Warum ist die Vernunftreligion von Kant die Religion der Menschheit für heute und morgen?

Die 21. unerhörte Frage:
Warum ist die Vernunftreligion von Kant die Religion der Menschheit für heute und morgen?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.Juni 2024.

Ein weiteres Forschungsprojekt in diesem Zusammenhang: Die Beziehung von Kant und seiner Religionsschrift, seiner “Vernunftreligion” , zu der in Frankreich ab ca.1797 sehr lebendigen humanistisch – christlichen Religion der Theophilanthropen. Sie wollten die römisch katholische Theologie und Kirche durch neue humanistische Lehren und Riten überwinden. Wurden dann aber von Napoléon verboten, er wollte unbedingt das Konkordat mit dem Papst. Zu den Theophilanthropen: LINK:

1.
In unserer Rubrik „Unerhörte Fragen“ ist diese 21. Frage vielleicht wirklich unerhört: Sie ist erstens, wie alle früheren, provozierend und also auch etwas theologisch frech. Aber diese 21. unerhörte Frage ist auch unerhört in dem Sinne: Sie wird wohl kaum gehört, nicht wahrgenommen werden. Unerhört bleiben. Denn kaum jemand unter den religiösen und theologischen Herrschern in den etablierten Religionen des Christentums, Judentums, Islams und des Hinduismus wird sich über diese Frage freuen, sich mit ihr positiv und dann auch zustimmend auseinandersetzen. Dennoch muss diese Frage gestellt werden. Kant zu Ehren einerseits. Vor allem aber aufgrund der Erkenntnis: Wenn Kirchen und Religionen in dieser Zeit noch eine Chance des Überlebens und des Respektes haben: Dann eben als Vernunftreligionen. Nur dann können sie als die eine Religion der Menschheit dem Frieden dienen.

2.
Wie bei allen unerhörten Fragen wird nur kurz der Hintergrund der Frage ausgeleuchtet: Und dabei bemühen wir uns, möglichst nachvollziehbar „für viele“ den wichtigen Gedanken darzustellen.

3.
Kant hat sich immer mit der Frage nach einer vernünftigen Religion auseinandergesetzt, auch in seinen bekannten und berühmten „drei Kritiken“. Besonders ausführlich äußert sich Kant – mutig bei der damaligen Zensur unter König Friedrich Wilhelm II .von Preußen – zu unserem Thema in seinem Buch von 1793 „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

4.
Kant „legt” diese Vernunft – Religion mit ihren Inhalten„frei“, weil sie eben in der Vernunft eines jeden Menschen ihren Grund und ihre Bedingungen der Möglichkeit bereits hat. Die Prinzipien, also unumstößliche Vernunfteinsichten im Sinne Kant, werden durch die Reflexion der Vernunft „offenbart“, wie Kant ausdrücklich in der “Religionsschrift“ schreibt. Offenbarung im Sinne Kants ereignet sich auch und vor allem durch die Reflexion eines jeden Menschen auf die Vernunft: Da wird offenbar, dass die Vernunft des Menschen eine „Schöpfung“ des göttlichen Wesens ist, also selbst Anteil hat am Göttlichen, dem Ewigen..

5.
Und was wird dann deutlich: Der Mensch ist durch die Vernunft auf Gott bezogen. Der Mensch ist frei in seinem Handeln und Denken. Und der Mensch kann aufgrund der göttlichen Vernunft im Menschen hoffen, dass seine Seele in irgendeiner Weise ewig sein wird. Gott – Freiheit – Unsterblichkeit der Seele können also als die drei „unerschütterlichen Ideen“ der Vernunftreligion gelten. Diese Einsichten kann jeder Mensch mitvollziehen, gleich welcher Religion auch immer. Diese Menschen bilden dann im Denken Kants eine Art, „unsichtbare Kirche“. Diese kommt ohne große Organisation aus, ohne Hierarchie, ohne Klerus, ohne „Pfaffen“ sagt Kant ausdrücklich. Kant empfiehlt einzig diese „Religion des guten Lebenswandels“, also der Mitmenschlichkeit, des Respekts… „Die Gebote des sittlichen Lebens sind göttliche Gebote“.

6.
Diese Vernunftreligion mit ihren drei zentralen Einsichten wehrt ab allen Aberglauben, allen Wahn des üblichen religiösen Überschwangs, wie Wallfahrten, Wunderglauben, Heiligenverehrung, Bindung an heilige Bücher, die für Gottes Wort gehalten werden, tatsächlich aber nur subjektiver Ausdruck religiöser Erfahrungen von Menschen vor vielen hundert Jahren sind.

7.
Und wie sieht das praktische religiöse Leben der Vernunftreligion aus?
Der wahre Gottesdienst ist für den einzelnen Vernunftgläubigen und seine Freunde das ethische Leben, das die Kriterien respektiert, die der Kategorische Imperativ vorlegt zur Entscheidung: Ist meine Maxime, meine Lebensphilosophie, mein Handeln, mit dem Kategorischen Imperativ konfrontiert, gut oder nicht. Diese „einfache“ Religion/Kirche ist auch äußerlich von großer Schlichtheit: Sie kann sich an schönen Kirchengebäuden erfreuen, an Kathedralen und alter religiöser Musik, aber diese sind für den „Vernunftgläubigen“ nicht wesentlich.

8.
Kant sieht durchaus, dass die genannten Prinzipen der Vernunftreligion auch in den faktischen Kirchen z.B. (etwas) gelehrt wurden. Aber sie sind dort umgeben von einer Fülle von Sonderlehren und wahnhaften, d.h.den einzelnen auch seelisch krank machenden Praktiken (wie Ablasshandel, Teufelsglaube, Glaube an eine Erbsünde, Bindung an willkürlichen Hierarchen, die etwa den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt wider besseren theologischen Wissens durchsetzen, Insistieren auf konfessionellen Identitäten, auf das politische Durchsetzen religiöser Werte, wie das Kalifat usw.

9.
Kant sieht auch: Für die Vernunftreligion werden sich noch nicht viele Menschen entscheiden können. Zu stark sind die durch Erziehung etc. vermittelten emotionalen Bindungen an die faktischen Kirchen und Religionen. Viele lieben die autoritäre Bindung an männliche Herrscher, und katholische Frauen gehen im wahrsten Sinne des Wortes eben nicht auf die Barrikaden, um für ihre Rechte zu kämpfen. Gehorsam ist für religiöse Menschen wichtiger als Autonomie.

10.
Es wird die Zeit kommen, und sie ist wohl schon da, dass weiterhin hunderttausende Gläubige aus den dogmatisch verfassten Kirchen austreten (oder sich vom dogmatischen Islam oder Judentum oder dem Hinduismus abwenden) und sich fragen: Sind wir nun als „Ausgetretene“ gleich auch Atheisten? Oder wollen wir einer „einfachen“ Religion folgen, die die göttliche Schöpferkraft in Vernunft und Seele gelegt hat und die jeder Mensch im Denken entdecken kann?

11.
Mit anderen Worten: Wollen wir frei sein, autonom sein, auch in der Religion und Spiritualität? Darauf hat Kant eine Antwort gegeben. Und dies ist eine kreative und eine mutige Leistung in der konservativen, dogmatisch aggressiven Kirchenwelt Ende des 18. Jahrhunderts.
Die Utopie einer humanen Weltreligion ist also für Kant und seit Kant nicht aus dem Denken zu vertreiben, trotz aller Dominanz des Fundamentalismus in allen Religionen.

12.
Eine allen Menschen im Denken selbst sich offenbarende Vernunftreligion ist der entscheidende Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. In dem Sinne: Der Abschied von dogmatischen und fundamentalistischen Religionen wäre eine entscheidende Aufgabe der heutigen Menschen. Man muss wohl diese etwas pathetisch klingenden Worte gebrauchen, um die Bedeutung von Kants Vernunftreligion überhaupt zu erklären.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Kapitalismus bestimmt unsere Sprache, also unser Leben.

Ein neues Buch über die Macht des Kapitalismus im Denken und Sprechen der Menschen
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Mit unserer Sprache sagen wir aus, wie wir leben, was wir fühlen und denken. Unsere Worte und Begriffe sind Ausdruck unseres menschlichen, d.h. geistigen Lebens in der konkreten Welt und Gesellschaft. Unsere Worte und Begriffe, gesprochen in immer subjektiv bestimmter Rede, sind aber nie nur unsere eigenen Worte und Begriffe. Sie werden vermittelt, gelehrt, „eingeübt“ durch die Kultur der Welt, die uns umgibt und bestimmt. Und diese unsere Welt zu unserer Lebenszeit ist ökonomisch geprägt. Konkret: Sie ist vom Kapitalismus beherrscht.

2.
Simon Sahner und Daniel Stähr lenken unser Interesse mit allem Nachdruck auf die Frage, die wir immer schon spürten und ahnten, selten aber explizit entwickelten und untersuchten: Es geht dem Kulturwissenschaftler und dem Ökonomen um eine Analyse und Bewertung, wie die Sprache der Menschen in Deutschland, aber selbstverständlich auch anderswo in anderen Sprachen, von der Ideologie des Kapitalismus bestimmt, wenn nicht beherrscht ist. Der Titel ihrer Studie im S.Fischer Verlag: „Die Sprache des Kapitalismus“, erschienen im Frühjahr 2024.

3.
Das Buch hat durchaus einen sprachphilosophischen Hintergrund. Es zeigt aber auch in anschaulichen Beispielen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unreflektiertheit viele Menschen die ideologisch gefärbte Begriffswelt des Kapitalismus übernehmen. Kapitalismus verstanden als ökonomische Herrschaftsform, die sich als „alternativlos“ in unserer Welt darstellt und auch die eigene Alternativlosigkeit propagiert (man denke an die „Urmutter” dieses Begriffes, Madame Thatcher).

4.
Wir sprechen also meist in Begriffen, Formeln, Floskeln, indem wir den (versteckten) ideologischen Vorgaben des Kapitalismus folgen. Die Autoren bieten Beispiele. Dabei wollen sie nur zu einem bewussteren Sprechen und damit (selbst-) kritischen Leben anregen.

5.
Wir sagen oft, hören oft: „Die Preise steigen“.
ABER: Die Preise sind keine selbständigen Subjekte, die von selbst steigen oder auch fallen könnten. Die Preise werden von bestimmten menschlichen Subjekten und Organisationen nach oben getrieben. Aber über diese Subjekte und Gruppen (Kapitalisten) gibt die übliche Floskel „Die Preise steigen“ keine nähere Auskunft.
Wer von „steigenden Preisen“ spricht, sieht sich hilflos einer Art Naturgewalt ausgesetzt, wie etwa: „Es herrscht starker Schneesturm“. Korrektes, reflektiertes Sprechen wäre: „Bestimmte Leute haben die Preise erhöht“.

6.
Ein weiteres Beispiel:
„Ich verdiene mein Gehalt. Dahinter steht die Auffassung: Ich erhalte tatsächlich das Geld als „Verdienst“, das meiner Arbeitsleistung entspricht. Mehr verdiene ich nicht, steht mir nicht zu, könnte man als „Arbeitnehmer“ denken. Der sogenannte Sozial – Staat erhöht ja gelegentlich den „Mindest-Verdienst“ um einige Cents…
Aber „verdient“ eine Krankenschwester oder eine Pflegekraft wirklich das (wenige) Gehalt, das sie erhält? Und: Verdient ein Fußballstar seine Millionen für seinen sportlichen Einsatz? Verdient ein Top – Manager die Millionen Dollar, wenn er aus einem Betrieb ausscheidet?
Man darf also nicht länger so tun, als sei diese Redeweise, dieses übliche Sprechen, den objektiven Tatsachen entsprechend.

7.
Und wer ist denn schon de facto Arbeitnehmer und wer ist de facto Arbeitgeber? Diese Redeweise ist irritierend und falsch, betonen die Autoren: „Denn man kann mit Fug und Recht behaupten, dass doch die Person, die arbeitet, etwas GIBT, nämlich ihre Arbeitskraft! Und diejenige Person oder Institution, für die als so gen. Arbeitgeber gearbeitet wird , tatsächlich doch etwas NIMMT, nämlich die Arbeitskraft der anderen, der so genannten ArbeitnehmerInnen also. Es würde also auf einer sprachlichen Ebene viel mehr Sinn ergeben, wenn ArbeitgeberInnen für Arbeitnehmerinnen arbeiten und nicht umgekehrt“ (Seite 75).

8.
Ein weiteres Beispiel: Die kapitalistische Wirtschaftswelt sieht den einzelnen Menschen nicht als Person, sondern als VERBRAUCHER und Konsumenten der von den Konzernen vorgesetzten Produkte. „Ich bin ein Verbraucher“: das bedeutet doch: Darin besteht die Definition meines Menschseins: Ich verzehre, benutze, genieße die Dinge des Marktes. Und wenn sie verbraucht sind, verzehrt sind, ausgenutzt sind, dann werfe ich sie weg. Und der Konsum – Kreislauf geht weiter. Reparieren der alten Produkte ist eine Vorstellung, die sich erst langsam durchsetzt. Gott sei Dank laden wir zu Geburtstagspartys (noch) nicht unsere lieben Mit – Verbraucher und Mit – Konsumenten ein, sondern eben doch noch Freunde und Verwandte. Eine Party als Verbraucher – Party ist eher bei Festen großer Betriebe Realität.

9.
„Was wir also brauchen, ist eine postkapitalistische Sprache und Erzählung von einem guten Leben nach dem Kapitalismus“, schreiben die Autoren auf S. 265. „Es gibt Alternativen zu einer kapitalistischen Lebensweise“ (S. 267). „Wir plädieren deshalb für eine sprachliche Genauigkeit“ (ebd.).

Man darf die Bedeutung dieses offenbar „nur“ aufs Sprachliche bezogenen Buches nicht unterschätzen: In unserer unbewussten Abhängigkeit von der vorgegeben ökonomischen Sprache des Kapitalismus zeigt sich eine ungewollte und manchmal gewollte Unterwerfung unter eine Ideologie. Diese hat als Dogma: Der Kapitalismus ist wie ein Naturgesetz ohne Alternative. Selbst grundlegende Reformen des Kapitalismus werden selbst von sozialdemokratischen Parteien nicht mehr für möglich gehalten. Die „Reform-Partei“ SPD scheitert bekanntlich so oft an der Macht der FDP Politiker oder anderer konservativer Gegner.

10.
Das Buch ist anregend und wichtig und vor allem leicht zugänglich. Die Lektüre, das Mit – Denken mit den Autoren, ist sehr zu empfehlen. Wir müssen wieder lernen, selbst kritisch unsere eigene Sprache zu beobachten. Wir müssen lernen, kritisch zu denken und zu urteilen: Darin sah die Philosophin Hanna Arendt die wichtigste Leistung einer humanen Menschheit. Für die amerikanische Autorin und Philosophin Ayn Rand war das, was wir „gemeinhin das Böse nennen, eine potentiell ebenso weit verbreitete wie weithin unbemerkt bleibende Unfähigkeit, selbst zu denken“, berichtet der Philosoph Wolfram Eilenberger (in „Philosophie-Magazin“, „Das Böse“, S. 33). Das Böse hat mit der „Auslöschung der eigenen Urteilskraft“ zu tun, so der Titel des Aufsatzes von Wolfram Eilenberger.

11.
Mit besonderem Interesse sollte man Kapitel 3 lesen (Seite 62 ff.), dort geht es um die Frage. Wer ist reich? „Wo fängt Reichtum an, wenn ein Millionär, der wie Friedrich Merz zwei Privatflugzeuge besitzt, noch nicht (nach eigener Einschätzung!) Zur Oberschicht zählt?“ (S. 62). Die Autoren sprechen auch von den Superreichen, den Milliardären, und betonen: “Man muss sich die Frage stellen, ob es einen solchen Reichtum geben sollte“ (S. 67). Sie erinnern an Douglas Rushkoffs Buch „The Survival of the Richest“. LINK: Rushkoff hat mit Multimillionären gesprochen und deren Sprechen analysiert: Es dreht sich bei denen alles darum , wie sie sich selbst abgrenzen und sich schützen vor allen Katastrophen dieser Welt. „Kein Gedanke, kein Sprechen, wird darauf verwendet, wie der Reichtum genutzt werden könnte, um möglichst vielen Menschen Schutz und Sicherheit zu bieten“(S. 68). Diese Millionäre denken nur an das Überleben der Stärksten, zu denen sie sich rechnen. Simon Sahner und Daniel Stähr erinnern in ihrem Buch an den populären Spruch. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, dieser Spruch unterstellt, jeder könnte mit viel Arbeit viel Glück und viel Geld erzielen.

12.
Natürlich wird durch die Kritik der Sprache und des Sprechens inmitten des Kapitalismus dieser Kapitalismus, als der Neo-Liberalismus, nicht überwunden. Auch in dieser Hinsicht ist Geist, also kritisches Sprechen, fast ohnmächtig gegenüber der „Alternativlosigkeit“ des universalen Herrschaftssystems. Aber warum sollte Kapitalismus-Kritik sich nicht an der Sprachkritik abarbeiten, also mit dem Innewerden der Abhängigkeiten, der Entfremdung, der Ent – Personalisierung, der Gehorsamshaltung gegenüber dem üblichen „Main-Stream“ Sprechen und Denken? Es ist unwahrscheinlich, dass die Allmacht des Kapitalismus, Neo-Liberalismus, noch überwunden werden kann, vielleicht lässt er sich einschränken: Immerhin können wir dann sagen: Wir haben wenigstens versucht, ethisch gut zu leben … und sei es in einer Nische zu überleben.

13.
Der Titel des Buches führt uns zu weiteren, in der heutigen Wahrnehmung vielleicht schon längst entlegenen Themen: Wir denken etwa an die Sprache der christlichen Kirchen heute, ihre nebelhaften Formeln und Floskeln etwa, die nur dem Machterhalt des männlichen Klerus in der katholischen Kirche dienen. Etwa: „Der Herr selbst hat doch Frauen vom Priestertum ausgeschlossen“. Dieser „Herr“ ist aber der klerikale Christus als Herrscher, nicht der Prophet Jesus von Nazareth… Aber das ist ein anderes Thema, zu dem dieses wichtige Buch von Simon Sahner und Daniel Stähr anregt.

Zum Thema „Christentum im Kapitalismus“, ein Buchhinweis, das Buch versucht, sich des wichtigen Themas anzunähern: LINK

Simon Sahner, Daniel Stähr: 
Die Sprache des Kapitalismus. S. Fischer, Frankfurt/M. 2024;
304 Seiten, 24,00 €

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Warum Rechtsradikale noch für Meinungsfreiheit eintreten

Die große Lüge der Rechtsradikalen und Faschisten

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.Mai 2024

1.
Rechtsextreme Politiker, auch rechtsextreme Katholiken, streben mit aller Gewalt nach der Herrschaft über die Medien (aller Art). Auf den äußerst rechtslastigen französischen Katholiken und Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré haben wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin schon vor einiger Zeit hingewiesen. Bolloré wird in Deutschland bislang kaum wahr – genommen. LINK:

2.
Solange diese Rechtsextremen, die von Politologen und Kulturwissenschaftlern auch heute Faschisten genannt werden, nicht die Herrschaft übernommen haben: So lange plädieren und werben diese Rechtsextremen, wie jetzt die AFD, ungeniert, mit Parolen im Wahlkampf (Mai 2024) „Meinungsfreiheit schützen“. Ja, diese rechtsextremen Führer leben von der demokratischen Meinungsfreiheit, solange, bis sie die Macht übernommen haben. Diese Leute sind nichts als Lügner, und alle, die diese Lügner wählen und unterstützen, kann man wegen ihrer geringen Urteilskraft bedauern oder besser noch gesprächsweise zur Vernunft bringen? Für die Philosophin Hannah Arendt ist das Fehlen von kritischer Urteilskraft (etwa der Nazi – Anhänger) Hinweis auf irregeleitetes, nur noch banales Denken und banales Leben. Zu diesem Urteil kam Hannah Arendt beim Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem.

3.
Der Wiener Kulturwissenschaftler Andreas Gerlach veröffentlicht in „Geschichte der Gegenwart“ vom 26. Mai 2024 eine Studie (von Umberto Eco angeregt) über heutigen Faschismus. Wir zitieren aus den Ausführungen Gerlachs zur Kampf der rechtsextremen um die totale Medien – Herrschaft:

„So lange für Meinungsfreiheit sorgen, bis sie sie abschaffen können. Bis zur Übernahme der Medien ist ein scheinbares Eintreten für Meinungsfreiheit das wichtigste Mittel der Faschisten zur Erzwingung, in den Medien aufzutauchen. Sie wollen als Meinung wie alle anderen auch wahrgenommen werden. Sobald dann irgendwelche rechten Milliardäre oder Parteien ein Medium wie Twitter, eine Zeitung wie die NZZ oder öffentlich-rechtliche Sender gekauft haben oder die Gremien besetzen können, bricht diese scheinbare Begeisterung für den freien Markt der Meinungen, wie am Beispiel Polens, an der Übernahme eines ganzen Medienimperiums in Frankreich oder an Elon Musks Übernahme von Twitter gesehen werden kann. Die modernen rechten, reaktionären und oftmals völlig offen faschistischen Bewegungen haben viele Eigenschaften, aber eine wichtige, die Umberto Ecos Liste als fünfzehntes Element hinzugefügt werden kann, ist die ewige Fixierung des Faschismus auf seine mediale Repräsentation. Deswegen ist dort gerade das wichtigste Kampffeld gegen die Faschismen des 21. Jahrhunderts. Man darf den Faschisten nicht die Medien überlassen.“ (Quelle: LINK ) 

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Franz Kafkas paradoxe Weisheiten

Hinweise auf einige Aphorismen Franz Kafkas.
Von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht am 4.3.2024.

Ein Vorwort:
Franz Kafka hat auch seine Tagebuchnotizen und Briefe als wichtige. literarische Arbeiten verstanden, keineswegs nur als „Beiläufiges“, „Sekundäres“. Seine Aphorismen erscheinen wie Lehrsätze, die sich auch auf vorgegebene Weisungen, Normen, Gebote, Konventionen beziehen. Kafkas Aphorismen, die 1917 in Zürau in Oktavheften geschriebenen, wirken eher wie Kommentare, betont der Germanist Peter – André Alt. Es sind Hinweise zur Lebensgestaltung. Sie führen aber nicht in allseitige Klarheit und Durchsichtigkeit. Die Aphorismen überschreiten logische Argumente, sie leben vom Widerspruch zu alltäglichen Selbstverständlichkeiten. „Kafka hatte einen Widerwillen gegen analytische Abstraktion“, schreibt Alt (S. 82), er lehnte abstrakt argumentierende Philosophien mit ihren „klaren Antworten“ ab. Es geht ihm bei den Lebensfragen (als Hintergrund der Aphorismen) nur darum, den geistigen, auch den religiösen Horizont zu öffnen, in dem eventuell Ansätze von Antworten auf diese Lebensfragen wenigstens ahnbar werden.
Kafka hat keine Vorliebe zur Philosophie entwickelt, hingegen ist sein Interesse am Werk des Philosophen Kierkegaard durchaus bemerkenswert… weil Kierkegaard auch das literarische Erzählen hochschätzt.

Die folgenden Aphorismen wurden dem Buch „Franz Kafka. Betrachtungen über Leben, Kunst und Glauben“ entnommen. Das Buch erschien 2007 im DTV Verlag, es enthält ein Nachwort von Peter – André Alt. Die Seitenangaben zu den jeweiligen Aphorismen beziehen sich auf dieses Buch.

Die hier ausgewählten Aphorismen wurden wegen ihrer Prägnanz und Kürze ausgewählt, vor allem aber, weil sie unmittelbar ins Philosophieren führen. Eigentlich stehen die Aphorismen für sich selbst. Hier wird der Versuch gemacht, kurze, subjektive Hinweise der Interpretation vorzuschlagen.Diese Hinweise können anregen, sich weiter in diese und andere Aphorismen Kafkas zu vertiefen … und andere Interpretationen zu formulieren.

Die Literaturwissenschaftlerin Margarete Kohlenbach hat in ihrem Buch “Franz Kafka in Zürau. 1917-1918” (Transit Verlag, Berlin, 2023) die meisten der dort geschriebenen Aphorismen Kafkas ausfürlich auf  252 Seiten untersucht und sie auf das Leben (und Leiden) Kafkas (dort) bezogen.

Unser Vorschlag zur Lektüre einiger weniger, kurzer offenbar auch “philosophischer” Aphorismen Kafkas ist wesentlich bescheidener, unser Vorschlag will die LeserInnen zu eigener Lektüre und eigener Interpretation ermuntern. Dazu muss man kein Kafka – Spezialist sein. “Die Texte Kafkas verändern unaufhörlich ihren Klang und ihre Farbe”, schreibt der Literaturkritiker Gregor Dotzauer im “Tagesspiegel”( 11.1. 2024, Seite 24).

1.
„Wer sucht, findet nicht. Wer nicht sucht, wird gefunden.“
(Oktavhefte 13. Dezember 1917). S 55.

Wer dem Sinn dieses Satzes folgt, erkennt: Also muss es doch einen Suchenden geben, der dann denjenigen findet, der eben nicht sucht. Ein Widerspruch, mindestens dann, wenn man die Aussage Kafkas auf den menschlichen Bereich bezieht. Das Suchen hier kann man aber als Suchen nach Sinn, nach „Gott“ verstehen. Dann aber sollte man – nach Kafka – aber gerade nicht Gott aktiv suchen. Man sollte stille sein, nichts tun, nichts suchen: Dann wird man gefunden, von Gott, von dem tragenden Lebens-Sinn.

2.
“Man darf niemanden betrügen. Auch nicht die Welt um ihren Sieg.“
(Oktavhefte 8. Dezember 1917). S. 54.

Ein Satz, der an Immanuel Kant erinnert, an dessen absolute Zurückweisung von Lüge und Betrug. Wenn man sich im Sinne Kafkas an diese Maxime (Kants) hält, dann muss man hinnehmen und ertragen, dass „die Welt“ siegen wird. Was ist hier die Welt? Offenbar alles Irdische, alles Ideologische, das Welt, “gegenüber” zu Gott,  diesen „Gott“ ausschließt oder auch einen transzendenten Lebens – Sinn. Wer also niemals jemanden betrügen will, muss die Herrschaft der Welt als dem Nicht – Göttlichen in Kauf nehmen. Sollten wir vielleicht doch etwas betrügen, lügen, damit die Welt gerade nicht siegt? Kant würde nicht zustimmen!

3.
„Wahrheit bringt keine Erfolge. Wahrheit zerstört nur das Zerstörte.“
(An Robert Klopstock, Juni 1922.) S. 57.

Wer sich bemüht, in einer Welt voller Lügen und Verlogenheiten die Wahrheit zu sagen und Wahrheit zu leben und zu tun, wird keinen Erfolg haben mit seiner Haltung, meint Kafka. Die Wahrheit wird sich nicht durchsetzen. Das Engagement zugunsten der Wahrheit kann nur das zerstören und beseitigen, was ohnehin schon zerstört ist und als kaputt und wertlos gilt. „Wahrheit zerstört das Zerstörbare“ ist heute angesichts der Kriege, der Rechtsradikalen Macht und Verbrechen, der Allgegenwart von Lügen etc… eine ziemlich optimistische Überzeugung Kafkas.

4.
Erkenntnis haben wir. Wer sich besonders um sie bemüht, ist verdächtig, sich gegen sie zu bemühen.“
(Oktavhefte 25. Januar 1918). S. 56.

Wissenschaftler, Philosophen, Theologen fallen bei Herrschenden in Ungnade, werden verfolgt, getötet, von jenen, die Macht haben. Wer neue Erkenntnisse mitteilt, stört diese etablierte, alte und selbstverständlich gewordene Erkenntnis und Wahrheit. Solche Störenfriede gilt es auszuschalten, indem man sie „verdächtigt“ eigentlich gar keine weiterführende Erkenntnis zu lehren.

5.
„Wer glaubt, kann keine Wunder erleben. Bei Tag sieht man keine Sterne.“
(Oktavhefte 22.November 1917.) S. 64.

Wer religiös glaubt, lebt förmlich wie selbstverständlich in einer transzendenten Geborgenheit, lebt gleichsam auf sicherem Boden und in einem hoffnungsvollen Horizont. Ein solcher Glaubender braucht keine einzelnen Wunder. Denn das größte Wunder ist für ihn bereits dieser sein Glaube. Darum Kafkas Ergänzung: Wer im hellen Licht lebt, braucht nicht die wunderbaren Sterne, die nur nachts zu sehen sind.Wer glaubt ist im Licht, er braucht keine wunderbaren Sterne.

6.
Und ähnlich ist auch dieser Aphorismus: 
„Wer Wunder tut, sagt: Ich kann die Erde nicht lassen“
(Oktavhefte 21. November 1917.) S. 54.

Wer Außergewöhnliches, Wunderbares leistet, will die Erde, das Leben auf Erden, pflegen und fördern, er „kann die Erde nicht lassen“, er kann sie nicht loslassen, zugunsten einer transzendierenden, über die Welt hinausgehenden und die Welt „überwindenden“ Lebenseinstellung.

7.
„Theoretisch gibt es eine vollkommene Glücksmöglichkeit: An das Unzerstörbare in sich glauben und nicht zu ihm streben.“
(Oktavhefte 19. Dez. 1917,) S. 24.

Haben wir das Unzerstörbare in uns entdeckt, auf das Kafka aufmerksam macht? Unzerstörbar als dauernd bleibend kann nur Ewiges in uns sein. Wer oder was ist der Ewige? Religiöse Menschen nennen ihn Gott. Gott lebt als das Unzerstörbare in uns. Aber, und das ist Kafkas Rat: Streben wir nicht nach ihm. Werden wir nicht zu Aktivisten der Gott – Suche. Gott ist doch schon unzerstörbar in uns. Das ist „vollkommene Glückseligkeit“.

8.
„Du kannst dich zurückhalten von den Leiden der Welt, das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur. Aber vielleicht ist gerade dieses Zurückhalten das einzige Leid, das du vermeiden könntest.“
(Oktavhefte 22. Februar 1918). S. 24.

Wer sich aus den politischen Konflikten, Krisen und Kriegen und damit aus allem Leiden der anderen Menschen fein narzisstisch raushält, der „entspricht“ durchaus seiner nun einmal egoistischen „Natur“. Aber dieser egoistische Rückzug, dieses Ignorieren des Leidens und der Leidenden der Welt, bereitet dem Egoisten dann doch seelisches Leiden. Falls er noch ein Gewissen hat, möchte man ergänzen.

9.
Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Was wir Weg nennen, ist Zögern“ .
(Zit. S. 81.)

Eine Erkenntnis Kafkas, die wie ein Motto für viele Politiker damals und heute vor allem gilt: Sie gehen nicht den Weg zum Ziel, etwa zum Frieden, zur universellen Gerechtigkeit, sie stehen bloß irritiert herum, reden viel und „zögern“ nur. Und sie nennen dieses Zögern dann noch ihren politischen „Weg.“

10.
„Geständnis und Lüge ist das Gleiche“.
Verfasst Ende 1920. (zit. S. 91.)

Es gibt in totalitären Regimen ständig die Praxis, die zu Unrecht Verurteilten, also die politischen oder religiösen Feinde, zu einem Geständnis zu zwingen, meist durch grausamste Folter. Die Prozesse in Moskau zu Stalins Zeiten in Berlin im Nazi-Regime oder die Slansky – Prozesse in Prag (1952) oder die „Gerichte“ der katholischen Inquisition sind treffende Beispiele für diese „Geständnisse“ eigener Fehler, diese Geständnisse sind de facto, der Wahrheit folgend, nichts als Lügen. Diese „Lügner“ haben auch nach ihrem Geständnis keine Überlebenschance im totalitären System. Die Romane Kafkas, etwa „Der Prozess“, zeigen in dem Protagonisten Josef K. den „unschuldigen Schuldigen“, auch Josef K. wird trotz Unschuld aufgefordert, „doch bei nächster Gelegenheit das Geständnis zu machen“.

11.
Wenn das, was im Paradies zerstört worden sein soll, zerstörbar war, dann war es nicht entscheidend. War es aber unzerstörbar, dann leben wir in einem falschen Glauben“
(Oktavhefte, 30. Dezember 1917, S. 87.)

Ein Satz der die göttliche Schöpfung von Welt und Menschen (Adam und Eva) meint. Was wurde im Paradies von wem zerstört? Die Menschen zerstörten ihre gehorsame Bindung an Gott und wurden von ihm aus dem Paradies vertrieben. Diese Haltung des Ungehorsams kann durchaus als etwas Zerstörbares, also zu Überwindendes angesehen werden. Dann ist der Ungehorsam nicht wesentlich. Wenn aber diese gehorsame Bindung an Gott als etwas Unzerstörbares, also als Absolutes und selbst schon Göttliches angesehen wird? Dann können wir diese gehorsame Überzeugung nicht akzeptieren, dann “leben wir in einem falschen Glauben”: Wer also Gehorsam absolut setzt, führt in einen „falschen Glauben“…Da hat Kafka – auch aktuell – recht.

Siehe auch Kafka und Kant LINK

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Mit Hanna Arendt denken (lernen)

Über ein neues Buch von Lyndsey Stonebridge
Ein Hinweis von Christian Modehn am 17.5.2024

1.
Ohne eine Verbindung zum Denken Hannah Arendts gibt es offenbar heute keine kulturkritische oder Politik – kritische Veröffentlichung oder Debatte. Ihre Texte aus dem Nachlass werden nun auf Deutsch publiziert, und die LeserInnen sind erstaunt über die Kraft des kritischen Denkens, das in der Forderung gipfelt: Jeder Mensch sollte nicht nur zum eigenen Nachdenken, sondern auch zum reflektierten Urteilen finden. Gregor Dotzauer spricht im „Tagesspiegel“ (am 25.4.2024, Seite 24) zurecht von einer „kleinen Hannah- Arendt-Industrie“. Und diese vielfältige Begeisterung, für Hannah Arendts Erkenntnisse wird sehr bald noch stärker werden: Denn es steht ein kulturell, journalistisch und damit kommerziell ergiebiger runder Gedenktag bevor: Hannah Arends 50. Todestag am 4.Dezember 2025!

2.
Bis dahin werden alle ihre Werke in der „kritischen Gesamtausgabe“ sicher noch nicht vorliegen, über eine website(  LINK ) kann man sich über den Stand der definitiv wissenschaftlich Arendt – Publikationen (mit Ausnahme der Briefe) informieren. So bleiben wir noch auf eine Fülle von Arendt-Büchern und Arendt-Broschüren angewiesen, abgesehen von der genau so großen Menge von Einführungen in das Denken Hannah Arendts.

3.
Über diesen „Arendt – Boom“, wäre eigens nachzudenken: Bei den LeserInnern gibt es vielleicht die Begeisterung für eine Philosophin, die zugleich viel kämpferischer der politischen Theorie verpflichtet ist. Als Jüdin musste sie gerade auch von jüdischer Seite viel Polemik hinnehmen. Aber Anfeindungen für ihre meist präzise, manchmal polemische Position nahm sie in Kauf. Einige ihrer Erkenntnisse haben sich fast wie Slogans durchgesetzt, etwa die These von der „Banalität des Bösen“, formuliert im Erleben des Nazi- Verbrechers Adolf Eichmann anläßlich seines Prozesses in Jerusalem. Oder auch die bleibende Erkenntnis: „Wir haben ein (Menschen-)Recht, Rechte zu haben“, gesprochen nicht nur im Blick auf die vielen staatenlosen und deswegen rechtlosen Flüchtlinge.

4.
Nun hat Lyndsey Stonebridge im C.H. Beck – Verlag eine Einführung zu Hannah Arendt vorgelegt: „Wir sind frei, die Welt zu verändern“ ist der offenbar Mut machende Titel für diese jetzigen Zeiten der Kriege und der Zunahme rechtsradikaler, faschistischer Parteien. Der Untertitel: „Hannah Arendts Lektionen in Liebe und Ungehorsam“. Lieben und gleichzeitig (dem Staat, „der“ Politik, einigen jüdischen Organisationen) ungehorsam sein, ist eine spannungsreiche Beziehung, die sich die Autorin vorgenommen hat. Lyndsey Stonebridge forscht vor allem zur politischen Theorie, sie ist Professorin für Humanities und Menschenrechte an der Universität Birmingham. Mehrfach schon wurden ihre Bücher mit Preisen ausgezeichnet.

5.
Ihr neues Buch (2024 veröffentlicht) versucht in jedem der 10 Kapitel philosophische Themen mit der Biographie, der Werk – Interpretation und der Aktualisierung Hannah Arendts für „uns“, zumal in den USA, zu verbinden. Manchmal entsteht in den Kapiteln eine gewisse Sprunghaftigkeit und oft eine zu knappe Würdigung der dort angesprochenen brisantesten Themen im Denken Arendts.
In Kapitel 2 etwa mit dem Titel „Wie man denkt“ schreibt die Autorin über die Zeit der jungen Hannah Arendt in Königsberg, die Autorin springt dann zu den Mord – Attacken kürzlich in Hanau, um dann zu Martin Heidegger in Marburg zu kommen…Ziel ist immer, die LeserInnen auf die aktuelle Relevanz des Denkens Hanna Arendts aufmerksam zu machen. Ein weiteres Beispiel: Im 10. zentralen Kapitel mit dem Titel „Was ist Freiheit“ geht es auch um das letzte, unvollendete Buch Arendts „Leben des Geistes“, dabei gibt es Hinweise zu ihrer Beziehung mit Heidegger, um Aufenthalte in der Schweiz, um ihre Kant – Lektüren, um den Zustand der us-amerikanischen Politik in den Jahren ab 1970, mit einem Sprung dann zu Trump und – nebenbei auch der Hinweis: Der junge Senator Joe Biden hätte im Jahr 1975 Hannah Arendt um ein Exemplar ihres Vortrages in Boston gebeten.

6.
Das Buch kann aufgrund der lebendigen Darstellung eine Hilfe für diejenigen sein, die sich bisher noch nicht über Hannah Arendt informiert haben. In der Schwebe lässt die Autorin: Ist Hannah Arendt eine Philosophin (im klassischen Sinne), ist sie eine „brillante Theoretikerin“ (S. 306) oder ist sie vor allem eine Spezialistin der politischen Theorie? Arendt selbst bevorzugte den etwas komplizierten Titel „Theoretikerin der Politik“. Als Philosophin im klassischen (deutschen) Sinne verstand sie sich wohl nicht, auch wenn sie immer anerkannte: Durch ihren Liebhaber und Lehrer Martin Heidegger das Denken, also das philosophische, gelernt zu haben.

7.
Manche Aussagen der Autorin Lyndsey Stonebridge finde ich problematisch, etwa wenn sie eher flapsig schreibt: “Nachdem er (Heidegger) das Sein über Bord geworfen hatte…“ (Seite 71). Heidegger hatte nie das Sein „über Bord geworfen“, also auf die Erörterung der Seins-Frage verzichtet. Wenn die Autorin „Sein“ allerdings als welthafte Realität meint, hat sie vielleicht recht, aber dieses dinghafte Sein meinte Heidegger gar nicht.

8.
Viel zu knapp wird meines Erachtens Arendts kritisch reflektierte Stellung zum Zionismus dargestellt. In einem Artikel über „Zionism“, 1945 in New York veröffentlicht, kritisiert sie deutlich das Beharren einiger Zionisten auf einer Staatsgründung in Palästina: „Dies ist die kritiklose Übernahme des Nationalismus in seiner deutschen Version“, so in der deutschen Ausgabe des Textes auf Seite 159 (in H.A., Die verborgene Tradition, Suhrkamp, 2016). Auch Micha Brumlik weist in seinem Beitrag in „H.A. und das 20. Jahrhundert“ auf dieses Zitat hin, S. 22). Und Susie Linfield will in ihrer Publikation in der „Yale University Press (2020) differenzieren: Und auch könne man nicht plausibel argumentieren, dass Arendts Ansichten zum Zionismus immer einer übergeordneten Logik entsprachen. (Im Original: Nor can one plausibly argue that there was always an overriding logic to her views on Zionism.“)
9.
Die Autorin Lyndsey Stonebridge hat gewiss viel Sympathien für Hannah Arendt. Das heißt nicht, dass sie doch einige kritische Hinweise gibt, etwa den Umgang Arendts mit der Geschichte des Kolonialismus (etwa S. 150). Auch die Verschwiegenheit Arendts über das private,„intime“ körperliche Leben wird erwähnt: „So bleibt in ihren überlieferten Schriften auch ihr Körper stets gewissenhaft den Blicken entzogen“. Und warum Hannah Arendt trotz aller Kritik nach 1945 an ihrem einstigen Liebhaber Martin Heidegger doch weiterhin stärkeres Interesse hat, wird in dem Buch nicht recht deutlich. In Hannah Arendt Buch „Menschen in finsteren Zeiten“ ist ihr Radio – Vortrag anläßlich des 80. Geburtstages Heideggers (1969) veröffentlicht. Er habe sie das Denken gelehrt, heißt es auch dort. Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus wird von Arendt eher kurz und allgemein erwähnt. Befremdlich ist, dass sie sogar Heideggers „Spätphilosophie“ noch als anregend und wohl auch verständlich – nachvollziehbar empfinde.
Wichtig ist, dass die Autorin die geistige, sehr freundschaftliche Verbundenheit mit Karl Jaspers betont. Bei ihm verfasste Arendt ihre philosophische Promotion über die Liebe im Denken des Heiligen Augustinus. Hannah Arendt hatte sich als achtzehnjährige, damals aus Königsberg kommend, in Marburg bekanntlich neben Philosophie auch für Evangelische Theologie und Griechisch eingeschrieben. Warum eigentlich auch für evangelische Theologie, wäre eine Frage. Dass Arendt durchaus Sympathien für einzelne Katholiken hatte, ist seit ihrem Beitrag über Papst Johannes XXIII. „Angelo Giuseppe Roncalli. Der christliche Papst“ bekannt (veröffentlicht in „Menschen in finsteren Zeiten“) LINK.

10.
Hanna Arendt ist auch heute zweifellos eine Lehrerin des kritischen Denkens und selbstbewussten Urteilens, also eine Lehrerin geistvollen, humanen Lebens. Aber dass sie umfassend eine „Meisterin“ für heute sei, wäre eine Überforderung. Ob man mit Arendts Werken den geradezu universellen Rechtsruck in Europa, bis hin zum Rechtsradikalismus und Faschismus, verstehen kann, ist die Frage. Genauso gilt dies für die Radikalisierung vieler Muslims zu Fundamentalisten oder auch vieler Christen zu Evangelikalen. Feminismus war auch für sie kein großes Thema. Und zur aktuellen Klima-Katastrophe hat sie speziell eher wenig zu sagen.

11.
Die Menschen heute aber halten sich sehr gern an eine – dem ersten Eindruck nach – „leicht lesebare“, mutige Philosophin bzw. Theoretikerin der Politik. Sie lieben ihre meist stringenten Argumentationen, schätzen ihr Eintreten für die Menschenrechte, ihren Kampf gegen den Juden-Hass. Einer solchen Frau und ihrem vielfältigen, umfangreichen Werk zu begegnen, führt ins lebendige Leben des Geistes und …ins „tätige Leben“.

Lyndsey Stonebridge, „Wir sin frei, die Welt zu verändern“. Hannah Arendts Lektionen in Liebe und Ungehorsam. Übersetzt von Frank Lachmann, C.H. Beck Verlag, 351 Seiten, 26€.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Marienlieder: Die Frommen wissen nicht, was sie singen.

Unverständliches, Merkwürdiges, Entfremdendes in Marien-Liedern
Ein Hinweis von Christian Modehn am 13.5.2024.

Warum dieser Hinweis? Weil die immer noch üblichen Marien – Lieder der beste Beweis sind, dass die katholische Kirchenführung sich der vernunft-gestützten Inhalte von Liedern und Gebeten verweigert, von der Verweigerung, feministische Dimensionen in den Marien – Liedern zu entwickeln, ganz zu schweigen. Diese üblichen Marien – Lieder sind der Beweis: Diese Kirche setzt auf volksreligiöse, intellektuell unkontrollierte Frömmigkeit und unsinnigen Wunder – Glauben. Die Kirchenführung will die Vernunft vor den Kirchentüren zum Stillstand bringen. Sie demonstriert also ihre Zurückweisung gegen die Moderne. Weiteres Beispiel: Ablehnung der Demokratie (also auch umfassende Synodalität der Gleichberechtigung aller) in der Kirche.

EINE aktuelle ERGÄNZUNG am 27.5.2024

Auch heute leben viele Katholiken, zumal in den romanischen Ländern, in einer äußersten innigen Verbundenheit mit Maria, der Mutter Jesu von Nazareth. Für diese Frommen ist Maria nicht die selbstbewusste Frau und Mutter vieler Kinder und Gattin ihres Mannes Josef, sondern die ins Jenseits der Spekulation geschickte Himmelskönigin, sie ist sogar die Mutter Gottes, wenn nicht gar – uneingestanden – eine göttliche Mutter. Also eine Mutter Gottheit: Gerade dies ist ein peinliches Thema für die Kirchenführung: Wie umgehen mit maßlosem Überschwang frommer Phantasien so vieler? Ökumenisch hält man sich zu diesem Thema in Rom sozusagen „unbefleckt – bedeckt“.

Weltweit, vor allem auch in Italien, „wollen heute mehr Menschen als jemals zuvor Maria gesehen haben“, Maria ist ihnen also „erschienen“, berichtet „Christ und Welt“, Beilage von „Die Zeit“ am 23. Mai 2024. „In den Berichten – es sind Dutzende allein aus den vergangenen drei Jahren – geht es um Blut weinende Statuen der Muttergottes, es geht um Weissagungen, welche die Gläubigen von der Jungfrau erhalten haben wollen“…, schreibt Tobias Asmuth. Die Kirchenführung hat jetzt ihre große Mühe, diese ins Maßlose, ins Spinöse und Groteske und Betrügerische abrutschende Maria – Verehrung in dogmatisch korrekte Bahnen zu lenken.

Im folgenden Beitrag wird diese maßlose, irrationale Maria – Verehrung begründet: Sie hat einen Grund in vielen ebenso maßlosen, irrationalen Marien-Liedern der katholischen Gesangbücher. Diese Lieder – meist aus dem 18.und 19. Jahrhundert – hat die offizielle Kirche bis heute nicht nur geduldet, sondern explizit gepflegt. Nur langsam werden offiziell Revisionen vorgenommen, die aber wenig nützen, denn allzu stark sind die Bilder von der Himmelskönigin und der makellosen Jungfrau in den Seelen der Frommen verankert.

……………………………

1.
Theologie, die den Anspruch hat, kritisch zu sein, kann im Jahr 2024 nicht darauf verzichten, auch kritisch die in den katholischen Gottesdiensten auch heute noch üblichen Lieder, zum Beispiel die Marien – Lieder hinsichtlich ihres Textes zu untersuchen. Über die musikalische Qualität wollen wir schweigen.

2.
Wenn der christliche Glaube eine begründete Lebensorientierung sein will, kann er nicht darauf verzichten zu prüfen, mit welchen Inhalten denn die Menschen etwa in den Liedern konfrontiert sind, die zu singen sie in Gottesdiensten aufgefordert werden.

3.
Wir konzentrieren uns hier nur auf katholische Kirchenlieder, evangelische kann man später vom Inhalt untersuchen und auch dort fragen: Was ist nachvollziehbare, aber anspruchsvolle religiöse Poesie auch im Jahr 2024 in West – Europa? Was ist schlicht und einfach mitgeschleppter religiöser Wahn aus dem 16. bis 20. Jahrhundert.

4.
Unsere Analysen fallen knapp aus, sind eben Hinweise für weitere Forschungen und es können längst nicht alle Marien – Lieder untersucht werden.

5. BEISPIELE:
„Freu dich du Himmelskönigin“, Gotteslob Nr. 576.

Da werden die singenden Gläubigen im Text dieses sehr beliebten Liedes aufgefordert: Sie sollen Maria im Himmel („Himmelskönigin“) zurufen: Maria freu dich im Himmel, darüber, dass alles Leid, also auch das Leid Marias, „hin ist“, wie es im Text heißt. Nicht die Gläubigen sollen sich primär freuen, dass Jesus von Nazareth „auferstanden“ ist, nein: Maria im Himmel soll sich freuen über ihres Sohnes Auferstehung. Bei so viel Freuden – Zuspruch der Irdischen an die Himmelsköngin fehlt nicht das Flehen am Schluss: Sie solle doch im Himmel, bei Gott, „für uns (Menschen) bitten…

6.
„Lasst uns erfreuen herzlich sehr“, Gotteslob Nr. 585.

Da sollen sich die Gläubigen über die Auferstehung Jesu von Nazareth freuen. Warum? Wieder ein befremdlicher Gedanke: Weil Maria nicht mehr „seufzt und weint“. Nicht die Gläubigen sollen sich freuen, nicht sie sollen aufhören zu weinen, sondern bestenfalls über den Umweg, dass sich Maria im Himmel freut. Darf man ein solches Denken „entfremdend“ nennen? Gewiss!
Nebenbei: Als ich einst im Kloster war, haben kritische „Mitbrüder“ eher in leisen, ängstlichen Tönen anstelle von „Maria seufzt und weint nicht mehr“ gesungen: „Maria säuft, aber weint nicht mehr“. Das war natürlich etwas blasphemisch, aber der Beginn eines frommen religionskritischen Bewusstseins.
Ganz schlimm wird es in Strophe 5, wo die Frommen singen: „Aus seinen Wunden fließen her, Halleluja, fünf Freudenseen, fünf Freudenmeer, Halleluja“! Verstehe es, wer Laune hat: Jedenfalls gehören solche Liedchen zur „Denken beim Singen bitte abschalten“. Kann man ja noch machen, wer will, es werden immer weniger, die dieses Lied im Ernst mit – singen wollen und können.
Schon komisch, dass solch ein Gesangbuch 1975 (sic) noch erscheinen konnte. Haben die Theologen damals geschlafen?

7.
„Meerstern, sei gegrüßt“, Gotteslob Nr. 578.

Maria als Meeres- Stern zu verehren, ist ein alter Glaube aus Seefahrerzeiten.
Aber der Text in Strophe 1 geht weiter: „Gottes hohe Mutter, allzeit reine Jungfrau, selig Tor zum Himmel“.
Da werden Behauptungen gemacht, die viele Christen heute nicht mehr nachvollziehen können: Maria als Gottes Mutter: Gott hat also eine Mutter. Ist dann diese Frau eben als Mutter früher gewesen als Gott, der Ursprung von allem. Ist dann Maria eine Art Ur-Göttin?
Maria als allzeit reine Jungfrau finden viele, als Formel verwendet, doch sehr problematisch: Maria als wirkliche Frau ist viel näher bei den Menschen… Und ist Maria das „Tor zum Himmel“, also zur Erlösung als „Sein mit Gott“. Kann an ernsthaft auch nicht singen. Denn wenn es eines (von vielen!) Toren zum Himmel gibt, dann wohl die humane Gestalt des Jesus von Nazareth.
Und dieser „Meeresstern“ soll in Strophe auch noch „der Schuldner Ketten lösen“…Das wäre aktuell wirklich wichtig. Macht Maria als Maria im Himmel aber nicht. Als Frau in Nazareth hat sie Schuldner unterstützt? Vielleicht!

8.

„Die Schönste von allen, von fürstlichen Stand“…(Nr. 864)

Jedes Bistum hat noch einen eigenen regionalen, Bistums – speziellen Anhang von Liedern. Und da wird das Nachdenken noch öfter ausgeschaltet. Den BerlinerInnen 2024 wird etwa zugemutet zu singen: „Die Schönste von allen, von fürstlichem Stand, kann Schönres nicht malen ein englische Hand“.
Wollen wir Demokraten wirklich eine Fürstin verehren? Die Dame aus Regensburg, Fürstin G. Von T. Und T. reicht uns völlig. Und auch diese Frage ist wichtig: :Was ist eine „englische Hand“ ? Kommen da die Briten zu Ehren? Die englische Hand bezieht sich auf die Hände der Engel. Seit wann Engel als totale Geistwesen denn nun Hände haben, fragt sich manch ein Sänger und fasst sich an den Kopf.
Diese himmlisch Frau, so wird behauptet, hat zudem „eine goldene Krone“, ein „Zepter“ führt sie, sie ist zudem „eine starke Heldin“. Wirklich beeindruckend! Und schon wieder geht s auch in der 2. Strophe ums Englische, da heißt es: „mit englischem Schritt der höfischen Schlange den Kopf sie zertritt“. Natürlich hat der englische Schritt wieder nichts mit Great Britain zu tun, man denke also nicht an das rüstige Gehen der greisen Königin Elisabeth II., nein: Maria soll mit dem Schritt eines Engels die höllische Schlange zertreten…
„Die Phantasie der Frommen gebiert Ungeheuer“ möchte man nun in Abwandlung des bekannten Capriccios (Nr. 43) von Francisco Goya sagen mit dem Titel. „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“.

9.
Wir wollen diese Hinweis auf nun wirklich sehr befremdliche Texte abbrechen, mit einigen sprachlichen Hinweisen noch aus anderen Marienliedern, die noch speziell im Gesangbuch für die Menschen im Bistum Berlin (1975 veröffentlicht) zum Singen anempfohlen werden.
In Nr. 866 „Wunderschön prächtige…“ wird Maria die „Sonnenumglänzete, die Sternumkränzete“, sogar „die Leuchte“ genannt, in Strophe 3 wird Maria gleichzeitig „Du Gottes Tochter und Mutter und Braut“ genannt…ja was denn nun: Tochter Gottes oder Mutter Gottes oder Braut .. von wem, vielleicht vom heiligen Josef? In Strophe 4 wird ein neues Wort erfunden, Maria sei der „Spiegel der Reinigkeit“ (sic)…Bitte erklärt mir, liebe Herausgeber dieses Gesangbuches, was ein „Spiegel der Reinigkeit“ ist. Doch wohl kein neues Presse – Erzeugnis aus dem Hause Augstein?

10.
Die Frage soll diskutiert werden: Wie oft und wie schnell wird in vielen offiziell katholischen Marien – Songs die Grenze von Glauben zum Aberglauben überschritten? Kaum zu zählen!
Braucht die katholische Kirchenführung diese Art von vertrackter Marien – Frömmigkeit, um die Frauen ins Mysteriöse abzuschieben, um ihnen nicht Gleichberechtigung (etwa Zugang zum Priesteramt) zu gewähren? Sehr wahrscheinlich. Solange solcher Schmarren gesungen wird, wird sich für Frauen nichts ändern in der katholischen Kirche.
Maria als Frau, als mutige Frau, als leibliche Mutter Jesu und dessen Geschwister, von ihrem Mann Josef gezeugt, könnte doch TheologInnen inspirieren … auch zum Lieder Komponieren, wenn man denn das noch will. Passiert aber nicht, oder eher sehr am Rande.

11. Zusammenfassung:
Die Autoren dieser Lieder damals wussten in ihrem totalen spirituellen Überschwang nicht, was sie da alles sich so zusammen reimten. Hauptsache das Reimen, wie dumm auch immer, stimmte, Theologie war egal. Und die – naturgemäß – wenig nachdenklichen Frommen jubelten mit und wussten gar nicht, was sie da alles so singen. Das ist ja ein weit verbreitetes Phänomen, man denke daran, dass der widerwärtige Text der Nationalhymne Frankreichs immer noch geschmettert wird, sicher ganz laut, wenn denn die rechtsextreme Marine Le Pen Präsidentin wird…

Die Herausgeber solcher offiziellen katholischen Lieder für Menschen im Jahr 1975 wussten gar nicht, wie viel Aberglauben sie den heutigen Katholiken zumuten können.

Und die Singenden heute? „Sie wissen nicht, was sie da singen“. Kann man ja machen, bei vielen Schlagern wird auch heute noch viel Unsinn und Blödsinn gesungen. Aber ist das eine Entschuldigung dafür, dass in Gottesdiensten nicht nachvollziehbare Texte gesungen werden? Gottesdienste sollen als geistliche Dienste an den Menschen einen reifen, einen denkenden, einen kritischen Gläubigen unterstützen und pflegen wollen. Diese Lieder sind eine geistige und theologische Katastrophe. Kann man diese Katastrophe noch bewältigen oder wenigstens einschränken: Aufklärung tut not. Wird aber nicht passieren in dieser Kirche, die, wie Papst Franziskus kürzlich richtig sagt, eine „absolute Wahl – Monarchie“ ist.

Zu den Marienliedern: LINK.

Zur Marseillaise: LINK.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

Über „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (Immanuel Kant,1793).

WARUM sollen wir uns mit Kants Religionsschrift auseinandersetzen und von ihr lernen?

Einige unvollständige Hinweise von Christian Modehn, geschrieben am 30.4.2024

Vorwort:
Weil Kant argumentierend sich gegen kirchlichen und sonstigen religiösen Fundamentalismus wendet, sollen wir jetzt die „Religionsschrift“ lesen und diskutieren.
Weil Kant zeigt: Religiöses Leben ist – auch im Sinne der Lehren Jesu von Nazareth – ethisches Leben, das den Grundsätzen der Vernunft entspricht.
Kant zeigt, nur ein hinsichtlich der Dogmen stark reduzierter Glaube, lässt eine menschenwürdige Form eines religiösen Lebens zu.
Kant zeigt: Es gibt die Möglichkeit, in dieser verrückten gewalttätigen religiösen Welt eine Art vernünftige Weltreligion aller Menschen zu denken und auch realisieren. Kant spricht von der „unsichtbaren Kirche“, die alle Menschen vereint.
Kant wehrt sich gegen die Vorstellung, religiös oder gar christlich seien jene Menschen, die an Wunder glauben, sich wie Kinder naiv an den herrschenden Klerus binden („Pfaffen“ sagt Kant) und meinen, mit religiösem Trallala in Gesängen und Riten, Wallfahrten etc. irgendetwas Sinnvolles für sich selbst und ihre seelische Reife zu tun: Das ist Entfremdung von der freien Selbstbestimmung des eigentlich vernünftigen Menschen. Er kann ja religiösen Trallala sehr moderat zum Spaß praktizieren, aber immer wissen: Religiöses Leben im Sinne des Lehrers Jesus von Nazareth ist etwas anderes: Ein ethisches Leben allein ist Gott wohlgefällig. Moralisch meint bei Kant: Den Grundsätzen der Freiheit und des Kategorischen Imperativs entsprechend

1.
Einige LeserInnen haben uns gebeten, angesichts der Lektüre unserer Texte zu Kants Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie eine, für weite Kreise bestimmte, hoffentlich dann auch zugängliche Hinführung zur Lektüre vor allem des 4. Kapitels dieses Buches zu schreiben.

2.
Kant plädiert, oft in mühsamen Formulierungen, für die Vernunftreligion, die sich dem Menschen aus der Reflexion auf die Vernunft selbst ergibt … mit ganz wenigen Grundsätzen, wenigen elementaren Glaubenslehren.
„Von dieser natürlichen“, d.h. vernünftigen, „Religion kann jedermann durch seine Vernunft überzeugt werden“ (B 232). Schon im „Dritten Stück“ des Buches heißt es: „Reiner Vernunftglaube beweist sich selbst“ (B 194)

3.
Zwei zentrale Erkenntnisse sind entscheidend für den Vernunftglauben: „Gott ist Urheber der moralischen Welt“. Und: „Es gilt der Vernunftbegriff der Unsterblichkeit.“ Davon kann man jeden „praktisch hinreichend überzeugen“ (B 236.)
Die Kirchenreligion der etablierter Art ist eine „gelehrte Religion“, d.h eine solche, deren Dogmen nur durch Prediger eingepaukt“ werden kann, also von außen indoktriniert wird. Kant spricht in dem Zusammenhang auch von (belastenden, entfremdenden) „Fronglauben“. Er bezieht sich auf Statuten der Religion, ist also ein „statuarischer Glaube.“

4.
Es geht Kant in dieser Schrift also um die Beförderung der entscheidenden Tugendgesinnung durch die Religion (das Christentum). Und Tugendgesinnung wird sichtbar in (moralisch) gutem Lebenswandel. Der wahre religiöse Mensch für Kant ist nicht jemand, der göttliche Gebote bloß äußerlich verehrt, (B 312), ohne dabei „den Willen des himmlischen Vaters tut (ebd.).

5.
Der vernünftige „natürliche ehrliche Mensch“ „auf den man in Geschäften und in Nöten vertrauen kann“ (B 313), wird von Kant gelobt als Beispiel der gelebten Tugendgesinnung. Der „ehrliche Mensch“ wäre also auch der säkulare Humanist oder der „vernünftig Religiöse.“ Ein solcher Mensch ist für Kant dem religiösen Menschen, der auf Gottes himmlische Gnaden vertraut, ebenbürtig. Die Frommen können den Vergleich mit den ehrlichen einfachen Menschen kaum aushalten, meint Kant.

6.
Am Ende seiner Religionsschrift spricht Kant vom WAHN des dogmatischen Glaubens. (B 301) . Wahn ist etwa der Glaube an Wunder.
Auch „das zur Kirche gehen“ als Gnadenmittel zu gebrauchen ist ein Wahn. (B 308.) Wahn gibt es auch bei der Taufe: Alle Sünden werden abgewaschen, heißt es in der griechischen Kirche. Dieser Wahn ist „fast mehr als ein heidnischer Aberglaube“. (B 310.)

7. Wesentlich ist:

Es geht zentral um die Erkenntnis des Unterschiedes :
– Die geoffenbarte, satzhafte, mit Büchern der Offenbarung, ausgestattete Religion wird von Klerikern beherrscht. Diese Religion soll letztlich überwunden werden.
– Und die sich aus der Reflexion der Vernunft selbst ergebende „natürliche“ Vernunftreligion. Diese ist allen Menschen zugänglich. Sie soll gefördert werden.

Beide Religionsformen sind im Christentums durchaus miteinander verbunden: Es kann in der geoffenbarten Religion etwas an Einsicht sein, das mit der allgemeinen Vernunft korrespondiert. Kant spricht vom „Keim“ des wahren Religionsglaubens. Auch in der kirchlich geprägten, der geoffenbarten Religion gibt es vernünftige Elemente, auf die die Menschen von selbst hätten kommen können. Darum kann Kant sagen, religiös gesehen sei seine Zeit die beste: Denn der allgemeine Vernunftglaube habe Keime in der Kirchenreligion, es gibt für Kant also eine Annäherung an die von ihm angezielte „unsichtbare Kirche aller guten Menschen“.

8.
Die Vernunftreligion lebt in einer „unsichtbaren Kirche“, diese ist ohne Strukturen, aber sie kennt durchaus Lehrer, die herrschaftsfrei die Vernunft-Religion erklären. DIESE VERNUNFTRELIGION SOLL ALS WELTRELIGION AUSGEBREITET WERDEN (B 237). Sie braucht eine Dienerschaft, aber keine Kirchenbeamten. Die Vernunftreligion der einzelnen existiert nicht als feste Organisation.

9.
Warum hat Kant diese Schrift verfasst, wo er doch stark von der Zensur des preußischen Staates bedroht war:
Kant zeigt, das er alles andere als eine Vernichter der metaphysischen, also der aufs Göttliche bezogenen Reflexionen ist.
Er spricht argumentierend von Religion. In seinen Hauptschriften hatte Kant den Begriff der Erkenntnis auf die begriffliche Wahrnehmung der Objekte der Außenwelt bezogen. Seine Darstellungen zur Religion sind also streng genommen, im Kantischen Sinne, keine „Erkenntnisse“, sondern eher in Begriffen gefasste Denk – Notwendigkeiten. Aber sofern sie begründet sind, kann man über Kant hinaus gehend diese seine Aussagen durchaus auch im weiteren Sinne Erkenntnisse nennen, denke ich.

10.
Es geht Kant auch in dieser Schrift um einen Durchbruch in der Religions- und der Kirchengeschichte: Es geht ihm um die Förderung der natürlich genannten Vernunft – Religion. Diese ist tatsächlich die in aller Menschen Herz geschriebenen Religion (B 239. ) Sie hat in Jesus einen Lehrer. Jesus ist das Ideal der gottwohlgefälligen Menschheit. Aber Jesus ist für Kant kein Gott-(Mensch).

11.
Nur die „reine moralische Herzensgesinnung“ (B 240) ist religiös und menschlich entscheidend. Diese Forderung des praktischen moralischen Lebenswandels ALS gelebte Religion entspricht den Vorstellungen Jesu von Nazareth: Für ihn ist das menschlich gute Leben Kriterium für ein Gott wohlgefälliges Leben (B 242). Insofern zeigt Jesus selbst schon eine vernünftige Religion, die allen Menschen durch ihre eigene Vernunft verständlich vorgelegt werden kann. (B 246.)

Der Text Immanuels Kants: LINK

Siehe auch diese weiteren Hinweise zu Kant von Christian Modehn:

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Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.