Jürgen Habermas – Eine Einführung in seine Philosophie!

…und ein Hinweis auf sein Leben

Von Christian Modehn am 4. Juli 2024

Siehe auch die Ergänzung vom 7.7.2024: LINK

1.
Der Berliner “Professor für Kulturgeschichte“ (Humboldt – Universität) Philipp Felsch bekennt, dass er sich (bisher) eigentlich nicht intensiv mit der Philosophie von Jürgen Habermas beschäftigt habe. Felsch hatte aber die Chance, im Frühjahr 2022 und im September 2023 Jürgen Habermas in seinem Bungalow in Starnberg bei einigen Gläsern Tee besuchen zu können und Interviews mit ihm zu führen. Vielleicht waren dabei die Erinnerungen an frühere Verbindungen der beiden Familien in Gummersbach hilfreich. Er hat sich seit einigen Jahren in das Werk von Habermas eingearbeitet. „Der Philosoph. Habermas und wir“ ist der Titel seines Buches, erschienen im Propyläen – Verlag Berlin. 2004 wurde Jürgen Habermas 95 Jahre alt. Seinen „Vorlass“, den „Nachlass“ zu Lebzeiten, hat Habermas „seiner“ Universität Frankfurt am Main überlassen. Auch der „Vorlass“ war Philipp Felsch für seine Studien zugänglich!

2.
Das leicht zugängliche Buch ist das Resultat persönlicher Begegnungen und Habermas – Studien. Wobei über das „wir“ im Untertitel ein eigenes Kapitel geschrieben werden müsste: Sind „WIR Deutsche“ (seit 1989) gemeint oder nur „wir Bundesbürger“ (bis 1989) oder gar „wir“ Weltbürger“. Einige eher sehr persönliche Fragen zu Habermas werden angesprochen, etwa, warum er bevorzugt die schriftliche Form wählt anstelle von Radio – oder Fernseh-Interviews. Habermas selbst hat sich höchst selten über seine Einschränkungen beim Sprechen geäußert. (S. 79, zu einem Vortrag 2004)

3.
Es ist ja nicht nur – im engeren Sinne – der Philosoph Habermas mit seinem umfassenden Werk, der für die Geschichte der Bundesrepublik und Europas von Bedeutung ist. Es ist auch der Habermas als sehr streitbarer Autor in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften (FAZ, DIE ZEIT, MERKUR) , zu vielen grundlegenden politischen Themen, der „unser“ Interesse immer wieder weckt(e). Dabei wird in dem Buch deutlich, wie sehr doch Habermas immer lernbereit war und auch Selbstkritik öffentlich äußerte.

4.
Die in Starnberg abschließen geführten Gespräche zur aktuellen Gegenwart, Stichwort Krieg Russland gegen die Ukraine, hinterlassen bei Philipp Felsch den starken Eindruck eines pessimistischen, wenn nicht, so wörtlich „fatalistischen“ Habermas. Der stets politisch analytisch denkende und normativ, an den Menschenrechten orientierte Denker rechnet wohl jetzt damit, dass die Koalition der Ukraine – Unterstützer in Europa und den USA „zerfällt“, was „zur Folge haben würde, dass der Westen die letzten Reste von politischer Glaubwürdigkeit und Autorität“ verliert (S. 187). Philipp Felsch schreibt: „ Und dann sagt Habermas einen Satz, der unseren Gesprächsfluss für einen Moment lang stocken lässt: All das, was sein Leben ausgemacht habe, gehe gegenwärtig `Schritt für Schritt` verloren“ (S. 187). Das bei Habermas stets lebendige, aber begründete Vertrauen darauf, dass Kommunikation tatsächlich eine friedliche Welt aufbauen kann, geht nun verloren, darf man wohl ergänzen.

5.
Aber es ist schon ein Wagnis, das sehr umfangreiche Werke, die vielfältigen und vielen öffentlichen Stellungnahmen von Jürgen Habermas auf 180 Seiten darzustellen Das Buch „Der Philosoph. Habermas und wir“ bietet also nicht mehr als einführende Erst – Interpretationen. Dabei werden die vielfältigen Kontakte, Freundschaften (etwa mit Alexander Kluge) aber auch Gegnerschaften (etwa mit Hans Magnus Enzensberger) genannt. Auf weiteren 30 Seiten werden dann Fußnoten und Anmerkungen publiziert, die Literaturliste umfasst fast 30 Seiten. 81 größere und kleinere Arbeiten von Habermas sind da genannt. Dass einige tatsächlich sehr wichtige Werke von Habermas nicht oder nur ultrakurz erwähnt werden, ist sicher der größte Mangel dieses Buches, es sind die Texte über die Bedeutung des Religion. Dazu mehr unter Nr. 8 – 11.

6.
Eine Rezension kann und soll naturgemäß nicht den Inhalt des Buches wiedergeben: Felsch folgt chronologisch dem Lebensweg von Habermas und zeigt, wie sehr der Philosoph immer zeitbezogen dachte und veröffentlichte, ohne dabei die universalen Prinzipien,etwa der Philosophie Kants, zu verraten. Mit den Begründern der Frankfurter Schule war er kritisch verbunden, ohne deswegen den Ehrgeiz zu haben, zu einem Nachfolger von Adorno und Horkheimer zu werden.
Während der verschiedenen Stationen der akademischen Arbeit zeigte sich Habermas immer lernbereit, ohne seine Sympathien für eine linke Position sozialdemokratischen Denkens aufzugeben. Aber Lernbereitschaft schließt bei Habermas nicht die kämpferische Abgrenzung aus. Für viele überraschend vielleicht, spricht Philipp Felsch explizit von philosophisch – bedingten „Feindschaften“ etwa gegen Michael Foucault und Georges Bataille (S. 113), auch ist, wörtlich, von Habermas`„Widersacher“ Peter Sloterdijk die Rede. Überraschend auch, dass Habermas viele seiner Zeitungsbeiträge aus „Zorn“ geschriebene habe ( S. 120), aus Zorn auch auf die sehr konservative geistig – politische Verfasstheit der Bundesrepublik mindestens in den ersten Jahren. Man vergesse nicht, dass Habermas seine Karriere, möchte man sagen, als philosophischer Journalist begann: Mit einem Heidegger – kritischen Beitrag in der FAZ am 12.7.1952

7.
Das Buch von Philipp Felsch ist keineswegs eine Lobeshymne auf den „großen staatstragenden Philosophen“, wie viele Habermas nannten. In dem Buch wird durchgängig das Profil eines „linken Sozialdemokraten“ (S. 173) deutlich.

8.
Ein wirklicher und in unserer Sicht gravierender Mangel des Buches ist das völlige Fehlen der Auseinandersetzungen von Habermas mit „der Religion“, vor allem mit dem Christentum. Philipp Felsch erwähnt zwar beiläufig, im Nebensatz, dass sich Habermas als getaufter Protestant irgendwie auch protestantisch fühle (S.105). Ein bißchen ausführlicher wird die starke Zuneigung von Habermas zu einzelnen jüdischen Intellektuellen und Philosophen deutlich. Das Buch schließt mit dem Habermas Bekenntnis: „ „Als `Glücksfall` seines Lebens betrachtet er es, in den USA, in Israel und auch in Deutschland so vielen bedeutenden jüdischen Gelehrten begegnet zu sein“(S. 188).
Als über die „Einzigartigkeit des Holocaust“ in den 1980er Jahren heftig gestritten wurde, formulierte der mit Habermas befreundete deutsch-jüdische Philosoph Ernst Tugendhat 1986 einige bis heute denkwürdige Erkenntnisse zur „Singularität des Holocaust“: Auschwitz sei ein einzigartiges historische Trauma für Deutsche wie für Juden, sagte Tugendhat, „aber die Lehren, die wir daraus ziehen sollten, Deutsche wie Juden, sollten universalistisch sein. Man muss die aus diesem Schicksal entstandene Sensibilisierung in eine universalistische Sensibilität wenden, sonst bleibt man im Teufelskreis des Partikularismus hängen. … das kann dann nur dazu führen, dass das Geschehene eingezäunt wird und durchaus vergleichbare Ereignisse verharmlost werden, in Israel wie hier“ (S. 130).

9.
Über die Gespräche Habermas` mit katholischen Theologen (Kardinal Joseph Ratzinger, 2004) und katholischen Philosophen (mit Jesuiten in München, 2007 ) ist leider in dem Buch keine Rede. Das ist für mich nicht zu akzeptieren. Nicht einmal die Veröffentlichungen von Jürgen Habermas zu dem Thema werden genannt, abgesehen von einem Interview mit Michael Funken unter dem Titel „Ich bin alt, aber nicht fromm geworden“, aus dem Jahr 2008, notiert auf Seite 240. Die erste der zwei äußerst umfangreichen Studien „Auch eine Geschichte der Philosophie. Über Glauben und Wissen“ (erschienen 2019) wird nur in Felschs Literaturliste erwähnt. Aber auch die Friedenspreisrede von 2001 wird in der Literaturliste nicht genannt, geschweige denn interpretiert.
Dabei hat sich das Bekenntnis von Habermas, er sei „religiös unmusikalisch“ inzwischen weithin als bekannt durchgesetzt. Aber WIE im einzelnen „religiös unmusikalisch“ er denn wirklich ist, muss genau geprüft werden.
Hier nur einige Hinweise:

10.
Erst seit 1988 , und zwar mit den Aufsätzen „Nachmetaphysisches Denken“ sieht Habermas in „der Religion“ inspirierende Inhalte, die „in begründende Diskurse“ übersetzt werden sollten. Das Stichwort ÜBERSETZUNG religiöser Inhalte in eine allgemein zugängliche philosophische Sprache tritt hier also zum ersten Mal auf, soweit ich sehe. ÜBERSETZUNGEN vom Religiösen ins Philosophische sind seit dem eine Art Leitidee, wenn Habermas vom Verhältnis von Religion (er meint die christliche) spricht. In seiner „Friedenspreisrede“ von 2001 betont Habermas: Moderne säkulare Gesellschaften bleiben auch als säkulare Gesellschaft auf die Religion bezogen: Denn diese haben ein eigenes, ernst zunehmendes Vernunft-Potential. So sollten etwa die biblischen Metaphern von der „Geschöpflichkeit des Menschen“ oder auch der „Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen“ ins Allgemeine Denken, ins Philosophische, übersetzt werden. Noch weiter geht Habermas, als er 2004 Kardinal Joseph Ratzinger in der Katholischen Akademie in München zur Diskussion trifft: Dort spricht Habermas vom wechselseitigen Lernen: Auch säkulare Menschen, etwa Philosophen, sollten sich lernbereit zeigen gegenüber Aussagen religiöser Menschen. Vorausgesetzt allerdings, dass die religiösen Menschen ihre Überzeugungen in allgemeiner, d.h. nicht -esoterischer Sprache aussagen können!
In dem Buch „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt“ (2008, bezogen auf das Treffen mit Jesuiten in München 2007) wird eine weitere Entwicklung im religionsphilosophischen Denken von Habermas sichtbar: Nun steht für ihn im Mittelpunkt: Die moderne Vernunft UND die Religionen haben einen gemeinsamen Ursprung (!), und zwar in den Denkbewegungen der sogenannten „Achsenzeit“. Philosophie und Religion werden so zu „komplementären Gestalten des Geistes“ (S. 29 in dem genannten Buch, 2008). Jedenfalls ist für Habermas 2007 klar: „ Religiös begründete Stellungnahmen haben einen legitimen Platz in der politischen Öffentlichkeit, dann „wird vonseiten der politischen Gemeinschaft offiziell anerkannt, dass religiöse Äußerungen zur Klärung kontroverser Grundsatzfragen einen sinnvollen Beitrag leisten können“ (S. 34 dort).
Im ganzen darf man wohl sagen, dass Habermas seit 2001 ein religionsphilosophisches Denken entwickelte, bis hin zur großen Studie „Auch eine Geschichte der Philosophie“ (2019), das in dem einen Satz zusammengefasst werden könnte: „Die säkulare Philosophie entwickelt ein Bewusstsein von dem, was fehlt“, nämlich das Bewusstsein, dass eine vernünftige Religion in dieser säkularen Welt fehlt.

11.
Über die Wende des älter gewordenen Habermas (seit 2001) zur Religion ist viel geschrieben worden, etwa von den Philosophen Herbert Schnädelbach oder Paolo Flores d Arcais (Rom, in DIE ZEIT vom 22. Nov. 2007). Damit man bloß nicht aus Habermas einen religiösen, oder gar katholischen Philosophen macht, hat er selbst gesagt: „Ich bin alt, aber nicht fromm geworden“ (so 2008 in dem genannten Sammelband, den Michael Funken herausgegeben hat). Tatsächlich äußert sich Habermas in diesem Interview trotz dieses nun wirklich „spannenden“ Titels nur äußerst knapp zur eigenen Religiosität. Diese ist wohl in einer gewissen Verbundenheit mit Kants Religionsbegriff zu suchen: „Bei allem empirisch begründeten Pessimismus über die Aussichten eines kosmopolitischen Rechtszustandes sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich das Engagement für eine neue Weltordnung , zu dem wir uns moralisch verpflichtet fühlen sollen, doch noch lohnen könnte. Aber niemand kann uns dessen vergewissern“ (S. 185, Funken, „Über Habermas. Gespräche mit Zeitgenossen“, 2008, S. 185).
Noch einmal:
Auf „weltbürgerliche Verhältnisse“ einer vernünftigen humanen Weltordnung hofft Habermas jetzt nicht mehr, er sei fatalistisch, interpretiert Philipp Felsch diese Hoffnungslosigkeit von Habermas (Seite 187 in Felsch „Der Philosoph“.)

12.
„Habermas und die Religion“ ist alles andere als ein marginales Sonderthema einer speziellen Habermas – Forschung. Es geht bei dem Thema um eine Art exemplarische Debatte über die Bedeutung „der“ Religion in der heutigen Zeit in unterschiedlichen Regionen der Welt.. .Dabei müssen bei weiteren Diskussionen auch speziell „der“ Islam und alle weiteren Religionen hinsichtlich fundamentalistischer Tendenzen untersucht werden. Dass alle christlichen Kirchen jetzt von fundamentalistischen Gruppen immer stärker durchsetzt und beherrscht werden, sollte weiter bedacht werden, so dass die Aussage „Es gibt ein vernünftiges Christentum, einen vernünftigen christlichen Glauben (etwa im Sinne Kants) selbst schon marginal zu werden droht. Es könnte schon bald soweit gekommen, dass – etwa in den USA – fundamentalistischer christlicher Glaube mit dem Christentum insgesamt identifiziert wird und ein Staatspräsident Donald Trump wie ein religiöser Führer verehrt wird – von Christen, die den Verstand verloren haben…Mit diesen religiösen Leuten wird wohl kaum ein Dialog, ein wechselseitiger Lernprozess, möglich sein, in dem Sinne: „Nun übersetzt doch einmal eure charismatische – evangelikalen oder römisch katholischen oder russisch -orthodoxen Überzeugungen in eine säkulare Sprache, die alle Menschen verstehen…“

13.
Ob sich Jürgen Habermas zu diesem Thema noch einmal äußert? Wir würden es so dringend wünschen und uns so darüber freuen!

14.
Und Philipp Felsch möchte man fragen, warum er das Thema „Habermas und das Christentum“ in seinem Buch ausgelassen hat, doch sicher nicht auf Wunsch von Habermas selbst? Unvorstellbar! (Wie) Wird Philipp Felsch auf diese unsere Kritik antworten?

15.

Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin jedenfalls seit eingen Jahren mehrere Salon -Gesprächs – Veranstaltungen zum Denken von Jürgen Habermas veranstaltet, mit dem Ziel: Dessen Denken weiten Kreisen bekannt zu machen. Auch auf NDR Kultur haben wir in einer Sendung der Reihe “Glaubenssachen” versucht, das Denken von Jürgen Habermas weiten Kreisen zugänglich zu machen. Als eines von etlichen Beispielen unserer Arbeiten während dieser Jahre: LINK:

Philipp Felsch, “Der Philosoph. Habermas und wir”. Propyläen Verlag Berlin 2024, 256 Seiten, 24€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Marine Le Pen und ihr katholischer Glaube

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.7.2024

1.
Wenn mehr als 40 Prozent der praktizierenden Katholiken die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen („Rassemblement National“, RN) zur Europawahl am 9. Juni 2024 gewählt haben, muss man fragen:
Ist denn Madame Le Pen eine so überzeugende Katholikin, dass praktizierende Katholiken sie so gern wählen?

2.
Über ihren Glauben, auch über ihre Bindung an den Katholizismus, hat Marine Le Pen mehrfach kurz gesprochen.

Dabei war die Partei „Front National“ (FN) unter ihrem Vater Jean-Marie Le Pen deutlich geprägt von einem sich katholisch nennenden, traditionalistischen Flügel, zu dem etwa der extrem militante Bernard Antony gehörte. Aber im Jahr 2008 wurde Bernard Antony, Führer des katholisch – reaktionären Flügels, aus dem FN ausgeschlossen. Das wird als Vorspiel gedeutet für den Aufstieg von Marine Le Pen: 2011 wurde sie Vorsitzende der Partei. Sie sorgte dafür, dass ihr offen rechtsextremer Vater 2015 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im Juni 2018 erhielt die Partei unter ihrer Führung den Namen „Rassemblement National“ (RN). Das Nationale und Nationalistische blieb erhalten, aber „Versammlung, Rassemblement, klingt etwas freundlicher als „Front.“ Mit der Ausgrenzung des katholisch – traditionalistischen Einflusses von einst wollte sie zeigen: Die „neue“ Partei will vor allem auch die sehr vielen kirchenfernen Wähler gewinnen. Madame Le Pen nennt diesen nach außen hin etwas freundlicheren Namen der Partei „dédiablisation“, Entdiabolisietung, will sagen: dass die Partei nach außen vor allem nicht mehr antisemitisch ist. Das jüdische Ehepaar Klarsfeld, die „Nazijäger“ von einst, glaubt das so einfach und betont jetzt, Marine Le Pen zu wählen. Darf man das eine Schande nennen oder nur „Alters-Schwäche“… Feinde sind für Marine Le Pen nicht mehr, wie es zur französischen Tradition auch ihres Vaters gehört, „die Juden“, sondern die „Islamisten“ und eigentlich alle Fremden…

3.
Zum Jahr 2017: (Quelle: LINK )

Anläßlich der Präsidentschaftswahlen 2017 sagte Marine Le Pen in Reims bei einem Besuch der berühmten Kathedrale, sie wird als „Geburtsort“ des katholischen Frankreich hoch gepriesen: „Frankreich muss sich an die Versprechen seiner Taufe erinnern. Es gibt Menschen, die glauben an den Himmel, und solche, die daran nicht glauben. Aber ich glaube!“
Die Mitarbeiter Madame Le Pens ergänzten: „Ganz evident, sie ist katholisch“. Von der Erinnerung an das Taufversprechen Frankreichs sprach in ähnlichen Worten („Erinnert euch an die Taufe Frankreichs“!) übrigens Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Reims im Jahr 1996.
Madame Le Pen wurde in Reims von vielen nicht willkommen geheißen, und ausgepfiffen: (Quelle: “Le Monde”. LINK )
Trotzdem sagte sie dort über ihren katholischen Glauben: „Ich habe meine Kinder in der Kirche (der so genannten “Pius-Brüder” des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefèbvre, CM) St. Niocolas du Chardonnet (Paris) taufen lassen. Ich habe also nicht traditionalistische Katholiken zu kritisieren. Aber ich wünsche nicht, dass sie wie in einer Art abgeschlossenen `Kapelle`, ihre religiösen Überzeugungen über die politischen Überzeugungen stellen“.
So gibt sich Madame Le Pen nach außen hin als treue Verteidigung der französischen laicité, also der Überordnung staatlicher, aber vernünftiger Gesetze über religiöse Weisungen.
Aus taktischen Gründen ist in dem RN offiziell keine kritische Rede mehr von Kritik an der Homosexuellen – Ehe oder zum Schwangerschaftsabbruch zu vernehmen. Die rechtsextremen Führer haben erkannt: Diese Themen spalten die Gesellschaft, man will die Mehrheit gewinnen…

4.
Im April 2017 bekannte sich Madame Le Pen in einem Interview mit „La Croix“ sogar als „extrem gläubig, aber verärgert mit der Kirche.”
Dieselben Worte sagte sie schon in einem Interview mit der katholischen Zeitschrift „La Vie“ (Paris) im Jahr 2011: Und damals fügte sie hinzu: „Glücklicherweise aber berührt (stört) der Klerus nicht meinen Glauben“ (Quelle. Pierre Jova in „La Vie“, 3.10.2022. Publié et mis à jour le 05/10/2022 à 11h37). Madame Le Pen fühlt sich verletzt, so heißt es in ihren Kreisen, weil die katholischen Bischöfe einst ihren Vater, den reaktionären Chef des Front National, heftigst kritisieren. Gegenüber Marine Le Pen ist die Bischofskonferenz sehr viel moderater, sehr viel schweigsamer geworden. Vor den Wahlen am 30.6.2024 fiel den Bischöfen nichts anderes ein, als aufzufordern zur Wahl zu gehen und… zu beten. LINK.

5.
Madame Le Pen äußert Kritik auch zu Papst Franziskus, weil er sich stark für die Offenheit gegenüber Migranten einsetze. Marine Le Pens dauerndes Statement: „Der Papst sollte sich nicht politisch einmischen.“ Damit zeigt sie sich wiederum als Anhängerin der laicité, der Trennung von Kirche und Staat. Und damit kann sie Mehrheiten finden!

6.
2021 schrieb die Zeitung „Le Parisien“, Marine Le Pen verstehe sich nun eher als „Catholique du Parvis“, als „Katholiken auf dem Vorplatz der Kirche“. (Quelle: Alexandre Sulzer in der Tageszeitung „Le Parisien“, am 18.März 2021.)

7.
2022: Madame Le Pen polemisiert gegen ihren politischen Feind von sehr extrem Rechtsaußen, gegen Eric Zemmour und seine Partei Reconquete: In einen Zusammenhang nannte sie Zemmour – Wähler „katholische Traditionalisten“, „Heiden“ und „Nazis“. „Eine Ungeschicklichkeit“ nennen sogleich Mitarbeiter diese Äußerung der Parteichefin und sie selbst versucht die Wogen zu glätten. „Ich hätte eher „Integristen“ sagen sollen“, meint Madame Le Pen später. „Integristen“ sind eigentlich noch radikaler als Traditionalisten: Sie wollen die Herrschaft der Kirche über den Staat. Traditionalisten fordern hingegen den Stop jeglicher Kirchenreform und die Wiederkehr der alten lateinischen Messe des 16. Jahrhunderts.

8.

Warum also wählen so viele praktizierende Katholiken die nach wie vor rechtsextreme, nach außen sich etwas freundlich gebende Partei Marine Le Pens? Viele Gründe sind zu nennen: Etwa: Die Inhalte der Partei “Rassemblement National”  sind den Katholiken sympathisch, weil sie selbst politisch sehr konservativ, sehr national, manchmal reaktionär denken … und immer nur eine Minderheit der französischen Katholiken politisch links war. Weil sie die Demokratie als schwierige Lebensform (“zu viele Diskussionen” etc.) nicht auf Dauer gestalten und auch ertragen wollen. Weil die Demokratie ohnehin in der katholischen Kirche selbst keine “heilige Institution” ist und sich diese katholische Kirche selbst so oft auch poffiziell und so gern “nicht – demokratisch” nennt. Und: Die geheime Liebe der Katholiken zu einem “Führer”, etwa zu Marschall Pétain in den Jahren der Nazi-Besetzung Frankreichs, ist bekannt. Die Ergebenheit vieler Laien für den Papst und den Klerus war immer auch eine Treue zu “Führern”…

9.

Der neue Trend unter konservativen und reaktionären Katholiken in Frankreich, der auch zur Sympathie für die Partei Marine Le Pens führt: Diese Katholiken nennen sich “tradis”, also eher sanfte Traditionalisten: Sie beteiligen sich an dem jährlichen Pilgermarsch von Paris nach Chartres, 18.000 Teilnehmer 2024; sie sind mit offiziell römisch – katholischen Vereinen und Orden verbunden, die aber de facto auch theologisch reaktionär sind, wie das “Instiutut du Bon Pasteur” in Bordeaux, dort ist Mitglied der populäre, äußerst konservative Priester Matthieu Raffray. Oder auch die viele Mitglieder zählende äußerst konservative Gemeinschaft der Priester von “Christ-Roi Souverain Pretre”.

10.

Der neue Parteichef des Rassemblement National ist Jordan Bardella (geb. 1995 in Drancy), er besuchte als Katholik in der Banlieue, in Saint Denis, die katholische Schule “Jean-Baptist de la Salle”.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Post-Katholisch“: Über das langsame Verschwinden der katholischen Kirche in Frankreich.

Hinweise von Christian Modehn am 28.6.2024.

Ergänzt am 30.6.2024, 19 Uhr:

Ein Freund aus Frankreich sagte mir: “Es gibt im Augenblick zwar politisch gesehen wichtigere Themen für uns Franzosen als dein Thema hier. Aber die so starke Verbundenheit der praktizierenden Katholiken mit den Rechtsextremen, dokumentiert nach der Europawahl am 9. Juni, ist schon erschütternd.”

Ich antwortete ihm: “Weil die katholische Kirche nicht im entferntesten demokratisch strukturiert und organisiert ist, also auch von offizieller Seite keine demokratischen Werte als “göttlich”, als “absolut wertvoll” vertreten kann und so auch predigt, ist die starke Nähe der praktizierenden Katholiken zu Rechtsextremen durchaus verständlich... ”

Anläßlich der Wahlen zum Europaparlament und zu den Parlamentswahlen Ende Juni 2024 sollte sich das Interesse auch auf den Zustand der Religionen in Frankreich richten, etwa auf die katholische Kirche. Und dies nicht nur, weil bei den Europawahlen am 9.Juni 42 Prozent der „praktizierenden Katholiken“ für die rechtsextreme Partei „Rassemblement National” und die noch rechts-extremere Partei „Reconquete“ stimmten. Wichtig ist, dass sich im Jahr 2023 nur eine Minderheit von 29 Prozent der Franzosen „katholisch“ nennt, und: die meisten dieser Katholiken gehören der älteren Generation an…

1.
Die katholische Kirche in Frankreich, als die „älteste Tochter der römischen Kirche“ gepriesen, ist tatsächlich uralt. Seit dem 1. Jahrhundert gibt es in Gallien christliche Präsenz, etwa in Lyon. Und bis heute ist der Katholizismus sichtbar durch zahlreiche gotische Kathedralen, romanische Kirchen und große, zum Teil noch bewohnte Abteien oder auch durch die vielen tausend christlich geprägten, auf Heilige bezogenen Straßen – und Ortsnamen.

2.
An der populären Verehrung der gotischen Kathedrale „Notre Dame in Paris“ gibt es keinen Zweifel. Das uralte Gebäude schätzen die meisten, zumal die 12 Millionen touristischen Besucher etwa im Jahr 2017.
Aber, die permanente „Fotografier – Sucht“ der durch die Kirche Eilenden zeigt: Die Kathedrale wird als Museum, als Monument des Mittelalters und der nationalen Identität wahrgenommen. Von plötzlichen Bekehrungen zum Katholizismus durch einen Besuch in „Notre Dame“ – wie es einst dem Schriftsteller Paul Claudel geschah – wird nichts mehr berichtet. Immerhin, die Kirchenfernen, zumal die materiell stark Begüterten, spendeten für den Wiederaufbau der Kathedrale nach dem verheerenden Brand am 15. Juli 2019. Staatspräsident Macron versprach sofort in seiner übereilten Art, der Wiederaufbau werde etwa ein Jahr dauern, jetzt wird Ende 2024 die Kathedrale feierlich eröffnet.

Nebenbei: Hoffentlich wird dann NICHT im Jahr 2027  Marine Le Pen („Rassemblement National“) als neue Präsidentin um den Segen des Erzbischofs in “Notre – Dame” bitten. Vom katholischen Glauben, so sagte Madame Le Pen bisher, halte sie nicht viel, bestenfalls in der traditionalistischen Variante der Pius-Brüder. Mit denen war ihr Vater Jean-Marie Le Pen als Rassist und Antisemit sehr eng verbunden. Zu Marine Le Pens Beziehung zum katholischen Glauben: LINK

3.
Diese äußere Sichtbarkeit der katholischen Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die katholische Kirche in Frankreich – wie in anderen westeuropäischen Ländern – am Verschwinden ist. 1950 nannten sich 90 Prozent aller Franzosen katholisch, 1998 waren es 53 Prozent; 2023 waren es nur noch 29 Prozent der Franzosen, die sich katholisch nannten. (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391)

Nebenbei: Immer waren und handelt es sich um repräsentative Umfragen zur Religion der Franzosen, denn die Republik („laique“!) verbietet sich selbst seit dem 19. Jahrhundert, nach der konfessionellen Bindung seiner Bürger zu fragen.

Auch die Zahlen zur Beteiligung der Katholiken an der Sonntagsmesse sind deutlich:
1946: 37 Prozent regelmäßige Teilnehmer an der Sonntagsmesse,
1969: 25 Prozent,
1975: 16 Prozent. (Quelle: Delumeau, „Stirbt das Christentum?“, Seite 21).
2023: 8 Prozent Katholiken, die mindestens einmal im Monat an der Sonntagsmesse teilnehmen. (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391

Die Zahl der Priester in Frankreich geht ständig zurück: Ein wichtiges Thema, denn ohne immer nur männliche Priester, so die offizielle Lehre, kann die katholische Kirche nicht bestehen.
1965: 40.000 Priester in Frankreich
1984: waren es 30.000.
(Quelle: „Les Francais sont-ils encore catholiques“, S. 41.)
2000: 25.353
2022: 11.644 (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/ministres-ordonnes-religieux/) Der Altersdurchschnitt des französischen Klerus liegt heute bei 70 Jahre. Selbst viele 75 Jährige Pfarrer sind noch „im Einsatz“. Mindestens 1000 Priester aus dem Französisch sprechenden Afrika sind in Frankreich wie „Gastarbeiter“ im Einsatz, sie sind in machen Bistümern, die einzigen, die noch nicht 60 Jahre alt sind. Diese „Gastarbeiter“ ersetzen den aussterbenden französischen Klerus und verlängern so noch einmal um ein paar Jahre die Klerus – Herrschaft.

Die Zahl der neu geweihten Priester ist seit 60 Jahren minimal geworden.
1965: waren es noch 646 Neupriester
1974: nur noch 170. (Quelle Delumeau, Stirbt das Christentum, S. 22):
2010: 96 Neupriester
2022: 114 Neupriester. (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/). Die Zahl der Sterbefälle im Klerus ist sechsmal höher als die Zahl der „Neupriester“.

Hinweise zum Ende der Klerus – Kirche werden vertieft in FUßNOTE 2:

Die Zahl der Taufen von Babys und Kindern geht ständig zurück.
2000: 400.000 Taufen
2022: 198.000 Taufen
Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/les-sacrements-en-france/)

(Bekannte französische Historiker der religiösen Mentalitäten wie Prof. Jacques Delumeau haben in ihren Studiendarauf hingewiesen: Die Bindung der sich kathaolisch nennenden Franzosen an die Lehren des Evangeliums, etwa seit dem 17. Jahrhundert, war alles andere als vorbildlich. Siehe dazu am Ende dieses Hinweises die Fußnote 1. )

4.
Diese aktuelle Situation sollte man religionsphilosophisch und religionssoziologisch „auf den Begriff bringen“:
In Frankreich ist in der Philosophie der Begriff „postmodern“ für den Zustand der Gesellschaft und der Mentalitäten des 20.Jahrhunderts entstanden. Anderswo spricht man von „post-kolonial“ oder „post-demokratisch“, um den politischen Umbruch der Gegenwart zu bestimmen. Auch wenn das „Post-Moderne“ allmählich an Akzeptanz wegen „allzu heftiger subjektiver Beliebigkeit“ verloren hat: An dem Wort „Post- “, „Nach-“ , steckt ja auch die Einladung, den geistigen Zustand einer Gesellschaft kurz und bündig zu beschreiben.

5.
Nun könnte also für Frankreich ein neuer „Post“ – Begriff gebräuchlich werden: Es ist das Wort „Post – Katholisch“.
Das heißt: Frankreich ist – schon vor einigen Jahren – in eine neue religiöse Epoche eingetreten. Sie ist bestimmt vom stetigen Abschied von katholischen Glaubenswelten und vom Abschied von der Bindung an die katholische Kirche als Institution. Frankreich lebt in Zeiten, in denen Katholisches als gelebte Orientierung weithin Vergangenheit ist: „Post – katholisch“ eben, selbst wenn die französische Kirche noch über ein großes Gerüst an Institutionen verfügt und viele Kathedralen und Abteien Zeugnisse sind für den Glauben „von einst“.

6.
Wer Verantwortung oder gar Schuld hat an diesem „post-katholischen Zustand“, ist eine wichtige Frage. Unsere These: Es ist die klerikale Herrschaftsform dieser Kirche selbst und ihre absolute Unbeweglichkeit, die auf nicht mehr nachvollziehbare Dogmen nicht verzichten kann und die Menschen aus der Kirche treibt… Es ist also die starre Herrschaft erstarrter Kleriker, die diese „post – katholische Epoche“ hervorgebracht hat. Kleriker nennen gern als „schuldig“ für diesen Zustand diffus „die Säkularisierung“, den fehlenden “Respekt vor den Werten“, die „Konsumgesellschaft”, früher sagte man auch gern „das Fernsehen“… Wenn die Kleriker dann heute vornehm „Reformen“ vorschlagen, dann sind es, wie üblich, immer nur solche, die ihre eigene Macht nicht gefährden.

7.
Es ist dabei interessant zu sehen, dass mit diesem post – katholischen Zustand Frankreichs jetzt eine „post – demokratische Zeitenwende“ gleichzeitig korrespondiert, also die wahrscheinliche Machtübernahme durch die nur nach außen hin gemäßigte, nicht-rechtsradikale Partei von Marine Le Pen, das „Rassemblement National“. Das zentrale Motto dieser Partei ist der egoistische Nationalismus, „La France d abord.“ Egoismus zuerst also. Und deswegen die Forderung: Flüchtlinge und Fremde: Raus…
Weil die Katholiken wahrscheinlich besser die Paragraphen des römischen Katechismus kennen als die Menschenrechte und die Werte der Demokratie, haben gerade die „praktizierenden Katholiken“ am 9.Juni bei den Europa-Wahlen sehr heftig die beiden rechtsradikalen Parteien gewählt (42 % aller praktizierenden Katholiken). Die französischen Bischöfe haben nicht explizit die Katholiken vor den Rechtsextremen gewarnt, sie schweigen sich auch jetzt aus, nach den Ergebnissen der Europawahl. Manche kompetente Beobachter meinen: Vielleicht denken ja auch einige Bischöfe so wie die Führer der Rechtsextremen, die Bischöfe sind wie diese Politiker gegen die „Ehe für alle“, für den absoluten Schutz der heteronormativen Familie, der Liebe zum „alten Frankreich“ usw… Von den Bischöfen Rey (Toulon) oder Aillet (Bayonne) kann man das gewiss sagen.

8.
Ob dieser Zustand des „Post-Katholischen“, also der katholischen Minderheit, sich in Zukunft weiter bestätigt, hängt von vielen Faktoren ab: Gibt es Kräfte, die zur grundlegenden Reformation (nicht zur „Reform”, diese ist viel zu bescheiden angesichts der Probleme) in der Lage sind? Sind die engagierten Laien in den Gemeinden in der Lage, eine Präsenz des Katholischen zu garantieren? Bekanntlich sind sie nur HelferInnen des Klerus, die Eucharistie leiten dürfen sie nicht. Die Feier der Eucharistie wird offiziell vom Klerus als der absoluteste aller Mittelpunkte katholischen Lebens behauptet, aber die Eucharistie dürfen nur zölibatäre Priester leiten, so behalten die Priester nach wie vor die Macht in der absolut wichtigsten aller katholischen „Ereignisse“… Wenn der Klerus ausstirbt, sterben also auch die Gemeinden. Das weiß der Klerus, und er akzeptiert diesen Weg ins Ende des Katholizismus.

Und die eigentlich irgendwann einmal etwas prophetisch gesinnten Ordensleute fallen auch in Frankreich weithin aus, nicht nur weil die Orden, männliche wie weibliche, am Aussterben sind in Frankreich, sondern weil auch das Renommee der neu gegründeten, oft charismatischen Ordensgemeinschaften einfach miserabel ist, wegen der vielen Fälle sexuellen Missbrauchs vor allem durch männliche Ordensleute.

9.
Wer heute noch in dieser Kirche mitwirkt, ist meistens dem konservativen Lager zuzurechnen: Und diese Kreise sind froh, dass auch heute alles der Tradition und den angeblich unwandelbaren Dogmen entsprechen… alles Katholische soll also so bleiben, wie es – angeblich – immer schon war.
In dieser versteinerten Haltung wird die katholische Kirche zur sehr „kleinen Herde“, wie man kirchenintern gern voller Trost im Blick auf ein Jesus-Wort sagt, also zur abgeschotteten Sekte in einer „post – katholischen Gesellschaft“.
Noch einmal: Jetzt nennen sich noch 29 Prozent aller Franzosen, vor allem ältere Menschen, katholisch. Die stärkste „Konfession“ sind heute die Religionslosen, mit über 50 Prozent. Und ihr Anteil wächst. Sind diese Religionslosen aber wirklich ohne Religion? Wenn nein, welche Religion haben sie, suchen sie, das sind offene Fragen, die bisher kaum religionsphilosophisch bearbeitet werden.

10.
Mit den Menschen „sans religion“ , „ohne Religion“, sowie den 5 Millionen Muslims sowie den einigen hunderttausend Evangelikalen und 500.000 Juden und den zahlreichen Buddhisten wird sich also der Minderheiten – Katholizismus irgendwie verständigen müssen, in einer Zeit alsbald, die man dann allgemein nur „post-katholisch“ nennen wird. Nietzsche fragte einst: Wird die Kirche zum Grab Gottes? In Frankreich ist man geneigt, diese frage mit Ja zu beantworten. Man lasse sich nur vom schönen Schein der so schönen Kathedralen etc. täuschen oder von den Wallfahrtsorten und Pilgerrouten, die selbst für „Religionslose“ wichtig geworden sind, als Formen des „Besonderen“, „Anregenden“ und durchaus „Unterhaltsamen“…

………………………

FUßNOTE 1:

Man studiere die Katholizismus-Geschichte etwa seit König Ludwig XIV.: Auch wenn es im seit dem 18. Jahrhundert zahlreiche katholische Ordensgründungen und mystische Bewegungen auch volkstümlicher Art (Pascal, Jansenisten etc.) gab: Eine tiefere, reflektierte und bewusst gelebte Orientierung am Evangelium Jesu gab es weithin nicht.
Darauf hat unter anderen der bekannte Historiker der religiösen Mentalitäten Prof. Jacques Delumeau in seinen zahlreichen Studien seit Mitte der 1970er Jahre hingewiesen. Etwa in dem Buch „Stirbt das Christentum?“ (Walter Verlag Olten, 1978).
Delumeaus wichtige Erkenntnis: Die Katholiken der viel gerühmten früheren Zeiten, etwa des Barock und danach, waren nicht vorbildlich christlich oder katholisch-fromm, selbst wenn sie noch in vielen Regionen sehr oft an der Messe teilnahmen.
Man lese in dem Zusammenhang auch die empirischen, schön geschriebenen journalistischen Beobachtungen und Studien von Sébastian Mercier (geb. 1740 – 1814) „Mein Bild von Paris“ (Insel-Verlag, 1979). Darin etwa das Kapitel „Messen“ (s. 134 ff.) „Sonn-und Feiertage“ (235 ff) oder „Beichtväter“: Deutlich wird die Oberflächlichkeit des Glaubens der meisten Katholiken in Paris kurz vor der Revolution (1789). Deutlicher kann der Glaube der „ältesten Tochter der römischen Kirche“ in Paris nicht beschrieben werden.

Bekannt ist auch, dass etliche französische Bischöfe schon seit 1930 deutlich sahen: Frankreich ist wieder Missionsland geworden, weil trotz der formellen Bindung an die Kirche durch die übliche Taufe die wichtige innere Verbundenheit mit dem Glauben fehlt. Das waren und sind religions-soziologische Feststellungen, die das Äußere der „religiösen Praxis“ betreffen, was aber bekanntlich nichts aussagt über den „inneren Glauben“ des einzelnen Menschen.

Jedenfalls wurden dann durch die Bischöfe Initiativen erlaubt, die ein neues Gesicht der Kirche in Frankreich zeigen sollten: Es waren seit 1940 etwa die Arbeiterpriester, die als Pfarrer und Ordensleute als „normale“ Arbeiter in den Fabriken vor allem tätig waren und keine Verantwortung in Pfarrgemeinden hatten. Die Arbeiterpriester und die entsprechenden katholischen Laienbewegungen der Arbeiter (ACO und JOC) wollten durch ihre solidarische Präsenz mit den Arbeitern zeigen: Christen sind nicht nur (groß)bürgerlich, sie stehen an der Seite des Proletariates, bis hin zur Mitgliedschaft von Arbeiterpriestern und Theologen in der Kommunistischen Partei oder der Gewerkschaft CGT, dies als Ausdruck der echten Verbundenheit mit dem Proletariat. Auch aus politischen Gründen wurde es 1954 von Papst Pius XII.Priestern untersagt, in der Fabrik zu arbeite. (das übliche vatikanische Nein zum Kommunismus und Sozialismus mit dem bekannten Ja und milden Nein zum Faschismus (Mussolini-Konkordat usw. )
Erst nach dem 2. Vatikanischen Konzil 1965 erlaubte Rom wieder das „Experiment der Arbeiterpriester“, heute sind nur 20 Priester als Arbeiter tätig, weil es zu wenige Priester heute gibt… Und die wenigen jungen Priester sich in gut ausgestatteten bürgerlichen Pfarreien mit lateinischen Messen möglichst noch am wohlsten fühlen. Dass die jungen französischen Priester eher sehr rechts stehen und konservative Theologien vertreten, wurde in den letzten Monaten oft dokumentiert.

FUßNOTE 2:

Hinweise zum Ende der Klerus – Kirche:

Der Klerus in Frankreich ist noch stärker überaltert als etwa in Deutschland: In Paris und Versailles, dort, wie es schön und bequem ist, arbeiten noch etliche junge Priester. Aber in den kleinen Bistümern in der Provinz ist die Ausstattung mit den im Katholizismus immer noch für unersetzlich gehaltenen Klerikern äußerst prekär. Und dies schon seit Jahrzehnten.

Nur ein Beispiel: Die aktuelle Website des Erzbistums Sens-Auxerre in Burgund nennt in seiner aktuellen Website, gelesen am 26.6.2024, noch 64 Priester. Schaut man aber genauer hin, dann sind 2 Priester in anderen Bistümern tätig, 11 meist noch jüngere Priester stammen aus Afrika, und von den anderen, in Frankreich geborenen, sind nach meiner Recherche mindestens 20 über 70 Jahre. Die Website erwähnt sogar im Bistum tätige Priester im Alter von 94 Jahren oder 85 Jahren oder 92 Jahren.

Ich habe 1998 in dem Bistum Sens – Auxerre einen Film für die ARD realisiert, „In letzter Minute“ war der Titel, der schon das bevorstehende Ende der Kirchenstrukturen im Bistum andeuten sollte. Damals führte das Jahrbuch des Bistums „Eglise dans l Yonne“ (1998) noch etwa 100 Priester auf, wobei viele auch sehr vorgerückten Alters waren.damals lebten 320.000 Menschen im Bistum bzw.im Département. Heute, laut website des Bistum, leben dort 340.000 Menschen. Der Anteil der „praktizierenden, d.h. an der Sonntagsmesse teilnehmenden Katholiken in den ingesamt 30 Pfarreien ist minimal. Manche sprechen von 2 Prozent „praktizierender Katholiken“ in diesen Gegenden Burgunds , oft sind es Pariser mit einer Ferienwohnung dort, die an der Messe teilnehmen. Die absolut minimalen Zahlen der „praktizierenden Katholiken“ ist ähnlich in den Bistümern Troyes, Nevers, Moulins, Limoges (Guéret), Perigeux usw. usw. und es sind ganz überwiegend ältere Menschen, die sich noch in die leeren Kirchen sonntags zur Messe setzen, und es sind ältere Frauen, die in den Dörfern als „Ansprechpartner der Kirche“ noch eine gewisse Präsenz der Kirche zeigen…

Aber wer durchs Land fährt, sieht überall verfallene Kirchen, oft schon Ruinen seit 100 Jahren. LINK.

Eine gewisse Melancholie stellt sich ein: Denn die Frage nach der Schuld an diesem Zustand stellt sich ein. Es evident, dass die Herren der Kirche auch für diesen Niedergang Verantwortung tragen, weil sie katholisches Gemeinde – Leben ohne den zölibatären Klerus für unmöglich halten, also Laien nicht Verantwortung geben, die Eucharistie in neuer Form zu feiern. Selbst wenn das heute ab sofort möglich wäre, diese Reform käme zu spät. Es gibt nur wenige Laien, die diese Reformen – schon altersmäßig – mittragen können und wollen. Es ist also vorbei, mit dem Katholizismus in Frankreich, selbst wenn er nach außen hin noch als alte kulturelle Tradition sichtbar ist.

……

Einige Bücher, die für diesen Hinweis wichtig sind:

Céline Béraud et Philipe Portier, Metamorphosen catholiques. Editions de la Maison des sciences de l` homme, Paris, 2015.

Patrick Cabanel, „Le droit de croire. La France et ses minorités religieuses 16.-21. siècle“. Edition Passés Composés, Paris, 2023.

Guillaume Cuchet, „Comment notre monde a cessé d être chrétien“. Ed.du Seuil, Paris, 2018.
Ders., Le catholicisme a-t-il de l avenir en France?“ Ed. du Seuil, 2021.

Jérome Fourquet, „Á la Droite de Dieu“. Ed. du Cerf., Paris, 2018.

Danièle Hervieu – Léger, „Catholicisme, Fin d` un Monde, Ed. Bayard, Paris, 2003.

Danièle Hervieu – Léger, Jean Louis Schlegel, „Vers l `implosion? L` avenir du catholicisme“. Ed. du Seuil, 2022.

Guy Michelat und andere, „Les Francais sont – ils encore Catholiques?“, Ed. Du Cerf, 1991.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Der ultraliberale Chef Argentiniens Milei erhält den Preis des ultraliberalen Friedrich A. Hayek in Hamburg

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20. 6.2024.

Zur Demonstration in Hamburg gegen den Ultraliberalen MILEI in HAMBURG am 22.6.2024: LINK

1.
Der österreichische Ökonom Friedrich August Hayek (1899 – 1992) ist der bis heute, bekanntermaßen, sehr wirksame ökonomische Vordenker des Ultraliberalismus, also des radikalen Neoliberalismus, d.h. des Abbaus des (Sozial)-Staates.

Die neoliberale Zerstörerin des Sozialstaates Madame Thatcher rühmte Hayek ausdrücklich als ihr Vorbild. Reagan war auch Hayek – Fan…

Durch Hayeks Ideologie wird der Sozialstaat nicht nur geschmäht, er wird – zumal aktuell in Lateinamerika – heftigst abgebaut.
An Hayeks Ideologie klammert sich der neue Präsident Argentiniens, Javier Milei. Er vertritt die Ideologie des “Anarcho-Kapitalismus”, zu der auch der Rückbau des Rechtsstaates gehört. Dieser Herr, in Argentinien von den Demokraten verachtet und von einigen kritischen Bischöfen dort nich kritisiert, erhält am Wochenende in Hamburg (22. Juni 2024) die Hayek Medaille der Friedrich A. von Hayek – Gesellschaft. Da erkennt man die geistigen und vor allem ökonomischen Verbindungen! Die Liberalen in Deutschland scheinen sich zweifelsfrei mit diesem Herrn sehr wohl zu fühlen.

Der international bekannte Ökonom, Politologe und Theologe, Prof. Franz Hinkelammert (1931 – 2023) nimmt sich in seinem Buch »Die Dialektik und der Humanismus der Praxis«. VSA, 256 S.  auch Friedrich Hayek vor, der ausgehend von der These der »unsichtbaren Hand des Marktes« das automatische Gleichgewicht aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen behauptet. Damit gehe dieser weit über Adam Smith hinaus, der immerhin noch eingestand, dass der Markt zu seiner Zeit nur auf Kosten von ausgebeuteten, hungernden und elend sterbenden Arbeiterkindern stabilisiert werde. Hayek verleiht dem Marktabsolutismus eine religiöse Aura. Damit sanktioniere Hayek quasi jährliches millionenfaches Sterben an Hunger und Armut sowie die weitere Zerstörung der Erde,“ schreibt der Theologe Prof. Ulrich Duchrow.

Papst Franziskus hat jedenfalls im Februar 2024 mit einer sehr freundlichen Umarmung den Anarchokapitalisten und Ultraliberalen Herrn Milei  im Vatikan empfangen und begrüßt! So kann die von Papst Franziskus so oft zitierte Option “eine Kirche für die Armen zu sein”, auch gestaltet werden. Die Hayek – Ideologen befinden sich also in guter päpstlicher Gesellschaft der “Milei – Versteher”… LINK

2.
Mitglieder dieser sozialstaatsfeindlichen Hayek -Gesellschaft sind u.a.:

Der Opus – Dei – Priester Prof. Manfred Rhonheimer,

Die AFD FührerÎnnen Beatrix von Storch sowie Alice Weidel, sie ist allerdings aus diesem Club 2021 ausgetreten.

Der Autor Henryk M. Broder ist Mitglied dieser Gesellschaft.

Der Fürst von Liechtenstein Hans Adam II ebenso usw….

3.
Die Ideologie Hayeks ist die wohl wirksamste und schädlichste ökonomische Ideologie des brutalen Kapitalismus, die in den letzten Jahren formuliert und verbreitet wird … gegen den Sozialstaat und die Fürsorge des Staates für die Armen und an den Rand Gedrängten.

4.
Der liberale FDP Poliiker und jetzt Wirtschaftsminister Christian Lindner ist – immerhin ! – 2015 aus dieser „illustren“ reaktionären Hayek Gesellschaft ausgetreten. Wie viel Geist Hayeks in Lindners  Politik trotzdem steckt, wäre zu prüfen.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

PS.:
Die Hayek Gesellschaft begründet die Ehrung des ultraliberalen argentinischen Präsidenten Milei mit den (in unserer Sucht sehr realitätsfernen, ideologisch fixierten) Worten:

„Der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft, Prof. Dr. Stefan Kooths, würdigt Milei als ambitionierten Reformer im Sinne Hayeks und der österreichischen Schule der Ökonomie… Mit seiner klaren Sicht auf die Kraft einer marktwirtschaftlichen Ordnung hat Argentinien die Chance, aus dem Interventionismus der Vergangenheit auszubrechen und wieder die Grundlagen für Freiheit, Wohlstand und sozialen Frieden zu legen. Und so weiter und so weiter… LINK   https://hayek.de/wp-content/uploads/2024/02/Pressemitteilung.pdf

Dass Präsident Milei von weitesten Kreisen der durch seine ultraliberale Politik notleidenden argentinischen Bevölkerung, gelinde gesagt, sehr unbeliebt ist, wird, in diesen liberalen Hayek – Kreisen, verschwiegen.

Siehe auch den aktuellen  Bericht über Milei in der selbst eher liberal eingestellten „DIE ZEIT“ vom 20.Juni 2024, im “Wirtschaftsteil” der Zeitung.

Rechts(extrem): Frankreichs Katholiken im Juni 2024.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.6.2024

Das Motto:
„Gott ist nicht konservativ“ erklärte der Pariser Kardinal Francois Marty in einem Interview mit Christian Modehn für „Publik – Forum“ 1980.
Gott ist konservativ, sogar sehr rechtslastig“.
Das glauben heute die meisten Katholiken Frankreichs.

Zur Vertiefung: Der katholische Medien-Mogul und praktizierende Katholik, der Milliardär Vincent Bolloré, hat sich für die Zusammenarbeit der rechten mit den rechtsextremen Parteien ausgesprochen. LINK:

1.
Bis zum 13.6.2024 (gelesen um 23.00), hat die Französische Bischofskonferenz noch keine Erklärung, keine Stellungnahme, keinen Kommentar zu den Ergebnissen der Europawahl in Frankreich am 9.6.2024 auf Ihrer Website publiziert LINK
Hingegen hat die Bischofskonferenz am 12.Juni 2024, drei Tage nach der Wahl, drei Dokumente zu Fragen der Ehe und Heirat veröffentlicht. Man darf sich fragen: Wie weltfremd sind diese Oberhirten eigentlich! Oder: Bereitet sich die Kirche auf eine „Ehe“ von Katholizismus mit den rechten bzw. rechtsaußen Parteien vor?

2.
Lediglich drei Bischöfe aus Nordfrankreich, aus Lille, Arras, Cambrai, wo die Le Pen Partei RN sehr starke Erfolge erzielte, zum Teil über 50 Prozent, haben einen Text publiziert. Und sie haben sehr weise und milde ihre Landsleute „zu politischer Weisheit“ („sagesse politique“) aufgefordert.

3.
Die katholische Kirche in Frankreich ist jetzt de facto schon eine Minderheit: 29 Prozent der Franzosen bezeichneten sich 2023 als Katholiken. LINK (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391), gelesen 14. Juni 2024. Die Religionsstatistiken werden durch repräsentative Umfragen erzeugt, offizielle Religionsstatistiken gibt es in Frankreich nicht… wegen der Trennung von Kirchen und Staat seit 1905.

Zum Vergleich: Im Jahr 1950 nannten sich 90 Prozent der Franzosen katholisch. Der starke Mitgliederschwund der katholischen Kirche ist sicher auch den sexuellen Missbrauch von zahlreichen französischen Priestern und Bischöfen bedingt!

1965 wurden noch 87% aller Kinder – bis zu drei Monate nach der Geburt – katholisch getauft. Heute wird nur ein Viertel der Kinder katholisch getauft … in den ersten sieben Lebensjahren.
Und eine wichtige Zahl zum langsamen Verschwinden des Katholizismus in Frankreich: Im Jahr 2000 lebten und arbeiteten 25.300 Priester in Frankreich, im Jahr 2022 sind es noch 11.600, über das Durchschnittsalter schweigen sich die offiziellen Kirchenstatistiken aus, nur ca. 20 Prozent sind nach zuverlässigen Schätzungen jünger als 65! LINK  (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/ministres-ordonnes-religieux/)
50.000 Ordensfrauen, Nonnen, lebten im Jahr 2000 in Frankreich, 17.300 sind es 2022. Die Klöster sind jetzt de facto meist Heime für alte und sehr alte Nonnen.

4. Das Wahlverhalten der Katholiken im Juni 2024:
Das Meinungsforschungsinstitut IFOP (Paris) hat für die angesehene katholische Tageszeitung LA CROIX (Paris) festgestellt: 42 Prozent der sogenannten praktizierenden Katholiken (d.h. sie nehmen gelegentlich an der Messe teil…) haben bei der Europawahl 2024 für die beiden rechtsextremen Parteien gestimmt: 32 Prozent für Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) (Von ALLEN Wählern erhielt RN „NUR“ 31 Prozent!) und 10 Prozent der praktizierenden Katholiken stimmten für die noch rechtsextremere Partei „Reconquete“ von Eric Zemmour und der Nichte Marine Le Pens, Madame Maréchal. (Von allen Wählern erhielt Reconquete „NUR” 5,5 Prozent).

5.
Die Entschiedenheit der praktizierenden Katholiken für linke und sehr linke Parteien bei der Europa-Wahl 2024 ist eher unbedeutend. Eine aktuelle Begründung: Weil für die meisten Katholiken (auch weltweit) der Glaube an Gott und Jesus immer mit dem Glauben an den höchsten moralischen Wert „Pro LIFE“ verbunden ist, wurde Staatspräsident Macrons Politik abgelehnt: Er hat sich bemüht,
Gesetzesvorlagen zum „Ende des Lebens“ vorzulegen, also zur aktiven Sterbehilfe. Da hat sich eine ideologisch moralische Einheit gebildet von rechten, rechtsextremen Parteien mit den katholischen Bischöfen und konservativen katholischen Laienorganisationen. Wir nennen nur die „Alliance Vita“, sie führt auch seit Jahren einen Kampf auch gegen die Abtreibung, zusammen mit „Associations Familiales Catholiques“ (AFC). Noch wichtiger im Kampf gegen die individuelle Freiheit, über das eigene Lebensende selbst zu bestimmen, ist die „Société française d’accompagnement et de soins palliatifs (SFAP)“. Sie wehrt sich gegen die Selbstbestimmung im Sterben, sie verfügt über viele finanziellen Mittel und ist verantwortlich für die Ausbildung der Pflegekräfte im Palliativ – Bereich. Die Präsidentin diese Vereins, Claire Fourcade, ist eng mit den katholischen Universitäten verbunden, sie hat sich auch gegen die Gültigkeit der objektiven Forschungsergebnisse einer neutralen Studiengruppe zum sexuellen Missbrauch durch Priester (die Studie hat den Namen „Commission Sauvé) ausgesprochen. Sie ist mit dem sehr konservativen Bistum Versailles verbunden.

6.
Eine kurze Erinnerung: In Frankreich gibt es seit 1789 (Beginn der Großen Revolution) eine sehr enge Verbindung der allermeisten Katholiken Frankreichs und auch ihrer Führer, der Priester und Bischöfe, mit rechten und rechtsextremen Parteien. Antirevolutionär sein bedeutet immer: Die Werte der Demokratie und der Republik ablehnen, in Frage zu stellen, die Bindung an Autoritäten mehr zu schätzen als die Autonomie des einzelnen; Sympathien für den Antisemitismus zu haben, die klassischen Werte der Familie und der Frauen (als Mütter und Hausfrauen) zu verteidigen, gegen die „Ehe für alle“ öffentlich zu kämpfen…

7.
Diese Kreise sind auch im 20.Jahrhundert immer aktiv gewesen, und sie sind auch heute aktiv. Selbst wenn sie zahlenmäßig eher von bescheidenem Umfang sind, haben sie doch eine breite, auch öffentliche Wirkung in der Kirche und der Gesellschaft. Diese konservativen, reaktionären, rechtsextremen katholischen Gruppen sind im Vergleich zu Deutschland sehr viel zahlreicher, sie können auf eine lange Tradition seit 1789 verweisen. Diese Gruppen prägen auch heute das Profil des französischen Katholizismus. Bedeutende linke, theologisch – reformerische Kreise gab es einmal im französischen Katholizismus in einem beträchtlichen Umfang, man denke nur an die vielen hundert Arbeiterpriester in Frankreich einst. Nur noch 15 Priester sind aktiv als „Arbeiterpriester“ tätig. 1976 waren 800 Priester „Arbeiterpriester“…Heute sind die linken katholischen Kreise und ihre Zentren und ihre einst bedeutenden Zeitschriften („Témoignage Chrétien“ etc.) marginal.

8. Le Pen
Die Le Pen Partei, von Jean – Marie Le Pen gegründet und bis 2011 von ihm geführt, hatte immer eine enge Verbindung mit den traditionalistischen Pius – Brüdern. Diese von dem reaktionären katholischen Erzbischof Marcel Lefèbvre gegründete Protestbewegung (d.h. Ablehnung des 2. Vatikanischen Konzils) ist in Frankreich von einer zahlenmäßig bedeutenden Stärke.
Die Le Pen – Partei „Front National“ hat damals mit diesen Priestern immer zusammengearbeitet und sie betrachtete förmlich die Hauptkirche der Lefèbvre Leute, St. Nicolas du Chardonnet in Paris, als ihr spirituell – politisches Zentrum. Le Pen Tochter Marine Le Pen, hat dem „Front National“ ein neues Äußeres gegeben und auch einige rechtsradikale Elemente aus ihrer Partei ausgeschlossen, wie den Antisemitismus. Diese neue Le Pen Partei heißt seit einigen Jahren „Rassemblement National“, Nationale Sammlung. Die Nation zuerst steht nach wie vor im Mittelpunkt. „Frankreich zuerst“ ist das Motto, das sich vor allem gegen muslimische Einwanderer und besonders Flüchtlinge richtet.

9.

Der traditionalistische Katholik Renaud Labaye, die „graue Eminenz“ des Rassemblemnet National.

Der wichtigste Mann „im Hintergrund“ der Le Pen Partei, des Rassemblement National (RN), ist Renaud Labaye (39 Jahre alt). Er ist offiziell zwar nicht Mitglied des RN, aber „er fühlt sich der Nationalen Rechten immer nah“, wie er gegenüber dem „Spiegel“ (15.6.2024, Seite 61) bekennt, und zwar seit 2014, wie die Zeitung Journal du Dimanche betont, LINK  .
Labaye ist Generalsekretär der Partei RN und gehört zum Kreis der so genannten “Horaces“, des geheimen Beratergremiums von Marine Le Pen.

Renaud Labaye bekennt sich offen zum Katholizismus, allerdings in der Form des Traditionalismus: Er sei regelmäßiger Teilnehmer der traditionalistischen Wallfahrt Paris – Chartres unter dem Zeichen der militanten Organisation „Chrétienté“, also der alten, abgeschotteten katholisch zu verstehenden „Christenheit“, berichtet das politische Magazin EXPRESS am 23.6.2022.

10. Römisch-katholische Traditionalisten!
Schon Papst Johannes Paul II. und mit ihm sein „rechter starker Arm“, Kardinal Ratzinger, gaben sich alle Mühe, die politisch rechtsextreme Lefèbvre Bewegung zu spalten und traditionalistische Organisationen im Innern der offiziellen römisch – katholischen Kirche zuzulassen. Das ist den beiden auch gelungen. Papst Benedikt XVI. setzte diese Spaltung der Pius – Brüder – Kreise fort. Diese einstigen Papstfeinde und Traditionalisten haben aber ihre reaktionäre Theologie beibehalten dürfen, dem Vatikan kam es nur auf die Anerkennung des Papstes als des obersten Chefs an!
Darüber wurde auch auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin ausführlich berichtet. LINK.

11.
Wichtig ist in dem Zusammenhang, an die von einem ehemaligen Lefèbvre Priester, Philippe Laguerie, gegründete Priester – Gemeinschaft „Institut du Bon Pasteur“ mit dem Zentrum in Bordeaux zu erinnern. Diese traditionalistische, aber mit dem Papst versöhnte Gemeinschaft ist inzwischen international aktiv.

12.
Mit dem traditionalistisch – römisch katholischen „Institut du Bon Pasteur“ ist der in Frankreich in rechten und rechtsextremen Kreisen sehr bekannte Priester Matthieu Raffray als Mitglied verbunden. 1979 geboren, hat er als Philosoph alle Vorliebe fürs Mittelalter entwickelt und deswegen die Metaphysik des heiligen Thomas von Aquin studiert, auch in Rom, an der Universität des Dominikaner Ordens! Er ist jetzt mit mehreren Organisationen der „katholischen Identitären“ verbunden. Und ist attraktiv bei jungen Leuten, auch wegen seiner heftigen Worte und Prinzipien wie etwa: «Bagarre, bagarre, prière.» , also: „Schlägerei, Streit, Gebet“, wie die Tageszeitung Liberation (Paris) berichtet.

13. Pater Raffrays “männliche Katholiken”
Der Priester Matthieu Raffray ist eine zentrale Gestalt im rechten und rechtsextremen katholischen Milieu, also bei praktizierenden Katholiken, die Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) gewählt haben. Raffray ist im Internet äußerst aktiv, er fordert dort einen „spirituellen Kreuzzug“, er verlangt, alter rechter Ideologie folgend, die Stärkung “männlicher Katholiken“, er sagt explizit: „former des catholiques virils ». Auf seiner You – Tube Seite sammelt er 800.000 Leute, die sich seine Predigten anschauen, 74.000 folgen ihm auf Instagram.
Nebenbei darf er auch an der Päpstlichen Universität Sankt Thomas von Aquin in Rom lehren sowie am Katholischen Institut in Toulouse, er ist also auch fest integriert in den offiziellen, sich moderat nennenden Katholizismus.
Die Ministerin Aurore Bergé, verantwortlich im staatlichen Kampf gegen Diskriminierungen, hat Pater Raffray angeklagt wegen öffentlicher Diskriminierung Homosexueller. In einem Interview sagte Raffray, Homosexualität solle durch Therapie überwunden werden. Schließlich sei für ihn Homosexualität nichts als eine Schwäche, eine Krankheit, die „weg – therapiert“ werden sollte.

14.
Eine Art Demonstration der sehr konservativen und traditionalistischen, politisch meist rechtsextremen Katholiken ist – seit 1983 – die jährliche Wallfahrt zu Pfingsten von Paris nach Chartres LINK . Diese sehr populäre Wallfahrt wird von jenen katholischen Organisationen organisiert und begleitet, die zwar traditionalistisch sind, aber mit dem Papst – pro forma möchte man sagen – versöhnt und verbunden sind. Diese Kreise sind also offiziell „traditionalistisch – römisch katholisch“. Man sehe sich sich die Website an, wie viele Gemeinschaften und Ordensgemeinschaften mit dieser Organisation mit dem Titel „Notre Dame de Chrétienté“ verbunden sind. Siehe LINK oben. In diesem Jahr (2024) waren 18.000 TeilnehmerInnen, also Wallfahrer, dabei, meist jüngere Leute. Die Messe am Zielort Chartres wurde in lateinischer Sprache gefeiert, ausgerechnet von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem heftigsten Gegner von Papst Franziskus.

Die inzwischen sehr bekannten, gut besuchten jährlichen „Wallfahrten Paris – Chartres“ wurden 1982 gegründet, vom rechtsextremen, der Le Pen Partei nahestehendem Zentrum „Henri et André-Charlier“ (wenn man diesen rechtsextremen Club näher studieren muss: LINK). Der damalige traditionalistische Benediktiner-Abt von Le Barroux, Dom Gérard Calvet, war auch an der Gründung beteiligt (später wurde er ohne weiteres in die offizielle römisch – katholische Kirche aufgenommen.)
Diese Wallfahrten sollten, so wörtlich im Sinne der Initiatoren, ein Zeichen des christlichen und nationalen Widerstandes sein … mit dem Ziel der christlichen Rückeroberung (reconquete chrétienne). Rückeroberung also schon damals das entscheidende Stichwort, berichtet die offiziell-katholische Wochenzeitung „Pèlerin“ am 17.5.2024.

15.
Auch Pater Matthieu Raffray predigte bei dieser Wallfahrt. Schon 2023 polemisierte er in seiner Predigt vor 16.000 Teilnehmern während der Wallfahrt nach Chartres: Zuerst das französische Zitat, das die katholische Tageszeitung La Croix (Paris am 16.5. 2024 dokumentiert) « Une foule d’ennemis voudront vous faire taire (…). Les communistes, les francs-maçons, les mondialistes, les wokistes, les libéraux, les progressistes, les sans-Dieu et ceux qui adorent de faux dieux, les hérétiques et les schismatiques, les socialistes, de droite comme de gauche. »  Also: „Eine Menge von Feinden wird euch zum Schweigen bringen: Die Kommunisten, die Freimaurer, die Freunde der Dritten Welt -Solidarität, die woke-Leute, die Liberalen, die Progressisten, die Häretiker, die Schismatiker, die Sozialisten von rechts wie von links“… Paul Colrat, katholischer Philosoph und Autor, über die Aktivitäten des rechtslastigen Priesters Raffray: „Seine Rolle ist es, offiziell die Jugend der extremen Rechten zu evangelisieren. Aber ich fürchte, aber er versteht es eher, eine Art seelische Bestätigung für diese rechtsextreme Strömung in Frankreich zu geben, die in Frankreich stärker wird“ ( La Croix, 16.5.2024). Den TeilnehmerInnen und den klerikalen Organisatoren dieser Wallfahrt geht es jedenfalls, wie der Titel der Wallfahrt ja sagt, um die Chrétienté, die alte stolze, herrschende Christenheit von einst, und das bedeutet theologisch: Christus soll als König herrschen, d.h. Christus (das Neue Testament) soll die Politik bestimmen. Das darf man mit gutem Grund Fundamentalismus nennen. Extreme Muslim-Kreise wollen in Europa ein Kalifat errichten, der Koran soll herrschen, was ist da der Unterschied?

16.
Es gibt viele weitere rechtslastige katholische Organisationen aus dem Umfeld der Traditionalisten, kritische Katholizismus-Forscher und Theologen sollten sich um das Thema kümmern: Die Organisation „Civitas“ muss genannt werden, genauso die „Academia Christiana“ mit ihren „Sommeruniversitäten“ in der Normandie mit etwa 400 Teilnehmern. Dort wurde schon 2021 für die „Remigration“ geworben, und sehr rechte Rockgruppen gehörten zum Programm, berichtet die Tageszeitung Libération, Paris, 11.Dez 2023. Innenminister Gerald Darmanin plant, diese „academia“ zu verbieten.
Die rechtsextremen katholischen Kreise versöhnen sich jetzt mit ihren einstigen Gegnern, den explizit heidnisch sich nennenden rechtsextremen Kreisen, die oft einer speziellen Rassen – Ideologie anhängen: Aber diese Differenzen seien jetzt nicht mehr wichtig, heißt es, es gelte, die rechtsextremen Kräfte für den Sieg zu bündeln. Und das ist diesen militanten katholischen Kreisen ja auch bei der Europawahl 2024 schon mal gelungen. Wie werden die Wahlergebnisse zur vorgezogenen Parlamentswahl Anfang Juli 2024 aussehen?

17. Nichts verstehen – aber “Sinn fürs Heilige”
Auch viele der „klassischen“ „normalen“ Katholiken französischen Katholiken schätzen immer entschiedener die alten theologischen Lehren und die Bevorzugung der alten lateinischen Messe. In der alten lateinischen Messe werde der Sinn fürs Heilige erlebt und geschärft, sagen diese Gläubigen. Der Sinn fürs Heilige besteht für sie also im Nicht-Verstehen der Sprache und der Riten in diesen lateinischen Messen. Selbstverständlich wird die Kommunion von ihnen gern noch kniend empfangen, der Priester legt die Hostie nach alter Art auf die Zunge des Gläubigen, das alles stärke den „Sinn fürs Heilige“…

18.
Untersuchungen haben gezeigt: Junge Priester sehen es jetzt für sich selbst am wichtigsten an, die Messe als „schöne Zelebration” zu feiern und die Sakramente zu spenden. Dies halten viele auch für wichtiger als die Predigt. Junge Priester und schon die Priesterstudenten, Seminaristen genannt, bevorzugen ganz überwiegend die klassische schwarze Priester – Soutane, berichtet La Croix am 21.12.2023. Und aus der sehr konservativen Gemeinschaft St. Martin hießt es deutlich: „Durch das Tragen der Soutane werden die Priester identifizierbar… Soutane ist ein Zeichen dafür, dass es noch eine andere Welt gibt.“
Äußerlichkeiten wie Gewänder und Soutanen als Wegweiser zu Gott? Das ist eine gewagte These. Wahrscheinlich sollten diese Priester ehrlich sagen: Wir wollen mit unseren Soutanen nur auffallen, als besondere Gestalten angesehen und geachtet werden, eben als Kleriker, die dem Volk, den Laien, gegenüber stehen. Und wichtiger sind als die Laien.

19. Das Ende des französischen Katholizismus ist absehbar
Die französische katholische Kirche wird zahlenmäßig immer kleiner, im Denken und politischen Handeln immer rechter, und die wichtigsten Akteure dieser Kirche, das sind die Priester, die Kleriker, sie sterben langsam aber sicher aus. So viele Priester aus dem Französisch sprechenden Afrika können als Ersatz auch nicht mehr einspringen, einige Hundert tun dies bereits! Und Klöster werden immer mehr zu Museen, wenn man sie nicht abreißt: Einige konservative Gruppen übernehmen diese Klöster, wie etwa in Lagrasse, im Süden Frankreichs. Aber so viel Personal haben die Reaktionären auch nicht…

Der kulturelle Bruch, der sich in Frankreich abspielt, ist unübersehbar. Und man kann bedauern, wie gering die Phantasie der verbliebenen Katholiken ist, noch an einer modernen, von „Laien“ geprägten Kirche zu arbeiten. Oder endlich ökumenisch mit den Reformierten und den Lutheranern in großem Umfang zusammenzuarbeiten…
Kritische Beobachter glauben manchmal, der immer noch allmächtige Klerus stolpert bewusst in einen Suizid dieser Kirche. Oder der Klerus will, dass die katholische Kirche definitiv auf Sekten – Niveau landet.

Wer nur die Pariser Kirchenszene betrachtet, wird noch immer viele z.T. neue Kirchengebäude treffen und Gemeinden. Aber man sehe ich in Limoges um, in Guéret, in Sens-Auxerre, in Nevers, in Troyes, in Verdun usw. … Dort und in anderen Provinzbistümern kann man das Ende des französischen Katholizismus schon jetzt erleben… Aber eine seriöse umfassende Reflexion über das Ende findet kirchlicherseits nicht statt. Offizielle Ignoranz kann man das nennen.

20.
Wer noch Sinn für moderne kritische Theologie hat, muss wohl sagen: Was ist das alles für eine Schande der Unvernunft. Haben für diesen miserablen Zustand die modernen kritischen Theologen Frankreichs (Chenu, Congar…) einst gekämpft? Schließlich haben sie das 2. Vatikanische Reform-Konzil entscheidend mit gestaltet.

PS: 1993 hat Christian Modehn das Buch “Religion in Frankreich” (GTB, Gütersloher Verlagshaus, 160 Seiten) veröffentlicht, “Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart” war der Untertitel. 1993 gab es noch, trotz der sehr rigiden, konservativen Theologie von Kardinal Lustiger, Paris, einige progressive, wegweisende Versuche, eine moderne katholische Kirche zu gestalten. Das Buch ist noch in Antiquariaten verfügbar.

21.
Über die Frage: Wer ist Schuld an diesem Zustand ? wäre lange zu debattieren: Es ist auch die Kirchenführung in ihrem Dogmatismus, die die nachdenklichen, progressiven Katholiken in Scharen aus der Kirche getrieben hat. Die entscheidende theologische Einsicht heißt: Dogmatismus und Klerikalismus machen nicht nur in Frankreich die katholische Kirche allmählich zur Sekte. Mit sehr rechtslastigem, rechtsextremen Einschlag, wie in Frankreich jetzt.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Halb-loyale Demokraten gefährden die Demokratie…

…weil sie mit Rechtsextremen kooperieren.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.6.2024

1.
Was passiert, wenn Ursula von der Leyen mit Giorgia Meloni von den sehr rechtslastigen Partei „Fratelli d Italia“ kooperiert?
Was passiert, wenn eigentlich demokratische konservative Parteien in Deutschland mit der z.T. rechtsradikalen AFD oder in Österreich mit der rechtsextremen FPÖ kooperieren?
Was passiert, wenn sich die konservative Partei „Les Républicains“ in Frankreich mit der rechtslastig – rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen verbündet bei den bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung am 30.6.2024?

2.
Ein Blick in die jüngere Geschichte Frankreichs kann bei der Frage weiterführen und neue Perspektiven eröffnen. Dass sich Geschichte nicht wiederholt und unmittelbar Schlüsse auf die Gegenwart von der Geschichte nicht gezogen werden dürfen, steht fest. Dennoch bietet die historische Erfahrung Impulse zum Nachdenken („Lernen aus der Geschichte“), zumal wenn Strukturen freigelegt werden, die damals wie heute gültig sind.

3.
Die beiden international geschätzten us-amerikanischen Historiker und Politologen Prof. Steven Levitzky und Prof. Daniel Ziblatt verdeutlichen die aktuelle Gefährdung der Demokratie in den USA durch weite Teile der Partei der Republikaner gerade mit dem Hinweis auf historische Erfahrungen. Das macht das Buch auch so wertvoll.
Sie erinnern ausführlich an den – in Deutschland kaum bekannten – Tag des Angriffs auf die französische Demokratie am 6. Februar 1934 in Paris.
Auf den Seiten 45 – 52 beschreiben sie in ihrer neuen Studie „Die Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können“ (DVA Verlag München 2024) die Gewaltattacken auf die Demokratie in Frankreich, sozusagen als Lehrstück und Mahnung: Was passiert, wenn konservative Parteien mit Rechtsradikalen und Anti-Demokraten kooperieren.

4.
Der entscheidende Punkt ist: Ohne die ideologische Kooperation der 1936 führenden konservativen Partei „Fédération Républicaine“ mit den vielfältigen antidemokratischen Gruppen, Milizen und Ligen wäre der Sturm auf die Nationalversammlung („Palais Bourbon“) nicht möglich gewesen. Mehr als 10.000 rechtsextreme junge Männer machten aus der Nationalversammlung für etliche Stunden eine belagerte Festung. “Der Aufruhr hatte mehrere Tote gefordert, hunderte Menschen waren verletzt worden“ (S. 47). Vor allem: Der demokratische Ministerpräsident Edouard Daladier trat nach der Attacke zurück, „und Gaston Doumergue, ein für die rechtsradikalen Ligen akzeptabler rechter Politiker, über nahm sein Amt… Die Mitte – Links – Regierung war dem Druck der Straße (also der Rechtsextremen) gewichen. Die extreme Rechte war mobilisiert und fühlte sich ermutigt“ (ebd.).

5.
Unter den vielen Details dieses Angriffs auf die französische Demokratie am 6. Februar 1934 ist ein Aspekt aktuell besonders wichtig, und darauf weisen die beiden Autoren hin: Es geht um die Haltung der eigentlich demokratischen konservativen Partei „Fédération Républicaine“. Diese Partei war Anfang der 1930er-Jahre nach rechts gedriftet und von einem Hass auf die linken Parteien bestimmt (S. 48). Deswegen unterstützte diese Partei verbal, ideologisch, die rechtsextreme Meute in ihrer Attacke auf das Parlament und die dortigen Abgeordneten.
Es gab dann Untersuchungen zu den Attacken des 6. Februars, aber wegen der an einer Wahrheitsfindung gar nicht interessierten Konservative Partei „wurde für die Ereignisse niemand verantwortlich gemacht, die französische Demokratie blieb stark geschwächt. Sechs Jahre später war sie tot“ (S. 51): Da herrschte der Nazi – freundliche Marschall Pétain.

6. Halbloyale Demokraten.
Die Wissenschaftler Prof. Steven Levitzky und Prof. Daniel Ziblat erinnern an diese Ereignisse aus aktuellem Interesse: Man habe beim Lesen des Buches immer den Sturm auf das Capitol in Washington DC am 6.1. 2021 vor Augen. Sie wollen ein grundsätzliches politisches wie ethisches Problem zur Sprache bringen: Und das ist: Die “eigentlich“ noch demokratisch gesinnten Konservativen „Les Républicains“ waren nicht imstande, sich von antidemokratischen Kräften des rechtsradikalen Pöbels zu distanzieren. Sie waren nur „halbloyale Demokraten“, also ein bißchen demokratisch und ein bißchen rechtsradikal eben. Sie waren also die Komplizen der rechtsradikalen Angreifer auf die Demokratie.

7.
Diese nach außen demokratisch wirkenden Konservativen „halten sich dem Anschein nach an die demokratischen Spielregeln, aber insgeheim untergraben sie die Demokratie“ (S. 51). Die Autoren werden deutlich: „Aus der Ferne mögen diese halbloyalen Demokraten wie wirklich loyale Demokraten aussehen. Es sind etablierte Politiker, häufig in Schlips und Kragen, die auch nach außen hin nach den Regeln spielen und damit sogar erfolgreich sind. Sie beteiligen sich niemals an offensichtlich antidemokratischen Handlungen. Daher sind ihre Fingerabdrücke nach dem Tod der Demokratie selten auf der Mordwaffe zu finden. Aber: Halbloyale demokratische Politiker spielen eine entscheidende, wenn auch versteckte Rolle beim Zusammenbruch der Demokratie“ (S. 52).

8.
Man wende diese Strukturanalyse auf die in Punkt 1. genannten Probleme und Personen und Parteien an.
Es geht um die dringend erforderliche Wahrnehmung, dass in den Demokratien die Demokraten und ihre Parteien sozusagen umkippen und nur noch „halbloyale Demokraten“ sind. Diese Politikerinnen sind bereit um des eigenen Machterhaltes (und Finanzgewinns) willen mit Rechtsextremen zu kooperieren. Das führt – siehe Frankreich 1940 – zum Ende der Demokratie. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist immer auch ein Kampf gegen halbloyale Demokraten.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

 

 

Sehr rechtslastige und rechtsextreme Katholiken

Ein Hinweis von Christian Modehn

Erstens:
Die rechtslastigen und rechtsextremen Organisationen im Katholizismus. Dazu im folgenden einige Hinweise unter „Erstens“.

Kann die katholische Kirche, auch heute, überhaupt demokratische Werte fördern und unterstützen, wenn sie selbst, als Kirche, als Hierarchie, in ihrer offiziellen Lehre, explizit nicht – demokratisch sein will. Wenn also die theologische Lehre immer noch betont wird: Jesus Christus als Stifter dieser Kirche will gar keine demokratischen Strukturen und demokratischen Werte, will gar keine Menschenrechte als oberste Orientierung. Jesus Christus will auch keine Gleichberechtigung der Frauen (in der Kirche).
Das behaupten Kleriker, Bischöfe, Päpste seit ca. 1.600 Jahren, Kleriker, die in keiner Weise vom „Kirchenvolk“ gewählt wurden. Papst Franziskus selbst nannte kürzlich den Vatikan eine „absolute Monarchie“. So verstand sich auch der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV.
Der demokratisch nicht legitimierte Klerus beansprucht die absolute Deutungshoheit der Bibel, der katholischen Lehre, der Dogmen. Diese Ablehnung freier theologischer Forschung kann man nur fundamentalistisch nennen. Diese fundamentalistische Gesinnung „färbt“ natürlich auch ab, sie prägt die stark katholisch – kirchlich Gebundenen, die Praktizierenden. Und diese antidemokratische Struktur und Denkform der „heiligen“ Kirche kann Gläubige ins rechte und rechtsextreme Lager führen.
Die katholische Kirche ist also eine Organisation, die als Hüterin, als Förderin der Demokratie und des demokratischen Geistes und der Menschenrechte von Demokraten und Verteidigern der Menschenrechte NICHT ernst genommen werden kann. Wenn in dieser Kirche heute demokratisches Bewusstsein (etwa in sozialen und kulturellen Initiativen) da und dort gefördert wird, dann leisten diese Arbeit Katholiken als weltliche Staatsbürger in Demokratien, nicht aber primär motiviert als gläubige Katholiken.
Die Frage nach den rechtslastigen, rechtsextremen antidemokratischen Kräften im Katholizismus darf sich also nicht auf die zahlenmäßig eher kleinen, expliziten katholisch rechtsextremen Gruppen und Gemeinden fixieren. Es ist der antidemokratische Geist der Kirche selbst, der rechtslastiges Denken und Handeln fördert. Über die protestantischen Kirchen in Deutschland wäre eigens zu sprechen. Sie sind erst seit 1945 demokratisch organisiert.

……………….

Erstens: Die rechtslastigen und rechtsextremen Organisationen im Katholizismus. Einige wichtige Hinweise.

1.
Über die politische Rechtslastigkeit und vor allem den Rechtsextremismus in der Welt der katholischen Traditionalisten heute berichtet Raoul Löbbert in einer Reportage in „Christ und Welt„ (Beilage von „Die Zeit“) vom 6. Juni 2024. Darum diese Vertiefung des Themas hier.

2.
Es geht in der Reportage etwas durcheinander und hin und her. Wichtig ist für unsere Sicht als Ausgangspunkt die zentrale Erkenntnis: Die „katholischen Traditionalisten“ sind eine vielfältige, sehr unterschiedliche und untereinander durchaus auch verfeindete internationale (!) „Gemeinschaft“. Und es gelten viele historische und vor allem theologische Nuancen.

3.
Die Reportage nennt ausführlich das Priorat St. Afra in Berlin – Wedding mit seinem Gründer Prälat Gerald Goesche. Die Kirche St. Afra mit dem umgebenden Gemeindezentrum wurde offiziell, im Jahr 2002, von Kardinal Georg Sterzinsky, Erzbischof von Berlin, Gerald Goesche überlassen. Zuvor trafen sich dort die spanisch sprechenden Katholiken Berlins. Goesche und seine kleine Priestergemeinschaft, die sich nach St. Philipp Neri nennt, ist also offiziell Mitglied der römischen – katholischen Kirche und als „Priestergemeinschaft“ „päpstlichen Rechts“. Zu Besuch waren dort schon hochrangige Kardinale, wie der reaktionäre Kardinal Medina.
Goesche und sein Priesterteam dürfen also offiziell mit Zustimmung des Berliner Erzbischofs erlaubt die Messe in lateinischer Sprache im alten Stil des 16. Jahrhunderts feiern. Und in der theologischen wie politischen Lehre, wie die Reportage zeigt, kann Goesche sehr deutlich machen, wo er (rechts) steht. Und diese Orientierung findet einen gewissen Anklang unter Berlins Katholiken, die nie zu den Fortschrittlichsten im deutschen Katholizismus gehörten, begründet auch durch die reaktionäre theologische Haltung von Kardinal Bengsch, danach ebenso von Kardinal Meisner. Kardinal Sterzinsky war eher theologisch unbegabt, aber auch kein Reformer. In einem solchen Berliner Milieu, in dem es bis vor kurzem keine katholisch _ theologische Fakultät gab, ist reaktionäres Verhalten vieler Katholiken also eher normal.

4.
Bis zur Jahrtausendwende war der Priester Gerald Goesche eng verbunden mit der „Priesterbruderschaft St. Pius X“, mit einer eigenen Kapelle in Berlin -Kreuzberg, er war sehr verbunden mit jener Gemeinschaft, die Alterzbischof Marcel Lefèbvre gegründet hatte. Lefèbvre hatte die Reformbeschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils rigoros abgelehnt. Er steht am Beginn der auch jetzt breit und vielfältig aufgestellten, wenn nicht unübersichtlichen Welt der„katholischen Traditionalisten-Bewegungen“. Weil Lefèbvre ohne Erlaubnis des Papstes 1988 vier seiner Priester zu Bischöfen für seine Gemeinschaft weihte, wurde er von Papst Johannes Paul II. exkommuniziert. Diese Bischofsweihen sind nach vatikanischem Recht zwar unerlaubt, aber gültig.
Diese Lefèbvre Priestergemeinschaft nennt sich „Bruderschaft St. Pius X.“, sie ist international verbreitet mit vielen tausend Gläubigen. LINK.
Sie gilt nach vatikanischem Recht als schismatisch, also als „spalterisch“, sie gilt in vatikanischer Sicht aber nicht als häretisch, also nicht Irrlehren verbreitend!
Die vier unerlaubt geweihten Bischöfe wurden vom Papst exkommuniziert, diese Exkommunikation wurde nach einigen Jahren aber wieder aufgehoben, obwohl einer dieser Bischöfe, Williamson, sich offen und öffentlich antisemitisch geäußert hatte. Als Kardinal in Rom, dann als Papst Benedikt XVI., wollte Ratzinger – selbst ein Konservativer – unbedingt eine Versöhnung mit diesen Schismatikern, denn sie haben sehr viele junge Priester „im Angebot“… Und Kirchenspaltungen vom Katholizismus sind immer ein Makel für den Machtanspruch des Papstes.

5.
Besonders Kardinal Ratzinger, dann Papst Johannes Paul II. und später Papst Benedikt XVI. betrieben aber auch eifrig die Spaltung dieser schismatischen Priestergemeinschaft St. Pius X.: Wenn etwa Klöster der Lefèbvre Bewegung den jetzigen Papst als obersten Chef wieder anerkennen wollten – was weite Kreise der Lefèbvre Anhänger allerdings nicht tun – dann konnten sie sich mit Rom (dem Papst) offiziell versöhnen: Das heißt: Ihre reaktionäre Theologie im Sinne Lefèbvres durften sie beibehalten, ebenso selbstverständlich ihre lateinische Messe im Ritus des 16. Jahrhunderts. Berühmtes Beispiel für diese bloß formal zu nennende “Versöhnung“ mit dem Papst ist das Kloster Le Barroux in Südfrankreich, deren Mönche – und deren Abt (z.B. Gérard Calvert) stark der rechtsextremen Le Pen – Partei anhängen bzw. anhangen.

In der Europa Wahl im Juni 2024 haben in Frankreich 42 Prozent der praktizierenden Katholiken rechtsextreme Parteien gewählt.  LINK

6.
Als päpstlich anerkannte reaktionäre Alternative wurde von Papst Johannes Paul II. schließlich die „Priesterbruderschaft St. Petrus“ gegründet: Dies war durchaus als Attacke zu verstehen gegen die stark werdende Lefèbvre Bruderschaft Pius X.. Traditionalistischer Geist mit päpstlicher Unterstützung und Förderung auch bei den “Petrusbrüdern“, sie feiern ebenso die uralte lateinische Messe. Formale Anerkennung des Papstes als obersten Chef. Die Petrusbrüder bedienen in ihren Kirchen weltweit reaktionäre Katholiken. Diese St. Petrus – Bruderschaft erfreut sich auch in Deutschland eines regen „Nachwuchses“ an Priestern, in Wigratzbad bei Lindau ist das Priesterseminar. Mit welchen reaktionären, aber offiziell römisch -katholischen Bischöfen die Petrus – Bruderschaft in Verbindung steht, kann man auf deren Website bequem nachlesen. .

7.
Zu diesen päpstlich anerkannten traditionalistischen Bewegungen gehört eben auch Prälat Goesche in Berlin – Wedding mit seinem Zentrum St. Afra. Das Erzbistum Berlin erwähnt Goesches Gemeinde auf der offiziellen Website: LINK

8.
Diese offiziell römisch – katholischen, also durch aus päpstlich anerkannten traditionalistischen Kreise sind sehr vielfältig auch unter der Laien: Fürstin Gloria von Thurn und Taxis wäre zu erwähnen, die in enger Verbindung steht mit sehr konservativen Bischöfen und Kardinälen, wie etwa Kardinal Müller oder Kardinal Sarah, beide heftige öffentliche Feinde von Papst Franziskus. Überall, wo Katholiken als leidenschaftliche Verteidiger von „Pro Life“ auftreten, etwa auch auf Demonstrationen gegen die „Ehe für alle“, sind Traditionalisten in enger Einigkeit mit AFD Anhängern verbunden oder – etwa in Frankreich – mit der Le Pen Partei.
Aus Frankreich kommt nun auch nach Deutschland die sehr konservative, durchaus traditionalistische Priestergemeinschaft „Christus König“. Frankreich als Zentrum traditionalistischer und damit katholisch – rechtsextremer Kreise wäre ein eigenes Thema. Da wäre auch über die Bischöfe von Toulon oder von Bayonne zu reden, die jetzt nach vielen Jahren ihrer sehr rechtslastigsten Agitation vom Papst Franziskus eingeschränkt und kontrolliert werden. LINK RPS. Es wäre zu reden von den vielen neuen kleineren Ordensgemeinschaften und zahlenmäßig starken charismatischen Gruppen, wie „Emmanuel“, die alles andere als einem offenen, liberalen, demokratischen Geist der modernen Theologie folgen.

9.
Die Akzeptanz des katholischen Glaubens und die Bindung an die römische Kirche nimmt in Europa rapide ab. Eher progressive Katholiken verlassen in Scharen diese Kirche, der sexuelle Missbrauch durch viele hundert Priester weltweit hat das Ansehen des Katholizismus massiv auf Dauer beschädigt. Aber an ein Ende der Klerus- Herrschaft denken nur einige Theologen und Laien. Eher lässt sich Papst Franziskus wie Ende Mai 2024 zu der populistischen Aussage hinreißen, „Schwuchteln gehören nicht ins Priesterseminar“. Als ob die wenigen verbliebenen heterosexuellen Priester den Bischöfen nicht auch Probleme bereiten, etwa offene Beziehungen zu Frauen und deren gemeinsamer Kinder… Für seine populistische, unreflektierte Aussage zu den “Schwuchteln im Priesterseminar” hat sich der Papst nach internationalem Protest entschuldigt.

10.
Da sind es dann eben die treuen Seelen, die sozusagen gegen besseres Wissen noch glauben: Diese katholische Kirche, so wie ist, soll ewig so bleiben, denn sie habe der liebe Gott persönlich gegründet. Diese reaktionären und zum Teil rechtsextremen Katholiken fühlen sich als die Retter des angeblich unwandelbaren katholischen Glaubens. Und sie fühlen sich unter der autoritären Herrschaft des Klerus wohl, sie sind sozusagen die „Führer“.
Ihre Theologie ist eher fundamentalistisch, sie ist zudem faktisch völlig unmaßgeblich in der Breitenwirkung nach außen in die Öffentlichkeit hinein, schlicht ist diese Theologie und aus der zeit gefallen. Aber das finden diese Leute ja gut. Diese Gruppen haben eigene zum Teil noch sehr gut besuchte Priesterseminare, sie sind streng klerikal – männlich strukturiert. Offene Debatten etwa über den Zölibat oder die Akzeptanz von Homosexualität sind tabu.

10.
Prälat Goesche betont selbst ausdrücklich, wo er sich theologisch -politisch aufgehoben fühlt: :
„Wir haben freundliche Kontakte zu traditionellen Instituten wie etwa den Benediktinern von Le Barroux, dem Institut Christus König und der Petrusbruderschaft. Besondere Beziehungen bestehen zum „Brompton Oratory“ in London, das uns in vieler Hinsicht ein Vorbild ist.“  Quelle: http://www.institut-philipp-neri.de/institut.html

11.
Die Reportage von Raoul Löbbert bezieht sich oft auf Berlin, auf St. Afra. Leider wird ein anderes Zentrum traditionalistischen katholischen Lebens in Berlin übersehen: In Berlin – Friedenau, am Breitenbach – Platz, hat die Lefèbvre – Piusbruderschaft ihr Priorat und ihre eigene Kirche. Diese Leute sind nicht offiziell römisch – katholisch. Aber Häretiker – wie die Protestanten – sind sie in päpstlicher Sicht eben auch nicht! Sie sind also doch „noch“ katholisch. Diese Leute warten auf bessere Zeiten in ihrer Sicht: Wenn der Priestermangel in Deutschland und in Europa so groß wird, kann es geschehen: dass der Papst, den Klerus überall als unverzichtbar schätzend, dann doch auf die vielen traditionalistischen Lefèbvre – Priester zurückgreift: Um die klerikale Struktur der Kirche irgendwie noch zu retten. Für ein paar Jahre wenigstens.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de