Auf die Gestaltung der Gesellschaft kommt es an. Prof. Gräb schreibt aus Südafrika

Für eine „öffentliche Theologie“  politischer Verantwortung

Prof. Wilhelm Gräb schreibt aus Südafrika

Die Fragen stellte Christian Modehn, veröffentlicht am 5. 3. 2013

Professor Gräb (Humboldt Universität zu Berlin) unterrichtet seit einigen Jahren schon regelmäßig für einige Wochen an theologischen Hochschulen in Südafrika, vor allem in Stellenbosch und Pietermaritzburg.

Wenn Sie jetzt wieder für einen Monat in Südafrika lehren und Eindrücke aus früheren Jahren vergleichen: Was ist in Ihrer Sicht jetzt das größte Problem für ein demokratisches Leben in Südafrika heute?

Das größte Problem für die Demokratie in Südafrika ist zweifellos die Armut, überwiegend unter den „Schwarzen“ und „Farbigen“, (eine Folge der Apartheid) zunehmend aber auch unter „Weißen“. Diese Farbeneinteilung ist in Südafrika auch fast 20 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen leider immer noch üblich. Der Grund für prekäre Verhältnisse liegt in den fehlenden sozialen Sicherungssystemen (Arbeitslosen- und Krankenversicherung). Auch „Weiße“ sind, wenn sie von Arbeitslosigkeit oder chronischer Krankheit betroffen sind, schnell in einer schwierigen Lage.  Andererseits gibt es einen ungeheuren Reichtum, an dem zunehmend auch „Schwarze“ teilhaben. Da spielt die Politik hinein, die die Demokratie inzwischen auch wieder gefährdet, denn die Machtposition des ANC ist ungefährdet – auch das ist freilich eine indirekte Folge der Apartheid. Diese Dominanz des ANC führt vielfach zur Korruption, zu einer unguten Verschränkung von politischer und wirtschaftlicher Macht – allerdings: Es herrscht weitgehende Pressefreiheit, so dass diese Dinge auch öffentlich werden.

Es zeigt sich an vielen Stellen zudem eine Verbesserung der Lebensbedingungen, vor allem eine Erweiterung der Zukunftschancen für die jungen Menschen – allein dadurch, dass die weiterführenden Schulen und die Universitäten jetzt für alle offen stehen und es auch staatliche Förderprogramme für Studierende gibt.

Wenn Sie als Theologe die Themen vergleichen, mit denen Sie sich in Europa und in Südafrika befassen: Welche “Schwerpunktverlagerung” thematischer Art fällt da auf?  Anders gefragt: Was ist theologisch wirklich wichtig für die Menschen in Südafrika?

Die theologischen Herausforderungen sind hier zweifellos anders. Zuhause in Berlin argumentiere ich gegen das säkulare Selbstmissverständnis unserer Gesellschaft. Ich plädiere dort für die Einsicht der Zugehörigkeit der Religion zum Humanum, benenne ich Gründe für die Vernunft des Glaubens. Hier in Südafrika unterrichte ich Praktische Theologie in einem Land, in dem die „säkulare Trennung“ (Europas) nicht existiert, indem hier in Südafrika die Religion und die Beteiligung an dem im sonntäglichen Gottesdienst zentrierten Gemeinschaftsleben selbstverständlich sind. Die Kirchen blühen in ungeheurer Vielfalt und erfreuen sich allenthalben großen Zulaufs – vor allem die Pfingstkirchen und die „African Independent Churches“. Hier hat die Theologie nicht die Aufgabe der Verteidigung der Religion gegenüber den Gebildeten unter ihren Verächtern. Hier muss sie ihre Aufgabe darin erkennen, für die soziale und politische Verantwortung des Glaubens einzutreten. Hier muss sie den Glauben über die ungeheure Bedeutung aufklären, die er de facto hat für die normativen Ressourcen, aus denen sich die Orientierungspotentiale des öffentlichen Lebens speisen. Viele meiner Kollegen an den theologischen Fakultäten in Südafrika engagieren sich für das Projekt einer „Öffentlichen Theologie“ und versuchen die theologische und pastorale Ausbildung darauf auszurichten, dass den Leitungskräften in Kirchen und Gemeinden eine die allgemeinen Belange des Gemeinwesen betreffende Führungsrolle zukommt. Theologen müssen in ihrer Gemeinde „Leadership“ übernehmen können. Denn die Kirchen und Gemeinden stellen das gesellschaftlich dichteste und am besten funktionierende soziale Netz dar. Aufgrund des kirchlichen und religiösen Pluralismus ist dieses Netz aber auch sehr löcherig. Die Kirchen und Gemeinden stehen immer in der Gefahr,  sich gegeneinander abzuschotten. Ziel der „Öffentlichen Theologie“ ist es deshalb, die Kirchen und Gemeinden auf ihre Verantwortung für die Verbesserung der Lebensbedingungen hinzuweisen und für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zu engagieren. Aufgabe der Theologie hier in Südafrika, so könnte man auch sagen, ist es, den Glauben in die kritische Selbstreflexion zu treiben, damit er der in ihm liegenden moralischen Bindungskräfte auch ansichtig wird. Dann arbeitet sie an den Voraussetzungen dafür, dass die Kirchen noch wirksamere Agenten für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit werden.

An diesem Projekt eines die gesellschaftliche und politische Verantwortung wahrnehmenden Christentums beteilige ich mich lebhaft, wobei ich zugleich versuche das Interesse liberaler Theologie an der Freiheitskraft des Glaubens einzubringen. Mit ist es auch hier wichtig, deutlich zu machen, dass der christliche Glaube seine moralische Kraft aus einer grundlegenden Freiheitserfahrung zieht. Denn erst dadurch, so denke ich, gewinnt der Glaube öffentliche Wirksamkeit in Politik und Gesellschaft, sowie Einfluss auf die wirtschaftlichen Prozesse: Er muss mit der freien Einsicht in die gegebenen Zustände vermittelt werden und er muss zur reflektierten Weltverantwortung befähigen. Für den moralisch und politisch reflektierten Glauben braucht es hier eine liberale Theologie, nicht so sehr zu seiner Verteidigung vor dem Forum der humanen Vernunft.

Nehmen Sie in Südafrika und ihre südafrikanischen Theologie- Kollegen an dem ganzen Debattieren um den Rücktritt des Papstes und einen neuen Papst in irgendeiner Weise Anteil? Oder gibt es auch da wichtigere (ökumenische) Themen?

Rücktritt und Neuwahl des Papstes interessieren hier niemanden. Die katholische Kirche ist eine der unzähligen christlichen Kirchen (Denominationen) unter anderen. Die Ökumene ist das große Thema. Mit der öffentlichen Verantwortung der christlichen Kirche verträgt sich die kirchliche Zersplitterung nicht. Die Kirche würde im politischen Raum als prophetische Stimme, die die ungeheuren Unterschiede zwischen Arm und Reich anklagt, noch viel deutlicher gehört, wenn sie mit einer Stimme spräche. Es werden allerdings auch Fortschritte in diese Richtung gemacht, zumal schon der kirchliche Kampf gegen die Apartheid, damals unter der Führung von Desmond Tutu, einer solche des „Südafrikanischen Konzils der christlichen Kirchen“ war. Für die Theologie liegt in ihrem Beitrag zu einer ökumenischen Verständigung, die sich nicht mehr mit überkommenen Lehrunterschieden aufhält, sondern die für soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Frieden eintritt, eine der entscheidenden Herausforderungen der Zukunft. Mir scheint es aber auch so, dass das die Theologie hier bereits sehr viel besser verstanden hat als diejenige in Deutschland.

copyright: wilhelm gräb und religionsphilosophischer salon berlin.

Die Erklärung der Menschenrechte – Bekenntnisgrundlage einer universalen Religion? Von Prof. Wilhelm Gräb

Die Erklärung der Menschenrechte – Bekenntnisgrundlage einer universalen Religion? Ein Interview mit Prof.WEilhelm Gräb, Theologe an der Humboldtb -Universität in Berlin. 

Veröffentlicht am 19. Jan. 2013. Die Fragen stellte Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Sie halten am 28. Januar 2013 einen Vortrag über die Menschenrechte mit dem Titel: “Die Erklärung der Menschenrechte –  Bekenntnisgrundlage einer universalen Religion”. Soll das heißen, dass die vielen konkreten Religionen unwichtig werden angesichts einer neuen universalen Religion?

Die vielen konkreten Religionen werden weder unwichtig noch können sie die neue Religion universaler Menschlichkeit schlicht ersetzen. Ich meine jedoch in der Tat, dass die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (= AEMR, UN-Charta 1948) nicht nur mit einem universalen Anspruch auftritt, sondern diesen auch religiös verstärkt. Um den religiösen Charakter der Erklärung der Menschenrechte zu erkennen, genügt es, auf die unbedingte Geltung, die sie beansprucht, hinzuweisen. Die unbedingte Geltung der Menschenrechte stützt sich auf die „angeborene Menschenwürde“. Nun kann man sagen, das ist eine anthropologische, aber keine religiöse Begründung. Indem diese angeborene Menschenwürde jedoch jedem Menschen zugeschrieben wird, und dies gerade unabhängig von seinen Taten, seinen Rollen und seinen Funktionen, wird er als ein solcher angesehen, der alle gegebenen Bedingungen seines Daseins transzendiert. Der Mensch, dessen angeborene Würde unantastbar ist, ist der, der in dem, was von ihm vorhanden ist, nie aufgeht. Er kann sich deshalb zu allen Bedingungen seines Daseins selbst verhalten. Er besitzt Freiheit, die er wiederum nur dann recht versteht, wenn er sie zugleich auch allen anderen Menschen gleichermaßen zugesteht. Weiterlesen ⇘

Liberale Theologie: Was für sie zählt, ist der Mensch. Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Die liberale Theologie: Wo sie lebt, was sie fordert, was ihr wichtig ist: Ein Interview mit Professor Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin

Die Fragen stellte Christian Modehn. Veröffentlicht am 31. 12. 2012

Die aktuellen Religionsstatistiken weltweit zeigen, dass die christlichen Kirchen zahlenmäßig zunehmen, vor allem auch in Afrika. Aber es sind Kirchen, die dem sehr konservativen, “orthodoxen”, wenn nicht dem sogen. fundamentalistischen Bereich angehören.
Woran liegt es, dass die eher liberalen und progressiven Kirchen weltweit zahlenmäßig ins Abseits geraten?

Die Kirchen, die wachsen, sind ganz selten „orthodox“, auch nicht „konservativ“ und längst nicht immer in dem Sinn fundamentalistisch, dass sie auf einem starren Wort-Glauben und einer patriarchalen Moral beharren. Die Kirchen, die wachsen, sind in ihrer Lehre undogmatisch, geben aber klare Weisung in der Lebensführung. Es sind solche Kirchen, die die religiösen, ethischen und ökonomischen Lebensbedürfnisse der Menschen zu befriedigen in der Lage sind. Weiterlesen ⇘

Der menschliche Gott – Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Der menschliche Gott

Interview über das Weihnachtsfest von Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin, veröffentlicht am 3. Dezember 2012

Die Fragen stellte Christian Modehn

„Alle Jahre wieder“… Viele Menschen erleben gerade die Tage vor Weihnachten und die obligaten Familienfeiern am Weihnachtstag selbst wie eine „ewige Wiederkehr des Gleichen“.  Worin sehen Sie selbst einen Sinn, sich immer wieder und vielleicht immer wieder neu auf Weihnachten einzulassen?

Mir geht es wie den meisten. Es ist mir einerseits zuwider, dieser ritualisierte Geschenketausch und der ganze Gefühlskitsch. Andererseits freue ich mich doch auch jedes Mal wieder auf Weihnachten. Ich habe keine konkreten Erwartungen. Aber ich denke doch, es würde mir etwas fehlen im Rhythmus des Jahres, wenn Weihnachten ausfiele. Das liegt natürlich vor allem an den Kindern. Die sind inzwischen zwar erwachsen. Sie kommen auch nicht mehr alle an Weihnachten nach Hause, weil sie inzwischen selbst Familie mit Kindern haben. Aber wenn sie an Weihnachten nach Hause kommen, dann bestehen sie darauf, dass alles so ist und bleibt wie es immer war. Selbstverständlich gehört der Besuch des Gottesdienstes am Heiligabend auch zu unserem familiären Weihnachtsritual. Wenn Sie mich persönlich fragen, ob ich einen Sinn darin sehe, mich immer wieder auf Weihnachten einzulassen, so muss ich sagen, dass ich gar keine Chance habe, es nicht zu tun – es sei denn, ich würde aus meinem bisherigen Leben aussteigen und meine Familie verlassen – aber selbst dann, so denke ich, käme ich vermutlich nicht von Weihnachten los. Weiterlesen ⇘

Meinen Tod annehmen – meinen Tod sterben dürfen. Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität

Meinen Tod annehmen, meinen Tod sterben dürfen

Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin

Die Fragen stellte Christian Modehn. Veröffentlicht am 12. 11.2012

In unserer Gesellschaft, vor allem im Fernsehen und Kino, sind Sterben und Tod, sind Mord und Totschlag, „spielerisch“ wie real in Kriegen und Katastrophen, allgegenwärtig. Zeigt sich in dieser Überfülle von Todesbildern eine Fluchtbewegung vor der Auseinandersetzung mit meinem eigenen Tod?

Bei solchen Kulturverfallsklagen werde ich immer etwas misstrauisch. Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen früherer Generationen, als das Sterben in der nächsten Umgebung von Familie und Nachbarschaft noch viel häufiger vorkam als heute, sich mit dem Tod und dem eigenen Sterben intensiver auseinandergesetzt haben. Es ist zwar richtig, dass in unserer Mediengesellschaft die Begegnung mit dem Tod der anderen zu einer solchen aus zweiter Hand geworden ist. Wir erleben den Tod nicht mehr so hautnah, seltener in sozialer Nähe, sind aber durch die Medien dennoch ständig mit ihm konfrontiert. Gleichwohl wissen wir genauso, dass wir sterben müssen. Jeder und jede weiß das. Und auch heute fragen schon die Kinder, was das heißt, tot zu sein.

 

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Liberale Theologie als Befreiungstheologie? Aus dem Grundvertrauen handeln

Liberale Theologie als Befreiungstheologie: Aus dem Grundvertrauen handeln

Fragen an Prof. Wilhem Gräb, Theologe an der Humboldt Universität zu Berlin

Die Fragen stellte Christian Modehn.    Publiziert am 29. Oktober 2012

In Ihrem Interview im September 2012 haben Sie sehr deutlich herausgestellt, dass das Grundvertrauen die Basis ist für sinnvolles und dann auch gelingendes, sagen wir „glückliches“ Leben. Welche Rolle spielt das Grundvertrauen, wenn es darum geht, wirksam und mit sehr großer Frustrationstoleranz für eine gerechtere Welt bei uns und in der „Ferne“, etwa für die Menschen südlich der Sahelzone, einzutreten?

Ich spreche davon, dass der christlich Glaube dort, wo er in einem Menschen wirksam ist, zu einem Lebensvollzug wird. Was den Lebensvollzug des Glaubens ausmacht, beschreibe ich mit der aus der Psychologie (Erik H. Erikson) stammenden Rede vom „Grundvertrauen“. Damit will ich zum Ausdruck bringen, dass der christliche Glaube eine verwegene Lebenszuversicht schafft. Er gibt den „Mut zum Sein“ (Paul Tillich). Er treibt also auch dazu an, sich für das als richtig Erkannte und Notwendige zu engagieren, auch dann, wenn alles unendlich mühsam erscheint. Ich würde fast sagen, jeder der, so wie die Dinge liegen, für eine gerechtere Welt eintritt, braucht die verwegene Zuversicht des Glaubens. Weiterlesen ⇘

Grundvertrauen – die wahre Religion der Menschheit. Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Grundvertrauen – die wahre Religion der Menschheit

Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin

Die Fragen stellte Christian Modehn, Religionsphilosophischer – Salon Berlin

Veröffentlicht am 30.9.2012

Es wird heute immer schwieriger, von persönlichem Leid einmal ganz abgesehen, in einer von Gewalt und Ungerechtigkeit geprägten Welt noch die Zuversicht zum Leben zu bewahren oder zu entwickeln. Sehen Sie Möglichkeiten, theologisch und religionsphilosophisch Wege zur  (gar nicht oberflächlich gemeinten) Lebensfreude zu zeigen?

Es gibt im Leben eines jeden Menschen doch auch die erfüllen Augenblicke, die besonderen Erlebnisse, in denen sich die Schönheit der Welt und der unendliche  Reichtum des Lebens zeigen. Natürlich bedrängt und bedrückt uns das andere, das Sie ansprechen, das persönliche Leid, Gewalt und Ungerechtigkeit überall. Wer könnte davor die Augen verschließen und wer wäre nicht selbst auch immer wieder von all dem betroffen, was das Leben schwer und die Welt hässlich macht? Dennoch frage ich mich, ob ich mich in meinem Lebensgefühl verstanden fühle, wenn man mir unter Vorhaltung all des Schrecklichen, das geschieht, meint die Lebensfreude absprechen zu müssen. Weiterlesen ⇘