32€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Wenn Faschismus sich in Deutschland durchsetzt…

Ein Hinweis von Christian Modehn am 28.8.2024

Ergänzung am 29.8.2024: Siehe auch den Hinweis auf eine Reportage über den von einem AFD Landrat geführten Landkreis Sonneberg in Süd – Thüringen (Nr. 17 in unserem Beitrag).

1.
Es ist nie zu spät, vor dem Faschismus zu warnen. Bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen am 1.9.2024 werden laut Prognosen zwei populistische Parteien LEIDER sehr erfolgreich sein; eine Partei, die AFD, wird offiziell als rechtsextrem beurteilt, die andere, das BSR, ist offenbar von Stasi – Mitarbeitern durchsetzt, siehe die neueste Studie von Correctiv am 28.8.2024. LINK

2.
Wir weisen auf grundlegende Wesensbestimmungen faschistischen Denkens und Handelns hin, Wesensbestimmungen, die Umberto Eco, der international bekannte italienische Philosoph, Medienwissenschaftler und Autor (u.a. „Der Name der Rose“) vorgelegt hat, und zwar in seinem Buch „Der ewige Faschismus“ (deutsch: Hanser Verlag, 2020).

3.
Sie haben richtig gelesen: Es geht auch bei den rechtsextremen Parteien in Deutschland um eine Form von Faschismus bzw. des Nazi-Unwesens, und es ist ja nicht nur die AFD in Thüringen und Sachsen, für die diese Hinweis auf den Faschismus zutreffen. Ans europäische Ausland und die dortigen rechtsextrem – populistischen Parteien (FPÖ, Le Pen Partei, Italien, Niederlande, Spanien und so weiter) soll hier nur erinnert werden.

4.
Lesen Sie bitte einige zentrale Zitate aus dem genannten Buch von Umberto Eco: Er bezeichnet die „Wesensbestimmungen“ der verschiedenen Gestalten von Faschismus als „Ur-Faschismus“. De AFD und die anderen offiziell – rechtsextremen Parteien sind eine Form des Ur-Faschismus.

5.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Kultur ist für den Ur – Faschismus suspekt, sobald Kultur mit kritischen Haltungen identifiziert wird. Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt war stets ein Symptom des Ur-Faschismus… Man warf der moderne Kultur und der liberalen Intelligenz vor, sie hätten die überlieferten Werte verraten.“ (S. 33). Aber diese so genannten überlieferten Werte sind meist die Werte von vorgestern, man denke an den in rechtsextremen Kreisen einseitigen patriarchalen Familien-Begriff, die Abweisung von umfassender sexueller Aufklärung etc..

6.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur – Faschismus wächst und sucht sich Konsens, indem er die natürliche (aber überwindbare) Angst vor den Andersartigen (Fremden, Ausländern) ausbeutet und vertieft. Der erste Appell einer faschistischen oder vor-faschistischen Bewegung richtet sich immer gegen die sogenannten Eindringlinge. Daher ist der Ur-Faschismus per Definitionem rassistisch“ (S. 33).

7.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur – Faschismus entspringt individueller oder gesellschaftlicher Frustration. Heute, da die `Proletarier` Kleinbürger werden… wird der Faschismus sein Publikum in dieser neuen Mehrheit der Kleinbürger suchen“ (S.34).

8.
Umberto Eco schreibt u.a.:
“Der Ur- Faschismus beruht auf auf einem Populismus. In Demokratien haben die Bürger individuelle Rechte, aber politischen Einfluss können sie nur gemeinsam unter einem quantitativen Gesichtspunkt ausüben – die Mehrheit entscheidet! Für den Ur – Faschismus dagegen haben Individuen als Individuen keinerlei Rechte … der Führer wirft sich zum Interpreten der Bürger auf. Die Führer spielen dann die Rolle des Volkes… Der-Ur-Faschismus stellt sich gegen die `verrotteten parlamentarischen Regime…“ (S. 37)

9.
Umberto Eco schreibt u.a.:
„Der Ur-Faschismus tritt manchmal in gutbürgerlicher – ziviler Kleidung auf… Das Leben ist heute nicht so einfach, dass ein Faschist heute wieder die Bühne der Welt beträte und erklärte: Ich will ein zweites Auschwitz`. So einfach ist das nicht. Der Urfaschismus kann in unschuldigsten Gewändern daher kommen“. (S. 40)

10.
Umberto Eco schreibt u.a.:
Es ist unsere Pflicht, den Urfaschismus heute zu entlarven und mit dem Finger auf jede seiner Formen zu zeigen – jeden Tag, überall ins der Welt“ (S. 40).

11.
Es wurde und wird leider nicht von demokratischen Politikern und den Demokraten, den Bürgern, gesagt: Die Faschisten sind in gewisser Weise Selbstmörder: D.h.: Sie zerstören ihr  humanes Leben, jegliches demokratische Leben, das natürlich immer verbessert werden muss. Denn: Sind erst einmal Faschisten als Herrscher an der Macht, hört jede Kritik, jedes offene Wort auf, es gibt keine Individuen mehr, nur noch gehorsame Nummern, die nicht mehr nachzudenken brauchen. Der Mensch als geistiges Wesen ist tot. Und das wünschen sich heutige Wähler rechtsradikaler Parteien, ohne es explizit zu sagen und zu wissen…?

12.
Der größte Wahnsinn ist, wenn konservative demokratische Parteien so weit gehen und Positionen des Ur – Faschismus heute übernehmen, um Stimmen zu gewinnen. Sie müssten den Ur-Faschismus eine Gefahr für die Menschheit nennen.

13.
Damit wird nicht gesagt, dass alle Wähler rechtsextremer Parteien in Europa Ur – Faschisten sind. Es sind Menschen, die in ihrer Angst, etwas zu verlieren an materiellen Gütern, alle Energie gegen „die“ Ausländer, „die“ Flüchtlinge, die Minderheiten (Homosexuelle usw.) einsetzen, um diese angeblich bösen Anderen“ auszugrenzen.

14.
Das jetzt schon übliche und in aller Welt verwendete Konzept der Ur – Faschisten, nämlich die  Rückführung der Unerwünschten, Ausländer, pauschal “der” Muslims usw., stammt übrigens von der Autorin Bat – Ye Or, wir haben schon 2018 darauf hingewiesen. LINK

15.
Dieser Ur – Faschismus ist keineswegs nur eine europäische, tödliche Massen – Krankheit, sie wuchert aktuell in bestimmten Parteien in Israel, in islamischen Staaten, in den USA, in China (gegen die Menschenrechte, gegen die Uiguren etc.) usw.

16.

Und es ist die Frage, wie sehr demokratische Parteien nach rechtsextrem, also (prä?)-faschistisch (bereits) abdriften, wenn sie die in jeder Hinsicht zu verachtenden Positionen der Rechtsextremen übernehmen. Das tun Politiker auch in Deutschland jetzt und seit einiger Zeit, um ihre Partei am Leben zu erhalten ….Diese Haltung, ist Illusion, ist Unsinn: Wer als Wähler rechtsextrem ist oder ur – faschistisch im Sinne von Umberto Eco, der (die) bleibt bei seiner Partei.

Rechtsextreme und (Ur-) Faschisten werden von vernünftigen Menschen nur mit klaren demokratischen Positionen und Taten bekämpft; die universell geltenden Menschenrechte sind oberstes Gebot … und nicht nationalistisch – egoistische Interessen.

17.

Wer immer noch nicht weiß, dass prä-faschistische oder ur-faschistische Verhältnisse in Deutschland bereits herrschen , wenn AFD Leute einmal an der Macht sind: Der lese bitte die Reportage von Barbara Nolte “Wo die AFD regiert, sind Morddrohungen an der Tagesordung”, ein wichtiger Beitrag im TAGESSPIEGEL vom 29. August 2024, Seiten 6 bis 7.

Wir zitieren nur kurz (Seite 7) zu rechtsradikaler Gewalt in Sonneberg in Thüringen mit dem gewählten AFD Landrat Sesselmann; dort gab es natürlich eine AFD ultrafreundliche  Stimmung schon vor der Landratswahl. Die Journalistin Barbara Nolte war vor Ort und berichtet. “Eine Geflüchteten-Unterkunft im Landkreis wurde im vergangenen Jahr mehrfach von maskierten Tätern angegriffen, die mit Steinen warfen und Kinder, die im Hof spielten, rassistisch beleidigten…Kürzlich wurde die face-book Seite von `Sonneberg gegen Nazis` von ihren Betreibern nach elf Jahren mit der Begründung eingestellt, es sei zu gefährlich geworden. Hasskommentare, persönliche Anfeindungen und Morddrohungen sind an der Tagesordnung… Eine Verfünffachung von rechter, rassistischer Gewalt hat die thüringische Opferberatungsstelle EZRA im vergangenen Jahr im Landkreis Sonneberg registriert. Drei Viertel der Taten passierten nach der Wahl des Landrates Sesselmann… Eine Studie der Princeton University (USA) hat u.a festgestellt: Rechtsextreme Hasskriminalität breitet sich dort aus, wo Täter erkennen, dass ihre Taten die Unterstützung der Bevölkerung haben. Und dieses Gefühl hätten, so die Studie,  die Täter unter den Wählern der AFD; von denen stimmt fast die Hälfte der Aussage zu, dass Fremdenfeindlichkeit gegen Flüchtlinge manchmal gerechtfertigt sei, auch wenn sie in Gewalt umschlage!… Nicht nur Migranten, auch politische Gegner sind von Gewalt betroffen…Der Treffpunkt eines Kulturvereins wurde mit Steinen und Flaschen beworfen, die Gewalttäter  versuchten die Tür aufzubrechen und sie hätten dabei Neonazi-Parolen gerufen und den Hitlergruß gezeigt” ….

18. “Es ist fünf vor 33″ ist das treffende Motto des “Lichtkunst-Festivals” Weimar mit dem Titel `Genius Loci` vom 30.8. bis 1.9 2024 in Weimar und in der Gedenkstätte des ehem. KZ -Buchenwald bei Weimar. “Es ist fünf vor 33″: ein treffendes Motto, gültig – etwa als Untertitebl – für alle Talkshows der ARD und des ZDF in den nächsten Monaten?

Keine Frage: Ein historisches Ereignis wiederholt sich als solches nicht in der Geschichte, also auch heute nicht, aber manche dieser hier (Nr. 17) nur kurz genannten Verbrechen erinnern in gewisser Hinsicht (!) an das Ende der Weimarer Republik. Denn dies ist keine Frage: Die freie, demokratische Kultur haben die Nazis zuerst eingeschränkt, dann kaputt gemacht, bevor sie alles Humane im nationalistischen Wahn zerstörten.

Umberto Eco, Der ewige Faschismus, Hanser Verlag, Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Deutsch von Burkhard Kroeber. 79 Seiten, 10 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

Wenn ein Philosoph radikal wird

Über ein neues Buch von Jürgen Manemann
Ein Hinweis von Christian Modehn am 23.8.2024

1.
Das ist unser philosophischer Ausgangspunkt:
Philosophie ist Ausdruck des Philosophierens des einzelnen und der Gruppen. Und Philosophieren ist das Geschehen des kritischen Denkens und Reflektierens, ist also der lebendige Geist, die lebendige Vernunft… Und Denken und Reflektieren ist nicht nur die Praxis weniger Philosophieprofessoren. Sondern: Jeder Mensch denkt immer schon auf seine Art, entwickelt seine Werte etc. und kommt, dem eigenen Nachdenken entsprechend, zu Entscheidungen. Diese sind dann sichtbare „Gestalten“ des sich objektivierenden Geistes (greifbar in der Literatur, Kunst, usw. aber auch der Politik und Ökonomie usw.). Unsere Welt ist Objektivierung des Geistes (bzw. Ungeistes, wenn man an die totalen Egoisten, Nationalisten und andere politisch Verwirrte denkt).

2.
Philosophie als Philosophieren ist in jedem zuerst und vor allem eine bestimmte, sich aber wandelnde Lebensform. An den Universitäten werden diese unterschiedlichen Lebensformen philosophisch (in Texten objektiviert) studiert. Jeder philosophische Text ist Ausdruck einer bestimmten Lebensform des Autors.

3.
Also: Lebensformen sind für die Philosophien das erste: Das haben die griechischen Philosophen (in der Stoa, der Schule Epikurs, Platons usw.) nicht gelehrt, sondern gelebt, man lese die entsprechenden Studien von Pierre Hadot. LINK.

4.
Philosophie als Philosophieren als eine konkrete Lebensform präsentiert auch der Philosoph und Theologe Prof. Jürgen Manemann (Hannover). Er ist kein Philosoph im ruhigen Elfenbeinturm. Er mischt sich ein und ist aktiv politisch, umweltpolitisch tätig. Sein Engagement steht in Verbindung mit der Leitung des „Forschungsinstitutes für Philosophie Hannover“ (fiph). LINK
Das Forschungsinstitut verdient angesichts der Vielfalt seiner Angebote mehr Aufmerksamkeit…“Weiterdenken“ ist das Motto des 1988 gegründeten philosophischen Instituts, das regelmäßig auch Diskussions – Veranstaltungen für weite Kreise anbietet.

5.
Jürgen Manemmann ist politische sehr präzise engagiert in der internationalen Umwelt Bewegung mit dem Titel „Extinction Rebellion“ LINK,

In seinem Institut in Hannover werden auch von Jürgen Manemann Veranstaltungen zum Thema „Extinction Rebellion“ organisiert. LINK

6.
Wir wollen hier nur kurz auf das neue Buch „Rettende Umweltphilosophie“ von Jürgen Mannesmann empfehlend hinweisen. Das Buch mit ausführlichen Verweisen auf weitere Studien hat den treffenden Untertitel: „Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. Denn das ist die Grundüberzeugung: Umweltphilosophie, wenn sie denn noch einen Beitrag leisten kann, Natur, Bäume etc., Tiere, Menschen, Umwelt angesichts der bewiesenen Probleme vor dem Verschwinden zu retten, kann nur „aktivistisch” sein,. Sie muss mehr als bloß hin und wieder aktiv sein, sondern sie muss sich im Sinne der „Aktivisten“ äußern, also derer, die ihr Leben einsetzen für die Rettung der Umwelt. Die an Demos dabei sind, sich blockierend auf Straßen setzen, etwas riskieren, sich selbst das Leben nicht einfach machen… um der Rettung der Umwelt willen.

7.
Philosophisch entwickelt Jürgen Manemann seine Erkenntnisse aus mit Hinweisen etwa auf das Denken Albert Schweitzers: Von ihm inspiriert, gilt es unbedingt festzuhalten: Der Schutz des einzelnen Lebewesens steht vor dem herrschaftlichen Anspruch des Kapitalismus, um des Profits willen ein paar Tiere oder tausend Bäume zugunsten des technischen Fortschritts zu opfern. Die vernünftige Maxime heißt: „Wir dürfen nicht alles tun, was wir Menschen technisch können; wir müssen uns immer so entscheiden, dass alles Tun sinnvoll ist für die Bewahrung der Umwelt…Jürgen Manemann wehrt sich aus aktuellem Anlass auch gegen den Ökofaschismus, der die gesamte Lebenswelt – auch die der Menschen – aufspaltet in die Kategorie des Lebenswerten und des Lebensunwerten, also der technisch – politisch gesehen Überflüssigen, „was weg kann“…

8.
In dem Buch werden auch praktische Übungen der Achtsamkeit und Kontemplation (S. 132) erwähnt, sie können das Engagement stützen und fördern. Sie sind Formen der Besinnung und des Nachdenkens, dabei wird entdeckt: Demokratie ist nicht zuerst eine Welt von vielen Behörden und Institutionen, Demokratie ist kein Riesen – Apparat, kein Dschungel umeinsehbarer Gesetze, sondern zuerst eine Lebensform, die durch die Phantasie und den Gestaltungswillen der einzelnen lebendig bleibt und vor Starrheit bewahrt wird. Protest, Widerspruch, Aktionen machen das demokratische Leben aus.

9.
Am interessantesten sind für einige wohl die Hinweise zu den Formen des „Aktivismus“ zugunsten der Rettung der Umwelt. Es geht darum, dass jeder und jede lernen muss, „Handlungsblockaden“ zu überwinden.Sie verfestigen sich, wenn man der schon üblichen ideologischen Einrede folgt: Die begrenzten Möglichkeiten der Rettung der Umwelt seien ohne Alternative… man könne also nichts Grundlegendes mehr verändern (S.139). Wer so denkt, tötet seinen kritischen Geist…

10.
Jürgen Manemann tritt ausdrücklich für den zivilen Ungehorsam ein, wenn es darum geht, die Umwelt vor der systematischen Vernichtung zu retten. „Aktionen des zivilen Ungehorsams dienen in erster Linie der politischen Sensibilisierung. Als `Whirlwind` – Aktionen unterbrechen sie das Weiter – So für einen Moment.“ (S. 108). Um aber wirksam zu sein, ist das „Community organizing“ wichtig, dadurch wird „Menschen geholfen, sich produktiv zu politisieren“ (ebd.). Wenn Menschen wie üblich behaupten, keine Zeit fürs politische (Umwelt -) Engagement zu haben, dann besteht die „Aufgabe darin, die Menschen davon zu überzeugen, das SIE als Menschen doch wichtig sind: Die Menschen wissen nämlich, dass sie für gewöhnlich es nicht sind“. (s. 110). Weil sie als Menschen wichtig sind, gilt es, dass sie selbst alles daran setzen, ein ethisch wertvolles Leben zu erreichen… Im Community Organizing entstehen Beziehungen und Netzwerke unter den Menschen, sie machen aus den vereinzelten Individuen GefährtInnen eines gemeinsamen Projekts. So werden Menschen zu GenossInnen, GefährtInnen, sie sind nicht länger KonkurrentInnen.“ Wichtig erscheint mir eine Fußnote (Nr. 26, S. 107), da werden Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky aus ihrem Buch „Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit“ zitiert: „Wenn wir den raschen unmittelbaren Erfolg zum Kriterium machen, dann geraten wir in einen Allmachtswahn, der gerade die Quelle von Ohnmacht und Resignation wird.“

11.
Angesichts der zunehmenden Akzeptanz rechtsextremer und faschistischer Parteien jetzt wieder in Deutschland muss natürlich gefragt werden: Was unterscheidet eine vernünftige Form des gewaltfreien Widerstandes von den heftigen physischen und genauso verletzenden, geistig tötenden verbalen Attacken der Rechtsextremen und Nazis?
Diese Rechtsextremen haben als Projekt einen Zustand von Gesellschaft und Staat, in dem einige wenige Führer das absolute Sagen haben, deswegen kämpfen die ideologisch Verblendeten, um von der Last ihrer eigenen Freiheit, ihres eigenen Nachdenkens, endlich befreit zu sein. Um aufzuhören, FREIE Menschen zu sein.
Ganz anders die demokratisch gebundenen Menschen des gewaltfreien Widerstandes: Sie wollen die bessere Demokratie, die besseren Formen des Widerspruchs, des Dialogs, der Vielfalt.
Man denke also bloß nicht, Widerstand und Widerspruch gegen bestimmte Verirrungen des Staates seien immer dasselbe, egal, von wem sie geäußert werden.

12.
Das Buch „Rettende Umwelt-Philosophie“ zeigt, wie Philosophen heute eine neue Dimension des Philosophierens erschließen. „Aktivistisch“ im Sinne von Jürgen Manemann waren Philosophen doch öfter schon, man denke an die kluge Religionskritik von Voltaire und ohne heftige Leidenschaft fürs Vernünftige konnte selbst der zurückhaltende Immanuel Kant nicht leben und denken. Aktivismus ist Ausdruck der ethischen Einsicht: Es herrscht große Not und ich als Philosoph muss auf meine Weise helfend, rettend, eingreifen. Hoffend. Und das ist etwas anderes als “optimistisch”!

Jürgen Manemann, Rettende Umweltphilosophie. Von der Notwendigkeit einer aktivistischen Philosophie“. 162 Seiten, Transcript Verlag, 2023, 19,50€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin