Dietrich Bonhoeffer – der Provokateur!

Für Bonhoeffer sind Gerechtigkeit und „Reich Gottes auf Erden“ der absolute Mittelpunkt.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 2. 4. 2025.

Das Motto:
Dietrich Bonhoeffer, der große Theologe und NAZI – Widerstandskämpfer, viel zitiert und selten in der Praxis respektiert, würde heute wohl auch eine Form von Widerstands üben: Es wäre der Widerstand gegen die dogmatische Borniertheit der Kirchen. Gegen das Fortsetzen der uralten Hierarchien und Klerus Herrschaft. Gegen die Bürokratie in den Kirchen trotz permanenten Schwunds an Mitgliedern. Und, um das Wesentliche zu sagen, er würde wohl sich selbst zitieren: Aus seinem Brief im Nazi – Gefängnis Tegel: „Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt … geht es doch.“ So Bonhoeffer in seinem Brief aus dem Nazi – Gefängnis Berlin – Tegel am 5.5.1944. Fußnote 1.

“Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus…Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.” (Bonhoeffer, Notiz im Brief aus dem Gefängnis Tegel am 3.8.1944.)

1.
Wer Bonhoeffer liest, lernt, was wesentlich ist. Deswegen muss man heute feststellen: Von allerhand Nebensächlichkeiten reden die Christen und ihre Kirchenführer nach wie vor. Von Strukturreformen und Strukturreförmchen, von mehr oder von weniger Halleluja in Gottesdiensten und so weiter. Aber sie sprechen eben nicht vom politischen Kampf zugunsten globaler Gerechtigkeit, auch Klimagerechtigkeit, sie sprechen nicht von dem, was Reich Gottes auf Erden sein könnte und sollte: Friede, Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit. Nur darauf kommt es an … zum Überleben der Welt und der Menschen!

2.
Dietrich Bonhoeffer hatte als Widerstandskämpfer gegen die Nazis ein deutliches Wissen von dem, was entscheidend und wichtig ist und von dem, was beiseite gelegt, abgeschafft werden sollte in den Kirchen. Im Nazi – Gefängnis Berlin -Tegel hatte er 1944 noch die Kraft, wenn auch situationsbedingt fragmentarisch, die christlichen Religion, die Kirchen, in Europa zu analysieren und globale Vorschläge zur Reformation zu machen. Seine Gefängnisbriefe aus dem Jahr 1944 sind unter dem Titel “Widerstand und Ergebung” veröffentlicht. Dietrich Bonhoeffer wurde am 9.4. 1945 in Flossenbürg, Bayern, hingerichtet, LINK

3.
Die Christen in Deutschland und ihre Kirchenführer täten gut daran, zumal bei dem stetigen Schwund an Mitgliedern und dem sehr geringen Ansehen ihrer Institutionen, die Zukunft der Kirchen radikal neu zu verhandeln und neu zu gestalten. Sehr hilfreich, sehr inspirierend kann dabei die Auseinandersetzung mit den radikalen Erkenntnossen Bonhoeffers im Gefängnis Tegel sein. Die Erinnerung an Bonhoeffers 80. Todestag am 9. April kann also nur eine für die Institution Kirche „gefährliche Erinnerung“ sein, eine verstörende, aufrüttelnde Erinnerung, allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass dies bei dem üblichen „Betrieb“ der Gedenktags – Feierlichkeiten und der Routine der Kirchenbürokratie der Fall sein wird. „Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ Fußnote 2.

4.
Die Kirchen und ihre TheologInnen, die evangelischen zumal, forschen zwar seit Jahrzehnten zu Dietrich Bonhoeffer. Die Zahl der entsprechenden Studien und Biografien ist – auch international gesehen – „sehr groß“. Die Wissenschaftler wissen von Bonhoeffer sehr viel. Die Kirchen und die verbliebenen Christen wissen einiges „in der Theorie“, wollen sich aber von ihm nicht in der eigenen Praxis inspirieren lassen – zugunsten einer neuen Kirche in „religionsloser Zeit“.

5.
Das Gedicht Bonhoeffers „Von guten Mächten treu und still umgeben“ fehlt als Kirchenlied fast nie in einer liturgischen Handlung: Im Gottesdienst sonntags, zur kirchlichen Trauung, zur Bestattung und so weiter. Das Lieblings-Lied der heutigen Protestanten (mehrfach vertont !) wurde sogar ins neue katholische Gesangbuch „Gotteslob“ aufgenommen. Der Publizist Volker Weidermann, durch theologische Publikationen bisher eher nicht hervorgetreten, widmet dem berühmten Bonhoeffer Gedicht – Bekenntnis eine umfangreiche, sehr beachtenswerte, zum Teil berührende Interpretation in DIE ZEIT vom 27. März 2025. Dieses „ausserkirchliche“ Interesse an dem Gedicht liegt daran, dass Bonhoeffer hier den Gott der Bibel mit den eher dogmatisch – offen zu verstehenden guten, behütenden „Mächten“ verbindet. Und diese „guten Mächte“ werden von ihm contrafaktisch, als total anders als die absolut bösen Mächte der totalitär Herrschenden definiert. Die guten Mächte werden trotz allem und letzten Endes hilfreich – herrschend sein, bestimmend, tragend, Sinn stiftend.

6.
Die Kirchen halten dieses Glaubensbekenntnis Bonhoeffers, wenige Wochen vor seiner Hinrichtung geschrieben im Kellergefängnis der Nazis in der Prinz -Albrecht-Straße, für zeitlos und international gültig. Hingegen: Die radikalen Äußerungen Bonhoeffers zur Zukunft der Kirchen in einer religionslosen Welt, ebenfalls im Gefängnis 1944 geschrieben, halten die Kirchen für interessante, aber eben doch bloß zeitbedingte Reflexionen. Sie seien sozusagen nur bedingt von den erbärmlichen Lebensbedingungen im Nazi- Gefängnis. Und wegen dieser „Begrenzung“ eben nicht nicht von allgemeiner inspirierender Gültigkeit.
Aber diese Abwehr von Bonhoeffers Erkenntnissen ist falsch. Gerade in existentiell extremen Situationen werden Wahrheiten entdeckt, die über den aktuellen Moment der Notiz bleibend gültig sind. Genau das schreibt Bonhoeffer selbst im Gefängnis Tegel: „Die Seele bildet in der Einsamkeit Organe, die wir im Alltag kaum kennen.“ (Fußnote 3).

7.
Bonhoeffers Gedanken im Gefängnis sind keineswegs außergewöhnliche Ausrutscher: Er hatte schon 1934 bewiesen, wie er unter einer Erstarrung der Kirchen gelitten hatte, als er sich in dieser Sache Rat suchend ausgerechnet an den Hinduisten und Humanisten Mahatma Gandhi wandte: Am 17. Oktober 1934 verfasste Bonhoeffer an ihn einen ausführlichen Brief. Darin spricht er von der Botschaft Christi, die so viele Menschen enttäusche und zwar aufgrund der Erscheinungsform der Kirche. Und Bonhoeffer drückt seine Überzeugung aus, dass das Christentum ganz anders werden muss, und zwar durch eine „Neugeburt“: Und die sei nichts anderes als der praktische Respekt der Kirche vor der Bergpredigt Jesu. Was aber ist der Inhalt der Bergpredigt Jesu? Es geht ausschließlich um humane Werte, die Bonhoeffer später auch in seinen Überlegungen zur Kirche im Gefängnis 1944 formulierte!
Dieser Brief Bonhoeffers an Gandhi wurde erst 2020 entdeckt und er beweist einmal mehr: Die radikale Kritik am Zustand der Kirchen ist für ihn kein spezielles Thema aus der Einsamkeit des Nazi – Gefängnisses. Radikale Kirchenkritik ist DIE Dimension im Denken Bonhoeffers. Der Brief an Gandhi: Fußnote 4.

Zur politrischen Analyse Bonhoeffers “Die Menschen werden durch Diktatoren, Rechtsextreme dumm gemacht”: LINK.

8.
Wie erinnern an einige zentrale Ausführungen Bonhoeffers in seinen Briefen, die im Gefängnis Tegel seinem Freund, Eberhard Bethge, zukommen lassen konnte. Sie wurden nach seinem Tod in „Widerstand und Ergebung“ publiziert.

9.
Die erste zentrale Erkenntnis Bonhoeffers findet sich in einer Passage anläßlich der Taufe des Sohnes seines Freundes Eberhard Bethge, die Überlegungen sind in „Widerstand und Ergebung“ unter dem Titel „Du wirst heute zum Christen getauft“ publiziert. Fußnote 5.
Einige wichtige Erkenntnisse:
Die Kirche muss nach Bonhoeffer ganz neu verstehen, was Versöhnung und Erlösung, Heiliger geist, Kreuz und Auferstehung bedeuten. „Alles das ist so fern“…
Die jetzige Kirche kämpft nur um Selbsterhaltung, sie ist unfähig, „Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und die Welt zu sein“.
Und wahres Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: „Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.“
„Es wird später eine neue Sprache in der Kirche gesprochen werden“, so Bonhoeffers Hoffnung, „vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend wie die Sprache Jesu…“
Diese Überlegungen Bonhoeffers sind Teil der von ihm selbst noch geplanten „Bestandsaufnahme des Christentums“ (von der er in seinem Brief am 2.8.1944 schreibt.) Fußnote 6.

Nebenbei: Bestandsaufnahme des Christentums: Wer wagt sich an ein solches Projekt heute? Wer macht eine Bestandsaufnahme des Papsttums und der Päpste? Wer macht eine kritische eine Bestandsaufnahme der so furchtbar engen Kirche – Staat-Beziehungen etwa in den Lutherischen Kirchen oder der Konkordate des Vatikans mit faschistischen Diktatoren, etwa in Spanien ?

10.
Hinweise zum theologischen Hintergrund der Reflexionen Bonhoeffers zur Kirche und zum Glauben bieten einige Überlegungen zur„religionslosen Zeit“, notiert in einem ausführlichen Brief an Eberhard Bethge am 30.4.1944, (Fußnote 7).
„Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen“.
„Die Menschen werden radikal religionslos“
Es gibt heute kein „religiöses A-Priori der Menschen“ mehr, also die traditionelle These sei ungültig: Jeder Mensch ist schon als Mensch “irgendwie“ religiös.
„Unserem ganzen bisherigen Christentum wird das Fundament entzogen“
Bonhoeffers Diagnose: Es gibt in den Kirchen heute nur einige „letzte Ritter“ (also noch dogmatische Fromme, CM) oder ein paar „intellektuell Unredliche“ wie er sagt, bei denen „wir“ (als Pfarrer) „religiös“ noch landen können. Unter den Bedingungen werden die „klassischen“, bisher vertrauten Kirchen verschwinden.

11.
Welche dogmatische Lehre, welche Struktur, kann Kirche dann noch haben? „Was bedeutet eine Kirche, eine Gemeinde, eine Predigt, eine Liturgie, ein christliches Leben in einer religionslosen Welt?“
Kann Kirche “von Gott sprechen ohne Religion“, also ohne religiösen Bezug?
Bonhoeffer ringt mit der Frage, welche Bedeutung das Transzendieren des Menschen hat. Einerseits lehnt er das „religiöse A-Priori“ in jedem Menschen ab. Andererseits spricht er in seinem Brief vom 9.3.1944 von Bindungen ans Übersinnliche unter den Mitgefangenen, von deren „Glauben an Übersinnliches“: Etwa: „Drück mir die Daumen“, „Unberufen (toi – toi)“, „Holz anfassen“, „Keiner entgeht seinem Schicksal“… Fußnote 8.

12. Ein persönliches Bekenntnis Bonhoeffers:
 „Oft frage ich mich, warum mich ein christlicher Instinkt häufig mehr zu den Religionslosen als zu den Religiösen zieht?“ (Fußnote 9). Unter Religionslosen kann Bonhoeffer freier und ehrlicher den Namen Gottes aussprechen als unter den üblich-Frommen. Sie sprechen von Gott, auch aus Denkfaulheit, wie Bonhoeffer ausdrücklich sagt, als einem „deus ex machina“, einem Gott, der zu einer Art Lückenbüßer degradiert wird.
„Ich möchte von Gott sprechen nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten der Menschen“.
Dieses Sprechen von Gott gilt wohl auch für Kirche im ganzen, es kann heute aber nur gelingen, wenn tatsächlich der Inhalt der kirchlichen Verkündigung ein anderer wird. Vieles Uralte und Angestaubte muss verschwinden (wie das unsägliche Dogma der Erbsünde).

13.
Die Kirchen in Deutschland beginnen langsam und zögernd anzuerkennen, dass die Gestalt der christlichen Religion heute sehr weitgehend keine Zustimmung mehr findet. Der entscheidende Lernschritt ist: In dieser „religionslosen Welt“ hat die Kirche vor allem die Aufgabe, die humane Botschaft bzw. die Weisheitslehren Jesu von Nazareth zu sagen und selbst praktisch zu leben: Also die humanen Haltungen, die in der Bergpredigt, in den Gleichnissen Jesu (Barmherziger Samariter usw…) oder in den „Reden Jesu zum Weltgericht“ (Matthäus 25, 31 ff, bes. 35 ff.) zur Sprache kommen.Alle Riten, alle Liturgien, alle Predigten, Wallfahrten, Segnungen, “heilige Jahre“ mit ihrem verstörenden Ablass usw. können irgendwie als kulturelle Veranstaltungen weiterhin stattfinden, aber sie können im Sinne Bonhoeffers nicht länger als authentischer Ausdruck des christlichen Glaubens gelten. Nur darauf kommt es an: Wie Bonhoeffer sagt: „Beten und Tun des Gerechten.“ Das heißt ins Heute übersetzt: „Innere Sammlung, Meditation, Poesie UND gleichzeitig Kampf um Gerechtigkeit und Frieden für alle.“ Das ist wenig und viel und eigentlich alles.

14.
Über die manchmal anklingende Abweisung der Philosophie und der Metaphysik durch Bonhoeffer wäre eigens zu reden und wird zu einem späteren Moment geschehen. Vor allem sehen wir seine Abweisung des „religiösen A-Priori“ kritisch, und er selbst relativiert diese seine Überzeugung auch: Siehe Nr. 11 in diesem Hinweis.
Und geradezu in die mystische Philosophie führt die kurze Notiz am 3.8. 1944: „Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern da Nächste“ (Fußnote 10). Das heißt: Gott ist in mir….in jedem Menschen. Das ist aber schon wieder Metaphysik…

15.
Eine Interpretationshilfe bietet Bonhoeffer selbst fast am Ende seiner schriftlichen Äußerungen, am 3.8.1944 noch im Gefängnis Tegel: „Ich fühle mich als ein `moderner` Theologe, der doch noch das Erbe der liberalen Theologie in sich trägt“ (Fußnote 11). Und liberale Theologie verschmäht philosophisches Denken bekanntlich nicht.

16.

„Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem? Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt … geht es doch.“ Dieses Wort Bonhoeffers, zu Beginn dieses Hinweises schon erwähnt, kann als Mittelpunkt des theologischen und religiösen und auch persönlich – spirituellen Denkens und Lebens Bonhoeffers gelten. Und zwar mit gutem Grund: Auch dem Propheten Jesus von Nazareth und seiner Botschaft ging es um nichts anderes.

So wird deutlich: Es gibt eine Unfähigkeit der Kirchen, damals wie heute, in ihrer Praxis wie in ihren “großartig” ausgebauten Theologien, tatsächlich diesem einen Mittelpunkt zu entsprechen. Die Erstarrung der Kirchen, ihre so geringe Kreativität, ihr fehlender politischer Mut zugunsten der Gerechtigkeit und der Gleichheit aller Menschen einzutreten  – ist auch in der Ignoranz – oder der Angst – begründet, diesem Mittelpunkt zu entsprechen. Kirchen, die diesem von Bonhoeffer genannten Mittelpunkt entsprechen, bleiben nicht so, wie sie zuvor und “immer schon” waren. Sie werden selbst zu Orten der Gerechtigkeit und des Reiches Gottes. Und sie hören auf, Behörden und Bürokratien und Klerus – Männer – Vereine (wie die katholische Kirche) zu sein.

17.

Der evangelische Theologe und Publizist, Autor des vielbeachteten Buches “Die Sache mit Gott” (1966!), Heinz Zahrnt,  bewertet die geringe Wirkung von Bonhoeffers Vorschlägen zur Erneuerung der Theologie, der kirchlichen Sprache, dem religionslosen Christentum im Jahr 1966: “Bonhoeffer hat die Erneuerung der christlichen Verkündigung nicht erlebt. Und wir haben sie bis auf den heutigen Tag nicht erlebt. Die Kirche hat ihre Gestalt noch nicht verändert und erneuert. Zu einem großen Teil kämpft sie nach wie vor um ihre Selbsterhaltung, als wäre sie ein Selbstzweck. Es ist nach dem Kriege genau das eingetreten, wovor Bonhoeffer die Kirche gewarnt hatte: Durch eine vorzeitige neue organsatorische Machtentfaltung hat sie ihre Umkehr und Läuterung verzögert. “(Zit. nach der DTV Ausgabe, 1972, S. 182).

Fußnoten:
1: Seite 144, in: Dietrich Bonhoeffer „Widerstand und Ergebung“, 23. Auflage 2019, Gütersloher Verlagshaus
2. „Widerstand…“ S. 201 vom 3.8.1944.
3.“Die Seele bildet in der Einsamkeit Organe, die wir im Alltag kaum kennen” ist ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, das in seinem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer vom 19. Dezember 1944 aus dem Gefängnis in Berlin-Prinz-Albrecht-Straße stammt.
4. Brief an Gandhi: https://www.dietrich-bonhoeffer.net/bonhoeffer-aktuell/bonhoeffer-einzelmeldung/news/bisher-unbekannter-brief-entdeckt/
Einige Zitate: „Die westliche Christenheit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden…“
“Wenn es irgendwo ein sichtbares Beispiel für das Erreichen solcher Ziele gibt, sehe ich es in Ihrer Bewegung. Ich weiß selbstverständlich, dass Sie kein getaufter Christ sind; doch die Menschen, deren Glauben Jesus pries, gehörten zumeist auch nicht zu der offiziellen Kirche ihrer Zeit.“ Der vollständige Text des Briefes: siehe unten.
5. „Widerstand … S. 157f.
6 .„Widerstand… S. 211.
7. „Widerstand… S. 140 f.
8. „Widerstand… S. 126.
9. „Widerstand.. S. 142
10. „Widerstand. S. 200..
11. „Widerstand, S. 201.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

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Siehe auch unseren Beitrag zu einigen Erkenntnissen in “Widerstand und Ergebung”, veröffentlicht 2019. LINK

Der Brief Bonhoeffers an Mahatma Gandhi: Deutsche Übersetzung des Briefes von Dr. Wolfgang Huber
Quelle: https://www.dietrich-bonhoeffer.net/bonhoeffer-aktuell/bonhoeffer-einzelmeldung/news/bisher-unbekannter-brief-entdeckt/

Pastor Lic. Dietrich Bonhoeffer
23, Manor Mount. S.E 23.London. 17. Oktober 1934
Verehrter Mahatmaji!
Es geschieht auf Grund der außerordentlich bestürzenden Situation in den europäischen Ländern und in meinem eigenen Land, Deutschland, dass ich es wage, mich persönlich an Sie zu wenden; und ich hoffe, Sie werden mir das verzeihen. Ich habe lange Zeit gewartet, aber nun haben die Dinge sich so zugespitzt, dass ich es nicht für gerechtfertigt halte, länger zu warten. Wie ich weiß, haben Sie ein offenes Ohr für jede Notlage, wo auch immer sie auftritt; deshalb vertraue ich darauf, dass Sie es nicht ablehnen, mir Hilfe und Rat zuteil werden zu lassen, obwohl Sie mich nicht kennen, und mir meine Fragen nachsehen.
Die große Not in Europa und besonders in Deutschland besteht nicht in der wirtschaftlichen und politischen Unordnung, sondern es geht um eine tiefe geistliche Not. Europa und Deutschland leiden unter einem gefährlichen Fieber und sind dabei, sowohl die Selbstkontrolle als auch das Bewusstsein für das zu verlieren, was sie tun. Die heilende Kraft für alle menschliche Bedrängnis und Not, nämlich die Botschaft Christi, enttäuscht immer mehr nachdenkliche Menschen auf Grund ihrer gegenwärtigen Organisationsform. Gewiss gibt es hier und dort einzelne Christenmenschen, die das ihnen Mögliche tun, um die organisierte Christenheit zu einer grundlegenden Erneuerung zu bewegen; aber die meisten organisierten Körperschaften der christlichen Kirchen wollen die tatsächliche Herausforderung nicht wahrnehmen. Als christlicher Pfarrer finde ich diese Erfahrung enttäuschend und niederdrückend. Ich habe keinen Zweifel daran, dass nur wahres Christentum unseren westlichen Völkern zu einem neuen und geistlich gesunden Leben verhelfen kann. Aber die Christenheit muss sehr anders werden, als sie sich gegenwärtig darstellt.

Es hat keinen Sinn, die Zukunft vorauszusagen, die in Gottes Hand liegt; aber wenn uns nicht alle Zeichen täuschen, läuft alles auf einen Krieg in naher Zukunft hinaus; und der nächste Krieg wird gewiss den geistlichen Tod Europas zur Folge haben. Deshalb brauchen wir in unseren Ländern eine wirklich geistlich geprägte und lebendige christliche Friedensbewegung. Die westliche Christenheit muss aus der Bergpredigt neu geboren werden; das ist der entscheidende Grund dafür, dass ich Ihnen schreibe. Aus all dem, was ich von Ihnen und Ihrer Arbeit weiß, nachdem ich Ihre Bücher und Ihre Bewegung über einige Jahre studiert habe, schließe ich, dass wir westlichen
Christinnen und Christen von Ihnen lernen sollten, was mit dem Wirklichwerden des Glaubens gemeint ist und was ein Leben erreichen kann, das dem politischen Frieden und dem Frieden zwischen ethnischen Gruppen gewidmet ist. Wenn es irgendwo ein sichtbares Beispiel für das Erreichen solcher Ziele gibt, sehe ich es in Ihrer Bewegung. Ich weiß selbstverständlich, dass Sie kein getaufter Christ sind; doch die Menschen, deren Glauben Jesus pries, gehörten zumeist auch nicht zu der offiziellen Kirche ihrer Zeit. Wir haben große Theologen in Deutschland – der größte von ihnen ist nach meiner Überzeugung Karl Barth, dessen Schüler und Freund ich glücklicherweise bin –, die uns von neuem die großen theologischen Gedanken der Reformation lehren; aber keiner zeigt uns den Weg zu einem neuen christlichen Leben in kompromissloser Übereinstimmung mit der Bergpredigt. In dieser Hinsicht suche ich bei Ihnen Hilfe.
Die große Bewunderung, die ich für Ihr Land, seine Philosophie und seine Führer, für Ihr persönliches Wirken unter den Ärmsten Ihrer Mitmenschen, für Ihre erzieherischen Ideale, für Ihr Eintreten für Frieden und Gewaltlosigkeit, für die Wahrheit und ihre Kraft empfinde, hat mich dazu gebracht, dass ich unbedingt im nächsten Winter nach Indien kommen möchte – und zwar zusammen mit einem Freund, der durch die gleichen Gedanken und Fragen bewegt ist. Er ist Physiker und Ingenieur. In ganz Europa bin ich gereist und habe ich gelebt. Ich fuhr in die USA, um zu finden, wonach ich suchte; doch ich fand es nicht. Ich möchte mir nicht selbst vorwerfen müssen, dass ich eine große Gelegenheit in meinem Leben versäumt habe, um die Bedeutung christlichen Lebens, eines wirklichen Gemeinschaftslebens, von Wahrheit und Liebe in der Wirklichkeit zu verstehen. Die Frage, die ich Ihnen vorlegen möchte, ist, ob ich die Erlaubnis erhalte, mit Ihnen einige Zeit in Ihrem Ashram zu verbringen, um Ihre Bewegung zu studieren. Ich habe kein Vertrauen in kurze Interviews, sondern bin davon überzeugt, dass man miteinander leben sollte, wenn man einander kennenlernen möchte. Ich habe jetzt genug Geld gespart, um meine Reise zu bezahlen, müsste aber in Indien sehr billig leben. Halten Sie das für möglich? Ließe sich beispielsweise eine zu Ihrer Bewegung gehörende Familie finden, bei der ich wohnen könnte, und wäre eine Art von Hauslehrertätigkeit für deren Kinder eine mögliche Gegenleistung? Natürlich ist diese Frage von geringerer Bedeutung als mein großer Wunsch, Ihre Bewegung kennenzulernen – ein Vorhaben, für das ich jedes mögliche Opfer zu bringen bereit wäre.
Ich bin 28 Jahre alt, Deutscher, Dozent der Theologie an der Berliner Universität, gegenwärtig Pfarrer von zwei deutschen Gemeinden in London. Zugleich bin ich internationaler Jugendsekretär des Weltbunds für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen; in der ökumenischen Bewegung arbeite ich seit einigen Jahren, woraus viele gute Freundschaften erwachsen sind. Ich habe einige Bücher geschrieben – über die Lehre von der Kirche, über Schöpfung und Fall – und erlaube mir, Ihnen mit getrennter Post einen sehr kurzen englischsprachigen theologischen Artikel zu schicken, den ich vor drei Jahren in den USA geschrieben habe.
Nun möchte ich Sie nicht länger für meine Angelegenheiten in Anspruch nehmen. Eine Antwort von Ihnen erwarte ich mit großer Spannung. Ich füge einen Brief von Mr. C. F. Andrews bei. Auch den Bischof von Chichester, Dr. Bell, habe ich gebeten, Ihnen ein paar Worte über mich zu schreiben.
Nochmals bitte ich Sie um Entschuldigung dafür, dass ich mich persönlich an Sie gewandt habe. Ich verbleibe, verehrter Mahatmaji, sehr ehrerbietig.
Ihr mit Ihnen verbundener
Dietrich Bonhoeffer

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Abelard oder die (Ohn-) Macht der Vernunft … im Mittelalter

Über die aktuelle Bedeutung des Philosophen und Theologen Petrus Abelard
Ein Hinweis von Christian Modehn

Ein Vorwort: Warum an Abelard erinnern? Weil er als Theologe schon im Mittelalter allen Wert darauf legte: Die Vernunft des Menschen ist entscheidend im Studium der Dogmen und Kirchenlehren:  „Der Mensch kann nur glauben, was er zuvor verstanden hat. Und es ist lächerlich andere zu lehren, was sie nicht verstehen können“ (Zitat von Abelard, siehe Fußnote 1.)

1.
Für das „Mittelalter“ haben Etiketten und Klischees („dunkel“, „unterentwickelt“, „abergläubisch“…) keine vorrangige Geltung. Die Jahrhunderte zwischen Altertum und Renaissance, „Mittelalter“ genannt, sind von lebendiger Vielfalt, das „Licht“ (die Vernunft) setzt sich langsam durch, gegen die Finsternisse des (Aber)-Glaubens…
Das gilt besonders für die Philosophien. Der Plural Philosophien muss betont werden: Thomas von Aquino war keineswegs der einzige maßgebliche oder einflußreiche Denker, das behaupten manchmalTheologen, zumal katholische. Streit, Debatte, und damit Ketzereien waren selbstverständlich.

2.
Wir wollen an Petrus Abelard erinnern, den Philosophen und Theologen, der traditionelle Lehren nicht gehorsam wiederholte, der den Zweifel pflegte und Kritik lobte; und vor allem: Der eine neue Interpretation des Christentums vorlegte: Ein Beispiel: Die Vorstellung von einem himmlischen Vater – Gott, der seinen Sohn (Christus) dem Kreuzestod zur „Erlösung der Menschheit“ überlässt, lehnte Abelard ab.

3.
Mit dem französischen Philosophen Petrus Abelard (geboren im Jahr 1079 in Le Pallet, in der Nähe von Nantes, gestorben am 21. April 1142 bei Chalon-sur-Saone) machte die „Weltgeschichte einen Ruck!“ Er war “einer erfolgreichsten Neuerer in der Geschichte der Philosophie“ und auch der Theologie: Diese Bewertung ist für einen der großen Kenner mittelalterlicher Philosophien, Prof. Kurt Flasch, nicht zu hoch gegriffen. So schreibt er in seinem Buch „Kampfplätze der Philosophie“ (Frankfurt M., 2008, S. 139 bzw. 131): „Durch Zweifeln kam Abälard zum Forschen, durch Forschen zur Wahrheit“, (S. 129), „er dachte die Wahrheit als etwas, das noch zu finden ist“ (ebd.). Probleme mit der Kirche, die auch damals glaubte“, „die Wahrheit zu besitzen“, waren für ihn damit „vorgrammiert.”

4.
Literarisch Interessierte kennen Abelard von den Korrespondenzen mit Héloise, seiner Gebliebten. Heute haben Forscher ihre Zweifel, dass Abelard Autor dieser Liebesbriefe ist. Es empfiehlt sich, schreibt Kurt Flasch, vorerst „Abelards philosophisches Werk ohne Zuhilfenahme des Briefwechsels mit Héloise zu interpretieren“. So schreibt Flasch in seiner umfangreicher Studie „Das philosophische Denken im Mittelalter“ (Reclam, 4. Auflage, 2020, S. 241). Über die tragische Liebesbeziehung Abelard – Héloise gibt es bekanntlich viele literarische, durch Phantasie angereicherte Zeugnisse, auch von Rousseau.
Tatsache ist, ohne hier eine umfangreiche Biographie zu präsentieren: Der Onkel der Héloise, der angesehene Priester Fulbert, duldete die Liebesbeziehung nicht: Héloise zog sich dann in ein Kloster zurück. Nach allerhand Querelen ließ Fulbert den Abelard überfallen und entmannen: Und der Ärmste zog sich dann als Mönch ins Kloster St. Denis zurück, das er bald aber wieder verließ: Er hatte ein sehr bewegtes, unruhiges Leben zwischen der Universität Paris und Klöstern als den Zufluchtsorten vor seinen vielen theologisch – konservativen Gegnern, wenn nicht Feinden. Dennoch ist die Fülle seiner Werke voller neuer Ideen erstaunlich. Da spricht ein Denker, der mit der philosophischen Vernunft auch die theologischen Lehren untersucht, interpretiert und neu formuliert. Die Übergänge zwischen Philosophien und Theologien waren im Mittelalter eher selbstverständlich.
Das – lateinisch verfasste – umfangreiche Werk des Philosophen und Theologe Abelard ist erhalten.
Er war ein radikaler Erneuerer…, deswegen wurde er von einflußreichen konservativen Autoritäten kritisiert und verleumdet, wie Bernhard von Clairvaux oder Wilhelm von Thierry. In einem „Konzil“ von Sens (in Burgund) wurde ihm im Jahr 1140 noch der Prozess gemacht, er galt dann als Häretiker, meinte der Papst. Abelard wollte in Rom widersprechen, starb aber auf der Reise dort hin.

5.
Dabei waren viele Lehren Abaelards, die im Konzil von Sens (1140) verurteilt wurden,  in heutiger kritischer theologischer Sicht durchaus treffend und inspirierend.

– „Der Heilige Geist ist die Seele der Welt.“ Das heißt: Dies ist eine  „Definition“ des “heiligen Geistes” in der Welt  durchaus modern und hilfreich.

– „Der freie Wille aus eigener Kraft reicht aus, um etwas Gutes zu bewirken.“ Das heißt: Die Aussage bezieht sich auf die „Schöpfung“ des Menschen durch Gott. Und Gott hat dem Menschen einen freien Willen gegeben und die Vernunft, deswegen kann der Mensch sich frei entschieden, Gutes zu tun und gut zu sein.

– „Christus hatte nicht den Geist der Gottesfurcht.“ Das heißt: Christus war als „Menschensohn“ auch Gott gegenüber frei und erkannte: Gott ist Liebe, er ist kein Tyrann, der willkürlich immer noch ins Weltgeschehen eingreift …

„Die Macht der Priester, zu binden und zu lösen, wurde nur den Aposteln gegeben und nicht ihren Nachfolgern.“ Das heißt: Der Klerus, Papst, Bischöfe usw. maßen sich an, so Abelard, von Gott dazu bestimmt zu sein, über das Wohl und Wehe und Heil der Menschen zu entscheiden.

– „Äußere Handlungen machen den Menschen weder besser noch schlechter“. Das heißt: Abelard legt allen Nachdruck darauf: Der ethische Wert einer Handlung eines Menschen wird nicht im äußeren Tun sichtbar. Der ethische Wert des Menschen ist die innere, seelische Qualität, das Reflexionsvermögen, der gute Wille. (Quelle: https://www.pierre-abelard.com/)

6.
Ein modern Philosoph und modern zu nennender  Theologe war Abelard aber sicher noch nicht, selbst wenn er den Wert der Erkenntnis des einzelnen Menschen auch in der Ethik anerkannte. „Abelard löste den Schein auf, als sei ethisches Handeln nur Konformität mit objektiven Regeln… Er hob hervor, dass die innere Zustimmung allemal in unserer Macht steht“, schreibt Kurt Flasch in „Das Philosophische Denken im Mittelalter“ , S. 251.

7.
In seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie lehrte er, für mittelalterliche Verhältnisse eher unüblich, dass Gott einzig Liebe sei: „Der Gott Abelards sah sein eigenes Interesse darin, von dem Menschen frei geliebt und von ihnen als seinen Freunden, nicht seinen Knechten, verstanden zu werden“ (S. 252). Aber, hier wie in anderen theologischen Themen, hat sich Abelard nicht durchgesetzt, betont Kurt Flasch. „Weder Thomas von Aquino noch Luther folgten ihm…Sie kontaminierten seine Ideen mit den Vorstellungen, die er hatte überwinden wollen.“ ((S 253).

8.
Trotz dieser Probleme und der eher geringen Rezeption seiner Vorschläge: Abälard hat im Mittelalter als ein verfolgter Außenseiter, hoch gebildet und unter Studenten sehr geschätzt, „eine neue Variante des christlichen Denkens geschaffen“, sagt Kurt Flasch. Abelard setzte sich für den Dialog mit Juden und Arabern ein. „Es war Abelards Überzeugung, dass die göttliche Weisheit, die zweite Person der Trinität, auch die nichtchristlichen Denker inspiriert habe. Auf dieser Grundlage begann Abelard die Tradition friedvoller (irenischer) Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie …so gelang es bald, ein neues Konzept für das Verhältnis zu Islam und Judentum zu entwickeln“, schreibt Flasch (S. 253) , ein Konzept, das man als „natürliche“, mit dem Menschen als Menschen schon mitgegebene Religion bezeichnen könnte.
Und Kurt Flasch kann zurecht nicht darauf verzichten zu betonen, wie sehr Luther in seiner Theologie (auch des Antisemitismus) „weit unter dem Niveau Abaelards, Bulls und Nikolaus von Kues stand. Luther verlöre sofort, wenn man ihn mit mittelalterlichen Autoren auch nur mittleren Ranges vergliche (S. 681 in Reclam Buch)

9.
Über die Wirkungsgeschichte dieses ungewöhnlichen mittelalterlichen Denkers wäre zu sprechen: Manche Verbindungen zum Denken Hegels könnten sich andeuten: Für Hegel war seine eigene Philosophie mit der Theologie eng verflochten: Seine Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie habe als Philosophie die gleichen Inhalte wie die Theologie, betonte er, nur: Seine Philosophie sage eben den Glauben in Begriffen aus, sie hebe dadurch den anschaulichen Glauben ins begriffliche Denken auf…In seiner „Geschichte der Philosophie“ geht Hegel nur kurz auf Abelard ein. Mittelalterliche Philosophien waren nicht der Schwerpunkt Hegels.

10.
Papst Benedikt XVI. erwähnte in seiner „Generalaudienz“ vom 4. November 2009 Abelard im Zusammenhang bzw. im Vergleich mit dem viel konservativeren Mönch Bernhard von Clairvaux. Über Abelard sagte Benedikt XVI.: „Er bestand darauf, die Absicht des Subjekts als einzige Quelle für die Beschreibung der Freundlichkeit oder Bosheit moralischer Handlungen zu betrachten und so die objektive moralische Bedeutung und den Wert von Handlungen zu vernachlässigen: gefährlichen Subjektivismus. Dies – wie wir wissen – ist ein sehr aktueller Aspekt für unsere Zeit, in der Kultur oft von einem wachsenden Trend zum ethischen Relativismus geprägt zu sein scheint: Nur das Selbst entscheidet, was im Moment gut für mich wäre.“ (Quelle: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/audiences/2009/documents/hf_ben-xvi_aud_20091104.html)

11.
Es tut gut, an so genannten „eckigen Gedenktagen“ innezuhalten und sich auch bislang eher unbekannten Philosophen und Theologen zuzuwenden. Dabei wird deutlich, wie sehr unsere „übliche Bildung“ allzu sehr fixiert ist auf groß gemachte Größen, also auf Sieger und deren „runde Gedenktage“, diese groß gemachten, dogmatisch oder politisch korrekten Größen sind solche, die sich durchgesetzt haben, weil die Herrschaft, auch die Kirchenherrschaft, mit diesen bequem für die eigenen Ziele der Herrschaft umgehen konnte. Mit Abelards Erfolg hätte die Macht des Klerus auf Dauer keinen Bestand gehabt, die freie, auch theologische Forschung und Wissenschaft hätte sich früher durchgesetzt, die dumme, von Zweifeln völlig unberührte Machtgier der Päpste, etwa eines Bonifaz VIII., hätte keine Chancen gehabt. Mit einer gewissen geschichtsphilosophischen Melancholie endet also dieser „eckige Gedenktag“ an Petrus Abelard.

12.
Und heute? In Abelards Geburtsort Le Pallet bei Nantes wurde 1978 ein „Kulturverein Abélard“ gegründet, der auf seiner website zahlreiche Essays und Hinweise zu dem bedeutenden, aber in Frankreich sehr viel mehr als in Deutschland bekannten Philosophen und Theologen bietet. Allein der unterschiedloiche Umfang der wikipedia Beiträge zu Abelard auf Französisch und auf Deutsch ist erstaunlich. In Frankreich sind Straßen und Schulen nach Abelard benannt. Der “Kulturverein” in Le Pallet empfiehlt u.a. auf seiner website auch einen  Spaziergang durch Paris auf den Spuren Abelards…

Fußnote 1:
Zit. In „Histoire de la France religieuse“, Tome 1, dirigé par Jacques le Goff. Edition du Seuil, Paris, 1988, s. 342-343. Den Beitrag verfasst André Vauchez.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Die PapstWAHL: Es gibt doch ein wenig Demokratie in der katholischen Kirche

Hinweise zu einer bevorstehenden Papstwahl
Von Christian Modehn am 23.3.2025

Das Motto: “Wenn schon bei der Papstwahl (WAHL!) minimale demokratische Grundsätze üblich sind, dann kann es ja eigentlich in der Kirche insgesamt nur besser werden…das heißt: Dann könnte doch “eigentlich” die ganze Kirche demokratisch organisiert werden, den universell geltenden Menschenrechten verpflichtet.” Absolute Utopien zu äußern, ist in der katholischen Kirche noch ein letzter Rest von positiver Verzweiflung…

1.
Bald wird wohl eine Papst-WAHL stattfinden. Und man glaubt es kaum: Es ist tatsächlich eine WAHL.
Also gibt es doch ein ganz klein wenig Demokratie in der katholischen Kirche?

2.
Dass die römisch -katholische Kirche keine Demokratie ist und wohl niemals eine Demokratie sein wird, haben Päpste immer gelehrt. Zuletzt noch Papst Franziskus, als er ins einem Buch „Leben“ (S. 64) erklärte:„Die Kirche ist, wie ich häufig genug sagte, kein Parlament“! Welche Regierungsformen haben kein Parlament? Alle autoritär regierten Regime…
Die Herren der Kirche sind also felsenfest überzeugt: Christus als Stifter der Kirche will als Regierungsform die absolutistische Monarchie des Papstes.

3.
Dazu gibt es zahllose hilflose, aber kritische Erläuterungen: In der katholischen Wochenzeitung “Kirche und Leben“ (Münster) schreibt der katholische Pfarrer Stefan Jürgens sehr richtig und treffend: „Die katholische Kirche ist eine absolutistische Monarchie. Sie wird regiert von Papst und Bischöfen, deren Autorität aufgrund der Weihe als unumstößlich gilt. Dadurch können sie so viel Schaden anrichten, wie sie wollen: Sie bleiben im Amt… Nichtgeweihte Katholiken bleiben abhängige Untertanen.“ Quelle: LINK

4.
Ein ganz klein wenig Demokratie gibt es aber doch noch in dieser Kirche: Wenn ein neuer Papst gewählt werden soll, also in der Konklave, gibt es wirklich etwas Demokratie, weil das elementare Wählen – Dürfen zur Demokratie gehört. Wenn heute, am 23. 3.2025, ein Papst gewählt werden müsste: Dann würden sich 138 Kardinäle „unter 80 Jahren“ an der Wahl beteiligen dürfen. Noch ältere Herrschaften scheiden als Kandidaten aus.

5.
Aber: Die Wahlmänner, die Kardinäle, sind nicht vom Kirchenvolk gewählt worden. Sie wurden in einsamen und durchaus willkürlichen Entscheidungen einzig des Papstes in dieses Wählerkollegium berufen. Einzig nicht demokratisch bestimmte alte Herren, meist auch gar nicht wirkliche Repräsentanten der Glaubenden in ihren Bistümern, wählen also… Dies ist nicht gerade ein starkes Symbol für Demokratie…

6.
Aber, wie gesagt, der Papst wird in der Sixtinische Kapelle des Vatikans von Kardinälen gewählt: Ein bißchen demokratisch mutet die – selbstverständlich vom Papst allein bestimmte – Regelung der Wahl an: Wenn sich nach 34 Wahlgängen (sic) die offenbar zerstrittenen Kardinäle auf keinen Papst – Kandidaten einigen konnten: Dann soll eine Stichwahl stattfinden zwischen den zwei an absolut vorderster Stelle Platzierten. Als zum Papst gewählt gilt, wer eine qualifizierte Mehrheit erreicht hat. Sollte es gar nicht erst bis zu den nun wirklich unwahrscheinlichen 34 erfolglosen Wahlen kommen, dann gilt: Gewählt ist der Kardinal zum Papst, der eine Zweidrittelmehrheit (!) auf sich vereinigen kann.

6.
Noch einmal: Der Papst wird also nicht von seinem Vorgänger ernannt; es sucht kein Gremium, wie bei der Nachfolge des Dalai Lama, Hände ringend in den Dörfern und Städten nach einem geeigneten (jungen?) Kandidaten. So viel Esoterik mag selbst der Vatikan nicht.

7.
Auch das ist doch demokratisch in dem Konklave: Es gibt ganz offen und offiziell zugegeben Parteibildungen unter den Kardinälen: Die einen sind theologisch konservativ bzw. reaktionär, die anderen nicht ganz so konservativ. Und die kämpfen gegeneinander, auch schon, solange ein Papst lebt.

8.
Es gibt sogar so etwas wie Wahlpropaganda: Vor den eigentlichen Wahl – Sitzungen werden von einigen Kardinälen kurze Statements gehalten, in denen die besonders auffälligen Papstkandidaten Vorstellungen ihres „Programms“ skizzieren. Kardinal Bergoglio soll einen ziemlich radikalen Kurz – Vortrag in diesem Vor – Konklare gehalten haben: „Die Kirche solle aus sich selbst herausgehen und sich öffnen“, war die Hauptaussage (Fußnote 1).

9.
Gar nicht demokratisch hingegen ist die absolute „höchste Geheimhaltungsstufe“ während des ganzen Konklave: Nur Kardinäle sind anwesend, der ganze Wahl- Saal ist abgeschotte, kein Journalist ist als Beobachter dabei. Demokratische Transparenz ist ausgeschlossen. „Die Fenster werden geschlossen, alle Funknetze abgeschaltet“, beschreibt Papst Franziskus die eigene Wahl zum Papst in seinem Buch „Hoffe“, Seite 241. LINK

10.
Die äußerst bescheidenen demokratischen Elemente der Papstwahl werden allerdings von einer theologischen Frage gestört: Denn nach katholisch – theologischer Überzeugung, ist es der heilige Geist, die dritte Person der göttlichen Trinität, die die Wahl des neuen Papstes letztlich leitet und bestimmt. Im üblichen Prozedere der Papstwahl handelt also indirekt Gott selbst durch die Kardinäle: Die aber dann üblicherweise mit Zweidrittelmehrheit einen der ihren zum Papst wählen. Also ein bißchen mag Gott wohl auch demokratische Mehrheitsentscheidungen! Diese göttliche Vorliebe für etwas Demokratie gilt allerdings nur bei der Papstwahl. Wenn Laien etwa in Mehrheitsentscheidungen einen Priester zum Bischof wählen wollen…. Nein, das geht ja nun gar nicht… Das will Gott nicht! Niemals! Sagen die auf Gottes Seite sich glaubenden Kleriker.

11.
Das Problem ist nur: Wie gottverlassen sind dann eigentlich die Kardinäle der Mindeheit, die diesen Kardinal gerade nicht zum Papst wählten? Und wenn wirklich einmal 34 Wahlgänge notwendig sind, um den Pontifex maximus zu wählen: Hat dann der heilige Geist förmlich gestreikt? War Gott zu schwach? Waren die Herren Kardinäle zeitweise gottverlassen?

12.
Der heilige Geist wird in der Bibel oft als ein Wehen oder ein Windhauch, sogar als Sturm zu Pfingsten, beschrieben. Auch dafür gibt es in dieser Kirche jetzt noch materiell – sichtbare, geradezu wunderbare Restbestände. Denn die Wahlergebnisse der in der Sixtinischen Kapelle wählenden Kardinäle werden mitgeteilt durch das Wehen von Rauch aus einem häßlichen Schornstein: Grauer Wind (also sozusagen ein bißchen grauer heiliger Geist) signalisiert die fehlgeschlagene Wahl. Erst der weiße leichte, reine, man möchte sagen göttliche Wind als Rauch sagt: „Wir haben einen Papst,“

13.
Alle, die sich in diese autoritäre, nicht – demokratische Kirche eingebunden fühlen oder bloß katholische Folklore lieben, jubeln bei diesem Spektakel. „Wir“ haben wieder einen ein bißchen demokratisch gewählten, aber dann letztlich und immer nicht – demokratisch agierenden Stellvertreter Christi auf Erden…

14.
Man stelle sich vor:
Die katholische Kirche als Organisation mit eins Komma vier MILLIARDEN Mitgliedern in allen Ländern dieser Erde würde sich offiziell als demokratisch strukturiert und regiert zeigen, inklusive der offiziellen Anerkennung und Realisierung der universell gelten allgemeinen Menschenrechte (Uno, 1948): Was wäre dies für ein Zeichen in dieser jetzt verrückt gewordenen en Welt, in der immer mehr Staaten und Menschen ins reaktionär Antidemokratische und Faschistische abrutschen?

15.
Weiß der Papst und seine klerikale Clique eigentlich, welches Unheil – auch als Trostlosigkeit – er anrichtet, wenn er die universell geltenden Menschenrechte, auch und vor allem für Frauen, in seiner eigenen Männer- Organisation, katholische Kirche genannt, ignoriert? Welch eine Schande für die heutige Menschheit.

Fußnote 1:
Das Buch von Papst Franziskus, „Leben“. 2024, Seite 213 f.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

Ein philosophisch – christliches Glaubensbekenntnis für heute und morgen.

Vom Apostel Paulus inspiriert … und darüber hinaus.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.3.2025

1. Eine Vorbemerkung:

Bekenntnisse des christlichen Glaubens können heute auch kurze Essays, Aphorismen oder philosophische Poesie sein.

Dies gilt angesichts der immer noch üblichen Geltung der nahezu unverständlichen Bekenntnisse aus dem 4. und 5. Jahrhundert.

Im Neuen Testament, in der „Apostelgeschichte“, wird eine merkwürdige Geschichte erzählt (Kapitel 17, Vers 16 – 34):
Der Apostel Paulus hält sich in Athen auf, einem Zentrum verschiedener philosophischer Schulen, der Stoiker, Epikureer und Neuplatoniker. Und mit diesen Philosophen sucht Paulus das Gespräch, so die Erzählung.

Wir haben das philosophisch geprägte Bekenntnis des Apostels Paulus dort, auf dem Areopag in Athen, neu formuliert. Und dabei entsteht eine Art philosophisch begründendes, sehr kurzes Glaubens – Bekenntnis mit einem universellen Interesse. Dieses Bekenntnis führt noch weiter: Zu einem leidenschaftlichen Ja zu den universell geltenden Menschenrechten. Sie werden Teil des heutigen christlichen „Glaubensbekenntnisses“.

2.
Zunächst das philosophisch orientierte christliche Bekenntnis, inspiriert vom Paulus-Text in der Apostelgeschichte Kapitel 17, Vers 16 – 34:

„Gott hat die Welt erschaffen und alles in ihr. Der Herr über Himmel und Erde wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
Gott gibt allen das Leben. Keinem Menschen ist Gott fern.
In ihm leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir. Wir Menschen sind von seiner Art.“
Bis dahin folgen wir dicht den Aussagen des Apostels Paulus, jetzt folgt unsere Interpretation der Aussagen des Paulus zu Jesus Christus:

“Der Mensch Jesus von Nazareth lebte ganz mit Gott verbunden.
Nach seinem Tod erkannten seine Freunde: Er hat den Tod überwunden, so wie alle Menschen den Tod überwinden: Denn alle Menschen sind mit dem Ewigen verbunden: Denn in ihm (Gott) leben wir. In ihm bewegen wir uns und sind wir.“ (Zur Erschaffung der Welt, Fußnote 1 unten)

An dieses klassische Glaubensbekenntnis schließt sich eine Erweiterung des christlichen Glaubensbekenntnisses an:

„Der christliche Glaube ist nur wirklich, wenn er in der Praxis der Mitmenschlichkeit lebt. Entscheidende Orientierung dafür bietet die „Erklärung der universell geltenden Menschenrechte“ von 1948: Dabei können durchaus neu erkannte soziale, klimabezogene oder Gender – bezogene Menschenrechte hinzukommen.
Aber darauf kommt es an: Die Menschenrechte und die Pflichten der Menschen, diese Rechte praktisch zu respektieren, sind Teil des christlichen Glaubens, also des Glaubens an eine göttliche Wirklichkeit: Sie hat jeden Menschen mit einer absolut wertvollen, ewigen, göttlichen Qualität geschaffen. Das ist eine Erkenntnis seit Albertus Magnus, Meister Eckart, Hegel … Diese Erkenntnis würde aber im engen religiösen Bereich verbleiben, wenn nicht die politische Dimension der Menschenrechte für die Verbindung des Glaubens mit der Praxis der Menschen sorgen würde.“

(Siehe auch das Interview mit dem Berliner Theologen Prof.Wilhelm Gräb (+2023) über “Die Erklärung der Menschenrechte als Bekenntnisgrundlage einer universalen ReligionLINK

3.
Es ist bemerkenswert, dass der Autor der Apostelgeschichte im unmittelbaren Umfeld der Areopag – Erzählung den christlichen Glauben nicht etwa als Dogma, als Lehre, als Doktrin bezeichnet, sondern: Als „neuen Weg“. (Apg. 19,9, in der „Einheitsübersetzung“ der Bibel).
Der christliche Glaube als „WEG“ – eine sympathische „Definition“, die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist!

NEBENBEI:

4. Paulus lebte und lehrte zwei Jahre bei einem Philosophen in Ephesus

Der Apostel Paulus lebte zwei Jahre in Ephesus bei einem Philosophen: Tyrannus, sein für uns etwas ungewöhnlicher Name. Paulus konnte im Saal des Philosophen seine christliche Lehre verbreiten. Tolerant sind die Philosophen! Paulus war zuvor aus der Synagoge rausgeworfen worden. LINK:

NEBENBEI:

5. Kein direkter Bezug zu „Dionysius, dem Areopagiten“.

Am Ende der Erzählung „Paulus in Athen“ wird berichtet: Einige wenige ZuhörerInnen hätten sich nach dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus dem christlichen Glauben zugewandt, unter ihnen wird ein „Dionysius, der Areopagit“ (Vers 34) erwähnt.
Dieser Dionysius ist nicht identisch mit dem Philosophen aus dem 6. Jahrhundert, der sich – zur eigenen Aufwertung – „Dionysius Areopagita“ nannte: Es handelt sich um einen griechisch schreibenden Christen und philosophischen Autor von vier Texten, darunter „Über mystische Theologie“.
Was diesen Dioysius mit dem Bekenntnis und der Predigt des Apostels Paulus in Athen, auf dem Areopag, ein wenig verbindet: Die Betonung der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott durch die „Gottähnlichkeit der Vernunft“… Aber für diesen Dionysius ist Gott letztlich das Unnennbare, alle menschlichen sprachlichen Äußerungen über Gott sind für diesen Meister der „negativen Theologie“ unzutreffend. Da war ja Paulus bekanntlich ganz anderer Meinung.

Fußnote 1: Das Wort “Gott als Erschaffer der Welt” kann hier nicht weiter entwickelt werden, es hat nichts zu mit fundamentalistischer Bibelinterpretion. Das Wort “Gott als Schöpfer der Welt” ist gemeint als die Konsequenz des Denkens selbstbewusster Subjektivität: Diese versteht sich als eine kontingente Realität der Welt und weiß dabei, dass sie nicht über die eigene Existenz, die eigene Präsenz in dieser Welt, verfügt. Subjektivität, der Mensch, ist also auf den Gedanken eines gründenden Grundes angewiesen. Dieser Grund hat Subjektvität in die Welt freigesetzt. Man kann ihn Gott nennen, das Absolute, das/den Ewige(n), also das in allem und allen Anwesende…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Hannah Bethke und ihre Attacken auf die Evangelische Kirche in Deutschland

„Vom Glauben abgefallen“ – das neue Buch von Hannah Bethke. Eine Einstimmung zum Kirchentag in Hannover 30.4. 2025?
Ein Hinweis von Christian Modehn am 9.3.2025

1.
Hannah Bethke (geboren 1980) will die evangelische Kirche in Deutschland retten, das heißt den kleinen Rest der klassisch – innerlich Frommen. Vor allem aber unpolitisch soll diese wahre kleine „Kirche der Reinen“, d.h. von allem Linken unbefleckte, sein, so, wie es Bethkes konservativem Denken entspricht. Liberal und modern ist die Autorin in sexualethischen Fragen.
Dabei bekennt Hannah Bethke, Nicht – Theologin zu sein (Seite 12), sie ist aber überzeugt, als Journalistin und Kirchenmitglied die Evangelische Kirche heftigst attackieren zu können. Sie meint wohl, ihre verstörende Polemik könnte Reformen einleiten. Der Titel nennt sofort ihr „Dogma“: „Vom Glauben abgefallen. Eine Antwort auf die Krise der evangelischen Kirche“.

2.
Nach beruflichen Intermezzi bei den konservativen Zeitungen FAZ und NZZ, ist Dr. phil. Hannah Bethke jetzt „Politik-Redakteurin“ in den noch deutlicher konservativen Springer – Zeitungen „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“. Bethke ist auch oft Talk-show-Gast der ARD.

3.
Um die Rettung der wenigen frommen Seelen inmitten der – auch von ihr – viel zitierten „Säkularisierung“ geht es also. Dass „die Kirche“ für diesen Niedergang des Glaubens und der Kirche mitverantwortlich ist, steht für sie fest. Dabei meint sie mit „die Kirche“ stets ganz allgemein die Amtskirche, die Kirchenleitungen, die Pfarrer, vielleicht auch die (linken?) Gemeindekirchenräte, vielleicht auch die evangelischen Akademien und evangelischen Schulen? Alles ist möglich bei dieser undifferenzierten Rede von „die Kirche“. Vom Kirchentag ist im Buch keine Rede, dabei erscheint doch ihr Opus wenige Wochen vor dem Kirchentag in Hannover. Ein Zufall? Und dann wird ihr Buch in dem einst progressiven katholischen Kösel Verlag verlegt, wo doch Hannah Bethke die katholische Kirche nun öffentlich verachtet wegen „der Beharrungskräfte eines antimodernen katholischen Dogmatismus.“ (Seite 11). Ließe sich für dieses Opus ein evangelischer Verlag nicht finden?

4.
Bei ihrer heftigen Kritik an der Evangelischen Kirche (EKD) und der Hoffnung auf eine rettende kleine glaubende Minderheiten-Kirche spricht Hannah Bethke nicht von ihrer eigenen, unpolitischen Frömmigkeit. Sie sagt z.B. nichts zu ihren liebsten Bibelstellen oder ihrem privaten unpolitischen Gebet, sie verschweigt, welche der immer noch üblichen alten Choräle des 17. Jahrhundert sie vielleicht noch zu Tränen rühren. Das ganze Buch könnte ein polemischer „Schinken“ genannt werden, sagte mir ein Freund. Mit ihrem Buch will Frau Bethke ganz offensichtlich „die“ Kirchenführung verärgern.

5.
Man muss diese ungeheuerliche Polemik von Frau Bethke wirklich dokumentieren, denn so etwas haben meines Wissens selbst die reaktionären Pfarrer der Bewegung „Kein andres Evangelium“ einst nicht geschrieben, etwa in ihrem Hass auf Bischof Kurt Scharf oder den Theologen Prof. Helmut Gollwitzer oder den großen Theologen Rudolf Bullmann. Bethke schreibt: „Die“ evangelischen Kirche in Deutschland „ist am Ende“ (Seite 7), „sie macht so ziemlich alles falsch“, sie verbreitet „weichgespülte Alltagspredigten“. Die beliebte Fernsehsendung „Wort zum Sonntag“ nennt die Autorin „seichte Ansprachen“ (Seite 29). Ziemlich unverschämt erscheint mir die allgemeine Behauptung der Autorin: „Die Kirche erlebt einen Zersetzungsprozess, sie scheint weder willens nicht in der Lage, der opportunistischen Versuchung zu widerstehen, immer mehr von ihrer Identität aufzugeben, um im gesellschaftlichen Mainstream mitzuschwimmen.“ (S. 153-154)… “Die evangelischen Christen haben sich bis Unkenntnis dem atheistischen Zeitgeist angepasst.“ (S. 154). Beispiele der globalen Polemik gleich auf den ersten Seiten: „Die Kirche politisiert anstatt ihr christliches Profil zu schärfen“(Seite 7). Die Kirche „passe sich dem gesellschaftspolitischen Zeitgeist an, etwa im Klima-Aktivismus und der Zustimmung zur „linken Identitätspolitik“ (Seite 9). Sie behauptet gar, die Kirche befinde sich in einem Prozess freiwilliger Selbstauflösung“ (Seite 40).
Der ganze angebliche Niedergang wurde, dreimal darf man raten, von der großen protestantischen, weltweit geschätzten Theologin Dorothee Sölle angestoßen und befördert (Seite 56), das übliche Klischee der Konservativen also. Hannah Bethke wagt allen Ernstes zu schreiben: „Dorothee Sölle liefert im Grunde eine theologische Legitimation für die Abkehr von Gott“ (ebd.). So unverschämt kann nur jemand urteilen, der keinen Sinn für theologische Nuancen und Differenzierungen hat.

6.
Diese Verurteilung der gegenwärtigen Kirche hat ihren Mittelpunkt in der Zurückweisung des sozialen, angeblich immer linken Engagements evangelischer Christen etwa zur Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer oder dem präzisen Eintreten für den Klimaschutz. Frau Bethke behauptet: „Es braucht keinen kirchlichen Aufruf zum Klimaschutz, keine lautstarke Einmischung in politische Belange, sondern einen Ort des Glaubens.“ (Seite 187) Das ist die alte Ideologie der konservativen, sich unpolitisch nennenden Christen: Sie wollen nur die individuelle caritative Geste, etwa in kirchlichen Suppenküchen und Kleiderkammern. Dabei sagen die vielen Ehrenamtlichen, dass das, was sie da mit ihrer Kirche leisten, eigentlich auch Aufgabe des sogenannten Sozialstaates wäre, für die Menschenwürde aller, auch der Hungernden und Obdachlosen, wirksam zu sorgen. Aber Bethke fällt in ihrer Polemik nichts anderes ein:: „Die Kirche darf nicht zu einer austauschbaren Sozialeinrichtung verkommen (sic)“ (S. 190). Ein Schande dieses Wort „verkommen“, angesichts der vielen aktiven ehrenamtlichen evangelischen ChristInnen in diesen „verkommenen“ sozialen Einrichtungen der Kirche.

7.
Der informierte Leser ahnt, dass sich Friede Springer, die Chefin im Springer Imperium, über dieses Opus ihrer Politik – Redakteurin sehr freuen wird. Denn genau dieser „bloß“ fromme christliche Glauben in einer konservativen Kirche ist ihre geistliche Heimat: Friede Springer ist wie ihr Mann Axel Caesar Mitglied der theologisch sehr konservativen“ Selbständigen Lutherischen Kirche“ (SELK), zu dieser kleinen Glaubensgemeinschaft gehört auch die AFD Politikerin Erika Steinbach…(Siehe Fußnote 1).
Nebenbei: Vielleicht findet sich Frau Dr. Bethke auch bald in dieser so gläubigen, angeblich unpolitischen Kirche der Altlutheraner wieder? Bethke schwärmt ja von der Gemeinde als einem „Refugium des Glaubens“ (Seite 16), ein solches Refugium wäre doch diese kleine altlutherische Kirche. Aber noch bekennt Bethke sich zur „liberalen Haltung“ der Evangelischen Kirche (EKD), etwa was die „Segnung oder Trauung gleichgeschlechtlicher Paare“ (s. 39) angeht. Aber diese Liberalität gilt für sie selbstverständlich als nicht links, obwohl der erfolgreiche Kampf um Gleichberechtigung von Homosexuellen in ganz Europa ausschließlich von Linken und linken Parteien geführt wurde!

8.
Über die theologische Unkenntnis der Autorin wäre viel zu sprechen: Sie deutet etwa ihren christlichen Glauben an Jesus von Nazareth ziemlich philosophisch und damit eigentlich als besten Ausdruck einer klassischen modernen liberalen Theologie, die die Autorin ja eigentlich verdammt: Sie wagt also als konservative Protestantin dieses Bekenntnis zu Jesus Christus so zu formulieren: „Es gibt etwas, das höher ist als wir selbst.“ (Seite 11). Dies ist eine metaphysische Äußerung zum geistigen Wesen des Menschen, hat aber – konservativ betrachtet -nicht viel mit dem Glauben an den historischen Jesus Christus zu tun, etwa mit seiner Bergpredigt. Und schon gar nichts mit dem von der Autorin bevorzugten Theologen Karl Barth, der als Autor des Römerbriefes bei dieser Definition des Glaubens an Jesus Christus wohl laut getobt hätte. Schlimmer aber ist eine elementare Unkenntnis der so genannten Kirchenreformerin: Sie weiß offenbar nicht, dass Jesus von Nazareth die Nächstenliebe als das absolut und einzig Entscheidende in der Beziehung zu Gott sieht. Kurz gesagt: Der christliche Glaube ist nur dann die von Bethke viel beschworene „Werteorientierung“, wenn er als den obersten und absoluten Wert die Nächstenliebe anerkennt, die sich heute angesichts der Millionen Hungernden und Armen nur politisch leben lässt.

9.
Es ist natürlich nicht möglich, alle pauschalen Urteile der Autorin über „die“ Kirche konkret zu widerlegen, man wüßte ja gar nicht, wo man anfangen sollte. Insofern hat das Buch „Vom Glauben abgefallen“ keinen konkreten Erkenntnisgewinn. Dennoch stören manche Ahnungslosigkeiten, etwa wenn sie behauptet, „die Kirche hat ihre Geschichte kritisch aufgearbeitet“ (S. 46). Offenbar denkt sie an die Nazi -Zeit oder die Zeit der Staatskirche oder die Verquickung mit dem Kolonialismus? Um nur bei einem Beispiel zu bleiben: Sie kennt also nicht die jüngeren historischen Forschungen etwa zur Verbindung des einst führenden Berliner Bischofs Otto Dibelius mit den Nazis. Frau Bethke könnte ja auch kritisieren, dass die berühmte Kirche am Kurfürsten Damm in Berlin immer noch nach den Kolonialherren und Rassisten, den Kaisern Wilhelm I und II, benannt ist. Heute nennt diese Gemeinde schamhaft ihre Kirche nur noch neutralisiert „Gedächtniskirche“ oder total banal „KWG“. Zur Umbenennung fehlt der Mut der Kirchenleitung: Einfluß der konservativen “unpolitischen” Protestanten und Hohenzollern – Freunde? Wahrscheinlich. Sie verhindern einen würdigen Namen für dieses „Gotteshaus“… Dietrich Bonhoeffer – Kirche wäre ein treffender Name…Nichts als eine Utopie… angesichts der Angst und der Bürokratie der Kirchenleitung. Briefe in dem Zusammenhang an die Kirchenleitung bleiben selbstverständlich unbeantwortet. Da ist man hilflos der Kirchenbürokratie ausgesetzt.

10.
Wie sieht die konservative Haltung der Autorin in ihrer Wertehaltung eigentlich den Umgang der Gemeinden mit AFD Sympathisanten und AFD Mitgliedern? Im Interview auf Radio WDR 3 (am 26.2.2025, Reihe „Mosaik“) wird ihre Toleranz für die AFD deutlich. Bethke sagte in WDR3: “Kirche soll für alle offen sein. Auch für die Sympathisanten und Anhänger der AFD. Solange sich alle an die Regeln der Gemeinde halten, ist jeder willkommen“.
Das muss hervorgehoben werden: AFD-Christen brauchen sich also bloß an die Regeln der Gemeinde zu halten. Und die Gemeindeleitung darf sie nicht daran erinnern, dass sie mit einer – nachgewiesen – rechtsextremen Partei verbunden sind. Dabei müssten die Gemeinden vielmehr deutlich sagen: AFD Christen haben nicht nur irgendwelche frommen Regeln der Gemeinde zu beachten, wie es Frau Bethke vorschwebt, sondern auch das Grundgesetz oder die universell geltende Erklärung der Menschenrechte!
Der von Hannah Bethke so oft beschworene unpolitische Glaube ist also doch sehr politisch und tolerant für die Rechten und Rechtsextremen. Wie sagt die Autorin doch so „liberal“: „Es ist wichtig, dass die Kirche ihren Raum, ihr Wirken, frei hält von parteipolitischen Auseinandersetzungen“. (Seite 191). Mit AFD-Mitgliedern in den Gemeinden also bitte keine tiefergehenden Auseinandersetzungen…

11.
Das steht fest: Das Buch wurde offenbar nur geschrieben, um linke oder bloß angeblich linke Kreise in der evangelischen Kirche zu diffamieren. Die evangelische Kirche möge bitte konservativ sein und für AFD Leute Verständnis zeigen! Darum geht es, bloß nicht zu viel Hilfe für Flüchtlinge, bloß nicht zu viel Engagement für den Klimaschutz: Das hat doch alles nichts mit dem Evangelium Jesu Christi zu tun, behauptet die theologisch ungebildete Autorin.

12.
Theologisch betrachtet, ist das Buch, wie gesagt, uninteressant: Aber das muss in unserer Sicht betont werden: Es gibt tatsächlich eine Krise der Kirchen in Deutschland und in Europa: Aber die Krise der Kirche, etwa als Abkehr so vieler tausend Menschen von den Kirchen, ist begründet durch die immer noch starke Bindung dieser Kirchen an uralte Lehren, Dogmen und Traditionen. Darum wäre das Reformations-Thema jetzt: Der christliche Glaube ist einfach und menschlich: Er ist eine Lehre der Weisheit, eine Lehre und Praxis der Liebe, der politischen Präferenz für die Armen, des Eintretens für universale Gerechtigkeit und Geltung der Menschenrechte für alle Wesen, die Menschenantlitz haben.

13.
Spiritualität bleibt selbstverständlich wichtig: Beten, Bibel Gespräche, Mediationen usw. in Kirchengebäuden oder im privaten Raum sind immer Ausdruck des Glaubens. Eine moderne liberale Befreiungs – Theologie reduziert aber den unsäglichen Wust an uralten Dogmen, Lehren, Moral-Weisungen. Und: Sie sieht diesen elementaren humanen Glauben auch bei vielen, auch bei denen, die die Kirchen längst verlassen haben und sich „anderswo“ den wichtigen humanen Aufgaben der Gegenwart zuwenden.
Spiritualität ohne Engagement („ohne Werke“ wie es im Jakobus-Brief des Neuen Testaments so richtig und so treffend heißt) hat aber keinen Wert. Und diese „Werke“ der Glaubenden können inmitten dieser verrückten Welt meist nur „links“ sein, weil links eben bedeutet: Praktisches Eintreten für die Ethik Jesu von Nazareth und die universelle Gültigkeit der Menschenrechte. Die universell geltenden Menschenrechte sind heute Teil des christlichen Glaubens.

14.
Eins steht fest: Die kleine starke konservative Kirche à la Bethke lassen vor allem  Christen einfach rechts liegen.

Fußnote 1:
Hannah Bethke spricht in ihrem Buch vom Auftrag der Kirche zur „Wertorientierung“, „sie soll für Stabilität und Verlässlichkeit sorgen“ (Seite 9). Darin trifft sie sich völlig mit der Überzeugung von Friede Springer. Die Verlegerin ist Mitglied der kleinen, konservativen „Selbständigen Evangelisch – Lutherischen Kirche“ (SELK): Friede Springer sagt: „Mein Leitspruch ist: Alles ist Gnade. Fürchte Dich nicht! Alles, was ich in meinem Leben bin und habe, verdanke ich Gott.“ (IDEA Pressedienst am 16.8.2022). LINK
Am 14.4.2020 betonte Friede Springer: „Wir haben einen Wertekanon (sic) in unsere Verlagsstatuten integriert. Die deutsch-israelische Aussöhnung beispielsweise, oder eine deutliche Abgrenzung gegen Rechts – und Linksextremismus. Jeder Redakteur verpflichtet sich mit seiner Unterschrift, diese Werte zu achten und dafür einzustehen.“ (Evangelische Zeitung, 14.4.2020).
Nebenbei: Auch Erika Steinbach, einst CDU Politikerin, seit 2022 AFD Mitglied und Vorsitzende der AFD nahen Desiderius Erasmus Stiftung ist Mitglied der „Selbständigen Evangelisch – Lutherischen Kirche“. Axel Caesar Springer war es auch.

Hannah Bethke, „Vom Glauben abgefallen. Eine Antwort auf die Krise der evangelischen Kirche“. Kösel Verlag, München, 2025, 208 Seiten, 20€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Immer mehr “Konfessionslose” in den USA.

Ein Hinweis auf eine neueste Kirchen- Studie in den USA:
Von Christian Modehn, am 27.2.2025.

1.
Eine aktuelle Untersuchung des „PEW Research Center“ hat am 26.2.2026 den zunehmenden Abschied der Bürger der USA von den Kirchen dokumentiert. Die Studie hat den Titel „Studie der religiösen Landschaft“, realisiert durch Interviews mit 36.000 Bürgern der USA. Viele Details: LINK:

2.
Bei jungen Menschen sprechen Analysten von einer „erosion“, einem Zusammenbruch der Kirchenbindung. Nur noch weniger als ein junger Amerikaner von fünf bekennt, eine religiöse Ausbildung erhalten zu haben.

3.
Einige Fakten: Fast sechs von zehn US Amerikanern nennen sich (noch) Christen, das sind jetzt 62 Prozent. Im Jahr 2007 waren es noch 78 Prozent, im Jahr 2014 waren es 71 Prozent.

4.
Der Rückgang an Mitgliedern betrifft alle Kirchen in den USA. Bei den einflußreichen, mit Trump und seinen Republikanern verbundenen „Evangelikalen“ ist der Rückgang am geringsten: Gegenüber 2007 haben sie jetzt nur 3 Punkte weniger, sie bilden einen Anteil von 23 Prozent aller Christen in den USA.
Bei den Katholiken gibt es diese Entwicklung:
24 Prozent och 2007
21 Prozent noch 2014 und
2024 nur noch 19 Prozent.

Zu den klassischen protestantischen Kirchen der USA (Presbyterianer, Anglikaner, Lutheraner, Methodisten usw.) gehören jetzt nur noch 11 Prozent der US Amerikaner an, im Jahr 2007 waren es noch 18 Prozent.

5.
Das ist wirklich von größter Bedeutung: Die so genannten NONES), Leute ohne Mitgliedschaft in einer Kirche, zählen jetzt 29 Prozent der Bevölkerung, 2014 waren es nur 23 Prozent. 5 Prozent nennen sich Atheisten, 6 Prozent Agnostiker innerhalb der NONES. Sie haben ein Durchschnittsalter 38 Jahren; bei den Kirchenmitgliedern ist das Durchschnittsalter 54 Jahre (im Jahr 2007: 46 Jahre).

6.
Unter den jüngsten amerikanischen Kirchenmitgliedern sind mehr Männer als Frauen, die Analysten des PEW Research Centers nennen dies eine Umkehrung gegenüber früher, als Frauen stärkere Kirchenbindung zeigten.
Trotz dieser Erkenntnis: Frauen haben insgesamt noch eine stärkere Bindung an die Kirchen.

7.
Bei den „weißen Amerikanern“ mit Bindung an die klassischen Kirchen ist der Rückgang an Kirchenbindung am stärksten.

8.
Juden nennen sich 2023 1,7 % der Bevölkerung, Muslims 1,2 %, Buddhisten 1,1 % und Hindus 0,9%.

9.
Es ist inzwischen bewiesen, dass Evangelikale und fundamentalistische Christen auch in den anderen Kirchen eine starke Nähe zu Trump und den Republikanern haben. Und dass die Kirchenfernen und Atheisten eine stärkere Bindung an die Demokraten haben.

10.
Darf man als Philosoph und Theologe, der die Metaphysik und auch eine vernünftige (!) Form des Glaubens immer entwickelt und verteidigt, dann in dem Fall doch sagen: Hoffentlich nimmt die Zahl der Kirchenfernen in den USA zu, d.h. hoffentlich verschwindet der Glaube bzw. die Ideologie der Evangelikalen bald und die der Fundamentalisten… damit dadurch auch die Diktatur von Trump und Konsorten verschwindet!
Ein frommer Wunsch, gewiss, aber dieser Wunsch ist richtig. Ohne Evangelikale und ohne christliche Fundamentalisten, aber auch ohne jüdische und muslimische und hinduistische Fundamentalisten und Wahn – Religiöse könnte es in dieser unserer Welt besser aussehen und mehr Gerechtigkeit, mehr Demokratie herrschen. Und natürlich auch ohne radikale Missionare des Atheismus.

11.
Zugespitzt gesagt: Hoffen wir also auf eine weitere Entkirchlichung der USA, um dem Wahn Trumps und seiner Republikaner die Unterstützer zu entziehen. Die wenigen vernünftigen religiösen Menschen werden das alles gut und gern erleben und als Befreiung vom religiösen Opium feiern!

12.

Für Präsident Trump geht es nicht nur um “America first”. Sondern um “Christians first”, gemeint sind immer die evangelikalen und fundamentalistischen, die Republikaner wählenden Christen: LINK.  Nun gibt es auch ein “White House Faith Office” (ein so genanntes “Glaubensbüro im Weißen Haus”) zur Durchsetzung dieses fundamentalistischen Glaubens mit der fundamentalistischen Predigerin Paula White-Cain an der Spitze.  LINK.

Damit folgt Trump dem Diktator Putin, der mit seinem treuen Freund Patriarch Kyrill von Moskau (auch er KGB-Mitarbeiter einst)  ebenfalls eine Art Glaubensbüro unterhält. Das heißt auch hier: Ein ideologisches, nach außen hin “christliches” Amt zur Unterstützung seiner Gewalt/Kriegspolitik in der sich orthodox nennenden russischen Bevölkerung.

Siehe auch über “Religiöse Rechtsextreme in Deutschland und ihr Liebling Trump”: LINK:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Eine Geschichte von Verlusten: Auch das ist die Moderne!

Hinweise zu Kipppunkten, zur Kollapsologie, zur „Rache der Populisten“ und so weiter
Eine Buchempfehlung von Christian Modehn am 17.2.2025

1.
Wir haben so vieles und so viele verloren: Belastende und schöne Beziehungen, vielfältige Naturerfahrungen, wir haben verloren die Hochschätzung der Demokratie oder das Wissen, in einer religiös fundierten sinnvollen Welt leben zu können.
2.
Wir können jetzt das Ausmaß unserer erlebten und erkannten Verluste kaum überschauen. Und dennoch folgen so viele wie üblich der neoliberalen Ideologie vom permanenten Wachstum und damit des Fortschritts im allgemeinen. Die Wahrheit hingegen ist: Eigentlich sind Menschen der Moderne immer auch Verlierer. Vieles geht verloren im turbulenten Geschehen des Aufbruchs und des immer-Mehr.
Verlust sollte also das Grundwort sein, um unsere Selbst – und Welterfahrung heute zu bezeichnen. Fortschritt ohne Verlust sehen und zu verstehen, ist also naiv, ist „fortschritts-gläubig“.
3.
Das ist das Thema des international geachteten Soziologen Prof. Andreas Reckwitz (Humboldt – Universität Berlin) in seiner neuesten Studie „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“ (Suhrkamp Verlag). Reckwitz hat die Begabung, mit einem zentralen Stichwort unsere Aufmerksamkeit hinzulenken zum differenzierten Verstehen der Moderne, die eigentlich nun als eine zerbrechende Moderne treffender „Spät-Moderne“ (etwa S. 289) genannt werden sollte.
4.
Das neueste Buch von Andreas Reckwitz könnte als eine Art ausführliches, aber gut lesbares und sehr empfehlenswertes  Lehrbuch verstanden werden, das viele Aspekte von Verlusten soziologisch analysiert und einordnet. Etwa das „Unsichtbarmachen“ des Verlustes im Umgang mit dem Tod als Verlust von lieben Menschen. Inspirierend die Hinweise zu üblichen Formen, Verluste zu bearbeiten: Etwa in der Nostalgie, dem Konservatismus, der Religionen…
5.
Das Buch ist die Arbeit eines Soziologen, der zugleich auch mit historischen und philosophischen Entwicklungen vertraut ist: Aber auch die genaue Kenntnis aktueller politischen Fragen wird deutlich, etwa, wenn vom Populismus als der „Rache an den Gewinnern“ (den ökonomischen, den politischen…) die Rede ist. Diese Erkenntnis ist zentral, und sie sollte im Zusammenhang des Aufstiegs etwa der rechtsextremen AFD oder der FPÖ beachtet werden, Reckwitz schreibt: „Den Populismus kann man ohne seine `rächende` Stoßrichtung nicht verstehen. Den anderen, den vermeintlichen Gewinnerinnen und Gewinnern der (Spät)- Modernisierung und zugleich den direkt oder indirekt vorgeblich Verantwortlichen für die eigene Misere sollen (von Populisten) ihrerseits Verluste zugefügt werden (vom Autor kursiv)… Das kann sich gegen Klimaschützerinnen oder erfolgreiche Homosexuelle richten, …. gegen Flüchtlingsaktivisten oder gegen Frauen in Führungspositionen.“

Die Populistenführer reden sich und ihren Anhängern ein: Sie seien zu kurz gekommen, hätten selbst zu viele Verluste erlebt, ihr Motto also, betont Andres Reckwitz: „Nun sollen die anderen verlieren.“ (Seite 394). Und solch eine Maxime ist ein Aufruf zum Kampf.
6.
Hier können nicht die vielen, in die Tiefe fahrenden Überlegungen von Andreas Reckwitz zur Dialektik von Fortschritt und Verlust in der (spät-)modernen Lebenswelt gewürdigt werden. Nur diese Hinweise:
7.
Wir sollten die gesellschaftliche Entwicklung gerade in zugespitzt empfundenen Situationen genau analysieren: Es geht um die Wahrnehmung von KIPP-PUNKTEN, also um die Wahrnehmung: Es gibt keine eindeutige lineare gesellschaftliche Entwicklung. Das schlichte Muster „kleine Ursache-große Wirkung“ sollte also vermehrt beachtet werden. „Im Falle des Kipppunktes braucht es am Ende nur ein winziges Ereignis, um das gesamte System aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dieses Ereignis ist allerdings nicht zufällig, sondern lässt sich in ein langfristiges, sich steigerndes Prozessgeschehen einordnen… „(S. 310).
Ein Beispiel aus unserer Sicht: Am 29. Januar 2025 hat der CDU/CSU Kanzlerkandidat Friedrich Merz seinen „Gesetzesentwurf“ für eine „Zustrombegrenzung “von Flüchtlingen bewusst und direkt geplant mit den Stimmen der AFD gewonnen. Die demokratische Presse sprach von einem Dammbruch, man könnte auch sagen: Es war ein Kipppunkt. Man wird abwarten, wie und wann sich Kollaborationen von CDU/CSU mit der AFD wiederholen. Kollaboration ist ja einmal schon geschehen, am 29.1.2025 und wohl auch am 31.1.2025 wieder im Deutschen Bundestag.
Interessant ist in dem Zusammenhang der für viele LeserInnen neue Begriff der Kollapsologie, also der soziologisch – politischen Lehre vom Kollaps von Staaten und Gesellschaften, wenn nicht der ganzen Welt. Ein entsprechendes „Handbuch der Kollapsologie“ ist 2022 erschienen, S. 309, Fn. 30. , ausführlicher S. 417 f.
8.
Auch die Religionen sind bekanntlich Formen der Bewältigung von Verlusten: In einem viel zu kurzen Kapitel „Religion: Der Trost der Transzendenz“ (S. 273ff.) weist Andreas Reckwitz darauf hin. Der Titel sagt alles: Angesichts der Sterblichkeit bieten Religionen, etwa das Christentum, einen Trost, der über die Welt hinausführt in die himmlische Welt. „Letztlich basiert das Christentum auf einer anthropologischen Verlustgeschichte“, meint Reckwitz, er denkt dabei an die Vertreibung der Menschen aus dem Paradies wegen des Sündenfalls, so der biblische Mythos. Aber es ist schon falsch, wenn Reckwitz meint: Das Christentum und damit die Kirchen würden „ökonomische Verluste, Machtverluste und Verluste von Erwartungen auf eine im innenweltlichen Sinne positive Zukunft“ (s. 277) als „letztlich Zweitrangiges oder inkomplett Irrelevantes“ (s. 277) ansehen. Darin zeigt sich, das der Autor in diesem knappen Kapitel eher alte theologische Literatur verarbeitet und etwa die Befreiungstheologie ignoriert, die gerade den Verlust der Armen an politischer Mitbestimmung und Gleichberechtigung aufgreift und betont: Erlösung beginnt schon hier „auf Erden“, etwa im real – materiellen Erleben der Gültigkeit der Menschenrechte und der Sicherung des menschenwürdigen Lebens.
Andere aktuelle Verlusterfahrungen etwa von Katholiken hätten thematisiert werden können: Man denke an Erzbischof Marcel Lefèbvre, der nach dem 2. Vatikanischen Konzil seinen eigenen traditionalistischen Weg ging mit der Gründung der Pius – Bruderschaft: Lefèbvre klagte darüber, dass dieses Konzil die lateinische Messe in der uralten Form abgeschafft hatte: In seiner konservativen Ideologie, die nur das Alte liebte, sagte Lefèbvre: „Man hat uns die heilige Messe genommen.“ Eine Verlust – Erfahrung… Andererseits gibt es sicher auch Verlust -Erfahrungen unter progressiven Katholiken: Sie treten aus der Kirche zu tausenden aus, auch, weil sie der Kirchenleitung jegliche Glaubwürdigkeit absprechen müssen, das aber bedeutet: Ihren einst vermittelten Glauben an die hohe geistliche und menschliche Qualität des Klerus verloren haben. Und auch: jede Hoffnung auf eine tiefgreifende Reformation der Katholischen Kirche.
9.
Wenn in der Spätmoderne überhaupt noch dem Fortschritt ein positiver Inhalt zugewiesen wird, dann in der Lebensgestaltung des einzelnen. Reckwitz spricht von „Subjektivierung des Fortschritts“ (S. 322ff.). Diese entspricht der „neoliberalen Kultur der Selbstverantwortung des Individuums für seinen subjektiven Lebenserfolg“ hin zu umfassender „Selbstoptimierung.“ Kurz gesagt: Mag auch die Welt am Rande des Untergangs taumeln, ich baue an meiner eigenen Innerlichkeit für mich weiter, ich entwickle und pflege meine nur mir gehörende Subjektivität und will persönlich wachsen, auch wenn in der Wirtschaft nichts mehr wächst und die Demokratie von Rechtsextremen lädiert wird. Das ist diesem Subjekt ziemlich egal… Hauptsache: Ich habe ein „gelungenes Leben“ (s. 326). Gesellschaftlicher Fortschritt geht verloren, aber ich rette meine schöne, wohl entwickelte Seele: Geht diese Spaltung von Gesellschaft und Ich auf die Dauer? Eines Tages werden die neuen Herren der Anti – Demokratie den schönen Seelen doch den Schrecken einjagen, wenn es zu spät ist…
10.
Andreas Reckwitz sieht die demokratischen Gesellschaften und Staaten in einer tiefen Krise und Gefahr. Er persönlich ist überzeugt, dass ein Untergang wohl nicht bevorsteht, andererseits ist auch das Erlebnis von Fortschritt und von permanentem Wachstum ausgeschlossen. Welche Möglichkeit der Hoffnung bleibt da?
Reckwitz setzt auf die „Reparatur der Moderne“, diese ist die Ausbesserung der vorgegebenen modernen Institutionen und Lebensformen. Das Programm könnte man einen progressiven Konservatismus nennen – zugunsten der Rettung der guten und hoffentlich bleibenden Errungenschaften der Moderne, der Menschenrechte und der Demokratie. „Es geht darum, den Fortschritt als Erbe zu bewahren,“ so Andreas Reckwitz (S. 420).

Andreas Reckwitz, „Verlust. Ein Grundproblem der Moderne“. Suhrkamp, 2024, 463 Seiten, 32€.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin