Perry Schmidt -Leukel plädiert für multireligiöse Bindungen

Vorschläge von Prof. Perry Schmidt Leukel, Münster

In einem Interview am 21. 11. 2008:

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

„Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten“.

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

„Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle“.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

„Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen“.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

„Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet“.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung“.

(Diese Stellungnahmen wurden zum großen Teil schon in Radio Beiträgen von mir für den RBB und WDR eingesetzt.)

Was ist die Zeit – in unterschiedlichen Kulturen

Was ist die Zeit?
Andere Länder, andere Zeiten
Zwischen Zukunftsstress und ewiger Gegenwart
Von Christian Modehn

„Wenn es jemand eilig hat, zeigt er nur, dass er keinen Anstand besitzt und von teuflischem Streben besessen ist“, sagen Menschen aus dem Volk der Kabylen in Algerien, „und Uhren sind deswegen die Mühlen des Teufels“. Ein paar tausend Kilometer weiter, in indischen Kleinstädten, können sich Freunde verabreden, um stundenlang zusammen zu sitzen, ohne dass jemand ein Wort sagt: Das gemeinsame Schweigen wird wie ein Stillstehen der Zeit erlebt und hoch geschätzt, es ist alles andere als peinlich. Nur die Gegenwart zählt! Darüber könnte einer der Gründerväter der USA nur lachen: Benjamin Franklin hat schon im 18. Jahrhundert eingeschärft: „Zeit ist Geld“! Die zur Verfügung stehenden Stunden, Wochen und Jahre muss jeder Menschen so produktiv wie möglich nutzen. Es ist normal, dass der Terminkalender zum Kompass des Lebens wird. Die katastrophale Gier nach Geld ist die Konsequenz des Mottos von Benjamin Franklin.
Touristen aus Deutschland nehmen kulturelle Unterschiede wahr, wenn sie z.B. in den kleinen Städten Spaniens oder Lateinamerikas mit „Einheimischen“ sprechen: „Manana“, „morgen“, heißt die gängige Entschuldigung, die oft auch ein Übermorgen meint, wenn das Auto eben nicht sofort repariert wird oder eine nötige Bescheinigung nicht sogleich zu haben ist. Menschen unterschiedlicher Kulturen haben unterschiedliche Bewertungen der Zeit. Aber Europäer und Nordamerikaner sind überheblich, wenn sie meinen: So wie wir die Zeit erleben und gestalten, sollten es alle Menschen überall und immer tun.
Seit einigen Jahren wird viel über die „Geographie des Zeitbewusstseins“ diskutiert. Der us – amerikanische Psychologe Robert Levine spricht von einer „Landkarte der Zeit“. Bei jedem Staat und darin noch einmal zu jeder dort lebendigen Kultur lässt sich genau beschreiben, wie die Menschen dort ihre Lebenszeit deuten und gestalten. Zwar sind alle Menschen grundsätzlich und unaufhebbar in das Fließen der Zeit hineingestellt. Sie entkommen nicht dem unaufhaltsamen Verschwinden und Werden der Wochen und Monate. Nirgendwo wird so deutlich erfahren, wie fremdbestimmt, d. h. wie wenig autonom wir gerade in dieser „Verkettung an die Zeit“  sind. Aber jede Kultur reagiert darauf mit einem spezifischen Verhalten.
Japan hat heute „den schnellsten Lebenstakt“, hat Robert Levine in seinen Forschungen festgestellt. Zukunft wird als bevorstehende Arbeit erlebt, Vergangenheit ist getane Arbeit. Selbst wenn Angestellte nicht unter Zeitdruck stehen, so erledigen sie auch dann alle Tätigkeiten so schnell wie möglich, hat Robert Levines beobachtet. Natürlich müssen bei derartigen „Kulturvergleichen“ Klischees vermieden werden. Andererseits betonen auch zahlreiche Kulturanthropologen und Ethnologen, dass es zahllose Deutungsmöglichkeiten der Zeit in den Ländern dieser Erde gibt. In Japan arbeiten die meisten Menschen deswegen so schnell und ausdauernd und verzichten gern auf gesetzlich garantierten Urlaub, weil sie sich den ungeschriebenen Normen ihrer Gruppe einfügen wollen. Zum hochgeschätzten Kollektiv zählt auch die Firma, mit der man sich möglichst ein Leben lang identifiziert. Ihr opfert man auch die Freizeit, man schläft wenig, gönnt sich keine Pause: Gegen die immer größere Gefahr, durch Überarbeitung, „Karoshi“, zu sterben, werden Hotlines eingerichtet. Wer sich Zukunft nur als die ewig wiederkehrende Geschäftigkeit vorstellen kann, neigt zum Suizid: Japan hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt.
Aber direkt neben den stressbestimmten Mega – Cities Asiens gibt es die buddhistischen Traditionen, etwa die Zen – Meditation, das stille Sitzen: Es ist das Eintauchen in eine umfassende Ruhe, die Konzentration auf die Gegenwart, den jeweiligen Atemzug. Man weilt ganz in der Gegenwart. „Diese gelassene Gegenwart ist nicht ins Vorher und Nachher zerstreut“, betont der koreanische Philosoph Byung-Chul Han. „Und virulent ist im buddhistisch motivierten Denken nur die Frage nach dem Jenseits der Zeit“, schreibt der Japanologe Peter Pörtner, „gut ist nur das Ende der Zeit, das Höchste Gut ist das Nirvana“.
Es ist offensichtlich, dass Menschen mit meditativer religiöser Praxis zu einem tiefen Erlebnis der Gegenwart gelangen. Gegenwart ist für den völlig an der Arbeitszukunft orientierten Menschen nur eine ewig wieder verschwindende Sekunde auf dem Zifferblatt der Uhr. Die arbeitsbesessenen Manager sollten sich z.B. nach Cusco, Peru, begeben und dort bei den indianischen Völkern erfahren, was ein ruhiges, gesammeltes Erleben der Gegenwart bedeutet. Die Quetschuas und Aymaras sind nicht so schnell aus der Balance ihres Lebens zu bringen, selbst wenn für sie aufgrund der ökonomischen Unterrückung ständig unvorhergesehene Schwierigkeiten eintreten. Der Philosoph Josef Estermann hat die Philosophie der autochthonen Bewohner des Andengebietes in Peru und Bolivien untersucht. Diese Menschen leben stark in ihrer religiösen Gewissheit, dass die Zeit des Heils und der Erlösung sich bereits in der Vergangenheit ereignet hat, also vor der Ankunft der Kolonisten und Missionare. Nicht auf eine neue, bessere Zukunft hoffen sie, sondern auf die Wiederherstellung der Heilszeit von einst. Nur weil sie sich mit dieser vergangenen Heilszeit auch im Ritus verbunden fühlen, können sie die Mühen und Leiden der Gegenwart annehmen: Eines Tages wird noch einmal das einst verlorene Paradies machtvoll wiederkehren.
Ob es an der „indianischen“ Prägung der Mentalität vieler Mexikaner liegt, dass dieses Land in der Tabelle Robert Levines zum „Lebenstempo in 31 Ländern“ an letzter Stelle steht? Das gemessene Tempo der Menschen beim Gehen ist in Mexiko noch betulicher als in Syrien, Brasilien oder Indonesien. Solche Erkenntnisse können fürs interkulturelle Leben wichtig sein: In einem Land, das wie Brasilien „jeden Anspruch auf Orientierung an der Uhr aufgegeben hat“ (so meint Levine), ist es nicht nur unfein, sondern geradewegs sinnlos, zu Einladungen pünktlich zu erscheinen. Wenn alle unpünktlich sind, muss sich der fremde Gast anpassen…Am schnellsten laufen die Menschen in der reichen Welt Europas und Nordamerikas: Am schnellsten gehen, so Levine, die Schweizer, gefolgt von den Iren, den Deutschen und den Japanern. Es besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Lebenstempo und ökonomischem Wohlstand. So laufen denn auch in einem armen Land wie Papua – Neuguinea die Leute in der Hauptstadt Port Moresby schneller als in den kleinen Städten und Dörfern. Im ostafrikanischen Burundi kommen viele Bauern ganz ohne Uhren aus: Sie treffen ihre Verabredungen nach dem Rhythmus der Natur: „Man verabredet sich z.B.: „Wenn die Kühe draußen auf der Wiese zum Trinken sind, sehen wir uns“, berichtet Robert Levine, also irgendwann (!) vormittags. Man erwartet einander und hat Zeit füreinander.
Wie lange wird das noch so funktionieren? Die Uhr zwingt global alle Menschen, die offene Zukunft zu „bewältigen“, d.h. effektiv und produktiv zu auszufüllen. Signale, die unser Körper aussendet,  dass wir ruhen oder nachdenken sollten, müssen beim Diktat der Uhr und der Terminkalender überhört werden. Ob wir in 20 Jahren noch eine vielschichtige und bunte „Landkarte der Zeit“ haben, ist die Frage.

Dieser Beitrag erschien in Publik Forum.
Literaturhinweis:
-Robert Levine, Eine Landkarte der Zeit. 320 Seiten, 13. Auflage 2007, Piper Verlag, München, Zürich.
-Josef Estermann, Andine Philosophie. Eine interkulturelle Studie zur autochthonen andinen Weisheit. 353 Seiten, IKO- Verlag, 1999.
-Byung – Chul Han, Philosophie de Zen-Buddhismus. 135 Seiten, Reclam Verlag Stuttgart, 2002
-Peter Pörtner, Aspekte der Zeiterfahrung in Ostasien. In: Die Zeit im Wandel der Zeit. Intervalle,  Heft 6, dort S 77-97. kassel university press, 2002.

Manuela Kalsky, eine multireligiöse Theologin

»Ich bin vieles zugleich – und das ist bereichernd«
Manuela Kalsky – ldie utherische Theologin Manuela Kalsky leitet ein katholisches Institut und lebt eine vielfältige religiöse Identität

Von Christian Modehn

»Ich lebe seit vierundzwanzig Jahren als Deutsche in Amsterdam, spreche also eine andere Sprache. Außerdem bin ich als lutherische Theologin Leiterin des Studienzentrums des katholischen Dominikanerordens in Nijmegen. Ich habe keine eindeutige Identität, ich bin vieles zugleich.« Und dann fügt Manuela Kalsky hinzu: »Ich finde es bereichernd, Unterschiedliches zu verbinden und ein ausgrenzendes Denken – ein Denken im Entweder-oder-Schema – zu überwinden.«

Die vielfältig geprägte, »multiple« religiöse Identität – so der Fachausdruck – ist ein neues Thema in Europa. Die Theologin Manuela Kalsky stellt es in den Mittelpunkt ihrer Arbeit: »Ich habe nicht gedacht: So, jetzt erweitere ich mal meine religiöse und kulturelle Identität! Nein, das geschieht ganz einfach im alltäglichen Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Es ist eine allgemeine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist.«

Christlich geprägte Europäer und Amerikaner waren bislang überzeugt, dass nur einige wenige mystisch begabte Mönche unterschiedliche religiöse Traditionen in einer Person vereinigen könnten, so wie beispielsweise Bede Griffith oder Henri Le Saux. Oder der katalanische Priester Raimon Panikkar, der einmal erklärte: »Ich bin als Christ nach Indien gegangen, habe mich als Hindu gefunden und kehre als Buddhist zurück, ohne doch aufgehört zu haben, ein Christ zu sein.«

Für Manuela Kalsky wird die heute vielfach gelebte multiple religiöse Bindung in Westeuropa schlicht unterschätzt. Im Jahr 1961 in Salzgitter geboren, studierte sie evangelische Theologie in Marburg und Amsterdam, promovierte und beschäftigt sich seitdem vor allem auch mit der theologischen Frauenforschung. Ihre Kontakte zum Studienzentrum der Dominikaner für Theologie und Gesellschaft in Nijmegen wurden intensiver, und da der Orden ökumenisch arbeiten will, war ihre Berufung als lutherische Theologin zur Leiterin des Zentrums vor zehn Jahren nur folgerichtig. Dort hat Kalsky inzwischen eine multimediale Website eingerichtet, auf der sich Menschen über ihre neuen religiösen Erfahrungen austauschen können. 96 000 Besucher zählte die Seite www.reliflex.nl im vergangenen Jahr.

»Ich sage ja nicht, dass eine ursprüngliche, zum Beispiel jüdische oder christliche Identität fürs Leben nicht ausreicht; das muss letztlich jeder selbst beurteilen«, sagt die 47-jährige Theologin. »Ich plädiere lediglich dafür, dass Menschen, die aus unterschiedlichen religiösen Quellen leben, nicht gleich als oberflächliche Shopper im religiösen Supermarkt oder als Synkretisten diffamiert werden dürfen.« Die Globalisierung vollziehe sich eben auch im religiösen Bereich. Globalisierung meint hier positiv die weltweite interreligiöse Kommunikation.

Warum können Christen zum Beispiel nicht eingestehen, dass sie in ihrer eigenen Tradition nur ansatzweise Unterweisungen zum Gebet in der Stille und zur Meditation finden und deswegen viel von Zen-Buddhisten lernen und annehmen können? Warum können Buddhisten nicht von christlichen Befreiungstheologen den Einsatz für die Armen und Notleidenden als wesentlichen Ausdruck einer religiösen Weltanschauung übernehmen?

Christen können in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen auch ihre Verbindung mit Jesus von Nazareth neu sehen: »Nicht mehr der Glaube an Jesus steht dann im Mittelpunkt, sondern der Glaube mit ihm an ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit«, sagt Manuela Kalsky. Eine multiple Spiritualität sei prinzipiell tolerant. Aber selbstverständlich bringe jeder Mensch prägende Erfahrungen aus seiner ursprünglichen religiösen Tradition mit: »Vielschichtigkeit will nicht sagen, dass es keine Kontinuität gibt. Ich persönlich glaube noch immer an einen mich tragenden Gott, an eine unterstützende Kraft in meinem Leben, wenn’s schwierig wird, aber auch wenn es Erfolge zu feiern gibt. ›The wind beneath my wings‹, um es mit Bette Midler zu sagen.« Mit diesem Gottesbild sei sie aufgewachsen, es begleite sie noch heute, erzählt die evangelische Theologin. »Aber eine Haltung der Offenheit ist entscheidend: Wir sollten erst Fragen stellen und zuhören, bevor wir mit dem Erstellen von Kriterien religiöser Rechtmäßigkeit beginnen. Wie erfahren Menschen ihre Zugehörigkeit zu mehreren Religionen? Warum fügen sie Elemente aus unterschiedlichen Religionen zusammen?«

Diese ganze moderne Thematik will Manuela Kalsky zusammen mit dem Dominikanischen Studienzentrum weiter vertiefen: »Uns geht es um die Suche nach einer neuen Gemeinschaft, die auch die Nichtglaubenden, die Atheisten, mit einbezieht. Die Trennlinie verläuft nämlich nicht zwischen Atheisten, Agnostikern und religiösen Menschen, sondern zwischen Menschen, die sich für das gute Leben für alle einsetzen, und den anderen, die ausschließlich ihr eigenes Wohlbefinden im Blick haben.«

Krise des Kapitalismus – buddhistische Vorschläge

LEBENSZEICHEN
Erleuchtet Wirtschaften
Buddhistische Antworten auf den Kapitalismus
Von Christian Modehn

Musik – Take, buddh. Musik, ca. 0 05″ freistehend. Dann herunterziehen:

1. SPR.:
Immer sanft und manchmal betulich, meist friedlich und selten politisch: So stellen sich viele Europäer den Buddhismus vor. Aber der Schein trügt. Die ethischen Weisungen Buddhas sind radikal:

1. O TON:  0 08″
Fördere das Wohl anderer. Und schau dir ganz genau an, was du tust. Im Sinne von: Welchen Samen säst du? Und dann überleg dir, welche Früchte wirst du ernten.

1. Musik – Take aus China, 0 03″  freistehend, herunterziehen:

1. SPR.:
Die “Ernte” fällt kläglich aus:  Kriege, Hungersnöte, Umweltkatastrophen allerorten. Immer mehr Arme kämpfen in einer “florierenden” Wirtschaft ums Überleben. Manche Buddhisten haben den Mut, dafür die entscheidende Ursache zu nennen:

2. O TON, 0 21″
Die moderne Ökonomie ist die Ökonomie des Liberalismus, wo man sagt: Das Individuum sorgt nur für sich selbst. Und die Bewegung der menschlichen Motivation ist die egoistische Motivation. Und das nun wiederum ist sozusagen die exakte Antithese dessen, was im Buddhismus gesagt wird.

1. SPR.:
Ihre wichtigste religiöse Erfahrung machen Buddhisten mitten in der Welt:
3. O TON, 0 05″
Das, was der Buddha sozusagen Erleuchtung genannt hat, das ist: Mein Wohl hängt am Wohl der anderen.

wieder hochziehen:
1. Musik – Take aus China, 0 03″  freistehend. herunterziehen:
ÜBERBLENDET IN:
2. musikal. Zuspielung, Buddhistische Litanei aus Thailand. freistehend ca. 0 07″

1. SPR.:
Ein Gesang, der viele hundert Jahre alt ist: Buddhistische Mönche vom Kloster Chiang Mai in Thailand wünschen allen Wesen Glück und Zufriedenheit. Wieder und wieder bitten sie um die rechte Erkenntnis, um Weisheit und Einsicht.

2. musikal. Zuspielung, Buddhistische Litanei aus Thailand. freistehend ca. 0 05″

1. SPR.:

Die wichtigste buddhistische Einsicht ist mehr als zwei ein halb tausend Jahre alt: Siddharta Gautama Buddha erkannte, dass unser Leben in der Welt vor allem Leiden ist, Schmerz, Krankheit, Elend, Angst. Er sah aber auch, dass es einen Ausweg, eine Erlösung, gibt: In der Meditation, im stillen Sitzen und beim Achten auf den Atem kann der Mensch die innere Harmonie, die Heilung des “Herzens” erfahren. In einem geläuterten Bewusstsein hat alles Gute seinen Ursprung, auch gerechtes Wirtschaften. Die “innere Welt” prägt letztlich die Gesellschaft. Darum wollen Buddhisten jetzt gezielt die Politik, vor allem auch die Wirtschaft, mit gestalten. Weltweit sammeln sich die Freunde des Erleuchteten in einer Bewegung, die “Engagierter Buddhismus” heißt. Man könnte sogar von einer buddhistischen Reformation sprechen. Denn es werden ja nicht neue Lehren erfunden, sondern uralte Weisheiten aktualisiert. Der Buddha lehrte:

2. SPR. (Zitator):
Die unglücklich sind in der Welt, sie alle sind es durch das Verlangen nach eigenem Glück. Die glücklich sind in der Welt, sie alle sind es durch das Verlangen nach dem Glück der anderen.

1. SPR.:
Modern übersetzt: Der Mensch geht in die Irre, wenn er sich als den Mittelpunkt der Welt sieht, wenn er am krampfhaften Kult um das eigene Ich festhält. Davor warnen engagierte Buddhisten:

4. O TON, 0 41″
Es gibt drei Gifte, die unseren alltäglichen psychischen Prozess vergiften. Das erste ist die Gier, wir wollen etwas ergreifen, was man letztlich doch nicht festhalten kann. Wir grenzen uns ab gegenüber den Zugriffen anderer, und schlimmstenfalls wird es zum Hass. Wir negieren die gegenseitige Abhängigkeit aller Menschen. Und die dritte Sache: All dies beruht auf einer grundlegenden Unkenntnis über unsere psychische Struktur, über unser Ego. Und diese grundlegende Unwissenheit ist das Nichtwissen darüber, dass wir von der Natur abhängen, dass wir Menschen untereinander abhängen. Und wir tun so, als wären wir alle ein Ego, und haben so kleines Ego-Territorium und bauen ein Zäunchen drum herum.

1. SPR.:
Karl- Heinz Brodbeck ist seit vielen Jahren praktizierender Buddhist. Und er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften in Würzburg und Autor. In seien Büchern wendet er uralte Einsichten Buddhas auch auf die Wirtschaft an: Wer sein eigenes Ego, seine Gier, seine Machtgelüste,  nicht durchschaut, kann keine gerechte Wirtschaftsordnung schaffen:

5. O TON, 0 32″
Wir erkennen die unheilsame Wirkung:  Wer nur etwas mehr Geld verdienen will, der will immer noch mehr und immer noch mehr. Und aus dieser Haltung entstehen dann eben diese negativen Verhaltensweisen. Also muss man schon sagen, dass es gilt, hier mit einer kritischen Haltung gegenüber diesen Denkformen anzusetzen. Nichts gegenüber der Person, die sich so verhält. Denn diese Person lebt ja in einer Art Schleier, in einer Art Vernebelung des Bewusstseins. Sie wissen gar nicht um die unheilsame Konsequenz.

1. SPR.:
Karl – Heinz Brodbeck hat eine “Buddhistische Wirtschaftsethik” veröffentlicht. Darin dokumentiert er auch Beispiele für diese “Vernebelung des Bewusstseins” unter Wirtschaftsführern. Deren Sprache ist verräterisch: Etwa wenn Ausgegrenzte und Verlierer zum “Wohlstandsmüll” deklariert werden. Oder wenn Manager “ihren Kampfeswillen und einen Killerinstinkt” bewahren sollen. Die Tugend des Teilens nennt ein Spezialist für Wirtschaftsfragen die “Sünde gegen die Marktwirtschaft”.
Buddhisten sind geduldige Reformer. Das entspricht ihrer Tradition: Der “Weg der Mitte” zwischen radikalen Lösungen, das Streben nach Harmonie ist ihr Programm. Wenn Buddhisten also Manager verändern wollen, dann nur durch das Argument, durch die Selbsterkenntnis, die Einsicht. Revolutionären Ideologien setzen sie eine Evolution des Bewusstseins entgegen. Der Buddha sagte:

2. SPR.(Zitator):
Was unheilvoll und verwerflich ist im Gedanken, führt zu Unheil und Leiden, wenn sich die Gedanken praktisch ausgestalten. Darum bleibt die Erkenntnis: Gebt diese unheilvollen Gedanken auf.

1. SPR.:
Aber unheilvolle Gedanken lassen sich nicht im Schnellverfahren bearbeiten oder gar vertreiben. Seelische Erneuerung braucht Zeit. In Berlin haben Arne Schaefer und Irmi Jeuther vor 3 Jahren ihre eigene buddhistische  Organisationsberatung geschaffen. Sie trägt den Titel “Lotus-Consult”. Der Name ist Programm, meint die Psychologin Irmi Jeuther:

6. O TON, Neue Länge: jetzt  1 05“.
Die Lotusblüte, und so ist es auch in den Überlieferungen, ist eine Blume, die sehr schön ist und auch für Reinheit steht. Und die aus dem Sumpf wächst, aus dem Schlamm, aus dem Schmutz. Und das steht dafür, dass in jedem von uns was ganz Reines steckt, das, was Gutes möchte für alle Wesen. Und nebenbei gibt es eine ganze Menge Konflikte, schlechte Eigenschaften. Trotzdem gibt es da einen Kern, der einfach rein ist und der was Gutes möchte. Und mit der Grundhaltung gehen wir mit den Menschen um und mit der Grundhaltung arbeiten wir.
Beim Wirtschaften normalerweise sagt man ja: Ich will für mich Gewinn haben. Und da muss ich in Konkurrenz treten mit anderen Unternehmen und ich muss dafür sorgen, dass ich besser bin und damit gleichzeitig mir auch wünschen, dass die anderen schlechter sind. Und wir gehen mit einer ganz anderen Einstellung da dran, wir sagen: Es gibt genug Ressourcen, dass es für alle reicht. Und wir können es uns durchaus leisten, Gewinn und Erfolg für alle zu wünschen.

1. SPR.:
Irmi Jeuther ist seit 20 Jahren praktizierende Buddhistin. Sie arbeitet als Beraterin und Coach im Lotus-Consult. Arne Schaefer, Buddhist und Diplompsychologe, leitet das Beratungszentrum.

7. O TON, 0 32″.
Wenn ich den Status Quo unserer jetzigen Gesellschaft nehme als Konsumgesellschaft, habe ich das Gefühl, wir sind einerseits, was materiellen Reichtum anbelangt, wirklich ein unglaublich reiches Land. Aber was andere Werte anbelangt, ein verarmtes Land. Wenn ich sage, an der Stelle möchte ich wirksam werden und ich möchte die Menschen ermutigen, nicht zu glauben, wenn sie anfangen zu teilen und großzügig zu sein und ihren Reichtum teilen, dass sie deswegen ärmer werden. Im Gegenteil, sie werden noch reicher werden, das ist eine andere Art von Reichtum, von dem wir heute keinen Begriff mehr haben.

1. SPR.:
Einen anderen Reichtum produzieren: Daran arbeiten buddhistische Ökonomen heute weltweit. Vor allem der US – Amerikaner Geshe Michael Roach hat dieses Thema mit Nachdruck in die Öffentlichkeit gebracht. Er gründete das “Enlightened Business Institute”, “Das Erleuchtete Wirtschafts – Institut”. Inzwischen kann man seine Vorschläge für “erleuchtetes Wirtschaften”  über Amerika hinaus auch in China, Südafrika, Kroatien und eben auch im Berliner Lotus Institut studieren. Das Konzept basiert auf einem Ausspruch des Buddha.

2. SPR. (Zitator):
Alles, was du tust, hat Auswirkungen auf dein künftiges Leben. Nichts bleibt folgenlos. Gutes Leben gibt es nur für den, der auch ethisch gut handelt.

1. SPR.:
„Nichts bleibt folgenlos“ – Ein Prinzip, das als kritische Frage formuliert werden muss: Wo handeln wir diesem Prinzip zuwider? Darüber diskutieren die Mitarbeiter von Lotus-Consult, wenn sie mit den Schwierigkeiten von Firmen und Betrieben konfrontiert sind.

8. O TON, 1 32″
Im Coaching geht es ganz oft darum: Ich habe gerade keine Kunden oder mir laufen die Kunden weg. Ich hab gerade große Schwierigkeiten, Geschäftsbeziehungen aufzubauen. An was kann das denn genau liegen? Dann geht es ganz oft darum, dass man möglicherweise oft durch sein Sprechen dafür gesorgt hat, dass Menschen auseinander kommen oder dass Menschen Streit haben. Und dann ist eine Aktivität, Menschen zusammenzubringen, Kontakte zu knüpfen und dafür zu sorgen, dass andere zusammenkommen mit dem Zusammenkommen auch Erfolg haben.
Wir arbeiten auch mit Leuten, die keine Arbeit haben.
In unserer Gesellschaft ist es so, wenn jemand gescheitert ist, wenn jemand keine Arbeit hat, dann ist es ein großes Problem im Selbstwertgefühl. Weil dieser Mensch ist praktisch nicht viel wert. Und das stimmt mit unserer Sichtweise überhaupt nicht überein, weil jeder Mensch ein ganz kostbares Wesen ist und viele kostbare Eigenschaften und Fähigkeiten hat, und geht es drum, zu schauen, sie bei sich zu entdecken und drauf zu schauen und zu überlegen, was kann ich damit machen, wie kann ich meinen Mitmenschen nutzen, auch wenn ich jetzt gerade mal keinen Job habe. Und da gibt es oft eine ganze Menge Möglichkeiten, die man da rausfinden kann. Und wenn jemand mal anfängt, so zu denken: Was kann ich jetzt aus meiner Situation tun, um anderen zu nutzen, dann kommt auch wieder Energie zustande und Kraft und Mut und dann gibt es auch gute Möglichkeiten, wieder Arbeit zu finden und Geld zu verdienen.

1. SPR.:
Buddhistische Wirtschaftsberater geben keine esoterischen Geheimtipps. Ihre Ethik ist rational geprägt, dem vernünftigen Argument verpflichtet. Selbst dem philosophisch Ungeübten verdeutlichen sie ihre Einsicht mit Beispielen aus dem alltäglichen Leben:

9. TON, O 46:
Alles, was ich tue, wirkt sich aus. Und wenn ich zu dieser Frau auf der Straße freundlich bin, wirkt sich das ganz sicher auf die Frau aus, und da glaube ich, brauchen wir das Potential an Freundlichkeit, das wir haben, auf keinen Fall unterschätzen. Und gleichzeitig wirkt es sich auch auf mich aus. Das ist der Kern der Sache. Jede Handlung, jedes Denken, jedes Sprechen von meiner Seite wirkt sich auf mich aus und wird konserviert als geistiger Eindruck und prägt dadurch mein Erleben, mein künftiges Erleben. Also: Jedes positive und heilsame Handeln verändert unsere ganze Welt. Wir schaffen uns unsere Welt und unser Leben dadurch, wie wir handeln und welches Denken und welches Sprechen wir pflegen.

1. SPR.:
Lotus-Consult berät auch Firmen, die nicht mit harten Ellenbogen oder im permanenten Gewinn-Streben wirtschaften wollen.  Ein Hamburger Kunde ist etwa die “Kommunikationsberatung Ludwig und Partner”. Die buddhistischen Unternehmensberater bestärken diese PR-Firma auf ihrem Weg einer sozial differenzierten Preispolitik. Auch in Zeiten wachsender Konkurrenz bietet die Firma kleinen, eher schwächeren  Interessenten ihre PR Dienste zu günstigen Konditionen an. Das Unternehmen leitet Beate Ludwig:

10. O TON, 026″
Wir wollen unsere Dienstleistungen oder unsere Fähigkeiten, die wir haben, auch wirklich denen zur Verfügung stellen, die sie gebrauchen können. So, und manch einer hat eben mehr Geld, der andere hat weniger. Es muss in Relation stehen, und es mehr klar definiert sein, was man davon erwarten darf. Aber das haben wir immer gemacht und  werden wir auch weiter machen. Wenn ich mich redlich benehme, wenn ich großherzig bin, wenn ich aufrichtig bin,  so kommt es dann auch zurück.

1. SPR.:
Gutes Tun zahlt sich garantiert aus, macht reich, auch wenn der materielle Gewinn nicht sofort zu spüren ist. In jedem Fall stellt sich seelische Harmonie ein, das Gefühl von Sinn, von Zufriedenheit.  Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft werden von buddhistischen Unternehmern nicht mit trauriger Opfermine geleistet, man jammert nicht über einen  “Verzicht”. Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft sind vielmehr das Klügste, was sie für ihr eigenes Fortkommen tun können. Denn Mitgefühl zahlt sich aus! Das ist der Grundsatz des “erleuchteten Wirtschaftens”. Dabei bedeutet Erleuchtung  nicht etwa mystische Verzückung oder überirdisches Erleben. Erleuchtung ist eher ein ungeschminkter Realismus, meint Arne Schaefer vom Berliner Lotus Consult:

11. O TON, 0 34″.
Was ich mit dem Geld mache, das ist das Entscheidende, oder welche Bedeutung ich ihm gebe, das ist das Entscheidende. Insofern ist Geld ein Zahlungsmittel, was allgemein anerkannt ist, natürlich. Aber die Frage ist: Was mache ich dann mit diesem Geld, das ist das Entscheidende. Wo kommt Geld her, wo geht Geld hin. Was kann ich dafür, dass Geld weiterhin zu mir kommt. Und wenn ich diese Frage gründlich untersuche, dass ich möchte, dass mein Erfolg anhält, dass es weiterhin fließt, dann werde ich zwangsläufig zu dem Aspekt kommen, dass ich teilen muss, dass ich mein Geld auch wieder weggeben muss, dass ich mein Geld auch an der richtigen Stelle wieder weggeben muss. Und dann wird es weiter fließen.

1. SPR.:
Eine Erfahrung buddhistischer Unternehmer klingt ungewöhnlich: Es lohnt sich, lukrative Angebote schon einmal auszuschlagen. Denn wer einen fetten Fisch auch mal von der Angel lässt, wird nachdenklicher, er konfrontiert sich und alle Mitarbeiter mit der Frage: Was wollen wir eigentlich mit unserer Firma bewirken? Die Unternehmerin Beate Ludwig:

12. O TON: 0 31″.
Wir hatten neulich auch eine Diskussion, da ging es um eine Ausschreibung von einer Centralen Marketing Organisation, und da war ein Projekt ausgeschrieben, und da ging es um Eier und Hühner, und zwar Käfighaltung. Und da haben wir dann gesagt, ja,  das wollen wir nicht, also werden wir uns da nicht bewerben, sondern wir würden lieber für glückliche Hühner arbeiten. Es muss eine gemeinsame Ausrichtung geben, es muss auch so eine Art Aura geben, dessen was wir alle gemeinsam wollen.

1. SPR.:
Oberstes Ziel buddhistischen Wirtschaftens bleibt es, die vom Egoismus beherrschte Wirtschaftsform in ein mitfühlendes Handeln zu verwandeln. Der Wirtschaftswissenschaftler und engagierte Buddhist Karl Heinz Brodbeck hat konkrete Vorschläge:

13. O TON, 0 27″.  Jetzt 0 47“.
Wenn ich mit Menschen aus dem Management zu tun habe: Dann  sage ich: Ich verlange nicht, dass er den Job aufgibt, es sei denn er ist Berufsmörder, dann würde ich sagen: Es gibt nur eine Lösung, gib deinen Beruf auf, die Waffen weglegen. Und auch einem Waffenhersteller würde ich sagen, es gibt nur eine Chance, mach die Fabrik dicht, denn das ist äußerst unheilsam, was du machst. Ja.
Es gibt viele Möglichkeiten bei alternativen Entscheidungen eine zu wählen: Ich tu ein bisschen mehr für meine Mitarbeiter. Ich bringe etwas mehr Fairness rein. Ich beachte, dass immer noch Frauen diskriminiert werden. Ich achte darauf, dass  bei einer Verwendung von Produkten aus anderen Ländern, dass da nicht Kinderarbeit dahinter steckt. Man kann durch etwas Achtsamkeit viele kleine Veränderungen vornehmen, wenn jemand jetzt nicht bereit ist, sich großartig zu engagieren.

1. SPR.:
Achtsamkeit ist die Voraussetzung  für erleuchtetes Wirtschaften. Hell -waches, selbstkritisches Bewusstsein: Das ist Achtsamkeit. Sie ist die Aufmerksamkeit auf das, was um mich herum geschieht, was die anderen Menschen denken und tun. Es gilt auch das  “Achten – Auf” mein eigenes Denken und Handeln zu schulen: Behüte ich und pflege ich die Dinge, die wertvoll sind und geschützt werden müssen?

14. TON, 0 50″.
Ich arbeite sehr viel zusammen mit einer Software Firma, die in Kärnten ansässig ist und dort propagieren sie alternative Investments. Jemand will Geld anlegen, jemand will nicht auf Rendite verzichten, dann kann man sagen: Dann investiere wenigstens in solchen Bereichen, wo ich sicher sein kann, dass man keinen allzu großen Schaden anrichtet. Man investiert nicht in die in die Waffenindustrie, man investiert nicht in Firmen, die exzessive Tierversuche machen, wo Frauen diskriminiert werden, wo Kinderarbeit ist. Allein diese Negativ-Abgrenzung bringt schon. Und der Anleger, der so was tut, verzichtet evtl. auf 1 –  2 Prozentpunkte. Andererseits aber hat er das Gefühl, ich mein Geld so angelegt, wo die Sache auf eine Art arbeitet, wo der Schaden, der angerichtet wird, nicht allzu groß ist.

3. musikal. Zusp., Klangschalen, ca. 0 07″ freistehen lassen

1. SPR.:
Wer einen anderen Geist in seinem Betrieb durchsetzen will, braucht seelische Reserven. Das wissen die Mitarbeiter vom Berliner Lotus-Consult. Sie wollen zwar mit ihrer Firma keine buddhistische Mission betreiben, geben aber auf Anfrage gern Hinweise für eine spirituelle Neuorientierung.

15. O TON, 0 26″.
Was wir unseren Klienten empfehlen, ist es tatsächlich, eine Struktur sich am Tage zu geben, wo sie die Möglichkeit haben, Achtsamkeit zu üben, darüber zu reflektieren, bin ich mir eigentlich im Klaren darüber, wie Ursache und Wirkung zusammenhängen. Und bin ich mir eigentlich im Klaren darüber, wie ich meine Werte lebe. Das kann die Stille Meditation sein, täglich 10- 15 Minuten. Was wir dazu empfehlen, ist auch eine Körperübung, sei es Yoga, sei es Taichi.

1. SPR.:
Buddhistischen Ratschläge klingen manchmal ähnlich wie die alten Empfehlungen der christlichen Gewissenserforschung: Wer ein neues, ein ethisch – wertvolles Wirtschaften einübt, sollte sich regelmäßig Rechenschaft geben über seine guten und seine schlechten Taten:

16. O TON, 0 27″.
Es ist ein Hilfsmittel, was wir das Malbuch nennen, es ist ein Notizblock, wo wir sechs mal am Tag schauen, was habe ich denn z.B. um das Wohl anderer zu fördern an diesem Tag Positives getan. Und an welcher Stelle habe ich vielleicht dieses Prinzip nicht so sehr beachtet. Und was möchte ich heute noch tun, damit ich an der Stelle nachsteuern kann. Wir werden tatsächlich eine andere Welt erleben, wenn wir dies konsequent üben.

NEU Musik zur Meditation, INSGES. 1 34“!!!
schon in den O TON vorher etwas reinziehen. Dann 0 06“ freistehend,
dann wieder reinziehen in folgenden O TON

17. O TON, NEU 0 48“.
Diese geistige Übung ist wirklich etwas, was Buddhismus auszeichnet. Und die Leiderfahrungen sind auch notwendig.
Unser Zen – Meister hat immer gesagt: Eine schlechte Situation, ist eine gute Situation, weil wir anfangen uns zu hinterfragen, was unserer Gewohnheiten sind, wie wir unser Leben leben.
Und wenn ich an dem Punkt bin, dann halte ich inne, und das ist entscheidend. Es geht darum, die Dinge anzunehmen, sie zu akzeptieren, was nicht heißt: Dinge nicht zu verändern, die ich verändern kann. Das ist ganz wichtig. Es geht um ethische Verantwortung, es geht darum, einerseits darum eine Erkenntnis, Erfahrung zu machen, aber eben auch daraus verantwortlich zu handeln. Ich werde es lernen, dass mein persönliches Glück nur möglich ist, indem andere Menschen in meinem Umfeld glücklich sind. Anders geht es nicht.

NEUE MUSIK wieder einblenden, ca. 005“ freistehend.

1. SPR.:
Auch wenn die jüdisch-christliche Tradition, eine der Grundlagen unserer Zivilisation, die Verehrung des Goldenen Kalbes, des Mammons und des Wuchers als Sünde vehement abgelehnt hat: Unsere kapitalistische Form
des Wirtschaftens ist nun einmal vom Geld und Geldgewinn geprägt. Kann aus buddhistischer Sicht der Profit ethisch akzeptabel sein? Darüber wird unter den Freunden des Erleuchteten diskutiert. Wer Unternehmen berät, um sie erfolgreicher zu machen, wird wohl kaum prinzipiell immer größere Gewinne verteufeln können. Und so vertritt Arne Schaefer vom Lotus-Consult  auch eine eher großzügige Position:

18. O TON, 0 22″
In unserem Sinne erfolgreich, heißt auch am Geschäft erfolgreich zu sein, weil nur ein gesundes Unternehmen, was auch erfolgreich ist, kann wiederum auch andere Menschen erfolgreich machen. Je stärker ein Unternehmen wächst, sei es in Umsatzahlen, sei es in Mitarbeiterzahlen, da ist nichts verkehrt dran. Wir arbeiten daran, die Menschen zu unterstützen, dass sie so erfolgreich sind. Die Frage ist immer, was ist der Weg, der sie dazu führt. Und der sollte niemals auf Kosten anderer Menschen oder unserer Umwelt gehen.

1. SPR.:
Mit anderen Worten: Du darfst Gewinne erzielen. Nur eine Bedingung muss erfüllt sein: Die Methoden deines Geld-Verdienens müssen ethisch einwandfrei sein. Diese Position finden einige andere engagierte Buddhisten zu liberal. Der Ökonom Professor Karl Heinz Brodbeck schreibt:

2. SPR. (Zitator)
Das Geld ist wesentlich nur die Art und Weise, wie wir unsere gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit gestalten und abwickeln und wie wir unsere Tauschprozesse organisieren. Aber in einer Gesellschaft verblendeter Menschen, die nur der eigenen Gier gehorchen, wird Geld zum Wert, sogar zum höchsten Wert, der unter allen Umständen Respekt verlangt. Geld wird zum Gott, zum obersten Wert, dem alle Opfer gebracht werden. Die  permanente Vermehrung des Geldes wird zum obersten Ziel allen Lebens.

1. SPR.:
Die globalen wirtschaftlichen Entwicklungen gehorchen offenkundig der Grundstruktur menschlicher Gier. Das Magazin “Der Spiegel”  beschrieb unlängst, wie Internationale Finanzinvestoren riesige Firmen, ja ganze Wirtschaftszweige aufkaufen, auch in Deutschland. Vor allem Milliardäre, so der „Spiegel“,  investieren dafür in sogenannte Hedge-Fonds:

2. SPR. (Zitator):
Diese Fonds sollen aus dem vielen Geld der Milliardäre noch mehr machen, noch viel mehr. Mindestens 20-prozentige Renditen gehören bei diesen Fonds zum guten Ton. Im Jahr 2006 dürften die Internationalen Finanzinvestoren  Firmen im Wert von 600 Milliarden Dollar aufgekauft haben, darunter auch ganze Straßenzüge mit Wohnungen.

1. SPR.:
In den meisten Fällen sind die Zukäufe der Finanzinvestoren für die betroffenen Bewohner oder die Angestellten der aufgekauften Firmen von Nachteil.  Mieter müssen sich auf kräftige Preiserhöhungen gefasst machen, Arbeitern und Angestellten droht die Entlassung. Nur die Finanzinvestoren werden scheinbar glücklich dabei: Aber auch hier gelten Buddhas Sätze:

2. SPR.:
Nichts bleibt folgenlos. Gutes Leben gibt es nur für den, der auch ethisch gut handelt.

1. SPR.:
Die Führer der großen Religionen haben zu neuesten Phänomenen maßloser Gier noch nicht laut und deutlich Stellung bezogen, meint der Wirtschaftswissenschaftler Karl – Heinz Brodbeck,:

19. O TON
Spekulanten, die wirklich in dieser ganz knallharten Motivation sagen:
Wir schlachten ein Unternehmen aus, wir übernehmen die, dann werden Leute entlassen. Ohne Skrupel, das ist eine Haltung, die tatsächlich nur mit einer Terminologie des Kriminalrechts zu umschreiben ist. Es ist eine besondere Art von Verbrechen, die aber bei uns mit dem Nadelstreifen und mit der Hochglanzbroschüre dargestellt wird als eine kluge Form des Investments. Davon müssen wir wegkommen.

1. SPR.:
Die große Gier wird angefeuert von der Ideologie des permanenten Wirtschaftswachstums. Sie wird längst als “absolute Tatsache” propagiert, die wir hinzunehmen hätten! Auch dagegen wehren sich erleuchtete Ökonomen wie Brodbeck.  Sie betonen: So wie die erwachsenen Menschen und die lebendige Natur nicht immer weiter wachsen können, so kann auch ein ökonomisches System nicht endlos weiter expandieren. Denn die Konsequenzen des permanenten Wirtschaftswachstums sind nicht mehr zu übersehen: Natur-Katastrophen, Mangel an Trink – Wasser, Niederbrennen tropischer Wälder usw. Aber was können Europäer tun, wenn sie sich auch für ärmere Länder  einen besseren Lebensstandard wünschen?

20. O TON  0 48″
Wenn jetzt diese Länder in Form in Form einer nachholenden Industrialisierung wachsen müssen, wachsen heißt dann dort ganz einfach, lebensnotwendige Dinge aufzubauen, Schulen, Straßen, elementare Nahrungsmittelversorgung und solche Dinge: Dann bedeutet das: Der dort notwendige Mehreinsatz von Ressourcen muss in europäischen Ländern generiert werden durch Ersparnis von Ressourcen, die Ressourcen, die wir haben viel effizienter nutzen, dass was frei wird, dass wir dann diesen Ländern auf dem Wege eines Transfairs oder einer gemeinsamen Planung zukommen lassen. Das wird natürlich nicht möglich sein in einer Ökonomie, deren Leitstern die Rendite ist, deren Prinzip der Individualismus ist, darüber habe ich keinerlei  Zweifel.

4. Musikal. Zuspielung, ca. 0 07″ freistehen lassen.

1. SPR.:
Buddhisten halten eine andere Welt für möglich, weil sie der Menschheit immer noch den Gebrauch der Vernunft zutrauen! Deswegen fordern sie unermüdlich eine ethische Neu-Orientierung. Ein globaler Ansatz in einer globalisierten Welt – ein buddhistischer Lebensentwurf mit universalem Anspruch.  Der Unternehmensberater Arne Schäfer:

21. O TON, 0 25″.   JETZT 0 42“
Uns geht es um Erfüllung, und Erfüllung ist für mich, einmal natürlich: Das zum Leben zu haben, was ich brauche, um wirklich leben zu können. Aber auch in einer Umwelt zu leben, die Frieden und Mitgefühl lebt. In der ich mich wirklich geborgen fühle, wo ich nicht Angst habe, dass der Nachbar mir einen Prügel über den Kopf zieht, weil er neidisch ist oder weil es ihm nicht zu gut wie mir. Sondern wo ich mit dem Nachbarn Arm in Arm an einem Tisch sitze und wir gemeinsam die Ernte genießen, die wir eingefahren haben.
Der Buddhismus an der Stelle ist für mich eine Weisheits –  Lehre, die sicherlich heilsam ist. Aber ich würde es nicht auf den Buddhismus allein begrenzen wollen. Was wir da lehren, ist letztendlich nichts, was der Buddhismus für sich gepachtet hat, sondern wir wollen Kongruenz, also Menschen, die mit ihren Werten hundertprozentig übereinstimmen und sich dessen bewusst sind, was sie tun in ihrem Leben.

1. SPR.:
Wer als Buddhist an dieser gerechteren Welt arbeitet und dabei die Hoffnung nicht aufgibt, der ist bereits selbst schon “erleuchtet”. Er erkennt: Im Alleingang kann niemand dieses Projekt weiterbringen. Der buddhistische Wirtschaftswissenschaftler Karl Heinz Brodbeck:

22. O TON, 1 13″.  Jetzt 1 55“.
Ich kann unmöglich aus meiner Perspektive, die ja auch nur ein Teil, ein winziger Teil,  einer großen Kommunikationsgemeinschaft ist, sagen: Aus meinem Erkenntniszentrum heraus kann ich die  Welt retten. Das ist unmöglich, das würde auch nie ein Buddhist behaupten. Man kann nur in dem lokalen Bereich, in dem man tätig ist, Empfehlungen geben. Das heisst, für mich auch in der Sparte, in der ich tätig bin, in der Ökonomie, kann ich kritisch unterwegs sein und meine Ökonomen Kollegen immer wieder und wieder darauf hinweisen, dass viele ihrer Voraussetzungen nicht funktionieren. Um eine Parole der Globalisierungskritiker aufzugreifen: Streue Sand ins Getriebe der Wissenschaftsmaschinerie. Ich weiß durchaus um meine Grenzen, die mir gegeben sind. Aber man darf nicht erwarten, dass ein Mensch die Lösung vorschlagen kann. Das ist mir wichtig. D.h. Ich sehe mich genau um, wo um mich herum passieren Alternativen. Man könnte auf viele globalisierungskritische Bewegungen hinweisen, auf Initiativen von Kirchen, von anderen religiösen Gruppen. Ich glaube, daraus könnte insgesamt, wenn sie sich verständigen, wenn wir den interreligiösen Dialog hinkriegen, dann könnte daraus insgesamt eine Gesamtbewegung entstehen. Wenn man die Religion an ihre Wurzeln erinnert. Wenn man den Islam daran erinnert, dass im Koran ein Zinsverbot steht, wenn man die katholische Kirche wieder daran erinnert, dass sie mal so etwas wie eine Wucherkritik ausformuliert hat als wissenschaftliche Theorie. Und wenn man andere religiöse Traditionen auf ähnliche Vermächtnisse ihrer eigenen reichen Kultur hinweist. Dann glaube ich können aus vielen solchen Quellen vielleicht Dinge erwachsen, die die gesamte, die globale Entwicklung langfristig verändern.

EVTL. hier noch mal die neue Musik, vor 17. OTOn,. Ins Ende des O Tons reinziehen! Un noch mal freistehen lassen für die ABSAGE:

STOP:

www.lotus-consult.de mit dem Hinweis:
rof. Karl-Heinz Brodbeck:
www.khbrodbeck.homepage.t-online.de

Mit mehreren Religion verbunden

WDR
Lebenszeichen am 11. 6. 2009

„Ich bin multireligiös“
Menschen, die mit mehreren Spiritualitäten verbunden sind

Von Christian Modehn

Der folgende Beitrag ist der Text der Ra­dio­sen­dung

24 O TÖNE

4 Musikal. Zusp.

“Ich persönlich habe meine geistige Heimat in einer evangelischen Gemeinde gefunden und überlege seit einiger Zeit dort einzutreten, bin aber offiziell auch in einem Sufi – Orden und ich fühle mich auch der Yogatradition ganz verbunden, das ist auch mein Lebensweg”.

Marina Alvisi wollte schon als junge Frau kreativ sein. Einige Jahre hat sie als Architektin gearbeitet und versucht, ihre künstlerische Phantasie mit den technischen Vorgaben harmonisch zu vereinen. Nach dem Umzug von Oberbayern nach Berlin hat sie ihre wahre Begabung entdeckt: Wie eine Komponistin fügt sie jetzt unterschiedliche Motive zusammen, wobei ihre „Melodien“ verschiedenen religiösen Traditionen entstammen. Mit ihrem Mann, dem Inder Anthony Lobo,  hat sie eine Yogaschule gegründet. Im Alltag bezieht sie sich auf mehrere spirituelle Quellen:

“Wir stehen auf, in der Früh begibt sich jeder in einen anderen Raum. Und jeder macht seine Übungen. Anthony macht seine Yoga Übungen, Pranayama. Ich beginne aber mit Sufi Meditationen, mit Sufi Mantren stimme ich mich auf mich ein und auf den Tag ein. Und dann beginne ich mit meinen Yogaübungen. Dann treffen wir uns um 9 Uhr zum gemeinsamen Frühstück und bevor wir frühstücken, beten wir gemeinsam und lesen aus der Bibel, sprechen dann ein bisschen darüber beim Frühstück. Und in den Yogastunden kommt genau dann das durch, was wir für uns auch Tagesthema war in den Schriften, in der eigenen Erfahrung und das lassen wir mit einfließen”.

1. musikal. Zusp., ind. Musik

Wer Marina Alvisi nach ihrer „Konfession“ fragt, muss sich auf  einen neuen Begriff einlassen. Sie nennt sich „multireligiös“, mit mehreren religiösen Traditionen gleichzeitig verbunden. Die mystische Sufimeditation befreit sie von starren Dogmen und allzu „menschlichen“ Gottesbildern; die Yoga – Praxis fördert die Einheit von Körper und Geist; und im Christentum gelangt sie zur göttlichen Quelle von allem, der Liebe. Und diese drei Formen von Spiritualität helfen, richtig zu leben:

“Heute betrachte ich diese drei Traditionen, in denen ich mich bewege, wie gute Mahlzeiten. Und ich muss immer selber prüfen, so, was ist denn heute dran. Ich esse doch auch nicht jeden Tag das gleiche. Manchmal esse ich mehr Salat, manchmal esse ich mehr Kartoffelbrei oder Getreide oder Reis, je nach dem, wie es mir heute geht und wie meine innere Stimmung ist”.

Unterschiedliche spirituelle Traditionen, gut ausgewählt und mit Bedacht praktiziert, erschließen die unausschöpfliche Tiefe der göttlichen Wirklichkeit. Wie in einem Kunstwerk fügen diese Menschen verschiedene Elemente zur Einheit zusammen. Theologen sprechen darum in einem positiven Sinn von Patchwork – Religiosität. Wer Geschmack an mehreren Religionen findet, sollte sich seine Vorliebe nicht schlecht reden lassen, meint der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt – Leukel. Als katholischer Theologe hat er selbst die Grenzen konfessioneller Kirchlichkeit kennen gelernt, als ihm die Bischöfe in Bayern die Lehrbefugnis verweigerten wegen seiner Interessen am interreligiösen Dialog. An der Universität von Glasgow, Schottland, konnte er hingegen SEIN Thema, die „multireligiöse Bindung“,  weiter bearbeiten. Inzwischen ist er Mitglied der schottischen Episcopal Church.  Seit kurzer Zeit lehrt er in Münster, diesmal an der Evangelisch – Theologischen Fakultät. Dieses Auf und Ab im eigenen Leben ist für Perry Schmidt Leukel aber kein Grund, sich den Geschmack an der Vielfalt der Religionen verderben zu lassen.

“Man hat dafür auch den Begriff geprägt,  dass Menschen heute zunehmend Religion à la carte haben. Andere haben darauf hingewiesen,  auch von soziologischer Seite, dass jemand, der also kein fertiges Menu im Restaurant bestellt, sondern sein Essen à la carte aussucht, ja durchaus in der Regel bereit ist, mehr auszugeben und eventuell auch bewusster wählt. Wenn jemand à la carte isst, heißt das ja nicht,  dass er als Vorspeise, als Hauptgericht, als Nachtisch dreimal nur Süßspeise wählt. Das kann durchaus gelegentlich Mal der Fall sein. Es kann aber durchaus sein, dass jeder von allem, was es gibt, jeweils die gesündesten Dinge aussucht. Und ich denke, das gilt auch für diese Patchwork – Religiositäten”.

Was kann für diese Menschen mit einer Patchwork – Religion  gesund und hilfreich sein? Für Marina Alvisi kommen abstrakte Lehrsätze oder dogmatische Prinzipien dabei nicht in Frage. Sie geht durchaus wählerisch mit den Religionen um:

“Der wirkliche Glauben einer jeden Religion, so verstehe ich es und so habe ich es gelernt in diesen Jahren, wird und wurde immer bewahrt im mystischen Weg, in der mystischen Tradition. Also es gibt in jeder Kultur die Religion, das ist die offizielle für alle Menschen. Und es gibt den inneren Weg, den geistigen Weg, und den nennen wir in aller Regel den mystischen Weg. Und der mystische Weg hat immer den echten Glauben bewahrt, das, worum es wirklich geht, die Essenz der Kultur und der Religion”.

1. musikal. Zusp. Noch einmal  freistehend

Wer diese religiöse Offenheit liebt, ist lernbereit, er nennt sich auch gern „spirituell flexibel“. Diese Menschen sind leidenschaftlich interessiert an den unterschiedlichen mystischen Traditionen. Sie meinen: Diese „Tiefenerfahrung“ kann das Leben nicht nur „bereichern“, sie kann sogar das geistige Leben retten, betont Beatrix Jessberger. Sie hat heute ihre innere Mitte gefunden:
“Das hat natürlich biographische Gründe, also ich hab es nicht gesucht, sondern das ist auf mich zugekommen. Und zwar komme ich aus Bayern, aus Franken, und in meiner Familie war es so, dass Katholizismus und Faschismus sich verbunden hatten. Und von daher hatte das Christentum keine moralische Autorität mehr für mich. Und ich musste zu anderen Religionen, um wieder Zugang zu Religion überhaupt zu bekommen. Und in London bin ich aufgewacht. Ich war Psychotherapeutin damals und im Spital hatten wir eine Gruppe, und es war Commonwealth, mit Menschen aus verschiedenen Ländern haben wir zusammengearbeitet und verschiedenen Religionen und haben uns darüber ausgetauscht. Da ist für mich der ganze Himmel aufgegangen, nicht nur eine Welt. Dann habe ich evangelische Theologie studiert und während des Studiums bin ich auch in den jüdisch – christlichen Dialog eingetreten und habe mit Hilfe jüdischer Mystik überhaupt mein Examen geschafft”.

Beatrix Jessberger wurde als Pfarrerin ordiniert. In Berlin hat sie Gemeinden begleitet, die vor allem an herkömmlicher evangelischer Frömmigkeit interessiert waren;  so wollten sie ihre überlieferte protestantische „Identität“ bewahren. Mit ihrem Interesse, auch mit anderen Religionen in ein lernbereites Gespräch einzutreten, stand Beatrix Jessberger ziemlich allein da:

“Ich hab dann einen Mordseinbruch gehabt, weil ich nicht wusste, wohin mit meinen Erfahrungen. Die hatten im evangelischen Bereich keinen Raum. Und da bin ich in die Klöster gegangen und habe mit Zen- Meditation angefangen. Und mir hat das wirklich geholfen, nicht wieder ein fertiges System vorgesetzt zu bekommen, sondern erst mal leer werden zu können, frei werden zu können, damit ich Gottes Stimme hören kann und damit ich eine Hörende werde, da hat Zenbuddhismus irrsinnig geholfen. Und da bin ich immer auch Lernende, in diesem Kontext”.

Heute arbeitet Beatrix Jessberger als Pfarrerin der Reformierten Kirche in der Nähe von Sankt Gallen in der Schweiz: Dort kann sie ihre persönliche gestaltete, keinesweges erstarrte, sondern „flexible Frömmigkeit leben und anderen mitteilen.

“Ich bin einzigartig in meinem Evangelischen, und gleichzeitig habe ich die Weite und Offenheit auch von buddhistischer Seite, die habe ich auch in mir. Wir tragen die verschiedenen Religionen auch in uns, als Potenz, als Möglichkeit, und je nach dem, was sich entfaltet oder was entfaltet wird, leben wir das auch”.

2. musikal. Zusp.
Du wirst nicht sterben,
nicht wie ein Bach in der Wüste versickern.
Du wirst die Grenze durchbrechen,
du wirst ein neues Ufer erreichen.
Du wirst neu denken und fühlen
mit neuem Leib, mit neuer Seele,
im neuen Himmel, auf neuer Erde.
Arm und reich,
stark und schwach,
Tage und Nächte,
Lust und Schmerz
werden verblassen.
Du wirst nichts wollen!
Du wirst nur SEIN.
Du wirst dich wie ein Wassertropfen
mit dem Meer verbinden.

2. musikal. Zusp.

Eine Meditation, die Beatrix Jessberger immer wieder liest, wie ein Gebet ist, das die Grenzen EINER Konfession überschreitet…

Christen, die sich mit mehreren Religionen verbunden wissen, wollen auch die Chancen einer globalisierten Kultur wahrnehmen. Denn die meisten spirituellen Traditionen sind heute an allen Orten präsent. Wer über den eigenen Kirchturm hinaus schaut, entdeckt in der Nachbarschaft Moscheen, Pagoden, Hindu – Tempel, Synagogen, oft sogar Zentren afro-kubanischer oder afro – brasilianischer Kulte. Diese religiösen Traditionen müssen nicht als befremdlich abgewiesen werden, in der Haltung der Offenheit kann es zu einem Dialog kommen. Aber für viele Menschen ist Dialog mehr als Austausch von Informationen, Dialog ist für sie immer auch Lernbereitschaft. Die Zentren buddhistischer Meditation wollte Stefan Matthias nicht nur als staunender Besucher erleben.

“Es gab einfach auch eine Suche in meiner Jugend oder in der frühen Zeit als Erwachsener, wo ich an die Zen Meditation gekommen bin. Und da etwas gefunden habe, was ich woanders nicht gefunden hatte. Und es dieses Sich -Einlassen in die Stille. Und dort erst mal die Begegnung mit sich selbst, die dadurch ermöglicht wird. Und hier öffnen sich schon Welten der Selbstbegegnung und der Selbsterfahrung. Und das halte ich für äußerst wichtig, dass es einen Raum, wo ich wirklich mich selbst zulassen kann, wie ich bin, und viel über mich selbst lerne. Aber natürlich, dieses Lernen im Zen, in der Meditation, geht darüber hinaus, wo man sieht, dass das Ich und die Person, für die ich mich halte, nicht das letzte, der letzte Grund sind, sondern, dass es eben etwas darüber hinaus gibt, und auch für diesen Bereich sich zu öffnen ist ein wesentliches Anliegen gerade der Zen Meditation”.

Stefan Matthias ist bei allem Respekt vor der Zen Meditation nicht buddhistischer Mönch geworden. Er hat evangelische Theologie studiert und arbeitet jetzt als Pfarrer und Meditationslehrer in Berlin.  Wie ein  Zen – Meister warnt er vor religiösen Fixierungen und Festlegungen dogmatischer Art:

“Jedes Gottesbild ist unzureichend, und das ist ja eine ganz selbstverständliche Erkenntnis. Gott ist nicht in ein Bild einfangbar! Und das relativiert natürlich jeweils meine eigene Religion. Also ich bin kein Vertreter, der sagt: Wir brauchen eine feste Identität, dann wissen wir, wer wir sind. Sondern ich möchte lernen, wer ich bin, in der Begegnung mit der Welt, mit dem Leben im Augenblick, mit der Begegnung mit anderen Personen. Und ich möchte mir diese Flüssigkeit erhalten und ich denke diese Flüssigkeit macht unsere Identität aus. Und nicht das Jeweilige, woran wir uns mal gern auch für eine Weile festhalten, aber was uns letztlich dann einengt und blockiert”.

Die „Religionskomponisten“ markieren einen grundlegenden Umbruch in der religiösen Praxis: Diese Menschen wollen nicht nur die Vielfalt religiöser Traditionen respektieren, sondern sie selbst in ihr eigenes Leben integrieren. Dabei wissen sie als Mystiker genau, dass es dabei gerade nicht auf die eigene  Leistung ankommt: Der Yogalehrer Anthony Lobo:

“Aber dann habe ich gelernt durch diese viele Jahre, dass diese Erfahrung von Gott kann man nicht erzwingen, dass Gott zu uns kommen soll. Mystische Zustand kann man nicht erzwingen, denn ist eine Gnade Gottes. Und im Bakhti Yoga sagen sie auch, dass das ein Geschenk ist, das kann man nicht erzwingen durch körperliche oder geistige Übungen, sondern das wird immer ein Geschenk”.

3. musikal. Zuspielung

Multireligiöse Mystiker halten nichts von Propaganda und Werbekampagnen. Sie treten nicht ständig in die Öffentlichkeit. So ist ihre genaue Anzahl schwer zu ermitteln. Immerhin haben sie in Holland ihren eigenen Internetaufritt, und im englisch – sprachigen Raum gilt „Multireligiös“ bereits als Trend, hat der Theologe und Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel beobachten können:

“Früher war der Gedanke eines Entweder Oder. Entweder die eine Religion ist wahr, oder die andere Religion ist wahr. Wenn ich jetzt Wahrheit in der anderen Religion entdecke, dann muss ich konvertieren, weil dann kann wohl meine eigene nicht mehr wahr sein. Heute, auch theologisch, rechnen wir mehr und mehr damit, dass sich geistliche, spirituelle Wahrheit in verschiedenen religiösen Traditionen findet. Und das ermöglicht dann auch den Gedanken, dass, wenn ich von einer anderen religiösen Tradition angezogen bin im konstruktiven Sinne, wenn ich die Erfahrung mache, das, was ich von anderen Religionen lerne, hilft mir in meinem eigenen privaten Leben, in meinem Glaubensleben, dass ich dann so etwas wie eine multireligiöse Identität entwickle”.

Mit der Spiritualität „flexibel“ umzugehen hat in einigen Regionen des Katholizismus durchaus Tradition: In Lateinamerika z.B. hatten spanische Missionare die einheimischen, die „indianischen Völker“ der Qetschuas und Aymaras zum Teil unter massivem Druck getauft. Bis heute gehen diese indianischen Katholiken in Peru und Bolivien sonntags brav zur Kirche, sie halten sich an Christus und die Heiligen. Aber sie verehren weiterhin auch ihre traditionellen Gottheiten, wie die Pachamama, die Fruchtbarkeitsgöttin“, die heilige „Mutter Erde“. Der  niederländische Augustinerpater Hans van den Berg beobachtet als Religionswissenschaftler seit vielen Jahren diese ungewöhnliche Praxis in Bolivien:

“Man opfert z.B. der Erde, der Pachamama, und die Produkte, die man von der Erde bekommt, die bringt man nach Hause. Die Riten finden immer statt im Haus oder in der Nähe des Hauses oder auf dem Felde. Die Leute, die z.B. das ganze Arbeiten auf dem Felde mit Riten begleiten, machen zu gleicher Zeit die religiösen Riten des Christentums bei Geburt und Trauung und Tod. Das ist eine Synthese, die die gemacht haben,  zwischen alt herkömmlicher Religion und christlicher Religion. So muss man eigentlich von einer „Quetschua – Christlichen“ oder „Aymara- Christlichen“  Religion sprechen”.

Ob im Glauben des einzelnen das Christliche oder Indianisch- Traditionelle überwiegt,  lässt sich „exakt“ gar nicht beschreiben. Wer kann schon in die religiöse Seele eines Menschen schauen? Die katholische Hierarchie in der Anden- Region zeigt sich deswegen auffallend tolerant:

“Mitte des 17. Jahrhunderts hat man sich irgendwie damit abgefunden, na ja: So schlimm ist es auch nicht: Lassen wir das einfach so bestehen! Nachher gibt es auch keine klare Aussprache von der Kirche bis Heute, das diese Art von Religion verbietet. Man hat es einfach so akzeptiert und darum kann das bis heute so bestehen, ja”.

Auch katholische Missionare, die in Asien „unwissende Heiden“   bekehren wollten, entwickeln jetzt auf ihre Weise eine „flexible“  Spiritualität: In Japan und Indien oder auf Taiwan lassen sich Ordensleute auf die dortigen religiösen Weisheitslehren ein. Der Jesuitentheologe Luis Gutheinz steht seit vielen Jahren in Taipeh auf Taiwan im Gespräch mit den Freunden des Meisters Lao Tse aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Er plädiert in seinem Buch „Tao Te King“  für einen bescheidenen, rücksichtsvollen und naturverbundenen Lebensstil. Das Tao, der Weg, gilt als Ursprung allen Seins. Alles Feste, Erstarrte und Tote kann es überwinden. Pater Gutheinz:

“Wir sind jetzt dabei als Christen, uns zu öffnen, aus der früheren Dominanz auch im theologischen Denken. Und ganz im Sinne des taoistischen Sich -Zurücknehmens, Hinhörens, des Hohlwerdens, imstande zu sein, etwas näher an die Gegenwart Gottes heranzukommen, die ja bereits im Tao Te King gesprochen hat. Wir sind dabei, uns in Demut der Wirklichkeit radikaler zu stellen, und die Wirklichkeit, von Gott her gesehen, besteht ja darin, dass er immer schon da ist; überall dort, wo Gutes, Schönes, Wahres gesagt wird, ist ER da”.

Pater Gutheinz hat keine Scheu, Weisheitslehren des TAO mit seinem katholischen Glauben zu verbinden. Er praktiziert z.B. seit etlichen Jahren das meditative Schattenboxen, das Tai Chi Chuan:

“Es ist ein Schwingen von Yin und Yang, eine Dynamik mit diesen zwei Aspekten, die das ganze Tao, das unsagbare Geheimnis, in seiner Dynamik, konkret im menschlichen Leben anwesend sein lässt. Und die Übung, die tägliche Übung, in  diesen Bewegungen, die durch Jahrhunderte von Meistern ausgefeilt wurden, ergibt ein Wohlsein in diesem Geheimnis”.

Lao Tse spricht:
Wer seine Sinne aufschließt,
sich hingibt den äußeren Dingen,
hoffnungslos lebt er dahin bis an sein Ende.
Je weiter man hinausgeht.
desto weniger weiß man.
Darum geht der Weise nicht ins Äußere.
Und doch ist er ein Wissender.
Er blickt nicht nach außen in die Welt
und kann doch der Dinge Namen nennen.
Kürzungsmöglichkeit Ende)

Bei seinem Meister Lao Tse hat Pater Gutheinz entscheidende Lebenshilfe gefunden:

“Wenn man Tao Te King liest und sich hinein nehmen lässt in seine Bewegung, dann wird der Tod, das Sterben, je länger, je mehr, so paradox es klingen mag, ein wichtiges Element des Lebens. Sterben ist nicht denkbar ohne Leben, Tod gehört wesentlich zu vollerem Leben. Und glücklich ist jene Person zu preisen, die das heute schon lernt. Der Tod ist im Letzten nicht dieses Negative. Sondern dass das Letzte im Tod immer volleres Leben ist. Dafür danke ich dem Autor von Tao Te King!”

Lao Tse spricht:
Dreißig Speichen umringen die Nabe eines Rades.
Aber wo NICHTS ist, liegt der Nutzen des Rades.
Aus Ton formt der Töpfer den Topf.
Wo er hohl ist,
liegt der Nutzen des Topfes.
Tür und Fenster höhlen die Wände.
Wo es LEER bleibt
liegt der Nutzen des Hauses.

3. musikal. Zusp.

Inzwischen reagieren die Führer der alten, fest umschriebenen religiösen Identität sehr gereizt auf so viel interreligiöse Lernbereitschaft. Papst Benedikt XVI. hat im November 2008 betont, ein „interreligiöser Dialog im Sinne von persönlicher Lernbereitschaft aufseiten der Christen“ sei „nicht möglich“. Entsprechend verwarnte der Vatikan einmal mehr engagierte Theologen, so kürzlich den in Washington lehrenden vietnamesischen Peter Phan: In seinen Büchern zum Dialog mit dem Buddhismus relativiere er die absolute Wahrheit des Christentums, heißt es! Klare konfessionelle Grenzen wünschen sich auch konservative Mullahs in Indonesien: Sie wollen den Muslimen die Yoga Praxis verbieten: Wer Mantren singe, schwäche seinen islamischen Glauben… Die Führer der Religionen wollen Untertanen, die der einen konfessionellen Wahrheit sozusagen hundertprozentig entsprechen. Aber dies ist ein Ansinnen, das Religionswissenschaftler, wie Professor Schmidt Leukel, geradewegs naiv finden:

“Denn welcher Mensch kann denn von sich sagen, dass er oder sie in seinem Leben eine komplette religiöse Tradition verinnerlicht hat? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich immer nur die Dinge aus einer Religion aneignet, die er oder sie als besonders hilfreich in seinem Leben auch erlebt hat. Niemand von uns glaube ich, lebt das ganze Christentum. Kein Muslim lebt den ganzen Islam, sondern bestimmte Aspekte, mit denen wir konfrontiert wurden und die wir als hilfreich erfahren haben und die uns prägen. D.h. Religion, Religiosität, scheint mir immer irgendwo Patchwork Religiosität zu sein. Nur mit dem Umstand, dass heute für viele Menschen die Patches zunehmen, aus unterschiedlichen religiösen Traditionen stammen und nicht mehr nur aus einer einzigen”.

Immer mehr Menschen werden sich persönlich auf mehrere Religionen einlassen, darin sind sich die Beobachter einig. Und Perry Schmidt Leukel meint sogar, die Bereitschaft des einzelnen, von anderen Religionen zu lernen, dürfe von nichts und niemandem auch nur eingeschränkt werden:

“Wenn jemand ernsthaft sein Leben als religiöser Mensch zu leben versucht, in einer anderen Religion etwas findet, was man persönlich als gut, als wahr, als heilig betrachtet. Dann hat dieser Mensch ja gar nicht die Freiheit, dieses abzulehnen. Es ist schlicht und ergreifend keine spirituelle Option zu sagen: Ich erkenne dort eine Wahrheit, aber nein: Davon will ich nichts wissen, weil diese Wahrheit steht in einer anderen Religion. Dieses ist nicht möglich. Es ist in gewisser Weise eine spirituelle Verpflichtung, all das in mein Leben zu integrieren, was gut, wahr und heilig ist. Paulus schreibt einmal: Prüfet alles, das Gute behaltet”.

Das Wort des Apostel Paulus hat der katholische Priester Herman Verbeek aus Groningen, Holland, ernst genommen. Er hat unter den verschiedenen Spiritualitäten auch die atheistische Lebenseinstellung geprüft und dabei festgestellt: So „ganz falsch“ seien die religionskritischen Warnungen vor einem naiven, allzu menschlichen Gottesbild nicht, meint Herman Verbeek:

“Ich mag das Wort Gott nicht. Es ist ein germanisches Wort. „Gott“  kann man nicht singen. Sie hören mich nie Gott sagen, auch nicht in der Kirche, auch nicht in der Liturgie. Ich rede auch nicht von Gottesdienst. Wir feiern, wir kommen zusammen, wir besinnen uns, wir haben Meditation, wir singen, wir haben Fest usw. Man soll sich nie ein Gottesbild machen, auch nicht mit Sprache, auch nicht mit Lehre. Bevor man es weiß, hat man ein Eigenbild, ein Abgott gemacht. Der eigentliche Gott ist Geld. Geld, Leistung, Konsum, Wachstum. Das ist so pervers, dass Gott rollen muss, wie Geld. Also, das sind natürlich die wirklichen Götter, die hier herrschen”.

Tatsächlich haben in Holland multireligiös interessierte Menschen die Möglichkeit, sich im Rahmen einer christlicher Kirche zu treffen. Die „Freisinnigen protestantischen Kirchen“ in Holland sind zwar im Rahmen der Reformation Calvins entstanden, sie haben sich aber von klassischen dogmatischen Bindungen gelöst. Eine dieser freisinnigen Kirchen Hollands ist die „Remonstrantische Bruderschaft“, ein Titel, der an den „Widerspruch“ gegen alte Dogmen erinnert. Die Remonstranten haben heute 12.000 Mitglieder. Johan Blauuw ist Pfarrer der Remonstranten:

“Ein personaler Gott: Ich denke, dass wohl die Mehrheit der Remonstranten daran nicht glaubt. Aber das Schöne an der Remonstrantischen Bruderschaft ist auch wieder, dass es Leute gibt, die wohl darin glauben. Und die tolerieren einander nicht nur. Nein, davon sagt man einfach: Ja, Sie glauben an einen persönlichen Gott, ja, für mich nicht, für mich ist es mehr ein Weltengrund, ein Grund der Dinge oder so. Und das ist vielleicht der Spagat, den die Freisinnigen machen, wollen wir doch auch zur gleichen Zeit auch Kirche sein in der christlichen Tradition. Und das gibt in der Ökumene so dann und wann einige Probleme mit unseren Auffassungen”.

Aber die Remonstranten lassen sich nicht einschüchtern,  sie bleiben offen für religiös flexible Menschen, betont der Vorsitzende dieser Kirche, Wibren van der Burg:

“Wir sind davon bereichert worden, dass wir immer Leute von anderen Religionen innerhalb unserer Kirche haben. Und zum Beispiel gibt es auch Leute, die bei uns interessiert sind im Zenbuddhismus und Islam. Und auch Elemente davon mitnehmen. Zum Beispiel gibt es auch Leute bei uns, die jetzt den Ramadan mitfeiern. Sie lassen sich davon inspirieren, und sagen: Ja, das will ich auch mitmachen”.

4. musikal. Zusp.

In einer multireligiös geprägten Kirche kommen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft nahe; dort können aus Fremden tatsächlich Freunde werden. Wer als Christ selbst Anteile des Islams oder des Buddhismus lebt, wird schon aus Dankbarkeit Muslimen oder Buddhisten respektvoller und freundlicher begegnen. Er kann sich eher in die Mentalität der anderen hineindenken, er kann Sympathien entwickeln und im Mitgefühl leben. Der evangelische Pfarrer Stefan Matthias, erklärt diese friedfertige Spiritualität gern mit dem Bild der Zweisprachigkeit:

“Ich bin westlich aufgewachsen, westlich sozialisiert mit all den Werten unserer Kultur und natürlich auch vom Christlichen her. Von daher werde ich nie ein Buddhist sein, wie ein Buddhist, wenn er im buddhistischen Kontext aufgewachsen ist.  Aber ich glaube schon, dass man eine zweite, oder vielleicht auch eine dritte Sprache erlernen kann und diese Sprache nicht etwas Fremdes bleibt. Sondern dass diese Sprache wirklich angeeignet werden kann. Und man dann sich auch in einem anderen Weltdeutungssystem und Wertesystem aufhalten kann. Und dass man dadurch wechseln kann, so wie man auch, wenn man zwei Sprachen gut beherrscht, zwischen Sprachen wechseln kann. Und jede dieser Sprachen hat einen eigenen Charakter, und man kann vielleicht mit der einen Sprache was anderes besser ausdrücken als mit der anderen”.

Religiös zwei- oder dreisprachige Menschen könnten in Deutschland als Übersetzer im Disput der Religionen tätig werden. Sie sind in der Lage, Missverständnisse zu beseitigen, Befremdliches zu erklären, Brücken zu bauen zwischen verfeindeten Gruppen. Sie könnten aufgrund eigener Erfahrungen daran erinnern, dass sich ein wirklich „göttlicher Gott“  niemals mit einer einzigen Konfession identifizieren kann.

Erkennen die großen religiösen Institutionen diese Chance? Der Religionswissenschaftler Perry Schmidt Leukel:

“Die Herausforderung scheint mir wirklich die zu sein: Können die christlichen Kirchen mit diesem zunehmenden Phänomen multireligiöser Spiritualität oder Identität umgehen? Sind sie darauf vorbereitet? Wie reagieren Sie darauf, dass in Ihrer eigenen Mitte Menschen sind, deren persönliche Religiosität bereits von mehreren Religionen geprägt ist? Wie gehen Kirchen damit um, wie gehen sie darauf ein. Das ist noch eine vollkommen offene und bisher weitgehend ignorierte Fragestellung”.

4. musikal. Zusp.

Zum Thema empfehlen wir als Vertiefung: „Multiple religiöse Identität“, Mit dem Untertitel „Aus verschiedenen religiösen Traditionen schöpfen“. Das Buch ist im Theologischen Verlag in Zürich 2008 erschienen. Herausgegeben von Reinhold Bernhardt und Perry Schmidt – Leukel. Es hat 340 Seiten und kostet 24 Euro.

Die brasilianische Religion CANDOMBLE in Deutschland

Von Christian Modehn

ein Radiobeitrag für den WDR.

Moderationshinweis:
Eine „Karnevals – Religion“ ist der Candomblé sicher nicht. Wie jeder anderen Glaubensgemeinschaft geht es auch dieser „Religion der Naturkraft“ um die grundlegenden Fragen von Leben und Tod. Aber Candomblé ist viel zu brasilianisch, als dass er den Karneval in Rio oder Salvador da Bahia einfach ignorieren könnte. Jetzt ist Candomblé auch in Deutschland mit einem Tempel und einer Gemeinde vertreten. Christian Modehn berichtet. Weiterlesen ⇘