Kapitalismus bestimmt unsere Sprache, also unser Leben.

Ein neues Buch über die Macht des Kapitalismus im Denken und Sprechen der Menschen
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Mit unserer Sprache sagen wir aus, wie wir leben, was wir fühlen und denken. Unsere Worte und Begriffe sind Ausdruck unseres menschlichen, d.h. geistigen Lebens in der konkreten Welt und Gesellschaft. Unsere Worte und Begriffe, gesprochen in immer subjektiv bestimmter Rede, sind aber nie nur unsere eigenen Worte und Begriffe. Sie werden vermittelt, gelehrt, „eingeübt“ durch die Kultur der Welt, die uns umgibt und bestimmt. Und diese unsere Welt zu unserer Lebenszeit ist ökonomisch geprägt. Konkret: Sie ist vom Kapitalismus beherrscht.

2.
Simon Sahner und Daniel Stähr lenken unser Interesse mit allem Nachdruck auf die Frage, die wir immer schon spürten und ahnten, selten aber explizit entwickelten und untersuchten: Es geht dem Kulturwissenschaftler und dem Ökonomen um eine Analyse und Bewertung, wie die Sprache der Menschen in Deutschland, aber selbstverständlich auch anderswo in anderen Sprachen, von der Ideologie des Kapitalismus bestimmt, wenn nicht beherrscht ist. Der Titel ihrer Studie im S.Fischer Verlag: „Die Sprache des Kapitalismus“, erschienen im Frühjahr 2024.

3.
Das Buch hat durchaus einen sprachphilosophischen Hintergrund. Es zeigt aber auch in anschaulichen Beispielen, mit welcher Selbstverständlichkeit und Unreflektiertheit viele Menschen die ideologisch gefärbte Begriffswelt des Kapitalismus übernehmen. Kapitalismus verstanden als ökonomische Herrschaftsform, die sich als „alternativlos“ in unserer Welt darstellt und auch die eigene Alternativlosigkeit propagiert (man denke an die „Urmutter” dieses Begriffes, Madame Thatcher).

4.
Wir sprechen also meist in Begriffen, Formeln, Floskeln, indem wir den (versteckten) ideologischen Vorgaben des Kapitalismus folgen. Die Autoren bieten Beispiele. Dabei wollen sie nur zu einem bewussteren Sprechen und damit (selbst-) kritischen Leben anregen.

5.
Wir sagen oft, hören oft: „Die Preise steigen“.
ABER: Die Preise sind keine selbständigen Subjekte, die von selbst steigen oder auch fallen könnten. Die Preise werden von bestimmten menschlichen Subjekten und Organisationen nach oben getrieben. Aber über diese Subjekte und Gruppen (Kapitalisten) gibt die übliche Floskel „Die Preise steigen“ keine nähere Auskunft.
Wer von „steigenden Preisen“ spricht, sieht sich hilflos einer Art Naturgewalt ausgesetzt, wie etwa: „Es herrscht starker Schneesturm“. Korrektes, reflektiertes Sprechen wäre: „Bestimmte Leute haben die Preise erhöht“.

6.
Ein weiteres Beispiel:
„Ich verdiene mein Gehalt. Dahinter steht die Auffassung: Ich erhalte tatsächlich das Geld als „Verdienst“, das meiner Arbeitsleistung entspricht. Mehr verdiene ich nicht, steht mir nicht zu, könnte man als „Arbeitnehmer“ denken. Der sogenannte Sozial – Staat erhöht ja gelegentlich den „Mindest-Verdienst“ um einige Cents…
Aber „verdient“ eine Krankenschwester oder eine Pflegekraft wirklich das (wenige) Gehalt, das sie erhält? Und: Verdient ein Fußballstar seine Millionen für seinen sportlichen Einsatz? Verdient ein Top – Manager die Millionen Dollar, wenn er aus einem Betrieb ausscheidet?
Man darf also nicht länger so tun, als sei diese Redeweise, dieses übliche Sprechen, den objektiven Tatsachen entsprechend.

7.
Und wer ist denn schon de facto Arbeitnehmer und wer ist de facto Arbeitgeber? Diese Redeweise ist irritierend und falsch, betonen die Autoren: „Denn man kann mit Fug und Recht behaupten, dass doch die Person, die arbeitet, etwas GIBT, nämlich ihre Arbeitskraft! Und diejenige Person oder Institution, für die als so gen. Arbeitgeber gearbeitet wird , tatsächlich doch etwas NIMMT, nämlich die Arbeitskraft der anderen, der so genannten ArbeitnehmerInnen also. Es würde also auf einer sprachlichen Ebene viel mehr Sinn ergeben, wenn ArbeitgeberInnen für Arbeitnehmerinnen arbeiten und nicht umgekehrt“ (Seite 75).

8.
Ein weiteres Beispiel: Die kapitalistische Wirtschaftswelt sieht den einzelnen Menschen nicht als Person, sondern als VERBRAUCHER und Konsumenten der von den Konzernen vorgesetzten Produkte. „Ich bin ein Verbraucher“: das bedeutet doch: Darin besteht die Definition meines Menschseins: Ich verzehre, benutze, genieße die Dinge des Marktes. Und wenn sie verbraucht sind, verzehrt sind, ausgenutzt sind, dann werfe ich sie weg. Und der Konsum – Kreislauf geht weiter. Reparieren der alten Produkte ist eine Vorstellung, die sich erst langsam durchsetzt. Gott sei Dank laden wir zu Geburtstagspartys (noch) nicht unsere lieben Mit – Verbraucher und Mit – Konsumenten ein, sondern eben doch noch Freunde und Verwandte. Eine Party als Verbraucher – Party ist eher bei Festen großer Betriebe Realität.

9.
„Was wir also brauchen, ist eine postkapitalistische Sprache und Erzählung von einem guten Leben nach dem Kapitalismus“, schreiben die Autoren auf S. 265. „Es gibt Alternativen zu einer kapitalistischen Lebensweise“ (S. 267). „Wir plädieren deshalb für eine sprachliche Genauigkeit“ (ebd.).

Man darf die Bedeutung dieses offenbar „nur“ aufs Sprachliche bezogenen Buches nicht unterschätzen: In unserer unbewussten Abhängigkeit von der vorgegeben ökonomischen Sprache des Kapitalismus zeigt sich eine ungewollte und manchmal gewollte Unterwerfung unter eine Ideologie. Diese hat als Dogma: Der Kapitalismus ist wie ein Naturgesetz ohne Alternative. Selbst grundlegende Reformen des Kapitalismus werden selbst von sozialdemokratischen Parteien nicht mehr für möglich gehalten. Die „Reform-Partei“ SPD scheitert bekanntlich so oft an der Macht der FDP Politiker oder anderer konservativer Gegner.

10.
Das Buch ist anregend und wichtig und vor allem leicht zugänglich. Die Lektüre, das Mit – Denken mit den Autoren, ist sehr zu empfehlen. Wir müssen wieder lernen, selbst kritisch unsere eigene Sprache zu beobachten. Wir müssen lernen, kritisch zu denken und zu urteilen: Darin sah die Philosophin Hanna Arendt die wichtigste Leistung einer humanen Menschheit. Für die amerikanische Autorin und Philosophin Ayn Rand war das, was wir „gemeinhin das Böse nennen, eine potentiell ebenso weit verbreitete wie weithin unbemerkt bleibende Unfähigkeit, selbst zu denken“, berichtet der Philosoph Wolfram Eilenberger (in „Philosophie-Magazin“, „Das Böse“, S. 33). Das Böse hat mit der „Auslöschung der eigenen Urteilskraft“ zu tun, so der Titel des Aufsatzes von Wolfram Eilenberger.

11.
Mit besonderem Interesse sollte man Kapitel 3 lesen (Seite 62 ff.), dort geht es um die Frage. Wer ist reich? „Wo fängt Reichtum an, wenn ein Millionär, der wie Friedrich Merz zwei Privatflugzeuge besitzt, noch nicht (nach eigener Einschätzung!) Zur Oberschicht zählt?“ (S. 62). Die Autoren sprechen auch von den Superreichen, den Milliardären, und betonen: “Man muss sich die Frage stellen, ob es einen solchen Reichtum geben sollte“ (S. 67). Sie erinnern an Douglas Rushkoffs Buch „The Survival of the Richest“. LINK: Rushkoff hat mit Multimillionären gesprochen und deren Sprechen analysiert: Es dreht sich bei denen alles darum , wie sie sich selbst abgrenzen und sich schützen vor allen Katastrophen dieser Welt. „Kein Gedanke, kein Sprechen, wird darauf verwendet, wie der Reichtum genutzt werden könnte, um möglichst vielen Menschen Schutz und Sicherheit zu bieten“(S. 68). Diese Millionäre denken nur an das Überleben der Stärksten, zu denen sie sich rechnen. Simon Sahner und Daniel Stähr erinnern in ihrem Buch an den populären Spruch. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, dieser Spruch unterstellt, jeder könnte mit viel Arbeit viel Glück und viel Geld erzielen.

12.
Natürlich wird durch die Kritik der Sprache und des Sprechens inmitten des Kapitalismus dieser Kapitalismus, als der Neo-Liberalismus, nicht überwunden. Auch in dieser Hinsicht ist Geist, also kritisches Sprechen, fast ohnmächtig gegenüber der „Alternativlosigkeit“ des universalen Herrschaftssystems. Aber warum sollte Kapitalismus-Kritik sich nicht an der Sprachkritik abarbeiten, also mit dem Innewerden der Abhängigkeiten, der Entfremdung, der Ent – Personalisierung, der Gehorsamshaltung gegenüber dem üblichen „Main-Stream“ Sprechen und Denken? Es ist unwahrscheinlich, dass die Allmacht des Kapitalismus, Neo-Liberalismus, noch überwunden werden kann, vielleicht lässt er sich einschränken: Immerhin können wir dann sagen: Wir haben wenigstens versucht, ethisch gut zu leben … und sei es in einer Nische zu überleben.

13.
Der Titel des Buches führt uns zu weiteren, in der heutigen Wahrnehmung vielleicht schon längst entlegenen Themen: Wir denken etwa an die Sprache der christlichen Kirchen heute, ihre nebelhaften Formeln und Floskeln etwa, die nur dem Machterhalt des männlichen Klerus in der katholischen Kirche dienen. Etwa: „Der Herr selbst hat doch Frauen vom Priestertum ausgeschlossen“. Dieser „Herr“ ist aber der klerikale Christus als Herrscher, nicht der Prophet Jesus von Nazareth… Aber das ist ein anderes Thema, zu dem dieses wichtige Buch von Simon Sahner und Daniel Stähr anregt.

Zum Thema „Christentum im Kapitalismus“, ein Buchhinweis, das Buch versucht, sich des wichtigen Themas anzunähern: LINK

Simon Sahner, Daniel Stähr: 
Die Sprache des Kapitalismus. S. Fischer, Frankfurt/M. 2024;
304 Seiten, 24,00 €

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Christi Himmelfahrt – Mystik und Gerechtigkeit

Ein Hinweis von Christian Modehn.
 Am 2.5.2024

Der Titel des Festes „Christi Himmelfahrt“ kann verstaubt, verschroben, spinös erscheinen. Was das Fest eigentlich meint, hat aber mit Mystik und mit Politik zu tun, genauer: Mit dem Eintreten für die gleiche Würde aller Menschen. Und das können Menschen realisieren. Denn sie haben Vernunft, haben Geist, der heilig ist.

1.
Die neue und – für Dogmatiker und Fundamentalisten – etwas gewagte Erkenntnis lässt sich zusammenfassen: Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten, diese drei Feste, beziehen sich auf eine einzige Erzählung von religiösen Menschen. Die drei Festtage sind also ein einziges “Fest”, das in den Berichten des Neuen Testaments folgend, in eine zeitlich gedehnte chronologische Erzähl – Struktur gesetzt wurde.
Tatsächlich haben die drei „Feste“ einen Mittelpunkt: Es ist die Erkenntnis des göttlichen Geistes in allen Menschen. Und genau diese Erfahrung meint Pfingsten.
Wer also Christi Himmelfahrt verstehen will, muss sich zuerst mit Pfingsten befassen.

2.
Das Pfingst – Fest ist diese Erzählung: Die Gemeinschaft der Jesus-Jünger war nach Jesu Tod überzeugt: Wir haben „plötzlich“, wie in einer Überraschung, als Geschenk, ein neues, ein tiefes Verständnis gewonnen über Jesus von Nazareth. Die Freunde Jesu, die Gemeinschaft der „Urkirche“, erkannte – nach langem Zweifeln und in ihrer Verzweiflung über Jesu Tod – plötzlich eine neue, bleibende geistige Lebendigkeit ihres Freundes Jesus von Nazareth. Er ist über seinen Tod hinaus geistig, nur in der Poesie sagbar, präsent, er hat Teil am Ewigen. Die Freunde Jesu konnten also von Jesus als dem Präsenten, dem Ewigen, sprechen. Diesen Geist, der den lebendigen Jesus von Nazareth erkennt, erlebt die Gemeinde als Geschenk, sie spricht vom Heiligen Geist, als einer bislang kaum bemerkten besonderen Qualität ihres eigenen menschlichen Geistes: Die Menschen erkennen: Der Geist ist heilig!

3.
Und warum gibt es noch über Ostern hinaus ein eigenes Fest Christi Himmelfahrt? Dieses seltsame Wort „Himmelfahrt“ ist eine Metapher für den Mythos, die Erzählung: Dieser Jesus von Nazareth ist nicht im Nichts verschwunden. Jesu Leichnam liegt zwar – wie der Leichnam jedes anderen Menschen – in einem Grab! Aber Jesu Geist als ewiger Geist ist „woanders“, er ist – bildlich gesprochen – an dem Ort des Ewigen, des Göttlichen, in dem „Himmel“.
Die Gemeinde will mit dem Fest Christi Himmelfahrt“ also noch einmal explizit feiern, dass dieser geliebte Mensch und Prophet Jesus von Nazareth nicht mehr nur zur Erde, nicht mehr nur zur Welt der Menschen, gehört. Er ist leiblich verschwunden, aber geistig nicht entschwunden. Jesus ist in den Bereich des Ewigen eingetreten, den man „Himmel“ nennen kann oder „Sein beim Ewigen“.

4.
Warum werden in christlichen Kirchen drei Gedenktage und drei Feste (Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten) in so kurzer Zeit hintereinander gefeiert? Diese drei christlichen Feste haben, wie gezeigt, alle einen grundlegend gleichen Inhalt: Sie feiern den Übergang Jesu (und damit aller Menschen) vom Tod in den geistigen Bereich des Ewigen.
Dass die Kirchen dreimal (Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten) eigentlich das Gleiche, in kurzem zeitlichen Abstand feiern, ist einzig in der sehr menschlichen Begeisterung begründet, möglichst viele Feste – mit unterschiedlichen Akzenten – zu feiern. Be-geisterung kennt oft keine Grenzen…

5.
Noch einmal zurück zur Basis des Festes Christi Himmelfahrt: Pfingsten betrifft das Selbstverständnis der Menschen. Als Fest des Geistes als des heiligen, kritischen Geistes ist Pfingsten das Fest der Dimension, die „den“ Menschen, alle Menschen, auszeichnet. Im Geist als der Vernunft erschließt sich die Menschenwürde, erschließen sich die Menschenrechte. Pfingsten als Fest des Geistes, der heilig ist, macht die Vernunft stark, Pfingsten ist deshalb das politisch sehr präzise Fest der Menschenwürde, der Menschenrechte, der wesentlichen Gleichheit aller Menschen, der universalen Gerechtigkeit also. Pfingsten ist alles andere als ein gedankenloses, fundamentalistisch geprägtes Fest eines frommen, charismatisch sich nennenden Trallala.

6.
Christi Himmelfahrt ist kein Gedenktag an einen ins Unendliche – in himmlische Ferne Entrückten. Christi Himmelfahrt als Erzählung lässt die Welt der Menschen nicht gottlos erscheinen. Vielmehr ist der Geist der Menschen als der göttliche Geist die Anwesenheit des Ewigen im Irdischen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Entspricht es der Menschenwürde, mit einem Diktator und Kriegsherren befreundet zu sein?

Die 18. der “unerhörten Fragen”.

Zugleich ein Beitrag zur aktuellen politischen Anwendung von Kants „Kategorischem Imperativ“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 9.4.2024. “Es geht doch dabei nicht um eine moralische Frage !!!”  Doch, natürlich…

1.
Unter welchen Bedingungen darf ich als Demokrat, der universell geltenden Menschenwürde entsprechend, mit einem Diktator und Kriegstreiber (oder auch auch Verbrecher, Mafioso etc…) befreundet sein?

2.
Vorausgesetzt, Freundschaft ist dabei ein intensiveres geistiges Einvernehmen mit einer anderen Person als eine oberflächliche „Bekanntschaft“ mit irgendjemandem.

3.
Dann kann die Antwort auf diese Frage nur heißen: Diese Freundschaft sollte alles daran setzen, den Diktator, den Kriegstreiber usw. von seinem inhumanen Irrweg zu befreien. Und zwar möglichst umgehend und definitiv und objektiv kontrollierbar.

4.
Sollte aber diese Überzeugungsarbeit zum ethisch guten Leben gegenüber dem Diktator – Freund, Kriegstreiber – Freund nicht gelingen: Dann soll ich, soll jeder,  diese Freundschaft aufkündigen, mindestens nach einigen Monaten der Geduld und „Wartezeit“. Freundschaften haben im Unterschied zu „Ehe – Verträgen“ die Eigenschaft, sofort – auch einseitig – kündbar zu sein.

5.
Es kann aber auch sein: Der besagte Freund des Diktators denkt selbst so wie sein Diktator – Freund, und dabei nur an den eigenen riesigen materiellen Profit: Und dieser sich nach außen so human zeigende Freund verschweigt diese seine Interessen raffiniert – diplomatisch und in der Öffentlichkeit blasiert: Dann muss dieser Zusammenhang eigens öffentlich freigelegt und analysiert werden. Denn dann lässt der Freund die universal geltenden Menschenwürde de facto auch für sich selbst nicht gelten, er entzieht sich dann selbst – wie sein Freund, der Diktator – den universal geltenden moralischen Prinzipien. Wen interessiert das noch?

6.
Diese Haltung wird immer dann sichtbar, wenn diese Leute, also etwa diese „Freunde“, die Geltung moralischer Prinzipen für sich selbst abweisen und Moral im allgemeinen lächerlich machen, und so tun, als wäre Moral immer nur spießige Sexual – Moral. Und für sie gelte Moral nicht! Damit verabschieden sich diese Leute aus der humanen Menschengemeinschaft, die ohne universell geltende Normen nicht (über)leben kann. Dass diese Weltordnung heute zerbricht, liegt an der egoistischen Ignoranz derer, die universell geltende humane Moral für sich selbst ablehnen.

7.
Diese selbstverständlich (!) nur sehr allgemein formulierte (!) unerhörte Frage findet eine Antwort in einer Formulierung Kants über den von ihm entdeckten universal geltenden „Kategorischen Imperativ“: „Handle nur nach derjenigen Maxime (also deinem Grundsatz fürs Leben), durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Konkret übersetzt heißt diese gültige Erkenntnis Kants: Der Freund eines Diktators kann niemals – falls Vernunft beim Freund vorhanden ist – annehmen, dass Freundschaft mit einem Diktator von allen Menschen als Lebens- Maxime gelebt werden sollte.

Denn dann würde diese Welt in viele egoistisch fundierte Diktatoren – Freundschaften versinken und sich selbst zerstören. Auf diesem Weg als Abschied von der Demokratie sehen leider manche Beobachter diese heutige Entwicklung der Welt, besonders, wenn man an die immer noch unterstützenden Freundeskreise der hier nur selbstverständlich philosophisch – abstrakt genannten Freunde von Diktatoren etc. denkt.

8.

Es bedarf wohl keiner ausführlichen Erläuterung: Die ökonomischen Beziehungen demokratischer Staaten mit Regimen, die nicht die Menschenrechte respektieren, (Öl produzierende Staaten etwa), sind überhaupt keine Beziehungen von Freunden. Diese wirtschaftlichen Beziehungen sind keine Freundschaften, sondern einzig rechtlich gestaltete Handelsbeziehungen. Bei denen Demokraten trotzdem alles daran setzen sollten, dass Menschenrechte in den genannten Staaten, in vollem Umfang respektiert werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Gerechtigkeit ist auch Steuer – Gerechtigkeit.

Wie der demokratische Staat die Über – Reichen (“Superreichen”) zu einem moralisch wertvollen Leben führen könnte.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die neueste Statistik über arme Menschen in Deutschland: es sind 17,7 Millionen Menschen. LINK

1.
Wie viele hundertmal haben wir die Forderungen von Wirtschaftswissenschaftlern, Ethikern und Ökologen gehört und gelesen: Um das Chaos in der Entwicklung des Klimas grundlegend zu korrigieren und die verheere Ungleichheit der Einkommen sowie der Verteilung des Reichtums zu beenden: Da braucht die Menschheit heute eine gerechte Besteuerung des extremen Reichtums. Also konkret: der extrem Reichen, der „Über – Reichen“, wie man heute sagt („Super – Reiche“ wird heute zurecht abgewiesen, klingt zu harmlos).

2.
Und es werden immer wieder Statistiken aufgeboten, immer wieder neue, die den ständig miserabler werdenden Zustand beweisen. Statistiken schläfern zwar nicht ein, sie rufen aber wegen ihrer Abstraktheit und ihrer „Gesichtslosigkeit“ keine heftigen politischen Veränderungen und ethische Reaktionen hervor, die zum Aufstand gegen die immer noch vorhandene Ignoranz im „Klimawandel“ und gegen die soziale Ungleichheit führen.
Ein aktuelles Beispiel: In Deutschland (2024) leben 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen am Rande und unterhalb der Armutsgrenze. Die Milliardäre sind oft nur die etwas entfernt wohnenden, aber sich abschottenden Nachbarn dieser unterernährten, oft auch von der Bildung vernachlässigten Kinder und Jugendlichen in Deutschland sowie ihrer prekär lebenden Eltern. Von einem Aufstand der Armen und deren Sympathisanten ist leider nichts zu spüren, lediglich die Rechtsextremen verführen mit ihrer dummen antidemokratischen Hetze zur gefährlichen Verwirrung und Rebellion.

3.
Unter dem Titel “Tax the Rich“ (Oekom Verlag) ist jetzt ein neues, übersichtliches, gut nachvollziehbares Buch (nur 110 Seiten) erschienen. Wer immer noch nicht mit diesem Thema, das nicht weniger als die Zukunft der Menschheit berührt, vertraut ist, hat hier die Chance, einige Bildungslücken zu schließen. Die Autoren sind beste Fachleute: Till Kellerhoff, Spezialist für Staatswissenschaften und Internationale Beziehungen, sowie Jorgen Randers, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des „Club of Rome“. Das Vorwort verfasste die Aktivistin und Millionen – Erbin Marlene Englhorn: „Im Januar 2024 gab Engelhorn bekannt, dass sie aus dem von ihrer Großmutter geerbten Anteil 25 Millionen Euro der Allgemeinheit zur Verfügung stellen will.“ (Wikipedia über Marlene Englhorn, gelesen am 29.3.2024).
Marlene Englhorn betont in dem genannten Buch: „Wer (durch das Ausbleiben von Reichensteuer) privilegiert wird, stellt die eigene Comfort – Zone über die Rechte der vielen – und das widerspricht dem demokratischen Prinzip grundlegend“ (S. 10). Die Vermögenden wollen nicht mit der Gesellschaft teilen, „mit eben jener Gesellschaft (der vielen) ohne die es dieses Vermögen nicht geben würde“ (ebd.).

4.
„Eine Vermögenssteuer in Höhe von 1,7 bis 3,5 Prozent für die reichsten 0,5 Prozent der EU Bürger würde jährlich 213,3 Milliarden Euro einbringen. Das Geld stünde den Mitgliedsstaaten für Investitionen in die Energiewende, die Bildung, das Gesundheitswesen, nachhaltige Mobilität oder Beschäftigungsprogramme zur Verfügung“ (Seite 62). Weitere Fakten, allseits bekannt, aber politisch bislang offiziell ignoriert und deswegen wirkungslos: „Die 26 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung“ (S. 20).
„Von den acht Milliarden Menschen auf der Erde sind 800 Millionen, das sind die oberen zehn Prozent der Reichen, für fast die Hälfte der Treibhausgas – Emisssionen verantwortlich“… „Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung verursacht gerade einmal zwölf Prozent dieser Emissionen.“ (ebd). „Soll die Allgemeinheit weiterhin die „reichsten zehn Prozent – Menschen“ mit Steuererleichterungen beglücken, obwohl diese für 50 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sind ?“ (S. 15)

5.
Man möchte wünschen, dass dieses Buch TAX THE RICH sehr weite Verbreitung findet, zumal bei denen, die bisher das Thema ignorierten und einen „Einstieg“ brauchen. Dann können sie lesen oder in Gruppen diskutieren: etwa die Kapitel des Buches „Warum kann der freie Markt unsere Probleme nicht lösen“ , oder „Wer muss zahlen?“, oder „Jenseits der Steuern“…Klar ist: Die abgrundtiefe Kluft im Wohlstand zwischen der arbeitenden Bevölkerung hier und den wenigen Superreichen wird der so genannte freie Markt nicht korrigieren“ (S. 36). Aber die Allmacht des so genanten freien Marktes ist noch immens, obwohl „wir schnellstmöglich den Weg in eine Zukunft finden müssen, die mit der Vergangenheit (des freien Marktes) nicht mehr viel gemein hat“ (S. 100).

6.
„Die Herausforderung ist gigantisch und die mangelnden Fortschritte in den letzten Jahren geben wenig Anlass zu Optimismus“ (S. 105).

7.
„Manchmal ist es schwer, angesichts der überwältigenden Herausforderung, vor der wir stehen im Blick auf die Steuer für die Superreichen, nicht zu verzweifeln.“ (S. 106).
Und die Autoren wollen etwas Hoffnung machen mit dieser Erkenntnis: „Allen diesen Krisen liegen politische Entscheidungen zugrunde. Wir leben in einem von Menschen geschaffenen System.Und Menschen können es verändern“. So sagen die Autoren, durchaus korrekt, aber zwiespältig: Aber warum ist denn eine wirkliche tiefe Reform in den vergangenen Jahren nicht gelungen? Sind die Politiker offenbar doch sehr stark von Lobby- Gruppen der Superreichen abhängig? Das wäre doch spannend, im einzelnen nachzuweisen! Die Autoren hätten mehr Namen und Organisationen, Lobbygruppen und versteckte Anti – Demokraten nennen müssen!

8.
Es hätte dem Buch auch gut getan, wenigstens einige Seiten den Fragen zu widmen:
Haben die Super – Reichen noch ein ethische Bewusstsein? Wie geht man mit solchen Menschen um? Hilft da noch Coaching?
Denken diese Leute vielleicht: Es gibt wertvolle und weniger wertvolle Menschen (zweiter Klasse?).Wo gibt es überall Rassismus?
Was ist von dem Titel „Eigentum ist Diebstahl“ (Proudhon) heute zu halten?
Wie sieht das internationale Netzwerk der Superreichen mit den Reichen (Herrschern) etwa in Afrika aus?
Gibt es überhaupt internationale Organisationen, die für die Milliarden Armer wirksam politisch eintreten? Wie marginal sind die humanen und menschenfreundlichen NGOs?
Noch was anderes: In welcher Weise profitieren die Superreichen von den durch Steuern finanzierten erstklassigen, aber immer noch Ultra teuren Kulturangeboten, etwa in den Opernhäuser Europas: Welcher Bürger (Mittelstand, von Armen sprechen wir lieber erst gar nicht) kann sich eine Opernkarte für 150 Euro leisten oder etwa in Hamburger Elb-Philharmonie oder in der Pariser Oper für mindestens 400 Euro? Es sind die Bürger, die auch den kulturellen Luxus der Superreichen mit finanzieren. Und Stadtteil Bibliotheken müssen schließen und öffentliche Schulen vergammeln in ihrer Bausubstanz. Die Reichen haben ja noch ihre gediegenen Privatschulen, ohne arme und ausländische SchülerInnen versteht sich.

9.
Es wäre weiter ausführlich zu berichten, dass es einige Millionäre und Milliardäre gibt, die den Zustand ihrer Privilegierung im Steuersystem selbst kritisieren und sich mehr Gerechtigkeit wünschen. „Bitte behandelt uns gerecht“, rufen sie den Finanzministern zu. Herr Lindner (FDP) hört das natürlich nicht. Es sind tatsächlich 300 MillionärInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen und PolitikerInnen, die einen offenen Brief an die G20 geschrieben haben: „Wir wollen endlich eine Vermögensbesteuerung“, heißt es darin (S. 27).
Den Schrei der Reichen nach Gerechtigkeit sollte man doch hören, in dieser Welt der tonangebenden Reichen. Wenn man schon nicht den Schrei der Armen, das sind die Arm-Gemachten und Ausgegrenzten und Hungernden hört in dieser Welt. Dann wenigstens den Schrei der Millionäre…

„TAX THE RICH. Warum die Reichen zahlen müssen, wenn wir die Welt retten wollen.“ Von Jorgen Randers und Till Kellerhoff. OEKOM Verlag, 110 Seiten, 14€.

Lesenswert: Proudhon: „Eigentum ist Diebstahl“: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Freundschaft oder Brüderlichkeit? Wie den Universalismus durchsetzen? Eine Frage an Omri Boehm.

Anläßlich der Verleihung des „Buchpreises für europäische Verständigung“ in Leipzig, März 2024.

Ein Hinweis von Christian Modehn. (Warum diese Frage alles andere als eine „bloß akademische“ ist, siehe Nr. 13 dieses Hinweises.)

1.
Der Philosoph Omri Boehm verteidigt entschieden das philosophische, ethische und rechtliche Prinzip des Universalismus, das zeigt er in seinem Buch mit dem Titel „Radikaler Universalismus“ (2022): Dieses Prinzip lehnt die Vormacht der Identitätspolitik ab, es will Raum schaffen für eine gerechte Welt in der alle Menschen tatsächlich die viel zitierte, aber nicht realisierte Gleichheit aller Menschen erleben. Der Universalismus legt allen Wert darauf, den Menschen, jeden Menschen, als moralisches Wesen der Freiheit und Vernunft zu definieren und nicht bloß den Menschen als ein Lebewesen (Tier) unter anderen!
Der Mensch ist, der Erkenntnis von Immanuel Kant folgend, verpflichtet: Dem im Innern der Vernunft vernommenen Aufruf der Pflicht, moralisch zu handeln, praktisch zu entsprechen. Die Menschen sind als „Subjekte von absoluter Würde“ („Radikaler Universalismus“, S. 17). Omri Boehm betont also, es gelte „dieser Idee (d.i. absolute Würde eines jeden Menschen) zu folgen, dies sei sogar “ein Gesetz, das nicht von Menschen gemacht ist“ (ebd). Diese Wahrheit gelte „unabhängig von menschlichen Konventionen“ (ebd.).

2.
Und das ist besonders bemerkenswert an Boehms Rede in Leipzig: Um den Universalismus durchzusetzen, drängt Boehm darauf, die Freundschaft mit dem anderen Menschen und den anderen Menschen, zu pflegen und politisch zu gestalten: Durch Freundschaft also, vor allem durch die Freundschaft zwischen Israelis und Palästinensern, soll dem moralischen Universalismus praktisch entsprochen werden. Freundschaft also der Weg zur Stiftung von Frieden, zur Beendigung von Kriegen?

3.
Das ist ein neuer Gedanke, der da in Leipzig vorgetragen wurde. Man könnte zugespitzt sagen: Freundschaft contra Brüderlichkeit?
Darum muss zunächst noch etwas ausführlicher das „Wesen“ der Brüderlichkeit erläutert werden. Denn der Universalismus als die Einsicht in die wesentliche, auch rechtlich garantierte und sozial gelebte Gleichheit aller Menschen lebt von der Leitidee, Brüderlichkeit zur praktischen, auch politischen Geltung zu bringen. Dabei ist es ohne Frage so: Brüderlichkeit als Prinzip des Zusammenlebens hat trotz aller theoretischen Lobeshymnen faktisch in der Geschichte keine dauerhaft prägende Rolle gespielt. Oft war und ist die Barbarei stärker als die Brüderlichkeit. Daran erinnert sehr deutlich der Historiker Friedrich Heer in seinem Aufsatz „Im Namen der Brüderlichkeit“ in dem empfehlenswerten Sammelband „Brüderlichkeit. Die vergessene Parole“ , Gütersloh, 1979, S. 19 ff).

4.
Es geht hier in der philosophischen Reflexion zum Thema nicht primär um die Auseinandersetzung mit historischen Fakten. Es geht um ein Verständnis dessen, was „Brüderlichkeit“ (und dann auch „Freundschaft“) sozusagen „wesentlich“ meint. Die Möglichkeit, einfach „nur so“ und ganz allgemein für „den“ Menschen oder „die Menschheit“ einzutreten als Form, den Universalismus zu realisieren, ist viel zu unbestimmt: Unter einem Prinzip „Menschlichkeit“ bzw. „Humanismus“ können viele, sich widersprechende Inhalte versteckt sein. Zudem: Nicht nur einige Philosophen halten explizit den Menschen für ein Tier unter anderen Tieren, da wird der Mensch ausschließlich als Naturwesen definiert, und das ist falsch.
Hier aber geht es eben um ein anspruchsvolleres „Definieren“ dessen, was Menschen und Menschsein bestimmt. Brüderlichkeit und Freundschaft sind solche Bestimmungen, über deren unterschiedliche Bedeutung zu debattieren ist.

5.
Man denke daran, dass die drei zentralen Prinzipien der immer wieder umstritteneren Neugestaltung Frankreichs seit der Revolution von 1789 heißen: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Manche sprachen sogar von einer neuen, humanen „Trinität“. Die „Fraternité“ ist eine moralische Verpflichtung, während die beiden anderen Begriffe Freiheit und Gleichheit, Rechte des Bürgers beschreiben. „Die Fraternité ist das Ziel einer Bildung der Bürger für die weitere Zukunft und keinesfalls eine unmittelbare Forderung“, schreibt Mona Ozouf (im „Dictionnaire critique de la Révolution Francaise”, Paris 1988, S. 731-732, Übersetzung CM). Erst 1848 (!) wurde in der Konstitution Frankreichs von den bekannten drei Begriffen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ gesprochen. In der „Déclaration des droits et des devoirs du citoyen“ (Jahr III, d.i. das Jahr 1795), eher nebenbei, wird fraternité so definiert: „ Tut dem anderen Menschen nicht das an, von dem ihr selbst nicht wollt, dass es euch geschieht. Tut beständig den anderen Menschen das Gute, das ihr selbst von ihm empfangen wollt“ (Übersetzung von C.M. Das Zitat: „Histoire et Dictionnaire de la Révolution Francaise“, Paris 1987, Seite 832.)
Das heißt: Die Brüderlichkeit bzw. das brüderliche Verhalten wird hier, 1795, definiert in einer Form der uralten, man möchte sagen universalen „goldenen Regel“, die, so sagen Kant – Forscher, einen präziseren Ausdruck in Kants Formulierungen des „Kategorischen Imperativs“ fand.
Nebenbei: Beim Stoa – Philosophen Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.) finden wir eine Erkenntnis der Universalität: „Ich habe klar erkannt, dass der Mensch, der gegen mich fehlt, in Wirklichkeit mir verwandt ist, nicht weil wir von demselben Blut, derselben Abkunft wären, sondern wir haben gleichen Anteil an der Vernunft, der göttlichen Bestimmung.“ (Seite 22 in Reclam, „Marc Aurel, Selbstbetrachtungen 2001). Und auch: „Jedes vernünftige Wesen ist mit mir verwandt“, (ebd. S. 34, 3. Buch)

6.
Zurück zu Omri Boehm: Er lehnt es in seiner Leipziger Rede 2024 ab, die Brüderlichkeit als bestimmende und entscheidende Lebensform des Universalismus gelten zu lassen. Boehm spricht sogar von einem „katastrophalen Versagen der Brüderlichkeit“, sieht das Eintreten für die Brüderlichkeit als „Brüderlichkeit der Privilegierten“, Brüderlichkeit also als Ideologie im westlichen Kapitalismus. Er sieht die „Fraternité“ als eine bloße Form der Solidarität, die oft nicht über das Proklamieren von Parolen hinausgeht. Boehm behauptet „diese Solidarität bilde sich unter verfolgten Gruppen durch die Verbundenheit mit der eigenen Identität heraus“: Brüderlichkeit gehöre also in die Welt der von Boehm abgelehnten Verkapselung in Identitäten. Aber ist dies das Wesen der Brüderlichkeit? Ist diese Fixierung auf familiäre oder andere identitäre Vorlieben das Wesen von Brüderlichkeit?

7.
Boehm plädiert in seiner Leipziger Rede, wie schon in Nr 2. kurz erwähnt, also explizit für die Freundschaft als einer Lebensform, die das richtige Prinzip des Universalismus durchsetzen kann. Unter Freunden kann eine Wahrheitsaussage des einen, die der Erkenntnis des Freundes widerspricht, gerade nicht „persönliches Leid darstellen“, so Boehm in Leipzig in seiner Deutung der Freundschaftslehre des Aristoteles. Er bemüht auch Kant, der von einer „Pflicht zur Freundschaft“ spricht (in seiner „Metaphysik der Sitten“, § 46). Das hätte überhaupt erläutert werden müssen, genauso wie der von Boehm zitierte Ausruf des Juden „Nathan des Weisen“ gegenüber dem christlichen Tempelherren :„Wir müssen, müssen Freunde sein“ (die Quelle ist: Zweiter Aufzug, fünfter Auftritt in dem Theaterstück „Nathan der Weise“ von Lessing). Die bei Boehm nicht geleistete Interpretation wäre: Wenn man gezwungen wird, bestimmte Menschen als Freunde zu haben, dann wird das Wesen der Freundschaft als freier Tat ausgelöscht. Das kann wohl Lessing nicht gemeint haben! Das Zitat ist eine dem erregten Redefluss Nathans folgende zugespitzte Aussage für: “Lass uns doch endlich, endlich Freunde sein…“

8.
Es sollte also weiter diskutiert werden: Ist Freundschaft als Form der Beziehung zwischen Menschen nicht sehr oft eine zufällig entstandene Beziehung zweier Menschen oder von Menschen in einer Gruppe? Freundschaft lebt auf Dauer von Freiheit, von Sympathie, von einem Vertrauen, einer Nähe, die eigentlich sozusagen immer „gesetzlos“ ist: Und dies im Unterschied zur Liebe, die oft ihren Ausdruck findet in der strukturierten gesetzlich gefassten und mit Verpflichtungen verbundenen Ehe. Darum heißt es auch immer zurecht von Psychologen, Freundschaft zu leben sei viel schwieriger zu gestalten und auf Dauer zu leben als Liebe in der Form einer Ehe. Freundschaft, eine zeitlich begrenzte Beziehung, kann oft spontan aber auch mit gutem Grund auch einseitig wieder aufgekündigt werden, ohne rechtliche Komplikationen.

9.
Es ist für uns erstaunlich, dass Boehm die Brüderlichkeit als die – prinzipiell – angemessene Lebensform des Universalismus so kritisch sieht. Der inhaltliche Hintergrund der Brüderlichkeit ist: Die Menschen sind alle gleichberechtigte Brüder und Schwestern, gerade weil sie als „Geschöpfe“ gemeinsam als Brüder und Schwestern in gewisser Hinsicht „Kinder“, im Bild gesprochen, also alle gemeinsam „Kinder“ eines gemeinsamen „Vaters“ und einer gemeinsamen „Mutter“ zu verstehen sind . Diese Formulierungen sind Symbole für das Geschaffensein aller Menschen. Mit anderen Worten: Die Lehre von der Brüderlichkeit hat eine berechtigte, nicht abweisbare Tiefe in der Erkenntnis eines allen, aber auch allen, Menschen gemeinsamen „Vaters“ (und natürlich einer gemeinsamen „Mutter”). Diese Erkenntnis wird religiös in der christlichen Tradition ausgesprochen mit dem Bild der „Gottes – Kindschaft aller Menschen“. Diese Erkenntnis ist nicht eine Formel einer religiösen Ideologie oder gar einer mystischen Verzückung. Sie hat bekanntlich Ausdruck gefunden in rechtlichen Bestimmungen, die von der im Bild der „Gottes – Kindschaft“ gemeinten wesentlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht. In der Unabhängigkeitserklärung in den USA von 1776 heißt es bezeichnenderweise: „All men are EQUAL CREATED“, also geschaffen, man ergänze: von dem gemeinsamen Vater und der gemeinsamen Mutter….

10.
Zur Unterstützung unserer These soll darauf hingewiesen werden: Omri Boehm spricht in seinem Buch „Radikaler Universalismus“ selbst davon, es gelte bei diesem Thema „einer Idee, einem Gesetz zu folgen, das NICHT von Menschen gemacht ist“ (S. 17), also dann doch wohl von einem „göttlichen, transzendenten Schöpfer“ stammt, möchten wir die universale Brüderlichkeit, geschaffen von einem gemeinsamen „göttlichen Vater“ sehr ernst nehmen und der Freundschaft vorziehen. Das heißt, noch einmal: Die universale Brüderlichkeit als Gleichwertigkeit aller Menschen als Geschöpfe, die ja kein einzelner Mensch als Geschaffener aufkündigen kann, sollte der immer dem Zufall überlassenen und Freundschaft vorgezogen werden. Freundschaft kann man aufkündigen, Brüderlichkeit im Sinne der gemeinsamen Herkunft des Geschaffenseins NICHT. Universale Brüderlichkeit wird oft ignoriert, zerstören kann man sie nicht.

11.
Nebenbei: Zwei Beispiele aus der politischen Geschichte: Ein wichtiger, seit Jahren währender Versuch in Deutschland (!), Juden und Christen miteinander ins Gespräch zu bringen, hat den Titel „Woche der Brüderlichkeit“. Dass es jetzt in Deutschland wieder etwa 100 (!) Synagogen gibt, ist sicher auch eine Konsequenz dieser „Wochen der Brüderlichkeit“. Also der bleibenden Gemeinsamkeit von Juden und Christen ALS MENSCHEN.
Und noch ein Beispiel: In der DDR gab es seit 1947 einen Verein, der „Deutsch-Sowjetische FREUNDSCHAFT“ hieß. Da traten Leute in diesen Freundschaftsclub ein, die wahrlich nichts oder wenig mit Freundschaft etwa mit Stalin zu tun haben wollten. Diese Leute wollten nur nicht als Oppositionelle auffallen und traten deswegen diesem politisch eher harmlosen Freundschaftsclub der Massen bei. Die „Deutsch – Sowjetische Freundschaft“ hatte 3,5 Millionen Mitglieder im Jahr 1970, 6,4 Millionen Mitglieder waren es im Jahr 1988.

12.
Die gewisse Scheu Omri Boehms, die Brüderlichkeit offenbar prinzipiell nicht als die entscheidende Lebensform des Universalismus gelten zu lassen, rührt vielleicht auch aus einer gewissen Bindung an die Weisungen der hebräischen Bibel. „In der hebräischen Bibel kommt der Terminus Brüderlichkeit nur einmal vor, und wie alle Abstraktbildungen, erst in einem späten Text, im Kapitel XI des Propheten Zacharias“, schreibt Ernst Simon in dem Sammelband „Die vergessene Parole“, dort S. 29. Und der jüdische Wissenschaftler Ernst Simon beschließt seinen Beitrag mit dem Unter-Titel „Überlegungen aus dem Judentum“: “Wenn wir ernstlich vom jüdischen Boden aus zur Brüderlichkeit vorstoßen wollen, so müssen wir ausgehen von der Ebenbildlichkeit Adams mit Gott, eines Adams, des ersten Menschen, nicht des ersten Juden“ (S. 38).
Der Historiker Friedrich Heer vertieft diese Einsicht und betont in dem genannten Buch „Brüderlichkeit. Die vergessene Parole“: „ In Alt-Israel ist für den Bruder wenig Platz, da alle seelischen und geistigen Energien auf das Beziehungssystem: Gott, der Herr, und Israel, seine `Braut` zentriert sind“ (S. 21).

13.
Warum dieser etwas ausführliche Hinweis auf die Rede Omri Boehms in Leipzig?
Es geht uns darum, die Brüderlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen gegenüber der offensichtlichen Vorliebe Boehms für die Freundschaft als einem Weg, als einer Möglichkeit, den Universalismus zu gestalten. Universalismus, wie gesagt, verstanden auch als rechtlich garantierte Gleichheit aller Menschen, als Form eines Zusammenlebens der Menschen, die sich NICHT in Identitäten abkapseln und NICHT egoistische eigene Gruppen-, eigene Nationen-, eigene Religions- Interessen vorrangig durchsetzen … ohne Rücksicht auf die Gleichberechtigung und Gleichheit der anderen Menschen.

14.
Diesem Ziel kommen Menschen näher, wenn sie sich der universalen Brüderlichkeit aller Menschen moralisch verpflichtet wissen und entsprechend auch Politik gestalten. Brüderlichkeit hat von sich aus, wie wir gezeigt haben, selbst einen universalen Ursprung in der geistigen Herkunft aller Menschen von einem transzendenten, aber gültigen Symbol, das man Gott, die schöpferische Kraft, nennt. Die Brüderlichkeit mit dieser Herkunft und Weite hat erst in zweiter Linie etwas mit einer enger (und populär) verstandenen Brüderlichkeit zu tun, etwa in familiären Beziehungen oder in „brüderlichen“ Gemeinschaften (etwa Ordensgemeinschaften). Auch diese leben letztlich von der alle Menschen bestimmenden Einsicht, geschaffene Wesen, „Kinder“, religiös formuliert, „Gottes Kinder“ zu sein. Wenn es in diesen „Bruder-Gemeinschaften“ zu Konflikten kommt, berufen sie sich auf die universale Brüderlichkeit und ihre Gesetze, nicht aber auf variabel und kurzfristig geltende Regeln der Freundschaft…

15.
Freundschaft ist also selbstverständlich gut und (auch politisch) wichtig, aber nur auf der Basis und im Horizont der viel umfassenderen Brüderlichkeit aller Menschen.
Ich weiß, man sollte treffender von „Geschwisterlichkeit“ sprechen, wie dies viele feministisch inspirierte Theologinnen und PhilosophInnen zurecht praktizieren… Und diese Geschwisterlichkeit ist immer gemeint, wenn wir hier den klassischen Begriff Brüderlichkeit verwenden.

16.

Über Omri Boehms Buch “Radikaler Universalismus”:  LINK.

Über das Buch von Omri Boehm und Daniel Kehlmann über Kant:  LINK.

Über die Erkenntnis des Philosophen Pierre – Joseph Proudhon: Gerechtigkeit ist der neue Gott, ein Gedanke, der auch Omri Boehm wichtig ist:  LINK:

Darf ich als “demokratisch orientierter” Mensch auf Dauer eine Freundschaft mit einem Diktator und Kriegstreiber pflegen und hegen? LINK.

17.

Ein Hinweis von Hannah Arendt: Ihr wurde wurde, etwa von Gershom Scholem, vorgeworfen, es mangle ihr an Liebe und Freundschaft zu Israel und “den Juden”. Hannah Arendt sagte: “Freundschaft und Liebe gehören der PRIVATEN,  nicht der politischen Sphäre an” . (Micha Brumlik, “Nationaljüdische Ambivalenz” in: “Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert”, Piper Verlag, 2020, S. 23).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Spiritualität von Alexei Nawalny

Ein Hinweis auf ein bisher wenig beachtetes Thema

Von Christian Modehn am 22.2.2024.

1.
Eine explizite, öffentliche kritische Haltung inmitten einer Diktatur zu bewahren, ist zuerst Ausdruck einer politischen, Menschenrechten verpflichteten Überzeugung. Der Kampf gegen die Korruption im Putin – Reich war der Mittelpunkt seines Handelns: Alexei Nawalny wurde als der bekannteste und beliebteste Oppositionelle in Russland im Straflager „Polarwolf“ in Charp, im Polarkreis, von der Putin – Diktatur umgebracht, am 15. bzw. am 16. Februar 2024.

Diese politische Haltung Nawalnys, sein radikaler Widerstand gegen die totale Korruption, seine Verteidigung der universellen Menschenrechte: Diese Lebenshaltung ist natürlich schon eine Form von Spiritualität, also, wie der Name sagt, einer “geistigen und geistvollen Orientierung”. Aber Nawalny dachte noch darüber hinaus:

2.
Alexei Nawalny war auch bestimmt von einer spirituellen,  durchaus religiösen, christlichen Überzeugung: Er hat am Widerstand gegen die Diktatur Putin unter widrigsten Umständen festgehalten, er ist freiwillig, nach seinem Klinikaufenthalt in Berlin, im Januar 2021 nach Russland zurückgekehrt: Ein Leben in Freiheit stellte er sich dort wohl nicht vor. Der Russland – Kenner Thomas Roth (WDR) gab in der Sendung „Maischberger“ am 20.2.2024 einen entscheidenden Hinweis: „Nawalny wusste, dass er ein Martyrium auf sich nimmt.“ Diese Überzeugung, dass auch der eigene, freiwillig angenommene Tod für die Menschenrechte sinnvoll und wirksam ist und so die Opposition gegen das Putin – System am Überleben halten kann, daran glaubte Nawalny bis zuletzt. „Meine Nachricht, wenn ich ermordet werde, ist sehr einfach: Gebt nicht auf. Wenn sie entschieden haben, mich umzubringen, bedeutet das, dass wir unglaublich stark sind,” so Nawalny in einem Dokumentarfilm.Quelle: LINK.

3.
Der Titel „Märtyrer“ gehört in die Geschichte der christlichen Spiritualität: Viele Christen der frühen Kirche wurden Märtyrer aus Opposition zum römischen Kaiser – Kult, sie wussten und sagten öffentlich: Unser freiwillig angenommener Tod wird „Frucht bringen“…
Es ist wichtig, wenn die Oppositionelle Irina Scherbakowa in der genannten Sendung „Maischberger“ sagte: „Die Menschen waren überzeugt, Nawalny kann nicht sterben“. Nun wurde er ermordet, aber er ist im Denken vieler Oppositioneller eben nicht tot, tot ist ein Mensch nur, wenn er vergessen wird.
Nebenbei: Theologen sind an der Stelle vielleicht dazu geneigt, an Jesus von Nazareth zu denken: Seine Freunde wussten nach seiner Hinrichtung und dem Tod am Kreuz: Dieser Jesus kann nicht sterben. Er war so umfassend menschlich, für ihn gibt es kein definitives Ende.

4.
Man soll sich hüten, Alexei Nawalny zu einem christlichen Märtyrer zu machen, förmlich die Grenzen der „Heiligsprechung“ zu überschreiten. Aber man sollte auch wahrnehmen, welche spirituellen, welche elementaren christlichen Überzeugungen sein Leben, sein Einsatz, seine Hingabe, bestimmte. Dieser spirituelle Hintergrund wird bisher eher am Rande erwähnt, was die deutschsprachige Presse betrifft. Man denke etwa daran, dass Nawalny vor dem Moskauer Berufungsgericht im Februar 2021, wie der SPIEGEL berichtet, sagte: „Ich bin ein gläubiger Mensch, auch wenn das nicht immer so gewesen sei und manche meiner Mitstreiter darüber spotten. Aber der Glaube hilft mir in meiner Tätigkeit, weil alles viel, viel einfacher wird«. Und Nawalny sagte auch, theologisch ziemlich gewagt: “Jesus Christus ist der größte Politiker…Er hat alles verändert”.   LINK

Und Nawalny zitierte dort auch das Neue Testament, die Bergpredigt Jesu von Nazareth: «Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.» Und Nawalny kommentierte: „Dieses Gebot habe ich immer als Handlungsanweisung verstanden. Es macht mir keinen Spaß hier zu sein, aber ich bedaure auch keinesfalls meine Rückkehr und das was ich gerade tue. Ich fühle sogar so etwas wie Genugtuung, weil ich in einer schwierigen Zeit getan habe, was in der Anweisung (Jesu) steht. Ich habe das Gebot nicht verraten“.

5.
Falls das mörderische Putin – System die Leiche Nawalny noch einmal freigibt, und damit auch zur Bestattung, wird man sehen: Patriarch Kyrill von Moskau oder einer seiner getreuen Putin – Popen wird eine christliche oder spirituelle Bestattung Nawalnys bestimmt nicht leiten. Alexei Nawalny war sicher kein offizielles Mitglied dieser Putin -hörigen Kirche. Aber selbstverständlich ist die praktische Akzeptanz einiger Weisheitslehren Jesu von Nazareth überhaupt nicht an eine Mitgliedschaft in einer Kirche gebunden.

Eine Ergänzung: Tatsächlich konnte eine Art russisch – orthodoxer Trauer – Gottesdienst in einer russisch – orthodoxen Kirche am Rande von Moskau am Freitag, 1.3., für Alexej Nawalny stattfinden. Diese besondere Liturgie dauerte nur einige Minuten. Aber immerhin hatten sich russisch – orthodoxe Priester bereit gefunden, diesen sehr viel beachteten Gottesdienst zu gestalten. Ein kleiner Beweis für eine schwache Opposition des Klerus gegen den Chefideologen Putins, den Patriarchen Kyrill I.? Sicher nicht: “Die Kleriker hätten keine wertschätzenden Worte gesprochen oder einen würdigen Abschied bereitet, der Nawalnys Bedeutung angemessen wäre. Am beeindruckendsten seien die Gläubigen gewesen, die auf der Straße in der Warteschlange die liturgischen Gesänge angestimmt hätten, nachdem der Kirchenchor im Gottesdienst nicht habe singen dürfen.” (Quelle: Die Theologin und Expertin für die Orthodoxie, Prog.Regina Elsner, KNA).

Der Trauergottesdienst fand in der Kirche mit dem bezeichnenden Namen statt: “Kirche zu Ehren der Gottesmutterikone Lindere meine Trauer”.

Jetzt aber berichtet die “Tagesschau” am 22.2. 2024: Etwa 800 orthodoxe Priester und Laien in Russland haben gefordert, den Leichnam Nawalnys freizugeben und sie sprechen sogar davon, ihn nach orthodoxem Brauch/Ritus zu bestatten. Dazu wird es wohl, als einem “politischen Ereignis” nicht kommen … aber dass nun eine schwache Opposition im Klerus gegen Putrin aufbricht, ist doch ein sehr ermunterndes Zeichen. LINK.

6.
Julija Nawalnają, Alexeis Frau, führt den Kampf ihres Mannes weiter. „Sie will stellvertretend jenen Funke Hoffnung repräsentieren, den Nawalny bis zuletzt verkörpert hat, wenn er sagte, alles sei besser, als untätig zu sein“ (Quelle: Elisabeth von Thadden, „Die ZEIT“, 22.2.2024, Seite 50).

Buchhinweis: Alexei Nawalny – Schweigt nicht!: Reden vor Gericht. Gebundene Ausgabe. 2021, Droemer Knaur Verlag.

Copyright: Christian Modehn, www.religionspühilosophischer-salon.de

Der Papst verbietet demokratische Strukturen in der Kirche von Deutschland

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.2.2024.

Ein Vorwort:
Niemand mache sich heute Hoffnung auf eine grundlegende Reform der katholischen Kirche (in Deutschland). Das Thema „katholische Kirchenreform“ ist ja nicht nur für die stets kleiner werdenden katholischen Kreise interessant. Der vatikanische und bischöfliche Umgang mit dem Thema „Synodale Strukturen als Ausdruck der Gleichberechtigung der Laien in der katholischen Kirche“ muss kulturell gedeutet werden als ein Zeichen zentralistischer Allmacht! Aber die passt so gar nicht in die große und wahre, aber heute allseits bedrohte Tradition von Demokratie und Aufklärung und Menschenrechte. Die katholische Kirche in ihrer Organisation und Lehre fällt förmlich aus der Zeit, aus der Gegenwart. Sie lebt förmlich nur noch weiter als eine Organisation, die sich de facto selbst überlebt hat, wie der Philosoph G.W.F. Hegel treffend schon um 1820 erkannte. LINK.

1.
Der Vatikan hat erneut den wichtigen katholischen Reformprozess in Deutschland, „Synodaler Weg“ genannt, mit einem Machtwort ins Stolpern, wenn nicht zum Stoppen gebracht, also in den Sterbeprozess geführt: Roms Machtwort: Die Bischöfe in Deutschland dürfen nicht den Rat der Gläubigen in einem gemeinem „Ausschuss“ einholen. Mit anderen Worten: Die Herrschaft bleibt einzig beim Klerus. Der Synodale Weg könnte, genau besehen, eigentlich gestoppt werden. Denn: Rom hat – wie immer das letzte Wort. Das wollen viele nur nicht wahrhaben. Zum Brief aus ROM: LINK.

Und das sagen Mitglieder des “Synodalen Ausschusses” über diesen Brief des Papstes! LINK.

2.
Die deutschen Bischöfe haben nach dem Brief aus Rom das zentrale Thema „Synodaler Ausschuss“ gleich von der Themenliste ihrer aktuellen Beratungen in Augsburg (19.2. bis 22.2. 2024) gestrichen. Der Klerus in Deutschland, die Bischöfe, sind also selbst nur gehorsame Schäfchen, ausführende Beamte der Spitze der Hierarchie im Vatikan. Dort und anderswo geistert das Gespenst der Spaltung der römisch-katholischen Kirche durch die Köpfe: Dabei wissen viele: Diese Spaltung gibt es de facto längst: Welcher Priester hält sich wirklich noch an das Zölibatsgesetz? Wie geht ein Bischof etwa in Uganda oder Kenia mit katholischen Homosexuellen um und ein Bischof, nun ja, in Deutschland? Gibt es da Gemeinsamkeiten? Und so weiter.

3.
Über diese, nennen wir sie offen, feudalistischen Zustände in der römischen Kirche heute weiter zu debattieren, ist eigentlich vertane Zeit.

4.
Trotzdem:
Es sollen die Katholiken nur noch einmal an tausendmal schon Genanntes und eigentlich Bekanntes erinnert werden: Denn klipp und klar ist dies offizielle Ideologie: Nur die Bischöfe, also der Klerus, sind laut offizieller und unumstößlicher katholischer Dogmatik befugt, „mit heiliger Gewalt in der Person Christi zu handeln“, so bitte nachzulesen im offiziellen universell geltenden „Katechismus der katholischen Kirche“, § 875 ff. (München 1993). Das heißt: Gott selbst will, dass der Klerus allein in allen Glaubensfragen herrscht und bestimmt. Und wenn Laien kooperativ jetzt im „Synodalen Weg“ auf die eigentlich richtige Idee kommen, mitzuwirken in der inhaltlichen Gestaltung des Glaubens: Dann ist es im Sinne der offiziellen Ideologie eine unerträgliche Anmaßung: Denn: „Niemand kann sich selbst den Auftrag und die Sendung geben, das Evangelium zu verkünden“ (§ 875, Seite 259). Nur weil der liebe Gott höchstpersönlich allein dem Klerus den Auftrag und die Sendung erteilt hat, dürfen nur die Herren des Klerus das Evangelium verkünden und deuten.

5.
Auch das weiß allmählich fast jede und jeder: Die katholische Kirche kennt für die Gestaltung ihrer Lehre und ihrer Struktur absolut und definitiv keine demokratischen Grundsätze an – schon gar nicht in der inhaltlichen Gestaltung des Glaubens und seiner Lehren. Da können sich die Laien meinetwegen Kopf stellen: Forderungen nach Gleichberechtigung und demokratischer Mitbestimmung der Laien in entscheidenden Lebens/Glaubensfragen sind ausgeschlossen, denn die Herren der Kirche, der Klerus, der männliche, haben sich diese Theologie zurecht gelegt: „Christus selbst hat ihnen dieses Amt übertragen…zu leiten“ (Katechismus, § 873).
Die Kleriker, allen voran der Papst, können also eigentlich machen, was sie wollen. Und Deutschlands katholische Kirche ist dem Herrn des Vatikan-Staates, dem Wahlmonarchen Papst Franziskus, ziemlich schnuppe. Sonst hätte er ja mal was machen können in der „Causa“ Woelki“ zum Beispiel. Ihm ist die Mongolei ein viertägige Reise wert, aber nichts gegen die Mongolen! Manche meinen nur, Köln oder München wäre neben Ulan Bator oder Bangui auch mal ein Reisziel, „Pilgerfahrt“ genannt…. Den Papst wird einzig noch das Geld interessieren, das etwa als deutscher Peterspfennig in die heilige Stadt fließt… Für Papst Franziskus ist der Katholizismus in Deutschland jedenfalls faktisch von ihm selbst bewiesen eine „quantité négligeable“… Das sagen übereinstimmend kritische Beobachter und kritischen Theologen. Mir persönlich ist es schnuppe, ob Franziskus nach Deutschland sich aufmacht…

6.
Es gibt also heute für Reformkatholiken in dieser zerrissenen, kriegerischen Welt sehr sehr viel Dringenderes, als gegen die in jeder Hinsicht undurchdringlichen Mauern des Vatikans, des Papsttums etc. anzurennen.

7.
Martin Luther hatte Mut, den eigenen Weg zu gehen und mit ihm damals sehr viele empörte Katholiken. Ein Martin Luther ist heute leider nicht in Sicht. Zu viele Reformkatholiken sind offenbar, psychologisch gedeutet, viel zu masochistisch eingestellt. Sie lassen sich offenbar liebend gern von Rom in ihrer eigenen und sehr wertvollen Glaubenshaltung unterdrücken. Sie sind auch in Deutschland, als politische Demokraten, gern die letztlich doch immer Gehorsamen, Autoritätshörigen. Was für ein Skandal in unserer demokratischen Welt.

8.
Man möchte also Dante Alighieri variieren: „Lasst also die Hoffnung auf grundlegende Kirchenreformen fahren“ … liebe KatholikInnen, und wendet euch den wirklich dringenden Themen zu, dem Frieden, der Solidarität, der Überwindung der Armut, der Verhinderung einer noch größeren Klima – Katastrophe, oder auch: der freundlichen Mitmenschlichkeit im Alltag, all das ist bekanntlich in der Sicht des Propheten Jesus von Nazareth bereits der wahre Gottesdienst! Und LEBT – im emphatischen Sinne – und vergesst die Wahlmonarchie in Rom.

9.
Jeder und jede kann den eigenen spirituellen Weg gehen. Vernünftige Gesprächskreise über das Evangelium des Propheten Jesus von Nazareth sind jederzeit und überall zu realisieren, wenn man nur will und nicht länger bereit ist, die Bindung an Rom und die Hierarchen mit dem Glauben an eine transzendente Wirklichkeit, Gott genannt, zu verwechseln.
Für die vielen tausend Festangestellten in der Kirche Deutschlands wäre dieser Weg in die spirituelle und menschliche Freiheit wohl mit einem Verlust an finanziellem Wohlstand verbunden. So bleibt man wohl noch gern bei den „Fleischtöpfen Ägyptens“ müde sitzen … und leidet und … hofft weiter…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin