Parlamentswahlen in Frankreich: Jetzt hilft nur noch beten, glauben die Bischöfe.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 21.6.2024

Ergänzung zum Wahlverhalten des Ehepaars Klarsfeld: Veröffentlicht am 24.6.2024:

Unsere Hinweise zur Zustimmung zu den rechtsextremen Parteien in Frankreich (vor den Parlamentswahlen am 30.6. und am 7.7.2024) bezieht sich, unseren Schwerpunkten folgend, vor allem auf Katholiken und deren Führer.

Um der Objektivität und der umfassenden Information willen:
Wir finden es skandalös, dass jetzt das bekannte Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld (Paris), geehrt wegen ihrer langjährigen Verfolgung von Nazi-Tätern, ihr Wahlverhalten zur Parlamentswahl 2024 öffentlich erklärt:
Sie wollen die Partei Marine Le Pens wählen, also den „Rassemblement National“ (RN). Dies ist die Nachfolgepartei des rechtsextremen „Front National“ des offen antisemitischen Vaters von Marine, also Jean-Marie Le Pen.

Man kann nur hoffen, dass dieses skandalöse Statement nicht Nachfolger findet, denn „die Klarsfeld“ sind doch „wer“…

Unsere Frage: Warum entscheiden sich Juden, die nach außen hin normalisierte, nach außen hin also nicht mehr antisemitische, hingegen immer noch explizit überaus muslimkritiische und sehr ausländerkritische Partei „Rassemblement National“ zu wählen?

Die Antwort des Ehepaars Klarsfeld: Sie wählen diese rechtsradikale, europafeindliche Partei RN aus dem einen Grund: Weil dieser Rassemblment National nicht explizit antisemitisch sein soll.

Das heißt: Für die beiden Klarsfeld wird ihre eigene Identität, also die Verbundenheit mit Israel und das Jüdischsein, zum entscheidenden und alleinigen Kriterium, eine insgesamt demokratie-feindliche Partei zu wählen.

Die beiden Klarsfeld halten ihre begrenzte jüdische Identität für wichtiger als die universalen Werte der Demokratie.
Wir haben im Zusammenhang der wichtigen Bücher des Philosophen Omri Boehm (Israel/USA) zum Thema mehrfach darauf hingewiesen. LINK.

Zurecht wurde wohl auch von den Klarsfeld früher einmal kritisiert, dass sehr viele Katholiken den Nazi-Freund, Général Pétain einst unterstützten, aus einem formal gleichen Motiv: Der Pétain förderte und unterstützte die katholische, die konfessionell Sache, die katholischen Schulen, die katholischen Werte der katholischen Familie etc. Er förderte die nun einmal begrenzte katholische Identität, die viele Katholiken (auch Bischöfe) wichtiger fanden, als für die Menschenrechte und die Demokratie in Frankreich einzutreten…

So haben sich Fixierungen auf begrenzte Identitäten gegen universalen demokratischen Werten am Leben gehalten und fortgesetzt, auch beim Ehepaar Klarsfeld.

Man muss diese Statements wohl eine Schande nennen. Juden in Frankreich urteilen ähnlich darüber, so befinden sich Kritiker in Deutschland in guter Gesellschaft. Siehe: LINK

Ein Vorschlag: Das Ehepaar Klarsfeld könnte alles tun, um ihren jüdischen Mitbürger Erich Zemmour davon abzuhalten, seine rechtsextreme Partei „Reconquete“ weiter auszubauen.

Zur Vertiefung: siehe die verschiedenen lesenswerten Beiträge der TAZ etwa. LINK. https://taz.de/Ehepaar-Klarsfeld-ueber-Frankreich/!6016087/

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

………………….. DER BEITRAG VOM 21.6.2024:

1.
Sie haben lange geschwiegen, die katholischen Bischöfe Frankreichs nach dem starken Rutsch ins Rechtsextreme auch unter den so genannten praktizierenden Katholiken, also nach den Europawahlen am 9. Juni 2024.
Im Unterschied zu den Verantwortlichen der protestantischen Kirche Frankreichs, die haben sofort präzise vor den Rechtsextremen gewarnt! (Siehe Fußnote 1)

2.
Am 20.6. hat sich nun die französische Bischofskonferenz aufgerafft, eine Stellungnahme zu den bevorstehenden Parlamentswahlen zu veröffentlichen, nachdem zahlreiche katholische Medien und einige katholische Laiengruppen das Schweigen der Hirten zum Sieg der Rechtsextremen am 9.6. 2024 öffentlich kritisiert hatten.

Am 23.6.versammelten sich doch noch einige Christen in Paris, um zu erklären: Die Rechtsextremen sind mit dem christlichen Gkauben nicht zu vereinbaren. (Quelle, Tageszeutung La Croix, Pars, 23.6.2024): “Un rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite » a été organisé, dimanche 23 juin, devant les Invalides à Paris. Un événement qui fait suite à la parution d’une tribune de 6 000 chrétiens expliquant refuser le Rassemblement national au nom de leur foi. Zur “christlichen Protest – Demo” am 23.6. selbst schreibt diese Zeitung: « “Nous sommes ici car nous voulons montrer que nos valeurs chrétiennes sont incompatibles avec celles prônées par l’extrême droite. » C’est le mot d’ordre que reprennent participants et organisateurs du rassemblement de chrétiens « contre l’extrême droite », dimanche 23 juin. Ils sont plus de 200 à s’être réunis, devant les Invalides à Paris.” Immerhin, einige politisch Vernünftige gibt es noch unter Frankreichs Christen vor der Wahl, sie raffen sich auf und demonstrieren. (CM)

3.
Im Mittelpunkt der Erklärung der Bischofskonferenz LINK  steht die Aufforderung, vor den Wahlen ein bestimmtes, neu formuliertes Gebet zu sprechen, siehe dazu Nr. 6. Von politischen Debatten jetzt in den Kirchen und Gemeindehäusern keine Rede, ebenfalls keine Rede, an den großen Demonstrationen gegen Rechtsextreme sollten Katholiken teilnehmen (das machen einige wenige Laien trotzdem). Kurz: Die Bischöfe sind eingeschlossen in ein ängstliches, nur frommes Weltbild.

4.
Zuvor ein Hinweis zu der Erklärung, die die Bischöfe als eine Art „Begleitung“ zu dem Gebet vor den Wahlen verstehen.
In dieser Erklärung ist deutlich: Die Bischöfe sehen durchaus, dass die Auflösung der Nationalversammlung das Land in unerwartete Unruhe („trouble“) führt.
Die Bischöfe fordern die Katholiken auf, verantwortungsbewusste Bürger zu sein, nicht etwa, weil sich diese Katholiken auf die Werte der Demokratie und der Menschenrechte zu allererst stützen. Sondern weil die katholische citoyens an „das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu“ glauben und daraus ihre politische Hoffnung beziehen… Schuld an dem aktuellen „Malaise“ (Not) seien, so die Bischöfe, Individualismus und Egoismus, die Schwächung des Sinns für den Respekt für das menschliche Leben und die „Auslöschung Gottes im allgemeinen Bewusstsein und Gewissen.“ Außerdem sollen die Franzosen doch bitte die Meinungen der anderen Mitbürger respektieren, fordern die Oberhirten…
Es fällt auf. Mit keinem einzigen Wort werden die rechtsradikalen Parteien als Gefahr für die Demokratie und für den europäischen Zusammenhalt genannt. Die Bischöfe geben sich irgendwie neutral, sie geben – angesichts des langsamen Untergangs der Demokratie – keine konkrete Warnung oder gar konkrete Wahl – Empfehlung. Sie äußern sich jetzt vornehm neutral, als ob die Wähler es nur mit demokratischen Parteien zu tun hätten, bei denen Katholiken natürlich unterschiedliche Meinungen haben dürfen. Aber jetzt ist die Demokratie, ist Europa, bedroht. Irgendwie wirken die französischen Bischöfe, als wären sie aus der Gegenwart gefallen, als hätten sie die vielen hundert Skandale um ihre Priester (Sexueller Missbrauch) in tiefe Depressionen geführt.

5.
Dieses Schweigen der Bischöfe über die rechtsextremen Parteien, diese Angst, konkret Namen der problematischen Führer zu nennen, den Rassismus der rechtsextremen Parteien als solchen zu nennen sowie die Abwehr der Fremden… dieses Schweigen, diese klerikale Angst, sind ein Skandal.
Man kann also interpretieren:
Nicht nur die praktizierenden Katholiken, auch ihre klerikalen Führer, die Bischöfe, glauben nun an Marine Le Pens neues „moderates“ Programm der „dédiabolisation“ ihres Rassemblement National (RN). Madame Le Pen nannte ja ihr nach außen hin moderates Programm eine „Dédiabolisation“, eine „Entteufelung“ dieser Partei.
Wie naiv dürfen eigentlich Bischöfe sein? Oder haben diese Kleriker gar – wie ihre Vorgänger im 20. Jahrhundert – eine meist verstecke, manchmal offene Liebe gegenüber autoritären Politik-Entwürfen und rechtsextremen Politikern? Man denke nur an die Ergebenheit vieler französischer Bischöfe gegenüber dem autoritären Nazi – Freund Marschall Pétain…Oder sind die Bischöfe erfreut, dass der neue Parteichef des RN mal auf einer katholischen Schule war und deswegen so einbrechen katholisch angehaucht ist, oder dass die graue Eminenz des RN, Renaud Labane eifriger Katholik sein will, wenn auch im schismatischen Lager der Pius-Brüder, aber das muss ja nicht sooo schlimm sein, Hauptsache katholisch .. und Kämpfer für die Rechte der hetero-normativen Familie, für PRO LIFE und gegen den – angeblichen – Gender – Wahnsinn. Denn diese Kämpfe sind doch jetzt identisch mit katholisch!

6.
Jetzt hilft nur noch beten: Das bedeutet für klassischen katholischen Theologen: Gott wird schon vom Himmel aus das Flehen seiner Leute auf Erden erhören: Nur, er weiß selbst wahrscheinlich NICHT, was denn nun dieses Gebet seiner Leute in Frankreich konkret für ihn im Himmel bedeutet: Wo soll er denn nun mit seinem heiligen Geist eingreifen? Vielleicht Marine Le Pen zur Demokratin machen? Die Aufforderung zu beten, ist in den letzten Monaten unter Katholiken geradezu inflationär geworden, das nennt man Wunderglauben alter Art.
Gebet hat nur nachvollziehbaren Sinn, wenn mit diesem Wort „kritische Selbstreflexion“ mit dem Ziel demokratischen politischen Handelns gemeint ist. Daran denken die Herren der Kirche offenbar nicht im entferntesten. Sie glauben wider alle von Gott gegebene, deswegen heilige Vernunft, dass Gott im Himmel hört und erhört…Und die armen Katholiken hier jammern und leiden… und je nach Laune entscheidet.

7.
Das Gebet vor der Parlamentswahl:

« Dieu de vérité et de bonté, en ces temps de décisions fortes
pour notre pays la France,
aide-nous à discerner correctement ce qui est juste.
Renouvelle en nous, chaque matin, le goût de servir, pour que nous accomplissions nos tâches avec cœur
et garde-nous de mépriser quelque être humain que ce soit.
Viens, Esprit-Saint, éclairer ceux et celles qui seront choisis comme députés ou auront à gouverner notre pays.
Qu’ils puissent ensemble chercher le meilleur pour nous tous. 
Imprime en eux un grand sens du service du bien commun.
Sainte Vierge Marie, sainte Jeanne d’Arc, sainte Thérèse de l’Enfant Jésus, patronnes de la France, veillez sur notre pays.
Qu’il soit une terre de liberté, de justice, de fraternité et se tienne à la hauteur de son rôle dans l’histoire.
Aidez-nous à y être, à notre modeste place mais selon toute notre responsabilité, des disciples de l’Évangile.
Amen. »
Die Übersetzung kann jeder und jede leicht über die Übersetzungsdienste erhalten.
Es fällt mir in dem Gebet auf, wieder werden in totaler unpolitischer Haltung floskelhaft einige Sätzchen daher gesagt. Und vor allem: Die heilige Jungfrau Maria, die heilige Jeanne d Arc (sic, die kämpferische Heilige, die England besiegte!) und die heilige Theresia vom Kinde Jesu aus Lisieux, sie sind die Patroninnen Frankreichs … diese himmlischen heiligen Damen sollen „veillez sur Notre pays“, also „über unser Land wachen“.
Auch im Gebet wird kein Name, keine rechtsextreme oder antisemitische Partei genannt, die der liebe Gott doch bitte einschränken möge…
Ein Text, der heute schon Geschichte macht, ist eine Blamage, eine theologisch – politische Dummheit der Kirchenführer.
Fußnote 1:
Les instances de „l’Église protestante unie de France“ ont réagi dès le 13 juin 2024:
« Les résultats français des élections au Parlement européen nous accablent […] L’Église protestante unie de France ne peut pas se taire. […] Se tenir à l’écoute de l’Évangile a nécessairement des conséquences politiques qui s’opposent au programme du Rassemblement national. » (Quelle. Internet Zeitschrift „Témoignage Chretien“, Paris, 20.6.2024, LINK
Übersetzung:
„Die französischen Resultate der Wahlen zum Europaparlament bedrücken uns. Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs (also die Reformierten und die Lutheraner, CM) kann nicht schweigen. Wenn man auf das Evangelium hört, hat dies notwendigerweise politische Konsequenzen, die sich dem Programm des Rassemblement Nation (RN) widersetzen“.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Welttag der Flüchtlinge – Eine Initiative im Berliner Dom! 20. Juni 2024.

100 BOOTE – 100 MILLIONEN MENSCHEN und BEIM NAMEN NENNEN!
Wir geben zunächst eine Information des protestantischen Berliner Doms weiter und dann einige Hinweise von Christian Modehn zum Thema:
Zum BERLINER DOM am 20.6.2024:
Namenslesung und Gottesdienst im Berliner Dom
zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2024
Inzwischen können mehr als 110 Millionen Menschen nicht bleiben, wo sie leben. Sie fliehen vor Krieg, HungerundNaturkatastrophen, vor Diskriminierung und Armut. Für viele von ihnen endet die Flucht tödlich. 60.620 Opfer der Festung Europa. Stand heute (18. Juni 2024)

Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni setzt der Berliner Dom ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen auf der Flucht.Von 10 bis 18 Uhrwerden Namen der auf der Flucht nach Europa Umgekommenen im Berliner Dom verlesen. Begleitend gibt es zu jeder vollen Stunde einen musikalischen Impuls. Wir wollen erinnern und nicht wegschauen. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen, nicht Flüchtende.Um 18 Uhrbeschließt ein Gedenkgottesdienst den Tag und die Aktionen. Es predigt Bischof Dr. Christian Stäblein, der Flüchtlingsbeauftragte der EKD.
Zum Hintergrund
Am 3. Juni begannen zwei Kunstaktionen im Vorfeld des Weltflüchtlingstags im Berliner Dom:
„100 Boote – 100 Millionen Menschen“
Auf eine Initiative der Arbeiterwohlfahrt Sachsen-Anhalt (AWO) wurden 100 XXL-Origami-Boote gefaltet und mit individuellen Botschaften gestaltet. In vielen Einrichtungen bundesweit erinnern sie an die Hoffnungen und Schicksale der Flüchtenden. Auch im Berliner Dom steht ein solches Boot. Es wird am Weltflüchtlingstag in den Lustgarten hinausgetragen, um dort mit den anderen 99 Booten zusammengeführt zu werden. Im Rahmen einer von der AWO organisierten Gedenkveranstaltung erinnern sie an das Elend der weltweiten Flüchtlingsbewegungen.
„Beim Namen nennen!“
Bei der Aktion “Beim Namen nennen!“ werden die Namen der auf der Flucht nach Europa Umgekommenen, ihre Sterbedaten und die Umstände ihres Todes auf Papierbändern öffentlich gemacht. Die von Hilfsorganisationen gesammelten Informationen über die Verstorbenen lassen das Ausmaß ihrer Verzweiflung auf erschütternde Weise spürbar werden. Die Besucher des Berliner Doms waren eingeladen, sich in einer extra dafür eingerichteten „Schreibstube“ einen Moment der Ruhe und Besinnung zu nehmen und die Namen, Daten und Todesumstände auf Papierbänder zu schreiben. Sukzessivewurden alle Bänder in den Arkaden des Domes aufgehängt.
Christian Modehn ergänzt:
1.
Der “Welttag der Flüchtlinge” ist nicht auf diesen einen Tag (20.Juni) begrenzt, jeder Tag sollte in Demokratien ein Tag sein, in dem die universell geltenden Menschenrechte auch für Flüchtlinge erinnert werden. Und Flüchtlinge dürfen nicht pauschal als Gefährder, sondern als Gäste und spätere Mitbürger angesehen und respektiert werden. Dieser Gedanke fällt vielen in Europa schwer, angesichts der zunehmenden rechtsradikalen Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge und “Menschen aus anderen Kulturen. “
2.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) betont jetzt: 120 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 120 Millionen Menschen sind Flüchtende.
Ein entscheidender Faktor für diese hohe Zahl leidender, hungernder, vertriebener Menschen ist auch der verheerende Krieg im Sudan, den so wenige in Europa beachten. 10,8 Millionen sind dort auf der Flucht. Wir kennen allmählich in Europa fast jede Stadt und jedes Dorf im Gaza-Streifen (zurecht!) mit Namen, haben aber überhaupt keine genauere Kenntnis, wie es den 10,8 Millionen Flüchtenden dort geht, n welchen Wüstenorten sie hungern und sterben. Es handelt sich offenbar um die “weniger wichtigen Leidenden” in der Sicht vieler… LINK.
Man vergesse auch nicht: Die meisten Flüchtlinge werden in “Zielstaaten” aufgenommen, in denen die Bevölkerung selbst meist in bitterer Armut lebt, etwa West-Afrika.
3.
Ministerin Svenja Schulze (SPD) warnt vor allen Taktiken der sich liberal nennenden FDP, den liberal – dogmatischen Sparkurs auch auf die deutsche Entwicklungshilfe auszudehnen.
4.
Wenn schon die großen Wirtschaftsunternehmen sich für Flüchtlinge interessieren sollten: Dann sollten sie doch bitte wissen: 5,3 Millionen Menschen, “Ausländische Arbeitskräfte”, darunter auch Flüchtlinge, leisten bereits jetzt einen Beitrag in Deutschland angesichts des massiven und größer werdenden Mangels an Arbeitskräften.
Also, liebe Unternehmer, liebe konservative und “liberale” Politiker: Denkt wenigstens strategisch – ökonomisch und laßt mehr Ausländer und Flüchtlinge wenigstens unter dem Titel  “Arbeitskräfte” nach Deutschland. Aber bitte schnell.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Aphorismen von Jürgen Große: “Von schwankender Gestalt”.

Ein Interview: Anläßlich des neuen Buches von Dr. Jürgen Große, Berlin.

Veröffentlicht am 17.6.2024

Herr Große, Sie haben als Historiker und Philosoph schon etliche Bücher auch zum Thema “Religion und Philosophie” vorgelegt. Nun ist Ihre neue Sammlung von Aphorismen mit dem Titel „Von schwankender Gestalt“ erschienen, mit den drei Kapiteln Kunst, Religion und Philosophie.
Um auf den Titel zu kommen: Ist für Sie der Aphorismus ein schwankendes, suchendes, umstrittenes, vielleicht auch gefährdetes Aussagen von Erkenntnissen, vielleicht sogar von Wahrheiten?



Ob umstritten, müssen die einschlägigen Literaturräte entscheiden, ob gefährdet, hängt selten vom Inhalt ab. Was unter dem Titel „Aphorismen“, heutzutage veröffentlicht wird, ist ja oftmals recht bieder, eine Kundgabe von gefestigten Überzeugungen, die nun auch bitte die restliche Welt teilen möge! Wobei viele Autoren sich in ihrer Unschuld tatsächlich für gefährdet glauben durch die unerhörten geistigen Kühnheiten, mit denen sie sich ans Licht wagen …
Doch selbst in der Karikatur wird eine Norm sichtbar, wie der Aphorismus, die Sentenz, die Maxime, um einmal ältere Ausdrücke zu benutzen, sein sollte. Mit der sogenannten Kleinen Form, also auch dem Aphorismus, geht man ein Risiko ein. Es besteht da ein literarischer Zwang zum Apodiktischen, Verkürzten, oft Einseitigen. Wenn man zudem noch in anderen Genres schreibt, riskiert man mit Aphorismen seinen guten Ruf. Dennoch, man muß es wagen, sich nackt in seinen Meinungen, Gefühlen, Vorurteilen zu zeigen, auch in der ganzen Ideologiehaltigkeit der eigenen Existenz. Sonst ist es bloße eitle Feierabendschreiberei und Ich-Dekoration.

Wer schreibt Aphorismen?

Es gibt heute Unmengen von „Aphorismen“-Büchern. Aber die lesbaren Aphorismen werden meistens nicht unter diesem Titel veröffentlicht, sondern finden sich in Nachlässen, Notizen, Nebenarbeiten von Schriftstellern. Aphorismen sind interessant, wenn der Autor gerade nicht das Schatzkästlein seiner gut abhangenen Lebenserfahrung und Weltsicht literarisch überhöht, um sie dem Leser schön formuliert aufzubinden. Sondern im Gegenteil, wenn der Schreiber seine eigenen Defizite literarisch auslebt, in einer gewissen Exhibition und Übertreibung. Steht ihm hierbei ein gewisses philosophisches Vokabular zu Gebote, dann kann das hilfreich sein – wenn es sich nicht als Bildungswissen, als Überzeugungswut in den Vordergrund drängt.
Gerade Philosophen oder einschlägig Studierte sind da gefährdet. Literarisch aufgepeppte Philosopheme interessieren keinen! Doch ächzen professionelle Philosophen, die sich in der Kleinen Form versuchen, oftmals unter ihrem akademischen Bildungsbuckel. Egal, ob solche Menschen ihre sonstige geistige Existenz literarisch auflockern oder feierlich gestalten wollen, es wirkt angestrengt, künstlich, weil das Verhältnis zur Sprache instrumentell bleibt.

Als Aphorismenschreiber hat man sicherlich eine Nähe zur Philosophie, doch im literarischen Idealfall dreht man das Verfahren der professionellen Philosophie um. Man sublimiert und objektiviert seine Subjektivität nicht, sondern man macht sie – gern mit dem Begriffsrepertoire philosophischer Objektivität – scharfumrissen sichtbar. Was dann umgekehrt auch die philosophischen Denkformen und -resultate in einem anderen Licht zeigt, in ihrer versteckten persönlichen Bedingtheit etwa.
Amüsant – und für Autor und Leser erträglich – wird das alles erst bei einer gewissen Natürlichkeit literarischer Sprache und philosophischer Bildung, das heißt eben nicht als Sonntagsschreiberei, sondern schon im Vollzug der Normalexistenz. Dennoch, die Unsicherheit des Autors über den Wert solcher Elaborate wird immer bleiben, somit auch das, was Sie vielleicht mit „Schwanken“ meinen.

Wer oder was bringt diese Gestalten (Aphorismen) denn zum Schwanken? Äußere, gesellschaftliche Kräfte oder der denkende Autor selbst? 



Offensichtlich ein Mißverständnis! Ich meinte mit der schwankenden Gestalt im Untertitel erst einmal das, was bei Hegel die Erscheinungsformen des absoluten Geistes sind, also Kunst, Religion, Philosophie. Eine liebe-, aber auch respektvolle Ironie meinerseits; Stabilisierungsversuche erzeugen bei mir jedenfalls immer Respekt! Denn ich bin überzeugt, daß besagtes Schwanken von Kunst, Religion, Philosophie eine Tatsache ist. Es zeigt den gefährdeten, krisennahen Zustand einer als autark gewollten Kunst, Frömmigkeit, Begriffsdichtung. Das Schwanken resultiert schlicht aus deren Emanzipation.
Man setzt diese Gefährdung pauschal, aber nicht unbegründet mit „der“ Moderne gleich, diese Ansprüche einer Kunst um der Kunst willen, eines Denkens um seiner selbst willen, aus sich selbst gegründet. Zum Aphorismus kommt man angesichts dessen vielleicht, weil er eine literarisch und intellektuell angemessene Ausdrucksform der Unruhe, der Unsicherheit ist. Wobei – es sind auch schon Systeme in Aphorismen entworfen worden …

Sind (für Sie) Aphorismen bevorzugte Formen philosophischer Aussagen? Oder „nur“ Anreize, Impulse, Irritationen, Provokationen?

Ich schreibe auch langatmige Sachbücher und Essays! Aber tatsächlich ist für mich der Aphorismus die philosophische Königsform, weil sie zur Reduktion und somit zur Selbstkonfrontation zwingt: Was will ich sagen? Wollte ich das sagen? Was habe ich da eigentlich gesagt? War das wirklich notwendig?
Es ist ein Selbstgespräch, aber im Rahmen akzeptierter sprachlicher Regeln. Eine Verbindung von Strenge und Freiheit. Ich muß da keine Rücksicht auf tatsächliche oder – wie beim Sachbuchschreiben – imaginierte Gesprächssituationen nehmen, wo es ein Gegenüber argumentativ oder rhetorisch zu bezwingen gilt, wo man die ganze Sprachlast des „also“, „somit“, „daher“ mitschleppt. Kurz, das intuitive Element dominiert, nicht das kausale oder narrative. Der Aphorismus reißt Phänomen- oder Problemzusammenhänge überhaupt erst an, fixiert sie in einem sententiösen Kürzel.
Es ist auch geistige Selbsterziehung. Ich erkenne mich in meiner subjektiven Begrenztheit, meinen Vorurteilen und Denkängsten, ich möchte mich davon befreien, doch nicht, indem ich meine Subjektivität scheinobjektiv und sachlich schick mache für die Öffentlichkeit, sondern indem ich sie mit literarischen Mitteln übertreibe, sie zur Größe von religiösen Dogmen und philosophischen Systemen aufblase und erkenne: Das ist zu groß für einen Menschen, um darin zu leben; der Mensch ist ein vielleicht mängelbehaftetes, aber lebendiges Ganzes; dieses wiederum ist nur in Teilen durch Systeme und Dogmen zu erfassen …

Wie würde sich Ihrer Meinung nach eine geeignete Form der Lektüre Ihrer Aphorismen gestalten? Könnte man sagen: meditativ, verweilend, protestierend, die Irritation als Antwort ausdrückend?

Nichts davon muß, alles kann. Wenn mir Menschen schreiben, daß sie hier und da etwas zu lachen fanden, bin ich glücklich und zufrieden.

In Ihren Aphorismen steckt sozusagen Ihre eigene Philosophie, also das, was Sie als Philosoph für „wesentlich“ halten. Welche Elemente würden Sie da nennen?

Eine gute Fangfrage! Sie läuft letztlich auf die Trennbarkeit von philosophischem Gehalt und literarischer Form heraus, mit der ein Aphoristiker aber seinen Bankrott erklärt hätte. Man kann aphoristische Texte nur bedingt nach ihrem Wesensgehalt referieren. Deshalb bin ich auch bei meinen eigenen Büchern zu Nietzsche oder Cioran an gewisse Grenzen gestoßen.
Doch Ihre Frage zu dem, was ich an der Philosophie wesentlich finde, kann ich beantworten. Philosophie muß Selbst- und Welterkenntnis verbinden können, auf eine sprachlich wie logisch überzeugende Weise. Vielleicht auch auf einmalige, einseitige Weise. Deshalb wohl die unausrottbare Vorstellung, es gäbe so etwas wie Primärautoren, eben Klassiker, auf deren originäre Einsichten man zurückgreifen könnte.

In dem Kapitel „Religion“ wird für mich deutlich, dass Sie mit den Formen des religiösen Glaubens ringen, dass Sie aber auch die Konkretheit von Glaubensformen und Glaubensinhalten ablehnen, aber dann doch daran denken: Irgendeine vernünftige und gute Gestalt von religiösem Glauben könnte es doch geben. Verstehe ich Sie da richtig?

Daß ich konkrete Glaubensinhalte ablehne, wäre zu viel gesagt. Überhaupt kann man ja Glaubensinhalte nicht kritisieren oder ablehnen wie Protokollsätze! Aber als Intellektueller, als Schriftsteller, erfasse ich sie natürlich von einem Standpunkt aus, der seinerseits kein religiöser, zumindest kein religiös-dogmatischer ist. Das ist jedoch keine Metaposition oder geistige Konsumhaltung. Das Religiöse wird bei mir nicht vernutzt, auch nicht aufgeputzt! Intellektuelle und Schriftsteller, die den Glauben zu sozialen Distinktionszwecken benötigen, als Einstecktüchlein an die bürgerliche Ausgehuniform geheftet – die finde ich einfach peinlich. [Herr Mosebach, Sie sind gemeint!] Und weiter: „Vernünftig“ und „gut“ wären schon sehr starke Ausdrücke für meine Klärungsversuche an dem, was „Glaube“ bedeutet. Keine Frage, Glaube kann Lebensform und Institution werden, auch spezielle Bewußtseinsform, in all diesen Fällen ist er dann deutlich von anderen Erfahrungsregionen abgehoben. Ich stelle mich da bewußt etwas ahnungs- oder vorurteilslos und suche die Gläubigkeit erst einmal auf einer alltäglichen, vielleicht banalen Ebene auf. Im banalen wie im anspruchsvollen Sinne kann nun aber niemand von sich selbst mit Sicherheit sagen, ob das sein „Glaube“ ist, was er denkt und fühlt!* Das ergibt sich erst aus Kontrasten mit anderen Erfahrungs- und Denkformen, natürlich auch mit anderen Glaubensinhalten, sprich, das geschieht im sozialen Raum. Und dann zeigt sich zum Beispiel: Gläubig wird jemand genannt, der von den – für andere Menschen – wirklichen Dingen behauptet, daß sie nicht wirklich sind oder wertvoll sind, und der von den – wiederum für andere Menschen – unwirklichen Dingen behauptet, daß sie wirklich sind oder wertvoll sind. So gelten dann schließlich ganze Menschengruppen als gläubig, andersgläubig oder ungläubig. In solchen Adjektiven drückt sich unvermeidlich das Glaubensverhältnis derer aus, die sie anderen anhängen.
*Speziell beim christlichen Glauben habe ich den Eindruck, daß sich sein Bekenner nie ganz sicher sein darf, ob er glaubt, ja auch nur, ob er richtig glaubt; die Sicherheit wäre dann wohl schon zu nahe beim Hochmut.

Die drei Kapitel des Buches, also Kunst – Religion – Philosophie, spielen also auf Hegels Überzeugung vom absoluten Geist an, der sich in drei Stufen zur Philosophie hin als höchster Form des Geistes entwickelt. Ist für Sie auch die Philosophie auch das Höchste der vernünftigen Leistungen des Menschen?

Ihrer Tendenz und ihrem Anspruch nach liefe das auf ein Ja hinaus. Aber das würde als Antwort wohl weder Sie noch mich befriedigen. Mir selbst käme eine Hierarchie entlang der (philosophischen) Vernünftigkeit arrogant und auch ein wenig borniert vor. Ich will damit nicht auf eine doppelte Wahrheit oder ähnliches hinaus, sondern sehe das Problem so ähnlich wie beim Glauben überhaupt: Seinem Ideal nach bringt jeder – dogmatisch befestigte – Glaube seine eigenen Maßstäbe mit, was als „seines“ zu gelten habe. Deshalb könnte es sein, daß auch die Philosophie sich nur im philosophischen Selbstgespräch befände, wenn sie die Vernunftquote von Kunst oder Religion zu ermitteln versuchen würde.

Menschen machen sich ihre Götter, das ist sicher ein zentraler Gedanke für Sie. Wie wäre es mit dem Gedanken: Gott als „schöpferische Kraft“ hat selbst in die Menschen diese seine göttliche Kraft (Geist, Vernunft) gelegt, dass sich die Menschen Götter machen? Die Götter und die Glaubensformen wären also Gottes „Produkt“! Dies wäre eine Überwindung der altbekannten Projektionslehre von Feuerbach.

Ein Entwicklungszirkel also, ein evolutionärer Pantheismus? Eventuell mit einer Perspektive auf die Konvergenz der Weltreligionen? Ich finde das spekulativ interessant und oft kühn und geistreich ausgeführt. Mein leichtes Unbehagen an solchen Spekulationen ist nicht prinzipiell inhaltlich-dogmatisch, sondern denkökonomisch begründet. Wenn man nämlich den Begriff Gott so weit von positiver Offenbarung hinweg ausdehnt (was bei einschlägig hermeneutischer Kunstfertigkeit ja theologisch machbar ist), dann leidet man vielleicht bald an einem Zuviel an Freiheit, weniger nett gesagt: an Beliebigkeit. Mich fesseln eher Denker und Autoren, die sich in engerem Rahmen abmühen. Die haben meine höchste Aufmerksamkeit, auch mein Mitgefühl. Mir fällt dazu das etwas grausame Nietzschewort von der ungeheuren Dummheit ein, daß man Jahrtausende nur gedacht habe, um etwas zu beweisen – und daß diese Dummheit erst den Geist groß gemacht habe.
Und zu Ihrer Eingangsformel: Da fällt mir ein anderer Titan des 19. Jahrhunderts ein, Karl Marx. Gewiß, Menschen machen sich ihre Götter wie ihre Geschichte selbst, aber eben auch unter vorgefundenen, nicht restlos frei wählbaren Bedingungen!

Jürgen Große, Von schwankender Gestalt, Kunst, Religion und Philosophie nach ihrer Befreiung. Taschenbuch, edition fatal, Potsdam 2024, 15 Euro.

Ebenso zum Thema von Jürgen Große: „Der Glaube der anderen. Ein Weltbilderbuch“ (2021),

“Der sterbende Gott” (2020).

Die Fragen stellte Christian Modehn.

Copyright: Dr. Jürgen Große, Berlin

Rechts(extrem): Frankreichs Katholiken im Juni 2024.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.6.2024

Das Motto:
„Gott ist nicht konservativ“ erklärte der Pariser Kardinal Francois Marty in einem Interview mit Christian Modehn für „Publik – Forum“ 1980.
Gott ist konservativ, sogar sehr rechtslastig“.
Das glauben heute die meisten Katholiken Frankreichs.

Zur Vertiefung: Der katholische Medien-Mogul und praktizierende Katholik, der Milliardär Vincent Bolloré, hat sich für die Zusammenarbeit der rechten mit den rechtsextremen Parteien ausgesprochen. LINK:

1.
Bis zum 13.6.2024 (gelesen um 23.00), hat die Französische Bischofskonferenz noch keine Erklärung, keine Stellungnahme, keinen Kommentar zu den Ergebnissen der Europawahl in Frankreich am 9.6.2024 auf Ihrer Website publiziert LINK
Hingegen hat die Bischofskonferenz am 12.Juni 2024, drei Tage nach der Wahl, drei Dokumente zu Fragen der Ehe und Heirat veröffentlicht. Man darf sich fragen: Wie weltfremd sind diese Oberhirten eigentlich! Oder: Bereitet sich die Kirche auf eine „Ehe“ von Katholizismus mit den rechten bzw. rechtsaußen Parteien vor?

2.
Lediglich drei Bischöfe aus Nordfrankreich, aus Lille, Arras, Cambrai, wo die Le Pen Partei RN sehr starke Erfolge erzielte, zum Teil über 50 Prozent, haben einen Text publiziert. Und sie haben sehr weise und milde ihre Landsleute „zu politischer Weisheit“ („sagesse politique“) aufgefordert.

3.
Die katholische Kirche in Frankreich ist jetzt de facto schon eine Minderheit: 29 Prozent der Franzosen bezeichneten sich 2023 als Katholiken. LINK (Quelle: https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391), gelesen 14. Juni 2024. Die Religionsstatistiken werden durch repräsentative Umfragen erzeugt, offizielle Religionsstatistiken gibt es in Frankreich nicht… wegen der Trennung von Kirchen und Staat seit 1905.

Zum Vergleich: Im Jahr 1950 nannten sich 90 Prozent der Franzosen katholisch. Der starke Mitgliederschwund der katholischen Kirche ist sicher auch den sexuellen Missbrauch von zahlreichen französischen Priestern und Bischöfen bedingt!

1965 wurden noch 87% aller Kinder – bis zu drei Monate nach der Geburt – katholisch getauft. Heute wird nur ein Viertel der Kinder katholisch getauft … in den ersten sieben Lebensjahren.
Und eine wichtige Zahl zum langsamen Verschwinden des Katholizismus in Frankreich: Im Jahr 2000 lebten und arbeiteten 25.300 Priester in Frankreich, im Jahr 2022 sind es noch 11.600, über das Durchschnittsalter schweigen sich die offiziellen Kirchenstatistiken aus, nur ca. 20 Prozent sind nach zuverlässigen Schätzungen jünger als 65! LINK  (Quelle: https://eglise.catholique.fr/guide-eglise-catholique-france/statistiques-de-leglise-catholique-france-monde/statistiques-de-leglise-catholique-france/ministres-ordonnes-religieux/)
50.000 Ordensfrauen, Nonnen, lebten im Jahr 2000 in Frankreich, 17.300 sind es 2022. Die Klöster sind jetzt de facto meist Heime für alte und sehr alte Nonnen.

4. Das Wahlverhalten der Katholiken im Juni 2024:
Das Meinungsforschungsinstitut IFOP (Paris) hat für die angesehene katholische Tageszeitung LA CROIX (Paris) festgestellt: 42 Prozent der sogenannten praktizierenden Katholiken (d.h. sie nehmen gelegentlich an der Messe teil…) haben bei der Europawahl 2024 für die beiden rechtsextremen Parteien gestimmt: 32 Prozent für Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) (Von ALLEN Wählern erhielt RN „NUR“ 31 Prozent!) und 10 Prozent der praktizierenden Katholiken stimmten für die noch rechtsextremere Partei „Reconquete“ von Eric Zemmour und der Nichte Marine Le Pens, Madame Maréchal. (Von allen Wählern erhielt Reconquete „NUR” 5,5 Prozent).

5.
Die Entschiedenheit der praktizierenden Katholiken für linke und sehr linke Parteien bei der Europa-Wahl 2024 ist eher unbedeutend. Eine aktuelle Begründung: Weil für die meisten Katholiken (auch weltweit) der Glaube an Gott und Jesus immer mit dem Glauben an den höchsten moralischen Wert „Pro LIFE“ verbunden ist, wurde Staatspräsident Macrons Politik abgelehnt: Er hat sich bemüht,
Gesetzesvorlagen zum „Ende des Lebens“ vorzulegen, also zur aktiven Sterbehilfe. Da hat sich eine ideologisch moralische Einheit gebildet von rechten, rechtsextremen Parteien mit den katholischen Bischöfen und konservativen katholischen Laienorganisationen. Wir nennen nur die „Alliance Vita“, sie führt auch seit Jahren einen Kampf auch gegen die Abtreibung, zusammen mit „Associations Familiales Catholiques“ (AFC). Noch wichtiger im Kampf gegen die individuelle Freiheit, über das eigene Lebensende selbst zu bestimmen, ist die „Société française d’accompagnement et de soins palliatifs (SFAP)“. Sie wehrt sich gegen die Selbstbestimmung im Sterben, sie verfügt über viele finanziellen Mittel und ist verantwortlich für die Ausbildung der Pflegekräfte im Palliativ – Bereich. Die Präsidentin diese Vereins, Claire Fourcade, ist eng mit den katholischen Universitäten verbunden, sie hat sich auch gegen die Gültigkeit der objektiven Forschungsergebnisse einer neutralen Studiengruppe zum sexuellen Missbrauch durch Priester (die Studie hat den Namen „Commission Sauvé) ausgesprochen. Sie ist mit dem sehr konservativen Bistum Versailles verbunden.

6.
Eine kurze Erinnerung: In Frankreich gibt es seit 1789 (Beginn der Großen Revolution) eine sehr enge Verbindung der allermeisten Katholiken Frankreichs und auch ihrer Führer, der Priester und Bischöfe, mit rechten und rechtsextremen Parteien. Antirevolutionär sein bedeutet immer: Die Werte der Demokratie und der Republik ablehnen, in Frage zu stellen, die Bindung an Autoritäten mehr zu schätzen als die Autonomie des einzelnen; Sympathien für den Antisemitismus zu haben, die klassischen Werte der Familie und der Frauen (als Mütter und Hausfrauen) zu verteidigen, gegen die „Ehe für alle“ öffentlich zu kämpfen…

7.
Diese Kreise sind auch im 20.Jahrhundert immer aktiv gewesen, und sie sind auch heute aktiv. Selbst wenn sie zahlenmäßig eher von bescheidenem Umfang sind, haben sie doch eine breite, auch öffentliche Wirkung in der Kirche und der Gesellschaft. Diese konservativen, reaktionären, rechtsextremen katholischen Gruppen sind im Vergleich zu Deutschland sehr viel zahlreicher, sie können auf eine lange Tradition seit 1789 verweisen. Diese Gruppen prägen auch heute das Profil des französischen Katholizismus. Bedeutende linke, theologisch – reformerische Kreise gab es einmal im französischen Katholizismus in einem beträchtlichen Umfang, man denke nur an die vielen hundert Arbeiterpriester in Frankreich einst. Nur noch 15 Priester sind aktiv als „Arbeiterpriester“ tätig. 1976 waren 800 Priester „Arbeiterpriester“…Heute sind die linken katholischen Kreise und ihre Zentren und ihre einst bedeutenden Zeitschriften („Témoignage Chrétien“ etc.) marginal.

8. Le Pen
Die Le Pen Partei, von Jean – Marie Le Pen gegründet und bis 2011 von ihm geführt, hatte immer eine enge Verbindung mit den traditionalistischen Pius – Brüdern. Diese von dem reaktionären katholischen Erzbischof Marcel Lefèbvre gegründete Protestbewegung (d.h. Ablehnung des 2. Vatikanischen Konzils) ist in Frankreich von einer zahlenmäßig bedeutenden Stärke.
Die Le Pen – Partei „Front National“ hat damals mit diesen Priestern immer zusammengearbeitet und sie betrachtete förmlich die Hauptkirche der Lefèbvre Leute, St. Nicolas du Chardonnet in Paris, als ihr spirituell – politisches Zentrum. Le Pen Tochter Marine Le Pen, hat dem „Front National“ ein neues Äußeres gegeben und auch einige rechtsradikale Elemente aus ihrer Partei ausgeschlossen, wie den Antisemitismus. Diese neue Le Pen Partei heißt seit einigen Jahren „Rassemblement National“, Nationale Sammlung. Die Nation zuerst steht nach wie vor im Mittelpunkt. „Frankreich zuerst“ ist das Motto, das sich vor allem gegen muslimische Einwanderer und besonders Flüchtlinge richtet.

9.

Der traditionalistische Katholik Renaud Labaye, die „graue Eminenz“ des Rassemblemnet National.

Der wichtigste Mann „im Hintergrund“ der Le Pen Partei, des Rassemblement National (RN), ist Renaud Labaye (39 Jahre alt). Er ist offiziell zwar nicht Mitglied des RN, aber „er fühlt sich der Nationalen Rechten immer nah“, wie er gegenüber dem „Spiegel“ (15.6.2024, Seite 61) bekennt, und zwar seit 2014, wie die Zeitung Journal du Dimanche betont, LINK  .
Labaye ist Generalsekretär der Partei RN und gehört zum Kreis der so genannten “Horaces“, des geheimen Beratergremiums von Marine Le Pen.

Renaud Labaye bekennt sich offen zum Katholizismus, allerdings in der Form des Traditionalismus: Er sei regelmäßiger Teilnehmer der traditionalistischen Wallfahrt Paris – Chartres unter dem Zeichen der militanten Organisation „Chrétienté“, also der alten, abgeschotteten katholisch zu verstehenden „Christenheit“, berichtet das politische Magazin EXPRESS am 23.6.2022.

10. Römisch-katholische Traditionalisten!
Schon Papst Johannes Paul II. und mit ihm sein „rechter starker Arm“, Kardinal Ratzinger, gaben sich alle Mühe, die politisch rechtsextreme Lefèbvre Bewegung zu spalten und traditionalistische Organisationen im Innern der offiziellen römisch – katholischen Kirche zuzulassen. Das ist den beiden auch gelungen. Papst Benedikt XVI. setzte diese Spaltung der Pius – Brüder – Kreise fort. Diese einstigen Papstfeinde und Traditionalisten haben aber ihre reaktionäre Theologie beibehalten dürfen, dem Vatikan kam es nur auf die Anerkennung des Papstes als des obersten Chefs an!
Darüber wurde auch auf der website des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin ausführlich berichtet. LINK.

11.
Wichtig ist in dem Zusammenhang, an die von einem ehemaligen Lefèbvre Priester, Philippe Laguerie, gegründete Priester – Gemeinschaft „Institut du Bon Pasteur“ mit dem Zentrum in Bordeaux zu erinnern. Diese traditionalistische, aber mit dem Papst versöhnte Gemeinschaft ist inzwischen international aktiv.

12.
Mit dem traditionalistisch – römisch katholischen „Institut du Bon Pasteur“ ist der in Frankreich in rechten und rechtsextremen Kreisen sehr bekannte Priester Matthieu Raffray als Mitglied verbunden. 1979 geboren, hat er als Philosoph alle Vorliebe fürs Mittelalter entwickelt und deswegen die Metaphysik des heiligen Thomas von Aquin studiert, auch in Rom, an der Universität des Dominikaner Ordens! Er ist jetzt mit mehreren Organisationen der „katholischen Identitären“ verbunden. Und ist attraktiv bei jungen Leuten, auch wegen seiner heftigen Worte und Prinzipien wie etwa: «Bagarre, bagarre, prière.» , also: „Schlägerei, Streit, Gebet“, wie die Tageszeitung Liberation (Paris) berichtet.

13. Pater Raffrays “männliche Katholiken”
Der Priester Matthieu Raffray ist eine zentrale Gestalt im rechten und rechtsextremen katholischen Milieu, also bei praktizierenden Katholiken, die Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) gewählt haben. Raffray ist im Internet äußerst aktiv, er fordert dort einen „spirituellen Kreuzzug“, er verlangt, alter rechter Ideologie folgend, die Stärkung “männlicher Katholiken“, er sagt explizit: „former des catholiques virils ». Auf seiner You – Tube Seite sammelt er 800.000 Leute, die sich seine Predigten anschauen, 74.000 folgen ihm auf Instagram.
Nebenbei darf er auch an der Päpstlichen Universität Sankt Thomas von Aquin in Rom lehren sowie am Katholischen Institut in Toulouse, er ist also auch fest integriert in den offiziellen, sich moderat nennenden Katholizismus.
Die Ministerin Aurore Bergé, verantwortlich im staatlichen Kampf gegen Diskriminierungen, hat Pater Raffray angeklagt wegen öffentlicher Diskriminierung Homosexueller. In einem Interview sagte Raffray, Homosexualität solle durch Therapie überwunden werden. Schließlich sei für ihn Homosexualität nichts als eine Schwäche, eine Krankheit, die „weg – therapiert“ werden sollte.

14.
Eine Art Demonstration der sehr konservativen und traditionalistischen, politisch meist rechtsextremen Katholiken ist – seit 1983 – die jährliche Wallfahrt zu Pfingsten von Paris nach Chartres LINK . Diese sehr populäre Wallfahrt wird von jenen katholischen Organisationen organisiert und begleitet, die zwar traditionalistisch sind, aber mit dem Papst – pro forma möchte man sagen – versöhnt und verbunden sind. Diese Kreise sind also offiziell „traditionalistisch – römisch katholisch“. Man sehe sich sich die Website an, wie viele Gemeinschaften und Ordensgemeinschaften mit dieser Organisation mit dem Titel „Notre Dame de Chrétienté“ verbunden sind. Siehe LINK oben. In diesem Jahr (2024) waren 18.000 TeilnehmerInnen, also Wallfahrer, dabei, meist jüngere Leute. Die Messe am Zielort Chartres wurde in lateinischer Sprache gefeiert, ausgerechnet von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, dem heftigsten Gegner von Papst Franziskus.

Die inzwischen sehr bekannten, gut besuchten jährlichen „Wallfahrten Paris – Chartres“ wurden 1982 gegründet, vom rechtsextremen, der Le Pen Partei nahestehendem Zentrum „Henri et André-Charlier“ (wenn man diesen rechtsextremen Club näher studieren muss: LINK). Der damalige traditionalistische Benediktiner-Abt von Le Barroux, Dom Gérard Calvet, war auch an der Gründung beteiligt (später wurde er ohne weiteres in die offizielle römisch – katholische Kirche aufgenommen.)
Diese Wallfahrten sollten, so wörtlich im Sinne der Initiatoren, ein Zeichen des christlichen und nationalen Widerstandes sein … mit dem Ziel der christlichen Rückeroberung (reconquete chrétienne). Rückeroberung also schon damals das entscheidende Stichwort, berichtet die offiziell-katholische Wochenzeitung „Pèlerin“ am 17.5.2024.

15.
Auch Pater Matthieu Raffray predigte bei dieser Wallfahrt. Schon 2023 polemisierte er in seiner Predigt vor 16.000 Teilnehmern während der Wallfahrt nach Chartres: Zuerst das französische Zitat, das die katholische Tageszeitung La Croix (Paris am 16.5. 2024 dokumentiert) « Une foule d’ennemis voudront vous faire taire (…). Les communistes, les francs-maçons, les mondialistes, les wokistes, les libéraux, les progressistes, les sans-Dieu et ceux qui adorent de faux dieux, les hérétiques et les schismatiques, les socialistes, de droite comme de gauche. »  Also: „Eine Menge von Feinden wird euch zum Schweigen bringen: Die Kommunisten, die Freimaurer, die Freunde der Dritten Welt -Solidarität, die woke-Leute, die Liberalen, die Progressisten, die Häretiker, die Schismatiker, die Sozialisten von rechts wie von links“… Paul Colrat, katholischer Philosoph und Autor, über die Aktivitäten des rechtslastigen Priesters Raffray: „Seine Rolle ist es, offiziell die Jugend der extremen Rechten zu evangelisieren. Aber ich fürchte, aber er versteht es eher, eine Art seelische Bestätigung für diese rechtsextreme Strömung in Frankreich zu geben, die in Frankreich stärker wird“ ( La Croix, 16.5.2024). Den TeilnehmerInnen und den klerikalen Organisatoren dieser Wallfahrt geht es jedenfalls, wie der Titel der Wallfahrt ja sagt, um die Chrétienté, die alte stolze, herrschende Christenheit von einst, und das bedeutet theologisch: Christus soll als König herrschen, d.h. Christus (das Neue Testament) soll die Politik bestimmen. Das darf man mit gutem Grund Fundamentalismus nennen. Extreme Muslim-Kreise wollen in Europa ein Kalifat errichten, der Koran soll herrschen, was ist da der Unterschied?

16.
Es gibt viele weitere rechtslastige katholische Organisationen aus dem Umfeld der Traditionalisten, kritische Katholizismus-Forscher und Theologen sollten sich um das Thema kümmern: Die Organisation „Civitas“ muss genannt werden, genauso die „Academia Christiana“ mit ihren „Sommeruniversitäten“ in der Normandie mit etwa 400 Teilnehmern. Dort wurde schon 2021 für die „Remigration“ geworben, und sehr rechte Rockgruppen gehörten zum Programm, berichtet die Tageszeitung Libération, Paris, 11.Dez 2023. Innenminister Gerald Darmanin plant, diese „academia“ zu verbieten.
Die rechtsextremen katholischen Kreise versöhnen sich jetzt mit ihren einstigen Gegnern, den explizit heidnisch sich nennenden rechtsextremen Kreisen, die oft einer speziellen Rassen – Ideologie anhängen: Aber diese Differenzen seien jetzt nicht mehr wichtig, heißt es, es gelte, die rechtsextremen Kräfte für den Sieg zu bündeln. Und das ist diesen militanten katholischen Kreisen ja auch bei der Europawahl 2024 schon mal gelungen. Wie werden die Wahlergebnisse zur vorgezogenen Parlamentswahl Anfang Juli 2024 aussehen?

17. Nichts verstehen – aber “Sinn fürs Heilige”
Auch viele der „klassischen“ „normalen“ Katholiken französischen Katholiken schätzen immer entschiedener die alten theologischen Lehren und die Bevorzugung der alten lateinischen Messe. In der alten lateinischen Messe werde der Sinn fürs Heilige erlebt und geschärft, sagen diese Gläubigen. Der Sinn fürs Heilige besteht für sie also im Nicht-Verstehen der Sprache und der Riten in diesen lateinischen Messen. Selbstverständlich wird die Kommunion von ihnen gern noch kniend empfangen, der Priester legt die Hostie nach alter Art auf die Zunge des Gläubigen, das alles stärke den „Sinn fürs Heilige“…

18.
Untersuchungen haben gezeigt: Junge Priester sehen es jetzt für sich selbst am wichtigsten an, die Messe als „schöne Zelebration” zu feiern und die Sakramente zu spenden. Dies halten viele auch für wichtiger als die Predigt. Junge Priester und schon die Priesterstudenten, Seminaristen genannt, bevorzugen ganz überwiegend die klassische schwarze Priester – Soutane, berichtet La Croix am 21.12.2023. Und aus der sehr konservativen Gemeinschaft St. Martin hießt es deutlich: „Durch das Tragen der Soutane werden die Priester identifizierbar… Soutane ist ein Zeichen dafür, dass es noch eine andere Welt gibt.“
Äußerlichkeiten wie Gewänder und Soutanen als Wegweiser zu Gott? Das ist eine gewagte These. Wahrscheinlich sollten diese Priester ehrlich sagen: Wir wollen mit unseren Soutanen nur auffallen, als besondere Gestalten angesehen und geachtet werden, eben als Kleriker, die dem Volk, den Laien, gegenüber stehen. Und wichtiger sind als die Laien.

19. Das Ende des französischen Katholizismus ist absehbar
Die französische katholische Kirche wird zahlenmäßig immer kleiner, im Denken und politischen Handeln immer rechter, und die wichtigsten Akteure dieser Kirche, das sind die Priester, die Kleriker, sie sterben langsam aber sicher aus. So viele Priester aus dem Französisch sprechenden Afrika können als Ersatz auch nicht mehr einspringen, einige Hundert tun dies bereits! Und Klöster werden immer mehr zu Museen, wenn man sie nicht abreißt: Einige konservative Gruppen übernehmen diese Klöster, wie etwa in Lagrasse, im Süden Frankreichs. Aber so viel Personal haben die Reaktionären auch nicht…

Der kulturelle Bruch, der sich in Frankreich abspielt, ist unübersehbar. Und man kann bedauern, wie gering die Phantasie der verbliebenen Katholiken ist, noch an einer modernen, von „Laien“ geprägten Kirche zu arbeiten. Oder endlich ökumenisch mit den Reformierten und den Lutheranern in großem Umfang zusammenzuarbeiten…
Kritische Beobachter glauben manchmal, der immer noch allmächtige Klerus stolpert bewusst in einen Suizid dieser Kirche. Oder der Klerus will, dass die katholische Kirche definitiv auf Sekten – Niveau landet.

Wer nur die Pariser Kirchenszene betrachtet, wird noch immer viele z.T. neue Kirchengebäude treffen und Gemeinden. Aber man sehe ich in Limoges um, in Guéret, in Sens-Auxerre, in Nevers, in Troyes, in Verdun usw. … Dort und in anderen Provinzbistümern kann man das Ende des französischen Katholizismus schon jetzt erleben… Aber eine seriöse umfassende Reflexion über das Ende findet kirchlicherseits nicht statt. Offizielle Ignoranz kann man das nennen.

20.
Wer noch Sinn für moderne kritische Theologie hat, muss wohl sagen: Was ist das alles für eine Schande der Unvernunft. Haben für diesen miserablen Zustand die modernen kritischen Theologen Frankreichs (Chenu, Congar…) einst gekämpft? Schließlich haben sie das 2. Vatikanische Reform-Konzil entscheidend mit gestaltet.

PS: 1993 hat Christian Modehn das Buch “Religion in Frankreich” (GTB, Gütersloher Verlagshaus, 160 Seiten) veröffentlicht, “Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart” war der Untertitel. 1993 gab es noch, trotz der sehr rigiden, konservativen Theologie von Kardinal Lustiger, Paris, einige progressive, wegweisende Versuche, eine moderne katholische Kirche zu gestalten. Das Buch ist noch in Antiquariaten verfügbar.

21.
Über die Frage: Wer ist Schuld an diesem Zustand ? wäre lange zu debattieren: Es ist auch die Kirchenführung in ihrem Dogmatismus, die die nachdenklichen, progressiven Katholiken in Scharen aus der Kirche getrieben hat. Die entscheidende theologische Einsicht heißt: Dogmatismus und Klerikalismus machen nicht nur in Frankreich die katholische Kirche allmählich zur Sekte. Mit sehr rechtslastigem, rechtsextremen Einschlag, wie in Frankreich jetzt.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

42 Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich wählen 2024 rechtsextreme Parteien (Europawahl)

42 Prozent der praktizierenden Katholiken in Frankreich stimmen zur Europa- Wahl 2024 für rechtsextreme Parteien.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 10.Juni 2024. Siehe auch unseren ausführlicheren Beitrag zu diesem Thema vom 14.6.2024: LINK:

1.
Das Meinungsforschungsinstitut IFOP (Paris) hat für die angesehene katholische Tageszeitung LA CROIX (Paris) festgestellt:

2.
42 Prozent der sogenannten praktizierenden Katholiken (d.h. sie nehmen gelegentlich an der Messe teil…) haben bei der Europawahl 2024 für die beiden rechtsextremen Parteien gestimmt:

32 Prozent für Marine Le Pens Partei „Rassemblement National“ (RN) (Von ALLEN Wählern erhielt RN „NUR“ 31 Prozent! )

und

10 Prozent der praktizierenden Katholiken stimmten für die noch rechtsextremere Partei „Reconquete“ von Eric Zemmour und der Nichte Marine Le Pens, Madame Maréchal. (Von allen Wählern erhielt Reconquete „NUR” 5,5 Prozent). (Madame Maréchal hat sich inzwischen von Zemmours Partei offiziell getrennt (14.6.2024) und will ihre Tante Marine Le Pen und ihr nach außen hin etwas rechtsradikal – moderateres “Rassemblement National” (RN) unterstützen…

Diese Partei “Reconquete”, obwohl von dem jüdischen Journalisten Eric Zemmour gegründet, hat offensiv für eine „christliche Identität“ geworben, um die Muslime auf diese Weise zu diskriminieren und einzuschüchtern. Denn reconquete bedeutet Rückeroberung, wie damals 1492, als die katholischen Könige Spaniens die Muslime vertrieben und die Juden zur Konversion zwangen….Reconquista auf Spanisch…

Diese Fakten berichtet La Croix am 10. 6.2024: LINK.

3.
Die Katholiken und ihre Oberhirten sind dann doch vielleicht noch etwas beruhigt: Denn nur 18 Prozent der regelmäßigen (!) TeilnehmerInnen an der Sonntagsmesse (das bedeutet in Frankreich wenigstens einmal pro Monat!) haben eine der beiden rechtsextremen Parteien gewählt, berichtet “La CROIX”.

4.
Für die sehr linke Partei „La France Insoumise“ haben 5 % der praktizierenden Katholiken gestimmt, für die Sozialisten 10 %, für die Grünen 4 %, für die Macron – Parteien (nur) 12 % und 14 % für die traditionellen Konservativen, genannt „Les Republicains“.

5.
Kommentar der Soziologen in Paris: Marine Le Pen ist mit ihrem milden Auftreten und ihren eher milden Sprüchen dann doch bei katholischen Publikum angekommen. Und hat sie verführt, ist unser Kommentar. Wer glaubt im Ernst, dass Marine Le Pen “eine lupenreine Demokratin” ist?

Sicher hat die praktizierenden Katholiken auch der Gesetzesentwurf Macrons in die rechtstextremen Parteien geführt, denn der Präsident ist für eine gesetzliche Form der aktiven Sterbehilfe eingetreten. Die rechtsextremen Parteien waren selbstverständlich dagegen. Diese Rechtsextremen lassen es lieber zu, dass im Mittelmeer Flüchtlinge aus Afrika aktiv/passiv das eigene Sterben erleben…

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

Sehr rechtslastige und rechtsextreme Katholiken

Ein Hinweis von Christian Modehn

Erstens:
Die rechtslastigen und rechtsextremen Organisationen im Katholizismus. Dazu im folgenden einige Hinweise unter „Erstens“.

Kann die katholische Kirche, auch heute, überhaupt demokratische Werte fördern und unterstützen, wenn sie selbst, als Kirche, als Hierarchie, in ihrer offiziellen Lehre, explizit nicht – demokratisch sein will. Wenn also die theologische Lehre immer noch betont wird: Jesus Christus als Stifter dieser Kirche will gar keine demokratischen Strukturen und demokratischen Werte, will gar keine Menschenrechte als oberste Orientierung. Jesus Christus will auch keine Gleichberechtigung der Frauen (in der Kirche).
Das behaupten Kleriker, Bischöfe, Päpste seit ca. 1.600 Jahren, Kleriker, die in keiner Weise vom „Kirchenvolk“ gewählt wurden. Papst Franziskus selbst nannte kürzlich den Vatikan eine „absolute Monarchie“. So verstand sich auch der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV.
Der demokratisch nicht legitimierte Klerus beansprucht die absolute Deutungshoheit der Bibel, der katholischen Lehre, der Dogmen. Diese Ablehnung freier theologischer Forschung kann man nur fundamentalistisch nennen. Diese fundamentalistische Gesinnung „färbt“ natürlich auch ab, sie prägt die stark katholisch – kirchlich Gebundenen, die Praktizierenden. Und diese antidemokratische Struktur und Denkform der „heiligen“ Kirche kann Gläubige ins rechte und rechtsextreme Lager führen.
Die katholische Kirche ist also eine Organisation, die als Hüterin, als Förderin der Demokratie und des demokratischen Geistes und der Menschenrechte von Demokraten und Verteidigern der Menschenrechte NICHT ernst genommen werden kann. Wenn in dieser Kirche heute demokratisches Bewusstsein (etwa in sozialen und kulturellen Initiativen) da und dort gefördert wird, dann leisten diese Arbeit Katholiken als weltliche Staatsbürger in Demokratien, nicht aber primär motiviert als gläubige Katholiken.
Die Frage nach den rechtslastigen, rechtsextremen antidemokratischen Kräften im Katholizismus darf sich also nicht auf die zahlenmäßig eher kleinen, expliziten katholisch rechtsextremen Gruppen und Gemeinden fixieren. Es ist der antidemokratische Geist der Kirche selbst, der rechtslastiges Denken und Handeln fördert. Über die protestantischen Kirchen in Deutschland wäre eigens zu sprechen. Sie sind erst seit 1945 demokratisch organisiert.

……………….

Erstens: Die rechtslastigen und rechtsextremen Organisationen im Katholizismus. Einige wichtige Hinweise.

1.
Über die politische Rechtslastigkeit und vor allem den Rechtsextremismus in der Welt der katholischen Traditionalisten heute berichtet Raoul Löbbert in einer Reportage in „Christ und Welt„ (Beilage von „Die Zeit“) vom 6. Juni 2024. Darum diese Vertiefung des Themas hier.

2.
Es geht in der Reportage etwas durcheinander und hin und her. Wichtig ist für unsere Sicht als Ausgangspunkt die zentrale Erkenntnis: Die „katholischen Traditionalisten“ sind eine vielfältige, sehr unterschiedliche und untereinander durchaus auch verfeindete internationale (!) „Gemeinschaft“. Und es gelten viele historische und vor allem theologische Nuancen.

3.
Die Reportage nennt ausführlich das Priorat St. Afra in Berlin – Wedding mit seinem Gründer Prälat Gerald Goesche. Die Kirche St. Afra mit dem umgebenden Gemeindezentrum wurde offiziell, im Jahr 2002, von Kardinal Georg Sterzinsky, Erzbischof von Berlin, Gerald Goesche überlassen. Zuvor trafen sich dort die spanisch sprechenden Katholiken Berlins. Goesche und seine kleine Priestergemeinschaft, die sich nach St. Philipp Neri nennt, ist also offiziell Mitglied der römischen – katholischen Kirche und als „Priestergemeinschaft“ „päpstlichen Rechts“. Zu Besuch waren dort schon hochrangige Kardinale, wie der reaktionäre Kardinal Medina.
Goesche und sein Priesterteam dürfen also offiziell mit Zustimmung des Berliner Erzbischofs erlaubt die Messe in lateinischer Sprache im alten Stil des 16. Jahrhunderts feiern. Und in der theologischen wie politischen Lehre, wie die Reportage zeigt, kann Goesche sehr deutlich machen, wo er (rechts) steht. Und diese Orientierung findet einen gewissen Anklang unter Berlins Katholiken, die nie zu den Fortschrittlichsten im deutschen Katholizismus gehörten, begründet auch durch die reaktionäre theologische Haltung von Kardinal Bengsch, danach ebenso von Kardinal Meisner. Kardinal Sterzinsky war eher theologisch unbegabt, aber auch kein Reformer. In einem solchen Berliner Milieu, in dem es bis vor kurzem keine katholisch _ theologische Fakultät gab, ist reaktionäres Verhalten vieler Katholiken also eher normal.

4.
Bis zur Jahrtausendwende war der Priester Gerald Goesche eng verbunden mit der „Priesterbruderschaft St. Pius X“, mit einer eigenen Kapelle in Berlin -Kreuzberg, er war sehr verbunden mit jener Gemeinschaft, die Alterzbischof Marcel Lefèbvre gegründet hatte. Lefèbvre hatte die Reformbeschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils rigoros abgelehnt. Er steht am Beginn der auch jetzt breit und vielfältig aufgestellten, wenn nicht unübersichtlichen Welt der„katholischen Traditionalisten-Bewegungen“. Weil Lefèbvre ohne Erlaubnis des Papstes 1988 vier seiner Priester zu Bischöfen für seine Gemeinschaft weihte, wurde er von Papst Johannes Paul II. exkommuniziert. Diese Bischofsweihen sind nach vatikanischem Recht zwar unerlaubt, aber gültig.
Diese Lefèbvre Priestergemeinschaft nennt sich „Bruderschaft St. Pius X.“, sie ist international verbreitet mit vielen tausend Gläubigen. LINK.
Sie gilt nach vatikanischem Recht als schismatisch, also als „spalterisch“, sie gilt in vatikanischer Sicht aber nicht als häretisch, also nicht Irrlehren verbreitend!
Die vier unerlaubt geweihten Bischöfe wurden vom Papst exkommuniziert, diese Exkommunikation wurde nach einigen Jahren aber wieder aufgehoben, obwohl einer dieser Bischöfe, Williamson, sich offen und öffentlich antisemitisch geäußert hatte. Als Kardinal in Rom, dann als Papst Benedikt XVI., wollte Ratzinger – selbst ein Konservativer – unbedingt eine Versöhnung mit diesen Schismatikern, denn sie haben sehr viele junge Priester „im Angebot“… Und Kirchenspaltungen vom Katholizismus sind immer ein Makel für den Machtanspruch des Papstes.

5.
Besonders Kardinal Ratzinger, dann Papst Johannes Paul II. und später Papst Benedikt XVI. betrieben aber auch eifrig die Spaltung dieser schismatischen Priestergemeinschaft St. Pius X.: Wenn etwa Klöster der Lefèbvre Bewegung den jetzigen Papst als obersten Chef wieder anerkennen wollten – was weite Kreise der Lefèbvre Anhänger allerdings nicht tun – dann konnten sie sich mit Rom (dem Papst) offiziell versöhnen: Das heißt: Ihre reaktionäre Theologie im Sinne Lefèbvres durften sie beibehalten, ebenso selbstverständlich ihre lateinische Messe im Ritus des 16. Jahrhunderts. Berühmtes Beispiel für diese bloß formal zu nennende “Versöhnung“ mit dem Papst ist das Kloster Le Barroux in Südfrankreich, deren Mönche – und deren Abt (z.B. Gérard Calvert) stark der rechtsextremen Le Pen – Partei anhängen bzw. anhangen.

In der Europa Wahl im Juni 2024 haben in Frankreich 42 Prozent der praktizierenden Katholiken rechtsextreme Parteien gewählt.  LINK

6.
Als päpstlich anerkannte reaktionäre Alternative wurde von Papst Johannes Paul II. schließlich die „Priesterbruderschaft St. Petrus“ gegründet: Dies war durchaus als Attacke zu verstehen gegen die stark werdende Lefèbvre Bruderschaft Pius X.. Traditionalistischer Geist mit päpstlicher Unterstützung und Förderung auch bei den “Petrusbrüdern“, sie feiern ebenso die uralte lateinische Messe. Formale Anerkennung des Papstes als obersten Chef. Die Petrusbrüder bedienen in ihren Kirchen weltweit reaktionäre Katholiken. Diese St. Petrus – Bruderschaft erfreut sich auch in Deutschland eines regen „Nachwuchses“ an Priestern, in Wigratzbad bei Lindau ist das Priesterseminar. Mit welchen reaktionären, aber offiziell römisch -katholischen Bischöfen die Petrus – Bruderschaft in Verbindung steht, kann man auf deren Website bequem nachlesen. .

7.
Zu diesen päpstlich anerkannten traditionalistischen Bewegungen gehört eben auch Prälat Goesche in Berlin – Wedding mit seinem Zentrum St. Afra. Das Erzbistum Berlin erwähnt Goesches Gemeinde auf der offiziellen Website: LINK

8.
Diese offiziell römisch – katholischen, also durch aus päpstlich anerkannten traditionalistischen Kreise sind sehr vielfältig auch unter der Laien: Fürstin Gloria von Thurn und Taxis wäre zu erwähnen, die in enger Verbindung steht mit sehr konservativen Bischöfen und Kardinälen, wie etwa Kardinal Müller oder Kardinal Sarah, beide heftige öffentliche Feinde von Papst Franziskus. Überall, wo Katholiken als leidenschaftliche Verteidiger von „Pro Life“ auftreten, etwa auch auf Demonstrationen gegen die „Ehe für alle“, sind Traditionalisten in enger Einigkeit mit AFD Anhängern verbunden oder – etwa in Frankreich – mit der Le Pen Partei.
Aus Frankreich kommt nun auch nach Deutschland die sehr konservative, durchaus traditionalistische Priestergemeinschaft „Christus König“. Frankreich als Zentrum traditionalistischer und damit katholisch – rechtsextremer Kreise wäre ein eigenes Thema. Da wäre auch über die Bischöfe von Toulon oder von Bayonne zu reden, die jetzt nach vielen Jahren ihrer sehr rechtslastigsten Agitation vom Papst Franziskus eingeschränkt und kontrolliert werden. LINK RPS. Es wäre zu reden von den vielen neuen kleineren Ordensgemeinschaften und zahlenmäßig starken charismatischen Gruppen, wie „Emmanuel“, die alles andere als einem offenen, liberalen, demokratischen Geist der modernen Theologie folgen.

9.
Die Akzeptanz des katholischen Glaubens und die Bindung an die römische Kirche nimmt in Europa rapide ab. Eher progressive Katholiken verlassen in Scharen diese Kirche, der sexuelle Missbrauch durch viele hundert Priester weltweit hat das Ansehen des Katholizismus massiv auf Dauer beschädigt. Aber an ein Ende der Klerus- Herrschaft denken nur einige Theologen und Laien. Eher lässt sich Papst Franziskus wie Ende Mai 2024 zu der populistischen Aussage hinreißen, „Schwuchteln gehören nicht ins Priesterseminar“. Als ob die wenigen verbliebenen heterosexuellen Priester den Bischöfen nicht auch Probleme bereiten, etwa offene Beziehungen zu Frauen und deren gemeinsamer Kinder… Für seine populistische, unreflektierte Aussage zu den “Schwuchteln im Priesterseminar” hat sich der Papst nach internationalem Protest entschuldigt.

10.
Da sind es dann eben die treuen Seelen, die sozusagen gegen besseres Wissen noch glauben: Diese katholische Kirche, so wie ist, soll ewig so bleiben, denn sie habe der liebe Gott persönlich gegründet. Diese reaktionären und zum Teil rechtsextremen Katholiken fühlen sich als die Retter des angeblich unwandelbaren katholischen Glaubens. Und sie fühlen sich unter der autoritären Herrschaft des Klerus wohl, sie sind sozusagen die „Führer“.
Ihre Theologie ist eher fundamentalistisch, sie ist zudem faktisch völlig unmaßgeblich in der Breitenwirkung nach außen in die Öffentlichkeit hinein, schlicht ist diese Theologie und aus der zeit gefallen. Aber das finden diese Leute ja gut. Diese Gruppen haben eigene zum Teil noch sehr gut besuchte Priesterseminare, sie sind streng klerikal – männlich strukturiert. Offene Debatten etwa über den Zölibat oder die Akzeptanz von Homosexualität sind tabu.

10.
Prälat Goesche betont selbst ausdrücklich, wo er sich theologisch -politisch aufgehoben fühlt: :
„Wir haben freundliche Kontakte zu traditionellen Instituten wie etwa den Benediktinern von Le Barroux, dem Institut Christus König und der Petrusbruderschaft. Besondere Beziehungen bestehen zum „Brompton Oratory“ in London, das uns in vieler Hinsicht ein Vorbild ist.“  Quelle: http://www.institut-philipp-neri.de/institut.html

11.
Die Reportage von Raoul Löbbert bezieht sich oft auf Berlin, auf St. Afra. Leider wird ein anderes Zentrum traditionalistischen katholischen Lebens in Berlin übersehen: In Berlin – Friedenau, am Breitenbach – Platz, hat die Lefèbvre – Piusbruderschaft ihr Priorat und ihre eigene Kirche. Diese Leute sind nicht offiziell römisch – katholisch. Aber Häretiker – wie die Protestanten – sind sie in päpstlicher Sicht eben auch nicht! Sie sind also doch „noch“ katholisch. Diese Leute warten auf bessere Zeiten in ihrer Sicht: Wenn der Priestermangel in Deutschland und in Europa so groß wird, kann es geschehen: dass der Papst, den Klerus überall als unverzichtbar schätzend, dann doch auf die vielen traditionalistischen Lefèbvre – Priester zurückgreift: Um die klerikale Struktur der Kirche irgendwie noch zu retten. Für ein paar Jahre wenigstens.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de

 

 

 

Warum ist die Vernunftreligion von Kant die Religion der Menschheit für heute und morgen?

Die 21. unerhörte Frage:
Warum ist die Vernunftreligion von Kant die Religion der Menschheit für heute und morgen?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 4.Juni 2024.

Ein weiteres Forschungsprojekt in diesem Zusammenhang: Die Beziehung von Kant und seiner Religionsschrift, seiner “Vernunftreligion” , zu der in Frankreich ab ca.1797 sehr lebendigen humanistisch – christlichen Religion der Theophilanthropen. Sie wollten die römisch katholische Theologie und Kirche durch neue humanistische Lehren und Riten überwinden. Wurden dann aber von Napoléon verboten, er wollte unbedingt das Konkordat mit dem Papst. Zu den Theophilanthropen: LINK:

1.
In unserer Rubrik „Unerhörte Fragen“ ist diese 21. Frage vielleicht wirklich unerhört: Sie ist erstens, wie alle früheren, provozierend und also auch etwas theologisch frech. Aber diese 21. unerhörte Frage ist auch unerhört in dem Sinne: Sie wird wohl kaum gehört, nicht wahrgenommen werden. Unerhört bleiben. Denn kaum jemand unter den religiösen und theologischen Herrschern in den etablierten Religionen des Christentums, Judentums, Islams und des Hinduismus wird sich über diese Frage freuen, sich mit ihr positiv und dann auch zustimmend auseinandersetzen. Dennoch muss diese Frage gestellt werden. Kant zu Ehren einerseits. Vor allem aber aufgrund der Erkenntnis: Wenn Kirchen und Religionen in dieser Zeit noch eine Chance des Überlebens und des Respektes haben: Dann eben als Vernunftreligionen. Nur dann können sie als die eine Religion der Menschheit dem Frieden dienen.

2.
Wie bei allen unerhörten Fragen wird nur kurz der Hintergrund der Frage ausgeleuchtet: Und dabei bemühen wir uns, möglichst nachvollziehbar „für viele“ den wichtigen Gedanken darzustellen.

3.
Kant hat sich immer mit der Frage nach einer vernünftigen Religion auseinandergesetzt, auch in seinen bekannten und berühmten „drei Kritiken“. Besonders ausführlich äußert sich Kant – mutig bei der damaligen Zensur unter König Friedrich Wilhelm II .von Preußen – zu unserem Thema in seinem Buch von 1793 „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

4.
Kant „legt” diese Vernunft – Religion mit ihren Inhalten„frei“, weil sie eben in der Vernunft eines jeden Menschen ihren Grund und ihre Bedingungen der Möglichkeit bereits hat. Die Prinzipien, also unumstößliche Vernunfteinsichten im Sinne Kant, werden durch die Reflexion der Vernunft „offenbart“, wie Kant ausdrücklich in der “Religionsschrift“ schreibt. Offenbarung im Sinne Kants ereignet sich auch und vor allem durch die Reflexion eines jeden Menschen auf die Vernunft: Da wird offenbar, dass die Vernunft des Menschen eine „Schöpfung“ des göttlichen Wesens ist, also selbst Anteil hat am Göttlichen, dem Ewigen..

5.
Und was wird dann deutlich: Der Mensch ist durch die Vernunft auf Gott bezogen. Der Mensch ist frei in seinem Handeln und Denken. Und der Mensch kann aufgrund der göttlichen Vernunft im Menschen hoffen, dass seine Seele in irgendeiner Weise ewig sein wird. Gott – Freiheit – Unsterblichkeit der Seele können also als die drei „unerschütterlichen Ideen“ der Vernunftreligion gelten. Diese Einsichten kann jeder Mensch mitvollziehen, gleich welcher Religion auch immer. Diese Menschen bilden dann im Denken Kants eine Art, „unsichtbare Kirche“. Diese kommt ohne große Organisation aus, ohne Hierarchie, ohne Klerus, ohne „Pfaffen“ sagt Kant ausdrücklich. Kant empfiehlt einzig diese „Religion des guten Lebenswandels“, also der Mitmenschlichkeit, des Respekts… „Die Gebote des sittlichen Lebens sind göttliche Gebote“.

6.
Diese Vernunftreligion mit ihren drei zentralen Einsichten wehrt ab allen Aberglauben, allen Wahn des üblichen religiösen Überschwangs, wie Wallfahrten, Wunderglauben, Heiligenverehrung, Bindung an heilige Bücher, die für Gottes Wort gehalten werden, tatsächlich aber nur subjektiver Ausdruck religiöser Erfahrungen von Menschen vor vielen hundert Jahren sind.

7.
Und wie sieht das praktische religiöse Leben der Vernunftreligion aus?
Der wahre Gottesdienst ist für den einzelnen Vernunftgläubigen und seine Freunde das ethische Leben, das die Kriterien respektiert, die der Kategorische Imperativ vorlegt zur Entscheidung: Ist meine Maxime, meine Lebensphilosophie, mein Handeln, mit dem Kategorischen Imperativ konfrontiert, gut oder nicht. Diese „einfache“ Religion/Kirche ist auch äußerlich von großer Schlichtheit: Sie kann sich an schönen Kirchengebäuden erfreuen, an Kathedralen und alter religiöser Musik, aber diese sind für den „Vernunftgläubigen“ nicht wesentlich.

8.
Kant sieht durchaus, dass die genannten Prinzipen der Vernunftreligion auch in den faktischen Kirchen z.B. (etwas) gelehrt wurden. Aber sie sind dort umgeben von einer Fülle von Sonderlehren und wahnhaften, d.h.den einzelnen auch seelisch krank machenden Praktiken (wie Ablasshandel, Teufelsglaube, Glaube an eine Erbsünde, Bindung an willkürlichen Hierarchen, die etwa den Ausschluss von Frauen vom Priesteramt wider besseren theologischen Wissens durchsetzen, Insistieren auf konfessionellen Identitäten, auf das politische Durchsetzen religiöser Werte, wie das Kalifat usw.

9.
Kant sieht auch: Für die Vernunftreligion werden sich noch nicht viele Menschen entscheiden können. Zu stark sind die durch Erziehung etc. vermittelten emotionalen Bindungen an die faktischen Kirchen und Religionen. Viele lieben die autoritäre Bindung an männliche Herrscher, und katholische Frauen gehen im wahrsten Sinne des Wortes eben nicht auf die Barrikaden, um für ihre Rechte zu kämpfen. Gehorsam ist für religiöse Menschen wichtiger als Autonomie.

10.
Es wird die Zeit kommen, und sie ist wohl schon da, dass weiterhin hunderttausende Gläubige aus den dogmatisch verfassten Kirchen austreten (oder sich vom dogmatischen Islam oder Judentum oder dem Hinduismus abwenden) und sich fragen: Sind wir nun als „Ausgetretene“ gleich auch Atheisten? Oder wollen wir einer „einfachen“ Religion folgen, die die göttliche Schöpferkraft in Vernunft und Seele gelegt hat und die jeder Mensch im Denken entdecken kann?

11.
Mit anderen Worten: Wollen wir frei sein, autonom sein, auch in der Religion und Spiritualität? Darauf hat Kant eine Antwort gegeben. Und dies ist eine kreative und eine mutige Leistung in der konservativen, dogmatisch aggressiven Kirchenwelt Ende des 18. Jahrhunderts.
Die Utopie einer humanen Weltreligion ist also für Kant und seit Kant nicht aus dem Denken zu vertreiben, trotz aller Dominanz des Fundamentalismus in allen Religionen.

12.
Eine allen Menschen im Denken selbst sich offenbarende Vernunftreligion ist der entscheidende Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. In dem Sinne: Der Abschied von dogmatischen und fundamentalistischen Religionen wäre eine entscheidende Aufgabe der heutigen Menschen. Man muss wohl diese etwas pathetisch klingenden Worte gebrauchen, um die Bedeutung von Kants Vernunftreligion überhaupt zu erklären.

Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de