Pater Klaus Mertes für ökumenisches Abendmahl: Katholiken können am evangelischen Abendmahl teilnehmen

Ein Buchhinweis von Christian Modehn

Ausführliche Briefe, über drei Monate (bis Februar 2016) hin und her geschickt zwischen zwei prominenten Theologen, sind heute – nicht nur in Zeiten der absolut vorherrschenden emails – eine Seltenheit. Und noch seltener ist, wenn man so sagen kann: Dass diese Briefe auch als Buch publiziert werden. Die Kategorie Briefwechsel spielt ja in heutigen Verlagsgeschäften keine große Rolle mehr.

Nun haben die protestantische Theologin und Grüne-Politikerin Antje Vollmer und der Jesuitenpater Klaus Mertes ihre Korrespondenz veröffentlicht. Sie dreht sich immer wieder um das Problem der Gebundenheit an christliche Konfessionen, also evangelisch und römisch-katholisch. Und je länger der freundliche Brief-Austausch dauert, um so mehr nähern sich die theologischen Positionen an. Für die protestantische Theologin Antje Vollmer ist es eigentlich selbstverständlich, dass Katholiken an einem evangelischen Abendmahl nicht nur als Gäste dabeisitzen, sondern sich eben das Abendmahl von einem protestantischen Pfarrer reichen lassen. Ökumene, als versöhnte Verschiedenheit, wird so greifbar. Es gibt eigentlich nur noch wenige theologisch Gebildete, die eine solche Feier der Einheit der Christen ablehnen. Das müssen schon Dogmatiker der uralten Schule sein oder Angestellte der vatikanischen Aufsichts-Bürokratien, die bis nach Deutschland ihren Einfluss haben. Aber es ist eben im Katholizismus zweierlei: Man kann als katholischer Theologe eine richtige Meinung zur Praxis der ökumenischen „Mahl-Gemeinschaft“ haben, aber man darf diese nicht öffentlich sagen, geschweige denn öffentlich praktizieren. Das ist eben das viel besprochene Klima der Angst, das den Katholizismus bis heute bestimmt bzw. innerlich vergiftet und aus Glaubenden eben Mutlose und Verängstigte macht, solche Leute also, die um ihres Jobs in der Kirche/Caritas wegen auf ihre (ökumenische) Meinung und ökumenische Praxis doch besser verzichten. So entstehen gespaltene Persönlichkeiten…

Pater Klaus Mertes kennen und schätzen so viele, er gehört zu den Mutigen, den Offenen, den Aufgeschlossenen. Er hatte 2010 die unglaubliche Courage gehabt, „pädophile“ Vergehen durch Jesuiten an dem Jesuiten-Gymnasium in Berlin öffentlich zu machen. Er wusste: Allein die Freilegung der Tatsachen ist hilfreich. Er löste wohl als einer der wenigen Mutigen, die die Wahrheit sagen, ein mittleres Erdbeben in der römischen Kirche aus. Es dauert bis heute…Man denke an die Skandale der immer noch agierenden Ordensleute der „Legionäre Christi“, “Millionäre Christi” oft genannt, die von einem pädophilen Verbrecher gegründet wurden…

Nun zu dem Buch: Da ist es keine Überraschung, dass Pater Mertes am Ende des Buches, also ab S. 154, in aller Deutlichkeit für die „ökumenische Gastfreundschaft sich einsetzt“. „Ich bin überzeugt, dass es einem katholischen Christen im Gewissen frei steht, die Einladung zum evangelischen Abendmahl anzunehmen… Ich lasse mir nichts zu schulden kommen, wenn ich einer (protestantischen) Person nach dem „Amen“ die Kommunion reiche. Im Gegenteil, ich ließe mir etwas zu schulden kommen, wenn ich es nicht täte“, so Pater Mertes (S.155). Die theologische Begründung für diese richtige Haltung liefert er im Buch!

Diese Aussage weist in die Zukunft. So sehr vielleicht auch weniger religiöse Zeitgenossen über das Thema schmunzeln und sich sagen: Was haben diese getrennten Christen denn noch für Sorgen! Gibt es wirklich nichts Dringenderes? Gibt es natürlich!

Trotzdem ist diese Stellungnahme von Pater Mertes innerkirchlich gesehen ein wichtiger Durchbruch: Denn es kann ja sein, dass nun Katholiken in sich gehen und den Worten des Jesuiten folgen. Viele tun es längst, heimlich natürlich!

Diese Worte von Pater Mertes haben großen Wert für den kommenden evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin: Da wird es dann hoffentlich auch viele katholische Teilnehmer geben, die am evangelischen Abendmahl teilnehmen. Der Streit um den katholischen Professor Gotthold Hasenhüttl, der 2003 beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin Protestanten die Kommunion reichte, wird sich so nicht mehr wiederholen. Es wäre auch eine Blamage, wenn nicht Katastrophe, für die Herren der Kirche, nun auch 2017 beim Reformationsgedenken wieder hart durchzugreifen. Prof. Hasenhüttl wurde von dem damaligen Trierer Bischof Reinhard MARX (jetzt München) vom Priesteramt suspendiert….Dass es einen suspendierten Pater Mertes geben könnte, ausgerechnet im Luther-Jubiliäum, befürchtet irgendwie die besorgte Protestantin Anje Vollmer, sie schreibt: „Dieser Briefwechsel darf nicht dazu führen, dass Sie, Pater Mertes, damit in unabsehbare Schwierigkeiten mit Ihren Kirchenhierarchien kommen“ (S. 145). Wird er wohl nicht, denn er hat himmlischen Beistand: Seinen sehr berühmten Mitbruder, den Theologen Pater Karl Rahner: Er hat zusammen mit dem katholischen Theologen Heinrich Fries (München) 1983 eine bedeutende Studie verfasst: Veröffentlicht ebenfalls in dem katholischen HERDER Verlag, mit dem alles sagenden Titel „Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit“. Also: Kircheneinigung ist JETZT möglich, alles offizielle katholische Gerede vom Warten und immer wieder weiter Beten usw… entpuppt sich klerikale Ideologie des konfessionellen Machterhalts. Theologie muss endlich Ideologie-Kritik werden. Dieses große Buch von Karl Rahner hat zwar 5 Auflagen erlebt, hat meines Wissens aber nicht den Verstand und das Herz der katholischen Hierarchie erreicht. Sie hielten diese großen Vorschläge „Ökumene JETZT“ für Theologengeschwätz. Es ist diese Ignoranz der Hierarchen gegenüber der Theologie, die so manchen erschüttert. Nur der Ungehorsam, siehe Luther, führt wohl in versteinerten Systemen ins Freie.

Die Ökumene stagniert, kaum noch jemand interessiert das und kaum noch jemand interessiert sich leidenschaftlich insgesamt noch für die Kirchen… Weil die katholische Hierarchie in ihrer dogmatischen Fixierung alles wirkliche Weiterführende in der Ökumene verbietet. Die Kirche selbst vertreibt die Gläubigen…wie damals, zu Luthers Zeiten!

Nun kommt also noch mal ein Vorschlag von Pater Mertes, zu sehr später Stunde möchte man sagen, wo sich die Kirchen in Deutschland tatsächlich leeren und nur noch die Kirchensteuergelder bestens fließen. Man kann nur hoffen, dass Pater Mertes nicht wie der Augustiner Pater Martin Luther gezwungen wird zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Bevor dies hoffentlich nicht passiert, sollte das Buch gelesen werden: Es behandelt selbstverständlich nicht nur dieses Thema.

Buchempfehlungen: Klaus Mertes, Antje Volmer, Ökumene in Zeiten des Terrors. Streitschrift für die Einheit der Christen. Herder Verlag 2016, 2169 Seiten.

sowie immer noch lesenswert und zur Praxis empfohlen: Karl Rahner und Heinrich Fries, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit. Herder Verlag 1983. 156 Seiten.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

Eine Art zu denken: Das neue Philosophie-Magazin

Eine Art zu denken: Philosophieren ist überall möglich und nötig

Ein Hinweis auf das Philosophie Magazin, Ausgabe Oktober/November 2016

Von Christian Modehn

Philosophie ist nichts für Eingeweihte und Spezialisten, Philosophie ist keineswegs immer schwierig. Man kann ins Philosophieren langsam hineinwachsen, möchte man sagen. Und dann? Ja, dann verändert sich der Blick auf einen Selbst und die Welt. Nicht alles wird einfacher, vieles wird deutlicher, und einiges zeigt seine Tiefe oder seinen hohlen Schein. Insofern ist Philosophieren auch immer auf das Leben bezogen. Die Hefte des „Philosophie Magazin“ bieten dazu immer wieder Inspirationen. Die neue Ausgabe, leider nur 100 Seiten stark, hat wieder neben kurzen Beiträgen (zum Terrrorismus, zu Pokémon GO, selbst zum Thema Zölibat !) grundlegende Artikel, etwa eine Diskussion zwischen Alain Badiou und Marcel Gauchet über die Bedeutung der Nationalstaaten in einem internationalen, kapitalistischen globalisierten System. Badiou, sehr links, und Gauchet, liberal, sind bisher eher einem französischen Publikum bekannt. Das Philosophie Magazin übernimmt etliche Beiträge von der entsprechenden französischen Ausgabe. Sie erscheint monatlich, man kann nur hoffen, dass die deutsche Ausgabe auch sehr bald diesem zeitlichen Rhythmus folgt. Badious Meinung ist weithin realistisch: „Es gibt in der Politik nur Geschäfte und Interessen. Und in der breiten öffentlichen Meinung herrscht ein feiger und ängstlicher Konsens, der auf die Bewahrung westlicher Privilegien abzielt. Daher stammt ein widerliches Flirten mit dem Kulturrassismus, dem Motiv der Überlegenheit des Westens und allgemeiner Furcht vor dem Fremden…“ (S. 31).

Der wichtigste Beitrag in dem Heft ist für mich das Interview, das der Chefredakteur Wolfram Eilenberger mit Dieter Thomä (Philosophie- Prof. in St. Gallen) führt. Thomä plädiert für die Störenfriede als den Menschen, die eine Demokratie erst lebendig machen. Er spricht von ihnen auch mit Blick auf die Philosophiegeschichte in seinem neuen Buch „Puer Robustus“ (Suhrkamp). Die These: Wir sollten uns befreien von dem Gedanken des „total Anderen“ bzw. auf der anderen politischen, hier der rechten, der „totalen Identität“. Wichtig sind die Störenfriede „dazwischen“, an den Rändern, Störenfriede sind „Schwellengestalten“. Sie zeigen, wo Neues aufbricht. Wenn sich Störenfriede allerdings fest einrichten, werden sie zu Ordnungsfanatikern. „Das zeichnet Populisten und Islamisten gemeinsam aus“. Schon wegen dieses Interviews mit Dieter Thomä lohnt sich der Kauf des Heftes! Wo sind diese zu Ordnungsfanatikern erstarrten Störenfriede in der Philosophie? Wo in der Religion? Wurde der Störenfried Martin Luther zu einem schon konfessionalistisch eingeschränkten Ordnungsfanatiker (in seinem Kampf gegen den Reformator Thomas Müntzer etwa)? Diese weiterführenden Fragen würde man gern weiter besprechen…

Dass Philosophieren überall und immer stattfinden kann, zeigt ein ganz anderer, schöner Beitrag von Svenja Flaßpöhler über ihre eigenen Erfahrungen im Schrebergarten zu Berlin. Neu ist für viele LeserInnen sicher auch die Information über die sehr abschreckende Pädagogik des Namensgebers dieser kleinen Gärtchen und Häuschen, eben des Herrn Moritz Schreber: Er war Arzt und Hauptvertreter der „schwarzen Pädagogik“, die, wie der Name andeutet, sich durch brutale Strenge gegenüber Kindern auszeichnete. Interessant, wie wir so oft mit eher üblich gewordenen Namen gedankenlos umgehen, etwa mit den „Schreber – Gärten“. Ob da wohl Umbenennungen bald anstehen? Wann endlich verzichten wir etwa auf Hindenburg-Alleen und Straßen, die etwa benannt sind nach heftigsten Militaristen? Welche Frömmigkeit soll, nebenbei gefragt, in einer Kirche entstehen, die Kaiser Wilhelm Gedächtnis- Kirche heißt? Welche spirituellen und friedlichen und sozialen Impulse gehen von diesem Kaiser im 21. Jahrhundert aus? Was soll diese Erinnerung an die Einheit von Thron und Altar noch heute? Wäre doch ein Thema im Reformationsgedenken 2017. Wird die Kirche aber nicht aufgreifen, Philosophen als freie Geister könnten es und sollten es!

Empfehlen möchte ich die Lektüre des Hauptartikels „Sind wir berechenbar?“, das heißt auch kontrollierbar, von aller Privatsphäre befreit, sozusagen als eine durchleuchtete Person der Werbung usw. preisgegeben. Und da ist besonders das Interview mit Ethan Zuckermam inspirierend. Der vielfach engagierte Aktivist und Mitarbeiter des Instituts of Technology in Massachusetts (MIT), sagt u.a. „Cookies sind ein Albtraum,!“….“Forscher am MIT haben festgestellt, dass wir über 80 Prozent unserer Lebenszeit berechenbar sind. Für den Markt ist das ein ziemlich hoher Wert“ (S. 47). Manchmal ist es nötig, etwa im Falle von Verbrechern, vorausschauend deren Leben zu prognostizieren. Auch dazu gibt es einen Beitrag: Sollen wir Angst haben vor dem Unberechenbaren fragen sich die Thea Dorn, Philosophin und Roman-Autorin und Vince Ebert Autor eines Buches über das Unberechenbare. Thea Dorn weist darauf hin, wie das absolut Unberechenbare, also das Göttliche oder Gott, in der Haltung Martin Luthers eine Rolle spielte. Damit öffnet sie die weiter zu führende Debatte über Martin Luther und die Philosophie: Vom philosophischen Denken hielt der Reformator gar nichts, er stürzte sich lieber ziemlich blind in den Glauben.

Leider zu kurz ausgefallen ist der Beitrag über Heideggers „Schwarze Hefte“ und die Frage: Was bleibt vom Ganzen des Heideggerschen Denkens angesichts seiner erst seit einigen Monaten bekannten nicht nur antisemitischen, sondern demokratiefeindlichen Bekenntnissen? Der schon erwähnte Philosoph Dieter Thomä warnt vor einer „pauschalen Heidegger Kritik“, also vor einer pauschalen Zurückweisung seines Denkens im ganzen. Bedenklich irritierend bleibt der Hinweis aus den Schwarzen Heften: Heidegger selbst ersehne den Moment, in dem „sich die Erde selbst in die Luft sprengt und das jetzige Menschentum verschwindet“ (S. 91). Damit wäre dann auch Heideggers Philosophie verschwunden. Diese apokalyptische Vision des so hoch gelobten Denkers der frühen Bundesrepublik, diesen Wahn der Vernichtung, sollte man ausführlicher besprechen. Diese Frage passt gut zu dem Beitrag über Walter Benjamin und die Geschichte. Öffnen sich „neue Fenster der politischen Hoffnung“, heißt die leitende Frage in dem Beitrag, verfasst u.a. von Wolfram Eilenberger.

Bei der Lektüre der Hefte schon über etliche Monate stellt sich mir immer wieder die Frage: Wann endlich wird es in Berlin ein „Haus der Philosophie“ geben, so wie es Zentren für Literatur gleich mehrfach hier schon gibt? Könnte sich das Philosophie Magazin nicht um die Gründung eines solchen (vielleicht am Anfang noch bescheidenen) Hauses/Zentrums kümmern, wo man viele wichtige philosophische Texte und vor allem Zeitschriften lesen kann, etwa auch die französische Ausgabe des Philosophie Magazins und alle die anderen englischen, amerikanischem, spanischen und holländischen usw. Philosophie-Magazine. Und natürlich auch die Fachzeitschriften? Und natürlich auch ein Café und eine Tee-Stube hätte zum Debattieren? Findet sich denn für ein solches Projekt, das selbstverständlich auch die interkulturelle Philosophie aus Afrika, Asien und Lateinamerika darstellt, keinen Sponsor, der der Philosophie dann wirklich alle Denkfreiheit lässt und nicht reinredet? Möchte man fast nicht glauben…Zumal im Leibniz Jahr 2017 will man sich vom Optimismus von Leibniz (oder Michel Serres) anstecken lassen und das schier Unmögliche doch für möglich halten: Eben ein philosophisches Haus für alle, die das Denken, das philosophische, lieben. Und das werden sicher immer mehr!

Philosophie Magazin: redaktion@philomag.de

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Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Kritik an Luther bei heutigen PhilosophInnen.

Von Christian Modehn

Das bevorstehende “Reformationsgedenken 2017”, Start am 31. Okt. 2016, das de facto ein Martin Luther Gedenken wohl bleiben wird, (oder wird man etwa ausführlich von Erasmus oder Thomas Müntzer auch sprechen?),  bewegt auch einige PhilosophInnen. Weil sich der Religionsphilosophische Salon sehr deutlich für die heftige Abwehr der Philosophie durch Luther interessiert, dokumentieren wir immer wieder einmal einige Stimmen von heutigen PhilosophInnen zur Relevanz Luthers heute. Über Luther und die Philosophie im allgemeinen liegt bereits ein Beitrag vor, klicken Sie hier.

1.

Hier die Bedenken, die die Philosophin und Autorin Thea Dorn, Berlin, vorträgt, in einer kurzen Zusammenfassung, ergänzt durch eigene Überlegungen von Christian Modehn. Die philosophisch motivierten Bedenken Thea Dorns gegenüber Luthers Theologie aus heutiger Erfahrung sollten meines Erachtens nicht nur in lutherischen Kreisen ernst genommen.

Der (katholische) Gott im Mittelalter konnte durch Ablassbriefe in seiner Willkür (Höllenstrafe!) noch von Menschen besänftigt werden. Also: Der durchaus auch rigorose Gott der Katholiken konnte durch menschliches Tun sympathisch bleiben. Das heißt ja nicht, dass man dieses Gottesbild heute philosophisch akzeptabel findet.

Durch Luthers Interpretation des Römerbriefes wird nun behauptet: Gott ist völlig unberechenbar. Er lässt sich nicht beeinflussen von Menschen. Auch nicht durch Ablässe. Kein Mensch kann Gott günstig stimmen. Gott ist in dem Sinne kein Partner der Menschen. Kann man noch von dem alttestamentlichen Bundes-Gott sprechen? Welchen Sinn hat dann noch Bittgebet? In der Prädestinationslehre wird dann die Vorherbestimmung des einzelnen schon VOR der Geburt betont. Wir können also nur noch hoffen, erlöst zu werden, obwohl es in dieser Sicht dem so wie so schon vorherbestimmenden Gottes egal ist, was wir tun, wie wir leben etc. Ich muss trotzdem auf einen gnädigen Gott hoffen, weil ich mich nicht in die totale Verzweiflung (Hölle post mortem) stürzen darf. Immer im Bewusstsein, totaler Sünder zu sein, also auch nicht klar vernünftig denken zu können, aufgrund der Erbsünde. „Weil ich nicht verzweifeln darf, muss ich an den gnädigen Gott glauben“. Thea Dorn nennt dies einen klassischen Fehlschluss, völlig verdreht…“ (S. 65 in Philosophie Magazin Oktober 2016). Sie weist zurecht darauf hin, dass für Kierkegaard nur der haltlose, unbegründete und unbegründbare SPRUNG in den Glauben die einzige Möglichkeit bleibt, sich diesem (unvernünftigen) Glauben anzuschließen. Nur im Sprung, so Thea Dorn, meinte Kierkegaard dem Nihilismus entgehen zu können. Per Verzweiflung zum Glauben? Wäre das ein Weg für Philosophen heute? Oder für die weiten Kreise spirituell Suchender? Eher wohl nicht.

2.

Auch die Philosophin Bettina Stangneth  spricht in ihrer Studie “Böses Denken”  (Rowohlt, 2016) von Luthers Ablehnung der Philosophie, diese Polemik hat in seiner radikalen Vorliebe für die Erbsündenlehre ihre Wurzeln. Stangneth schreibt auf S. 139 f.: “Luther erklärte die Vernunft zur Hure des Teufels und empfahl, dass jeder, der nach dem richtigen, dem gottgefälligen Leben suche, `seiner Vernunft die Augen ausstechen muss`, weil sie ihn sonst unvermeidlich von Gott wegführen wird. Die Vernunft war eine zu große Erschütterung für den, der einfach nur glauben wollte, so dass sie eine Erschütterung des Teufels sein musste, also das Fremde, das zu einem und nicht in einem spricht”.

Copyright: Christian Modehn

Marsch für das Leben in Berlin mit Erzbischof Koch. Kritisches zu diesem politischen, rechtslastigen “Marsch”

Ein Kommentar von Christian Modehn. Veröffentlicht am 15. 9 2016.

Wer am so genannten „Marsch für das Leben“ am 17.9.2016 in Berlin teilnimmt, befindet sich auf einer Veranstaltung der AFD bzw. jener rechten (katholischen und evangelikalen) Gruppen und Kreise, für die die CDU/CSU nicht rechts genug ist.

Der Organisator des Marsches, der Journalist Martin Lohmann, EX-CDU, ist Mitarbeiter der rechtslastigen Wochenzeitung „Junge Freiheit“, sie steht bekanntermaßen der AFD sehr nahe.

Auch Frau von Storch AFD ist wieder bei dem „Marsch“ dabei. Sie wird nicht die einzige von der AFD sein.

Wenn katholische Bischöfe (Koch, Voderholzer; 2015 schon Weihbischof Laun, Salzburg, ein öffentlicher FPÖ Freund) bei dem Marsch als Mit-Läufer dabei sind, entsteht wie von selbst der Eindruck: Diese Bischöfe unterstützen diese (letztlich AFD nahe) Veranstaltung. Es entsteht weiter der Eindruck: Bischöfe machen also indirekt Wahlpropaganda. Und das einen Tag vor der Wahl in Berlin. Ist dies noch das Amt eines Bischofs, darf man wohl als Theologe fragen. Haben diese Bischöfe bei deutschen Rüstungsfirmen protestiert in einem Protestmarsch für das Leben derer, die mit deutschen Waffen abgeknallt werden in Syrien, Saudi-Arabien, Mexiko usw. usw.? Oder wollen diese Herren nur das ungeborene Leben schützen? Ist ja auch viel einfacher, als die Macht der Waffenproduzenten öffentlich zu kritisieren?

Da helfen selbst allgemein gehaltene, sanft-kritische „Grußworte“ von Erzbischof Koch, Berlin, bei dem “Marsch” nicht viel, wenn er einen humanen Umgang mit Flüchtlingen anmahnt. Allein schon dieses militärische Wort “Marsch”, da klingt das Aggressive automatisch schon an…

Aber der so genannte Schutz „des“ „ungeborenen“ Lebens ist seit Jahrzehnten Mittelpunkt eines konservativen christlichen Glaubensbekenntnisses geworden. Mutter Teresa ist förmlich die hoch verehrte Kirchenlehrerin für alle um das ungeborene Leben kämpfenden Marschierer. Sie können eben, aus Faulheit, Dummheit?, nicht unterscheiden: Was ist Leben im allgemeinen? Was ist menschliches, geistvolles Leben. Und wann beginnt dieses. Da gibt es, wenn man denn nuancieren kann und will, eben Unterschiede. Und vor allem: Diese Marschierer für das ungeborene Leben sind rabiat gegenüber Frauen, die in einer Demokratie ihre freien und eigenen Entscheidungen treffen. “Pro Life” in den USA ist bekanntermaßen gewalttätig gegen Ärzte und Kliniken. Diese Marschierer sind letztlich Gegner demokratischer Entscheidungen. Für Religionskritiker ist es interessant zu wissen: Es gibt in den USA eine breite, auch katholische Bewegung “Pro Choice”, sie respektiert die Würde und Wahlfreiheit der Frauen. Bei Pro Choice sind auch katholische Nonnen dabei; sie sind “selbstverständlich” ständig von der Exkommunikation durch Bischöfe und Päpste bedroht.

Bezeichnenderweise haben katholische Bischöfe in fast allen Ländern Lateinamerikas dafür gesorgt, dass dort die unmenschlichsten Gesetze erlassen wurden, die den Schwangerschaftsabbruch rigoros verbieten. Die reichen katholischen Damen lassen in den USA oder Puerto Rico „abbrechen“, die armen Frauen sind auf Pfuscher in aller Heimlichkeit angewiesen. Diese armen Frauen, Opfer einer Macho-Unkultur, sterben oft bei diesen Eingriffen. das ist die Konsequenz dieser frommen Lebensschützer, abgesehen davon, dass fast alle Kinder in menschenunwürdigen Slums in Lateinamerika überleben müssen….

Mit anderen Worten: Diese Marschierer für das ungeborene Leben gehören zu einem weltweiten Netz von Menschen, die den Schutz des ungeborenen Lebens nur als Vorwand benutzen, um antidemokratische, ungerechte Strukturen zu verfestigen. Und etliche Christen und Bischöfe fühlen sich in einem solchen “Milieu” offenbar sehr wohl. Wer da seine kritische Stimme erhebt, wird sofort als “Feind des Lebens” hingestellt.

Wird dieser Marsch am 17.9. 2016 ein wichtiges Datum sein, ein Tag, an dem zum ersten Mal katholische Bischöfe mit der AFD gemeinsam marschierten? Wer wird sich darüber freuen?

PS: Wir freuen uns, dass die Leitung der Berliner protestantischen Kirche offiziell nicht bei diesem Marsch dabei ist.

copyright:Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Liberale Theologie an der Basis: Interviews zur „Gretchenfrage“

Ein Hinweis von Christian Modehn. In der Rubrik “Liberale Theologie heute” werden Elemente, Interviews, Erfahrungen dokumentiert und kommentiert, die für eine neue liberale Theologie hilfreich sein können.

Wer sich auf die Suche nach Erfahrungen der gelebten „liberalen Theologie“ heute begeben will, sollte auch Interviews mit „Menschen von nebenan“ machen oder mit Menschen aus der (ferneren) Nachbarschaft. Also mit weniger oder „gar nicht“ Prominenten, aber auch mit eher allgemein bekannten „Zeitgenossen“. Oder man sollte die Interviews lesen, in denen sich Menschen zu ihrer Sinn – bzw. auch Unsinn – Erfahrung äußern. Ein interessantes Beispiel fand ich etwa in einer neuen Rubrik der „Kirchenzeitung für die Nordkirche“. Dort ist in der Ausgabe vom 11. September 2016, Seite 16, unter dem Obertitel „Die Gretchenfrage. Sag, wie hast du es mit der Religion“ ein Interview mit Harry Schulz (55) publiziert. Er ist Betreiber eines bekannten Grill-Imbisses in Hamburg und zudem in einem Fernsehprogramm als „Imbisstester“ gefragt… sowie … ein Hamburger Original.

Harry Schulz sagt u.a.: „Ich glaube sehr stark an Gott, ich glaube aber nicht an Kirchen allgemein… Ich habe für mich entdeckt, dass ich unheimlich gute Gespräche mit Gott führen kann. Und dass er mir auch antwortet… Ich überprüfe das auch, indem ich aus dem Bauchgefühl bei Problemen die Lösung suche… Da ist jemand, der hört mir zu, der macht mir Mut und passt auch ein bisschen auf mich auf“. Am wichtigsten ist für Harry Schulz die Nächstenliebe. Etwa das „Sich Kümmern“ um die alte Nachbarin. Und: „Mein Laden und ich unterstützen auch die Hamburger Tafel und die Aids Hilfe Hamburg“.

Was ist in diesen Aussagen theologisch? Oder sogar liberal-theologisch? Eigentlich alles: Der Glaube an Gott. Das Abstandnehmen von den Kirchen. Das persönliche Beten. Die erfahrene Nähe des Göttlichen. Die Nächstenliebe. Und das alles eben individuell auf eigene Art erlebt und mit einem individuellen Ton gesprochen. Das sind keine hoch-spekulativen Aussagen, aber da spricht sozusagen die theologische Basis. Sie kann keine Kirche und keine Universitätstheologie ignorieren. Und sie zeigt: Individueller Glaube und Religiosität bzw. auch Suchen und Unglauben sind lebendig. Philosophisch gesprochen: Eigentlich wohl überall lebendig. Weil der Geist (die Vernunft) nun einmal in ständiger Such-Bewegung ist.

Thomas Müntzer – der (fast) vergessene Reformator als Theologe der Revolution

Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, 2016.

Dieser Beitrag erschien in kürzerer Form in der Zeitschrift PUBLIK FORUM am 9. September 2016.

1.

Der erste „Theologe der Revolution“ war auch einer der ersten Liturgie-Reformer. Vor Martin Luther hat er bereits 1523 die Messe auf Deutsch gefeiert: Thomas Müntzer wollte seine Gemeinde in Allstedt (Südharz) von „magisch wirkenden“ Texten befreien, um zur Erkenntnis des wahren Gottes zu führen. Dabei sollte zur Gewissheit werden: Die auserwählten Christen sind im heiligen Geiste eins mit Gott. Diese mystische Erfahrung bestärkte seinen politischen Kampf. Darum unterstützte Müntzer auch in Allstedt die empörten Bauern und Tagelöhner: Sie wollten „den wohllebenden Mönchen keinen Zins zahlen“ und gründeten einen „Widerstandsbund“. Gegen die Allmacht der Herrscher hatte sich ihr Pfarrer schon andernorts heftig ausgesprochen. Müntzer gehörte selbst zu den Verarmten. Für sie war er „Der Knecht Gottes“.

In den deutschen Messen zu Allstedt wurden zwar noch die alten, gregorianischen Melodien – auf Deutsch – gesungen. Aber das Volk war begeistert und strömte zu den Predigten. Dass Thomas Müntzer gleich nach der Liturgiereform die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen heiratete, störte nur die katholischen Grafen der Umgebung.

2.

In seiner „Fürstenpredigt“ im Schloss Allstedt (13.7.1524) ermahnte er, biblische Propheten zitierend, Fürst Johann von Sachsen und die anderen: Sie sollten sich der Protest-Bewegung des Volkes anschließen. Denn das Volk habe bei seiner Unterdrückung ein heiliges Recht auf Widerstand. Wenn die Fürsten an ihrer Herrschaft festhielten, gelten sie als Gottlose, die das Volk bekämpfen und vernichten wird.  Müntzer sah die Ursache allen Elends bei den Herrschenden.Wenn er Gewalt unterstützte, dann nur als Reaktion auf vorhandenes Unrecht der Fürsten und der Kirche bzw. Klöster. Dass “Gott die Mächtigen vom Thron stürzt”, wie das Magnificat Marias im Neuen Testament sagt, nahm Müntzer wörtlich! Er fühlte sich – mit den Ausgegrenzten – auf der Seite Gottes! So wie die Fürsten (und Luther) das Wort der Bibel wörtlich nahmen vom “Gehorsam der Untertanen unter (jede) Gewalt”…und dieses Wort rabiat durchsetzten um des eigenen Machterhaltes willen.

3.

Es ist bezeichnend, dass von Müntzer, diesem „theologischen Revolutionär“ (H.J. Goertz), kein authentisches Porträt überliefert ist. Im Vergleich zu zahllosen Luther-Porträts ein Beleg, wie heftig er auch von den Wittenberger Reformatoren ausgegrenzt wurde. Selbst sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt: Um 1489 wurde Müntzer in Stolberg (Harz) geboren. Biografische Details fehlen oft. Erst in den letzten Jahren wurde begonnen, eine kritische Gesamtausgabe seiner wenigen Bücher und zahlreichen Briefe herauszugeben. Er studierte Theologie in Leipzig und Frankfurt/Oder, 1513 wurde er zum Priester für das Bistum Halberstadt geweiht. Seit der Zeit, bis zu seiner Hinrichtung am 27. Mai 1525, war er ruhelos unterwegs, um für die Einheit von Mystik und Revolution einzutreten. In etwa 30 Städten, zwischen Prag und Braunschweig, Wittenberg und Basel, Zwickau und Frankenhausen, hat er sich aufgehalten, immer auf der Suche nach einer Predigerstelle. Müntzer ist der Heimatlose, überall wurde er verjagt und verfolgt.

3.

Seit 1521 ist der eine Mittelpunkt seines Denkens offensichtlich: Der heilige Geist wirkt in jedem Glaubenden; es gibt eine Gottunmittelbarkeit, der Klerus spielt dabei keine Rolle. Aus der Gottunmittelbarkeit folgt die grundlegende Veränderung der Gesellschaft und das Ende der Gewaltherrschaft der Fürsten. Und sogleich ergoss sich der öffentliche Zorn Luthers über ihn, den Müntzer seinerseits ebenso heftig beantwortete. Inzwischen haben, dank der Studien etwa von Hans-Joachim Goertz, die alt vertrauten Müntzer Klischees keine Chance mehr: Er ist weder der sozialistische Held des Bauernkrieges noch der „Erzteufel“, wie ihn Luther und seine Kirche lange Zeit hinstellte.

4.

Entscheidend ist heute: Müntzer war ein eigenständiger Reformator. Darum sollte 2017 über ihn umfassend diskutiert werden. Themen gibt es genug: Im Unterschied zu Luther galt ihm die je eigene, geistvolle Erfahrung des lebendigen Gottes alles. Er dachte oft wie die Mystiker des Dominikanerordens, vor allem Johann Tauler. Das Wort Gottes, auch die Lehre von der Rechtfertigung, waren für Müntzer nur ein äußerer Anstoß, Gottes Geist „in mir“ zu erleben. Und diesen Geist sah er im Widerstand der Armen politisch am Werke. Einzig dem Projekt „Reich Gottes auf dieser Erde am Ende unserer Zeiten“ wollte er dienen. Dabei dachte er wie andere Reformatoren apokalyptisch. Er sah im Aufstand des unterdrückten Volkes eine Art Notwehr. Denn einzig bei den Fürsten nahm die Gewalt ihren Anfang. Müntzer verteidigte „das Gewaltrecht der Guten“, also der leidenden Christen. Dass der staatskonforme Luther mit seiner Sympathie für die Fürsten letztlich auch nicht den Frieden förderte, ist eine Tatsache. Heute wünscht man sich, die vernünftigen Humanisten hätten mehr Einfluss gehabt in dieser apokalyptisch aufgewühlten Zeit. Vernünftiges Denken, Klarheit der Begriffe, Selbstkritik und philosophische Logik hatten bei dem Reformator Luther und seinem Kreis keine Chance. Und sie waren im Gefolge Augustins stolz darauf, Verächter der Philosophie und des Humanismus zu sein!

5.

Thomas Müntzer wurde schließlich im „Endkampf“ aufseiten der Bauern in Frankenhausen (11. Mai 1525) gefangen genommen und in Mühlhausen am 27.Mai 1525 hingerichtet. Luther, aber auch Philipp Melanchthon, stachelten die Fürsten sogar noch an, diesen “Unmenschen” Müntzer zu töten. Diese direkte Aufforderung zur Tötung eines andersdenkenden Reformators ist – aus heutiger Sicht – ungeheuerlich. Diese Mordaufrufe Luthers werden offiziell in lutherischen Kirchen überhaupt nicht “behandelt”. Der Müntzer Spezialist und Historiker Hans-Jügen Goertz schreibt: Luther stand explizit und kämpferisch aufseiten der Fürsten und warnte diese eindringlich vor Müntzer als dem “lügenhaften Teufel, Weltfresser, Schwindelgeist”. “Luther tilgte alle menschlichen, individuellen Züge Müntzers”(Goertz, S. 254). Noch schlimmer: “Luther ließt sich die Gelegenheit nicht nehmen, den Gotteslästerer und Aufrührer Müntzer literarisch hinzurichten, bevor das Urteil gesprochen war und der Henker sein Schwert erhoben hatte. …Luther unterdrückte jeden Zweifel an dem martialischen Abschlachten der fliehenden Bauern bei Frankenhausen. Luther wollte allen Regungen von Mitleid und Nachsicht zuvorkommen. Dem Teufel und dem Antichristen (Müntzer) durfte niemand mit Verständnisund Erbarmen begegnen” (Goertz  S. 254 f.) “Seither, (also durch Luthers Polemik verursacht, CM) geistert die Kunde von dem Mordpropheten Müntzer durch die Zeiten…und die Deutschen haben gelernt, Nonkonformisten, Dissidenten und Revolutionöären mit Abscheu zu begegnen”. (Goertz, S. 257).

6.

Nur vereinzelt fällt heute sein Name unter den Theologen der Befreiung. Sie wissen wie er: Die Kirche muss mit den mit den Unterdrückten Gerechtigkeit realisieren, sonst bleibt all ihr Tun gottlos. Eine Kirche aufseiten des Staates, eine Kirche, die den Staat sozusagen automatisch unterstützt, noch schlimmer: eine Staatskirche, ist in dieser Sicht eine Art Gotteslästerung; siehe etwa auch die entsprechenden Verbrechen in katholischem Milieu in der Zeit der katholischen Franco-Diktatur in Spanien.

7.

Ob es im Reformationsgedenken (ab 31. Oktober 2016 ein ganzes Jahr lang) auch ein Müntzer-Gedenken geben wird, ob er eine Rolle spielen wird in den zahlreichen (evangelischen) Akademien-Veranstaltungen oder beim Kirchentag 2017, wäre zwar wünschenswert, ist aber angesichts dieser seiner „störenden Theologie“ eher unwahrscheinlich. Müntzers Theologie ist deswegen störend, weil mit ihm die ständige Staatsnähe des Luthertums (bis heute) kritisch diskutiert werden müsste. Müntzer würde heute von kirchlicher, also wohl christlicher Seite, diese Frage an die C-Parteien stellen: Seid ihr christlich, ihr so genannten Christlichen Parteien? Was soll dieses “C”? Diese Frage würde er angesichts des Umgangs mit Fremden und Flüchtlingen stellen, angesichts der von C Parteien nicht kritisierten und verhinderten Rüstungsproduktion, der geringen staatlichen Beiträge für eine unwirksame Unterstützung armer Länder, der zunehmenden Armut auch in Deutschland usw. Das Ergebnis wäre nicht nur für Müntzer niederschmetternd. Er würde wohl für die Streichung des “C” aus dem Titel der  beiden Christlichen Parteien plädieren. Wäre auch ein hübsches Thema im Reformationsgedenken 2017…

Die „Thomas-Müntzer-Gesellschaft“ hat ihr Büro in Mühlhausen, dort erscheinen zahlreiche Studien. Etwa: Alejandro Zortin, “Thomas Müntzer in Lateinamerika.” 2010., 44 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Denk mal: Zum Tag des offenen Denkmals.

Ein philosophischer Hinweis von Christian Modehn

Am vergangenen Wochenende (am 10. und 11. September 2016) fand wieder der „Tag des Offenen Denkmals“ statt, ein kulturelles Ereignis, das offenbar immer mehr Interessierte findet und nicht nur in Deutschland „begangen“ wird. Auch über diese beiden”Gedenktage” hinaus bleibt die Besinnung auf das, was offene Denkmäler denn zu denken geben, wichtig. Der Tag des offenen Denkmals ist vom Titel her verlockend für eine philosophische Meditation. Und sie könnte sozusagen wie eine Art Begleitmusik gelten für alle, die an dem Tag und auch sonst Orte und Häuser betreten und betrachten, die sich – offiziell – Denkmäler nennen.

Zunächst könnte man sprachphilosophisch meinen, das Substantiv Denkmal sei ursprünglich eine verbale Befehlsform gewesen, in dem Sinne von „Nun denk mal“ angesichts eines bestimmten Raumes und Ortes. Ich finde die Erneuerung des Denkmal-Begriffes aus dem Geist der verbalen Aufforderung „Denk mal!“ recht hübsch und hilfreich.

Die philosophische Frage wäre vorher aber doch die: Welche Gebäude, Orte und Räume werden dann vom wem eigentlich zu Denkmälern offiziell erklärt? Ich denke, mit starker Abwehr, an die überall noch anzutreffenden Denkmäler der Kriegshelden, „die für Volk und Vaterland gestorben“ sind, im 1. Weltkrieg etwa. Mir tun die Hinterbliebenen natürlich leid und die Toten selbst auch, die sich in jungen Jahren als “Kanonenfutter”, der Begriff ist treffend, im Rahmen des nationalistischen Wahns (von anderen Europäern und Christen ebenso) abknallen lassen mussten. Schlimm ist, dass diese Denkmäler heute auf die Kriegsumstände, also etwa auch auf das „Kanonenfutter“, nicht aufmerksam machen. Von daher sind diese Denkmäler in dieser gegebenen Form (!) eben wohl keine Orte, die von vornherein zum Bedenken des Friedens und der Überwindung jeglichen Nationalismus führen. Wo sind genauso zahlreich vertreten die Denkmäler, Denkräume, etwa für die wenigen Widerstandskämpfer in der Nazi-Zeit?

Es gibt auch Orte, die noch keine offiziellen Denkmäler sind, dies aber – zumal in diesem Jahr – werden sollten: Etwa die Orte und Plätze, wo Flüchtlinge im vergangenen Jahr willkommen geheißen wurden; und die Flüchtlings – Unterkünfte, die vielen, die von Rechtsradikalen dann in Brand gesetzt wurden aus purem Hass. Diese Häuser sind Denkmäler, dort sollte man verweilen im Sinne von Denk-Mal politisch weiter!  Also: Denken an den Humanismus, als der Basis menschlichen Miteinanders. Denken an die spontane Hilfsbereitschaft als Ausdruck eines neuen menschlichen Miteinanders! Aber diese Orte kommen in den Listen der Denkmals-Orte am 10. oder 11. September nicht vor. Ähnliche Gedenkorte wären etwa auch jene Häuser, wo heute die Büros von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International untergebracht sind. Lebendiges und aktuelles Gedenken könnte man das nennen.

Natürlich kommt man, philosophisch gesehen, überall und immer ins philosophische Denken. Darum sollte man beim Tag des Offenen Denkmals eben unterscheiden: Einerseits wird das Denken aktiviert im Sinne des klassischen, kulturellen historischen Wissens: Ich sollte also lernen und wissen, so lautet die Aufforderung, dass in diesem Schloss XY, als Denkmal, Großfürst Isidior mit seiner Geliebten Charlotte im 18. Jahrhundert lebte. Das ist alles Sache der Historiker, die bei den Denkmälern zurecht ihre Aufgaben sehen.

Andererseits: Das philosophische Denken und Gedenken ist vom historischen Wissen und Gedenken auch verschieden: Philosophisch wird es, wenn man fragt: Warum gibt es eigentlich bestimmte Orte und Räume, die explizit an einigen Tagen zum Denken auffordern? Sind nicht alle Orte erstaunlich? Ist nicht mein Leben, unser Leben, erstaunlich und verwunderlich? Von Sokrates wird berichtet, dass er auf der Straße längere Zeit meditierend “verwundert” stehen blieb und nur nach nachdachte. Thaumazein nannten die Griechen diese elementare philosophische Erfahrung! Worüber wundert sich der Philosoph und kommt dadurch ins Denken? Über das Erstaunliche, dass er da ist, dass die Welt da ist, dass wir erkennen können, gut sein können, leben dürfen, andere Menschen als Geschenk erleben usw. Von daher ist für Philosophen jeder Tag ein Tag des offenen (also einladenden) Denk Mal! “Tage des offenen Denkmals” wären philosophisch gesehen Tage, an denen sich Menschen austauschen über dieses Erstaunen, dieses sokratische “Thaumazein”…

Damit ist gar nichts gegen das Bedürfnis gesagt, historisch viel mehr und immer mehr zu wissen von den offiziell zu denkwürdig erklärten Häusern. Aber alle, die am 10. und 11. September durch Denkmäler laufen oder durchgeschleust werden und sonst sowieso durch Museen fotografierend eilen, sollten sich aber fragen: Was geben und bedeuten mir diese Räume und Orte denn nur wirklich für mich in meinem Leben und in meinem Fragen? Geben sie mir zu denken? Oder habe ich gar schon wieder schnell vergessen, was denn Großfürst Isidor mit seiner Charlotte in seinem Schloss XY alles gemeinsam unternommen hat? Kurz und gut: Historisches Wissen ist flüchtig, weil es im allgemeinen nicht den eigenen Geist, die “Seele”, berührt. Historisches Wissen muss per se äußerlich bleiben und wird deswegen leider oft schnell vergessen. Philosophisches Wissen, es ist Weisheit, ist anders: Da erinnert man sich sein Leben lang an eine Erschütterung, die viele Minuten dauerte, weil man sich angesichts von Großfürst Isidor, um bei diesem Beispiel zu bleiben, doch fragte: Was macht eigentlich gemeinsames Leben aus, was bedeutet Macht und Herrschen, was bedeuten Reichtum und Luxus im Schloß XY?

Bemerkenswert von philosophischer Seite ist: Auch Kirchengebäude, manchmal Gotteshäuser genannt, sind bei den Tagen des offenen Denkmals, in Berlin etwa, reichlich vertreten. Eigentlich wird ja in Kirchen de facto mehr das Beten gepflegt und das Singen usw als das umfassend kritische Denken. Darum ist es bemerkenswert, dass sich die Kirchengemeinden selbst dem Denken verpflichtet wissen: In Kirchen soll also ganz offiziell auch philosophisch und kritisch und religionskritisch gedacht werden! Das wäre ja eine frohe Botschaft!

Trotzdem meine ich: Wir alle brauchen wohl auch philosophische Tage des „Denk mal!“ Und diese Tage sind eigentlich immer, an jedem Tag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.