Die 3. unerhörte Fragen: Inwiefern ist der heutige Katholizismus immer noch vom Aberglauben bestimmt?

Ist der Katholizismus auch heute noch, nicht nur eine Religion des Wunderglaubens, sondern auch des Aberglaubens?

Von Christian Modehn, am 10.6.2021.

Was bedeutet „unerhört“?
1.Unerhört werden außerordentliche Themen (auch Dinge) genannt.
2.Als unerhört gilt, wenn ein Wort, ein Vorschlag, von anderen nicht gehört und nicht beachtet wird, also un-erhört bleibt, mit Schweigen übergangen wird. Unerhörtes wird oft von Machthabern „totgeschwiegen“. Und die Fragenden werden zu “unerhörten Leuten” erklärt…

Die 3. unerhörte Frage also:
Inwiefern ist der heutige Katholizismus immer noch vom Aberglauben bestimmt

1.

Ein Gebetssturm wegen der Pandemie wurde bereits kürzlich offiziell von Papst Franziskus entfacht. Durch Rosenkranz-Gebete sollte Gott im Himmel bestürmt werden, für eine gute Lösung der Pandemie zu sorgen. Die Ergebnisse dieses weltweiten Betens kann man sich ansehen und darf wohl sagen: Geholfen hat nachweislich die Wissenschaft der Medizin, etwa das Impfen. Die Impfgegner ließen sich durch den Gebetssturm nicht korrigieren. Sie blieben stur. Und stecken andere an. Die Frommen wurden hoffentlich bestärkt, durchzuhalten und aufs Impfen zu warten.

Schon dieser „Gebetssturm“ im Mai 2021 hatte den Charakter von Aberglauben: „Bete nur heftig und viel, und Gott persönlich wird dich und die Welt insgesamt gesundheitlich heilen“.

Nun aber geht es weiter: Vom 7. Juni bis zum 15. August 2021 wird erneut ein großer Gebets – „Marsch“ quer durch Frankreich stattfinden, um alle Familien der Nation dem heiligen Josef anzuvertrauen. Dies ist der französische Beitrag zum Josefs-Jahr, das der Papst schon 2020 ausgerufen hatte.

Also, ein Josefs-Jahr: Ja, wirklich, dem Gatten Mariens, dem Vater Jesu von Nazareth, dem Bautischler dort selbst, gilt die Verehrung. Aber was ich da schreibe ist ein offizieller Irrtum in der Person: Denn der heilige Josef ist nach katholischer Dogmatik ein ganz anderer: Er ist nicht etwa der wirkliche, der leibliche Vater Jesu, von dem aufgeklärte Theologen gelegentlich sprechen, sondern der katholisch ersonnene sexuell eher apathische alte so genannte „Nährvater“ Jesu. Denn das Kind Mariens, also Jesus, wurde ja dem Mythos folgend von Gott selbst gezeugt. Gott ist der Vater des Jesus von Nazareth!
Von dem asexuellen Nährvater Josef, meist sehr alt auf Barock – Gemälden dargestellt, überliefern die Bücher des Neuen Testaments meines Wissens höchstens zwei oder drei Sätzchen. Genaues weiß man von ihm nicht, seinen Tod kennt niemand, keiner weiß, ob er die Kreuzigung seines „Pflege-Sohnes“ erlebt hat etc. Alles ungewiss. Aber die Kirche spekuliert trotzdem ungebremst: Fürsorglich war der Mann Josef, sexuell und erotisch aber völlig desinteressiert und … darin wohl für die Kleriker ein Vorbild für katholische Familien auch heute.

Alle sollen sich nun im Juli und August 2021 ihm anvertrauen und um himmlischen Beistand bitten. Denn der heilige Josef kann im Himmel Gott selbst direkt anflehen, seine irdischen Josefs-Freunde in Frankreich besonders zu schützen. Dies ließ jedenfalls der Apostolische Nuntius in Frankreich, Monsignore Celestino Migliore verlauten, als er den Josefs-Pilgern die Segenswünsche von Papst Franziskus übermittelte: „Indem der Papst diese Pilger der Fürbitte des heiligen Josef anvertraut, gewährt der Papst von ganzen Herzen seinen väterlichen und liebevollen apostolischen Segen“.

Die Josefspilger können selbstverständlich wie alle anderen glauben, was sie wollen. Die Josefs-Pilger glauben ja auch an den Gnadenort des heiligen Josefs zu Cotignac in der Provence, im Bistum Fréjus – Toulon. In Cotignac ist nämlich am 7. Juni 1660 Josef persönlich „erschienen“, die einzige Josefs-Erscheinung neben zahllosen Marien-Erscheinungen, wie in Fatima, Lourdes etc…In Cotignac hat der heilige Bautischler aber auf einen Stein (!) verwiesen und sagte dem durstigen Hirten Gaspard Richard: „Ich bin Joseph, (mit ph geschrieben), hebe diesen großen Stein dort in dieser Gegend ohne Wasser und du wirst trinken“. Und siehe da: Es floss Wasser aus einer Quelle. „Schöpft mit Freuden aus den Quellen des Erlösers“ ist noch heute an der Stelle zu lesen, wo die Quelle „entsprang“. Während der Französischen Revolution und danach wurde diese wunderbare Josephserscheinung vergessen, der Wunderglaube wurde erst 1975 wieder belebt und als „Erscheinung“ offiziell von der Kirche anerkannt.

In dieses provenzalische Dörfchen schieben also die Josefs-Gläubigen von Paris aus die Josefs-Statue (auf einem einrädrigem Rollstuhl, einer „Joelette“, quer durchs Land. Auf Josefs Schultern sitzt segnend das Jesuskind, so dass man eher an eine Christophorus-Statue erinnert wird. Der Pilgermarsch wird mehrere Wochen dauern, die Veranstalter hoffen, viele gute Gespräche auch mit „Nicht-Glaubenden“ unterwegs.

Wie gesagt: Jeder kann glauben was er will, solange er damit nicht das friedliche Zusammenlebt stört. Das ist bei den Josefs-Pilgern wohl nicht der Fall.

2.

Aber es könnte doch ein Bischof mal auf den Gedanken kommen: Welche Form von Glauben demonstrieren wir Katholiken eigentlich öffentlich mit solchen Wallfahrten, mit solch einem Glauben, dass der asexuelle Vater Jesu im Himmel Fürsprache bei Gott hält? Was soll das? Ist im Himmel auch Jahrmarkt? Verdummt man die wenigen verbliebenen Gläubigen mit solchem Wahn und raubt ihnen die Zeit mit solchem Engagement? Kann sich der Katholizismus nicht auch populär UND vernünftig – modern zeigen? So aber wird bei den vielen kritischen Menschen heute das Wissen bestätigt, dass der katholische Glaube doch auf weite Strecken ein päpstlich zugelassener und geförderter Aber-Glaube ist.
P.S.: Über die inzwischen weltweit bekannten reaktionär-katholischen Zustände im Bistum Fréjus-Toulon, wo sich das Josefs-Heiligtum befindet, habe ich schon einige Hinweise verfasst. Auch zum dortigen extrem – reaktionären Bischof Dominique Rey, er ist ein „Versteher“ der rechtsradikalen Partei Front National; Rey gehört der charismatischen Gemeinschaft EMMANUEL an.

WARUM ist diese Frage wichtig? Weil sie zeigt, in welchem geistigen Zustand etliche Kirchenführer und Familien und besonders die Väter sich befinden und eine Phantom-Gestalt verehren, einen Vater, der kein leibiicher Vater ist, eine heilige Familie, die eigentlich deswegen keine Familie ist; zudem werden die im Neuen Testament genannten Geschwister Jesu von der Kirche ignoriert bzw. als Cousins etc. umtituliert.

Vor allem aber: Da wird eine männliche Phantomgestalt, der keusche alte Joseph, als heiliges Vorbild auch heutiger Gestaltung von (männlicher) Sexualität und Erotik propagiert. Was für ein Wahn!

Abgesehen davon, wie befremdlich es ist: Eine Kitschfigur im Sommer durch die Straßen von ganz Frankreich zu schleppen und zu ziehen: Auf welchem Niveau ist der Katholizismus eigentlich allmählich gelandet?

Es gibt für die heutige Menschheit sehr viel dringendere Themen als dieses Josephs-Spektakel und andere Marien-Spektakel….als diesen Aberglauben, der sich katholisch nennt.

Das sind die Themen, neben den berechtigten „Missbrauchs-Themen“, an denen sich der Katholizismus abarbeiten sollte, falls er für moderne Menschen noch relevant sein sollte und wollte.

Hinweise zum unerhörten Thema “Voltaire gegen den Aberglauben” LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Pariser Commune (1871) spaltet noch heute.

Ein Hinweis von Christian Modehn: Wie die katholische Kirche ihrer politisch – konservativen Helden gedenkt und sie „seligspricht“.

1.
Am Samstag – Nachmittag des 29. Mai 2021 zogen etwa 300 fromme Katholiken durch die Straßen im Osten von Paris. Sie nannten ihre Demonstration eine Prozession bzw. Pilgerfahrt. Sie wollten, von einigen Priestern angeführt, ganz offiziell wie zum Gottesdienst in Messgewändern gekleidet, der „Märtyrer der Commune“ gedenken. Vom Erzbistum unterstützt, erwiesen sie auf diese Weise öffentlich den Klerikern die Ehre und Verehrung, die Ende Mai 1871 während der Pariser Commune von den Communarden erschossen wurden. Und ihr öffentliches Gedenken nannten sie „Wallfahrt“, veranstaltetet auf den Straßen, die auch die Märtyrer zu ihrer Erschießung gehen mussten.
Die Teilnehmer an der „Wallfahrt“ hatten sich spirituell darauf vorbereitet, wie sie berichten, ihr theologischer Leiter kam wohl aus der Pfarrei, die sich „Notre Dame des Otages“ im 20. Arrondissement nennt, also „Unsere Liebe Frau der Geiseln“. Diese Gemeinde wurde 1936 errichtet, die Basilika „Sacre Coeur de Montmarte“ stand da schon längst, sie war und ist ein machtvolles Symbol des Protestes gegen die Pariser Commune, deswegen wurde sie errichtet. Genau in der Umgebung von Montmartre begann die Commune…und auf dem Friedhof Père Lachaise im Norden von Paris endete sie.
Die aktuellen Wallfahrer behaupteten, keinerlei politische Interessen zu haben. Alles sei eine fromme Wallfahrt, absichtslos spirituell. Wer die lange Erklärung der Wallfahrer liest, publiziert in der katholischen Tageszeitung La Croix (Paris) vom 3. Juni 2021 spürt, wie sich dort die traditionelle Frömmigkeit äußert: Die Kirche wird dabei „die Zeugin DER Wahrheit“ genannt, die Kirche kann also die Wahrheit über die Commune sagen, und nicht etwa Historiker. Und diese Katholiken wollen „die Liebe Christi in die Straßen tragen“. Das gelang dann doch nicht, weil die Wallfahrer gestört und attackiert wurden. Doch zunächst einige Fakten:

2.
Es waren ca. 10 Kleriker, die in der „Blutigen Woche“, während der definitiven Niederschlagung der Commune, erschossen wurden. Die Communarden hatten zuvor gefordert, dass einer der ihren, der sozialistische Politiker Louis Auguste Blanqui, von der reaktionären Regierung in Versailles festgehalten, nun freigelassen werden sollte. Im Austausch wollten die Communarden ihre Geiseln, die Kleriker, frei lassen, darunter auch den Pariser Erzbischof Darboy. Aber der Machthaber in Versailles, Adolphe Thiers, lehnte ab, gut kalkulierend, dass nun die erzürnten Communarden sich entschließen, ihre Geiseln, die Kleriker, zu erschießen: Weil das geschah, hatte Thiers nun endlich allen Grund, gegen die „Vernichter der Kirche“ vorzugehen. Und zwar mit blutiger Gewalt, mindestens 20.000 Bürger wurden in der „blutigen Woche“ von den Regierungstruppen umgebracht. Da sollte man einen Zahlenvergleich wagen: 20 von den Communarden ermordete Kleriker – Geiseln stehen den etwa 20.000 Communarden und demokratisch gesinnten Bürger in der Commune gegenüber, die von den offiziellen Truppen der Regierung zum Teil bestialisch ermordet wurden, von einer Regierung, die sich konservativ, katholisch und monarchistisch verstand. Und die von der Kirchenführung und dem Klerus völlig unterstützt wurde.

3.
Die frommen „Pilger“ in Paris am 29. Mai 2021 wurden bei ihrer angeblich nur spirituell gemeinten Wallfahrt, völlig überraschend, auf den Straßen mit Flaschen beworfen und mit Schlägen attackiert. Und zwar von Linksextremen, „Antifas“ (Antifaschisten) und Anarchisten, wie die katholischen Veranstalter sagen und die Presse betont, etwa auch die katholische Tageszeitung „La Croix“ oder der konservative „Figaro“. Der Historiker Etienne Fouilloux nannte diese ungewöhnlichen Aggressionen gegen eine katholische Demonstration, die offiziell auch polizeilich angemeldet war, „ein Wiedererstarken des Antiklerikalismus“. Der Pariser Erzbischof Aupetit will wegen dieser Gewalt gegen Katholiken die Gerichte bemühen.

4.
Einige kritische Katholiken wollten angesichts der Gewalt vermitteln, sie publizierten ihre Erkenntnisse zu der so genannten Prozession bzw. der „Pilgerfahrt“ durch die Pariser Straßen. Sie nannten diese offizielle kirchliche Unternehmung „eine spirituelle und politische Verirrung“ („aberration“). Es ist klar, dass auch diese Katholiken jegliche Gewaltanwendung gegen die „Pilger“ ablehnen. Aber diese wenigen kritisch reflektierenden Katholiken wehren sich gegen die Vorstellung: Die ermordeten Katholiken wären die „Guten“ (und Heiligmäßigen), die Communarden hingegen die Atheisten und Mörder. „Die katholischen Geiseln wurden getötet, nicht etwa, wegen ihres christlichen Glaubens. Sondern weil die Communarden meinten, sie gehörten politisch zu den Feinden der Ideale der Commune“. Die Getöteten waren also nicht automatisch Märtyrer, wie die Katholiken der Prozession bzw. der Pilgerfahrt durch Paris am 29.5.2021 meinen. Es waren nur Bürger, die letztlich der demokratischen Commune gegenüber politisch feindlich eingestellt waren, „es gab eine Verteufelung der Commune durch den Klerus damals“.
Wenn sich also heute Katholiken in Frankreich (laut und vernehmlich für die ganze Presse) für die sogenannten „Märtyrer“ von 1871 einsetzen, grenzen sie sich ab von einer objektiveren Einschätzung der Leistungen und der Ideale der Commune. „So wird von den Katholiken auch heute „verschwiegen, dass viele Tausend Communarden von der sich katholisch nennenden Regierung in Versailles umgebracht wurden. Das politische Modell der Commune , radikal demokratisch und egalitär, entspricht in mancher Hinsicht den fundamentalen Begriffen der Soziallehre der Kirche“, schreiben die 15 kritischen Katholiken. Siehe dazu die Tageszeitung La Croix am 2.6.2021.
Diese Erkenntnis bedeutet für die katholischen Kritiker der politisch – spirituellen „Wallfahrt“ andererseits auch keine Idealisierung der Commune…. Zu den Unterzeichnern gehört der Jesuitenpater Maurice Joyeux, der Journalist Paul Piccarreta, der Soziologe Pierre-Louis Choquet…

5.
Nun wird immer häufiger berichtet, dass vor allem ein Priester offiziell „seliggesprochen“ werden soll, der von den Communarden erschossen wurde: Père Henri Planchat (geboren 1823) wurde am 26. Mai 1981 von Mitgliedern der Pariser Commune erschossen. Nun soll er „seliggesprochen“ werden, er also darf dann wie ein Heiliger verehrt und um himmlischen Beistand gebeten werden. So lehrt es nun einmal der Wunder- und Heiligen-Glaube der Kirche.
Planchat hat als Pfarrer im Armen – Viertel rund um die Rue des Charonne den Armen beigestanden, obwohl er, so wird betont, eigentlich einem reichen bürgerlichen Milieu entstammte. Eine Ausnahme damals. Er hat sich über die Communarden nie polemisch geäußert, andere Priester hingegen damals nannten die Communarden „wilde Tiere“. „Er hat also nachweislich niemals voller Hass auf die Commune gesprochen“, betonen die Priester, die jetzt die Seligsprechung des Armen – Paters betreiben. Um 1990 wurde in Rom der „Prozess der Seligsprechung“ unternommen, begonnen hatte er schon 1896. Er soll als Märtyrer verehrt werden, weil bei seiner Anrufung im Himmel jetzt schon „Wunder“ geschehen sind.
Planchat wurde schon im März 1871 von einigen Communarden mit Gewalt bedrängt und dann am 6. April verhaftet, weil er sich als Priester eher ungewöhnlich damals um das Wohl der Armen kümmerte? Oder waren die Hilfsangebote des Pfarrers „zu spirituell“ in der Sicht der Communarden?

6.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass am gleichen Tag, am 29.5.2021, eine andere Demonstration durch die Boulevards von Paris zog: 100 verschiedene linke Organisationen hatten zur Demonstration aufgerufen zur Erinnerung an die Pariser Commune. Und 15.000 (!) TeilnehmerInnen waren dabei, behaupten die Veranstalter des „Vereins Freunde der Pariser Commune“. Und sie betonen: Über deren große Demonstration hätten nur die Tageszeitungen L Humanité und Libération berichtet, während die spirituell – politische „Wallfahrt“ der 300 Katholiken von den Medien ausführlich gewürdigt wurde.

7.
Man darf in dem Zusammenhang auch nicht vergessen: Die katholische Kirche hat vorbildliche Helden, Selige und Heilige, wie sie sagt, fast immer in Kreisen der politisch Konservativen, auch der Reaktionären gesucht und gefunden: Es waren eben hierarchie-/kirchentreue Leute, von den Dogmen völlig überzeugt und dem Klerus ergeben. Das wird etwa deutlich, wenn man die riesigen Zahlen der Selig – und Heiliggesprochenen aus dem Spanischen Bürgerkrieg unter dem katholischen General Franco betrachtet. Märtyrer des Spanischen Bürgerkrieges waren in katholischer Sicht, wobei die Zahlen nie so klar sind, 12 Bischöfe, 4184 Priester und Priesterseminaristen, 2365 Ordensmänner und 283 Ordensfrauen, dazu Tausende Laien starben nach den offiziellen Zahlen der katholischen Kirche im Spanischen Bürgerkrieg 1936/1937. 969 der Katholiken, die als Laien und Priester und Ordensleute umgekommen sind, wurden später von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seliggesprochen. Sie können als „Märtyrer für den Glauben“ verehrt werden. Tatsache ist, dass auch deren Glauben eng verbunden war mit den rechten politischen Positionen. Sie wurden von der damaligen noch rechtmäßig bestehenden republikanischen Regierung als politische Gegner ermordet.
Republikanische, linke Priester und katholische Laien hingegen wurden später von den Faschisten Francos getötet. Von ihnen spricht kaum jemand.
Schließlich gab es dann noch ein gutes Einvernehmen zwischen der Kirche und dem Franco-Staat: Der Vatikan erkannte bereits im August 1938 – also noch während des Bürgerkrieges – die Putschisten um General Franco als Führer Spaniens an!
Papst Franziskus verfügte, schon gleich nach seiner Wahl zum Papst, dass am 13. Oktober 2013 über 500 weitere „Märtyrer“ des spanischen Bürgerkrieges in Tarragona selig gesprochen wurden. Dieses Ereignis war, was die Zahlen angeht, die größte Seligsprechung in der katholischen Kirche.
Wikipedia schreibt in dem Beitrag über „Seligsprechung spanischer Bürgerkriegsopfer“: „Kritiker bezeichnen die Auswahl der berücksichtigten Bürgerkriegsopfer als willkürlich. Katholische Geistliche, die von den Milizen Francisco Francos wegen ihres Widerstands gegen die Anweisungen der Amtskirche, welche das Vorgehen der Faschisten als „Kreuzzug“ legitimierte, ermordet wurden, seien nicht seliggesprochen worden“.

Linke Katholiken werden eher sehr selten selig oder heiliggesprochen, dies gilt wohl sich für demokratische “Helden” der Pariser Commune…Linke Katholiken wurden und werden sowieso zu Lebzeiten verdächtigt und degradiert, siehe die Befreiungstheologen in Lateinamerika. Erzbischof Oscar Romero von El Salvador ist wohl der einzige linke Kleriker, der, viele Jahre nach seiner Ermordung 1980 durch rechtsextreme, sich katholisch nennende Militärs, nach langen mühsamen Debatten, vom Vatikan selig- und dann heiliggesprochen wurde. Aber: Erzbischof Helder Camara aus Brasilien, ein Linker, vom Volk seit Jahren als Heiliger längst verehrt, ist bis heute nicht heiliggesprochen…
Bei dem reaktionären Gründer des internationalen Geheim-Clubs „Opus Dei“ ging es bekanntlich ganz schnell mit der Heiligsprechung…So wollte es unbedingt Papst Wojtyla.

8.
Nebenbei:
Papst Pius XII. sagte 1939 in einer Radioansprache: „Die von Gott auserwählte spanische Nation (unter Franco) hat den zum materialistischen Atheismus Bekehrten (also den Republikanern) gezeigt, was die Werte der Religion sind“. Meinte der Papst mit den “Werten” das Abschlachten der Linken und Republikaner durch die katholischen Leute von Franco?
Später wurde Staatschef Franco – als Laie – zum „Protokanonikus“ der römischen Basilika Santa Maria Maggiore ernannt. Die Bindungen zwischen Faschismus und Vatikan haben also sehr früh begonnen: „Hauptsache katholisch und klerikal – was sonst ein Politiker tut ist egal“, war offensichtlich nachweisbar das Leitprinzip im Vatikan in Zeiten des größten Feindes, des teuflischen Bolschewismus. Faschismus war dagegen „halb so schlimm“ in vatikanischer Sicht. Siehe den vatikanischen Umgang mit Mussolini und Hitler…
(Quelle El Pais, 2. Juli 2007, Beitrag von Juan G. Bedoya.
Zu den spanischen Märtyrern siehe auch: https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Maertyrer_Spanischer_Buergerkrieg.html

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Katholische Kirche ist am toten Punkt: Kardinal Marx beurteilt den Zustand der katholischen Kirche.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 5. Juni 2021.

1.
In einem Brief bittet Kardinal Reinhard Marx den Papst, seinen Rücktritt als Erzbischof von München und Freising zu akzeptieren.
Dieser Brief und die Erklärungen von Marx zu seinem Rücktritt am 4.6.2021 enthalten wichtige Aspekte vor allem zur immer noch nicht umfassend bearbeiteten „Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten“, so Kardinal Marx wörtlich.
Auch die Auswirkungen des Rücktritts von Marx auf die anderen Bischöfe in Deutschland bleiben wichtiges Thema: Wie lange wird etwa der von den meisten Kölner Katholiken nicht mehr respektierte Kardinal Woelki sich noch mit aller Macht an sein Amt klammern können? An eine Vertreibung Woelkis aus seinem Bischofspalais in Köln denken die Kölner wohl noch nicht.
2.
Viel wichtiger und ganz zentral und bedenkenswert sind drei Worte in dem Brief von Marx an den Papst: Es handelt sich um den „gewissen toten Punkt“, an dem sich für Kardinal Marx die katholische Kirche jetzt befindet.
3.
Die Katholische Kirche also: An einem “toten Punkt”! Das hat man in der Deutlichkeit noch nicht von einem der prominentesten Kardinäle gehört. Klingt entfernt etwas nach Martin Luther. Was für eine treffende und wahre Analyse der Zustände der römischen Kirche heute. “Am toten Punkt”, das könnte heißen: Diese Kirche ist zwar noch vorhanden, als Organisation, als Macht rituellen Geschehens, als Repräsentation des Klerus mit allem üblichen „Brimborium“ der Mitras und Hirtenstäbe, umwölkt von Weihrauch-Schwaden. Aber, wie gesagt, diese Kirche ist weithin nur noch vorhanden, sie lebt nicht mehr, ist nicht mehr kreativ, ist nicht mehr lebendig. Und lebendig heißt: Mutig auch inhaltlich den christlichen Glauben neu aussagen. D.h: Alten dogmatischen und kirchenrechtlichen “Schrott”,könnte man diese dogmatisch ausgetüftelte System nennen, also entrümpeln, wie etwa das Zölibatsgesetz, den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt, die “Ehe für alle” als Sakrament (nicht nur als “Segnung”) gestalten usw. Alte Traditionen mögen zwar alt sein, aber sie sind keineswegs noch “ehrwürdig” für eine aufgeklärte Theologie und für demokratisch fühlende Menschen. Und ist es nicht geradezu lächerlich, wenn Kleriker so viel von Gott wissen und arrogant behaupten: Gott höchst persönlich will diese unsere Kirchengesetze?
4.
Der Duden belehrt uns, genau das von Kardinal Marx zitierte Wort „toter Punkt“ zu verstehen: „Die Wendung der tote Punkt kann zwei Bedeutungen haben:
– Ein Stadium, im dem keine Fortschritte mehr erzielt werden, in dem etwas stagniert: Die Verhandlungen waren auf dem toten Punkt angelangt.
– Ein Zustand stärkster Ermüdung, Erschöpfung: Ein starker Kaffee sollte ihr über den toten Punkt hinweghelfen“.

Die „Stagnation“ ist katholische Realität. Und sie ist von den Päpsten und den Klerikern seit Jahrzehnten und Jahrhunderten als solche gewollt. Natürlich gab es im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils (1962 -1965) kleine Reförmchen und Schönheitsreparturen, aber an den alten Dogmen (wie etwa dem furchtbaren Wahn der Erbsünde) wurde nichts verändert. Die unsäglich altertümliche Sprache der Messe wurde aus dem Lateinischen wortwörtlich in die modernen Sprachen übersetzt: Unverständlich fremd und störend ist diese Übersetzung aus dem Lateinischen bis heute.
Dies sind nur zwei Beispiele von vielen. Stagnation wird von den Hierarchen heute klein geredet mit dem Hinweis auf Reförmchen, etwa dass Laien ihre Meinung sagen dürfen (in „Laiengremien“), aber selbstverständlich nichts entscheiden dürfen (bestenfalls, ob die Sonntags-Messe um 11 Uhr statt um 10 Uhr beginnt). Von demokratischer Kultur keine Spur in dieser Kirche. Und die Päpste und Prälaten sind stolz darauf und sagen das so, dass ihre Kirche nicht demokratisch ist. „Gott will keine demokratische Kirche, wir Bischöfe reden zwar vom allgemeinen (!) Priestertum aller katholischen Gläubigen, aber wir Kleriker halten uns nicht daran”. Das ist die Realität, die jeder Aufmerksame kennt.

In der zweiten Duden-Definition des „toten Punktes“ wird auf eine mögliche Schocktherapie gegen den toten Punkt im Alltag verwiesen: Etwa Koffein bei starker Müdigkeit.
Im Falle der römischen Kirche heißt die „Schocktherapie“ gegen den Null-Punkt: Gebt der Vernunft, dem Geist, dem Verstand, den absoluten Vorzug in allen kirchlichen und theologischen Fragen. So wie die Missbrauchskatastrophe nicht von Klerikern wegen deren theologischer Befangenheit „gelöst“ werden kann, sondern nur von „auswärts“, also von vernünftigen Spezialisten, so kann auch der „tote Punkt“, an dem sich die Kirche theologisch befindet, nicht von der Theologie überwunden werden. Denn Theologie als „kirchliche, d.h. kirchen-amtliche „Wissenschaft“ ist befangen, wenn nicht blind, zumindest immer verängstigt.
Eine grundlegende Reformation einleiten kann allein eine kirchenamtlich unabhängige Vernunft. Sie allein ist imstande, den Wahn mancher Dogmen und Gesetze zu erkennen und deren Abschaffung zu fordern. Dieser Verzicht als Befreiung macht die Glaubens“lehre“ einfach und nachvollziehbar. Und weiter reformierbar und wieder neu aussagbar für spätere Generationen.
5.
Wird es dazu kommen, wird also „der tote Punkt“ überwunden werden? Kardinal Marx als frommer Theologe setzt erwartungsgemäß, so wörtlich, „auf den österlichen Glauben“, also auf eine Art Auferstehung der Kirche von den Toten. Dieser Glaube aber setzt bei der Überwindung des toten Punktes auf eine Aktivität Gottes. Aber Gott kann bekanntlich gemäß altem dogmatischen Denken „handeln“ wann und wie und wo er “wunderbar” will. Reformen geraten aber damit ins Willkürliche, in den Wartestand auf ein Wunder (der erneuten Auferstehung). Vielleicht will aber dieser Gott gar nicht mehr diese Kirche. „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“, fragte schon Nietzsche, vieles spricht heute dafür.
6.
Wer aber noch als Mensch auf seine Vernunft setzen will, hält an der Erkenntnis fest: Tote Punkte können NUR mit dem Mut der Vernunft überwunden werden. Vorausgesetzt: Alle Interessierten handeln vernünftig in ihren Reformen, und vernünftig heißt, philosophisch gesehen, immer auch frei und demokratisch.

Zur Vertiefung zu dem Thema: “Es ist vorbei”: Katholische Kirche in Europa: LINK
Und auch:LINK

Zum neuen Buch von Hubertus Halbfas, Säkulare Frömmigkeit: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der unbekannte Comenius ist der Theologe Comenius

Das neue Buch von Manfred Richter
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Keine Frage: Jan Amos Komensky ist nicht nur ein bedeutender Intellektueller Tschechiens. Er ist unter dem Namen Comenius weltweit bekannt als ein bis heute inspirierender Pädagoge, deswegen gilt er als „Lehrer der Völker“. Comenius lebte von 1592 bis 1670, er wurde von den katholischen Habsburgern in seiner Heimat verfolgt, flüchtete nach Polen und in die Niederlande, in Amsterdam ist er gestorben. Er hat ein sehr umfangreiches Werk hinterlassen, und darunter zahlreiche theologische Studien, die stets mit seiner kirchlichen Praxis verbunden sind. Und darum geht es hier.
2.
Jetzt hat der Berliner Comenius-Spezialist, Pfarrer Dr. Manfred Richter, erneut in einem umfangreichen Buch einige seiner gründlichen Studien zu dem hierzulande eher unbekannten Theologen und Bischof der protestantischen „Brüderunität“ Jan Amos Comenius vorgelegt: Der Untertitel macht von vornherein die ökumenische Energie dieses tschechischen Theologen deutlich: “Ein Bischof fordert: Ökumene radikal“. Warum radikal? Weil Comenius überzeugt ist: Eigentlich könnten die unterschiedlichen, verfeindeten protestantischen Kirchen mit gutem Willen und in friedfertigem Geist zur Versöhnung finden. Dabei werden auch die spirituellen Verbindungen von Comenius mit dem großen böhmischen Reformator Jan Hus deutlich: „Die Gemeinsamkeit liegt in der Bereitschaft, auf Gott selbst sein Vertrauen zu richten, nicht auf die abgeleitete Autorität der Kirche, die freilich ihre gottgewollte Bedeutung behält“ (S. 39).
3.
Zuflucht fand der aus dem katholischen Böhmen vertriebene Comenius auch in Polen. Mit den damals dort dialogfreundlichen Katholiken suchte er das ausdauernde, geduldige Gespräch, etwa im „Religionsgespräch in Thorn“ im Jahr 1645. Dort forderte er als Weg zur Versöhnung mit den Katholiken ein universales Konzil. Darüber hat Manfred Richter ein eigenes Buch verfasst.
Nebenbei: Heute hat das katholisch reaktionäre, antisemitische Medienimperium Radio Maryja in dieser Stadt Thorn (Torun) seine Zentrale, die beste Stütze der PIS Regierung. Ob der Manager, der Redemptoristen-Pater Rydzyk, schon mal den Namen Comenius gehört hat?
4.
Für viele LeserInnen neu dürfte sein, dass auch der Philosoph Leibniz den Theologen und Pädagogen Comenius schätzte, was sich in seinem Abschiedsgedicht zu Ehren von Comenius etwa ausdrückte (S. 359). Auch zum Thema „Leibniz und Comenus“ bietet das empfehlenswerte Buch von Manfred Richter viele Informationen.
5.
Comenius konnte als ökumenischer Vermittler wirken, weil er das Dogma der damals starken und mächtigen Kirchen teilte, das Trinitäts-Dogma, also den Glauben an den dreifaltigen, dreieinigen Gott. An diesem Bekenntnis hielt Comenius unerschütterlich fest in den Auseinandersetzungen mit der kleinen kirchlichen Bewegung der Sozzinianer, benannt nach den italienischen Juristen und Theologen aus der Familie Sozzini: Sie wollten und konnten nicht anerkennen, dass Jesus von Nazareth als Gott und damit als eine zweite Person in der Trinität betrachtet wird. Die Sozzinianer fanden ebenfalls Zuflucht in dem damals toleranten Polen. Comenius begegnete ihnen, den „Anti-Trinitariern“, also. Manfred Richter spricht von „aggressiven Bekehrungsbemühungen“ seitens der Sozzinianer. Und er nimmt als Historiker selbst persönlich Stellung, wenn er die Sozzinianer Christen nennt, aber Christen in Anführungszeichen, so werden diese verfolgten anders denkenden Christen erneut verurteilt. Gut, dass wenigstens die niederländischen Remonstranten die Sozzinianer immer noch schätzen. Woher kommt denn diese Arroganz zu wissen, dass der arme Prophet Jesus von Nazareth zur zweiten Person der Gottheit erklärt werden kann. Geht es nicht auch einfacher? Muss man einen lebendigen Gott immer trinitarisch denken? Sicher nicht, Gott „nur“ als Geist verstanden ist auch immer schon als Geist lebendig.
Manfred Richter schreibt etwa, die Sozzinianer hätten „die komplexe religiöse Logik des Heilsgeschehens (was ist denn das?, CM) nicht nachvollziehen können und eine „plumpe Eindimensionalität vertreten“ (S. 229, Fn. 16). Die Sozzinianer hätten also nicht die (offenbar trinitarische?) Qualität der Texte der Bibel gekannt, behauptet er. Als würde es im Neuen Testament auch nur einen einzigen bescheidenen Hinweis geben auf das Trinitätsdogma! Dieses ist ein Produkt des 4. Jahrhunderts, unter allerhand politischem Druck zustande gekommen, was hier nicht vertieft werden kann.
Über die Sozzinianer hat sich treffend und richtig der Philosophiehistoriker Kurt Flasch geäußert in seinem neuen empfehlenswerten Buch „Christentum und Aufklärung“.
Auch die in dem Buch „Der unbekannte Comenius“ geäußerte Liebe zu dem Kirchenvater Augustin, dem Erfinder der ebenfalls unbiblischen Erbsündenlehre, wirkt befremdlich, dass christliches Leben ohne die Erbsünden-Ideologie möglich ist, kann man anderswo nachlesen, LINK.
Aber Manfred Richter zweifelt offenbar dann doch an seinem Bravour-Urteil gegen die Sozzinianer und deren angeblicher Liebe zur willkürlichen Auswahl der Bibeltexte. Richter schreibt also in seinem Buch etwas später sehr richtig: „Allerdings muss die Frage erlaubt sein, taten es (also die willkürliche Auswahl) die orthodoxen Christen nicht auch, und bis heute? (S. 241.) Wohl wahr!
Nebenbei. Bei einer willkürlichen Auswahl der Bibeltexte wären dann also auch die so genannten orthodox glaubenden Christen Häretiker, also Leute, die auswählen.
Comenius sprach von einer triadischen Struktur der Wirklichkeit, die ein stummes Zeugnis biete für den dann doch auch triadisch gedachten Gott. Also weil Gott triadisch ist, ist die Wirklichkeit triadisch? Ist es nicht umgekehrt: Das Triadische wird von Menschen auf Gott übertragen, wie es später dann Hegel in seiner Logik der Dialektik tat: Weil der menschliche Geist (!) dialektisch, also irgendwie „trinitarisch“ ist, muss auch Gott als der absolute Geist, dialektisch, also „trinitarisch“, verstanden werden… Aber das nur am Rande, von Hegel ist in dem Buch Manfred Richters keine Rede.
6.
Weil das Thema der dogmatisch gefassten Trinität ja durchaus ein ökumenisches Thema sein sollte, das gegenüber den Festlegungen aus dem 4. und 5. Jahrhundert debattiert werden sollte: ein Zitat des großen katholischen (sic) Theologieprofessors und Dominikanermönchs in Nijmegen Edward Schillebeeckx: Er wollte und konnte ehrlicherweise von Gott nicht „zu viel wissen“. Er sah sich verpflichtet, Gott eben Gott sein zu lassen, als ein bleibendes Geheimnis. Darum sagte Schillbeeckx: „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitäts-Theologie fast ein Agnostiker. Ich bekenne die Trinität, aber ich übe gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Anstrengungen, die Beziehungen zwischen den drei (göttlichen) Personen rational zu erfassen“. („Edward Schillebeeckx im Gespräch“, Luzern 1994, S. 107).
7.
Ich habe im Oktober 2017 ein Interview mit Manfred Richter über seinen Vorschlag publiziert, eine „Erste gesamtökumenische Enzyklika“ zu verfassen. Das Interview ist nach wie vor interessant, es wird in dem Buch nicht erwähnt, siehe: LINK.

Manfred Richter, „Der unbekannte Comenius. Ein Bischof fordert – Ökumene radikal“. LIT Verlag Berlin 2021, 406 Seiten, 29,90 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Gott des Glaubens – Drei Fragen an den Theologen Prof. Wilhelm Gräb

Die Fragen stellte Christian Modehn

1.
Wenn es eine „typische Haltung“ der Menschen Gott gegenüber gibt, dann sprechen sicher die meisten vom Glauben: Gott, den viele den Unendlichen und Ewigen nennen, ist also (nur) im Glauben „erreichbar“. Aber was Glauben als Tat der Menschen bedeutet, muss ja noch geklärt werden: Wer auf die biblische Weisheit schaut, entdeckt: Glauben wird dort vor allem als Vertrauen gelebt. Ist diese „Definition“ auch heute ein guter Einstieg, um sich auf den „Gott des Glaubens“ zu besinnen?

Ja, so sehe ich das auch: Glauben bedeutet Vertrauen. Und sofern in diesem Vertrauen die Beziehung zu Gott sich aufbaut, bedeutet glauben zu können, aus Grundvertrauen zu leben. Der Begriff des Grundvertrauens gefällt mir zur Beschreibung der Beziehung zu Gott deshalb besonders gut, weil er das Woher des Vertrauens benennt, ohne es zu seinem Gegenstand zu machen. Der Begriff des Grundvertrauens stammt ja ursprünglich aus der Psychologie und wurde von Erik Erikson eingeführt, um die lebensgeschichtlich tragende Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung zu beschreiben.

Was mit dem Begriff des Grundvertrauens ausgedrückt werden soll, ist dann aber eine auch religiös bedeutsame Erfahrung. An der innigen Mutter-Kind-Beziehung zeigt sich, gewissermaßen exemplarisch, dass all den Gegensätzen, in denen wir uns vorfinden und an denen wir uns ein Leben lang abarbeiten müssen, eine abgrundtiefe Verbundenheit, ja eine unvordenkliche Einheit aller Gegensätze vorausliegt. Aus ihr heraus nur gewinnen wir von früh auf die Zuversicht, dass wir uns die Welt erschließen und sie unseren Absichten entsprechend gestalten können.

Das Merkwürdige ist nun jedoch gerade, dass wir den Grund des Vertrauens auf unsere Fähigkeiten im Umgang mit uns selbst und mit der Welt nicht objektiv vor uns bringen können. Wir können diesen gründenden Grund nicht zum Gegenstand unseres Wissens machen. Sobald wir das versuchen, setzen wir uns ins Gegenüber zu ihm und verfehlen so gerade das uns und alle Welt Tragende und Gründende.

Insofern bringt für mich die Rede vom Grundvertrauen, wenn wir damit die Beziehung zu Gott oder dem Göttlichen meinen, am besten zum Ausdruck, warum diese Beziehung keine solche des Wissens ist. Das als Vertrauen verstandene Glauben ist eine menschliche Tätigkeit. Ich bevorzuge deshalb das Verb und spreche am liebsten vom Glauben als einem existentiellen Vollzug. Das finde ich dann auch noch besser als von einer Haltung zu sprechen. Eine Haltung nehme ich ein, im Tun des Glaubens hingegen kann ich immer nur versuchen, mich zu halten. Und es ist eben so, dass es Situationen gibt, in denen es mir leichtfällt, Grundvertrauen zu haben und mich in meinem Tun und Lassen von ihm tragen zu lassen. Dann wieder fällt solches Vertrauen mir unheimlich schwer oder will mir gar nicht gelingen. So ist es, deshalb gefallen mir die Bibelstellen am besten, in denen Menschen in ihrer Not ausrufen: “Ich glaube, hilf meinem Unglauben”. (Markus 9, 24).

2.
Was wir vom Glauben sagen, ist ja schon aufgrund der sprachlichen Form auch ein Ausdruck von Wissen: Wir wissen eben, dass Gott gegenüber nicht Mathematik und Physik weiterhelfen, wohl aber Philosophien, die Literatur und die Künste aussagekräftig sind. Wie gehen Sie also mit diesem Paradox um: Wir wissen, dass Glauben die richtige Haltung des begrenzten Menschen Gott gegenüber ist? Also: Ohne philosophisches Wissen kann es also gar keinen authentischen Glauben an Gott geben? An den Glauben zu glauben macht ja keinen Sinn.

Wenn wir den Glauben als Gottvertrauen verstehen, hat dies den Vorzug, dass wir der Gefahr entgehen, von einem Glauben an Gott zu sprechen. Denn damit würde die Subjekt-Objekt-Differenz doch wieder in die Gottesbeziehung eintreten und das Glauben könnte als eine verkappte Form des Wissens erscheinen. Gott ist nicht der Gegenstand des Glaubens, sondern der Grund des Vertrauens, das wir in uns selbst, in die anderen und die Welt setzen. Dann nur, wenn wir ihn nicht vergegenständlichen, bleibt der Gott des Glaubens davor bewahrt, zu einem Ding unter Dingen zu werden. Die Vergegenständlichung im Wissen von ihm würde Gott zu einer endlichen Größe machen. Mit dem Wort Gott meinen wir jedoch gerade, wie Sie auch sagen, den einen, den einigenden Grund der Wirklichkeit im Ganzen, das Unendliche, das Universum.

Von Gott können wir nicht wissen. Wenn wir von ihm wissen könnten, wäre er ein Gegenstand unserer Erfahrung und damit nicht mehr das, was wir mit dem Wort Gott meinen. Er wäre nicht der dem Wissen transzendente Grund dafür, dass wir überhaupt Erfahrungen machen können, wir uns selbst zugänglich und die Welt uns erschlossen ist.

Wenn ich das so sage, hängt das natürlich mit meinem Nachdenken über Gott und unsere Rede von ihm zusammen. Ich würde aber nicht behaupten wollen, dass das Glauben als menschliche Tätigkeit dem philosophischen oder theologischen Nachdenken entspringt. Das Glauben, das ein Gottvertrauen ist, kommt auf in den Erfahrungen des Lebens. Es wird in den Erfahrungen des Lebens ebenso auf harte Proben gestellt oder kann in ihnen verloren gehen. Diese Erfahrungen sind keine Gotteserfahrungen, aber sie können so gedeutet werden. Die Bibel bietet eine unendliche Fülle solcher Deutungen.

Es ist zudem so, dass ein Grundmisstrauen diesen Glauben, der ein Gottvertrauen ist, permanent gefährdet und bedrängt. Denn die bedrückenden und belastenden Erfahrungen, gerade auch des Sinnwidrigen und Sinnlosen, verschwinden nicht. Die bösen Erfahrungen und die bösen Taten, die uns an Gott und der Welt irremachen, an einer guten Zukunft für die Menschheit auf unserem Planeten zweifeln lassen, sie geschehen. Aber wer auf Gott sein Vertrauen setzt, der riskiert immer wieder ein trotziges Dennoch, der widersteht dem Überschlag des Zweifels in die Verzweiflung, der bleibt dabei, auf einen guten Ausgang zu hoffen – selbst dann noch, wenn keine Tatsachen dafürsprechen, dass solche Hoffnung sich erfüllen wird.

Insofern ist auch ersichtlich, warum diejenigen, die glauben können und ein Gottvertrauen aufbringen, alle Erfahrungen, auch die negativen, die schrecklichen und desaströsen Erfahrungen auf Gott und sein Handeln beziehen. Das sehen wir ja gerade auch in den biblischen Texten, in den Psalmen vor allem. Dort bringen Menschen ebenso ihre Erfahrungen der Not wie des Glücks vor Gott. In allem, was ihnen widerfährt, ist Gott ihnen gegenwärtig und das nicht allein mit seiner Liebe, sondern auch mit seinem Zorn, seiner Enttäuschung, seiner Wut. Mit Bitten, Klagen und Danken wenden sich die Psalmbeter deshalb an Gott. Und indem sie ihm gegenüber zum Ausdruck bringen, was sie bedrückt und belastet, erfreut und glücklich macht, gelingt es ihnen, was ihnen widerfährt, nicht nur zu erleiden, sondern auf standhafte Weise sich zu ihren Erfahrungen, auch den schrecklichen, zu verhalten und sie in ihr Leben zu integrieren.

Glauben hilft uns, das Unverfügbare anzuerkennen, das Schicksalshafte, und dennoch den Lebensmut nicht zu verlieren, handlungsfähig zu bleiben, das Beste aus der Situation zu machen, an der Hoffnung festzuhalten.

3.
Wir wissen also, dass wir an Gott sozusagen glauben „müssen“, wenn wir mit ihm, den Ewigen, verbunden sein wollen. Wer aber den Ewigen ablehnt, sich als „Atheist“ versteht, befindet der sich dann auch in einer Glaubenshaltung in seiner Suche nach dem Nicht – Endlichen? Atheismus wäre dann nicht „wissenschaftlich“, nicht „evident“, sondern ebenfalls eine Form des Glaubens? Könnte dies nicht eine enorme und neue Perspektive sein für die eine Menschheit, die eben unterschiedlich glaubt angesichts des Gründenden, des Nicht – Endlichen?

Wenn wir nicht wissen können, ob es Gott gibt, dann können wir selbstverständlich auch nicht wissen, dass es Gott nicht gibt. Ein Theismus, der auf Gott als gegenständliche Wirklichkeit setzt, ist insofern genauso wenig überzeugend wie ein Atheismus, der diese Wirklichkeit bestreitet. Ein wissenschaftlich begründeter Atheismus ist genauso zum Scheitern verurteilt wie es die Gottesbeweise sind.

Das bedeutet nun aber nicht, dass die, die sich Atheisten nennen, nicht eine ernst zu nehmende Kritik an dem verfolgen, was wir hier Glauben bzw. Gottvertrauen nennen. Nur wäre eine solche Position dann eher eine nihilistische als eine atheistische zu nennen. Ich denke dabei an den kritischen Einwand, dass die alles gründende Wirklichkeit, die wir mit dem Wort Gott meinen, auch ins Leere auslaufen könnte und wir trotz unseres Gottvertrauens letztlich in ein Nichts hineingestellt sind. Es könnte sein, dass das Vertrauen, das wir auf den transzendenten Grund der Wirklichkeit setzen, trügerisch ist. Es könnte sein, dass wir uns lediglich etwas vormachen und einer Illusion nachhängen, wenn wir meinen, im transzendenten Grund der Wirklichkeit uns bergen und in Hoffen und Bangen von ihm tragen lassen zu können. Vielleicht warten wir vergeblich darauf, dass schließlich das Rettende sich zeigt.

Die nihilistische Position ist die stärkste Anfechtung des Glaubens. Aber sie gehört ihm gewissermaßen als das andere seiner selbst zu. Nicht in der Form eines dem Glauben überlegenen Wissens, sondern als Einspruch gegen sich selbst. Mit diesem Einspruch, dass auch der alles gründende Grund, den wir uns und aller Wirklichkeit voraussetzen, doch nur unserem sehnsuchtsvollen Setzen entspringt, sieht sich das Glauben immer wieder konfrontiert. Es ist ein Einspruch, den unser Glauben, sofern es weiß, dass es kein Wissen ist, sich selbst immer wieder macht.

Nur solange das Glauben sich das Nicht-Wissen eingesteht, das Glauben insofern ein angefochtenes Glauben ist, bleibt es ein Glauben, das zu uns Menschen als endlichen und begrenzten Wissen passt. Nur dann auch ist es ein Glauben, das uns Menschen guttut. Denn ein solch angefochtenes Glauben bleibt davor bewahrt, absolute Wahrheitsansprüche geltend zu machen. Es verliebt sich geradezu in die Vielfalt des Glaubens. Es treten Verhältnisse ein, in denen niemandem mehr sein eigenes Glauben abgesprochen wird und niemandem mehr ein ihm fremdes Glauben aufgezwungen wird. Es kommt zu einem Glauben aus je eigener, freier Einsicht in seine dem Leben dienliche Wahrheit.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin

Priester segnen homosexuelle Paare – der Beginn einer Reformation in Deutschland?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.5.2021

1.
Wenn in Deutschland im Umfeld des 10.5.2021 in etwa 110 katholischen Kirchen durch katholische Priester Partnerschaften von Homosexuellen feierlich und öffentlich gesegnet werden – dann ist dies in offizieller katholischer Sicht als Rebellion zu bewerten.
Wenn es ein einziger Priester getan hätte, so wäre er sofort suspendiert wurden wegen Ungehorsam. Aber werden es sich Vatikan und Bischöfe erlauben, mehr als 100 Priester zu bestrafen? Möglich ist alles. In einer Kirche ohne demokratische Verfassung und demokratische Gerichtsbarkeit muss jeder und jede Katholikin immer mit allem Schlimmen rechnen… Zumal der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, diese Segnungsgottesdienste für homosexuell Liebende ausdrücklich und öffentlich ablehnt, bzw. aus Angst vor Rom ablehnen muss. Er nennt sie „keine hilfreichen Zeichen“. Was für eine verräterische Formel: Nicht hilfreich für wen? Für den Bischof selbst, der sich von Reaktionären anhören muss, nicht hart gegen diese Aufwiegler aus Homo-Kreisen durchzugreifen. Aber hilfreich kann doch ein Segnungsgottesdienst für die Betroffenen wohl sein, oder? Ist das nicht entscheidend? Es ist eine verräterische, eine üble Formulierung von Bischof Bätzing also. Dadurch stellt sich, wie so oft in der römischen Kirche, ein Bischof gegen seine Gemeinden, nur weil er dem Papst und den Vatikan-Beamten absolut gehorchen muss, um nicht in Ungnade und damit in finanzielle Degradierung zu gelangen. Man denke an die Absetzung des mutigen französischen Bischofs Jacques Gaillot durch den Vatikan.
2.
Diese Segnungsgottesdienste hätten die Dimension, wirklich zu der von vielen ersehnten umfassenderen Rebellion gegen den Vatikan und seine getreuen Beamten (Bischöfe) zu werden. Die hilflose Wut vieler Katholiken auf Rom, auch auf den zaudernden und immer widersprüchlichen Papst Franziskus, ist bekanntlich groß, sie „kanalisiert“ sich jetzt nur in diesen Segnungsgottesdiensten. Aber noch ist niemand da, der sich als Leitfigur in diesem „Kampf mit Rom“ abzeichnet, so wie es einst der Augustinermönch Martin Luther war. Immerhin haben die Augustiner in ihrem Kloster in Würzburg den Mut des Widerspruchs gezeigt und ein großes Plakat außen an ihrer Kirche befestigt: „Wir können doch gar nicht anders als segnen“. Das Plakat mit der richtigen Aussage wurde aber von Unbekannten abgerissen und zerstört, die Augustiner haben dies der Polizei gemeldet. Ihr richtiger Spruch erinnert entfernt an ihren Mitbruder Martin Luther, der in Worms 1521 gesagt haben soll: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Heute sagen die Augustiner: „Wir können doch gar nicht anders als segnen“. Hoffentlich bewahren sie sich ihren rebellischen Geist. Aber sie sind ja wohl mit dem sehr mutigen Studentenpfarrer Burkard Hose, Würzburg, freundschaftlich verbunden.
3.
Ein „Highlight“ der Segnungsgottesdienste wäre es natürlich, wenn sich zwei schwule Priester-Freunde als Paar nun auch segnen ließen. Man verrät ja nicht zu viel, dass dann die Zahl der Segnungen noch weiter in die Höhe schnellen würde, zumal, wenn auch klerikale Freundespaare aus dem Vatikan eingereist wären zwecks Segnung. Aber so mutig sind denn die schwulen Pfarrer und Patres dann auch wieder nicht.
4.
Ich habe seit vielen Jahren die merkwürdige, wenn nicht anstößige Liebe der katholischen Kirche zu feierlichen öffentlichen Segnungen dokumentiert, diese Website wurde sehr oft aufgerufen. Darin dokumentierte ich die selbstverständliche traditionelle Segnung von Tieren, die Segnungen von Autos und Motorrädern, die Segnungen von Waffen, von Häusern und Palästen, die Segnungen von Handys, die Segnung, auch dies noch, eines Walrosses im Zoo durch den damaligen Hamburger Bischof Stefan Heße. LINK. Natürlich gibt es seit langem im privaten Rahmen Segnungen von Kranken und Sterbenden oder auch von Müttern und Pilgern. Der reaktionäre Weihbischof von Salzburg Andreas Laun sagte übrigens: Homosexuelle segnen ist eine Segen für die Sünde. So wie man ja auch nicht KZs segnen darf”. LINK
5..
Es ist eigentlich – bei allem Respekt für diese Aktion der Segnungen – problematisch, dass diese Segnungen von homosexuellen Paaren eben auch bloß „Segnungen“ heißen, also begrifflich auf eine Ebene mit Auto-, Wohnungs- oder Walross-Segnungen gesetzt werden. Angemessen für das demokratische Bewusstsein und die Gesetzgebung in 28 demokratischen Staaten wäre allein: Die katholische Kirche feiert mit den homosexuellen Paaren die sakramentale Eheschließung. Bekanntlich ist für die katholische Lehre die Ehe ein Sakrament. Diese sakramentale Ehe wäre kirchlich die angemessene Antwort auf die gleichgeschlechtliche EHE in 28 Staaten der Erde, darunter auch Deutschland seit dem 1.10. 2017!
6.
Die sakramentale Ehe für homosexuelle Paare könnte das verstaubte Eheverständnis der Kirche insgesamt hinwegfegen, also die Vorstellung, nur Mann und Frau können eine Ehe schließen, wobei sich die Kirche auf den Mythos der Schöpfung Gottes beruft, vor allem auf den eigentlich nur banalen Satz: “Als Mann und Frau schuf Gott die Menschen“ (AT – Buch Genesis, 1,27). Das stimmt ohne weiteres: In der Menschheit gibt es – sehr traditionell gesprochen – zwei biologische Geschlechter. Nur folgt aus dieser biologischen Aussage zu biologischen Fakten nicht unbedingt eine katholische Ehelehre und sakramentale Praxis, die nur der Vereinigung eines biologischen Mannes und einer biologischen Frau vorbehalten ist.
Insofern muss ich leider sagen, kommen diese durchaus zu respektierenden Segnungsfeiern schon wieder – kulturell betrachtet – zu spät. Sakramentale Eheschließungen von homosexuellen Paaren wären die richtige und zeitgemäße Antwort. Sie kommt vielleicht in 100 Jahren. Im Falle Galileis ließen sich die Herren der Kirche ja auch 300 Jahre Zeit für eine Anerkennung von Galileis richtigen Erkenntnissen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Poesie – Worte der Transzendenz

Über Yves Bonnefoy
Ein Hinweis von Christian Modehn (siehe auch den Hinweis auf Baudelaire, LINK)

1.
In seiner Aufsatzsammlung mit dem Titel „Le siècle de Baudelaire“ (Paris 2014) spricht der Poet, Poetologe und Philosoph Yves Bonnefoy (1923 – 2016) ausdrücklich von der herausragenden Bedeutung der Poesie für die Frage der „Transzendenz“. Sie sollte nicht im fernen Jenseits gesucht werden, sondern als Anwesenheit, als présence, im Hier und Heute des Daseins. Dabei ist für Bonnefoy auch die Auseinandersetzung mit dem Dichter und Poeten Baudelaire wichtig, ihn nennt er „den stärksten und tiefsten Geist“ im 19. Jahrhundert. Baudelaire stellte die Frage nach der Existenz Gottes… „Aber er musste sich eingestehen, dass er nicht glaubt (S. 8).“

2.
Für Bonnefoy als Poeten und gleichzeitig Philosophen der Poesie erhalten Gedichte eine neue Bedeutung für die Spiritualitäten heute. Transzendenz wird nicht mehr in den überlieferten, alles einordnenden und übersichtlichen (dogmatischen) Begriffen gedacht und ausgesprochen, sondern in der Offenheit poetischer Worte. Dabei geht es um ein Verstehen der alltäglichen Wirklichkeit in ihrer Tiefendimension: „Es ist wichtig, die Wirklichkeit, die einfache Wirklichkeit, von dem Schleier zu befreien, der diese Wirklichkeit verdeckte (S. 11)“.
„Poesie ist nicht Literatur (etwa ein Roman), sie ist nicht Ausdruck des (nur Allgemeines fassenden) begrifflichen Denkens“ (S. 57). „Die Poesie unterscheidet sich von Literatur wie das Begehren zu sein von der Verwaltung des Habens“, betont Bonnefoy (S. 58).
Poesie ist keine Rede in fixierten Begriffen, sie ist Klang, wie Musik, die sich der geschlossenen Bedeutungen entledigt, Poesie will das EINE als das allen Gemeinsame sagen.
Die Sprache der Poesie, das ist für Bonnefoy also entscheidend, lebt wie die Musik vom Rhythmus und dem Klang. Musik und Poesie sind „nächste Verwandte“.

3.
Entscheidend bleibt für Bonnefoy: Die Présence, die Gegenwart, soll bewusst erlebt werden: Dann zeigt sich die Ganzheit des Daseins als begrenztes, endliches, sterbliches. Aber kann sich das Dasein darin einschließen?
In der Poesie wird dem widersprochen: Das wahre „Wesen“ des Transzendenten ist immanent, also im Menschen, vor allem für Bonnefoy auch in der Natur anwesend. Dort wird das Entgrenzte, vielleicht damit auch das Grenzenlose erlebt. Der moderne Mensch kann entdecken: In der Poesie ist das Unendliche mit der gewöhnlichen Existenz verbunden ist.

4.
Wenn also das Religiöse im 19.Jahrhundert aus weiten Bereichen der Kultur schwindet, sollte die besondere Bedeutung des poetischen Wortes erkannt werden. Aber mit der Poesie wird dann doch ein schwieriger Weg des Verstehens eröffnet. Aber: Bonnefoy hat auch „leichter zugängliche“ Poesie geschrieben. Man denke etwa an das Gedicht „L Arbre de la rue Descartes“ aus dem Buch „L Heure présente“:

« Passant,
Regarde ce grand arbre et à travers lui,
Il peut suffire.
Car même déchiré, souillé, l’arbre des rues,
C’est toute la nature, tout le ciel,
L’oiseau s’y pose, le vent y bouge, le soleil
Y dit le même espoir, malgré la mort.
Philosophe,
As-tu la chance d’avoir l’arbre dans ta rue,
Tes pensées seront moins ardues, tes yeux plus libres,
Tes mains plus désireuses de moins de nuit. »

„Passant,
betrachte diesen großen Baum und seinetwegen
Kann es genug sein.
Denn sogar gespalten, beschmutzt, ist der Straßenbaum
Die ganze Natur, der ganze Himmel,
der Vogel setzt sich dort nieder, der Wind dort sich bewegt und die Sonne dort
spricht dieselbe Hoffnung, trotz des Todes.
Philosoph,
hast du das Glück einen Baum in deiner Straße zu haben
dann werden deine Gedanken weniger schroff, deine Augen freier sein,
deine Hände werden gieriger sein nach weniger Nacht“. (Übersetzung: Christian Modehn)

5.
Das Gedicht ist eine deutliche Kritik Bonnefoys an der begrifflichen Fixierung des Philosophen.
Es wendet sich direkt an den Passanten, Spaziergänger … aber auch an den Philosophen. Der Titel ist auf eine Rue Descartes bezogen. In der Pariser Rue Descartes befindet sich das berühmte „Collège International de Philosophie“.

6.
Hat die Theologie, hat die Religion, haben die Kirchen die Poesie (im emphatischen Sinne – auch im Sinne Bonnefoys -) verstanden? Haben sie ihr fixierendes Begriffs-Denken, ihre Herrschaft der klaren Definitionen, korrigiert oder wenigstens eingesehen? Diese Grenzziehungen, die sie mit den Definitionen, den Dogmen, schaffen, Grenzen, die ausschließen, die Menschen zu den “anderen”, den Fremden” machen.
Ich denke: Theologien und Kirchen haben den Geist der Poesie überhaupt nicht erkannt und auch nicht rezipiert. Sie lieben nicht den freien Geist der Poesie. Sie lieben nach wie vor die banalen Gedichte und Gebete und Lieder, die einzig nach dem Prinzip des Reims gebaut sind und deswegen als populär und “tauglich” erachtet werden. Ästhetische Bildung war nie Sache der Kirchen.

7.
In Europa ist die einzige mir bekannte Ausnahme der niederländische Poet und Theologe Huub Oosterhuis (Amsterdam), aber dessen Poesie ist in den katholischen Kirchen der Niederlande offiziell im Gottesdienst verboten.in Deutschland ist seine Poesie nur marginal vertreten.
Meine Forderung also wäre, die aber angesichts der Verhärtungen im Katholizismus ziemlich sinnlos ist und angesichts des banalen Trallalas in evangelikalen Veranstaltungen ebenso sinnlos ist… aber diese Forderung soll wenigstens noch einmal genannt werden: Die Kirche sollte poetisch werden, also sanft, suchend, offen, mit Sinn für das Schöne als das Überraschende und Befremdliche. Wir bräuchten also poetische Kirchen und poetisch denkende und vor allem poetisch fühlende Herren der (römischen) Kirche.
Weniger Kirchenrecht, mehr Poesie könnte eine selbstverständlich utopische Forderung heißen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin