Die Kaiser Wilhelm I. und II. und ihre Kirche in Berlin, „KWG“ genannt.

Die Evangelische Kirche in Berlin sollte auf den problematischen Titel ihres prominenten „Gotteshauses“ verzichten.

Ein Hinweis von Christian Modehn. (Ich habe schon 2016 und dann noch einmal 2020 für die Umbennung der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche plädiert. Hier nun der wahrscheinlich letzte Hinweis zu dem Thema). Siehe also auch  LINK 

Die Umbennungen von Straßen etc. in Deutschland wegen des sexuellen Missbrauchs von Priestern ist in vollen Gange. Warum dann nicht auch endlich einem Gotteshaus einen Namen geben ohne Verbindungen zu rassistischen, kolonialistischen und antirepublikaischen Herrschern? LINK

1. Die neue, große Studie von Stephan Malinowski, „Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration“, (Propyläen-Verlag Berlin 2021, 752 Seiten) führt erneut zum Thema „Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“ in Berlin. Und diese Forderung wird gleichzeitig heftig unterstützt durch die deutliche Bindung der Kaiser Wilhelm I. und II. an den Kolonialismus. Will sich die Kirche wirklich an kolonialistische Herrscher und antirepublikanische Kaiser auf Dauer binden? Das ist die Frage. Und man bedenke: Wenn die Verbrechen des Kolonialismus, des Antisemitismus und des Antirepublikanismus durch deutsche Könige/Kaiser erkannt sind, dann muss man sich die Mühe machen, auch Kirchen umzubenennen, das gilt auch für Straßen und Plätze, man denke an die 67 „Hindenburg Straßen“ in Deutschland.

2.Diese „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“, eine Mischung aus Denkmal/Ruine und erstaunlichem Gebäude (eingeweiht 1961, Architekt Egon Eiermann), wird auch kirchlicherseits „schamhaft“ und verlogen oft nur „KWG“ genannt oder, vielleicht angesichts der allgemeinen historischen Vergesslichkeit der Kirchen, nur kurz als „Gedächtniskirche“ bezeichnet. Eine Aufforderung förmlich, das kritische Gedenken zu pflegen. In diesem Hinweis bewahren wir es.

3. Die heftige Debatte über den Kolonialismus der Deutschen, seit König/Kaiser Wilhelm I. , erinnert insgesamt an die rassistisch geprägte Zeit der Herrschaft der Hohenzollern. Diese Debatte wird nicht zur Ruhe kommen, zumal angesichts der Exponate im „Humboldt-Forum“ im wieder aufgebauten Schloss in Berlin, direkt, in theologisch-politischer Eintracht, neben dem monumentalen „Berliner Dom“.

Die postkolonialen Studien werden langfristig die Mentalität der Deutschen zur Wahrheit verändern und in absehbarer Zeit auch zur Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche führen.

4. Aber: Noch ist es leider so, dass die zentrale Kirche in West-Berlin, am Ende des Kurfürsten-Damms, „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“ heißt. Die Evangelische Kirche in Berlin/Brandenburg schämt sich nicht, immer noch an diesem abstoßenden und theologisch allmählich unsinnigen Titel für ein GOTTES-Hauses festzuhalten. Sie ist sich wahrscheinlich ihrer Engstirnigkeit und Verkrampfung bewusst und nennt dieses zentrale Kirchengebäude nur noch mit drei Buchstaben KWG, und dies klingt so ähnlich wie AOK, KFZ oder BVG oder XYZ. Manchmal nennt die Kirche dieses Gotteshaus auch noch „Gedächtniskirche“, offenbar allen gewidmet, die mit dem Gedächtnis oder mit dem Gedenken starke Probleme haben…An die unselige enge Verquickung von preußischem Königtum und evangelischer Kirche kann man auch denken, ohne dass diese Kirche im Titel Kaiser Wilhelm führt.

5. Die Neutralisierung des offiziellen Titels „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ zu KWG ist Ausdruck der Angst der Kirchenführung und ihrer Charlottenburger KWG-Gemeinde: Sie haben vielleicht Angst vor der bekannten Prozessfreudigkeit des Hauses Hohenzollern („man stiehlt uns unser Gotteshaus“) und Angst vor dem Protest der Springerpresse und ihrer vielen alten, aber kirchengebundenen LeserInnen in Berlin: „Wie kann die Kirchenführung nur diesen ehrwürdigen und sooo beliebten Namen aufgeben wollen?“ Wahrscheinlich hat die Kirchenführung Angst vor Kirchenaustritten wohlhabender Protestanten…

6. Tatsache ist und das belegt auch die neue Studie von Stephan Malinowski: König / Kaiser Wilhelm I. (1861-1888) war ein nationalistischer Kriegsherr, er war ein Förderer des Kolonialismus (Siehe Kongo-Konferenz 1884-85). Dadurch wurde Deutschland zum drittgrößten Kolonialreich der Welt. „Zur Sicherung der wirtschaftlichen Rentabilität der Kolonien wurde auf ein System der Zwangsarbeit zurückgegriffen. Widerstand wurde brutal unterdrückt, wovon neben dem Völkermord an den Herero und Nama auch die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes (1904-1908) in Deutsch -Ostafrika mit geschätzten 300.000 Opfern zeugt“. (Prof. Sebastian Pittl, Tübingen, in „Stimmen der zeit 2020, Seite 908f.).

7. Bei dem Titel Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche denken viele BesucherInnen, nachweislich durch spontane Umfragen, auch an Kaiser Wilhelm II. Tatsache ist ja, dass der Titel dieses Gotteshaus im Rahmen der bekannten protestantischen Verquickung mit dem Kaiserhaus zunächst Kaiser Wilhelm I. meinte…Aber welcher Tourist, welcher Berliner kennt dieses Detail, zumal Kaiser Wilhelm II. diese Kirche unbedingt bauen und einweihen wollte. Man denkt also immer auch an Kaiser Wilhelm II., dann kommt die erschütternde Erkenntnis:  Dieser Kaiser Wilhelm II. war ein Anti-Republikaner und ein Antisemit., auch das zeigt die Studie von Prof. Stephan Malinowski. Ihm geht es nicht nur um die erwiesene Kollaboration der Hohenzollern mit den Nazis, sondern um deren Antirepublikanismus. Der Ex-Kaiser Wilhelm II. ließ bekanntlich den Sekt in Strömen fließen, als er von der Ermordung des demokratischen, auf Frieden hin orientierten Politikers Matthias Erzberger erfuhr.

8. Es wird Zeit also Zeit, dass sich in Berlin eine breite Bewegung der Bürger bildet, um die Abschaffung des Namens Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche durchzusetzen. Und das wird angesichts der bestehenden Mentalitäten nicht einfach… Aber das wäre ein treffender Abschied von der für üblich gehaltenen Unkultur einer Nähe von Kirche und Staat, von Kirche und Hohenzollern, von Kirche und antirepublikanischem, antisemitischem Denken und Handeln.

Weil der Name „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ ohnehin obsolet geworden ist durch die offiziell gern verwendeten Kürzel KWG oder Gedächtniskirche, ist nun die Zeit gekommen, diesem Gebäude einen treffenden, einen tatsächlich für ein kirchliches Gebäude eben spirituellen und religiösen Namen zu geben. Die Debatte über den neuen Namen dieses schönen, neu gebauten Gotteshauses sollte also beginnen. Es wäre ein Zeichen von Selbstkritik, wenn sich die Kirchenleitung für die Umbenennung einsetzt. Aber, meine Skepsis bleibt: Entsprechende frühere Beiträge zu diesem Thema wurden kirchlicherseits ignoriert. Man glaubte, es nicht nötig zu haben, überhaupt darauf zu reagieren. Diese Ignoranz ist vorbei, angesichts der nicht mehr zu stoppenden Debatten über das kolonialistische Erbe Deutschlands und der Kirchen in Deutschland.

9. Ein neuer Name für die Kirche am Breitscheidplatz in Berlin (ehem. KWG) wäre ein Akt der Befreiung, ein Eingeständnis schuldhafter Verquickung der Kirche mit einem Regime, das definitiv vorbei ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die neuste Umfrage über „Religion/Gott in Frankreich“ (August 2021)

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.9.2021

Am 23.9.2021 wurden über AFP (aufgrund einer repräsentativen Umfrage, veranstaltet von IFOP am 24.und 25.8.2021) neue Informationen zu „Religion/Gott in Frankreich“, speziell angesichts der COVID 19 Pandemie, publiziert.

1.  51 Prozent der Franzosen glauben 2021 nicht an Gott.

2011 sagten nur 41 %, nicht an Gott zu glauben. 1947 sagten 66 %, sie würden an Gott glauben. Vor 64 Jahren glaubten also nur 34 % er Franzosen nicht an Gott. Am größten ist jetzt die Gruppe der Gläubigen bei Menschen über 65 Jahre. (ABER: Was heißt das konkret, inhaltlich: An „Gott“ glauben…)

2. Die aktuelle Pandemie hat keinen Einfluss auf die religiöse Praxis (gehabt). Das sagen 91 % der Befragten: Sie hätten sich wegen Corona nicht stärker den Religionen angenähert.

Das ist vielleicht die wichtigste Aussage der Umfrage: Und auch in Deutschland haben viele Beobachter die Erkenntnis, dass durch Corona die Religiosität NICHT zugenommen hat. Aber vielleicht lehrte (privat) die Not, dann doch beten im stillen Kämmerlein, wie es Jesus von Nazareth vorschlug.

3. Eine weitere Erkenntnis der Umfrage in Frankreich: In den Familien wird immer weniger über Religion gesprochen: Es sind nur 38 % der Befragten, die über Religion in der Familie sprechen.

4. Religionen können dazu beitragen, jungen Menschen Werte zu vermitteln, wie Respekt, Toleranz, Großzügigkeit, Verantwortlichkeit: Das sagen jetzt 68 % der Franzosen. Im Jahr 2009 waren es noch 77 %, die das glaubten.

5, Für 47 % der Franzosen sind die Werte und die Botschaft des Christentums immer noch von aktueller Bedeutung.

6. 41 % der Franzosen glauben, dass Papst Franziskus eher gut die Werte des Katholizismus verteidigt, 44 % meinen, er verteidige sie weder gut noch schlecht und 15 % meinen, er verteidige die katholischen Werte eher schlecht.

Quelle; REFORME, Protestantische Wochenzeitung, Paris.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Das langsame Verschwinden des Katholizismus in Frankreich

Hinweise von Christian Modehn, veröffentlicht am 25.9.2021. Über eine neueste Umfrage zu dem Thema vom August 2021, publiziert Ende Sept. 2021, siehe LINK.

Das entscheidende Stichwort heißt: Frankreich ist “post-katholisch”, notiert am 29.6.2024: LINK

Zwei Bemerkungen am Anfang, als Einführung zum neuen Buch (2021) von Guillaume Cuchet:

–„Das langsame Verschwinden des Katholizismus in Frankreich“ ist kein Sonderthema für einige Spezialisten. Wenn eine Religion aus der Praxis und dem Bewusstsein der Menschen eines ganzen Landes langsam, aber regelmäßig verschwindet, ist das ein kulturelles und soziales Ereignis, das weit über theologische Detail-Fragen hinausweist. Wenn Religionen langsam verschwinden, dann verschwinden bestimmte kulturelle Werte (und Unwerte, die bekanntlich Religionen auch verbreiten).

Es wird hier in aller Kürze gezeigt, wie in einem Land, das Kleriker immer noch gern  „die älteste Tochter der römischen Kirche“ nennen, die bist noch vorherrschende Religion, der Katholizismus, kontinuierlich schwächer wird. In vielen Regionen bzw. Départements (wie Limousin, Guéret, Burgund, Dordogne usw.) ist diese Kirche de facto bereits seit längerer Zeit verschwunden, d.h. fast niemand interessiert sich heute in lebensmäßiger Praxis für sie, bestenfalls im Fall von Bestattungen oder Riten wie Taufen und Hochzeiten. Eine historische Würdigung dieser Tatsache, die weit in die Geschichte ausgreift, hat etwa der bekannte Historiker Jean Delumeau verfasst. LINK

Das ist die Erkenntnis der gut entwickelten religionssoziologischen Forschung in Frankreich: In absehbarer Zeit wird der Katholizismus im ganzen Land zu einer verschwindenden Minderheit werden. Ob dann die von Klerikern viel beschworene „kleine Herde“ noch die Kraft hat, spirituell und sozial relevant zu sein, ist die Frage. Die vielen prächtigen Kathedralen, die romanischen Kirchen und alten Klostergebäude werden bleiben, Zeugnisse einer „anderen“ Zeit. Aber es wird in diesen Gebäuden eher selten noch katholischer Ritus mit Priestern, Mönchen und Nonnen stattfinden. Es ist wohl etwas anderes, Gesänge von wirklichen Mönchen tagaus tagein in einer Abtei mehrmals am Tag zu hören als alle zwei Monate einmal am selben Ort von einem angereisten Chor, um nur ein Beispiel zu nennen

Eine einst katholisch geprägte Kultur verschwindet, die vielen verfallenden Kirchen im ganzen Land werden fotografisch und kunstvoll bereits dokumentiert. LINK.

Und eine von vielen Fragen ist: Ob man in naher Zukunft noch – wie jetzt – ca. 90 Bischöfe mit entsprechenden Diözesen und Diözesan-Verwaltungen braucht. Das wird auch finanziell problematisch werden, weil bekanntlich ein Bischof in Frankreich ca. 1.200 Euro Monatsgehalt (aus Spenden, nicht aus Kirchensteuern oder staatlichen Zuwendungen) erhält…  und nicht wie 12.000 Euro die Erzbischöfe und Bischöfe in Deutschland…

Dieses absehbare Verschwinden des französischen Katholizismus gilt auch für viele andere Länder Europas, wie Irland, die Niederlande, Belgien, sogar Spanien, die Schweiz, die Tschechische Republik …und nun auch in Polen nimmt die Distanz der (jungen) Katholiken von der Kirche immer mehr zu. Ob dieses langsame Verschwinden des kirchlichen, des katholischen Christentums auch für Deutschland gilt, wird noch diskutiert, ist aber sehr wahrscheinlich, wenn man sich die Statistiken kirchlichen Lebens ansieht, vor allem die extrem hohen Austrittszahlen und dabei Vergleiche zieht, für die BRD, etwa von 1950 an. Solange der Katholizismus weltweit stur den zölibatären Klerus absolut ins Zentrum (der Liturgie, der Macht etc.) setzt, ist das Ende auch des Katholizismus in Deutschland allein schon wegen dieser – theologisch unsinnigen – absoluten Bindung an den Klerus sicher.

–Das Thema „Katholizismus in Frankreich“ interessiert mich als Theologe und Journalist seit mehr als 40 Jahren. Dazu habe ich etliche Publikationen vorgelegt, die alle von dem Bemühen geleitet waren und sind, breitere Kreise auf diese Fragen aufmerksam zu machen. Nur ein Beispiel: Von 1989 bis 2005 habe ich ca. 50 Halbstundensendungen fürs Kulturradio des Saarländischen Rundfunks (SR2) gestaltet mit dem Titel „Gott in Frankreich“. Diese Sendung wurde nach der Pensionierung des verantwortlichen Redakteurs Norbert Sommer „einfach so“ und „sang und klanglos“, abgesetzt.

ZUM THEMA: “Das langsame Verschwinden des Katholizismus in Frankreich”:

1. In Frankreich ist die „Die Zukunft des Katholizismus in Frankreich“ eine Art Dauerthema wissenschaftlicher Publikationen. Und es ist keine Übertreibung: Fast unüberschaubar viele Publikationen, Bücher und Zeitschriftenbeiträge, wurden zu unserer Fragestellung in den letzten 100 Jahren geschrieben, seit 1950 kam die Debatte heftig in Schwung nach der Veröffentlichung des Buches (!943) „La France – pays de mission?“, ausgerechnet während des Pétain-Regimes veröffentlicht). Etwa seit 1970 gibt es ständig Neuerscheinungen zu dem Thema….Die Frage wird diskutiert, Vorschläge werden gemacht, aber die Kleruskirche bleibt allmächtig. Laieninitiativen werden als Ausdruck der neuen Liberalität des Klerus willkommen geheißen, aber sie werden niemals die klerikale Macht zugunsten eines demokratischen Miteinanders aller einschränken.

2. Wer eine erste schnelle, zusammenfassende Antwort will: Tatsächlich ist der Katholizismus in Frankreich am Verschwinden, wenn man die Statistiken von Umfragen zur Konfessionszugehörigkeit oder die Statistiken der Teilnehmer an Sonntags-Messen oder die Anzahl der Neupriester pro Jahr studiert. Dieses Urteil bezieht sich notgedrungen auf äußere Vollzüge, „Praxis“ genannt, ins „Innere“ der religiösen oder nichtreligiösen Seele eines jeden einzelnen lässt sich bekanntlich nicht objektiv schauen, so bleiben also vor allem die statistischen Werte, um den Zustand der konfessionellen Bindung in einem Land präzise zu fassen… Wichtig zu wissen ist, dass es aufgrund der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich seit 1905 keine vom Staat veranstalteten objektiven Konfessionsstatistiken gibt. Alle Statistiken in unserem Zusammenhang beruhen also auf repräsentativen Umfragen.

3. Pauschal gesagt heißt das Ergebnis:  Die katholische Kirche in Frankeich ist zahlenmäßig gesehen am Verschwinden. Das Ende wäre auch rein rechnerisch fast datierbar, wenn sich nur Religionssoziologen entschließen würden, genau das Durchschnitts-Alter des aus Frankreich stammenden Klerus zu ermitteln und diese Erkenntnis auf die nächsten 20 Jahre zu beziehen. Sehr wahrscheinlich ist das Ergebnis: Der aus Frankreich stammende Klerus stirbt aus, so wie die meisten Frauenorden verschwinden werden. Noch retten sich die Bischöfe, die, wie überall in Westeuropa, auf den sogenannten zölibatären Klerus setzen damit, dass sie Priester aus Afrika und Asien nach Frankreich holen und dies mit dem Euphemismus kaschieren: Diese Priester könnten die internationale Dimension des Katholizismus beweisen. Dass diese Priester in Afrika oder Asien viel eher „gebraucht“ würden, wird dabei diplomatisch verschwiegen.

4. „Hat der Katholizismus noch eine Zukunft in Frankreich?“ ist der Titel des neuesten Buches des Historikers Guillaume Cuchet (erschienen bei Seuil, Paris, im September 2021). Cuchet hat schon mehrfach zum Katholizismus in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert publiziert, diesmal bietet er eine Sammlung seiner Aufsätze aus den letzten Jahren.

5. Mehrfach spricht Cuchet von „rupture,“ von Bruch, der sich in der französischen Gesellschaft ereignet, wenn sich immer mehr, man möchte heute sagen: fast alle jüngeren Franzosen von der Bindung an die katholische Kirche lösen. 1965 wurden noch 94 % der Neugeboren katholisch getauft; 2021 sind es etwa noch 30 %…wobei die heutige Vorliebe für sakrale Feiern, wie Taufen, nicht auf eine dauerhafte religiöse Praxis der Beteiligten schließen lässt. In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden noch ca. 1.500 Männer pro Jahr zu Priestern geweiht; jetzt sind es jetzt etwa 80 bis 100, die in den Klerikerstand als Priester eintreten wollen. Auf Seite 67 nennt Cuchet die Prozentzahl der französischen Katholiken, die sonntags regelmäßig an der Messe teilnehmen: Es sind 2 bis 3 Prozent. Vor zwanzig Jahren waren es noch 8 Prozent, 1950 waren es noch mehr als 30 Prozent. Die meisten TeilnehmerInnen an der Sonntags-Messe sind heute bekanntlich ältere bis sehr alte Menschen. Nebenbei erwähnt Cuchet, dass es heute wohl mehr religiös praktizierende Muslime als religiös praktizierende Katholiken gibt (S.86). Der Islam wird die „zweite Religion in Frankreich“ genannt, zahlenmäßig betrachtet, aber wahrscheinlich sind die Unkirchlichen und Atheisten bereits längst die stärkste, nicht organisierte „Konfession“.

6. Cuchet bietet viele Hinweise auf diese globale rupture, diesen Bruch im religiösen Leben Frankreichs: Er nennt Formen des säkularen Glaubens, der sich äußert in einer großen Vielfalt, sogar das Joggen wird als eine Form der Askese gedeutet (S.69). Cuchet weist ferner auf die große und in sich vielfältige Gruppe der Menschen hin, die sich „sans culte“, ohne Religion, nennen, Leute also, die in England oder den USA  als „nones“ bezeichnet werden, Leute des NON, des Nein zur Religion. Bei der letzten noch staatlich veranstalteten Befragung zur Religionszugehörigkeit im Jahr 1872 (!) nannten sich von den 36 Millionen Franzosen nur 80.00 „ohne Religion“. Heute sind die Menschen mit der Konfession „Ohne Religion“ in Frankreich fast die Mehrheit. Interessant sind die Hinweise Cuchets zur Bedeutung buddhistischer Präsenz in Frankreich, die er vor allem in einer breiten Bewegung der „Meditierenden“ entdeckt. Dabei ist die Frage, welche neue Form des inhaltlich wohl reduzierten Buddhismus in Europa entsteht…Dabei wird die Frage diskutiert, welcher Unterschied heute zwischen dem ständig verwendeten Begriff „Spiritualität“ und dem der „Religion“ bzw. des Glaubens besteht. Von Spiritualität zu sprechen, deckt sozusagen alle Formen einer etwas intensiveren Lebensgestaltung ab, von Meditation über veganes Essen zu Yoga und Astrologie etc.

7. Es gibt freilich auch heute noch Zentren katholischer Präsenz, vor allem in Paris und anderen sehr großen Städten, von einigen gut besuchten Klöstern abgesehen. In Paris sind es vor allem die Angehörigen der gehobenen Mittelschicht aus dem eher vornehmen 14., 15. und 16. Arrondissement, die katholisch „aktiv“ sind, das gilt auch für die vornehmen Quartiers in Versailles, Lyon, Bordeaux usw. Der Rest-Katholizismus ist (groß)bürgerlich, die katholischen Arbeiterbewegungen sind jetzt nur noch marginal vertreten.

Es gab in letzter Zeit große politische Demonstrationen, an denen die großbürgerlichen Katholiken heftig beteiligt waren, also die “Manifestationen gegen die Ehe für alle“, gegen das Gesetz, das die so genannte „Homo-Ehe“ erlaubt. Und die französischen Bischöfe berichten 2021 stolz Papst Franziskus, dass durch die Massendemonstrationen mit heftiger Unterstützung konservativer bis reaktionärer politischer Parteien die Kirche wieder in der Öffentlichkeit sichtbar wurde. Seit 1930 gab es immer wieder linke katholische Bewegungen und linke katholische Theologen, aber die sind inzwischen fast alle … gestorben und haben keine Nachfolger gefunden. Die progressive Gemeinschaft „Mission de France“ gibt es noch oder auch den Orden „Fils de la Charité in der Banlieue, aber diese Gruppen sind fast ohne Einfluss. Angesichts einer Übermacht konservativer und reaktionärer Kräfte (man denke an den einflussreichen, auch politisch -reaktionären Bischof von Toulon, Dominique Rey von der charismatischen Gemeinschaft Emmanuel) sind die linken Katholiken fast verschwunden, sie haben das Feld geräumt. Man bedenke auch, dass die Absetzung des einzig wahrhaftigen progressiven und linken Bischofs, Jacques Gaillot, Evreux, durch den Vatikan im Jahr 1995 einen tiefen Bruch im Katholizismus erzeugt hat. Bischof Gaillot wurde nun zum Titularbischof des längst untergegangenen Bistums Partenia in Algerien ernannt, also buchstäblich in die Wüste geschickt. Und mit ihm viele tausende progressive Katholiken. LINK .Es ist der Vatikan in seinem Wahn, Pluralismus zu verbieten, der die Gläubigen aus der Kirche treibt. Dasselbe lässt sich auch für den Niedergang des holländischen Katholizismus evident zeigen.

8. Zum Ende des französischen Katholizismus: Der Abschied breiter Kreise der Katholiken begann schon vor der Französischen Revolution, begründet im Entsetzen des Volkes über den maßlosen Reichtum der Klöster und der Bischöfe, über die enge Bindung der Kirchenführer und Äbte an das absolutistische Regime der Könige; die Revolution selbst mit der inszenierten Propaganda der Entkirchlichung in vielen Regionen blieb nicht ohne Wirkung. Der gescheiterte Aufstand der Pariser Commune 1871 zeigte die enge Bindung von reaktionärer Herrschaft und reaktionärem Klerus. Im 20.Jahrhundert wurde durch den Vatikan der Versuch zerschlagen, eine aufseiten der Arbeiterklassen angesiedelte Kirche (Arbeiterpriester) zu bilden. Die Einmischung des Klerus in die gelebte Sexualität („Humae Vitae“) förderte den Abschied vom Katholizismus, um nur einige Beispiele zu nennen. Noch einmal: Der Klerus, Bischöfe, Päpste sind für die Entkirchlichung verantwortlich zu machen. Dieses Thema sollte viel stärker in den Focus der Forschung treten.

9. Der ganze Stolz des französischen Katholizismus seit etwa 1970 sind die so genannten „neuen geistlichen Gemeinschaften“, oft charismatischer „pfingstlerischer“ Prägung und mit der ganzen primitiven theologischen Schlichtheit der Evangelikalen ausgestattet. Diese zahlreichen Gemeinschaften hatten um 1980 tatsächlich noch viele jüngere Katholiken angezogen. Aber seit etwa 2015 werden „kleckerweise“ immer neue „Fälle“ von sexuellem Missbrauch durch Führergestalten dieser neuen geistlichen Gemeinschaften bekannt, so dass sich Papst Franziskus einschaltete und die Überwindung der Missstände einforderte. Nun ist also auch der gute Ruf dieser einst so gerühmten neuen geistlichen Gemeinschaften dahin.Eine ziemliche Blamage angesichts des Eifers und des Stolzes derer, die auf den Straßenmissionen ihr Alleluja schmetterten. Hinzu kommen noch die vielen Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester und des Vertuschens durch Bischöfe sowie die zunehmende Macht reaktionärer traditionalistischer Gemeinschaften und Klöster gerade INNERHALB des offiziellen Katholizismus. Es war ja Papst Benedikt XVI., dem es ein Herzensanliegen war, Klöster der Lefèbvre-Getreuen wieder mit Rom zu versöhnen. Aber diese Mönche zeigen sich nicht nur theologisch reaktionär, sie sind es auch politisch, in ihrer Verbindung mit der Partei Le Pens. Darauf habe ich mehrfach hingewiesen.LINK

10. Der französische Katholizismus versucht sich angesichts dieser vielen Probleme und Skandale irgendwie über Wasser zu halten, zum Teil durch merkwürdige Formen der Volksfrömmigkeit, indem man in diesem Jahr 2021 eine Statue des heiligen Josef durchs ganze Land schleppen lässt oder die marianischen Wallfahrtsorte wieder reaktiviert.

11. Und kein Theologe stellt die entscheidende Frage: Ist am statistisch nachgewiesenen Niedergang des Katholizismus in Frankreich auch das starre Beharren auf der uralten Lehre mit den immer selben Formeln und Floskeln der Dogmen schuld? Mit anderen Worten: Die Leblosigkeit und Erstarrung, das zwanghafte Festhalten an den immer selben Formeln des Glaubensbekenntnisses oder der Mess-Feier etwa, sind heftigster Ausdruck dafür, dass kein lebendiges Wagnis der Neuformulierung eingegangen wird, um nur ein Beispiel zu nennen: „Jesus als erlösendes Vorbild“ zu nennen. Oder: Den Abschied von der Ideologie der “Erbsünde“ zu verkünden, wagt kein katholischer Theologe, kein Bischof, kein Papst.

12. Es kann also jetzt die Situation eintreten, dass eine Religion so alt, so starr und stur geworden ist, dass sie de facto verschwindet? Rechnet man heute ernsthaft auch mit dem Tod von Religionen in bestimmten Teilen der Welt?  Etwa in Europa im 21. Jahrhundert? In Nordafrika ist auch im 6. Jahrhundert ein blühendes Christentum verschwunden, durch die Aggressionen der muslimischen Kämpfer gewiss, aber vielleicht war das Christentum dort auch schon “schwach“ gewesen, so dass die Zwangsbekehrungen zum Islam relativ schnell erfolgreich waren…. In der Tschechischen Republik, vor allem in Böhmen, ist das Christentum, auch die katholische Kirche, zahlenmäßig bereits fast verschwunden. Dazu hat Prof. Tomas Halik Wichtiges veröffentlicht…Wie gesagt, auch in Teilen Frankreichs, wie in dem Limousin oder dem Département Creuse ist die Kirche schon verschwunden… Wenn nicht afrikanische Priester nach Frankreich „eingeflogen“ würden, wäre das kirchliche Leben schon viel früher erloschen. Und wegweisende Projekte, wie die Leitung der Pfarrgemeinden durch Laien in Poitiers, haben wenig Resonanz in anderen Bistümern gefunden.

13. Theologisch betrachtet besteht wohl Die Überzeugung: Der humane Geist des Propheten Jesus von Nazareth wird auch in anderen Organisationen als den Kirchen überleben. Er lebt ja bereits, wenn auch unthematisch, unter den Aktivisten der vielen humanitären NGOs, wie Ärzte ohne Grenzen, Medico, Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer usw.

Ohne jede religiöse Vereinnahmung könnte doch einmal die Präsenz des jesuanischen Geistes unter den Mitgliedern dieser Menschenrechts-Bewegungen besprochen werden…

14. Diese Hinweise haben sich auf den französischen Katholizismus konzentriert. Ähnliche Ergebnisse gäbe es auch beim klassischen französischen Protestantismus, also unter Reformierten und Lutheranern. Zahlenmäßig wahrnehmbar ist der französische Protestantismus vor allem wegen der vielen charismatischen und evangelikalen Kirchengemeinschaften.

Eine Auswahl von wichtigen Studien, die zeigen, mit welcher Intensität die Frage nach der Zukunft der katholischen Kirche in Frankreich studiert und debattiert wird:

2018: Guillaume Cuchet, “Comment notre monde a cessé d etre chrétien. Anatomie d un effondrement”. Ed. Du Seuil, Paris.

2018: Jérome Fourquet, “A la droite de Dieu.” Ed. du Cerf, Paris

2015: “Métamorphoses catholiques”, Céline Béraud et Philippe Portier, Ed. de la Maison des sciences d homme.

2012: “A la gauche du Christ. Les Chrétiens de gauche en France de 1945 à nos jours“ (Denis Pelletier et Jean-Louis Schlegel), Ed. du Seuil Paris.

2007: Céline Béraud, “Pretres, diacres, Laics. Révolution silencieuse dans le catholicisme francais”. Presses Universitaires de France, Paris.

2003: Daniéle Hervieu-Léger, Catholicisme, la fin d un monde. Ed. Bayard, Paris.

2002: “Chretiens, tournez la page” (Autoren  R. Rémond, D. Hervieu-Léger u. andere) Ed. Bayard, Paris

1999: Hippolyte Simon (Bischof von Clermont-Ferrand). “Vers une France paienne?” Editions Cana, Paris.

1999: Danièle Hervieu-Léger,“ Le Pèlerin et le converti“. Flammarion, Paris. Auch auf Deutsch: „Pilger und Konveriten“, 2004, Ergon Verlag Würzburg.

1991: „Les Francais sont-ils encore catholique? Analyse d un sondage d opinion“ (4 Beiträge, u.a. Guy Michelat) Ed. du Cerf, Paris.

1991: Gérard Cholvy, “La religion en France de la fin du 18 siècle à nos jours“,Hachette, Paris.

1985: “La Scène Catholique”, Revue Autrement, Paris. Mit 33 Beiträgen z.T. prominenter Autoren (wie Marcel Gauchet) au seiner Zeit, als es noch viele euphorische „Aufbrüche“ im französischen Katholizismus gab.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Erzbischof Heße bleibt im Amt.

Wo das Mittelalter lebt und man(n) mittelalterlich denkt. Ein Hinweis auch zur Sprachphilosophie

Von Christian Modehn

Heutige Philosophie und damit auch Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie befasst sich mit der Analyse der Sprache, also der gesprochenen und geschriebenen Sprache in verschiedenen kulturellen Milieus.

1. Um den LeserInnen einen Eindruck zu vermitteln, wie und wo das mittelalterliche Denken heute noch lebt, dokumentiere ich eine aktuelle offizielle Mitteilung der Apostolischen Nuntiatur in Berlin. Die Apostolische Nuntiatur ist ein frommer Titel für „Botschaft der Vatikan-Stadt“, auch „heiliger Stuhl“ genannt. Man bedenke, dass mit dem mittelalterlichen Titel „Apostolische Nuntiatur“ angedeutet, wenn nicht unterstellt wird: Die ersten Apostel, etwa der Fischer Petrus, wären froh, wenn es zu ihren Ehren weltweit pompöse Papst-Botschaften (Nuntiaturen) gibt… Aber das ist ein anderes Thema.

2. Zum Text selbst: Inhaltlich geht es darum, dass Papst Franziskus jetzt das Rücktrittsangebot des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße NICHT angenommen hat. Heße wurden bekanntlich von der Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger elf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Aufklärung von sexueller Gewalt durch Priester im Erzbistum Köln nachgewiesen. Am 18. März 2021 hatte Heße deswegen den Papst gebeten, seinen Rücktritt als Erzbischof von Hamburg anzunehmen. Ein Bischof tritt bekanntlich einfach zurück und verschwindet dann in einer Privatwohnung, sondern er bittet den „Heiligen Vater“ in Rom, dass er ihm die Freiheit des Rücktritts doch bitte bitte lassenmöge.  Bischöfe sind also wie Kinder, die den Papi bitten, darf ich mal auf die Straße gehen… Auch dies ein anderes Thema.

Und dieser angeblich so progressive und aufgeschlossene Papst sagte abermals NEIN, wie schon im Falle von Kardinal Marx in München. Offenbar gibt es so wenige Kleriker, die diesen Job eines Bischofs heute noch ausüben wollen und (meist nicht) können…

3. Zur Lektüre des Textes der Apostolischen Nuntiatur: Der letzte und wichtigste Teil des Schreibens besteht aus einem ultra-langen Satz, eine Sprache, die typisch ist für Bürokratien und Behörden.

Und der daran anschließende Satz schleudert uns in eine mittelalterliche Welt zurück.

Aber lesen Sie selbst den ersten Lang-Satz:

„In Anbetracht der Tatsache, dass der Erzbischof seine in der Vergangenheit begangenen Fehler in Demut anerkannt und sein Amt zur Verfügung gestellt hat, hat der Heilige Vater, nach Abwägung der über die Visitatoren und durch die einbezogenen Dikasterien der Römischen Kurie zu ihm gelangten Bewertungen, entschieden, den Amtsverzicht S.E. Mons. Heßes nicht anzunehmen, sondern ihn zu bitten, seine Sendung als Erzbischof von Hamburg im Geist der Versöhnung und des Dienstes an Gott und den seiner Hirtensorge anvertrauten Gläubigen fortzuführen.“

So „verschwurbelt“ sprechen und schreiben nur Bürokraten.

Inhaltlich gesehen bedenke man weiter: Wenn ein Bischof also mal demütig ist und auch mal Fehler anerkennt, und noch pro forma sein Amt zur Verfügung stellt, dann hat er als möglicher Täter und Vertuscher alle Chancen, seinen exzellenten und gut bezahlten Job fortzuführen. Die Opfer sind selbstverständlich nicht so wichtig. „Grob gesagt bekommen Erzbischöfe etwa 12.000 Euro Grundgehalt im Monat, Auch hier kommen Dienstwohnungen und –wagen dazu, inklusive Chauffeur. Bischöfe, Weihbischöfe und Domkapitulare werden in der Regel auch aus der Staatskasse entlohnt“. (Quelle: https://www.katholisch.de/artikel/21935-was-verdient-man-eigentlich-als-priester)

4. Und nach diesem Lang-Satz der Absprung ins mittelalterliche Denken durch den Botschafter des Heiligen Stuhls in Berlin, genannt Nuntius: „Dazu erbittet der Heilige Vater Erzbischof Heße und dem Erzbistum Hamburg, auf die Fürbitte der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria und des Heiligen Ansgar, Gottes reichen Segen.” (Quelle: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2021/Mitteilung-Heiliger-Stuhl.pdf)

5. Und ich möchte religionskritisch und sanft zynisch den Hinweis auf dieses unsägliche Geschehen beenden, und dabei noch einmal mit dem mittelalterlichen Aberglauben spielen, der ja wie gesehen in den Köpfen vatikanischer Beamter und Prälaten herumspukt. Denn all diese himmlischen Fürsprachen etc. sind doch, sorry, Aberglauben oder vornehmer Mittalter…

In diesem Sinne schlage ich vor als fromme mittelalterliche Schlußfloskel zum Brief des Nuntius zum Fall  Heße:  „Und wir bitten den Heiligen Geist, die dritte Person der Trinität im Himmel, dass er mit all seiner Kraft die Gehirne von Prälaten und Päpsten zur Vernunft hin bewege. Und dies alles möge geschehen unter der himmlischen Fürsprache des heiligen Franziskus von Assisi, des Namensgebers unseres heiligen Vaters,  und unter dem Beistand des heiligen Josef, des Pflegevaters Jesu, in dessen Gedenken wir dieses Jahr 2021 fromm gestalten und die Josefs-Ehen fördern… und so weiter und so weiter ad aeternum…! ABER: Möge um Himmels willen der so großartige zölibatäre Klerus immer fortbestehen, auch wenn es in bald (seinetwegen) keine katholischen Gläubigen mehr gibt”.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Kardinal Alfred Bengsch: Ein Bischof von Berlin, der „theologische Mauern“ errichete. Im Osten wie im Westen.

Hinweise von Christian Modehn, publiziert am 21.8.2021.

Zur Einführung:
Warum dieses Thema? Es gibt heute viel Dringenderes. Zweifellos.

Eine Neuigkeit: Joseph Ratzinger schätzte als Theologe und künftiger Erzbischof von München ganz besonders Kardinal Alfred Bengsch. Zwei sehr Konservative kannten sich schon seit dem Konzil… Siehe Nr. 17).

– Aber am Beispiel von Erzbischof und Kardinal Bengsch (1921-1979), Bischof in der geteilten Stadt Berlin, wird einmal mehr deutlich, wie ein einzelner, sich „Ober-Hirte“ nennender Kleriker eine ganze Kircheneinheit, ein Bistum, ins geistige Getto und zu einem von Angst bestimmten Glauben führen kann. Die Herrschaft einzelner, sich Macht anmaßender Bischöfe ist ja im aktuellen Fall von Kardinal Woelki (Köln) allgemein bekannt. Woelki hat in der klerikalen Arroganz viele „Vorgänger“ und „Mitstreiter“. Einer ist Bengsch, einer von vielen „Oberhirten“.

– Als Berliner, geboren in Ost–Berlin, in Berlin-Friedrichshagen, 1958 Flucht nach West-Berlin und dort Abitur sowie ein Semester Studium der ev. und kath. Theologie sowie der Philosophie an der F.U., (die Studien konnte ich in der BRD abschließen), kenne ich Bengsch, weil ich auch familiär mit dem „katholischen Milieu“ damals eng verbunden war. Mir ist es wichtig, ein Stück Erinnerungsarbeit zu leisten. Und vielleicht Aspekte deutlich zu machen, die anlässlich seines 100. Geburtstages in Jubelfeiern verdrängt werden.

Diese Hinweise sind also ein Beitrag der Religionskritik, eines Hauptthemas der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie.

1. Lobeshymnen oder die historische Wahrheit?
In diesen Wochen erinnern sich nicht nur „Katholiken an den Berliner Erzbischof und Kardinal Alfred Bengsch. Es handelt sich um einen katholischen Bischof, der das katholische „Leben“ in Berlin (-Ost wie auch -West) bestimmte und sich darüber hinaus mit seiner sehr konservativen Theologie in den Katholizismus der BRD einschaltete.

Alfred Bengsch ist, summarisch betrachtet, ein Prototyp des ängstlichen, verschlossenen, dialog-unfähigen und arroganten Bischofs. Diese Tatsachen werden hoffentlich Beachtung verdienen, wenn anlässlich des 100. Geburtstages von Bengsch, wie offiziell – katholisch üblich, die erwünschten Lobeshymnen auf den „Ober-Hirten“ angestimmt werden. Der Herder Verlag wirbt für ein neues Buch über Bengsch mit der Behauptung: „Alfred Kardinal Bengsch gilt bis heute als einer der prominentesten und beliebtesten Oberhirten des Erzbistums Berlin“. Prominent war er auf seine Weise; aber als sturer Dialogverweigerer, kann er da als beliebt gelten? Bei einigen theologisch eher anspruchslosen Gläubigen vielleicht, die sich an Bengschs Predigten erbauten, die ganz auf die traditionelle Masche der klassisch-konservative Innerlichkeit und des bloß spirituellen Trostes setzten.

2. Bengsch wird Bischof – eine Art „Notlösung“
Alfred Bengsch wurde am 10. Februar 1921 in Berlin-Schönberg geboren, zum „Weihbischof“ in Berlin mit Amtssitz in Ost-Berlin wurde er 1959 von Papst Johannes XXIII. ernannt. Zum maßgeblich leitenden Bischof des Bistums Berlin wurde er drei Tage nach der Errichtung der Mauer, also am 16. August 1961, ernannt. Er war also in einem für katholische Bischöfe extrem jugendlichen Alter, er war 40 Jahre alt. Diese Ernennung ist begründet vor allem in der Abberufung des in West-Berlin lebenden Bischofs Julius Döpfner, er wurde Erzbischof von München-Freising. Und Bengsch war da eine schnelle „Lösung“, manche sagen, er wurde verantwortlicher Bischof, weil der Papst „sonst niemanden hatte“.

3. Bengsch repräsentierte die so genannte Einheit des Bistums Berlin
Bischof Bengsch „residierte“ in Ost -Berlin mit dem dortigen kirchlichen Verwaltungsapparat („Ordinariat“), hatte aber die Möglichkeit als einer der wenigen DDR- Bürger regelmäßig nach West-Berlin einzureisen und den aufwendigen, parallelen Verwaltungsapparat im Ordinariat West (wie viele Priester waren damals eigentlich nur „Verwaltungsbeamte“?) sowie die Gemeinden zu besuchen. Das muss noch einmal betont werden: Bengsch war als Bischof in der DDR auch für die Katholiken im freiheitlich und demokratisch geprägten West-Berlin zuständig. Und auch das ist wichtig: Die von kirchenoffizieller Seite bis heute viel beschworene und gerühmte „Einheit des Bistums Berlin“ nach dem Mauerbau am 13.8. 1961 repräsentierte de facto und als leibhaftige Einheit Bischof Bengsch allein: Er war einer der wenigen regelmäßigen, von der DDR-Regierung akzeptierten, Ost-West-Pendler. Natürlich besuchten einige Katholiken aus dem West-Berlin privat auch den Ostteil, aber offizielle Begegnungen in den Ost-Gemeinden fanden nicht statt.
Am 13. Dezember 1979 ist Erzbischof Bengsch in Berlin verstorben.

4. „Eine markige Persönlichkeit“?
Über weitere Details seines Lebens kann man sich über wikipedia usw. informieren. Hier geht es darum, wie es sich gehört, kritische Hinweise zum theologischen und kirchenpolitischen Denken Bengschs zu skizzieren. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass anlässlich des 100. Geburtstages von Bengsch eher Lobeshymnen angestimmt werden als objektive Beobachtungen. Ein Text der Katholischen Akademie Berlin vom Sommer 2021 nennt Bengsch etwa eine „markige Persönlichkeit“, was immer das „markig“ bedeuten mag. Und die Akademie fährt fort: „Er hat bis heute bleibende Spuren hinterlassen“. Wohl wahr, von diesen „Spuren“ handelt dieser Hinweis, es sind – schon jetzt zusammenfassend formuliert – Spuren, die die Katholiken in West-Berlin, in einer Stadt in der „freien Welt“, ins Getto führten, in eine geistige Verkrampfung und Abgeschlossenheit, die spiegelbildlich der Mentalität der DDR-Führung durchaus entspricht. Insofern wäre es eine ausführliche Studie wert zu zeigen, wie Bischof Bengsch in seinem Verhalten des rigiden Regierens die DDR-Mentalität der Herrschenden belebte.

5. Nur Bengsch kennt das „unverkürzte Evangelium“
Eine gewisse Leitlinie der Interpretation des Denkens und Handels von Bengsch bietet sogar eine offizielle katholische Deutung: 1980 wurde im katholischen St. Benno-Verlag in Leipzig das Buch „Der Glaube lebt“ veröffentlicht, darin schreibt das katholische DDR- Autorenteam sehr ehrlich: „Kardinal Bengsch war kein progressiver Bischof“ – mit der sehr treffenden Ergänzung: „falls es so etwas gibt. Im Schubladendenken … ist er einwandfrei im Fach konservativ gelandet, und das noch nicht einmal gegen seinen Willen“ (S. 135). Dieser konservative und ängstliche Theologe Bengsch hatte sich übrigens als seinen Wahlspruch gewählt: „Helfer eurer Freude“. Gemeinte war selbstverständlich bei ihm immer die „innerliche Freude“ der dogmatisch korrekt Glaubenden. Das wahre Motto Bengschs war eher das von ihm häufig verwendete Wort: „Ich will die Lehre der Kirche UNVERKÜRZT lehren“. Wobei er von sich selbst, durchaus arrogant, meinte, das unverkürzte, also das ganze und das authentische Evangelium zu kennen: Pluralismus der Meinung schloss diese Überzeugung aus. Bengsch allein bestimmte, was „unverkürzt“ bedeutet…Davon wird noch zu sprechen sein.

6. Die Häretiker suchen und bestrafen.
Zur theologischen und kirchlichen Laufbahn Alfred Bengschs: In den neunzehnhundertfünfziger Jahren konnten Priester der DDR noch an bundesdeutschen theologischen Fakultäten promovieren, so auch Alfred Bengsch. Er erwarb 1956 an der Universität München bei dem katholischen Dogmatiker (und auch später noch explizit konservativen Theologen) Michael Schmaus seinen Dr. theol. Das Thema der Promotionsschrift ist: „Heilsgeschichte und Heilswissen bei Irenäus von Lyon. Eine Untersuchung zur Struktur und Entfaltung des theologischen Denkens im Werk „Adversus Haereses, „Gegen die Häretiker“.
Das Thema hat keine aktuelle Bedeutung, damals schon nicht, also 10 Jahre nach Kriegsende und der von Nazis betriebenen Vernichtung des europäischen Judentums! Da hätte man sich ja auch Relevanteres vorstellen können für einen jungen Theologen aus dem geteilten Deutschland. Aber nein, es musste ein Theologe und ein so genannter „Kirchenvater“ des 1. Jahrhunderts sein, Irenäus von Lyon, über den schon 1956 sicher mindestens 20 Studien vorlagen. Irenäus von Lyon lebte von 135 bis 200. Die Abgrenzung des wahren Glaubens von den Meinungen der Häretiker (bei Irenäus waren es die so genannten Gnostiker) prägte das Denken von Bengsch also von Anfang an.

7. Die grundlegende “Weichenstellung” im Denken von Bengsch
Das ist für das Verständnis entscheidend: Bischof Bengsch lehnte als Teilnehmer des 2. Vatikanischen Reform- Konzils (1962-1965) das entscheidende und grundlegende Konzilsdokument „Die Kirche in der Welt von heute“, auch „Gaudium et spes“ genannt, ab. Am 7. Dezember 1965 fand nach langen und heftigen Debatten die Schlussabstimmung statt: 2.309 Ja-Stimmen standen 75 Nein-Stimmen gegenüber. Mit Nein hatte auch Bischof Bengsch von Berlin gestimmt. Unter der verschwindenden Minderheit der Nein-Sager befanden sich die berühmtesten reaktionären Bischöfe damals, in dieser Gesellschaft bewegte sich also Bengsch offenbar guten Gewissens. Die „Neinsager“ lehnten eine dialogbereite Kirche ab, sie wollten überhaupt nicht, dass sich die Kirche als „Hort der absoluten Wahrheit“ auch lernbereit mit den modernen Denkweisen auseinandersetzen muss. Bekanntlich wurde selbst der Dialog mit Atheisten vom Reformkonzil mit absoluter Mehrheit gutgeheißen. Von dieser Wegweisung des Reformkonzils wollte Bengsch nichts wissen. Die Konsequenz war: Bengsch lehnte den Dialog mit der säkularen, atheistischen, sozialistischen Welt ab, genauso wie dies auch der spätere Traditionalist und „Piusbruder“ Erzbischof Marcel Lefèbvre tat oder der reaktionäre brasilianische Erzbischof Geraldo Sigaud svd. Er war führendes Mitglied der bis heute bestehenden internationalen reaktionären Bewegung „Für Tradition, Familie und Privateigentum“. Bischof Sigaud ist nachweislich der heftigste Feind des Propheten Erzbischof Helder Camara gewesen. Die reaktionären Kreise sammelten sich während des Konzils im „Coetus Internationalis Patrum“, also dem „Internationalen Bund der Väter“, (leibliche Väter waren sie wahrscheinlich nicht). Zu diesem Kreis gehörte auch der große Gegner von Papst Johannes XXIII. :Kardinal Alfredo Ottaviani, Chef der damaligen „Inquisitionsbehörde“. Ob Bengsch zu diesem reaktionären „Coetus“ als Mitglied gehörte, ist für mich nicht eindeutig. Der einstige Pressesprecher des Bistums Berlin, Dieter Hanky schrieb in der offiziellen Bistumszeitung „Petrusblatt“: „Bengschs Bedenken, mit denen er sich zwar nicht allein, aber in einer kleinen Gruppe (also doch dem genannten „Coetus“?, CM) befand, galten vor allem jenen Textstellen, von denen er glaubte annehmen zu dürfen, dass sie vor allem von kommunistischen und anderen atheistischen Regierungen zum Schaden der Kirche missbraucht werden könnten… Als dann das Konzilsdokument, die Konstitution Kirche in der Welt von heute, wenn auch in einigen Punkten verbessert, mit großer Mehrheit vom Konzil angenommen wurde, schrieb Erzbischof Bengsch am 22. November 1965 in tiefer Sorge einen ausführlichen Brief an Papst Paul VI., in dem er ihm die Gründe für seine Ablehnung der Konstitution darlegte. Zu seiner großen Überraschung bat ihn der Papst am 6. Dezember zu einer Privataudienz, in der er den Papst noch einmal beschwor, der Konstitution in dieser Form die Zustimmung zu versagen. Er befürchtete Folgen in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang, wo die Verteidigung der religiösen Werte der Kirche als Widerstand gegen den gesellschaftlichen Fortschritt gewertet würde. Es war umsonst“. (Petrusblatt 12. Dezember 1999). Gott sei Dank, muss man sagen, sonst hätte Bengsch die ganze Kirche noch weiter ins Getto geführt…

8. Die katholische Kirche einmauern, im Osten wie im Westen.
Das Nein zu einem Dialog mit der säkularen, atheistischen Welt hat Bengsch als Bischof von Berlin Ost wie Berlin West fortgesetzt und durchgesetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen: So, wie sich die DDR in Berlin mit einer Mauer umgab, so umgab Bengsch auch die katholische Kirche in der DDR mit einer Mauer. Seine Mauer-Abschottungs-Ideologie setzte er auch in der Kirche in West-Berlin rigoros durch.

9. Bengsch baut katholische Mauern in der DDR
Über Bengschs durchgängiges Bemühen, die katholischen Kirche in der DDR mit einer geistigen Mauer zu umgeben, sind etliche prägnante historische Studien erschienen. Ich erwähne nur die eher summarische Darstellung von Clemens M. März in dem Buch „Unser Glaube mischt sich ein. Evangelische Kirche in der DDR“, Ev. Verlagsanstalt Berlin 1990. Der Titel des Beitrags von Clemens M. März nach dem Mauerfall, 1990 geschrieben: “Aus dem Winterschlaf erwacht: Befreit zur Katholizität“ Seite 111-120). März zeigt: Die katholische Kirche in der DDR „distanzierte sich ostentativ von jeglicher gesellschaftlichen Mitarbeit“ (S. 115). Die DDR sollte nach Bengschs Meinung soweit es nur geht ignoriert werden,“ die Kirche flüchtete sich in die Katakombe“ (S. 117). Die offenen, weiterführenden Einsichten der Diözesansynode von Meißen (1969-1971) wurden von ihm unterdrückt. „Sie wurden von Bengsch der Ketzerei verdächtigt“ (S. 116) … Da haben wir schon wieder Bengschs Suche nach Ketzern (Häretikern), eine Leidenschaft seit seiner Doktorarbeit. Der katholische Theologe in Leipzig, Dr. Wolfgang Trilling, spricht sogar von einer „Liquidierung der Synode in Meißen“ durch Bengsch, siehe Trillings wichtigen und sehr erhellenden Beitrag in der Festschrift für Johann Baptist Metz „Mystik und Politik“ (Mainz 1988), Seite 324.
Im ganzen, meint auch der Autor Clemens M. März, habe Bengsch „das selbstgewählte Getto“ gepflegt (S. 118) „indem die katholische Kirche auch dort schwieg, wo sie, analog zum mutigen Eintreten der evangelischen Kirche, für Freiheit und Menschenrechte, hätte reden müssen“ (S. 117).
Zu demselben Ergebnis in der Einschätzung von Bengschs Wirken in der DDR kommt der schon genannte katholische Theologe und Professor für Bibelwissenschaftler Wolfgang Trilling (Leipzig). Er hat seinen Beitrag in der oben genannten Festschrift für Johann Baptist Metz „Mystik und Politik“ (Mainz 1988) unter den Titel gestellt „Kirche auf Distanz“ (Seite 322-332). Man darf sagen, dass dieser theologisch-historische Beitrag über die katholische Kirche in der DDR, in Leipzig verfasst 1987, stimmungsmäßig auch von einem „heiligen Zorn“ Trillings auf das katholische System bestimmt ist: “Nicht Produktivität, Phantasie, Experiment, Kritik, Freimut mit den neuen Partnern auf den verschiedenen Ebenen (der DDR) werden von Katholiken erwartet und als christliche Verhaltensweisen empfunden, sondern Gemeinsamkeit, ja gar Geschlossenheit, Zusammenhalt der kleinen Herde…“ (S. 324)… „Die Konstitution des Konzils Kirche des Konzils in der Welt von heute wurde in der DDR faktisch nicht rezipiert…es ging keine belebende Wirkung von ihr aus“ (S. 325). Und Trilling weist darauf hin, dass sich „katholische Jugendliche vielfach evangelischen Gruppen angeschlossen hatten, in denen die Friedensthematik z.B. leidenschaftlich diskutiert wurde“ (S. 328). Summa summarum schreibt der katholische Theologe Wolfgang Trilling: „Die gegenwärtige Lage, die durch das Fehlen jedes Instrumentariums innerkirchlicher Öffentlichkeit (synodale Einrichtungen, eigene Laienverbände…) verschärft wird, ist grotesk und in der Weltkirche singulär. Dennoch: Was uns nottut, ist eine entschlossene Abkehr von dem bisherigen Weg“, so (S.331). Über Trillings Widerspruch gegen den „Bengsch-Kurs der Abschottung“ hat auch Theo Mechtenberg in der Trierer Zeitschrift „Imprimatur“ (Heft 3, 2018) geschrieben. Die katholische Kirchenzeitung in den neuen Bundesländern, Ost-Deutschland, „Tag des Herrn“, berichtete am 11.4. 1999 von einer Tagung, auf der der Erfurter Historiker Jörg Seiler über die Beziehung der katholischen Bischöfe zu den jungen Katholiken mit “Gewissenskonflkten“ berichtete, es ging also um die Frage: Was denken die katholischen Bischöfe vom Dienst als Bausoldat oder von Totalverweigerern. Besonderen Einfluss dabei hatte der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch: „Er sah direkte Interventionen in der Frage der Wehrpflicht als Gefährdung des relativ ruhigen Staat-Kirchen-Verhältnisses an.“ Die Auseinandersetzungen um die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen überließ man der evangelischen Kirche“, so der Journalist Matthias Holluba in „Tag des Herrn“.

10. Bengsch und sein „Maulkorberlass“
Der schon genannte Autor Clemens M. März erwähnt zur „politischen Dialogverweigerung Bengsch auch den so genannten „Maulkorberlass von Bengsch“ vom 1. Juni 1977, der den Priestern wie auch den Laien der DDR verbot, politische Aktivitäten auszuüben! Bengsch betonte sogar: „Das kirchliche Amt (also Bengsch selbst, CM) als gültiges Zeichen der Einheit und die prophetische Freiheit (was meint der Bischof denn damit?, CM) verlangen, kein wie auch immer geartetes politisches Engagement einzugehen“ (S. 117). Dadurch hatte sich die katholische Kirche der DDR auch vom Friedensengagement distanziert. Die „friedliche Revolution“ von 1989 war institutionell tatsächlich nur von der Evangelischen Kirche unterstützt und gefördert. 1990 wird dann der neu ernannte Bischof Georg Sterzinsky in einem Interview mit der „WELT“ (1.2.1990) vorsichtig und ein bisschen selbstkritisch bekennen: „Wir Katholiken der DDR hätten unsere Solidarität mit jungen Oppositionsgruppen deutlicher zum Ausdruck bringen müssen“ (S. 119). Um den Titel des Beitrags von Clemens M. März etwas zu variieren: 1990, nach dem die Mauer gefallen war, war die seit Bengsch in den Winterschlaf verfallene katholische Kirche im Osten Deutschlands ein bisschen erwacht…

11.Eine Mauer soll auch West-Berliner Katholiken einschließen
Die Mauer und das eingemauerte Denken hatte Bengsch so tief verinnerlicht, dass er auch die Katholiken in West-Berlin in eine geistige, theologisch engstirnige Mauer einsperrte, was er auch mit aller Bravour in West-Berlin durchsetzte:
Keine katholische Pressefreiheit
Der Redakteur der katholischen Kirchenzeitung in West-Berlin, “Petrusblatt“, Günter Renner, hatte es 1967 gewagt, einen kritischen Leserbrief gegen eine Entscheidung der katholischen Verwaltungsbehörde, des Ordinariates in West-Berlin, zu publizieren. Etwas Normales für eine freie Presse in einer freien Stadt. Die Verwaltungs-Prälaten waren jedoch empört und setzten alles in Bewegung, um den fähigen und bei den meisten Lesern beliebten Redakteur Pfarrer Renner abzusetzen. Viele Zeitungen, auch katholische Blätter in der BRD, zeigten sich verärgert über diese Entscheidung. Selbst die mit der CDU eng verbundene Berliner Morgenpost aus dem eigentlich immer kirchlich wohlgesinnten Hause Axel Caesar Springer protestierte. Die Medien forderten Bengsch auf, Pfarrer Renner als Redakteur weiter arbeiten zu lassen, aber vergebens. Bengsch war entschieden gegen umfassende und normale Pressefreiheit innerhalb der katholischen Kirche. Wieder eine erstaunliche Parallele zur Pressefreiheit in der DDR. Dieses Denken in einem Freund-Feind-Schema ist formal gesehen die gemeinsame Mentalität von Bengsch und der DDR-Führung.
Also musste der Redakteur Pfarrer Renner seinen Posten aufgeben, „er werde mit seinem kritischen Arbeiten den einem Diözesanblatt gestellten Aufgaben nicht gerecht“, hieß es. Nachfolger von Pfarrer Renner wurde damalige, mit Bengsch eng verbundene Ordinariatsräte und konservative Theologen wie Wolfgang Knauft oder Erich Klausener. Sie machten aus dem Petrusblatt eine katholische „Prawda“ oder „Neues Deutschland“. Aus einem dialogbereiten Blatt wurde ein offizielles „Organ“. Dagegen wehrte sich kurze Zeit ein kritisches Wochenblatt, mit dem Titel „Der Christ“ (Auflage 5.000). Bengsch nannte diese Zeitschrift wörtlich, so berichtete der SPIEGEL 1968, auf seine „freundliche“ Art „ein Käseblatt“. Aus Mangel an Geld musste „Der Christ“ bald verschwinden. Kirchensteuer-Gelder erhielten nur die offiziellen Propaganda-Blätter wie das Petrusblatt. (Über die Kirchenpresse im geteilten Berlin siehe auch: https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/259675/christliche-gemeinschaft-im-geteilten-berlin)
Was die publizistische Wirkung angeht: Bengsch genießt noch heute wegen seiner rigorosen Haltung als Konservativer viel Achtung, etwa in dem reaktionären Monatsblatt aus Regensburg mit dem Titel „Der Fels“, dort ein Beitrag von Bengsch im Dezember 2013.

12. Keine katholisch- theologische Wissenschaft in Berlin
Über die Mauer, die Bengsch um die katholische Kirche in West-Berlin zog, wären viele Beispiele zu nennen: So gab es etwa überhaupt kein katholisch-theologisches Institut, also keine theologische Forschung, die den Namen verdient. Das wirklich winzige „Seminar für katholische Theologie“ an der Freien Universität stand zwar in der Nähe des FU Hauptgebäudes, dem Henry Ford Bau, es stand aber geistig völlig am Rande, spielte überhaupt keine Rolle im kulturellen und religiösen Leben der Stadt. Der Leiter dieser „Klitsche“, wie wir Studenten damals das winzige Seminar für katholische Theologie nannten, war seit 1956 Prof. Marcel Reding (aus Luxemburg), ein stiller, zurückhaltend-netter gebildeter Priester, der auch etwas Bengsch-kritisch war, aber nur hinter vorgehaltener Hand. Redings Lebenswerk war die Marx-Interpretation im Lichte des mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin. Dann dozierte dort noch der Moral-Theologe und Jesuit Waldemar Molinski, mit dem sich heftige Debatten ergaben etwa über den Willen einiger Studenten, eine ökumenische, also eine gemeinsame katholisch-evangelische Studentengemeinde zu gründen. Diese ökumenische Initiative wurde unterdrückt. Ökumene war überhaupt nicht Bengschs Interesse. Er benutzte evangelische Kirchengebäude auf dem Lande, in Brandenburg, wenn denn kein „katholisches Gotteshaus“ zur Verfügung für die kleine Gemeinde. Aber das war es…
Eine katholische Akademie in West-Berlin, die diesen Namen verdiente, wie etwa die 1957 gegründete Katholische Akademie in München, gab es zu Bengschs Zeiten nicht. Das so genannte“ katholische Bildungswerk“ war ein Einmann-Betrieb mit Pfr. Fassbender, die Sendungen über Kirchen in der ARD Anstalt SFB wurden von Ordinariatsräten streng beobachtet und kritisiert. Demokratische Meinungsvielfalt war ein Horror für Bengsch, dies wollte er seinen Untertanen einbläuen. Prälat Klausener in West-Berlin hatte die Bengsch-Theologie völlig verinnerlicht: „Demokratie ist in der katholischen Kirche abzulehnen, vielmehr ist dem kirchlichen Amt Vertrauen und Gehorsam geboten“, zitiert der katholische Politologe Manfred Krämer in seiner Studie „Kirche kontra Demokratie?“ (München, 1973, S. 46). Dr. Manfred Krämer war ein geradezu leidenschaftlich kluger Vorkämpfer für eine moderne katholische Kirche auch in West-Berlin, aber ist mit seinem Engagement selbstverständlich gescheitert … und leider viel zu früh verstorben…

13. Mit Stasi-Methoden in der Kirche arbeiten
Dem SPIEGEL war es in Heft 26 des Jahres 1969 ein Bericht wert: Kardinal Bengsch folgte Stasi-ähnlichen Methoden und konnte deswegen einen theologisch gebildeten Kaplan in der West-Berliner Gemeinde St. Bernhard in Dahlem vertreiben. Konkret: Ein Bengsch-freundlicher Katholik hatte heimlich – wie die Stasi – die „theologisch-modernen“ Predigten von Kaplan Hebler mitgeschnitten und die Kassetten dem Kardinal bzw. seinen Prälaten zugeschickt. Sie hörten die Mitschnitte ab und … Kardinal Bengsch entfernte Kaplan Hebler aus der Gemeinde. Der SPIEGEL hat sogar den Tonband-affinen Katholiken genannt, es war ein gewisser Alfons Ryzlewicz. Er also förderte, sicher nicht allein, mit seinem orthodoxen Eifer die Absetzung Heblers … wieder einmal wegen „Häresieverdacht“. Der SPIEGEL berichtet: Hebler wurde ins Bischöfliche Ordinariat (West) zitiert, „wo er fünf Stunden lang auf Fragen einer fünfköpfigen Kommission antworten musste. Zwar tranken die geistlichen Herren dabei Tee mit dem Beschuldigten, doch diesem war angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe der »private Ton« eher lästig. Denn er wurde u.a. beschuldigt, er habe den Gottesdienst zum Ort des Protestes gemacht und »engagierte politische Erklärungen« in die Verkündigung gebracht usw… Tatsächlich wurde Hebler dann von Bengsch nach dem Rausschmiss aus der Gemeinde ein „Studienurlaub“ gewährt… Der bekannte, an der FU von moderaten Demokraten sehr geschätzte Katholik, der Politologe Prof. Alexander Schwan, sprach von Hebler als einem der wenigen, die „zu den erschreckend wenigen Predigern in Berlin gehörten, die … einem Großstädter die Verkündigung Jesu Christi heute noch nahezubringen und bedeutsam zu machen vermögen«. Viele Dahlemer Katholiken protestierten gegen die Entscheidung Bengschs und sandten dem Kardinal einen entsprechenden Brief, aber sie erhielten keine Antwort.
Bengsch und die „68 er Bewegung“
Interessant ist auch die Ignoranz Bengschs und der Prälaten in West-Berlin im Umfeld des Mai 68. Als der Studentenführer Rudi Dutschke am 11.4. 1968 am Kurfürsten Damm 141 Opfer eines Attentates wurde, das er nur schwerstkrank überlebte, berichtete das Petrusblatt recht knapp über „Osterzwischenfälle“ (dieser Titel erinnert an die Sprachregelung des „Neuen Deutschland“ der SED). Und weil einige Demonstranten auf dem Kurfürsten Damm ein Kreuz in der Hand hatten und es hoch hinaus wie eine Mahnung in die Öffentlichkeit streckten, schrieb Prälat Erich Klausener im „Petrusblatt“: „Junge Leute nehmen das Kreuz für sich in Anspruch. In ihrem Sendungsbewusstsein fühlen sie sich als Vollstrecker der Geschichte“. Das Kreuz, so der Prälat, gehöre in die Hände der Kirche, nicht der Aufständischen! Und der Prälat kritisierte dann die Demonstranten weiter, „weil sie einen moralischen Absolutheitsanspruch haben, der nur von wenigen erhoben wird“. Als einige katholische Studenten Flugblätter über den Mai 68 in der Sankt Canisius-Kirche (Charlottenburg) verteilten, wurden sie sofort rausgeworfen. Das Petrusblatt berichtete, dass der dort aufhaltende Erzbischof Bengsch ausdrücklich die Annahme dieses Flugblattes verweigert hätte, weil er sich ja auf die Feier des Pontifikal – Amtes in dieser Kirche vorbereiten musste…(In diesem Absatz zitiere ich aus meinem Beitrag in dem Buch “Zwischen Medellin und Paris. 1968 und die Theologie“, der Titel meines Beitrags: „Der Traum ist vorbei“. Edition Exodus, Luzern/Münster, 2009, S. 11-24).

14. Die Idee vom „unverkürzten Evangelium“
Alfred Bengsch, Bischof und dann auch Kardinal, liebte es, seine eigene überragende Rolle als einzig kompetenter Interpret der Lehre Jesu Christi zu definieren: „Ich will das unverkürzte Evangelium predigen“. Dabei predigte er immer sein auf katholisches Getto verkürztes Evangelium, ohne jeden Respekt für Pluralität auch in der Kirche, Meinungsfreiheit, intellektuelles Niveau. Bekanntlich gibt es im Neuen Testament schon theologische Pluralität….Bengsch aber war von seinem „unverkürzten Evangelium“ absolut und unerschütterlich überzeugt. 1966 fanden sich Westberliner Katholiken noch in der riesigen Deutschlandhalle und füllten geduldig den Raum. Da bezog sich Bengsch auf Kritik und Vorwürfe, die sich gegen sein Kirchenregiment wandten und er fuhr dann in der ihm eigenen Leidens-Mine fort: „Ich werde das alles eher ertragen, als dass ein einziger junger Mensch in meinem Bistum mir vorwerfen sollte, er wäre in die Irre gegangen, weil ich zu feige gewesen wäre, das unverkürzte Evangelium Gottes zu predigen“.
Tatsächlich hat sich, von außen betrachtet, Bengschs unverkürztes konservativ-rigides und nur auf innere Gefühle setzendes Evangelium nicht durchsetzen können. Ab 1968 begann der große kirchliche Abbruch, auch quantitativ gesehen, des West-Berliner Katholizismus. In Bengschs Sicht sind dann also doch viele „in die Irre gegangen“, weil sie schlicht und einfach aus der Kirche austraten. Und daran ist nicht nur irgendeine diffuse säkulare Mentalität „schuld“, wie Kirchenführer oft sagen, sondern auch das rigide Kirchenregiment des Berliner „Ober-Hirten“ und seiner Getreuen. Viele West-Berliner Katholiken haben sich aus der von Bengsch errichten katholischen Getto-Mauer befreit… und sind spirituell als freie Menschen eigene Wege gegangen.

15. Ein eigenes Bistum West-Berlin mit einem freien Bischof für eine freie Metropole.
Es wurde nie ernsthaft diskutiert, ob nicht doch ein eigenes Bistum West-Berlin letztlich für die betroffenen Katholiken hilfreicher gewesen wäre, weil sich dann eine eigene Form katholischen Lebens in einer demokratischen Stadt hätte entwickeln können. Bekanntlich hat die Evangelische Kirche in Berlin zwei Bischöfe gehabt, einen im Osten, einen im Westen. Dadurch konnten die Protestanten frei und auf die unterschiedlichen Verhältnisse unterschiedlich reagieren.
Aber die Fixierung auf die Einheit des Bistums Berlin war ein Wahn, weil, wie gesagt, Bengsch allein diese Einheit als Grenzgänger repräsentierte. Bengschs Nachfolger Bischof Joachim Meisner (bis 1989) war für West-Berliner auch alles andere als ein Lichtblick. Auch er herrschte in einer rigiden Herrschaft, ohne Sinn für theologische Pluralität und Meinungsfreiheit. Auch Meisner hat viele interessierte Katholiken West-Berlins aus dieser Kirche herausgeführt. Auch Meisner dachte in den undemokratischen Kategorien der DDR-Führung. LINK.

15. Gegen die „Schlipspriester“
Ich will mit einer kleinen persönlichen Erinnerung an Bischof Bengsch diese Hinweise beenden. Als Berliner Katholik habe ich als Jugendlicher diesen Berliner Bischof mehrfach erlebt. Eine Szene in einem Gemeindehaus werde ich nicht vergessen, als der Bischof an der Krawatte eines jungen Priesters zerrte und an dem Schlips hin – und herzog und dann brüllte: „Sie Schlips-Priester“. Ich hatte mich so gefreut, dass sich katholische Priester wie andere Männer ein bisschen „normal“ kleiden. Bengsch wollte auch die eindeutige klerikale Kleiderordnung. Und einmal saß ich in einer Runde des katholischen „Primanerforums“ (Leitung der Jesuit Pater Lachmund), da kam Bengsch kurz in den Raum, eilte von einem Jugendlichen zum anderen, schüttelte die Hände, fragte eigentlich desinteressiert kurz nach dem Namen und der Zugehörigkeit zu einer Gemeinde… und verschwand. „Der ist aber gar nicht freundlich“, sagte ein Freund am Tisch. Ich konnte dem nur zustimmen.

16.
Bengsch war die falsche Person an diesem exponierten Platz Ost – und West – Berlin. Sein kardinaler Fehler: Er hat zusätzlich zur DDR-SED-Mauer noch katholische Mauern in beiden Teilen der Stadt gebaut, er war in dieser theologischen Enge und Angst-Besessenheit der offiziellen DDR/SED Mentalität nicht ganz unähnlich. Und er hatte geradezu Lust, Dissidenten zu verfolgen und zu bestrafen, und ließ, wie oben gezeigt, Stasi-Methoden in der Kirche zu. 

17.

Ratzinger ein Freund von Bengsch:

Der Theologe Joseph Ratzinger war mit dem konservativen Bischof und Kardinal Alfred Bengsch (Berlin) eng befreundet.
Ein kirchengeschichtlicher Hinweis von Christian Modehn am 9.1.2023.

Erzbischof Heiner Koch, Berlin, vermittelte am 9.1.2023 in der Johannes Basilika in Berlin – Kreuzberg Erkenntnisse besonderer Art: Sie zeigen, dass Joseph Ratzinger, Konzilstheologe, mit Erzbischof Alfred Bengsch lange Zeit schon vor dem Konzil eng freundlich verbunden war und mit ihm theologisch übereinstimmte. Bengsch war bekanntlich ein konservativer Gegner des Konzilsbeschlusses „Kirche in der Welt von heute“. Ratzinger war von 1968 bis 1977 Professor in Regensburg, in der bewussten Nähe des sehr konservativen Bischofs Rudolf Graber.

Erzbischof Koch sagte also am 9.1.2023:

„Um ein Haar wäre Joseph Ratzinger, unser verstorbener Papst emeritus Benedikt XVI., ein „Berliner“ geworden. Der Grund dafür war
– was zu-nächst paradox klingt – seine Ernennung zum Erzbischof
von München und Freising im Jahr 1977. Seit fast einem
Vierteljahrhundert war Ratzinger zu diesem Zeitpunkt bereits
persönlich, theologisch und geistlich eng mit Alfred Bengsch
verbunden, dem damaligen Bischof von Berlin. Vier Tage nach seiner
Ernennung durch Papst Paul VI. richtete Ratzinger an Bengsch einen
Brief, in dem er ihn zur Weihehandlung einlud. Aber zuvor legte er ein
Geständnis ab: „Einen Augenblick“ lang habe er nämlich, so schrieb
er, darüber nachgedacht, ihn, den Berliner Kardinal, zu bitten, dass er
ihm das Weihesakrament spende. Seine Begründung ist das
Bekenntnis einer tiefen Freundschaft: Es sei, so Ratzinger, „in allen
Wandlungen der Zeit“ zwischen ihnen beiden „die innere Nähe des
Denkens und des Wollens“ geblieben, die schon von ihren ersten
Begegnungen an der Münchener Universität an bestand. Für
Ratzinger rührte diese Nähe „von der gemeinsamen Berufung und
dem sie tragenden Glauben her.“

Quelle: stefan.foerner@erzbistumberlin.de Nachricht vom 9.1.2023.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Remonstranten – eine christliche Kirche der Freiheit, auch in Berlin.

Im September 2021 gedenkt die Remonstranten-Gemeinde in Friedrichstadt ihres 400 jährigen Bestehens.

Das Ereignis ist nicht nur aus historischen Gründen bedeutend, weil dort niederländische Flüchtlinge remonstrantischen Glauben (also Häretiker in der Sicht der offiziellen Calvinisten in den Niederlanden auch kurze Zeit verfolgt) Zuflucht fanden.

Aus aktuellen Gründen vor allem verdienen die Remonstranten Interesse in der weiten christlichen Ökumene und darüber hinaus: Remonstranten sind tatsächlich die einzige explizit “theologisch-liberale” Kirche weltweit heute, was angeichts des zunehmenden Fundamentalismus in allen anderen christlichen Konfessionen sehr bedeutend ist. Die Remonstranten sind Mitglied des ökumenischen Weltrates der Kirchen in Genf.

Remonstranten gestatten selbstverständlich jedem einzelnen Mitglied, das eigene, persönliche Glaubensbekenntnis zu formulieren. Vorgegebene uralte Bekenntnisse sind interessant, aber nicht für den eigenen Glauben heute entscheidend. Glauben ist für Remonstranten kein Zwangssystem, dem man angesichts von Hierarchien eher leidend angehört, sondern eine Lebensform der persönlichen spirituellen Freiheit.
Das Glaubensbekenntnis der Remonstranten wurde 2006 selbstverständlich nur als Vorschag, als Impuls zum eigenen Nachdenken, für die eigene Lebensgestaltung formuliert.

Die Remonstranten waren – nebenbei gesagt – die erste christliche Kirche weltweit, die schon 1986 in Holland homosexuelles Leben und Lieben in ihren Kirchen offiziell segnete und die auch heute diese Lebensform als völlig gleichberechtigt versteht. Deswegen auch die Abwehr von Homophobie unter Remonstranten.

Vielfältige Informationen über remonstrantisches Leben und remonstrantische Theologie hat der Remonstrant Christian Modehn in Berlin veröffentlicht: LINK

In Berlin ist der Ort remonstrantischer Präsenz seit 2007 der Religionsphilosophische Salon Berlin, als offenes philosophisches wie auch remonstrantisch – theologisches Gesprächsforum. Als einziges “Dogma” gilt dort, sich seiner eigenen Vernunft kritisch und selbstkritisch “zu bedienen”.

Wer Niederländisch lesen kann: Ich empfehle diese website: https://www.remonstranten.nl/

Sonst auf Deutsch: www.remonstranten-berlin.de
Und:www.religionsphilosophischer-salon.de

Copyright: Christian Modehn

Vatikan – ein Blick hinter die Mauern. Päpste und Prälaten regieren die Kirche hinter Mauern…

Prälaten und Päpste herrschten und herrschen hinter hohen Mauern
Ein Besuch in der Vatikanstadt
Von Christian Modehn (urspünglich eine Ra­dio­sen­dung im WDR 2009). Noch einmal veröffentlicht am 24.7.2021.

Im Jahr 2009 habe ich diesen Beitrag über den Staat “Vatikan-Stadt” (“Heiliger Stuhl”) veröffentlicht. Diese Hinweise sind nach wie vor gültig: Die hohen und dicken Mauern des Vatikans umgeben die Herrscher der Katholischen Kirche noch immer. Das Thema “Katholizismus ist eingemauert” wäre ein spezielles Thema, wenn man des Mauerbaus am 13.8.1961 in Berlin gedenkt und an Regime denkt, die sich einmauern…

Am 11. 2. 2009 hat einer der ungewöhnlichsten Staaten der Welt sein 80 jähriges Bestehen gefeiert: Nicht nur ein Kleinstaat, wie Andorra, sondern noch kleiner als ein Kleinst- Staat wie etwa die Republik San Marino. Unser Staat verfügt zwar nur über knapp einen halben Quadratkilometer Fläche und zählt 550 Bürger. Aber in diesem Winzling von Staat ist sehr viel politische und religiöse Macht versammelt. Sie wissen es bereits: Wir meinen die Vatikanstadt: In einem Vertrag mit dem Faschisten Benito Mussolini war es Papst Pius XI. im Jahr 1929 gelungen, einen souveränen Staat zu errichten.
Jeder Rombesucher muss die Republik Italien verlassen, wenn er dem Papst auf dem Petersplatz zujubeln will: Denn der Segen „Urbi et Orbi“ wird auf ausländischem Territorium, auf dem Gebiet der Vatikanstadt, gespendet. Und die umfasst z.B. den Petersdom, die Sixtinische Kapelle, die vatikanischen Gärten, einige Kirchen, Paläste und Verwaltungsgebäude sowie auch noch exterritoriale Gebiete wie die luxuriöse Sommerresident Castel Gandolfo. Wenn der oberste Hirte vom Petersdom aus seinen frommen Schäfchen den Segen erteilt, bleibt er selbstverständlich das politische Oberhaupt seines souveränen Staates, der Vatikanstadt. Aber die Rompilger sollten trotz Weihrauch und lateinischen Gesängen einen klaren Kopf behalten: Denn das vatikanische Staatsoberhaupt ist mit einer weiteren umfassenden Macht ausgestattet: Die Päpste ließen es sich vor 80 Jahren von Mussolini verbriefen, dass sie sogar als einzelne Personen auch „Völkerrechtssubjekte“ sind, also geradezu unantastbare Würde weltweit genießen. Als Inhaber des „Heiligen Stuhls“ sind die Päpste von höchster moralischer und religiöser Autorität. Die Appelle z.B. beim Segen Urbi et Orbi stammen also vom Heiligen Stuhl, nicht vom vatikanischen Staatsoberhaupt. Auch Benedikt XVI. fühlt sich in dieser doppelten Rolle als Politiker und religiöser Führer zugleich  recht wohl.
Wer einmal wissen möchte, in welchem Umfeld der Papst lebt, muss hohe Festungsmauern  aus dem 16. Jahrhundert überwinden. Denn das ganze Gebiet der Vatikanstadt ist von meterhohem Gestein umgeben, es ragt bis zu 20 Meter in die Höhe. Die Berliner Mauer wirkt demgegenüber wie ein politischer Witz. Die Botschaft ist deutlich: Besucher sind in der Vatikanstadt nicht erwünscht. Zahlungskräftige Touristen sind lediglich in den vatikanischen Museen willkommen, nicht im Innern des Staatsgebietes. Es wäre darum sinnlos zu versuchen, als frommer Christ aus den Vatikanischen Museen auszubrechen, um ins freie Gelände der Vatikanischen Gärten zu gelangen. Und wer einmal die Gnade empfangen hat, im Vatikanischen Archiv Akten zu studieren, sollte bei der strengen Bewachung besser nicht die Tür öffnen, die ins Innere der päpstlichen Herrschaft führt. Erfolgreicher könnte der Versuch sein, mit einem Rezept ausgestattet, die Apotheke innerhalb der  Vatikanstadt zu konsultieren. Man sollte den kontrollierenden Schweizer Gardisten an der „Porta Santa Ana“ allerdings nicht verraten, dass man „die Pille“ oder gar „Kondome“ zu kaufen wünscht. Die gibt es nämlich nicht in der päpstlichen Pharmazie. Und so wäre dieser Versuch, ins Innere der Papst Stadt einzudringen, zum Scheitern verurteilt. Erfolgreich könnte vielleicht das Ersuchen sein, unbedingt Geld zu wechseln bei der Vatikanbank IOR, schließlich, so wurde berichtet, hätten ja auch machtvolle Familien aus Neapel und Sizilien ihr Geld dort anlegen wollen.
Man sollte gar nicht erwarten, Frauen im Innern des Papststaates zu treffen: Die wenigen Nonnen des Staates müssen sich um Essen und Wäsche ihrer geistlichen Herrn kümmern, einige andere Damen sind im Radio Vatikan mit der Weitergabe päpstlicher Lehren befasst. Wer Tierliebhaber ist, sollte versuchen, auf dem Vatikan Friedhof nach der letzten Ruhestätte des einst so beliebten, weil so umtriebigen Katers Rambo zu fragen: Er ist das einzige nicht getaufte Wesen, das in vatikanischer, d.h. katholischer  Erde ruht.
Der ganze Staat zählt kaum 40 Straßen. Eine Gasse führt zum Beispiel zur Obersten Glaubensbehörde. Dort verfolgte ihr damaliger Chef Kardinal Joseph Ratzinger angebliche Ketzer wie Hans Küng oder Leonardo Boff. Die geistlichen Bürokraten dort im Range eines Erzbischofs verdienen 3.500 Euro netto monatlich. „Wer in einem Interview aber irgendein Geheimnis verrät und dann namentlich zitiert wird“, berichtet der Publizist Alexander Smoltczyk, „kann sein Entlassungsschreiben sofort abholen“. Innerhalb der vatikanischen Mauern ist Selbständigkeit im Denken absolut  unerwünscht. Ein hoch angesehener Insider, Prälat Walter Brandmüller, kann es sich leisten, öffentlich zu sagen: “Man profiliert sich niemals, die Regel heißt: Bloß nicht aufffallen“. Der Vatikan Prälat betont sogar: “Das Ideal des kurialen Funktionärs ist die graue Maus“.
Innerhalb der Mauern überwacht ein klerikaler Mitarbeiter den anderen. Ausschweigungen, auch sexueller Art, sind unter diesen repressiven Bedingungen absolut tabu. Solche Freiheiten dürfen sich Kurienmitarbeiter nur außerhalb der Mauern, also im Sumpf der Metropole Rom, leisten. „Der einzige Unterschied, der bei den Vatikanprälaten zählt, ist die Frage, ob man hetero – oder homosexuelle Vorlieben hat“, berichtet Alexander Smoltczyk. Ältere Herrschaften aus dem Vatikan befriedigen ihre Lust, so wird berichtet,  eher in Luxus Restaurants in der römischen Altstadt. Alexander Smoltczyk nennt die Adressen. Aber diese Freiheiten nehmen sich alle Beteiligten selbstverständlich in absoluter Verschwiegenheit. Verlogenheit wird zum Prinzip, schließlich will man ja noch möglichst lange dem Hof, dem päpstlichen, dienen. Beförderungen spricht der Papst nach eigenem Gutdünken aus, er herrscht wie ein absoluter Fürst. Sehr treffend nennen alle Lexika die Vatikanstadt eine absolute Monarchie. Menschenrechte klagt der Papst nur bei anderen Staaten ein, auf seinem eigenen Territorium vereinigt er in seiner Person alle drei politischen Gewalten.
Der unangemeldete und unerwünschte Besuch im Innern des Papststaates ist eigentlich schnell beendet. Die Türen zu den Behörden in den Renaissance Palästen öffnen sich nur Eingeweihten, und die müssen geweiht sein. Aber der verstohlene Blick in die Gemächer hoch oben zeigt: Da wird das Evangelium verwaltet, inmitten antiker Möbel, von Seidentapeten umgeben und barocker Kunst verziert. „Wer angesichts des Vatikans noch römisch – katholisch bleibt, der  muss schon sehr, sehr tapfer sein“,  sagt ein Insider, natürlich anonym. Aus Angst.

Zahlreiche Informationen verdank ich dem neuen Buch (2009!) von Alexander Smoltczyk, der in Rom als Journalist arbeitet. Er hat seiner Studie den Titel „Vatikanistan“ gegeben. Er will damit gewisse Anklänge an zentralasiatische Regime wecken, die, wie etwa Usbekistan, nicht gerade Vorbilder der Demokratie sind. Das Buch mit Lesebändchen (!) hat 352 Seiten und kostet 17,95 €, erschienen ist es im Heyne Verlag in München. Sehr zu empfehlen!