Eine rassistische Flüchtlingspolitik überwinden. Zum Welttag der Flüchtlinge

 

Eine rassistische Flüchtingspolitik der deutschen Bundesregierung überwinden.

Der “Religionsphilosophische Salon Berlin” versteht Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie immer auch als Kritik bestehender Religionen, Weltanschauungen und ideologisch/politischer Überzeugungen. Das sich angstvolle Einkapseln Europas in eine Welt der Reichen gegen eine Welt der Armen und Entrechteten hat durchaus Charakteristika einer Glaubensoption, einer Ideologie, eines Götzen, zu dem es angeblich keine Alternative geben soll, wie die hieisigen herrschenden PolitikerInnen gern behaupten.

Heute, am Welttag der Flüchtlinge, weisen wir darauf hin, wie die Bundesregierung, zu der  zwei sich christlich nennende Parteien gehören  sowie eine Partei, die das Wort sozial im Titel führt,  eher rassistisch anmutende Positionen vertritt.

Wir publizieren gern eine Stellungnahme der international hoch angesehenen Organisation „Jesuiten – Flüchtlingsdienst“ (JRS).

Am Montag, den 23. Juni 2014, wird im Bundestag mit Fachleuten die Absicht diskutiert, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Etwa 20.000 Asylsuchende kamen 2013 aus diesen Ländern. „Müssen wir dafür Grundrechte beschneiden?“, kristiert der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, Pater Frido Pflüger SJ. In Verbindung mit einem weiteren Gesetzesvorhaben erhalten diese Pläne zusätzliche Brisanz zu Lasten von Schutzsuchenden.

Asylanträge aus „sicheren Herkunftsländern“ können als „offensichtlich unbegründet“ noch schneller abgelehnt werden. Für Asylsuchende wird es dadurch schwieriger, ihren Schutzanspruch zu beweisen. Von der scharfen Kritik zahlreicher Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen zeigt sich die Regierungskoalition bisher unbeirrt.  „Das deutsche Asylrecht beruht auf der Erfahrung: Menschen, die in ihrer Heimat rassistischer Verfolgung ausgesetzt sind, brauchen internationalen Schutz“, so Pater Pflüger SJ. „Obwohl alle genau wissen, dass viele Roma schwerer rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, werden sie bei uns als ‚Armutsflüchtlinge‘ verleumdet. Mich beunruhigt es, wenn die Anerkennungsquote von Asylanträgen aus diesen Ländern gegen Null geht, während sich die Berichte über Gewalttaten und lebensgefährliche Ausgrenzung dort häufen.“

Zusätzliche Brisanz erhält das am Montag diskutierte Vorhaben durch einen zweiten Entwurf, der dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst und anderen Verbänden zur Stellungnahme vorliegt. Wessen Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird – was für „sichere Herkunftsländer“ automatisch der Fall wäre –, soll per Gesetz als Sozialbetrüger gelten und mit einem Aufenthalts- und Wiedereinreiseverbot belegt werden. Das dürfte nicht nur schwerwiegende Folgen für die direkt Betroffenen haben. „Damit würden gängige feindselige Vorurteile gegenüber Asylsuchenden und Roma per Gesetz verfestigt. Auch unter diesem Aspekt sind die Pläne verantwortungslos“, urteilt Pater Pflüger SJ.

Schon jetzt stellt Serbien Roma unter Strafe, die im Ausland Asyl suchen. Wenn die Bundesregierung ihre Pläne verwirklicht, würden Serbien und Deutschland das Menschenrecht in die Zange nehmen, das eigene Land zu verlassen, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. „Ich hoffe, dass die Abgeordneten der Regierungskoalition diese beiden unseligen Vorhaben letztlich ablehnen“, so Pater Pflüger.

Zur Vertiefung: JRS-Stellungnahme vom 14.4.2014 zum Gesetzesvorhaben: http://tinyurl.com/l38qzfn Gemeinsamer Appell für die Rechte von Roma-Flüchtlingen vom 30.4.14: http://tinyurl.com/n3nap9l

Zwei wichtige Hinweise:

Der Jesuit Refugee Service (Jesuiten-Flüchtlingsdienst, JRS) wurde 1980 angesichts der Not vietnamesischer Boat People gegründet und ist heute als internationale Hilfsorganisation in mehr als 50 Ländern tätig. In Deutschland setzt sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für Abschiebungsgefangene ein, für geduldete Flüchtlinge und für Menschen ohne Aufenthaltsstatus („Papierlose“). Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Seelsorge, Rechtshilfe und politische Fürsprache.

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Jesuit Refugee Service Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland ist ein Werk der Deutschen Provinz der Jesuiten K.d.ö.R. Dr. Dorothee Haßkamp Öffentlichkeitsarbeit Witzlebenstr. 30a, D-14057 Berlin Spendenkonto: 6000 401 020 Pax-Bank Berlin BLZ 370 601 93 Telefon (030) 3260-2590 Telefax (030) 3260-2592 E-Mail dorothee.hasskamp@jesuiten-fluechtlingsdienst.de Internet www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de

Christian Modehn für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin

Fromme Millionäre, radikale Priester: Ein Hinweis auf die Vielfalt der Religionen in Brasilien

Fromme Millionäre, radikale Priester

Ein Hinweis auf die Vielfalt der Religionen in Brasilien

Von Christian Modehn

Anlässlich der Fußball WM in Brasilien interessiert sich der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ naturgemäß für Philosophien und Religionen (und für das Spielen als Spielen) in Brasilien; zur Philosophie in Brasilien heute mit einem aktuellen Hinweis auf die Befreiungsphilosophie in Brasilien und zur Philosophie des Spielens haben wir schon Hinweise und Anregungen publiziert.

Wir wundern uns, dass unseres Wissens kein Buch aktuell erschienen ist (in deutscher Sprache) zu dem überaus spannenden Thema Religionen in Brasilien. Wir haben früher auf dieser website auf die Camdomble Religion mit ihrem beachtlichen Kulturzentrum in Berlin hingewiesen (klicken Sie hier) und auf den durchaus weltbekannten Erzbischof Dom Helder Camara, Recife, (klicken Sie hier), der als der große Bischof der Armen, als Aktivist für Menschenrechte und Demokratie und selbstverständlich für eine offene römische Kirche von Papst Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger letztlich kaltgestellt wurde; sein befreiungstheologisches – pastorales Werk in Recife wurde de facto auf Befehl der Herren in Rom vernichtet. Jetzt klagen die Bischöfe über den Vertrauensschwund, den der römisch-katholische Glaube auch in Brasilien durchmacht… Aber das nur am Rande.

Es gibt also keine aktuellen kritischen Studien über die Religionen in Brasilien. Druckerzeugnisse über Brasilien von „kirchlichen Hilfswerken“ sind naturgemäß eher Werbebroschüren…

Wer sich für Protestgruppen in Brasilien gegen das ganze Ausmaß von Verschwendung und Korruption der FIFA interessiert, gegen die sinnlose Bauwut und die Repression der Polizei usw… sollte sich mit der Protestbewegung “Comite Popular da Copa” befassen. “Das Comite repräsentiert soziale Bewegungen, Favelabewohner, Studenten, Professoren usw.”, berichtet Pedro Costa, Rio,  in einem Interview mit Philipp Lichterbeck in “Der Tagesspiegel” vom 10. Juni 2014, Seite 2. “Es geht uns um Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat. Alle drei wurden im Namen der WM in Brasilien schwer verletzt, unser Dossier dazu umfasst 170 Seiten”. Wer Portugieisch lesen kann, sollte diese website dieser Basisbewegung studieren:

http://www.portalpopulardacopa.org.br/

Erste kritische Hinweise zum Thema Kirchen in Brasilien bietet das sehr lesenswerte Buch „Brasilien. Ein Länderporträt“ von Jens Glüsing, das im Ch. Links Verlag 2013 erschienen ist. Wir empfehlen das Buch insgesamt.

Es bietet interessante Reportagen zum Thema, etwa in dem Kapitel „Brennende Wälder und streitbare Priester“ vor allem über den schon  weltweit bekannten katholischen Bischof Erwin Kräutler in der Stadt Altamira am Rio Xingu. Kräutler und einige Pfarrer und Nonnen sind entschiedene Verteidiger nicht nur der Rechte der indigenen Völker; sie klagen Brasiliens und die mit ihnen verbandelten europäischen und us-amerikanischen Kapitalisten an und die mit ihnen kooperierenden Regierungen Brasiliens, den Regenwald zu verschachern und damit auch ökologische Katstrophen großen Ausmaßes zu befördern.  „Holzhändler und Rinderzüchter machen sich die Abwesenheit des Staates hier zunutze. Sie teilen die Waldgebiete in Parzellen auf, fälschen Eintragungen ins Grundbuch und vertreiben die Kleinbauern dort mit Waffengewalt… Von der Regierung ist keine Hilfe zu erwarten…“ (. 112 f).  Hilfe kommt für die Armen (und für den Regenwald) von dem mutigen Priestern und Nonnen, eben auch von Bischof Kräutler, der wegen seines Engagements mehrfach Attentaten der Verbrecherbanden ausgesetzt war;  jetzt kann er sich nur noch mit Body-Guards auf die Straße wagen. Bischof Kräutler ist einer der letzten entschiedenen Bischöfe für die Befreiungstheologie. Man hat nicht den Eindruck, dass vom Papst Franziskus bis zu allen Bischöfen Brasiliens laut und vernehmlich gesagt wird: „Bischof Kräutler, wir unterstützen dich mit ganzem Herzen und mit allen politischen Konsequenzen; dein Kampf ist unser Kampf“.

Inzwischen ist der junge brasilianische Klerus weitgehend und mehr an klerikalen Aufgaben in gut betuchten Stellungen interessiert als am politischen Dienst an den Armen: „Heute achten die kirchlichen Ausbilder vor allem darauf, dass die Nachwuchspriester schön das Halleluja singen“, klagt Padre Amaro de Souza, ein Mitstreiter der ermordeten Nonne Dorothy Stang, auch sie hat die Rechte der Armen dort verteidigt. (s.S. 119). Aber lesen sie selbst in dem empfehlenswerten Buch…Die Nonne Dorothy Stang, 78 Jahre alt, wurde von Auftragskillern der Rinderzüchter umgelegt, sie hatte die vertriebenen Kleinbauern verteidigt. “Der Mörder lauerte ihr im Urwald auf, sie las ihm noch ein Gleichnis aus der Bibel vor, bevor er sie in den Hinterkopf schoss. Bischof Kräutler predigte auf ihrer Beerdigung” (so Jens Glüsing, Seite 117).

Ein anderes Kapitel verdient genau so viel Aufmerksamkeit. Es ist überschrieben „Von Göttern, Entertainern und Wunderheilern. Brasiliens Supermarkt der Religionen“, auf den Seiten 145 bis 160.  Darin breitet Jens Glüsing das Spektrum der so genannten Pfingstkirchen aus, berichtet von jenen Pastoren, die glauben, vom heiligen Geist berufen zu sein, glanzvolle Kirchen zu bauen und den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. In einer gründlichen Recherche zeigt Glüsing, wie die Pfingstgemeinden schnell Millionen Mitglieder gewinnen, weil der Katholizismus einfach zu klerikal ist und keinen „direkten Zugang zu Gott“ bietet, „während im Katholizismus der Glaube über den Pfarrer vermittelt wird“ (S. 149).  Glüsing zeigt den Konkurrenzkampf dieser verschiedenen Pfingstkirchen auf, er nennt etwa Pastor Silas Malafaia, der ein „Imperium von 120 Gotteshäusern leitet, in einem Vorort von Rio baut er gerade eine neue Halle für 10.000 Leute“ (S. 150). „Sein Kirchenimperium leitet Malafaia von einem riesigen Neubaukomplex im Westen Rios. Es geht zu wie in einem multinationalen  Unternehmen, die Zufahrt wird von einem privaten Sicherheitsdienst kontrolliert usw…“ ( s. 151). Veranstaltet wird auch der „Marsch für Jesus“ mit einer halben Million Teilnehmern in Sao Paulo, propagiert wird dort die Heilung von der Homosexualität. Im Kongress setzen sich die frommen geldgierigen Pfingstler – Politiker gegen jegliche Abtreibung ein, sie wollen liberale Gesetze kippen… Das Fazit von Jens Glüsing: “Kirchen sind ein lukratives Geschäft“ (S. 152). Hingegen: „Zahlreiche Gangsterbosse und Auftragskiller sind zu Predigern geworden. Pfingstkirchen und Kokainmafia leben in Rios Favelas oft in Symbiose“, schreibt Jens Glüsing (S. 153).

Das Buch “Brasilien. Ein Länderporträt” (Ch. Links Verlag Berlin) weckt das Interesse, mehr Informationen über Religionen in Brasilien zu erhalten, etwa über den dort sehr starken Spiritismus, über die stetig wachsende Zahl (junger) Menschen dort, die sich Atheisten nennen, die Basisgemeinden, den Islam dort oder den Buddhismus usw. Interessant ist, dass offenbar theologische – liberale Kirchen dort äußerst schwach vertreten sind. Sie könnten aber zeigen, dass zur Religiosität bzw. Spiritualität immer auch das kritische, auch das religionskritische Bewusstsein gehört.

Copyright: Christian Modehn Berlin, RPS.

Gott um Gottes willen lassen: Zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon über Meister Eckart Salon am 30.5.2014

Gott um Gottes willen lassen: Hinweise zu Meister Eckart (1260 bis 1328)  anlässlich des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons am 30.5. 2014

Von Christian Modehn

Der Anspruch des Philosophen (und Mystikers) Meister Eckart ist radikal; auch heute, in einer von religiösen Institutionen geprägten Szene, die noch oft Formen der Herrschaft über den einzelnen religiösen Menschen ausüben. Meister Eckart, der Priester im Dominikanerorden, der hoch gebildete Philosoph und Theologe, zeigt mit Argumenten: Jeder Mensch ist mit dem Göttlichen und dem Ewigen bereits „von aller Ewigkeit her“ verbunden, er ist mit dem Göttlichen eins; der Mensch muss nur diese göttliche Dimension in sich zulassen, freilegen und im Alltag leben. Dies ist der „einzige, der zentrale Gedanke“ Meister Eckarts, dem alle seine Energie als Lehrer und Prediger gilt. Grundlage dafür mag seine persönliche intensive Gottes-Erfahrung sein, die manche mystische Erfahrung nennen. Andererseits ist das Argument bei Eckart so stark und der Hinweis darauf, dass das Göttliche Vernunft, Geist, ist, so deutlich: Dass die Göttlichkeit des Menschen, jedes Menschen, eben doch selbst auch Denken, Vernunft, ist. Warum soll es denn keine „Erfahrung des Denkens“ geben, die den Menschen tief prägt? Eckart erinnert zurecht daran: Was nützt es einem Menschen, der de facto König ist, aber nicht weiß, dass er König ist? Erst das Wissen von sich selbst verändert die “Lebenseinstellung”.

Dies ist die einfache und immer wieder ausgearbeitete Überzeugung Eckarts: Der einzelne und alles in der Welt ist mit Gott verbunden, ist mit Gott eins. Dies ist das Zentrum von Eckarts Theologie der “Schöpfung”!  Im Wesen eines jeden Menschen ist ein göttlicher „Kern“ bereits anwesend. Eckart spricht auch von Seelenfunken“. „Da liegt die Gottförmigkeit des Menschen“ (Quint).

Dieser göttliche, ewige „Kern“ kann durch das reflektierte Handeln der Menschen wirksam werden. Schritte dahin geschehen im Alltag des Menschen: Loslassen von irdischen Bindungen, von Haben, wie Erich Fromm in „Haben oder Sein“ sagt, zugunsten einer Haltung, die das Sein respektiert. „Dieser Funke will nichts als Gott“ (Quint). Er kann zum „Erglühen“ gebracht werden, also wirken, indem er den Menschen die Distanz lehrt zu aller Verklammerung ans bloß Irdische. Der Mensch lässt nicht nur das absolute, krampfhafte und krankhafte Gebundenheit an die Dinge; er wird also im Loslassen frei. Eckart nennt das „arm“, er wird leer von den Dingen, und gewinnt so die Weite des Denkens und Lebens wieder. Er wird eigentlich erst im wesentlichen Sinne lebendig.

Dieser Gedanke Eckarts ist alles andere als “bloß” philosophische Spekulation: Er hat enorme Auswirkungen für den Menschen etwa angesichts der Todesverfallenheit. Anders gesagt: Wer selbst Ewiges und Göttliches in sich „hat“, ist allem Fluss der Zeit enthoben, d.h. er ist ewig. Der Tod ist dann nicht mehr das Fallen in ein tiefes dunkles „Loch“ , ist kein „Schluss, Ende, Aus“.  Eckart hat also die Auferstehungsdimension des Glaubens gedanklich gestaltet und plausibel erklärt. Dadurch dass der Mensch immer schon mit Gott eins ist, ist er als Mensch immer schon auferstanden.

Dadurch erhält das Leben hier in dieser Welt ein anderes Licht. Man macht sich vielleicht keine Vorstellungen von der radikalen, die Wurzeln des Christentums berührenden Erkenntnis Eckarts: Wenn Gott in jedem Leben bereits lebt, seit Anbeginn, in aller Ewigkeit schon, wird die Institution, die Kirche, sehr relativ, und nicht mehr so wichtig. Das hat ja auch damals schon die Bischöfe und Päpste so aufgebracht an der Überzeugung Eckarts;  das führte schließlich zum Ketzerprozeß in Avignon. Hingegen kann im Sinne Eckarts die Gemeinschaft der Denkenden und auf diese Weise Glaubenden als (Gesprächs)-Gemeinschaft wichtig bleiben und hilfreich sein.

Noch einmal: Jesus Christus ist für Eckart nicht der einzige Sohn Gottes. An seinem (historischen) Leben entdecken wir nur, dass alle Menschen Töchter und Söhne Gottes sind, d.h. selbst in Gottes Leben gehören. (Nebenbei: Hier wären Verbindungen zu ziehen zur Christologie Karl Rahners und zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie Hegels)

Der Mensch ist also Gott gegenüber kein Knecht, er gehört zu Gott. Von daher ist auch für Meister Eckart auch das Bittgebet eher sinnlos: Wer selbst zu Gott gehört, braucht nicht Gott noch etwas zu bitten. Er ist sozusagen immer „bestens aufgehoben“. Wer Bittgebete noch spontan spricht, bittet dann sozusagen, zu sich selbst, er bittet sich selbst, bei Vernunft zu bleiben und an dieser Dimension der Gottverbundenheit doch festzuhalten.

Es gibt also die alltägliche Lebenswelt, in  der der einzelne noch nicht auf seine göttliche Dimension achtet und sich dann auch nach Menschenart seinen Gott schafft. In dieser Welt bildet der Mensch sich sein Bild von Gott, das auch in religiösen Texten bezeugt wird. Dieses Bild ist eben begrentes Bild, das es zu lassen, loszulassen,aufzugeben, gilt. Gott um Gottes willen lassen, heißt die entscheidende Aufgabe. Ich schiebe meinen (irdischen) Gott beiseite, weg, fort… zugunsten des wahren Gottes, der “Gottheit”, wie Eckart sagt.

Dieser Gott im weltlichen Leben muss als relativer dann auch losgelassen, aufgeben werden. Die Menschen müssen dieses Gottes quitt sein, ledig sein, wie Eckart immer wieder sagt, zumal in der deutschen Predigt “beati pauperes”. . Man könnte durchaus von einer gewissen Gottlosigkeit sprechen. In jedem Fall ist der wahre göttliche Kern so stark im Menschen, dass er dem Menschen sozusagen hilft, die geschaffenen Gottesbilder fortzulassen, wegzuschieben usw. Mit sehr eindringlichen Worten beschreibt Eckart diesen Prozess. Ich muss alles hinauswerfen, was selbstisch ist in mir, sagt Eckart; auch meine Gottesbilder sind noch viel zu selbstisch, viel zu eng, viel zu oberflächlich. Sie können zu Götzen werden, die mein Dasein gerade nicht in die Freiheit führen!  Es ist hier die weiter zu diskutierende Frage, ob diese Gottesbilder selbst noch der biblischen Tradition, der kirchlichen Lehre angehören. Wir haben den Eindruck, dass selbst die kirchlich propagierten Gottesbilder noch wegzulassen und aufzugeben sind im Sinne Eckarts. So radikal war er ja, dass er, mit Tillich gesprochen, den Gott ÜBER Gott, eben die Gottheit andachte.

Diese Befreiung von Gott ist von unglaublicher Radikalität. Sie klingt also durchaus nach einem christlichen Atheismus; das ist dies auch in gewissem Sinne. Eckart weist aber weiter, er weist den Weg von diesem verabschiedeten Gott hin zur Gottheit. Nietzsche spricht von dem durch Menschenhand getöteten Gott. Aber Nietzsche weist nicht mehr den Weg zur Gottheit, sondern zum Übermenschen und der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen….

Wer seinen Gott im Sinne Eckarts gelassen und aufgegeben hat, ist ARM. Es ist bezeichnend, dass der Dominikanermönch Meister Eckart das Ordensgelübde der Armut nicht in materieller Bescheidenheit sieht, nicht im materiellen Verzicht, sondern sozusagen in einem Aufgeben des irdischen Gottesbildeszugunsten des wahren Gottes, mit dem der Mensch “immer schon” als Sohn/Tochter eins ist und verbunden ist. Wir haben den Eindruck: Sehr viele Bibelstellen, sehr viele kirchliche Lehren, deutet Eckart im Licht seiner Überzeigung: dem wahren Gott, der “Gottheit”, nachzustreben…

Wird der “irdische Gott” gelassen, losgelassen, fortgeschobem wie auch immer, dann ereignet sich für Eckart die „Geburt“ des Logos, des Gottessohnes in mir. Eckart spricht auch von dem entscheidenden „Durchbruch“ als dem Abschied von Gott hin zur Gottheit. In der Gottheit bin ich und sind alle Wesen eins mit Gott. Eckart spitzt den Gedanken weiter zu: Wir sind selbst Gott, INSOFERN wir Söhne und Töchter Gottes sind, wie Eckart provozierend sagt. Diese Überzeugung wurde von der Amtskirche verworfen. Eckart, der große christliche Denker, steht bis heute im „Geruch“ der Irrlehre. Diese eilige Behauptung kann aber blind machen für den wahren Gedanken Eckarts. Und bis heute gibt es leider kaum religiöse Orte, Gebäude, Klöster, die seinen, Eckarts, Namen tragen. Die Allmacht der kirchlichen Institutionen ist überdeutlich, radikales Denken ist unerwünscht…

Für heutige Menschen, die immer noch auch das Christentum als Herrschaft von Dogmen und Klerus, als Herrschaft von Institutionen und Lehren usw. erleben, ist die Überzeugung Meister Eckarts eine Befreiung. Als ob man aus einem dichten Waldgestrüpp ins Freie tritt und erst dann ahnt, was eigentlich gemeint ist mit der Lehre von der Liebe Gottes zu allen Wesen.

Alles kommt im Sinne Eckarts darauf an, in dieses ewige Leben der Gottheit zurückzukehren. Er spricht von Wiedergeburt, neuer Geburt. Josef Quint erinnert zurecht an „Stirb und werde“; lass den alten Menschen sterben und werde dann der neue Mensch. Dieser neue Mensch ist „im Wesen“ der (nun bewusst gewordene) frühere Mensch, der ich eigentlich immer schon war.

Dieses Innewerden des Göttlichen in mir, diese Neugeburt, ist nach Eckart jedem Menschen erfahrbar. „Kein Mensch ist so grobsinnig, dass er das nicht versteht“, so Eckart. Und wer es nicht versteht, “bekümmere sich nicht”, tröstet Eckart. Voraussetzung für das Verstehen des naturgemäß schwierigen Werkes des im Mittelalter lebenden, aber modernen Philosophen Eckart ist nur die Einsicht: Selbst wenn man heute sich als Materialist versteht, dann ist dies eine Glaubensentscheidung, keine Wissenschaft, ist eine Möglichkeit, mehr nicht. Ob gut begründet, ist die weitere Frage. Eckart versucht unter der Annahme des erfahrenen Gottes ein grundlegend anderes Konzept, mit guten Gründen, als Gesprächseinladung an alle, auch außerhalb des Christentums.

Der göttliche Gott, die Gottheit, wie Meister Eckart auch sagt, ist reiner Geist, umfassend, ewig, die ganze Welt in sich begreifend. Die Gottheit nennt Eckart auch „stille Wüste“, um andeuten, wie wenig tatsächlich von dieser Gottheit gesagt werden kann aus der Situation des irdischen Menschen.

Wird durch Eckart nun alles Weltliche, alles Leibliche usw. abgewertet? Er selbst schätzt ausdrücklich das weltliche Leben. Er war viel beschäftigt in seinem Orden, als Provinzial, als Lehrer der Theologie, als Prediger, als Organisator usw.. Eckart unterstützt das aktive Tun auch theologisch, etwa am Beispiel der Gestalt Marthas, die er in ihrer umfassenden Fürsorge mehr schätzt als die bloß fromme, mystisch verzückte Maria. Für Eckart gibt es nichts Größeres als die Nächstenliebe und die Hilfe für die Armen. Die Mystiker sollen aufhören zu beten, wenn sie einen armen Menschen sehen, sie sollten anstelle des Gebets helfen, sagt er wörtlich. Eckart war ein sozialer Denker, darauf hat der Spezialist Dietmar Mieth hingewiesen.

Diese Verbindung mit den Dingen und den Menschen in der Welt ist gut, weil auch darin das allumfassend Göttliche anwesend ist. Aber: noch einmal: Zur Erkenntnis dieser von Gott umfassten Wirklichkeit kommt eben nur der gebildete Mensch, der sich aus der Verklammerung an die Welt befreit hat. Hier spielt die Dialektik rein: Annahme und Distanz zur Welt, zum Leib, zum „Ich“.

Wie kann diese Philosophie ins Heute, ins heutige Erfahren und Denken, übersetzt werden? Hat sie Sinn für Menschen, die Mühe haben, von Gott und Gottheit zu sprechen? Wäre die alles gründende Sinnzuversicht die „Gottheit“, dieses Wissen von einem letzten Sinn, der unser aller Sein prägt und trägt…trotz allem? Wäre die Dimension des Göttlichen erfahrbar in den Momenten, wo wir das Gefühl haben, aus der Zeit herauszutreten und ganz gegenwärtig und ganz in der Gegenwart zu sein? Liegt das Unverständnis vieler Zeitgenossen für diese Philosophie Eckarts auch daran, dass sie sozusagen in einer materialistischen Welt längst versinken? Gibt es eine zeitbedingte Blindheit für „metaphysisches“ Philosophieren? Wie könnte diese kulturell bedingte Blindheit korrigiert werden? Sind die religiösen Institutionen, etwa die Kirchen, selbst Orte, wo man das Loslassen der Dinge und das sich Befreien von dem irdischen Gott und seinen Bildern einübt? Fördern die Kirchen aber selbst, auch im Klerus, das egozentrische Klammern, das Anhäufen von Besitz, (siehe Limburg, siehe Vatikan etc.), dann geben sie keinen Raum mehr frei für den göttlichen Gott. Sie werden, wie Nietzsche treffend sagte, zum Grab Gottes.

PS: In unserem Salon am 30.5. bezogen wir uns vor allem auf die Predigt „Beati Pauperes“, „Selig die Armen in Geiste“. Sie nennt einer der Eckart Spezialisten,  Josef Quint, „die tiefsinnigste und klügste Predigt Eckarts“.

Copyright: Christian Modehn, Berlin.

 

 

 

 

Menschen­rechts­ver­letz­ungen in der Dominikanischen Republik. Ein Interview mit Prof. Wilfredo Lozano

Die Friedrich-Ebert-Stiftung gestattet uns die Publikation eines Interviews mit Prof. Wilfredo Lozano, Santo Domingo, Dominikanische Republik, über den Verlust der Staatsbürgerschaft, der jetzt vielen tausend Menschen dort droht.
Der Religionsphilosophische Salon, wie der Name sagt vorwiegend mit philosophischen Interessen, sieht in der Verteidigung der Menschenrechte ein eminent philosophisches (und natürlich humanes) Thema. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf ein Land, die Dominikanische Republik. Dazu liegen auf dieser website schon etliche Beiträge vor.

Tausenden Dominikaner_innen droht Weiterlesen ⇘

Mandela lebt: Gedanken nicht nur zu Weihnachten. Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Mandela lebt. Gedanken nicht nur zu Weihnachten.
Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Theologe an der Humboldt Universität Berlin
Die Fragen stellte Christian Modehn

Wir erinnern daran, dass dieses Interview das 20. ist in der Reihe „Funda-mental vernünftig“, die wir mit Prof. Wilhelm Gräb seit eineinhalb Jahren gestalten. Wir, das sind auch die vielen LeserInnen, danken herzlich für diese so freundliche Form der Zusammenarbeit. Sie bleibt hoffentlich noch lange für uns inspirierend, die wir an einer Spiritualität interessiert sind, die der Vernunft gro-ßen Raum lässt und die man – mit einer „Etikette“ – eine zeitgemäße „liberale Theologie“ nennen kann. Prof. Gräb ist einer der wenigen, die da für uns be-sonders inspirierend sind. Diese neue „liberale Theologie“ ist offen für ein lern-bereites Gespräch mit Philosophien, auch deswegen schätzen wir sie so sehr. Zudem erinnern wir daran, dass Prof. Wilhelm Gräb seit vielen Jahren einmal pro Jahr für einige Wochen auch Theologie in Südafrika lehrt, im Gespräch mit den Menschen dort.

Frage: Bei den Abschiedsfeiern für Nelson Mandela zeigte sich in aller Öffent-lichkeit die Überzeugung des Volkes: Mandela lebt. Er ist nicht tot. Mandelas Sache geht weiter. Zeigt sich da auch eine lebendige Überzeugung von einem vernünftig verstandenen Auferstehungsglauben, der auch universales Interesse finden sollte?

Wilhelm Gräb: Die ganze Welt nahm in der vergangenen Woche bewegt von Mandela Abschied. Was macht die Faszinationskraft dieses ungewöhnlichen Menschen aus?
Nelson Mandela hatte als ein Kämpfer gegen die unmenschliche Rassentrennung der Apartheid in Südafrika 27 Jahre lang, unter Androhung der Vollstreckung der Todesstrafe, im Gefängnis gesessen. Er kam nach 27 Jahren Haft frei und konnte seinen Henkern ohne Hass, ohne Rache- und Vergeltungsabsichten be-gegnen. Bedingungslos vergeben konnte er und hat so den Weg zu einer friedli-chen und gedeihlichen Zukunft für Südafrika geöffnet. Das war ein Handeln gleichsam aus göttlicher Liebe.
Ja, man kann sogar noch weiter gehen und sagen: Mandela war ein göttlicher Mensch. Mandela hat göttlich gehandelt. Das kann man mit dem Apostel Paulus auf theologisch begründete Weise sagen: Durch Mandela hat Gott gehandelt wie er nach Paulus durch Christus gehandelt hat. „Gott“, so sagt Paulus, „versöhnte in Christus die Welt mit sich selbst, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Korinther 5, 19). Was Gott durch Christus getan hat, hat er auch durch Mandela getan. Er versöhnte ein zerrissenes Volk mit sich selbst. Aufgerichtet durch Mandela, sichtbar für die heutige Welt, das Wort von der Versöhnung.
Ganz wie Jesus. Er hat auf Gewalt nicht mit Gegengewalt geantwortet. Eines seiner letzten Worte am Kreuz war: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34) So hat auch Jesus die Spirale von Gewalt und Gegen-gewalt unterbrochen. So wurde neues Leben möglich, die neue Schöpfung von der Paulus sprach. Leben aus tödlichen, todbringenden Verhältnissen. Das ist Auferstehung. Ja, Mandela lebt. Das Wort von der Versöhnung, das er erneut aufgerichtet hat, wirkt weiter.
Vielleicht kann man sogar noch weiter gehen und sagen: In und durch Mandela hat Gott nicht nur gehandelt. Mandela war nicht nur ein Instrument in Gottes Hand, sondern mit Gott eins: In und durch Mandela ist Gott auf besonders sichtbare Weise Mensch geworden, so, wie er in Christus exemplarisch Mensch geworden ist. Deshalb weiter: Überall dort wird Gott Mensch, wo so gehandelt wird wie Mandela gehandelt hat. Gott wird Mensch, wo vorbehaltlo-se, bedingungslose Liebe geschieht. Dort wird es Weihnachten.
Und wie ist Mandela aufgetreten, nachdem er 1990 aus dem Gefängnis entlas-sen worden war? Nicht gebieterisch, nicht mit erhobenem Zeigefinger, nicht auf der Durchsetzung seiner neu gewonnenen Macht bestehend. Nein, immer trat er mit einem heiteren Lachen vor die Öffentlichkeit und wenn sich nur die Gele-genheit bot, dann tanzte er seine Schritte. Er wollte kein Vorbild sein. Er wollte keine unerfüllbare Last auf die Menschen legen, sondern sie mit dem Herzen für den Siegeszug der Liebe gewinnen. Eben wie Jesus. Wie das Kind in der Krippe. Es stellt keine Forderungen. Es sagt uns nicht, dass wir bessere Menschen werden, lieben und vergeben sollen. Es zieht uns zwanglos auf seine Seite, weil es die Freude am Leben in uns weckt, weil es die Liebe, die wir zu einem Men-schenkind empfinden, in uns entstehen lässt. So handelt Gott in dieser Welt, in Jesus, in Mandela, in allen Menschen, die er innerlich verwandelt, indem er sich einnistet auf dem Grunde einer Menschenseele, indem er uns Menschen die Lie-be spüren lässt, in der wir atmen und die wir weiterverströmen können.

Frage: In der Zeit vor Weihnachten ist die Aufmerksamkeit religiöser Menschen auf das Jesuskind in der Krippe fixiert. Aber inspirieren uns die Ereignisse rund um den Abschied von Nelson Mandela nicht auch, Weihnachten mit der Aufer-stehung (und damit auch mit dem Kreuz) zu verbinden, wenn nicht als Einheit zusehen?

Wilhelm Gräb: Die Revolutionierung des Gottesgedankens, die das Christentum ausgelöst hat, tritt deutlich hervor, wenn wir sehen, dass Weihnachten, Karfrei-tag und Ostern eine Einheit bilden. Das Kind in der Krippe wärmt unser Herz, aber doch eben deshalb, weil uns in ihm der Gott, der Grund allen Sinns, so lie-bevoll begegnet. Der christliche Gott ist kein Herrscher, kein Weltenlenker noch gar ein endzeitlicher Richter. Der christliche Gott ist die Macht der Liebe, eine ohnmächtige Macht in den Augen der Welt also. Aber im Leben von Menschen wie Mandela einer war, sehen wir, was die ohnmächtige Macht der Liebe alles vermag. Das geht nicht, ohne zu leiden. Die Liebe, zu der Mandela fähig war, zeigt sich in seiner Bereitschaft zur bedingungslosen Vergebung, im Verzicht auf Vergeltung. Das war der Karfreitag im Leben dieses göttlichen Menschen. Die absolute Selbsthingabe und damit das Ende aller Opfer. Nur so aber ist die neue Schöpfung möglich, wiedererwecktes Leben, das aus der Gefangenschaft in todbringenden Verhältnissen herausführt: Ostern, der Tag der Auferstehung.
Als fielen Weihnachten und Ostern auf einen Tag, so haben die Südafrikaner die Begräbniszeremonien in dieser Woche begangen. Nicht in rückwärtsgewandter Trauer über den Verlust Mandelas, sondern in der freudigen Hoffnung, dass sein Werk der Versöhnung weitergeht.

Frage: Das Johannes Evangelium kennt ja keine Geschichten von der Krippe und dem Stall, in dem Jesus geboren wurde. Hingegen wird für philosophisch Interessierte großartig gesagt: Der Logos wird Fleisch, der Logos wird Mensch. Können und sollen wir nicht daraus folgern: Ja, wir Menschen alle haben An-teil an dem göttlichen Logos? Er ist in uns? Drückt sich in den spontanen Glaubensüberzeugungen, etwas des Volkes in Südafrika jetzt, diese Überzeu-gung aus: Gott, der Logos, ist in uns. Dieser Logos, also auch diese Vernunft, sollte weltgestaltend sein.

Wilhelm Gäb: Die vom griechischen Denken bestimmte Begrifflichkeit, mit der das Johannes-evangelium arbeitet, hilft uns, über die Gegenständlichkeit in der Rede von Gott hinauszukommen. Dann verstehen wir noch besser, dass in Menschen wie dem Jesus von Nazareth oder dem Xhosa Nelson Madiba Mandela lediglich auf ex-emplarische Weise sichtbar und menschheitsgeschichtlich wirksam wird, was doch zugleich, der Potenz nach, in allen Menschen da ist. Wenn wir sagen, dass Gott in Jesus Christus oder in Nelson Mandela Mensch wird, dann gilt das po-tentiell für alle Menschen. Wir alle tragen Gott in uns. Das eben zeigt sich uns in unserer Vernunftbegabung, die es macht, dass wir die Welt erkennen und ges-talten können. Dass da dieses Passungsverhältnis ist, zwischen uns und der Welt, wir uns in ihr Ziele setzen und sie auch erreichen können, wir das Gefühl haben, in ein letztlich sinnvolles Ganzes einbezogen zu sein – das alles hat seinen Grund im göttlichen Logos, an dem wir alle teilhaben.
Wer Gott leugnet, wird wohl nicht an den “Sinn des Ganzen” glauben, wird wohl “Nihilist” werden. Gott als der Logos ist die Idee vom Sinn des Ganzen einer Welt, zu der wir gehören und die wir als Ganze doch nie vor uns bringen können. Wir wissen im Grunde nicht einmal, ob es sie überhaupt gibt. Und dennoch können wir darauf vertrauen, dass sie sich uns erschließt und als lebensdienlich erweist.
Längst nicht immer freilich scheint uns dieses Vertrauen berechtigt. Es ge-schieht so viel Schreckliches in der Welt und die besten Absichten rufen oft nur noch größere Übel hervor, es geht so ungerecht zu, dass uns zumeist eher ein Grundmisstrauen dem Sinn des Ganzen gegenüber angemessen erscheint. Im-mer dann, wenn solches Grundmisstrauen in uns aufkommen will, tut es gut, auf solch ungewöhnliche Menschen wie Jesus oder Mandela zu schauen. In ihnen sehen wir auf beispielhafte Weise, was der göttliche Sinn des Ganzen vermag, wenn Menschen ihn ergreifen und in seiner Richtung handeln.
Dann geschieht es, dass Friede einkehrt, wo Streit und Krieg war. Dann ge-schieht es, dass Feinde sich als Brüder und Schwestern erkennen. Dann schweigen die Waffen, wie es an den Weihnachtstagen des 1. Weltkriegs, für Stunden wenigstens, der Fall war. Die Bedeutung von Weihnachten ist auch heute überall auf der Welt, zumindest als ungefähre Ahnung, präsent. Sie kann ja auch gar nicht überschätzt werden. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen für die Welt, dass die Trauerfeier für Mandela – Obama und Castro gaben sich dort die Hand – wenige Tage vor Weihnachten stattfand. Ja, Mandela lebt – in Ewigkeit. Amen.

Veröffentlicht am 14.12.2013
Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon

Papst Franziskus: “Ich bin nicht beleidigt, wenn man mich einen Marxisten nennt”

Papst Franziskus ist nicht beleidigt, wenn man ihn einen Marxisten nennt.
Von Christian Modehn
Nach Informationen der Amsterdamer Tages-Zeitung Trouw am 15. 12. 2013, gelesen um 15.20 Uhr.

Papst Franziskus fühlt sich nicht beleidigt, wenn man ihn einen Marxisten nennt. Allerdings sei der Marxismus als politische und ökonomische Philosophie verkehrt, sagte er. Aber er habe doch während seines Leben etliche Marxisten getroffen, die, so wörtlich, „gute Menschen seien“. Darum „fühle ich mich nicht beleidigt, wenn man mich selbst einen Marxisten nennt“.

Mit diesem typisch us-amerikanischen Vorwurf hatte der us- amerikanische Kommentator Rush Limbaugh den Papst kritisiert und vor allem auch das jüngste päpstliche Schreiben „Evangelii Gaudium“ zurückgewiesen. Darin hatte Papst Franziskus den Kapitalismus heftig attackiert. Der Kapitalismus führe u.a. aufgrund der übertriebenen Liebe zum Geld zu einer neuen Tyrannei. Der Papst betonte an diesem Wochenende in einem Interview mit „La Stampa“, dass in seinem Schreiben nichts geschrieben stehe, das nicht auch aus der Soziallehre der Kirche hergeleitet werden könne. Also gute katholische Tradition sei.

Unser Hinweis: Man stelle sich einmal vor, so viel Weite des Denkens hätte ein Johannes Paul II. gehabt und mit ihm ein Joseph Ratzinger als Chef der Glaubensbehörde, als beide auf die angeblich oder manchmal tatsächlich marxistisch gepräge Theologie der Befreiung (in diesem Kampf in enger Verbundenheit mit US Präsident Reagan) einschlugen, Theologen diffamierten, mundtot machten, ja alle “Kommunisten Hasser” der Militärdiktaturen förmlich oder indirekt ermunterten, diese “marxistischen” Priester und Nonnen umzubringen. Siehe etwa die Vorgänge in El Salvador rund um die Ermordung Erzbischof Romeros usw… Theologisch war die offizielle Diskriminierung der Befreiungstheologien auch eine Katastrophe, weil der Gedanke, Erlösung und Heil seien auch materiell und gesellschaftlich erfahrbar, ins Abseits gerieten und bis heute kaum gedacht werden im Rahmen einer totalen Spiritualisierung der römischen Theologie.

copyright: Christian Modehn

Weder sozial noch demokratisch noch christlich. Der Koalitionsvertrag und die Flüchtlinge

Weder sozial noch demokratisch noch christlich
Der Koalitionsvertrag und die Flüchtlinge

Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ liebt die Philosophien, vor allem die Basis, das Philosophieren eines jeden. Aber Philosophieren ist nicht nur eine grundsätzliche, manchmal abstrakte Denkhaltung. Sie ist immer gebunden an das Eintreten für die Menschenrechte. Darum veröffentlichen wir gern eine Stellungnahme des Jesuiten–Flüchtlingsdienstes vom 27. 11. 2013 über die Ausgrenzung von Flüchtlingen im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Die so genannte Demokratie zeigt dort ihr wahres Wesen, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Und zu den Schwächsten hier bei uns zählen die Flüchtlinge.
Christian Modehn

Der Jesuitenflüchtlingsdienst Berlin schreibt am 27. 11. 2013:

Ein skeptisches Fazit zu den flüchtlingspolitischen
Vereinbarungen der möglichen Großen Koalition hat Pater Frido Pflüger SJ,
Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland, gezogen. „Dieser
Koalitionsvertrag ist ein Dokument des Misstrauens gegenüber
Flüchtlingen“, sagte Pflüger heute in Berlin. Er enthalte nebeneinander
positive Bekenntnisse zur nötigen Willkommenskultur und Drohungen von
Ausweisung und Abschottung.

Pflüger begrüßte, dass sich Union und SPD grundsätzlich auf eine
stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Menschen geeinigt haben, die
lange Zeit von den Ausländerbehörden nur geduldet wurden. „Das betrifft
bis zu 86.000 Menschen, oft Familien, deren Kinder schon in Deutschland
geboren sind. Ihnen müssen wir eine Lebensperspektive bieten“, sagte
Pflüger, der als Mitglied der Berliner Härtefallkommission täglich mit den
humanitären Defiziten der bisherigen Regelung konfrontiert ist. Auch die
geplanten Erleichterungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und die Lockerungen
der sogenannten „Residenzpflicht“, die es Geduldeten und Asylsuchenden
verbietet, ihre Stadt oder ihren Landkreis zu verlassen, begrüßte Pflüger.

Zum Flüchtlingsschutz in Europa beschwöre der Entwurf zwar die Solidarität
der EU-Staaten untereinander und die Einhaltung menschenrechtlicher
Standards. „Aber im Mittelmeer ertrinken Flüchtlinge, in Syrien sind wir
mit der größten humanitären Katastrophe der letzten Jahrzehnte
konfrontiert. Deutschland müsste jetzt konkrete Initiativen ergreifen,
damit sichere und legale Fluchtwege nach Europa geöffnet und die
Zuständigkeitsregeln für Asylverfahren innerhalb der EU vernünftig
reformiert werden. Statt dessen beschränkt sich der Vertrag auf
Allgemeinplätze.“

Der Jesuit lobte die Absicht von Union und SPD, das so genannte
Resettlement auszubauen, also mehr Flüchtlinge direkt aus Krisenregionen
aufzunehmen. „Hier kann Deutschland noch deutlich mehr anbieten“, so
Pflüger.

Zur Absicht der Koalitionäre, Asylverfahren für Flüchtlinge aus
Balkanstaaten wie Serbien und Mazedonien abzukürzen, sagte Pflüger: „Das
ist armselig. Aus diesen Ländern fliehen Angehörige der Roma-Minderheit
vor erwiesener und schwerster Diskriminierung, Rassismus und Elend. Aber
statt uns damit auseinanderzusetzen, schieben wir sie so schnell wie
möglich wieder dorthin ab.“ Stärker als der Flüchtlingsschutz werden
letztlich die Ausweisung und Abschiebung akzentuiert. Das erfülle ihn mit
Sorge, so Pflüger.

Der Jesuit Refugee Service (Jesuiten-Flüchtlingsdienst, JRS) wurde 1980
angesichts der Not vietnamesischer Boat People gegründet und ist heute als
internationale Hilfsorganisation in mehr als 50 Ländern tätig. In
Deutschland setzt sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für
Abschiebungsgefangene ein, für geduldete Flüchtlinge und für Menschen ohne
Aufenthaltsstatus („Papierlose“). Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind
Seelsorge, Rechtshilfe und politische Fürsprache.

Kontakte:
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
Jesuit Refugee Service (JRS). Dr. Dorothee Haßkamp (Pressearbeit)
Witzlebenstr. 30a
D-14057 Berlin
Tel.: +49-30-32 60 25 90
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