Caspar David Friedrich: Sehnsucht nach dem Licht.

Zum empfehlenswerten Buch von László Földény “Caspar David Friedrich. Die Nachtseite der Malerei” (2024)

Ein Hinweis von Christian Modehn am 5.8.2024.

Und in Nr. 16 noch ein kurzer Hinweis auf eine Interpretation des Werkes C.D.Friedrichs durch Johann Hinrich Claussen. Ergänzt am 24.8.2024.
1.
Caspar David Friedrich: Das Interesse an seinem Werk ist in Deutschland jetzt- ohne Übertreibung – riesig: Fast alle wollen seine Arbeiten sehen: Was suchen sie dort? Was finden sie dort? Erleben sie Kunst als Lebensdeutung? Offene Fragen.
Nach Hamburg und Berlin beginnt am 24.8. die dritte große Friedrich Ausstellung im Albertinum in Dresden (bis zum 5.1.2025). Sie hat den Titel „Wo alles begann“. Damit ist das Werk Caspar David Friedrichs gemeint und nicht – politisch aktuell leider naheliegend – der politische Durchbruch in Sachsen der äußerst rechtslastigen, wenn nicht rechtsextremen, demokratiefeindlichen Partei AFD …

2.
Keine Frage, auch die Dresdner Ausstellung wird wieder überfüllt sein. Sie wird die Besucherinnen auch hoffentlich lehren, dass Friedrich politisch ein Kämpfer für die Freiheit der Bürger war!

3.
Länger als drei Minuten habe ich es vor den Gemälden in der Berliner Friedrich-Ausstellung (in der Alten Nationalgalerie) nicht aushalten können, es wurde geschubst und fotografiert wie verrückt, möchte ich sagen, und die Bildbetrachtungen dauerten bei den meisten nach meiner subjektiven Beobachtung nicht länger als eine Minute, aufgrund der Massen konnten sie auch nicht länger dauern.

4.
Ein Wort Caspar David Friedrichs ist ernüchternd: „Unerläßliche Bedingung für die Rezeption meiner Werke ist die Stille“.
Und: Voraussetzung für die Meditation seiner Bilder sei eine intime Umgebung, um nahe an die Gemälde herantreten zu können, zur meditativen Betrachtung!. Darauf weist die großartige Studie von László Földényi „Caspar David Friedrich“ (Matthes und Seitz Verlag, 2024, S. 163, Fn. 10 und Fn. 7) hin. Und genauso wichtig angesichts der C.D. Friedrich – Begeisterung eine Erinnerung an einige persönliche Überzeugungen des Meisters, etwa: „Museen lehnte Friedrich übrigens ab, weil er meinte, sie schadeten den Werken nur und könnten als Erfahrungsquelle höchstens für den praktizierenden Künstler von Nutzen sein“ (so Földényi, ebd. Fn. 7)

5.
Damit sind wir schon bei dem genannten Buch des großen (politisch unabhängigen, Orban – kritischen) Literaturkritikers und philosophischen Autors László Földényi. Er hat in der großen Fülle der Friedrich Studien meiner Meinung nach etwas Eigenes geschaffen: Eine philosophische Meditation über das „Wesen“ des umfangreichen Werke, sein Buch ist schon 1986 in Ungarn veröffentlicht worden, 1993 erschien es auf Deutsch, nun liegt es (2024) in einer neuen Ausgabe als Paperback wieder vor, 172 Seiten einschließlich der vielen ausführlichen Anmerkungen, Fußnoten. Das Buch hat nur einen Nachteil: Es bietet die Gemälde Friedrichs nur in sehr reduziertem Format in Schwarz-Weiß an. Man sollte also bei der Lektüre immer eine gute Werkausgabe der Gemälde und Zeichnungen zur Hand haben, um die beschriebenen Details mitzuvollziehen.

6.
Das Buch beginnt mit einem Bekenntnis: Schon 1974 hatte Földenyi die Möglichkeit, in Dresden einige Werke Friedrichs zu betrachten. Und oft sagt der Autor „ich“ in seinem Buch, es handelt sich also nicht um eine neutrale „Abhandlung“ und schon gar nicht um eine im strengen Sinne kunst – historische Studie, die oft in der Datenfülle erstickt oder tausend technische Details etwa zum Malen des Künstlers etc. anbietet. Földényi hingegen bezieht sich auch auf Aussagen von Freunden Friedrichs, auf Besucher im Atelier und auch auf kritische Stimmen zum Werk schon damals. Oft wird betont, dass Friedrich ein explizites Interesse an Architektur hatte und bekanntlich Entwürfe für Kirchenumbauten in Stralsund (etwa die Marienkirche) geliefert hat. Auch davon spricht Földényi.

7.
Der Ausgangspunkt: László Földényi (geb. 1952 in Debrecen, LINK  schätzt das Werk Friedrichs sehr, und zu diese Einschätzung vermittelt er auch seinen LeserInnen. Aber er ist selbstverständlich dem Künstler nicht bedingungslos ergeben.

8.
Warum sollten wir Földényis Friedrich – Studie lesen?
Das Buch umfasst 15 Kapitel,15 Essays, die nicht unbedingt der Reihenfolge entsprechend gelesen werden müssen. Einzelne Kapitel wie „Der Nebel wird dichter“ (S. 101 ff.) oder „Das Wunder“ (S.111 ff.) oder auch „Die Nacht sinkt herab“ (S. 143 ff) sind zugleich auch philosophische Meditationen. Alle Kapitel aber erschließen die innere Welt der Gemälde, sie sind Ausdruck für die innere, die seelische Welt Friedrichs und vor allem für dessen Phantasie, sie gilt als „Strom der Innerlichkeit“ (S.128).

9.
Friedrich hat sich von den Üblichkeiten der Malerei seiner Zeit gelöst (S. 103): Die traditionelle religiöse Malerei lehnte er ab, genauso das bürgerliche Genrebild sowie die herrschende Landschaftsmalerei (S. 103). Es war „die restlose Ausschöpfung der Energien der Persönlichkeit, die sein Verlangen weckte, sich radikal von den üblichen Bindungen zu lösen“ (ebd.). Földényi meint: Weil Friedrich sich ganz dem freien Strom seiner Innerlichkeit überließ und auch entsprechend malte, könne man seine Bilder als Vorläufer der späteren abstrakten Malerei ansehen (S. 103).

10.
Caspar David Friedrich fordert die Betrachter geradewegs auf, die Menschen und die Dinge und die Welt so zu sehen, dass sie ins Unendliche führen (S. 84), in eine Region, „die „wir mit unseren leiblichen Augen nicht wahrnehmen können“ (S. 84). Im Irdischen ist das Unendliche, auch das Göttliche genannt, anwesend. Nur wer diesem Ausgangspunkt folgt, kann sich Friedrichs Werken berühren lassen und sie verstehen, darauf weist Földényi nachdrücklich hin (S. 115). Für ihn ist Friedrich „ein Metaphysiker mit dem Pinsel in der Hand“ (S. 146), also auch ein Maler, „der Gedanken malen wollte“ (S. 131). Nebenbei vermerkt Földényi: „Es ist kein Zufall, dass gerade Menschen, die zum Theoretisieren neigen, Friedrich so sehr mögen…“ (S. 131).

11.
Philosophierende Menschen lieben Friedrichs Werke, eine Perspektive, die gültig ist, wenn man sozusagen „Lieblingsthemen“ oder bevorzugte Motive Friedrichs näher betrachtet, sie sind sozusagen in fast allen seiner Werke präsent: Die Sehnsucht nach Weite und Transzendenz und Erlösung; die Liebe zur Einsamkeit; die Wahrnehmung der Natur, die Ausdruck ist himmlischer Ereignisse von Licht und Dunkelheit; und damit auch die Präsenz des Mondes; aber auch der höhere Gesichtspunkt, den einige Menschen erreichen, etwa der Mann im Nebelmeer, der förmlich den Überblick über das Ganze des Naturgeschehens genießt…

12.
Wir haben früher schon – wegen unseres religionsphilosophischen, religionskritischen Interesses – auf die vielfältigen Arbeiten Friedrichs hingewiesen, die Kirchen und Klöster als Ruinen zeigen. Wir sahen in diesen Gemälden eine tiefe Kritik an der bestehenden Kirche: Sie sei zur Ruine geworden, unbrauchbar jetzt in der Welt, wo Transzendenz eher in der lebendigen Natur gesucht wird. Inmitten der Kirchenruinen laufen oft alte Mönche herum, oft auch auf einem Friedhof. Földényi äußert sich auch zu diesem Aspekt der Werkes Friedrichs, er erinnert etwa an die Darstellung der Greifswalder Jacobikirche als Ruine, er schreibt: „Über die Kritik an der herrschenden Religion bzw. über die Vision einer kommenden Religion hinaus wird in diesen Bildern die Bemühung spürbar, glauben zu wollen. Dieses unbestimmte Begehren erträgt feste Bindungen jedoch nur schwer, keinerlei Kirche vermag es restlos aufzunehmen. Das unendliche Begehren, von dem Friedrichs Malerei grundlegend determiniert ist, stellt aber die Existenz Gottes nicht so sehr in Frage wie gerade diese Gotteshäuser: Sie sind ästhetische Krypten, die nicht Glauben, sondern Tod ausstrahlen.“ (S. 123)

13.
Földényi schätzt Friedrich, aber er bewundert ihn nicht und stellt auch zahlreiche Fragen zum Werk. Etwa: Seine Gemälde zeigen auch das Gefühl des Verlustes des (alten) Gottes und wie der Mensch sich dagegen stemmt. Aber: „Bei der übermenschlichen Kraftanstrengung wird der Menschen gewahr, dass er dem Gott oder dem Nichts sowieso unterlegen ist“ (S. 85). Oder auch diese Bemerkung Földényis: „In seinen Gemälden haust die Finsternis ebenso wie in Goyas `schwarzen Werken`. Aber die Finsternis greift uns nicht von vorn an, sie schleicht sich von hinten herein.“ (S. 132).

14.
Aber es bleibt die große Perspektive, die sich für Friedrich auch durch die Begegnungen mit dem protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834) bestätigten. Földényi meint: „Die als innerstes Wesen des Lebens (durch Friedrich) interpretierte Kunst ist eine Art Theologie – wenn diese Theologie auch nicht von Gott handelt, sondern von einer unendlichen Sehnsucht, wie sie keinerlei Gott befriedigen kann“ (S. 97).

15.
Warum also sollten „wir“ uns heute für Caspar David Friedrichs Arbeiten interessieren?
Die vielen tausend Besucher der Ausstellungen beweisen ja faktisch , es gibt eine ungemeine Sehnsucht nach Friedrichs Gemälden.
Vielleicht sind einige Antworten treffend, die jeder und jede für sich selbst finden muss: Es ist gerade die Sehnsucht als menschliche Haltung, die durch die Arbeiten Friedrichs geweckt wird. Welche Sehnsucht? Wonach sehnen wir uns? Warum sind wir so gelähmt, unserer Sehnsucht – etwa nach universeller Gerechtigkeit, nach Menschenrechten – praktisch zu entsprechen?
Haben wir uns von den Kirchen als dogmatischen Ruinen schon verabschiedet`? Wenn ja, wo leben wir unsere Spiritualität?
Was bedeutet uns die Natur? Ist sie Sache, Objekt, das manipulierbare und Verkaufbare oder hat Natur einen eigenen Wert, weil ja auch wir Menschen (mit den Tieren) Teil dieser Natur sind usw…

16. Johann Hinrich Claussen hat als Theologe und Pastor den Titel “Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.” Er ist auch Autor zahlreicher Bücher. Jetzt erschien von ihm “Eine Geschichte der chrstlichen Kunst.” Mit dem Ober – Titel “Gottesbilder”. Ch.H.Beck Verlag, 2024.

In dem Buch erwähnt Claussen auch Caspar David Friedrich (S. 229 – 233). Er zeichnet knapp dessen religiöses, theologisches Profil : “Friedrich verstand sich als frommen wie avancierten Protestanten, der eine Umformung des christlichen Glaubens ins Bild setzen wollte. In ihr verbanden sich Kritik und Konstruktion…Er löste sich von alten Glaubensbildern, um dem für ihn Wesentlichen eine neue Gestalt zu geben. In der Landschaftsmalerei konnte er auf zeitgemäße Weise religiöse Empfindungen darstellen und hervorrufen… Das Alte muss untergehen, damit Neues werden kann” (S. 232 und 233).

Das empfehlenswerte Buch von László Földényi: „Caspar David Friedrich. Die Nachtseite der Malerei“. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. 172 Seiten, 14€, Verlag Matthes und Seitz, Berlin, 2024.

Siehe auch unseren Beitrag: Die Spiritualität Caspar David Friedrichs…. LINK:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Das “letzte Abendmahl” der Olymischen Spiele und die klerikale Ideologie

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.8.2024

Ergänzung am 5.8.24: Am Sonntag, 4. August, fand vor der Kathedrale Notre Dame de Paris ein interreligiöses Treffen statt, auf Wunsch von Thomas Bach (!), dem Präsidenten des Olympischen Komitees (CIO). Von der Kritik an der Darstellung eines “letzten Abendmahles” zur Eröffnung der Spiele war direkt keine Rede mehr. Man war sich interreligiös einig, wie Thomas Bach sagte: “Sport kann die letzten Fragen der Menschheit nicht beantworten, das kann nur die Religion”. (LINK)

Ergänzung am 6.8.24: Dass es noch vernünftige Theologen in der katholischen Kirche gibt, zeigt ein Kommentar des Benediktinerpaters Martin Werlen (Schweiz) zum Abendmahl bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris; dieser Kommentar wurde sogar im Vatikan veröffentlicht: LINK

1.
Die Frage ist dringend: Wie dumm und begrenzt sind eigentlich katholische Oberhirten im Jahr 2024? Haben sie keine anderen Sorgen? Denn jetzt verteidigen immer mehr geistliche Herren, auch Kardinäle, inbrünstig das Gemälde „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Aber dies ist der intellektuelle Skandal: Sie verteidigen dieses Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, als sei es DER absolut gültige Ausdruck des letzten Abendmahls Jesu und seiner Jünger. Welch ein Wahn. Eines von vielen Kunstwerken zum Abendmahl zur theologischen Norm zu erklären! Und als DEN Ausdruck der katholischen Eucharistiefeier zu deuten.
Zur Erinnerung: Bei seinem letzten Abendmal feierte Jesus von Nazareth, so die Erzählung, mit seinen 12 Jüngern kurz vor seinem Prozess und der folgenden Hinrichtung noch einmal ein ordentliches Abendessen, selbstverständlich mit Wein…

2.
Die Herren der Kirche fühlen sich also beleidigt und zutiefst empört: Bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris 2024 seien ganz üble, gotteslästerliche Assoziationen geweckt worden, Erinnerungen an da Vincis Gemälde „Letztes Abenmahl“. Denn die Feiernden in Paris waren Schwule und Lesben. Queers, an einem Tisch vereint zu sehen, wie sie da ordentlich bzw., je nach Wertesytem, „unordentlich“ feierten, tanzten und tranken. Eine nur ferne Assoziation an da Vinci…

3.
Das Problem der geistlichen Herren: Was soll denn da der liebe Gott bloß denken, und vor allem der himmlische Jesus, wenn nun in Paris das da Vinci Gemälde verunreinigt und dadurch (!) die Erinnerung an Jesu Abendmahl beschmutzt wird … auch noch durch diese  “üblen” Queeren – Menschen? Die Eucharistiefeier kann nur mit einem Priester und frommen Leuten dargestellt werden…”aber doch nicht mit diesen zum Teil halbnackten Gestalten”…

Man erinnere sich: Papst Franziskus hatte erst kürzlich gefordert: “Die Olympischen Spiele sollten Frieden vermitteln, nicht Hass”. Nun aber wird Unfrieden gestiftet durch die Intoleranz klerikaler und fundamentalistischen Kreise, sie können die Freiheit der Kunst nicht ertragen und zeigen letztlich ihre Ablehung queeren Lebens.

4.
Einen freien, lockeren und deswegen künstlerisch immer freizügigen Umgang mit dem Gemälde halten die Herren der Kirche in ihrer Ideologie für Blasphemie, für Gotteslästerung.

5.
Lassen wir diese wirre Interpretation, sie ist lächerlich, weil die Herren der Kirche den  Denkfehler begehen und ein Gemälde ALS Ausdruck ihres dogmatischen Glaubens verstehen. Leonardo da Vinci wird sich freuen über so viele  „Ehre“.

6.
Das Abendmahl Jesu war sicher noch einmal ganz anders als das „Abendmahl da Vincis, denn damals haben, kulturell üblich, die Beteiligten zu Tische gelegen, nicht brav am Tisch gesessen. Die Kirche St. Petri in Seehausen, Altmark, zeigt ein solches ungewöhnliches, authentisches Wand – Gemälde, eine noch zu besprechende Rarität.

7.
Man erinnere sich: Schon einmal – wie so oft vorher – regten sich die Kirchenleute maßlos auf und die mit ihnen verbundenen reaktionären Politiker der Weimarer Republik, weil der Künstler George Grosz es wagte: Jesus am Kreuz mit einer Gasmaske angetan zu zeigen.

8.
Die Herren der römischen Kirche sollten sich, ehrlich gesagt, schämen, dass sie nun, nach diesem ihrem Blödsinn, heftige Unterstützung  von rechtsextremen Politikern (Marine le Pen) und sogar von Putins klerikalem Kriegstreiber Patriarch Kyrill I .in Moskau erhalten. (Fußnote 1) Auch der fundamentalistische Präsident Erdogan hat sich eingeschaltet und nach bekannter Sicht behauptet: Durch diese Darstellung des letzten Abendmahls sei die menschliche Würde in den Schmutz gezogen worden. Dass die sehr vielen Diktaturen weltweit die Würde der Menschen  de facto, politisch, in den Schmutz ziehen, wäre das große Thema der Kirche. Aber nein, sie sorgt sich, verblendet, um eine queere Interpretation des Gemäldes da Vincis.

9.
Der Vatikan und die römische Kirche befinden sich im weltweit großen Club der Reaktionären, der Kunst – und Freiheitsverächter. Wollen sie in dieser Position es wagen, das Evangelium des Propheten und Weisheitslehrers Jesus von Nazareth zu verkünden?

Fußnote 1: “Die russisch-orthodoxe Kirche und das Außenministerium in Moskau äußerten sich entsetzt über die Eröffnungsfeier, weil bei einer Darstellung des letzten Abendmahls die Apostel von „Transvestiten“ verkörpert worden seien. „Ein kulturell-historischer Selbstmord geht in einer der einst christlichen Hauptstädte der europäischen Zivilisation vor sich“, sagte der Geistliche Wachtang Kipschidse, der im Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche für Kontakte zur Gesellschaft und zu den Medien zuständig ist.” (Quelle: Welt, 27.7.2024, LINK

PS: Wer all das hier Dokumentierte nicht glaubt, lese etwa: LINK
Und LINK.

Und am 5.8.2024 die Päpstliche Kritik am “letzten Abendmahl” in Paris: LINK

10.

Die Katholische Kirche mit ihrem exzessiven Bilder – Kult hatte trotzdem immer schon Probleme, wenn Künstler etwa  – noch recht anständig – halbnackte Jesus Christus Bilder malten. Auf Kreuzesdarstellungen erscheint Jesus sehr oft fast ganz nackt, über die homoerotisch gestylte Figur des heiligen Sebastian ist viel geschrieben worden. Und die hübschen Sebastians – Darstellungen fehlen fast in keiner Kirche in Südeuropa. Hanno Rauterberg, Redakteur in der Wochenzeitung DIE ZEIT schreibt dort am 15.2.2024, Seite 45: “Bei vielen Künstlern wird der Penis Jesu zwar verhüllt, doch notdürftig nur, denn kunstvolle Falten im Lendentuch lenken den Blick erst recht auf die mächtige Beule. Das Leben nach dem Tode – vitaler denn je”.

11.

Angesichts der so oft halbwegs tolerierten Nackheit der größten Gestalten des Christentums fragt man sich, was sollte eigentlich die Aufregung in Paris im Juli 2024 bedeuten über “Das letzte Abendmahl”, gefeiert von Queers? Die Antwort kann nur sein: Eigentlich mag die katholische Kirche offiziell die queeren Menschen ganz und gar NICHT, trotz vieler hübscher Sprüche des angeblich progressioven Papstes Franziskus. Die queeren Menschen sollen brav sein, sich etwa in einem Nebenraum der Kirchen diskret in ihrer Partnerschaft (natürlich NICHT Ehe!) segnen lassen und dann bitte wieder diskret im Untergrund oder Hintergrund verschwinden.

12.

Es reicht also, wenn die noch verbliebene katholische Öffentlichkeit mit weiblich gekleideten, in bunte Gewänder gehüllten Talar-Trägern konfrontiert wird oder den süßlich lächelnden Seminaristen, die selbst verständlich alle gar nicht Tunten sind. Nein, Respekt und Gleichberehctigung gibt es in dieser Kirche faktisch nicht.

Und von der Freiheit der Kunst und der Künstler hat diese Kirche in den allermeisten Fällen  keine Ahnung. Darüber haben schon die wenigen Kunst-gebildeten katholischen Theologen Jahre lang gesprochen. Ihre kreative, aufklärerische Arbeit ist wohl gescheitert…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophiischer Salon Berlin.

Jacques Bouveresse, französischer Philosoph, Literaturkenner und Kirchenkritiker

Ein Hinweis von Christian Modehn am 23. Juli 2024.

1.
In Deutschland ist der französische Philosoph Jacques Bouveresse ( 20.8.1940 – 9.5.2021) in weiten Kreisen nahezu unbekannt. In Frankreich gilt er als wichtiger Denker mit einem „Oeuvre philosophique majeure“, wie man dort sagt.
Kaum zu verstehen, dass seine großen Werke nicht ins Deutsche übersetzt wurden.
Jacques Bouveresse, stammt aus einer katholischen Familien im Département Doubs – an der Grenze zur Schweiz gelegen – , er ist auch mit theologischen Themen durchaus vertraut.

Jacques Bouveresse war ein außergewöhnlicher Mensch, nicht nur wegen seiner Sprachbegabung (er hatte z.B. einen akademischen Abschluss in Deutsch). Vor allem: Er hat – nicht nur aus Bescheidenheit, sondern um jegliche Abhängigkeiten zu vermeiden – offizielle „Dekorationen“, wie er sagte, also Orden und (staatliche) Auszeichnungen zurückgewiesen. Selbst die Ernennung zum “Chevalier de la Legion honneur“ lehnte er ab, jeglicher Konformismus war ihm zuwider, allerdings wurde ihm von der ökonomischen Hochschule HEC in Paris der Titel Dr. h.c. verliehen, 2019 empfing er den „Grand Prix de Philosophie“ von der „Académie Francaise“ für die Gesamtheit seines Werkes.

2.
Warum sollten wir uns für Bouveresse interessieren?
Er hat die Grenzen des philosophischen „Betriebes“ gesehen und sich Impulse der Erneuerung und dafür notwendige Ressourcen erhofft … auch von der Literatur. Er suchte Philosophie also auch dort, wo „man“ sie üblicherweise nicht vermutet. Vor allem mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Musil und auch mit dem Autor Karl Kraus hat er sich intensiv befasst. Wichtig für Bouveresse ist vor allem der umfangreiche Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Bouveresse läßt sich von der Literatur anregen, die eigene Philosophie zu gestalten. Diese Erfahrung gilt es festzuhalten, wenn man sich vorstellen will, was Philosophieren und Philosophie heute sein sollte und sein könnte: Als kritisches Interessiertsein an allen Äußerungen, „Objektivierungen“ (Hegel), des Geistes.

3.
Bouveresse ist ein Rationalist, und er nennt sich so und ist stolz darauf und kämpft gegen alles Obskure in der Gesellschaft, gegen fundamentalistische Religionen und Kirchen (etwa in den USA) und gegen die postmodern sich nennenden Philosophen, die seiner Meinung nach die Beliebigkeit des totalen Relativismus pflegen und das „alles geht und alles ist möglich“ propagieren. Der Philosoph Jean -Matthias Fleury nennt Bouveresse einen „kritischen Historiker der Philosophie“: Er war also kritisch gegenüber der Postmoderne und modischen Tendenzen französischer Philosophen, Bernard-Henri Lévy oder Jean Marie Benoit warf er wissenschaftlichen und intellektuellen „Betrug“ vor. „Bouveresse war ein Polemiker und er war sehr bemüht, ein Minimum an praktischen philosophischen Regeln auszudrücken. Er hat Partei ergriffen für einen militanten Rationalismus, kritisierte gelegentlich heftig den Nihilismus à la Nietzsche. Und der schien ihm für eine ganze weite Fläche der französischen Philosophie der 1960- 1970ger Jahre charakteristisch zu sein, etwa in den gestalten Derrida, Lyotard und Foucault“ (siehe Fußnote 2).
Mindestens 50 philosophische Studien hat Jacques Bouveresse veröffentlicht; er war viele Jahre Professor an der Sorbonne und Mitglied des Collège de France, immer interessiert an dem weiten Umfeld der „analytischen Philosophie“ . Seine Doktorarbeit verfasste er 1975 über Ludwig Wittgenstein, damals in Frankreich noch relativ unbekannt. Regelmäßig veröffentlichte er Beiträge in der Monatszeitschrift „Le Monde diplomatique“. Und: „Bouveresse plante die philosophischen Übungen als eine Kunst der Lektüre und des Dialogs und als eine ständige Konfrontation mit dem Gedanken des anderen“, so Florence Vatan (im Vorwort zu Bouveresses Buch „La Passion et l exactitude“, 2024, S. 21., siehe Fußnote 1).

4.
Bouveresse war in seiner Entschiedenheit für möglichst umfassende Klarheit, für die konsequente Suche nach Gründen und Begründungen, der Verpflichtung der Wahrheit zu dienen sozusagen als Mensch bescheiden in seinem Auftreten und Argumentieren, die Ironie schätzend, mit einer Vorliebe für Philosophen, die bisher (in Frankreich) eher wenig Beachtung fanden, vor allem Wittgenstein und die „Wiener Schule“ .
Vor allem war er immer religionskritisch orientiert, gegen alle Irrationale, Frömmelnde, Mystizistische… Für religionsphilosophische Fragen ist besonders wichtig sein Werk „Peut-on ne pas croire? Sur la vérité, la croyance und la foi“, Marseille, 2007, 286 Seiten. Als Einführung in sein Denken empfiehlt sich Bouveresse, „Le Philosophie et le réell. Entretiens avec J.J. Rosat“, Hachette, Paris, 1998.

5.
Warum also ist ein Hinweis auf Bouveresse wichtig, wenn man den Zustand der Religionen vor allem in Europa und den USA kritisch untersucht?
Der zweifelsfreie Ausgangspunkt ist: Trotz aller Säkularisierung in Europa und Amerika gibt es ein deutliches Comeback eher fundamentalistischer Kirchen. Sie betonen übereinstimmend: Der Zusammenhalt ihrer Gesellschaften und ihrer Staaten könne nur durch die praktizierte (fundamentalistische) Religion garantiert werden. Es gebe also diesen Propagandisten zufolge eine Art praktische und auch politische Notwendigkeit, zur alten Religion und den überkommeneren Konfessionen zurückzukehren…

6.
An diesem Punkt der Analyse setzt Bouveresse in einem auf Deutsch publizierten Beitrag für „Le Monde diplomatique“ vom 13.5.2007 an. Der Aufsatz hat den Titel „Annäherung an die Funktion Gott“. Bouveresse bezieht sich dabei auf eine These des Philosophen und Autors Régis Debray: Er hatte behauptet, die „derzeitige Renaissance des Religiösen“ sei ein Beweis dafür, dass der religiöse Glaube überhaupt nicht zum Verschwinden zu bringen sei, auch nicht durch so genannte Ersatzreligionen. Bouveresse kritisiert zunächst, dass es nicht möglich ist, aus dem faktischen Vorhandensein z.B des Phänomens Kirche auf die Notwendigkeit ihres Fort – Bestehens zu schließen. Die Renaissance des Religiösen und auch das Wiedererstarken der alten Konfessionen sind also kein Bewies dafür, dass die klassischen Religionen und Konfessionen nun letztlich doch nicht gescheitert sind und Recht haben. Bouveresse schreibt: „Und selbst wenn die Gesellschaft der Rückkehr zu einem verloren gegangenen Glauben bedürfen sollte, welche Art von Glauben ist es dann genau, zu der sie angeblich zurückfinden muss? Sie einfach an das religiöse Bedürfnis der Gesellschaft zu erinnern, reicht jedenfalls anscheinend nicht, um sie diesen Glauben wiederfinden zu lassen.Noch einmal: Irgendeine Form des Glaubens als Faktum anzuerkennen ist nicht dasselbe wie die Unvermeidlichkeit des religiösen Glaubens zu behaupten, auch wenn Religionsphilosophen wie Debray diesen Unterschied gern herunterspielen.“

7.
Bouveresse deutet nur kurz und knapp an: Welche Religion kann in dieser zerstrittenen Welt und in der säkularen Gesellschaften noch Bestand haben, ohne dabei sinnlose Überlegenheitsansprüche gegen dem säkularen Staat zu betonen? Es kann sich dabei eigentlich nur um eine rational zugängliche Menschheitsreligion für alle Menschen handeln, eine Idee, die für Kant wichtig wurde in seiner Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Wenn Religionen und Kirchen heute eine Bedeutung haben können, dann so Bouveresse, wenn sie die republikanischen Werte, also die Menschenrechte, höher einschätzen, auch als Kriterium der eigenen Wahrheit als alle konfessionellen und religiösen Lehren und Weisungen. „Was genau brauchen wir eigentlich in religiöser Hinsicht? Könnte es nicht mehr oder weniger objektive Gründe geben, die eher für die eine als für die andere Glaubensentscheidung sprechen? Angenommen, man gesteht zu – was ohne Schwierigkeiten möglich sein sollte –, dass eine „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (ungefähr im Kant’schen Sinn) immer noch eine Religion wäre. Gäbe es dann nicht ernst zu nehmende (intellektuelle, moralische, politische usw.) Gründe, eine derartige Religion solchen vorzuziehen, die die fraglichen Grenzen überhaupt nicht kennen?“

8. Die alten Religionen, Konfessionen, führen nicht aus der Krise
Wichtig ist dem entsprechend die These Bouveresses:
Hütet euch vor der Wiederkehr der alten Religionen in dieser Zeit, in der angesichts der vielfachen Krisen erklärt und verkündet wird, die Säkularisierung sei vorbei und die Zeit der alten Religionen beginne wieder. Bouveresse schreibt: „Mit Sicherheit wäre es dagegen ein Trugschluss, auf künstliche Weise herkömmliche Religionen in die Institutionen, Verhaltensweisen und Praktiken wieder einführen zu wollen – in der Hoffnung, so den sozialen Zusammenhang herstellen oder festigen zu können.“ In der jetzigen Situation eines globalen gesellschaftlichen Umbruchs mit zahllosen Krisen helfen nur „Veränderung und Reorganisation“ der Gesellschaft weiter. Dabei können die alten Religionen und ihre Lehren gar nicht mehr hilfreich sein, weil ja auch sie zu der tiefgreifenden politischen, ökonomischen und kulturellen Krise geführt haben. Noch einmal: Die alten Religionen und Kirchen sind also Mit – Verursacher des gegenwärtigen heillos wirkenden Zustandes der Welt.
Das heißt: Die altgewordene Religionen und altgewordenen und veraltet erscheinenden Konfessionen haben im globalem gesellschaftlichen Wandel und Zusammenbruch keine inspirierende, hilfreicheKraft mehr.

9.
Bouveresse sieht im Fortbestehen und Überleben der alten Religionen und der alten Götter nur eine Form der „Amnesie“, der Vergesslichkeit und Gedächtnisstörung der Menschen, hofsichtlich der Kraft der Religionen von einst. Er schreibt: „Diese Form der Amnesie lässt nach dem bitteren Scheitern einer Neuerung (der Religion, CM), die eine Zeit lang vielversprechend schien, mit Vorliebe die guten alten, immer bequemeren und beruhigenderen Lösungen wieder aufleben – obwohl man eigentlich weiß, dass diese Versuche, gelinde gesagt, nicht sehr erfolgreich gewesen sind.“ Mit anderen Worten: Die Kirchenführer der alten, aber nachweisbar im politischen und ökonomischen Bereich wirkungslosen Kirchenwelten, machen sich falsche Hoffnungen für eine Zukunft ihrer Kirchen, gerade wenn sie nichts weiter tun, als das Alte und angeblich „Ewige“ und „göttlich Verordnete“ unbeirrt und stur fortzusetzen, siehe etwa die Haltung der katholischen Kirche zur Ordination von Frauen; die päpstliche Ablehnung von Demokratie in der katholischen Kirche usw.. Diese Haltung hat zum langsamen Verschwinden der Kirchen-Bindung und Kirchen-Gläubigkeit in Europa geführt. Siehe die hohen Austrittszahlen aus den Kirchen etwa in Deutschland, Österreich, Holland, Belgien, England, Spanien, der Schweiz usw. ChristenInnen verlassen die Kirchen, weil diese ihnen antiquiert, irrational, bürokratisch, fundamentalistisch, paternalistisch usw. erscheinen. Und es wohl auch erfahrungsmäßig und nachweislich sind.
………………………….

FUßNOTE 1:
„La Passion de l Exactitude“ mit dem Untertitel „Robert Musil et la philosophie“, erschienen im Verlag Hors d` Atteinte, Marseille, 2024, mit einem Vorwort von Florence Vatan. 123 Seiten, 17€. Der Text geht auf eine auf Deutsch gehaltenen Vorlesung Bouveresses in Wien im Oktober 2008 zurück.

FUßNote 2:
Cinquante ans de philosophie française.“ Band 4, von Bernard Sichère, Paris 1998, S. 72.
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Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

Abbé Pierre: Ein hochverehrter Priester, nun Missbrauchstäter.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.9.2024

1.

Ich lösche meinen Beitrag vom 18.7.2024 bzw 2.8.2024 über Abbé Pierre als Missbrauchstäter.

2.

Mein Hinweis war von der Hoffnung geleitet, Abbé Pierre habe sich “bloß” “leichte” sexuelle Übergriffe erlaubt…Ich war zudem sehr bewegt  von seinem offenen und öffentlichen Bekenntnis: Er habe dem sexuellen Verlangen nachgegeben… Welcher “Missbrauchstäter” ist so offen und wahrhaftig? Siehe das Buch: Abbé Pierre, “Mein Gott, warum?” (DTV 2007), Seite 32f.

3.

Mich wundert es, das auf dieses offene und öffentliche Bekenntnis Abbé Pierres in dem genannten, auf Französisch selbstverständlich auch erschienen, Buch jetzt so selten Bezug genommen wird.

4.

Aber: Die Fakten gegen ihn sind jetzt, Mitte September 2024, in dieser Hinsicht offenbar sehr gravierend. Deswegen lesen Sie bitte weiter unten einen Hinweis zur Erklärung der französischen Bischofskonferen vom 12.9.2024. Sie will ihr gut behütetes (?) auf Abbé Pierre bezogenes Archiv vorzeitig schon zugänglich machen. Wenn solches in katholischen offiziellen Kreisen geschieht, ist das schon außergewöhnlich.

5.

Und es wird weiter eine Art Beben geben nicht nur in katholischen Kreisen, sondern in weiten Kreisen der französischen Gesellschaft, wenn nun auch dieser einst so hoch verehrte Priester in die Kategorie der Verbrecher einsortiert wird und man seinen Namen aus der Öffentlichkeit entfernen wird. Eine Abbé Pierre Säuberung also.

6.

Und nun ist das ohnehin schon absolut angeschlagene Renommée der katholischen Kirche in Frankreich weiter zutiefst beschädigt. Die bekannte und geschätzte linke katholische Wochenzeitung “Témoignage Chrétien (T.C.) ” (jetzt leider nur noch erreichbar im Internet) hat am 12.9.2024 darauf hingewiesen, und das ist ein großer Skandal: Bestimmte Kardinäle (Feltin und Spellmann) und französische Bischöfe Alexandre Renard und André Fourgerat, wussten schon sehr früh, seit Mitte der fünfziger Jahre, von Abbé Pierres sexuellen Übergriffen. Ich zitiere aus T.C.: “Il apparaît en effet, selon des informations concordantes, que l’inconduite – au minimum – de l’abbé Pierre envers les femmes était connue des cercles de ses proches à Emmaüs dès le milieu des années 1950. Étaient également au courant des membres éminents de la hiérarchie catholique, tels que le cardinal Maurice Feltin, alors archevêque de Paris, et le cardinal Francis Spellman, son homologue de New York, ou encore les évêques de Versailles Alexandre Renard, ou de Grenoble André-Jacques Fougerat. Ces prélats ont été alertés après un voyage désastreux de l’abbé Pierre aux États-Unis en avril-mai 1955, au cours duquel au moins deux femmes se sont plaintes de sa conduite, d’après les carnets inédits du philosophe catholique Jacques Maritain. ” Quelle: https://www.temoignagechretien.fr/laffaire-de-labbe-pierre/) Die genannten “Oberhirten” wussten also sehr früh schon Bescheid über Abbé Pierres “inconduite”, harmlos genannt ungewöhnliches Verhalten… und diese Herren der Kirche unternahmen nichts. Denn  am Ruhm eines nun endlich mal katholischen “Helden” im “laizistischen” Frankreich (der “große Sozialapostel”,”Helfer der Menschheit”  etc…) wollten die Oberhirten nicht “kratzen”… Vielleicht gab es andere “Fälle” im Klerus, dier auch verschwiegen wurden… Dabei ist es andererseits unzweifelhaft, dass Abbé Pierre ein bedeutendes internationales Sozial-Werk aufgebaut hat  .. trotz seines Doppellebens” als “Abbé”.

7.

Das ist das Schlimme an den Debatten um Abbé Pierre: Es findet keine  freie und offene Diskussion statt zum Thema Zölibatsgesetz für Priester: Man denke bitte daran, dass der junge Henri Grouès, so der bürgerliche Name Abbé Pierres, als 17 Jähriger (sic) in ein Kapuiner – Kloster eintrat, weil er in dem damals bis heute üblichen katholischen Wahn auch von sich selbst überzeugt war, dem “lieben Gott” und der “Mutter Kirche” auf diese Weise dienen zu können.

Nebenbei: Es ist bis heute in aller Welt, in Indien, Indonesien, auf den Philippinen und soweiter, allüberall, offiziell üblich, junge Männer ab 17 Jahren schon ins Kloster oder ins Priesterseminar als “Novizen ” oder “Seminaristen” aufzunehmen. In den “armen Ländern”  der Armen ist die katholische Priester – Karriere eine gute “Laufbahn”, die zudem immer öfter ins europäische Ausland führt (weil es dort keine “einheimischen” deutschen, französischen Priester mehr gibt). in Europa haben die vielen tausend afrikanischen oder indischen Priester als Afrikaner oder als Inder oder Philippinos keine Probleme, Aufenthaltsgenehmigingen zu erhalten. Priester sind eben aufgrund bester Kirche- Staat- Beziehungen “etwas Besonderes”..

8.

Und man diskutiert bis heute nicht offen und öffentlich in der Kirche die streng -katholische Ideologie, die da meint: Wunderbar, wenn sich so junge Männer, “schon so wunderbar fromm”, mit 17, 18 oder 19 Jahren fürs Kloster oder Priesterseminar entscheiden. Der Klerus freut sich, wenn er “Nachwuchs” bekommt, wie es heißt, zur Stablisierung der ewigen Klerus – Kirche.

9.

Und man diskutiert bis heute nicht offen und öffentlich in der Kirche die Tatsache, dass die kirchlichen Zöibats-Gesetze  junge Männer in der emotionalen Einsamkeit von Kloster und Priesterseminar zur Selbstbefriedigung (manchmal mit anderen) förmlich treiben. Über die  Masturbation im Kloster und im Priesterseminar und später nach der Priesterweihe wird selbstverstädnlich überhaupt nicht offen und öffentlich in katholischen Kreisen gesprochen. Was um so dramatischer ist, weil im offizielen katholischen Katechismus (von 1993) immer noch Masturbation “als schwere ordnungswidrige Handlung gebrandmarkt wird” (so wörtlich in Paragraph 2352 dieses offiziellen Texte, an den sich doch wenigstens Seminaristen und Kosterbürder halten sollen)?

10.

In diesem kletrikal vergifteten Milieu wurde Abbé Pierre zum Täter, in gewisser Weise auch ein Opfer des klerikalen Systems mit seinem Zwangszölibat für Priester. Und Abbé Pierre selbst hat unter diesem menschlich so grausamen  System gelitten, siehe bitte das Buch “Mein Gott, warum?”, “Mon Dieu, pourquoi ?” Warum wird das Buch nicht intensiver gelesen, nicht zitiert??? Darin wird deutlich: Abbé Pierre hat unter dem unmenschlichen Zölibatsgesestz gelitten, er konnte (und wollte?) sich daraus nicht befreien. Deswegen hat er Frauen missbraucht. Es ist die Klerus – Kirche, die eigentlich bei den Frauen um Verzeihung bitten müsste angesichts des Missbrauchs. Dies tut die Klerus Kirche eben ALS Klerus Kirche aber nicht. Und das ist die Schande.

11.

Es bleibt die entscheidende Frage: Ein Missbrauchstäter kann ein umfangreiches, hoch geschätztes internationales Sozialwerk (“Emmaus”) aufbauen, kann die Menschen zur sozialen Hilfe bewegen, als Sozialkritiker in der Öffentlichkeit sprechen, zum “Beliebtesten” aller Franzosen aufsteigen und trotzdem – in einer verschwiegenen Welt des Missbrauchs – sexuellen Missbrauch begehen. Und einige Kirchenführer wussten von diesem Missbrauch, griffen aber nicht ein, weil der “angesehene Priester – Star” in hellem Licht erscheinen musste. Er spielte aufgrund seines Renommes schließlich auch viel Geld, Spenden etc. ein… Auf diese Ikone des Klerus wollte die Klerus – Kirche nicht verzichten…

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Frankreichs Bischöfe öffnen Archive zu Abbé Pierre
Veröffentlicht am 12.09.2024 um 12:44 Uhr –
Quelle: https://www.katholisch.de/artikel/55962-vorzeitig-frankreichs-bischoefe-oeffnen-archive-zu-abbe-pierre

Paris ‐ Die Vorwürfe gegen den französischen Armenpriester Abbé Pierre wiegen schwer. Nun öffnet die Kirche vorzeitig ihre Archive, um den Anschuldigungen gegen die einstige nationale Ikone auf den Grund zu gehen.

Nach schweren Vorwürfen gegen den als “Vater der Obdachlosen” bekanntgewordenen Armenpriester Abbé Pierre (1912-2007) haben die französischen Bischöfe entsprechendes Archivmaterial freigegeben. Es werde ab sofort allen berechtigten Personen zur Verfügung gestellt, insbesondere Forschern und Journalisten, heißt es in einer Mitteilung der Französischen Bischofskonferenz (Donnerstag). Ohne die Freigabe wären die Dokumente erst 75 Jahre nach dem Tod Abbé Pierres – also 2082 – einsehbar gewesen.
Dem Ordensmann werden sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Minderjährige vorgeworfen. Erst kürzlich veröffentlichte die von ihm gegründete Emmaus-Bewegung weitere belastende Zeugenaussagen. Eine Expertenkommission soll den Vorwürfen auf den Grund gehen.

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Siehe auch die offizielle Erklärung der französischen Bischofskonferenz:

Communiqué de la CEF à la suite des nouvelles révélations concernant l’abbé Pierre

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“Le Monde”  (Paris)  am 13.9.2024:

Le Vatican était au courant des agressions sexuelles commises par l’abbé Pierre depuis des années, selon le pape François

De retour d’un voyage en Asie, le chef de l’Eglise catholique a reconnu que Rome était au courant des violences sexuelles perpétrées par le fondateur d’Emmaüs, au moins après sa mort. Il a appelé à la transparence et condamné des faits « démoniaques »…

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“Libération” am 14.9.2024: “Abbé Pierre: Comment le silence a-t-il tenu aussi langtemps autour du fondateur d REmmaus?”

Décédé en 2007, l’abbé Pierre est depuis juillet visé par des accusations de violences sexuelles commises entre les années 50 et 2000, avec début septembre une nouvelle salve de témoignages sur des faits gravissimes pouvant pour certains s’apparenter à des viols ou concernant des mineures. Vendredi soir, le pape François a fait savoir que le Vatican avait été informé, a minima après la mort de l’abbé Pierre, des accusations visant le prêtre français qu’il a qualifié «de terrible pécheur».

Pour la présidente de la Conférence des religieux et religieuses de France (Corref), Véronique Margron, «on ne peut sérieusement imaginer une seconde que cela s’est fait à l’insu de tout le monde. Sur une figure aussi connue, aussi publique, aussi repérée, c’est impossible». Mais il fallait sans doute «protéger la naissance de ce qui allait s’appeler Emmaüs», considère auprès de l’AFP la religieuse, selon qui «la figure de l’abbé Pierre était trop forte et le mouvement trop important pour aller au-delà de décisions de conscience personnelle».

Témoignage
Le délégué général d’Emmaüs International, Adrien Chaboche, estimait le 9 septembre sur RTL que «forcément il y a des gens qui ont su ce qui se passait, dans l’Eglise», «le mouvement Emmaüs». Mais quoi exactement, «ça, je ne le sais pas». Emmaüs a depuis ces révélations lancé une commission d’enquête et l’Eglise ouvert ses archives.

«Une machine à cash»

L’ancienne présidente du Secours catholique Véronique Fayet rappelle que l’abbé Pierre rendait bien service à l’institution. «C’était la machine à cash, pour dire les choses crûment» et «sans l’abbé Pierre, les collectes auraient été un peu plus compliquées», ajoute-t-elle. Car le prêtre est au fil du temps devenu une icône de la lutte contre la pauvreté, identifiable immédiatement avec sa cape et son béret. Député dans les années 50, pendant seize ans personnalité préférée des Français, il a même été en 1989 au cœur du film à succès Hiver 54, l’abbé Pierre.

Véronique Fayet, qui fut elle-même «chiffonnière d’Emmaüs» dans les années 70, se souvient : «On avait 18-20 ans, et c’est vrai qu’il nous fascinait, il avait une parole forte, qui nous faisait rêver d’une société juste, fraternelle, généreuse.» Elle n’a pas personnellement souvenir de scènes exaltées à son passage, telles que décrites dans certains ouvrages dès les années 60. Mais elle dépeint un personnage devenu peu à peu «intouchable», voire «quasi-saint de son vivant». «Pour une victime, porter plainte contre un saint, c’est impossible. Elle est quasiment sûre que ça va se retourner contre elle, parce qu’elle dit du mal d’une personne qui est quasiment béatifiée», explique-t-elle.

«Un sentiment de toute-puissance»

Le premier rapport du cabinet spécialisé Egae, en juillet, expose un tel témoignage : «J’ai l’habitude de me défendre. Mais là, c’était Dieu. Comment vous faites quand c’est Dieu qui vous fait ça ?» Dans son essai «Emmaüs et l’abbé Pierre» (2009), l’historienne au CNRS Axelle Brodiez-Dolino explique que le prêtre était «perçu à l’extérieur comme un leader charismatique» et «sans conteste en interne une icône et une figure tutélaire».

L’abbé avait lui-même évoqué en 2005 des expériences sexuelles dans son livre Mon Dieu… pourquoi ?. «Consacrer sa vie à Dieu n’enlève rien à la force du désir, et il m’est arrivé d’y céder de manière passagère», y écrivait-il. Un aveu au goût amer, rétrospectivement : ce qui passait alors pour une allusion au vœu de chasteté évoque immanquablement aujourd’hui des abus plus graves.

Mais le silence a prévalu. Ainsi «vous renforcez le sentiment de toute-puissance, puisque malgré des actes au minimum répréhensibles, pour prendre un euphémisme, il ne se passe absolument rien», souligne Véronique Margron. Exemple de cette «toute-puissance» : des courriers révélés par la cellule investigation de Radio France montrent un abbé Pierre menaçant dans des lettres ceux qui l’accusaient d’agressions sexuelles. Personne n’a alors parlé, «par peur du scandale», disait Axelle Brodiez-Dolino dans le Monde du 1er août. Elle résume ainsi le problème : «L’icône rendait davantage service sur son piédestal.»

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La Croix (Paris) am 19.9.2024LINK   https://www.la-croix.com/religion/affaire-abbe-pierre-ce-que-revelent-les-archives-de-l-eglise-de-france-20240919?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=NEWSLETTER__CRX_ESSENTIEL_SOIR_EDITO&utm_content=20240919

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Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Kann Lektüre heilen? Durch Bücher gesund werden?

Notizen zur Bibliotherapie und anderen Formen geistiger Therapien…

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Kürzlich diskutierten wir über das Buch von Fabio Stassi „Die Seele aller Zufälle“, erschienen in der Edition Converso; ein Buch, das sich mit Sinn und Unsinn der „Bibliotherapie“ unterhaltsam auseinandersetzt. LINK.
„Die Seele aller Zufälle“ steht übrigens auf der Hotlist 2024 der „Bücher aus unabhängigen Verlagen“.

Und es zeigen sich bei anderen Autoren immer wieder Hinweise auf Formen der “Bibiotherapie”, etwa bei dem bekannten tschechischen Autor Bohumil Hrabal (1914-1997), siehe Fußnote 1 unten.

2.
Diese Form der Buch – Lesen – Therapie gibt es wirklich, dies sei allen therapeutisch noch etwas Unkundigen gesagt. In Kanada, etwa in der Provinz Québec, ist die Bibliotherapie weit verbreitet und offenbar wirksam, auch therapeutisch akzeptiert, die Pariser Tageszeitung „La Croix“ berichtete am 12.3.2024 darüber. LINK.

3.
Grundsätzlich kann man zu der Überzeugung neigen: Eigentlich ist jede Lektüre von Romanen, Erzählungen, Poesie etc. immer auch Ausdruck einer Suche nach Therapie, elementar als Hilfe vermutet gegen Langeweile und Einsamkeit, dann aber auch explizit als Suche nach Orientierung und als Impuls zum Weiter – Denken und in die Weite denken. Diese allgemeine Erwartung „Lesen hilft mir auch therapeutisch“ ist meist umthematisch, unreflektiert.

4.
Was ist die Grundsituation einer Bibliotherapie? Der Therapeut ist ein guter Kenner vieler „großer (aber auch eher unbekannter) Werke“ der Literatur,. Er empfiehlt nach einem eingehenden Gespräch mit einem Patienten (Klienten?) ein bestimmtes, ihm bekanntes Buch zur privaten Lektüre. Die Leitlinie der Therapie heißt wohl: „Wenn Sie dieses Buch, diesen Roman, diese Novelle, dieses Drama, dieses Gedicht usw. lesen, gründlich und in Ruhe meditieren, kann sich ihre spezielle seelische Problematik, vielleicht ihr seelisches Leiden (Melancholie, Hemmung im Umgang mit anderen, Genusssucht usw.) nicht nur klären, sondern auch abmildern, vielleicht heilen … eben durch reflektiertes Nachdenken über den Text des Buches, über das Schicksal der Protagonisten, deren Hoffnung und Lebenssinn… Vielleicht wird dann der heilende Gedanke sozusagen irgendwann „geschenkt“, und vielleicht sieht man sieht klarer und hoffnungsvoller in die Welt und auf das eigene Leben.

5.
Jede Therapie lebt wohl von der Ungewissheit, ob Heilung des Patienten möglich ist. Aber es gibt wohl Unterschiede: In den Psychotherapien etwa begegnet der Patient immer wieder einem leibhaftigen Menschen, einem „Spezialisten“ für seelische Leiden, zu dem der Patient und mit dem er – manchmal sehr oft – sprechen kann.
In der Bibliotherapie ist der einzelne mit einem Text konfrontiert, der eben nur ein „Gesprächspartner“ im übertragenen Sinne sein kann. Der Patient wie jeder Leser bestimmt die Deutung, die Interpretation, in der Auseinandersetzung mit dem Text selbst. Es ist eines der Grundgesetze der Hermeneutik, der Verstehenslehre von Texten, dass immer der Lesende seine subjektiven Verstehensbedingungen, seinen geistigen Horizont, nicht nur „mitbringt“. Sondern oft wird der Text einseitig, allzu subjektiv, förmlich überwältigt und fehl interpretiert. Allzu subjektive Deutungen können und sollten im Laufe der Lektüre korrigiert werden, erst dann kann von einem Verstehen die Rede sein. Bibliotherapie ist aufgrund dieser Stellung: „der einzelne Leser und sein Buch“, also auch ein anspruchsvolles, aber oft auch ein scheiterndes Unternehmen.

6.
Die Bibliotherapie aber erinnert an die Vielfalt reflektierender, geistiger Therapien: Über „Philosophie als Therapie“ haben Damian Peikert und Sam Adhar Ball ein Buch im angesehenen philosophischen Karl Alber Verlag (Freiburg) publiziert und dabei mit gutem Grund an die Überzeugung antiker Philosophen erinnert: Philosophie sei ursprünglich als Hilfe zum Leben und im Leben zu verstehen, ein Thema, das der Pariser Philosoph Pierre Hadot in den Mittelpunkt seiner Studien stellte. LINK. Über die Beziehung zwischen der therapeutischen Praxis etwa in der Stoa oder bei Epikur und der modernen Logo – Therapie (Viktor E. Frankl 1905-1997) wäre ebenfalls weiter nachzudenken.

7.
Von den verschiedenen Formen der Musiktherapie wäre zu sprechen. Musiktherapie im weiten Sinne, also Musik (und Singen ) ALS Therapie, bezieht sich nicht nur auf die seelische „Stärkung“ der einzelnen. Musik ALS Therapie, verstanden als Einheit von Sängern/Musikern und teilnehmenden Zuhörern, die in den Stadien auch Mitsingende waren, hat immer einen politischen Charakter: Eintreten für die Demokratie, „gegen die Konsumgesellschaft, gegen die apolitische Zerstreuung, den American Way of life…Die Musik schuf politische Identifikationen“, so Antonis Liakos in „Lettre International Nr 145, S. 21, Sommer 2024). Diese (!) Musik stärkt die einzelnen, gibt neuen Lebenssinn: Der Autor erinnert u.a. an Mikis Theodorakis, Ioannis Makropoulos, Christos Leonies und andere…“ Antonis Liakos schreibt: „Diese Konzerte, zu denen Menschenmassen strömten, waren selbst politische Ereignisse, Quellen eines aufrührerischen Geistes und eines grenzenloses Optimismus“ (ebd.).
Zu sprechen wäre auch von der Kunst-Therapie, d.h. auch der Mal – Therapie oder der Arbeit mit Collagen, die direkt in guten Kliniken (etwa speziell bei Krebskranken) schon eingesetzt wird.

8.
Noch einmal zur Bibliotherapie:
Johann Wolfgang von Goethe hat sehr persönlich gesprochen, als er von seinen melancholischen und depressiven Phasen in jungen Jahren berichtete: Aus der tiefen Krise (Suizid-Gedanken) konnte er sich nur befreien, wie er gesteht, als er weiter seine Texte verfasste: Literarisches Schreiben als Therapie also, dies ist sicher eine Praxis, die nicht nur hochbegabten Autoren wie Goethe vorbehalten ist. Anja Höfer schreibt in ihrem Essay über Goethes Kunstanschauung (in „Philosophie der Freude“, Leipzig 2003, S. 131).“ Goethe schildert, wie seine poetische Produktion einen inneren Heilungsprozess einleitet, in dem der Dichter sein eigenes Leiden in ästhetischer Form objektiviert und das Leiden so zugleich überwindet. Das Ergebnis dieses Prozesses bezeichnet Goethe nicht zufällig mit dem Wort Heiterkeit“. Und auf Seite 132 heißt es: „Für Goethe wird die dichterische Produktion zum probaten Mittel, um sich selbst immer wieder die rettende Heiterkeit abzunötigen… er spricht vom poetischen Talent mit seinen Heilkräften.“

9.
Inmitten des alltäglichen Lebens können und sollten also Formen geistiger Therapie entdeckt werden, wobei zur Überraschung wohl erkannt wird: Hilfen zur Gesundung durch bestimmte Formen geistiger/geistvoller Praxis stehen uns eigentlich immer in der genannten Vielfalt zur Verfügung. Leider kann man den Gottesdiensten der christlichen Kirchen diesen heilsamen Charakter eher selten zusprechen, sie sind meist Routine und das Dahersagen von frommen Stereotypen und alten, veralteten dogmatischen Sprüchen…

10.
Und selbst der größte Skeptiker wird erkennen: Er kann sich zu seiner eigenen skeptischen Lebenshaltung noch einmal selbst skeptisch verhalten, in der Kraft des reflektierenden Geistes eben: Inmitten dieser Skepsis-skeptischen Haltung wird der Skepsis sozusagen ihre Allmacht genommen. Es bleibt der Geist, dies ist auch die Vernunft, die Fixierungen und Ideologien durchschaut und überwindet… und – etwas metaphysisch gesagt – in die Weite des Geistes führt.

Fußnote 1: In dem Buch “Allzu laute Einsamkeit” des großen Schriftstellers Bohumil Hrabal ist auch ein Gespräch mit Peter Sacher publiziert, darin äußert sich Hrabal über seine Lektüre des Tao Te-king von Laotse. Hrabal berichtet, einige der Sätze des Tao te king auswendig gelernt zu haben: “Ich kann einen ganzen Tag lang von einem solchen Satz leben…, dergestalt, dass ich den Eindruck habe, erlöst zu sein… Das alles geschieht in der Stille, in einer sprühenden Stille, in dieser auflebenden Einsamkeit, in der ich mit allen lebenden und toten Freunden sprechen kann..” (S. 149). Das Buch ist in der Deutschen Verlgasanstalt 2003 erschienen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Philosophische Aufklärung erfolgreich: Auf dem Lande … für die Bauern!

Beobachtungen in Reckahn bei Brandenburg/Havel

Ein Hinweis von Christian Modehn am 15.7.2024

1.
Kaum zu glauben: Es gab wirklich einen wohlhabenden Gutsbesitzer im Lande Brandenburg im 18. Jahrhundert, der nicht nur umfassend gebildet und dabei alles andere als reaktionär war. Mit der Philosophie der Aufklärung war er kenntnisreich eng verbunden, er kannte u.a. die Werke des Philosophen Immanuel Kant: Und er war kein bloßer Theoretiker oder gar Schätzer: Er dachte nicht zuerst an die Vermehrung seiner Güter, sondern förderte mit Geist und Tat die Bildung der armen Landbewohner in seiner Umgebung: Sein Name: Friedrich Eberhard von Rochow (1734 – 1805), seine Frau Christiane Louise (1734 – 1808) unterstützte die Reform-Projekte. Eigentlich ein weithin unbekannter Vertreter der Aufklärung. Diese Unkenntnis muss überwunden werden.
Es ging dem Ehepaar von Rochow um die Realisierung grundlegend neuer Konzeptionen der Volksaufklärung.
Für seine Projekte setzte von Rochow sein Vermögen ein! Reaktionäre Kreise aus seinem Stand kritisierten sein Engagement, sie behaupteten, Volksbildung führe die Menschen zur Aufruhr gegen die Obrigkeiten. Der Aufklärer und Pädagoge ließ sich von diesen Leuten nicht beeindrucken. Er hatte einen großen Freundeskreis um sich gesammelt, zumal von Rochow auch als (protestantischer) Domherr zu Halberstadt mit vielen „Philanthropen“, gebildeten Literaten, Künstlern, Philosophen zusammenkam.

2. Hinweis auf einige Grundsätze von Rochows:
„Wer hat mich berufen, mich zum Lehrer des Landvolkes aufzuwerfen? Meine kurze Antwort: Ich lebe unter Landleuten. Mich jammerte des Volkes. (S. 179, die Seitenzahlen beziehen sich auf das unten genannte Buch „Vernunft fürs Volk“)
„Die Menschheit liegt an heilbaren Übeln krank“(ebd. )…
„Da alle Menschenseelen aus EINEM Stoffe sind, so haben auch alle Stände gleichen Anteil an verhältnismäßiger Vervollkommnung“ (S. 140).

3.
Man kann die Leistungen von Rochows studieren, vor allem auch die Werte seines Wirkens besuchen und besichtigen: Vor allem die Volksschule im Ort Reckahn, daneben steht die barocke Kirche, in der damals progressive, aufgeklärte Prediger wirkten.
Die Volksschule wurde von dem Lehrer Heinrich Julius Bruns geleitet. Das Prinzip: In der Erziehung und Bildung sind sehr viel wichtiger als die üblichen Tadel und Strafen eben Lob, Freundlichkeit und Respekt.
Bildung fördert das Selberdenken, fördert die Weltkenntnis, das bessere praktische Leben im Alltag der Dörfer. Und: Jungen und Mädchen wurden in der Volksschule zu Reckahn gemeinsam unterrichtet. Das „Journal für Prediger“, wichtige Zeitschrift für Pfarrer im Sinne der Aufklärung, lobte diese Schule als „erste aller Volksschulen in Deutschland“ (S. 180).

4.
Die Kinder sollen zu reifen, selbstdenkenden, tugendhaften Menschen gebildet werden. Aber für von Rochow ist entscheidend: „ Der Mensch lebt nicht etwa deswegen tugendhaft, um Gottes Ehre zu befördern. Dieses Gottes Ehre befördern ist ein Nonsens. Moral hat nie den Zweck, Gottes Ehre zu befördern“ (S. 47). Der Mensch wird tugendhaft durch seine eigene Vernunft, ein Gedanke, der auch für Immanuel Kant wichtig wurde. „Rochow hat sich zweifelsohne mit Kant eingehend beschäftigt“, schreibt Gerhard Springer in dem genannten Buch „Vernunft fürs Volk“, Seite 51.

5.
Friedrich Eberhard von Rochow ist auch als Autor sehr weit verbreiteter Lesebücher mit hoher Auflage für Kinder und die Landbewohner bekannt geworden. Vor allem das „Lesebuch“ mit dem Titel „Der Kinderfreund“ erschien in vielen Auflagen und es wurde international verbreitet, dabei kann sein Engagement für die „Märkische Ökonomische Gesellschaft zu Potsdam“ hier nur erwähnt werden, deutlich ist, wie umfassend der aufgeklärte Denker von Rochow praktisch tätig war

6.
Ein VORSCHLAG:
Die vorbildliche Schule in Reckahn als Museum zu besichtigen und das Schloss (sowie der Park!) mit dem angrenzenden Gästehaus (!) sollte Ziel eines „philosophischen Ausflugs“ sein, zumal die interessante Stadt Brandenburg an der Havel nur wenige Kilometer entfernt ist. Und auch Kloster Lehnin (einst Zisterzienser -Kloster) ist in der Nähe.

Zu den Öffnungszeiten der Gebäude in Reckahn (leider ist die Barockkirche, wie so oft im Landes Brandenburg, meistens verschlossen) informiere man sich über das Internet, auch wegen der aktuellen Veranstaltungen! Im Schloss (- Museum) ist Samstags und Sonntags ein kleines Café geöffnet. www.reckahner-museen.de
www.gaestehaus-reckahn.de

Und genauso wichtig: Im Schloss können etliche Bücher und Studien über den Aufklärer Friedrich Eberhard von Rochow und seine Schule erworben werden. Wir empfehlen den Sammelband „Vernunft fürs Volk“, hg. von Hanno Schmitt und Frank Tosch, Henschel-Verlag 2001, 256 Seiten, viele Abbildungen, im Schloß für 7,50 € zu haben!
Die Adresse: Rochow – Museum und Gästehaus, Reckahner Dorfstr. 27, 14797 Kloster Lehnin, Ortsteil Reckahn. Tel. 033835/ 60672.
Das Schulmuseum: Tel. 033835/ 608870

Nach wie vor anregend für Ausflüge und kleine „Studienfahrten“ in die Mark Brandenburg ist das glänzend geschriebene Buch von Joachim Berger, „Mark Brandenburg. Freiheitlich und rebellisch. Ein Lese-Wander-Buch“ zu den Regionen Süd und West von Brandenburg. Das Buch ist zwar schon 1992 im Goebel – Verlag erschienen, aber wegen der vielen historischen Hinweise alles andere als „veraltet“. Das empfehlenswerte Buch ist antiquarisch noch zu erwerben. Zu Reckahn hat Joachim Berger selbstverständlich auch einen kleinen Essay geschrieben, S. 241-243 und wie in allen Kapiteln auch Fotos und Bilder publiziert.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Mit welchen Religionen kann ein Philosoph noch einen vernünftigen Dialog führen? Fragen an Jürgen Habermas.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 7.7.2024

1.
Im Jahr 2013 äußerte sich Jürgen Habermas erneut (zum letzten Mal in der Öffentlichkeit??) zum Thema „Politik und Religion“ (in dem Sammelband „Politik und Religion“, Hg. von F.W. Graf und H. Meier, C.H.Beck Verlag, 2013, dort S 287 ff.) Das Thema ist seit 2001 für Habermas wichtig.

2.
Wie zuvor tritt Habermas für die Bereitschaft der säkularen Philosophie ein, im Dialog mit den Religionen von den Religionen zu lernen. Dies aber nicht als „philosophisches Hobby“ einiger Spezialisten, sondern weil der Dialog den Transzendenz-Verlust der nachmetaphysischen Welt eventuell einschränken kann…

3.
Auf S. 299 – 300 erläutert Habermas noch einmal die Dringlichkeit des Themas:
Ausgangspunkt sind für ihn die „Mängel des „nachmetaphysischen Denkens“; aber diese „Mängel“ können sich „ausgleichen lassen“ durch die von Habermas oft schon geforderte „Versprachlichung des Sakralen“, es geht also um das Übersetzen religiöser Weisheiten in eine allgemein zugängliche vernünftige Sprache.

4.
Dieses Projekt ist dringend: Habermas spricht von dem „sich zum Universum abschließenden und versiegelnden Kapitalismus, der die Politik entwaffnet und die Kultur einebnet“.

Und angesichts dieser düsteren Situation der Lebensverhältnisse im Kapitalismus ist Habermas von „der Frage beunruhigt”, ob die philosophische Vernunft heute noch die Kraft findet, den eigenen „Defätismus“ (so Habermas wörtlich) zu überwinden.
Die Frage also ist: Hat der „in der Philosophie selbst brütende Defätismus der Vernunft“ die „Kraft zu einer Transzendenz“, so wörtlich, (also einer Transzendenz des Geistes, der Vernunft) „von innen vollends aufgezehrt“? Ist die „Spannkraft eines über den jeweiligen Status Quo hinauseilenden normativen Bewusstseins zermürbt“?

5.
Als Habermas diese Frage 2013 erörterte, gab es schon heftig den gewalttätigen, militanten religiösen Fundamentalismus in allen Religionen. Heute (2024) hat sich dieser religiöse Fundamentalismus weiter ausgebreitet und verschärft. Und manche Beobachter meinen zurecht, es gibt eigentlich kaum noch christliche dogmen-kritische, demokratisch organisierte, nicht – fundamentalistische sich christlich nennende Kirchen. (Bei den Orthodoxen ist die Situation noch düsterer, sie Patriarch Kyrill in Moskau).
Der römische Katholizismus kann sich diesem kleinen Kreis vernünftigen christlichen Glaubens leider nicht zugehörig fühlen, trotz aller ein bißchen progressiv wirkenden Aussagen von Papst Franziskus ! Der römische Katholizismus ist so stur, dass er sich bis heute gern stolz „nicht – demokratisch“ definiert. Wenn die „heilige Kirche“ schon nicht demokratisch ist, warum sollen es dann Staat und Gesellschaft sein, fragen sich viele katholische Lateinamerikaner z.B. und lieben dann halt die autoritären Regime seit altersher.
Und auch das weite Feld dessen, was sich protestantisch nennt, ist schon von Fundamentalisten beherrscht, man denke an die USA und die Herrn Trump förmlich anbetenden Massen der Evangelikalen.

6.
Also: Mit welchen Religionen hat die postsäkulare Philosoph überhaupt noch ernsthaft lernbereite Dialoge führen? Der Kreis der wirklich zu einem vernunftbestimmten Dialog innerhalb der Religionen ist heute (2024) minimal.

7.
Es wird natürlich immer Dialoge der höchsten Religionsvertreter geben, da werden gern fromme Sprüche ausgetauscht, aber unklar bleibt, welcher Maßstab denn ein mögliches gemeinsames inter -religiöses Friedensengagement bestimmt. Dies kann dich nicht ein bestimmter religiöser, kein konfessioneller Maßstab sein!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin